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t~ber das deterministische und das stochastisehe Modell der Versicherungsmathematik Edgar Neuburger (Miinehen) Vorbemerkung Die folgenden Betraehtungen entstammen einem Vortrag, der am 11.6. 1970 auf Einladung der Mfinehener Riiekversieherungs-Gesellsehaft und der Deutsehen Gesell- schaft ffir Versieherungsmathematik in Miinehen gehalten wurde. Der Verfasser hat sieh erst naeh einigem ZSgern bereitgefunden, seine Ausffihrungen einem grSBeren Kreis zug~nglieh zu maehen, weft diese keine neuen Erkenntnisse aufweisen. Er hat sieh aber schlieBlieh dem Argument der Sehrfftleitung nieht versehlossen, dab diese kleine Betraehtung insbesondere ffir Mathematiker, die am Anfang ihres berufliehen Wirkens in unserer Branehe stehen, nfitzlieh sein kSnnte. Ein so weir gespanntes Thema kann natfirlieh auf wenigen Seiten nieht ausgesehSpft werden. Es soll jedoeh der Versueh gewagt werden, die Grundkonzepte beider Mo- delle einander gegenfiberzustellen. Versucht man zun~ehst, sieh fiber die Begriife deterministisehe Versieherungsmathe- matik und stochastisehe Versieherungsmathematik ins Bild zu setzen, so kann man vonder Wortbedeutung ausgehen: deterministiseh stammt vom lateinisehen ,,deter- mino", was ,,festsetzen, bestimmen" heiBt; dahingegen kommt stoehastiseh vom grieehisehen Verb ,,avo)~$op~u", dessen direkte Bedeutung ,,naeh etwas zielen" und dessen iibertragene Bedeutung ,,erraten, vermuten" ist. Diese Wortbedeutungen sollen uns weiterffihren. Zun~ehst: Was wird in der Versieherungsmathematik untersucht ? Ganz allgemein sind es in der Zeit eintretende oder ablaufende Ereignisse, die zu Sehadensf~llen ffihren kSnnen, ffir die auf Grund yon Vereinbarungen und von vorher bezahlten Pr~mien Entseh~digungen zu vergfiten sind. Das deterministische Modell der Versicherungsmathematik Das deterministische Mode]] der Versieherungsmathematik behandelt diesen Saeh- verhalt so, als ob die j~hrlieh auftretenden Sch~den und die damit zusammen- h~ngenden Entsch~digungen festliigen, also bekannt seien, falls nur die Risiko- gesamtheit genau umsehrieben ist. Wir wollen hierauf n~her eingehen. Dabei be- trachten wir jedoch aus Zeitgriinden immer nur die Zeitspanne eines Versicherungs- jahres. Dann werden der Sachverhalt und die Beispiele einfaeh; trotzdem wird das Wesentliehe unseres Themas verdeutlicht werden kSnnen. Aus den gleichen Grfinden wollen wir Kosten aller Art beiseite lassen und yon der Auswirkung einer Verzinsung absehen. Die Ausdehnung unserer Betraehtungen auf mehrere Versieherungsjahre unter Beriieksichtigung yon Zins und Kosten stSBt i.a. auf keine prinzipiellen Schwierigkeiten. Des weiteren wollen wir aueh nicht n~her auf Mehrfaehsch~den im Versieherungsjahr eingehen, sondern uns auf die auf ein Risiko im Versieherungsjahr insgesamt anfallende Entseh~digung besehr~nken. Wir betrachten nun eine Gesamtheit yon M versicherten Risiken. yj, j = 1,2,...,M bezeielme die Entsehfi~ligung ffir das j-re Risiko im Versieherungsjahr. Dann bemiBt 45

über das deterministische und das stochastische Modell der Versicherungsmathematik

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t~ber das deterministische und das stochastisehe Modell der Versicherungsmathematik

Edgar Neuburger (Miinehen)

V o r b e m e r k u n g

Die folgenden Betraehtungen entstammen einem Vortrag, der am 11.6. 1970 auf Einladung der Mfinehener Riiekversieherungs-Gesellsehaft und der Deutsehen Gesell- schaft ffir Versieherungsmathematik in Miinehen gehalten wurde. Der Verfasser hat sieh erst naeh einigem ZSgern bereitgefunden, seine Ausffihrungen einem grSBeren Kreis zug~nglieh zu maehen, weft diese keine neuen Erkenntnisse aufweisen. Er hat sieh aber schlieBlieh dem Argument der Sehrfftleitung nieht versehlossen, dab diese kleine Betraehtung insbesondere ffir Mathematiker, die am Anfang ihres berufliehen Wirkens in unserer Branehe stehen, nfitzlieh sein kSnnte. Ein so weir gespanntes Thema kann natfirlieh auf wenigen Seiten nieht ausgesehSpft werden. Es soll jedoeh der Versueh gewagt werden, die Grundkonzepte beider Mo- delle einander gegenfiberzustellen. Versucht man zun~ehst, sieh fiber die Begriife deterministisehe Versieherungsmathe- matik und stochastisehe Versieherungsmathematik ins Bild zu setzen, so kann man vonder Wortbedeutung ausgehen: deterministiseh stammt vom lateinisehen ,,deter- mino", was ,,festsetzen, bestimmen" heiBt; dahingegen kommt stoehastiseh vom grieehisehen Verb ,,avo)~$op~u", dessen direkte Bedeutung ,,naeh etwas zielen" und dessen iibertragene Bedeutung ,,erraten, vermuten" ist. Diese Wortbedeutungen sollen uns weiterffihren. Zun~ehst: Was wird in der Versieherungsmathematik untersucht ? Ganz allgemein sind es in der Zeit eintretende oder ablaufende Ereignisse, die zu Sehadensf~llen ffihren kSnnen, ffir die auf Grund yon Vereinbarungen und von vorher bezahlten Pr~mien Entseh~digungen zu vergfiten sind.

