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REZENSION Z Außen Sicherheitspolit (2014) 7:107–109 DOI 10.1007/s12399-013-0383-7 Online publiziert: 19.12.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Dr. C. Rohde () Hochschule für Politik, Ludwigstraße 8, 80539 München, Deutschland E-Mail: [email protected] Zwei Abhandlungen thematisieren die zunehmende Bedeutung des Faktors Religion in den internationalen Beziehungen. Jodok Troy, politischer Ethiker aus Innsbruck, zeigt Möglichkeiten der Inkorporation religionsspezifischer Elemente in die Theorie interna- tionaler Beziehungen auf, während Roland Czada et al. die Ergebnisse einer internatio- nalen Konferenz zum Thema Religion und Weltfrieden in einem Sammelband vorlegen. Dabei werden konkrete Friedenspotenziale einzelner Weltreligionen auf ihre Realisier- barkeit hin überprüft. Die These, dass die Religion als einflussreicher Faktor in der internationalen Politik oft unterschätzt wurde, wird vom Innsbrucker Ethiker Jodok Troy vertreten. In seinem Werk Christian Approaches to International Affairs führt er dies auf die Hegemonie des säkularen Paradigmas in den Sozialwissenschaften bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts zurück. Unter Rückgriff auf die klassischen Theorien der internationalen Beziehungen – den politischen Realismus Hans Morgenthaus sowie die Englische Schule Hedley Bulls – versucht Troy die wachsende Bedeutung des Faktors Religion in politischen Prozessen wie Revolutionen, Diplomatie, Krieg und Frieden zu begründen. Der Autor stellt klar, dass er die Ursachen für Konflikte nicht ausschließlich im second oder third image aus- macht, sondern dass personale und prozessuale Variablen in Konfliktanalysen ebenso zu berücksichtigen sind. Gerade deshalb greift er auf eine konstruktivistische Interpretation Troy, J. (2012). Christian Approaches to International Affairs. Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan, 224 S., ISBN: 978-0230362918, ca. € 62,-. Czada, R., Held, T., & Weingardt, M. (2012). Religions and World Peace: Religious Capacities for Conflict Resolution and Peacebuilding. Baden-Baden: Nomos, 223 S., ISBN: 978-3832967055, € 29,-. Christoph Rohde

Troy, J. (2012). Christian Approaches to International Affairs. Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan, 224 S., ISBN: 978-0230362918, ca. € 62,-. Czada, R., Held, T., & Weingardt,

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Page 1: Troy, J. (2012). Christian Approaches to International Affairs. Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan, 224 S., ISBN: 978-0230362918, ca. € 62,-. Czada, R., Held, T., & Weingardt,

Rezension

Z Außen Sicherheitspolit (2014) 7:107–109DOI 10.1007/s12399-013-0383-7

Online publiziert: 19.12.2013© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Dr. C. Rohde ()Hochschule für Politik, Ludwigstraße 8,80539 München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Zwei Abhandlungen thematisieren die zunehmende Bedeutung des Faktors Religion in den internationalen Beziehungen. Jodok Troy, politischer Ethiker aus Innsbruck, zeigt Möglichkeiten der Inkorporation religionsspezifischer Elemente in die Theorie interna-tionaler Beziehungen auf, während Roland Czada et al. die Ergebnisse einer internatio-nalen Konferenz zum Thema Religion und Weltfrieden in einem Sammelband vorlegen. Dabei werden konkrete Friedenspotenziale einzelner Weltreligionen auf ihre Realisier-barkeit hin überprüft.

