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L. I-Ierma•n: Ueber das galvanische Wogen des Muskels. Nt7 fassung der in meinen jtingsten ,,Beitr~tgen zur Physiologic des Grosshirnsl)" mitgetheilten Beobaehtungen; wie der Loser jenCr Abhandlung leicht herausfindeu wird. (Aus dem physiologischen Institut zu KSnigsberg i. Pr.) Ueber alas galvanisehe Wogen des Yluskels. Von L. Hermann. Im J~hre 1860 verSffeutliehte Ktihue untcr dem Titel ,das Porret'sche Ph~tuomeu am Muskel "2) mit kurzen Worten dic merkutirdige Beobachtung, dass ein yon einem galvanischen Strome der Li~nge naeh durchfiossener Muskel ein Wogen seiner Substanz zeigt, welches im Sinne des positiven Stromes ablituft. Ktihne's Mittheilung war eine vorl~ufige; eine ausftihrliche ist nicht gefolgt. Der Titel schloss eine Erkl~trung in sich, etwa in dem Sinne~ dass die (fliissige) contl:actile Substanz der Muskelfasern dureh den Strom zur negativen Electrode fortgeftihr~ werde, wie die FlUs- sigkeit bet dem bekannten P orret'schen, richtiger Re uss'schen 3) Ph~tnomeu. Gegentiber mehrfacheu spitter eriblgten Kritiken diescr Erkli~rung muss betont werden, dass, soweit sieh aus der Mitthei- lung ersehen l~tsst,: Ktihne keineswegs in dem Wogen eine ein- fache Eleetrotransfusion erblickt, sondern nur vermuthet hat, dass in letzter Instanz Electrotransfusion dem Wogen zu Grunde liege, welehe sieh, in inniger Beziehung zur electrischen Erregung des 1) Dies Archiv Bd. XXXIX. 2) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 542. 3) Vgl. Wiedemann, die Lehre vom Galvanismus. 1. Aufl. Bd. I. S. 376. 1861.

Ueber das galvanische Wogen des Muskels

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Page 1: Ueber das galvanische Wogen des Muskels

L. I-Ierma•n: Ueber das galvanische Wogen des Muskels. Nt7

fassung der in meinen jtingsten ,,Beitr~tgen zur Physiologic des Grosshirnsl)" mitgetheilten Beobaehtungen; wie der Loser jenCr Abhandlung leicht herausfindeu wird.

(Aus dem physiologischen Institut zu KSnigsberg i. Pr.)

U e b e r alas g a l v a n i s e h e W o g e n d e s Y l u s k e l s .

Von

L. H e r m a n n .

Im J~hre 1860 verSffeutliehte Kt ihue untcr dem Titel ,das Por re t ' sche Ph~tuomeu am Muskel "2) mit kurzen Worten dic merkutirdige Beobachtung, dass ein yon einem galvanischen Strome der Li~nge naeh durchfiossener Muskel ein Wogen seiner Substanz zeigt, welches im Sinne des positiven Stromes ablituft. Kt ihne ' s Mittheilung war eine vorl~ufige; eine ausftihrliche ist nicht gefolgt. Der Titel schloss eine Erkl~trung in sich, etwa in dem Sinne~ dass die (fliissige) contl:actile Substanz der Muskelfasern dureh den Strom zur negativen Electrode fortgeftihr~ werde, wie die FlUs- sigkeit bet dem bekannten P orret 'schen, richtiger Re uss'schen 3) Ph~tnomeu. Gegentiber mehrfacheu spitter eriblgten Kritiken diescr Erkli~rung muss betont werden, dass, soweit sieh aus der Mitthei- lung ersehen l~tsst,: Kt ihne keineswegs in dem Wogen eine ein- fache Eleetrotransfusion erblickt, sondern nur vermuthet hat, dass in letzter Instanz Electrotransfusion dem Wogen zu Grunde liege, welehe sieh, in inniger Beziehung zur electrischen Erregung des

1) Dies Archiv Bd. XXXIX. 2) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 542. 3) Vgl. Wiedemann, die Lehre vom Galvanismus. 1. Aufl. Bd. I.

S. 376. 1861.

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Muskels, hier in dieser eigenthtimliehen Weise ~ussere. Jedenfalls wird as besser sain, der Erscheinung einen unverfiinglicheren l'~a- men zu geben, und ich werde sie im Folgenden als ,,galvanisches Wogan des Muskels" oder ais ,Ktihne 'sches Ph~inomen am Mus- kal" bezeiehnen.