Das d e t e r m i n i s t i s c h e Modell der V e r s i c h e r u n g s m a t h e m a t i k

Das deterministische Mode]] der Versieherungsmathematik behandelt diesen Saeh- verhalt so, als ob die j~hrlieh auftretenden Sch~den und die damit zusammen- h~ngenden Entsch~digungen festliigen, also bekannt seien, falls nur die Risiko- gesamtheit genau umsehrieben ist. Wir wollen hierauf n~her eingehen. Dabei be- trachten wir jedoch aus Zeitgriinden immer nur die Zeitspanne eines Versicherungs- jahres. Dann werden der Sachverhalt und die Beispiele einfaeh; trotzdem wird das Wesentliehe unseres Themas verdeutlicht werden kSnnen. Aus den gleichen Grfinden wollen wir Kosten aller Art beiseite lassen und yon der Auswirkung einer Verzinsung absehen. Die Ausdehnung unserer Betraehtungen auf mehrere Versieherungsjahre unter Beriieksichtigung yon Zins und Kosten stSBt i.a. auf keine prinzipiellen Schwierigkeiten. Des weiteren wollen wir aueh nicht n~her auf Mehrfaehsch~den im Versieherungsjahr eingehen, sondern uns auf die auf ein Risiko im Versieherungsjahr insgesamt anfallende Entseh~digung besehr~nken. Wir betrachten nun eine Gesamtheit yon M versicherten Risiken.

yj, j = 1 ,2 , . . . ,M

bezeielme die Entsehfi~ligung ffir das j-re Risiko im Versieherungsjahr. Dann bemiBt

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sich die Gesamtentsch~digung x der Risikogemeinschaft zu M

x ---- ~ y j . j = l

Betrachten wir ein bestimmtes Risiko, dann kann die Kennzeichnung durch j unter- bleiben, y ist claim einfach die Entsch/~digung ftir ein bestimmtes Risiko. Dieses Modell 1/~I~t sich leicht dadurch verfeinern, dab man Mehrfachsch~den jedes Risikos unterscheidet. Fiir unsere Zwecke reicht es jedoch aus, unseren Betrachtungen die gesamte Entsch/~digung pro Risiko zugrunde zu legen. Das deterministische ModeU geht nun nicht etwa davon aus, als ob die GrSBen yj fiir ein zukiinftiges Versicherungsjahr bekannt seien, d.h., als ob bekannt witre, dal~ genau das j-te Risiko einen Schaden h/itte, fiir den die Entsch/idigung yj zu zahlen w/ire. Unser Modell benutzt jedoch die folgende Vorstellung: Es betrachtet eine groBe Gesamtheit M von gleichartigen und sich gegenseitig nicht beeinflussenden Risiken, und unterstellt, dal3 es sicher isL wieviele Risiken im Mittel von wie grol3en Sch/iden betroffen sind. Damit wird es sinnvoll, yon der mittleren Entschi~digung pro Risiko

1 ~ y = gj~y~

zu sprechen, woraus ffir die Gesamtentschfidigung des Versicherungsjahres

x = M ' y folgt. Die Gesamtentsch/~digung ist also gleich der Anzahl der Risiken multiplizier~ mit der mittleren Entsch/idigung pro Risiko. Entscheidend fiir das deterministische Modell ist nun, dab diese mittlere GrSl~e ~ und ihr Ablaufals bekannt vorausgesetz~ werden. Genauer: Sie wird als naturgesetzliche GrSBe behandelt, deren Eintreffen bei ge- gebenen Voraussetzungen als sicher angesehen wird. So hat man z.B. aus friiheren Erfahrungen aus der Mittelung mSglichst groBer Gesamtheiten ~ ermittelt und sch/~tzt hiermit die Entsch~digungen ftir das bevorstehende Versicherungsjahr einer Risiko- gesamtheit aus M Risiken zu x = M - y . Ein einfaches Beispiel aus der Lebens- versicherungsmathematik mag den Sachverhalt erl/iutern. Sei das versicherte Risiko der Eintrit t des Todesfalles im bevorstehenden Ver- sicherungsjahr. Wir betrachten eine Gesamtheit yon M 40j~hrigen. Die Versicherungssumme betrage einheitlich 1. Dann kennt das deterministische Modell den Schadenverlauf und damit die zu zahlende Entsch/idigung des Versicherungsjahres. Denn: ~, die mittlere Entsch/idigung pro Risiko, ist

d40 ~ 140 '

da im Mittel yon 140 40jiihrigen d40 den Tod erleiden. Damit stelR sich die Gesamt- entsch/idigung zu

X =- M " d40 140 '

ein wohlbekannter Ausdruck. Man sieht also, das deterministische Modell kenn~ den mittleren Schadensverlauf, dessen Eintreffen als sicher angesehen wird. DaB auch im deterministischen Modell gelegentlich das Wort Wahrscheinlichkeit auftaucht, ist eigentlich nicht folgerichtig. Denn Wahrscheinlichkeit besitzen lediglich Ereignisse,