Die These, dass die Religion als einflussreicher Faktor in der internationalen Politik oft unterschätzt wurde, wird vom Innsbrucker Ethiker Jodok Troy vertreten. In seinem Werk Christian Approaches to International Affairs führt er dies auf die Hegemonie des säkularen Paradigmas in den Sozialwissenschaften bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts zurück. Unter Rückgriff auf die klassischen Theorien der internationalen Beziehungen – den politischen Realismus Hans Morgenthaus sowie die Englische Schule Hedley Bulls – versucht Troy die wachsende Bedeutung des Faktors Religion in politischen Prozessen wie Revolutionen, Diplomatie, Krieg und Frieden zu begründen. Der Autor stellt klar, dass er die Ursachen für Konflikte nicht ausschließlich im second oder third image aus-macht, sondern dass personale und prozessuale Variablen in Konfliktanalysen ebenso zu berücksichtigen sind. Gerade deshalb greift er auf eine konstruktivistische Interpretation

Troy, J. (2012). Christian Approaches to International Affairs. Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan, 224 S., ISBN: 978-0230362918, ca. € 62,-.Czada, R., Held, T., & Weingardt, M. (2012). Religions and World Peace: Religious Capacities for Conflict Resolution and Peacebuilding. Baden-Baden: Nomos, 223 S., ISBN: 978-3832967055, € 29,-.

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des politischen Realismus und der Englischen Schule zurück, die ihm das Herausdestil-lieren psychologischer Elemente einer religiösen Ethik ermöglicht. Diese soll die radi-kale Separierung von säkularer und religiöser Theorie überwinden. Die „Ambivalenz des Heiligen“ ist nicht mit einem methodologischen Monismus zu greifen, glaubt Troy. Es sei empirisch nachgewiesen, dass im Falle religiös aufgeladener Konflikte die Religion in den seltensten Fällen die Wurzelursache des Konflikts gewesen sei. Deshalb sind sowohl strukturalistische als auch genuin religionsspezifische Variablen in einer Konfliktätiolo-gie in Augenschein zu nehmen. Die Stärke von Troys Untersuchung liegt darin, dass er die religiösen Akteure benennt, die das Scharnier zwischen der Ebene der interna-tionalen Entscheidungsträger einerseits und den religiösen Gemeinschaften andererseits bilden können. Basierend auf den kommunitaristischen Ideen eines Michael Walzer und Aladair MacIntyre können Religionsgemeinschaften eine virtue ethics verwirklichen und als moralisch gewichtige secondary institutions moderierenden Einfluss auf internatio-nale Konfliktprozesse ausüben. Troy weist in diesem Zusammenhang auf die moralische Kraft katholischer Enzykliken, auf das persönliche Charisma einzelner religiös moti-vierter Persönlichkeiten wie dem UN-Generalsekretär Dag Hammerskjöld oder auf die pazifizierende Kraft mönchischer Gemeinschaften wie Sankt Egidio in interreligiösen Konfliktsituationen in Afrika hin. Insgesamt bietet Troys Monographie eine innovative konstruktivistische Perspektive zum Thema Religion und internationale Beziehungen an.