In den 26 Jahren seit dar ersten Mittheilung ist die Erschei- nung meines Wissans nur zwei Mal Gagenstand spee[eller Behand- lung gewesen. Die erste Besprechung, unmittelbar nach der K ii h n e'- sehen Publication, rtihrt von du B o i s - R e y m o n d her1), walcher das Wogen nicht als Wirkung der Electrotransfusion betrachtet, deren ganz anderen gabitus er hervorhebt, sondern als eine Er- r e g u n g s e r s e h e i n u n g , als den Ausdruck local beschr~tnkter Contractionen, welehe yon der Anode zur Cathode laufen, anf deren specielle Erkl~irung er jedoeh verziehtet.

Eiue ausftihrliehere Arbeit yon J e n d r A s s i k e) ist zwar in ihren Erklttrungsversuchen nicht besonders gliicklieh, liefert aber in thats~iehlicher Beziehung einiges Neue, vor Allem e[ne in mahre- ran Punkten vollst~indigere Beschreibung der Erscheinung, sodann die Beobachtung, dass das Wogen nur bei mittleren Spannungs- graden des Muskels auftritt, und sowohl bei starker Erschlaffung als aueh bei airier gewissen Dehnung verschwindet. Aueh unter- scheidet J e n d r A s s i k mit Reeht yon dam eigentliehen Wogen den initialen Hinstoss der Substanz gegen die Cathode, welcher auch yon der extrapolaren Streeke her erfolgt, uud welchen er richtig als eine cathodische Sehliessungs-Dauereontraction erkl~irt. Er verwirft die I-Ierleitung des Wogens aus fortsah~'eitenden Erregungs- wellen, wail solche wie er meint nur von den Electroden, speciell yon der Cathode, ausgehen kSnnten, was nachweislieh nicht der Fall ist, und welt sie auch auf die extrapolaren Strecken tiber- gehen mtissten, was nie beobachtat wird. Er kommt also auf die rein physicalische Deutung zurUck, schreibt aber die Electrotrans- fusion nicht dem fltissigen Inhalt der Muskelfasern, sondern dan

I) Monatsber. d. Beriiner Acad. 1860, S. 902; auch abgedruckt in Mo-

l e s c h o t C s Untersuchungen etc. Bd. VIII. S. ~10 und in du B o i s - R e y -

m o n d ' s gesammelten Abhandlungen Bd. [. S, 126.

2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879. S. 300. (Schon vorher ungarisch

erschienen; Referat s. in den aahresberichten yon H o f m a n n und S c h w a 1 b e

pro 1878. Bd, II. S, 14~.)

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interstitiellen Flt~ssigkeiten, namentlieh dem Inhalt der Blut- und Lymphgef~sse zu. Wegen des nieht gradlinigen und mit Quer- verbindungen versehenen Verlaufes derselben sell die Fltissigkeits- strSmung mannigfaehe Unterbreehungen erMden, welehe sieh dann wieder ausgleiehen, und sollen die naehgiebigen RShren selber dutch die Versehiebungen ihres [nhaltes mannigfaehe Verlagerun- gen erleiden; dies Alles sell die Erseheinung des Wogens hervor- bringen. Das Ausbleiben bei Dehnung des Muskels wird dutch die nun eintretende Unnaehgiebigkeit der RiShren, das Ausbleiben bei starker Ersehlaffung dureh das Fehlen ausreiehender StUtz- punkte erkl~rt; endlieh das AufhSren beim Absterben des Muskels dutch Gerinnungen des RShreninhalts, welehe yon den Eleetroden ausgehen.

Diese Erkli~rung der Erseheinung erseheint weder physiea- liseh unanfeehtbar, noeh wie sieh zeigen wird gegentiber der un- befangenen Betraehtung der Erseheinung, besonders der mieroseo- pisehen, irgendwie haltbar. Unter allen Umst~nden musste es wtinsehenswerth erseheinen, das Ph~nomen, dessen Deutungen his- her so weit auseinandergehen, und welches in der allgemeinen Nuskelphysiologie eine viet wiehtigere Stelle einzunehmen seheint als ihm bisher zuerkannt wurde, einer erneuten Untersuehung zu unterwerfen. Die Ergebnisse einer solehen lege ieh im Folgen- den vor.