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deren Eintreffen oder Niehteintreffen vom Zufall abh~ngt. So ist zwar die Bezeieh- nung Sterbewahrseheinliehkeit qx = dx/Ix in der Lebensversicherung gebrguchlieh, doeh wird im deterministischen Modell davon ausgegangen, dab diese relative Sehadenhgufigkeit mit Sicherheit eintritt. Man erkennt nun leieht die Grenzen des determinlstisehen Modells. Zun~chst ist klar, daG die tatsgchlich anfallende Gesamtentseh~digung x sich nieht genau voraussagen l~Gt. Selbst bei unserem einfaehen Beispiel der Gesamtheit yon M 40j~hrigen stimmt bei einer Risikoversieherung fiber die Versieherungssumme 1 die tatsgehliche Ge- samtentsehgdigung nicht mit der theoretisch bereehneten Gesamtentschgdigung M d40/140 fiberein. L~l~t man nun noch beliebige Versieherungssummen zu, so lgl~t sieh selbst im deterministisehen ModeU nicht voraussehen, wie grog die Gesamt- entsehgdigung x wird. Die Praxis hat diesem Saehverhalt mit der Institution der Rfiekversicherung Rechnung getragen. Auf die Frage aber, wie hoeh der yon einem Erstversicherer zu tragende Selbstbehalt gew~hlt werden soll, liefert das determlnl- stisehe ModeU keine befriedigende Antwort. DaB dem determinlstischen ModeU selbst in der Lebensversicherungspraxis, seiner Domgne, nur bedingt Vertrauen geschenkt wird, zeigt sich z.B. darin, daG den Ver- sicherungen mit Todesfalleharakter nieht die tatsgehlieh ermittelten Absterbeord- nungen zugrunde gelegt werden, sondern veraltete oder modifizierte Absterbeordnun- gen, die auf der sieheren Seite liegen: man wei~ eben, daG der tats~ehliehe Ablauf sieh yore Modellablauf unterseheiden wird. In der Lebensversieherung lgl3t sich dieser Saehverhalt folgendermaGen interpretieren: Wfirde man eine Risikoversichemng mit zutreffenden Absterbeordnungen berechnen, so fiihrte dies zu niedrigeren Sterblich- keitsmitteln als bei mit veralteten oder modifizierten Ordnungen berechneten Ver- sicherungen. Die Differenz in den Sterblichkeitsmitteln stellt eine Sehwankungsrfick- stellung dar, deren ausreichende HShe nieht quantitativ abgeseh~tzt ist, sieh jedoeh in praxi gezeigt hat. Ein anderes Problem des deterministisehen Mode]Is besteht darin, daG es immer nur yon einer groGen Gesamtheit yon Risiken ausgeht. Nun tritt z.B. in der betrieblichen Altersversorgung oft der Fall ein, daG die Reserve ffir ein einzelnes Risiko zu be- rechnen list, wenn ein Unternehmen eine einzige Pensionszusage erteilt hat. Hier wendet man die Formeln an, die ffir eine groBe Gesamtheit zutreffen m6gen, und errechnet damit einen Wert. Doeh was bedeutet dieser Wert ? Da die Voraussetzungen des deterministischen Mode]Is, die groGe Gesamtheit, fehlen, kann es die Aussage dieses Wertes nicht erl~utern. Hier hilft nur das stoehastisehe Modell der Versiche- rungsmathematik. Betrachtet man die Frage, was das deterministische Mode]i zu leisten vermag, so gelangt man zu der folgenden Feststellung: Das deterministische Modell behandelt, kurz gesagt, den Ereignisablauf einer groGen Gesamtheit als einen naturgesetzlichen Ablauf, der damit vorausberechenbar ist. Das Gesetz wird dadurch gefunden, daG man den mittleren Ablauf aus Beobaehtungen der Vergangenheit feststellt. Das deterministisehe Modell beruht dann auf diesem in die Zukunft projezierten mittleren Ablauf. Demgem~B wird das deterministische Modell ffir alle Probleme ausreiehend sein, die auf der Grundlage des mittleren Ablaufs ffir eine hinreiehend grol3e Gesamt- heir behandelt werden kSnnen. Aber a]iein schon die Frage, wie grog eine hinreichend gro~e Gesamtheit sein so]ire, l~Bt das deterministische Modell unbeantwortet. Des weiteren kann das deterministisehe ModeU auf alle Fragen, die mit der Abweiehung yore mittleren Verlauf zusammenhgngen, keine Antwort geben. Bekannte Probleme dieser Art bestehen z.B. in folgenden Fragen: Wie hoeh mug das angesammelte Kapital sein, da~ auch bei ungfinstigem Sehadensverlauf allen

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Verpflichtungen entsprochen werden kann ? Wie hoch sollte der Selbstbehalt bei der Schadenexcedentenriickversicherung gew/~hlt werden ? Wie groB ist die Wahrschein- lichkeit, mit der im Versicherungsablauf das angesammelte Kapital sowie das Pr/imienaufkommen durch Schadenleistungen aufgebraucht werden, so dab die Ge- sellschaft ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann ? tiler taucht das Problem der Ruinwahrscheinlichkeit auf. ~ragen solcher Art gibt es noch mehr, und es soll nun versucht werden, zu erl~utern, dab die Probleme der Versicherungs- mathematik, seien sie der Art, dab sie durch das deterministische Modell behandelt werden k6nnen, seien es Probleme der gerade aufgezeigten Art, die sich nicht in das deterministische Modell einordnen lassen, dab sich alle diese Probleme zusammen- fassend und fibersichtlich durch das stochastische Modell der Versicherungsmathe- matik erfassen lassen.

Das s t ochas t i s che Modell der V e r s i c h e r u n g s m a t h e m a t i k

Bevor wir das stochastische Modell der Versicherungsmathematik entwickeln, seien einige Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung in Erinnerung gerufen. Wesentlich ffir das stochastische Modell ist der Begriff der ZufallsgrSBe. Zufalls- gr6Ben sind Gr6Ben, deren jeweiliger Wert vom Zufall abh/ingt. Da wir uns hier auf ganzzahlige Zufallsgr6Ben beschr/~nken wollen, k6nnen wir genauer sagen: Man spricht yon einer Zufallsgr6Be ~, falls fiir jedes ganzzahlige k die Wahrscheinlichkeit p {~ = k} definiert ist. Zum Beispiel ist das Ergebnis beim Wiirfeln eine Zufalls. gr6Be, die die Zahlen 1 bis 6 realisieren kann, wobei z.B. p{~ ---- 5} = ~ ist. Das stochastische Modell der Versicherungsmathematik hat es mit Zufallsgr6Ben zu tun. Zum Beispiel ist die Schadensh6he eines Risikos eine Zufallsgr6Be. Man nennt die Gesamtheit der Wahrscheinlichkeiten

p = k}

die Verteflung der ZufallsgrSBe ~. Als abgeleitete GrSBen seien genannt: der Er- wartungswert oder auch Mittelwert der Zufallsgr6Be:

E(~) ---- Xk.p{~---- k}, k

und die Streuung a~, deren Quadrat sich gem/~B

a~ ---- E [(~ -- E (~))~] bestimmt. Zufallsgr6Ben lassen sich durch die Tschebyscheffsche Ungleichung absch/~tzen gem/ifl

1 p {-- k. a~ < ~ -- E (~) < k. aS} _--_ 1 -- k- ~ .