Roland Czada, Thomas Held und Markus Weingardt haben die Ergebnisse einer hoch-rangig besetzten internationalen Konferenz mit dem Titel Religions and World Peace: Religious Communities and their Potential for Peacebuilding and Conflict Resolution, die vom 20. bis 23. April 2010 standesgemäß in Osnabrück, einem der Orte des Westfälischen Friedens, stattfand, veröffentlicht. Die Motivation dieses Bandes stellen die Herausgeber- Innen im Einführungskapitel heraus. Sie wollen eine Alternative zur gewöhnlich kon-fliktzentrierten Sichtweise der Forschung auf den Faktor Religion anbieten und loten die Friedenspotenziale der zentralen Weltreligionen aus. Bei dieser Ambition darf der Schöp-fer der Idee des Weltethos, Hans Küng, nicht fehlen. Der prominente Tübinger Theologe hat aus zahlreichen Fallstudien Elemente herausdestilliert, die die Möglichkeiten von Religionen im Konfliktmanagement und in Friedensprozessen markieren. In praktischer Hinsicht hätten muslimische Organisationen im Ruanda-Konflikt durch gewaltpräven-tive Schulprogramme die Anfälligkeit der Bevölkerung für die rassistische Propaganda radikal gesenkt. In Mexiko sei es der katholischen Kirche gelungen, durch gezielte Men-schenrechtsarbeit und die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen die Situation in der gewaltaffinen Region Chiapas zu verbessern. Der Bürgerkrieg in Mozambique konnte von Mitgliedern der katholischen Laienbewegung Sant’Egidio durch Mediations-prozesse zwischen den Kriegsparteien zu einem dauerhaften Frieden geführt werden. Küngs inzwischen breit rezipierte Friedenskonzeption basiert auf einem religionen- übergreifenden Bewusstsein für gemeinsame ethische Grundwerte, die auch von säkula-ren Gesellschaften akzeptiert werden könnten. Nationalismusforscher Richard Little von der Harvard Divinity School weist auf das komplexe Wechselspiel zwischen religiösen und ethnischen Faktoren in politischen Konstellationen hin. Frieden befördernde Ein-flüsse der Religion konnte er sowohl beim Zusammenbruch des Kommunismus inner-halb von Nationalstaaten nachweisen, so zum Beispiel in Polen und Ostdeutschland, als auch bei der Transformation Südafrikas weg von der Apartheid hin zu mehr Demokratie.

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Little konnte zeigen, dass religiöse Strukturen innerhalb von Nationen desto mehr frie-densfördernd sind, je mehr sie sich in einen konstitutionellen Rahmen einbinden lassen. Damit erteilt er einer rein laizistischen Verfassungsstruktur ebenso eine Absage wie einer rein religiös orientierten Verfassungsordnung, die einer Theokratie nahekomme und die Gewalt gegen Minderheiten forciere. Jeffrey Haynes, britischer Experte für die Rolle von Religionen in den internationalen Beziehungen, bezeichnet die Rolle der Religion als „ambivalence of the Sacred“. Er untersucht die Potenziale von faith-based organi-sations (FBO) für Friedensprozesse. Bei Konflikten zwischen Gruppen innerhalb von Entwicklungsländern konnten FBO vier Aufgaben erfüllen: 1) spirituellen und emo-tionalen Support für die Kriegsparteien bereitstellen, 2) Mobilisierungsmaßnahmen in ihren Gemeinschaften für den Frieden durchführen, 3) Mediationsleistungen zwischen den Kriegsparteien anbieten und 4) eine Führungsrolle bei der Verfolgung von Versöh-nung, Dialog, Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration einnehmen. In Nigeria erreichten FBO ein Abschwellen interreligiöser Gewalt, das auf lokal organisierte Inter-Faith-Dialoge zwischen muslimischen und christlichen Jugendlichen zurückzuführen war, während in Kambodscha die buddhistische Meditationsmethode der Dhammayietra einen zentralen Baustein zur Herstellung einer postkonfliktuellen Ordnung darstellte. Die Leidens- und Versöhnungspotenziale des Buddhismus schufen Deeskalationspotenziale, die die Möglichkeiten zur Herstellung einer nachhaltigen Friedensordnung erheblich ver-bessern halfen. In weiteren Beiträgen werden die normativen Grundlagen verschiedener Religionen sorgfältig dargestellt (Beiträge von Mollov – Judentum; Harvey – Buddhis-mus; Kadayifci-Orellana – Islam; Appleby – Christentum, Prabhu – Hinduismus), doch es fehlt eine Einordnung der religiösen Einzelfallbeispiele in größere politische Makro-strukturen. Eine Blaupause für den Umgang der internationalen Gemeinschaft mit der Hamas bietet der Sammelband beispielsweise nicht. Dennoch überzeugt er durch die Konkretheit seiner Beispiele. Beide hier vorgestellten Werke säen eine konstruktive Saat, aus der im Sinne des Evangeliums ein großer Baum der Hoffnung für eine verbesserte Konfliktbearbeitung in religiösen Kontexten entstehen kann.