1. V o r k o m m e n , G r u n d b e d i n g u n g e n , C h a r a e t e r i s t i k der E r s e h e i n u n g .

In den bisherigen Publieationen ist nirgends ausdrUeklieh erw~thnt worden, dass die Erseheinung ganz a u s s c h l i e s s l i e h dem q u e r g e s t r e i f t e n Muske! eigenthtimlieh ist. Mit vtillig negativem Erfolge habe ieh die versehiedensten anderen feuchten Gewebe, wie Drt~sen, Haut, Darm, aueh l~tngsgefaserte wie Nerven 1) und Sehnen, auf galvanisehes Wogen untersueht. Theorien, welehe die Erseheinung auf Electrotransfusion zurUekNhren wollen, spe- ciell aber die JendrAss ik ' s ehe Vorstellung, miissten wie mir

1) K f i h n e erw~hnt zwar entsprechende Untersuchungen am Nerven~

giebt abet nicht an~ ob er bier etwas Aehnliches beobachtet hat; i ch selbst habe weder mit blossem Auge noch microseopisch am Nerven etwas dem

Muskelwogen Vergleichbares constatiren kSnnen.

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seheint sehon in dieser einfaehen Thatsaehe ein fast tmtiberwind- liehes Hinderniss finden.

An Warmblgtermuskeln (Streifen yon Zwerchfell oder Baueh- muskeln eben getSdteter Thiere) zeigt sieh die Erscheinung eben- falls, aber viel verginglieher als am Froschmuskel.

Das Wogen tritt ferner uur am l e b e n d e n Muskel auf; todtenstarre und gekoehte Muskeln zeigen keine Spur davon.

Nur bei l o n g i t u d i n a l e r , niemals bei transversaler Durch- strSmung ist die ErsGheinung zu beobachten. Bei s e h r ~ g e r DurehstrSmung dtinner platter Muskeln (Streifen der seitliehen Bauehmuseulatur des Frosches) zeigt sigh racist Wogen, welches aber ausnahmslos der F a s e r r i c h t u n g folgtl), und offenbar yon der longitudinalen Stromeomponente herrtthrt.

Die Erseheinuug beginnt erst bei einer gewissen, sehon ziem- lieh betrichtlbhen S t romd ieh t e . Um yon dem Schwellenwerth der letzteren eine ungefghre Vorstellung zu gewinnen, habe ieh in einer Reihe yon Versuchen die Stromst~rke so lunge gesteigert, bis Wogen eintrat. Die Kette bestand aus friseh gefttllten, klei- nen Grove'sehen Elementen yon der du Bois'sehen Form; in den Versuehskreis war eine auf dem Sehlitten einer Spiegelbons- sole stehende Thermorolle mit eingesehaltet, deren Ablenkungen graduirt waren. Die Zuleitung zum Muskel (Sartorius), weigher mit Igelstacheln auf Kork aufgespannt war, gesehah, abweiehend yon der gewShnliehen metallischen (s. unten), mit unpolarisirbaren Eleetroden, um eonstante Ableukungen am Galvanometer zu erhal- ten'2); den Enden des Muskels lagen zwei Lager yon Zinksulphat- Thou an, we!ehe mit amalgamirteu Zinkstiben in inniger Beriih- rung waren. Sehwaehes, abet deutliehes Wogen trat meist bei mindestens 2 Elementen auf, oft hier erst bei plStzlieher Strom- wendung (s. unten). Die dureh diesen Strom bewirkte Ablenkung entspraeh gewShnlieh Intensit~ten yon 0,15 bis 0,16 ~Iilli-AmpGre. In mehreren Fillen habe ieh die cntsprechende Diehte ermittelt, indem ieh den mittleren Quersehnitt des Muskels in bekannter

1) ~ a n lasse sieh bei Versuchen mit Bauchmuseulatur nicht dutch das

Wogen der tieferen Schicht tiuschen, geren Faserung stellenweise nahezu senkrecht zu derjenigen tier obere~i verl~uft.

2) Die durch die innere Polgrisation des ~uskels selbst bewirkte Ab-

nahme der Ablenkung ist wegen der sehr geringen Empfindlichkeit (die Ther- morolle ist 70 mm vom M~gneten entfernt) fast unmerklieh.

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Weise aus L~nge und Gewicht berechnete. Der Querschnitt be- trug in der Regel bei Sartorien 3--4 qmm. Die Dichte ergab sich so in versehiedenen Fiillen zu

Milli-Amp~re 0,04 bis 0,06 Q u ~ l ~ m m e t e r .1)

Auch mit anderen Ketten, und mit allmtihlicherem Ansteigen der Intensit~t dutch Anwendung" einer Nebenschliessung ergaben sich sehr tthnliche Minimalwerthe der Dichte. Die grosse Mehrzahl der im Folgenden mitzutheilendcn Versuche wurde tibrigens mit viel sti~rkeren StrSmeu, yon 9 bis 20 Zinkkohleelementen, ausgeftihrt.