Diese Gleichung gilt bei beliebiger Verteilung von ~, falls die Streuung ~ yon existiert. Wir wollen sie in zwei weiteren Versionen anschreiben. Der Ausdruck in der Klammer l~Bt sich zum einen in der Form

E(~)-- k- ~< ~ < E(~) + k.a~,

zum andern in der Form ~-- k. a~< E(~) <~+k.~$

schreiben. Damit erh~lt man die folgenden beiden Schreibweisen der Tschebyscheff- schen Ungleichung:

1 p{E(~) -- k .a~ < ~ ,4 E(~) -k k. (r~} ~ 1 -- k~- (1)

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und 1

p {~ -- k . a~ < E (2) < ~ -F k- a~} ~ 1 -- k--ft" (2)

Mit der 1. Version 1/~Bt sieh die Zufallsgr6Be ~ mittels E (2) und ae abseh/itzen. Die 2. Version liefert, falls ~ einen bestimmten Wart, eine bestimmte Realisation an- genommen hat, eine Seh/~tzung ftir den Erwartungswert E (2). An geehenregeln ben6tigen Mr noch:

E ( ~ ) = ~E(~), falls ~ eine reelle Zahl, (3) und

E ,TJ = ~ E ( , l J ) . (4) l= j=t

Summe und Erwartungswert sind also vertauschbar.

a~ = ~2 a~, falls a eine reelle Zahl. (5) SehlieBlieh

M ~ ' fiir unabMngige ~j. (6) 1=1 1=1

Wit wollen nun auf die Grundziige des stochastischen Modells der Versicherungs- mathematik eingehen. Wir besehr/inken uns wieder auf ein Versicherungsjahr, wobei Zinsen und Kosten unberiicksichtigt bleiben. Sei M die Anzahl einer Gesamtheit von versieherten Risiken. Wir hatten oben mit Yi die Entsch~digung fiir das j-te Risiko im betrachteten Versicherungsjahr bezeiehnet. Nun h~ngt diese Entseh~digung ersiehtlich vom Zufall ab, d.h. also, die EntscMdi- gung ist eine ZufallsgrSBe, fiir die Mr ~/l statt yj sehreiben. Betrachten Mr nur ein EinzeMsiko, dann unterlassen Mr die Kennzeiehnung durch j. ~ stellt dann einfach die Entseh~digung im Versicherungsjahr ftir das EinzeMsiko dar. Entsprechend ist dann die Gesamtentsch/~digung ~ einer Risikogesamtheit eine ZufallsgrSBe, die sieh additiv aus den Einzelentsch/~digungen zusammensetzt:

1E 2= Y~j.

j=t Ein Vergleich mit der Grundgleichung des deterministischen Modells zeigt, dab ledig- lieh die deterministisehen GrSBen durch ZufallsgrSBen ersetzt sind. Wir wollen jetzt den Zusammenhang mit dam deterministischen Modell herstellen, indem Mr fragen, wie das stoehastische Modell die Gesamtentsch/~digung ~ eines be- vorstehenden Versieherungsjahres zutreffend abzusch~tzen vermag. Wir betrachten hierzu eine Gesamtheit yon M unabh/~ngigen und gleiehartigen Risiken. Damit er- halten Mr ftir die Gesamtentsch/idigung ~, wie wir gesehen haben:

1E

l = l

Zur Seh/itzung der Gesamtentseh/~digung bilden Mr zun/~ehst den Erwartungswert %TOn ~ :

E (~) = E i = ~ E (r/i), i i = t

da Summe and Erwar~ungswert gem/~l] GI. (4) vertauschbar shad. Desweiteren haben wir bei gleichartigen Risiken:

E (Bl) ---- E (B) fiir alle j .

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Somit erhalten wir:

E ( ~ ) = E 7J ---- E(7)----M.E(7). i j=l

Der Erwartungswert der Gesamtentsch~digung entspricht also M real dem Er. wartungswert der Entschadigung ffir das Einzelrisiko. Ist nun aber der Erwartungswert der Gesamtentsehadigung eine vernfinftige Sch~t- zung ffir die tatsiichlieh anfallende Entsch~digung ? Zur Untersuehung dieser Frage ziehen wir die Tsehebyscheffsehe Ungleichung in der 1. Version (G1. (1)) heran. Zur Berechnung yon a~ k5nnen wir, da die 7J als unabh~ngig vorausgesetzt wurden, die als G1. (6) angesehriebene Regel anwenden:

M

j=l

und da bei gleiehartigen Risiken

a,~ = a, ffir alle j ist, erhalten wir

oder

f f~ ~ V M �9 (7 n .

aq wKchst also mit zunehmender Anzahl yon Risiken, aber nicht proportional zu M, sondern lediglieh mit der Wurzel aus M. a n ist eine GrSBe, die die Streuung des Einzel- risikos angibt und demnaeh yon der Eigenart des untersuchten Risikos abh~ngt, bei gegebener Risikoart jedenfalls einen festen Wert hat. Indem wir fiir a~ VM a n setzen, kSnnen wit die Gesamtentseh~digung ~ gem~B der 1. Version der Tseheby- scheffschen Ungleichung (G1. (1)) absch~tzen:

1 p {E (~) -- k y ~ a~ < ~ < E (~) d- k ~/M an} ~ 1 k9 " .

Dieses Ergebnis sieht nieht giinstig aus, da die Grenzen, in denen ~ liegt, mit zu- nehmendem M waehsen, allerdings lediglieh mit der Wurzel aus M. Wir wollen an einem einfaehen Zahlenbeispiel einsehen, dab dieser Sachverhalt jedoch entseheidend und aueh ausreiehend ist. W/~hlen wir z.B. k -- 3, dann haben wir in groben Ziigen:

p{E(~) -- 3VMa n < ~ < E(~) -~ 3 UMa~} >_ 90O/o.

Die Gesamtentseh/~digung wird also mit fiber 90O/oiger Sieherheit in den Grenzen E ( } ) - 3 ~/Ma~ und E(})d-3l /Man liegen. Wit betrachten als Beispiel eine Einzelrisikoentseh/~digung mit E(7 ) ---- 1000 DM und an = 200 DM. Fiir die Entseh/idigung 7 eines Einzelrisikos erhalten wit dann nach der Tschebyseheffschen Ungleiehung

p {E (7) -- 3 an < 7 < E (7) + 3 a~} ~ 90~ w a s Z U

p{400 < 7 < 1600} ~ 90O/o

ffihrt. Mit 90O/oiger Sieherheit liegt also die Entsch/~digung ffir das Einzelrisiko zwischen 400 und 1600 DM.

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Wir betraehten nun 100 solcher Risiken, setzen also M = 100. Zun~iehst erhalten wir als Erwartungswert yon ~:

E (~) = 100. E (~) = 100 000

und ffir ~ = 1/106 ~, = 2000.

Damit liefert unsere Absehi~tzung

p (98 000 < ~ < 102 000} _~ 900/0.

Die Gesamtentseh~digung liegt also mit 900/oiger Sieherheit zwisehen 98000 und 102000 DM. Wir sehen also, da$ wir, relativ zur Gesamtentsch~digung gesehen, eine wesentlieh bessere Abseh~tzung als ffir das Einzelrisiko erhalten. Wenn wir nun eine Gesamt- heir von 10000 Risiken betrachten, also M = 10000 setzen, dana erhalten wir E(~) = 10000E(7 ) -~ 10000000 und or ---- ~/~an = 20000. Als Abseh~tzung ffir ~ erhalten wir hieraus

p{9980000 < ~ < 10020000} > 90o/0.

Die Gesamtentsch~digung wird also mit 900/oiger Sieherheit zwischen 9980000 und 10020000 DM liegen. Dies ist abet eine Unsieherheit, die, auf die Gesamtentseh~di- gung bezogen, sehr geringfiigig ist. Damit erweist sieh der Erwartungswert

E (~) ---- M. E (7) (7)

als zutreffende Seh~tzung fiir die Gesamtentsch~digung, die um so besser ist, je grSl~er die Risikogesamtheit ist. Wiihrend wit M als bekannt voraussetzen, benStigen

nun noch eine zutreffende Sch~tzung yon E(7), damit wir E(~) gemiiB G1. (7) bereehnen kSnnen. Die Entseh~digung E (7) fiir das Einzelrisiko gewinnen wir aus einer statistisehen Analyse der in der Vergangenheit angefallenen Entsch~digungen einer Gesamtheit yon M' Risiken. M' stellt also die Anzahl der Risiken dar, aus denen wir dureh eine statistische Erhebung eine zutreffende Sehiitzung yon E (7) gewinnen wollen. Wir bilden zun~ehst die mittlere Entsch~digung pro Risiko

1 M' = ~ j~l 7j"

Aueh ~ ist eine ZufallsgrSBe, die in der Vergangenheit einen bestimmten Wart, eine bestimmte Realisation angenommen hat. Wir berechnen weiter den Erwartungswert dieser GrS~e :

1 M, 1 2E(TjI E ( ~ ) = E ~ j ~ = ~ - j = l

da ja gem~g G1. (3) ~nd (4) konstanter Faktor, 8umme und Erwartungswert ver- tauschbar sind. Nun ist bei gleiehartigen Risiken:

E (TJ) = E (7) fiir alle j .

Damit erhalten wit ffir E (~):

1 M' 1 " M ' . E (~) = -M r ~ E (7) -- ~ r �9 E (7) = E (7) j=l

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Der Erwartungswert E (7) der mittleren Entseh~digung pro Risiko und der Erwar- tungswert E (~) der Entsch~digung fiir das Einzelrisiko stimmen also bei gleichartigen Risiken fiberein. Der Erwartungswert der Gesamtentsch~digung l ~ t sich demnaeh auch so schreiben:

E(~) = M. E (~),

und unsere Fragestellung ~ndert sich dahingehend, E(~) zutreffend zu seh~tzen. Hierzu berechnen wir ~ , die Streuung von ~. Es isf

a~ ! ~ m 7, ~'j=z j - i

gem~B G1. (5), und da die ~j unabh~ngig shad, folgt weiter

2 1 ~ ~2 j=

gem~B G1. (6). Wegen der Gleichartigkeit der Risiken haben wir zudem

a~, = a~ fiir alle j . Somit erhalten wir weiter

a ~ = M - ~ ~ , ~ = _ M ~ ' 1 M' .~=M-~I .a~, j = l

so dal3 wir sehliefllieh fiir die Streuung der mittleren Entseh~digung pro Risiko erhalten:

Die Streuung der mittleren Entseh~digung pro Risiko wird also mit zunehmender Anzahl M' der untersuehten Risiken immer kleiner. Wir kSnnen nun den gesuehten Erwartungswert E(~) mittels der 2. Version der Tsehebyseheffschen Ungleiehung (G1. (2)) durch die durch eine statistisehe Erhebung gefundene mittlere Entsch~di- gung abseh~tzen gem~B

l p { ~ / - - k . a ~ < E ~ ) < ~ ~-k.a~} > 1 - - - - k ~"

Setzen ~ r ffir ~ den oben errechneten Wert ~ = ~n]~/~ ein, so erhalten wir:

p ~-~-~ ,7<E(~I<~+F~-~ >i--k~.

Da die Streuung des EinzeMsikos ~n eine feste GrSl3e darstellt, wird k]~/~ ~n mit waehsendem M' immer kleiner, woraus folgt : ~ und E (~) weiehen beliebig wenig von- einander ab, wenn nur die Gesamtheit, aus der die mittlere Entseh~digung pro Risiko ~ dureh eine statistisehe Erhebung ermittelt wird, hinreichend grol3 ist. Nehmen wir z.B. als Streuung des Einzelrisikos wieder wie oben ~ = 200 DM. Des weiteren habe die statistische Erhebung als Realisation von ~ 1000 DN[ als mittlere Entsch~digung pro Risiko ergeben. Wurde die Erhebung an einer Gesamtheit yon 100 Risiken durchgefiihrt, ist also M' = 100 und sind wir wieder mit einer 90o]oigen Sicherheit zufrieden, setzen also k ~ 3, dann erhalten wir:

< ,ooo + 00} OO/o,

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also p {940 < E (7) < 1060} __ 90O/o.

Mit 90O/oiger Sicherheit liegt also unser gesuehter Erwartungswert E (7) zwisehen 940 und 1060 DM. Bei M' ---- 10000, also bei einer bedeutend grSBeren Gesamtheit, erhalten wir:

p 1 0 0 0 - - 4 " 2 0 0 < E ( 7 ) < 1 0 0 0 + 1 6 0 " 2 0 0 >90% ,

also p {994 < E (~) < 1006} >_ 900]0,

demnach eine ersiehtlich bessere Seh~tzung ffir E (7) : E (7) liegt mit 90O/oiger Sicher- heir zwisehen 994 und 1006 DM. Damit haben wir insgesamt als Resultat erhalten: 1. E (~) stellt bei hinreiehend groBer Risikogesamtheit eine zutreffende Sch~tzung ffir

die Gesamtentseh/idigung ~ dar. 2. Dieser Erwartungswert ergibt sich zu E (~) ~ M. E (~), wobei M die Anzahl der

Risiken und ~ die mittlere Entsch/idigung pro Risiko darstellt. 3. E (~) entspricht hinreiehend genau der dureh eine statistische Erhebung gefunde-

nen Realisation der Zufallsgr6Be 7, wenn nur die der statistisehen Erhebung zu- grundellegende Gesamtheit hinreichend grog ist.