Bei d t innen Muskeln ist das Wogen entschieden lebhafter als bei dicken, was nicht ohne Weiteres yon griisserer Dichte ab- geleitet werden kann; denn die gleiche Kette ergiebt bekanntlich, wenn der Widerstand im Kreise haupts~chlich yon einem sebr schleehten Leiter geSildet wird, in diesem eine you seinem Quer- schnitt unabhiingige Dichte, well die Intensitiit proportional seinem Quersehnitt wiichst. Ueberhaupt kommen ausser der Dichte noch Bedingungen in Betracht, welche yon der Individualittit des Mus- kels herrtihren. Die ausgezeichnetsten Objecte sind: vor Allem der Sartorius (bisher aueh meist benutzt), der Geniohyoideus, der Mylobyoideus oder richtiger Submaxillaris2), die seit]ichen Baueh- muskeln; sehon weniger gtinstig, aber noch g'anz brauchbar sind Rectus abdominis, Biceps femoris, Semitendinosus, Hyoglossus. Dies alles sind dtinne parallelfaserige Muskeln. Die dickeren Oberschenkelmuskeln zeigen das Wogen weniger sehSn, und der im Vergleich mit diesen dtinnere Gastroenemius, bei welchem frei- lieh die Fasern nut eiue Componente des Ltingsstromes erhalten, am wenigsten. Jedoch tritt es auch hier, besonders an der vor- deren (dem Knocheu anliegenden) Fltiche deutlich auf. Im Gain zen scheint ausser der D t i n n e und der p a r a l l e l f a s e r i g e n Be- schaffenheit besonders ger i n g e r e F e s t i g k e i t des Geftiges (gri~s- sere Weichheit) der Energie des Wogens giinsfig zu sein; vielleicht

1) Es w~ire gcwiss zeitgem~ss, eine absolute Masseinheit fiJr Strom- dichten einzufiihren, etwa 1 Ampere pro Quadra~-Mi]limeter, und derselben einen nach Analogie der [ibrigen gew~hlten Namen beizulegen.

2) So nennt Eeker diesen dem Mylohyoideus entsprechenden Muskel, weil er mit dem Zungenbein ~ieht verbunden ist; auch du Bois-Reymond hat ihn benutzt, wenigstens scheint es mir der yon ibm als Platysma myoides bezeichne~e Muskel zu seim

E. Pflfiger, Archiv L Physiologie. Bd. XXXIX. 40

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sind die diinnen Muskeln tiberhaupt nur deswegen, und nicht wegen grSsserer Stromdichte, gtinstiger.

Zu grosse Diehte bewirkt kein Wogen, und maeht die dureh- flossene Streeke aueh fur geringere Diehten zum Wogen unfiihig. Beim Muskel hangt aus naheliegenden Grttnden die Diehte eet. par. am meisteff~von der L~inge der durehflossenen Strecke ab. Legt man zwei Eleetroden, welehe bei DurehstrSmung der ganzen L~inge des Muskels sehSnes Wogen hervorbringen, einander nahe einer besehr~inkten Streeke an, ohne an der Kette etwas zu ~ndern, so tritt in der~[Regel kein Wogen auf, und aueh naehher verh~tlt sieh, wenn die Eleetroden wieder an die Enden gebracht werden, die'vorher durchflossene Streeke wie abgestorben.

Das Wogen ist selten in der ganzen Ausdehnung des Mus- kels gleiehm~issig entwiekelt. Wie sehon J e n d r s anftihrt, beschriinkt es sieh bald, zuweilen sogar yon vornherein, auf ein- zelne Btindel, und auf besehr~inkte Streeken derselben, welehe durehaus nieht den Eleetroden zun~ehst zu lieg'en braueheiJ.

Wie die Ausdehnung, so nimmt aueh E n e r g i e und Oe- s e h w i n d i g k e i t des Wogens allm[thlieh ab, und sehliesslieh er- liseht dasselbe ganz. Oeffnet man in solchen Zust~inden den Strom, so wirkt derselbe naeh l~tngerer Pause yon Neuem kr~iftiger. Es tritt also entsehieden in Bezug auf das Wogen eine E r m t i d u n g und E rho iung~ Muskels ein.