Wenn wir nun diese Vorsehrfft mit der Vorschrfft des deterministischen Modells ver- gleichen, dab n~mlieh die Gesamtentseh/~digung x dem Produkt aus Anzahl der Risiken mal mittlere Entsch/~digung entsprieht, so sehen wlr, daB diese erste grebe Vorsehrfft, die wir aus dem stochastischen Modell ffir die Sch/~tzung der Gesamt- entseh~digung entwiekelten, genau der Vorschrfft des deterministischen Modells ent- sprieht. Aber sehon auf dieser Stufe leistet das stochastisehe Modell erheblich mehr. Vergleiehen wir die Aussage des deterministischen Modells ffir die Gesamtentsch/~di- gung

x=M.V,

mit den bisher von uns gefundenen Aussagen des stochastischen Modells fiber den gleiehen Saehverhalt:

E(~) = M. E(~), l

p {E (~) -- k. VM a, < ~ < E (~) + k. ) / 2 . a,} ==_ 1 -- k~

und k k } 1

P ~ - - ~ , < E ( ~ I < ~ + ~ , ~ I - - ~ .

Hierbei entspreehen sieh zahlenm/~Big einmal die Realisation yon ~ und ~ und zum anderen E (~) und x. Beachtet man noch, dab sieh aueh a~ zutreffend seh/~tzen I/~Bt, dann lassen sieh allein aus den hier entwiekelten Anfangsfolgerungen des stoehasti- schen Modells z.B. folgende Fragen beantworten: Wie groB muB die Gesamtheit sein, die einer statistisehen Erhebung zugrunde zu legen ist, damit die gefundene mittlere Entsch~digung pro Risiko eine hinreichend gute Seh~tzung liefert ? Mit weleher Wahrseheinliehkeit kann man gewisse grebe Abweiehungen yon der ge- sch~tzten Gesamtentsch~digung E (~) ausschlieBen ~. Aussagen dieser Art lassen sieh bereits auf dieser Stufe des Aufbaus des stoehastisehen Modells maehen. Sie lassen sieh noeh auBerordentlieh verfeinern, wenn man zus~tz-

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lich die asym13totische Normalverteflung der Gesamtentsch/~digung als Summe yon gleichartigen und unabh/Cngigen Einzelentsch/idigungen beriicksichtigt. Dabei haben wir bisher nur den Erwartungswert der einzelnen GrSBen und ihre Strcuung benutzt. Selbstverst~ndlich erh~lt man neue und auch genauere Aussagen, wenn die Verteilung der Gcsamtentsch~digung, also p {4 ---- r} fiir alle r, bekannt ist. Is t die zukiinftige Gesamtentsch/~digung durch E (4) gesch/~tzt, so 1/~Bt sich die Giite dieser Sch/~tzung angeben gemgB

p { E ( 4 ) - - k =<~ ~ E(4) q- k} = ~ p{~ = r } . E ( ~ ) - - k ~ r ~ E ( r

Hat man aus statistischen Erhcbungen einer Gesamtheit yon gleichartigen und un- abh/~ngigen Risiken die Verteflung des Einzelrisikos bestimmt, kennt man also p {~j = k} = p {7 = k} fiir alle k, so 1/~Bt sich die Verteflung p {~ = r) der Gcsamt- entseh/~digung durch die Faltung der Einzelverteflungen oder auch durch Simulation bereehnen. Es gilt n/~mlich, falls nur 2 Risikcn betrachtet werden, fiir die Verteilung der Gesamt- entsch/idigung ~ = ~1 q- ~2:

r

p {~ = r} = 5 P {~1 = k} p {~2 = r -- k}. k ~ 0

Diese Operation nennt man Faltung und sehreibt dafiir

p {4 = r} = 13 {~1 = r } , p { ~ = r}.

Entspreehend berechnet sich bei einer Gesamtheit yon M Risiken die Verteflung der M

Gesamtentsch/~digung ~ = ~ ~?j dureh M-fache Faltung: j=l

p {~ = r) = 13 {71 = r) * 13 {~2 = r) , . . . , 13 { ~ = r}.

Voraussetzung fiir die Faltung ist nur die Unabh~ngigkeit der Risiken; ihre Gleich- artigkeit ist nicht erforderlich. Fiir unsere Zwecke reicht es jedoeh aus, die Faltung an diesem einfachen Beis13iel zu studieren. Der Rechenaufwand bei der Faltung ist zwar auBerordentlieh groB, 1/iBt sich aber prinzipiell durch den Einsatz moderner Computer bew/fltigen. Zudem stehen zwei Vcrfahren zur teflweiscn Umgehung dieser Sehwierigkeit bereit. Einmal bietet sich zur Berechnung yon Erwartungswerten die N/iherungsmethode yon Esscher an. Ammeter hat die dabei auftretenden Esscherschen Funktionen soweit verarbeitet und tabelliert, dab sie auch in 13raxi anwendbar shad. Eine generell durchfiihrbare Methode stellt die Fouriertransformation und ihre Riick- transformation dar, fiir die alle grSBeren Computer Standard13rogramme zu ihrer numerischen Durehfiihrung aufweisen. Sei G~ (s) die Fouriertransformierte der Ge- samtentsch/~digung 4, entsprechend G, (s) die Fouriertransformierte der Entsch/~di. gung fiir das Einzelrisiko, dann gilt bei eincr Gesamtheit yon M gleichartigen und unabh~ngigen Risiken:

G~ (s) = [G, (s)] M.

Der Faltung yon Verteflungen entspricht also die Multi131ikation ihrer Fourier~rans- formierten. Damit ergibt sich folgendes Schema zur Bestimmung der Verteilung 13{~ = r } :

13 {~ = k) FTr___; Gn (s) Mump~ G~ (s) = [Gn (s)] MR~cktr; p {~ = r}.

Eine andere und immer mehr an Bedeutung gewinnende Methode besteht in der Simulation der Gesamtentsch/~digung.

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M Bei der Simulation der Gesamtentseh/kligung ~ = ~. ~/j auf dem Reehner geht man

j = l so vor, dab man sieh ein Programm aufbaut, das Zufallszahlen erzeugt, die gem/~B der Verteflung des Einzelrisikos verteflt sind. Mit Hilfe dieses Programms erzeugt man M unabh/ingige Realisationen des Einzelrisikos und bfldet aus diesen M Realisa- tionen dureh Addition eine Realisation der Gesamtentseh/ktigung ~. Wiederholt man diesen Vorgang, dann erh~It man eine neue Realisation der Gesamtentseh/idigung ~. Man erzeugt nun soviele Realisationen yon ~, dab man hieraus hinreichend genau die Verteilung yon ~ sch~tzen kann. Bisher hatten wit immer die Unabh/~ngigkeit der Einzelseh/~den vorausgesetzt. Doch wie 1/s sieh die Gesamtentsch/idigung vorausseh/itzen, falls die Seh~den nieht un- abh/~ngig voneinander shad ? Hier taucht das Problem der Kumulsch/~den auf. Auch Fragen dieser Art kann das stochastische Modell behandeln. Allerdings bedarf es hierzu zus~tzlicher statistischer Erhebungen, doch kann eben das stochastische Modell beurteilen, wie gut bei ge- gebener statistiseher Erhebung die Seh/itzungen sind, oder wie umfangreieh statisti- sche Erhebungen anzulegen sind, damit die Sch/itzgrSSen die gewiinschte Giite haben. Wir hatten oben die Frage aufgeworfen, was die fiir eine einzelne Versorgungszusage berechnete Pensionsriickstellung V bedeutet. Hier liefert das stoehastisehe Modell analoge Aussagen, wie wir sie oben entwiekelt haben, z.B. eine Aussage der Art p{V -- / IV < ~'l < V + AV} > ~, die Aussage also, dab die anfallende Entsch/~digung mit einer Sieherheit yon ~ in den Grenzen V -- AV und V + AV liegt. Aueh die Wahrseheinliehkeit p {7 < V}, also die Wahrseheinliehkeit, dag die vorhandene Re- serve ausreieht, die anfallende Entseh~digung zu deeken, liefert das stoehastisehe Modell. Da diese Wahrseheinliehkeit i.a. nicht sehr hoeh ist, sollte man offenbar um- gekehrt bei einem Einzelrisiko die Reserve V so bestimmen, da$ die Wahrseheinlieh- keit, dalt die Entseh/~digung unter der Reserve llegt, mSgliehst gro$ ist, also V aus der Gleiehung p {~/< V} > ~ bestimmen. Wir werden auf Fragestellungen dieser Art im Zusammenhang mit der Sehwankungsreserve zuriickkommen. Wir betraehten zun/~ehst die Pramienkalkulation im stoehastisehen Modell. Das Wesentliehe wollen wit wieder am einfachen Fall einer einj/~hrigen Versieherung studieren. Wir haben gesehen: Bei einer Gesamtheit yon M unabhangigen und gleiehartigen Risiken ist E (~) eine zutreffende Sch/~tzung der Gesamtentseh/~digung. Daher wird man die Pr/~mie P so wahlen, da$ die Gleiehung

M . P = E (~)

erffillt ist. Nun ist, wie wir vorhin festgestellt haben, E (~) = M. E (7). Demnach erhalten wit als Prgmie:

P = E (7)"

Geffihrt durch diese Herleitung, definiert man ganz allgemein die Prgmie als Er- wartungswert der Entsch~digung fiir das Einzelrisiko. Man entwickelt also die Prglnie am Eilmelfall, ohne einer fiktiven Gesamtheit zu bediirfen. Ads interessante Beispiele seien gebracht: Pr~mie einer Erstrisikoversicherung, bei der also Sch/~den his zu einer bestimmten Grenze G roll vergfitet werden, w/ihrend ffir darfiber hinausliegende Seh/~den nur noch dieser Betrag G entrichf~t wird. Es ist dann die Entseh/~digung fiir ein Risiko

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min(7, G) und damit die Pr~mie fiir die einj~hrige Versieherung

P----E(min(7, G))= ~ r . p { 7 = r } + G ~ p { 7 = r } . O_~r~G I > G

Ein weiteres Beispiel: Die Pr~mie einer Vollwertversicherung mit Abzugsfranchise, bei der also den Versicherten bei allen Sch~den ein Abzug in HShe A an seiner Ver- giitung gemacht wird. Ist der Schaden kleiner als dieser Abzug A, dann entf~llt fiberhaupt jede Vergfitung. Es ist dann die Entseh~digung ffir ein Risiko max (0, 7 -- A) und damit die Pr~mie ffir die einj~hrige Versicherung:

P ---- E(max(0, 7 -- A)) = 5 (r -- A)p{7 = r}. r~_A

Diese Beispiele sollten zeigen, wie durehsiehtig sieh Pr~mien im stoehastisehen Modell formulieren lessen. Vorhin batten wir einige Probleme aufgeworfen, die sieh im deterministisehen Modell nicht formulieren lieBen. Des wichtigste Problem dieser Art ist vielleieht die Sehwan- kungsreserve. Wir wollen nun sehen, wie sieh dieses Problem im stochastisehen Modell der Versieherungsmathematik formulieren l~Bt. Als Beispiel nehmen wir wieder eine einj~hrige Versicherung. Damit verzichten wir also auf den wiehtigen Fall des Entseh~digungsausgleiehes fiber mehrere Jahre. Wir hatten als Pr~mie ffir ein Einzelrisiko P ---- E (7) gefunden. Bei einer Gesamtheit von M gleichartigen Risiken haben wir dann als Gesamtpr~mie M. P. Diese Gesamt- pr~mie M. P deekt nun die auftretenden Schadensf~lle nur bedingt. Es ist aber quantitativ erfaBbar, wie groB die Abweiehung sein kann. Wir haben ja dieses Pro- blem studiert. Wir haben aueh gesehen, daB die tats~ehliehe Gesamtentschs yon der vereinnahmten Pr~mie relativ um so mehr abweiehen kann, je kleiner die Gesamtheit ist. Des Beispiel der Feuerversicherung illustriert des Problem besonders deutlieh, da in diesem Fall die Prs nur einen geringen Bruchteil der mSgliehen Entsch~digung ausmacht. Ist eine Gesamtheit yon 100 Versieherten auf der Grundlage einer mittleren Ent- sch~digung yon 100000 DM versicher~ und betr~gt die Pr~mie 10/00, dann betr~gt die Gesamtpr~mie 10000 DM. Das heiBt selbst bei Eintritt eines einzigen mittleren Schadens ist die Gesamtpr~mie nicht ausreichend. Bei 1000 Versieherten ist die Ge- samtpr~mie 100000 DM, es kann also immerhin ein mittlerer Sehaden entsch~digt werden, doeh sehon bei zwei Seh~den reicht die vereinnahmte Pr~mie nieht mehr ~GS.

Wir ersehen aus diesem Beispiel, daB gerade bei im Vergleich zur mSglichen Ent- seh~digung kleinen Pr~mien die Forderung, eine Sehwankungsreserve zu bflden, unabdingbar ist. Man wird daher fordern, daB zus~tzUeh zur Gesamtpr~mie M. P noeh eine Schwan- kungsreserve R zu bflden ist. Ihre HShe muB so bemessen sein, dab die zu zahlende Entseh~digung auch bei ungfinstigem Verlauf praktiseh sieher unter der Summe M. P-~ R liegt: Es soll also

~=<M.P+R

sein, wobei ~ wieder die Gesamtentsch~digung ist. Nun h~ngt die tats~chliehe Ge- samtentsehadigung ja vom Zufall ab. Doeh kSnnen wir R so w~hlen, daB diese Un- gleiehung praktiseh sicher erffillt wird. Das heiBt, man w~hlt eine Sicherheits- schranke ~ und bestimmt R so, dab

p{~ =~M.P-~-R} = ~

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ist. Die Wahl yon ~ h~ngt davon ab, was unter ,,praktisch sicher" verstanden werden soil. W~hlt man ~ ---- 990/o, dann iibersteigt im Sehnitt nut jede 100. Gesamtentsch~- digung die Summe M. P + R. Bestimmt man also R gem~B dieser Gleichung, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dab die tats~ehliehe Gesamtentseh~digung unter der Summe M. P + R liege, > ~, und bei vorsiehtiger Wahl yon a braucht in praxi mit diesem Ereignis nicht gereehnet zu werden. Ist die Verteflung der Gesamt- entsch~digung bekannt, dann l~$t sieh die Sehwankungsreserve aus der angeschrie- benen Gleiehung bestimmen. -- Selbstverst~ndlich kann die notwendige Sehwan- kungsreserve R durch einen Zuschlag 2 zur Pr~mie P gebildet werden, der sich aus der Gleichung

M P + R =M(1 + ~ ) P Z U

2-- R MP

bestimmen lgBt. Gr6Bere theoretisehe Probleme treten auf, wenn aueh der Ausgleich zwischen mehre- ren Jahren angestrebt wird. Dieses Problem behandelt man mit Erfolg dutch die Theorie der Markovschen Prozesse. Entspreehend wird man den Selbstbehalt B bei einer Sehadenexeedentenriickver- sicherung wghlen. Sei

= ~ min (UJ, B) l = l

die Gesamtentsehgdigung unter dem Selbstbehalt B. Dann wird man B so wghlen, daB praktisch sicher ~ =< 1t wird, wobei tI z.B. zur vereinnahmten Gesamtprgmie in einem gewghlten Verh~ltnis steht. Man wird also B gemgB der Gleichung

bestimmen. Aueh die Frage der Ruinwahrseheinlichkeit lgBt sieh im stoehastisehen Modell formu- lieren. Besitzt die Gesellschaft einschlieBlieh der vereinnahmten Pr/~mien das Ka- pital K, dann ist die Ruinwahrseheinliehkeit die Wahrseheinliehkeit, dab die Ge- samtentsch/idigung ~ dieses Kapital fibersteigt; also:

p{~>K}== X p { 2 = r } . r > K

Alle Probleme, die bislang fiir einj/~hrige Risikogesamtheiten formuliert wurden, k6rmen einerseits auf Mehrfachseh&den pro Ris/ko, anderersei~s unter Beaehtung yon Kosten und Zinsen auf mehrj/~hrige Versieherungen ausgedehnt werden. Natiirlieh ben6tigt man dann noeh zus/itzliehe Reehnungsgrundlagen, wie z.B. Stornowahr- seheinliehkeiten. Da es hier jedoeh nur um prinzipielle Erw/~gungen geht, m6gen diese Beispiele geniigen. Wir hoffen, an ihnen gezeigt zu haben, dab das stoehastisehe Modell keineswegs sehwieriger ist als das deterministische Modell der Versicherungs- mathematik, dab sieh Probleme in ibm begrifflieh sauber und leicht formulieren lassen, dab es mehr leistet als das determlnlstisehe Modell, und sehlieBlich, dab es dureh die Benutzung yon Computern auch einsatzf/~hig geworden ist.

Eingegangen am 14.1. 1971.

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Summary The object of this paper is to demonstrate some features of the deterministic model of actuarial mathematics and to show its limit and range by viewing it in the framework of the stochastic model. First, the deterministic model and its efficiency is outlined on the basis of a standard one-year term policy, no allowance being made for interest, multiple losses and expenses. The total indem- nity payable in the policy year is then estimated as the number of risks insured multiplied by the average indemnity per risk. To make it easier to understand the paragraph dealing with the stochastic model of actuarial mathematics, first some features and relations of probability theory are summarized. Analogous to the structure of the deterministic model, the total indemnity on a portfolio exposed to risk is then shown as a random variable. The estimate of the total indemnity according to the deter- ministic model is verified by the stochastic model; in addition, the latter makes it possible to ascertain the degree of accuracy of the estimate. l~inally, some additional possibilities of the stochastic model are mentioned, and the premium, the reserve for a single risk, the contingency reserve and the retention under an Excess Loss Cover are basically defined according to the stochastic model.

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