Beim O e f fnen des Stromes hi3rt das Wogen augenblieklieh auf, und es eriblgt der sehon yon frtiheren Beobaehtern erw~ihnte Rttekstoss der Muskelsubstanz, indem tier Cathodenwulst versehwin- det, und ein Anodenwulst sieh ausbildet. Dt~nne aufg.espannte Muskeln sieht man oft sieh ganz und gar naeh der Anode hin verziehen. Bei diesem Vorgange sehien es mir zuweilen, als ob ein ganz kurzes wirkliehes Rieseln oder Wogen in gleiehem Sinne, also dem eigentliehen PhKnomen entgegengesetzt stattfiinde, doeh konnte ieh mieh yon dieser Erseheinung nieht mit geniigender Sieherheit iiberzeugen.

U m l e g e n des Stromes verstiirkt das Wogen ziemlieh regel- m~issig, oder stellt er]oschenes wied~r her; dies sah sehon Ktihne.

Die B e s c h a f f e n h e i t d e r E l e c t r o d e n s t e l l e n ist ohne Einfluss auf das Wogen, d. h. es existiren keine derartigen Beziehun- gen, wie sie B iede rmann , und E n g e l m a n n mit van Loon fiir die eleetrisehe Erregung gefunden haben. Die Substanz an einer

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der beiden Electroden, oder an beiden, kann geiitzt, zerquetscht, oder durch den Strom selber zerstSrt sein, ohne dass das Woffen ausbleibt; dem entsprechend stellt sich das Wogen in b e i d e n Theilen eines in der Mitre durchquetschten Muskels ein. Man darf aus diesen Grtinden auch unbedenklich die metallischen Electroden direct an den ~uskel anlegen, zumal die Kraft der Polarisafion gegentibcr dcr starken Kette nicht in Betracht kommt.

DerAnblick des Wogens oder Rieselns darf als allgemein be- kannt betrachte't werden; das was eigentlich ablliuft, sind unzwci- felhaft Wtilste, welche den idiomuscul~iren sehr wohl vergleich- bar sind. Die HiJhe derselben ist ungemein verschieden; bald sind sie ungemein dick, bald so rein, dass sie mit blossem Auge eben noch als ein zartes Rieseln erkennbar sind. Bald verlaufen sie in den einze]nen Btindeln sehr unabh~ng'ig yon einander, so dass man neben einander viele Wtilste in +~erschiedener Lage ab- laufen sieht, bald erstreckt sich ein mehr einheitlicher Wnlst tiber einen grSsseren Theil der Muskelbreite; Wtilste letzterer Art liegen oft, besonders bei etwas sehief gezogenen Muskeln, sehr~g zur Faserung, und bleiben in dieser Schr~glage bei ihrem (stets streng longitudinalen) Ablauf. Zuweilen sieht man an schon etwas er- mtideten Muskeln~ welehe in verticaler Stellung ohne Spannung zwisehen zwei festen Electroden angebraeht sind, grosse Contrac- tionswellen langsam im Sinne des Stromes ablaufen, und eigenthiim- liche Verbiegungen des Muskels hervorbringen.

Die G e s c h w i n d i g k e i t des eigentlichen Wogens ist iiusserst wechselnd und ungemein schwer zu bestimmen, da es unm~iglich ist einen Wulst im Auge zn behalten, weil unaufhaltsam neue nach- folgen. Um eine ganz ungef~hre Vorstellung zu gewinnen, bin ieh sehr oft mit einem Instrument ]iings des wogenden Muskels dahin gefahren, und babe mir jedesmal eine Naehahmung der Ge- schwindigkeit gleichsam einzutiben g'esueht; dann mass ich diese nachgeahmte Geschwindigkeit an einer Theilung mit der Secunden- uhr in der Hand. Ieh kam auf diese Weise an fl'isehen, lebhaft wogenden Muskeln auf Geschwindig'keiten yon etwa 4--5 mm p. sec. Allm~ihlich nimmt die Geschwindigkeit sichtlieh ab. Wenn diese Sch~tzungen tiberhaupt Werth baben, so wtirde also das Wogen etwa mit einem Tausendstel derjeniffen Geschwindigkeit ablaufen, mit weleher die Erregnnff im normalen Muskel fortschreitet.

Behufs m i c r o s e o p i s e b e r Beobachtung des Wogens land

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ich nach vielfaehen Abi~nderungen die folgende einfaehe Vorrich- tung sehr praetisch, deren Hauptzwcck freilieh die Variation der Spannung (vgl. w 2) unter dem Microscope war. Eine rechteckige Korkplatte yon etwa 4 - 5 mm Dicke und den Dimensionen eines Objeettr~tgers hat in der Mitre eine runde Bohrung yon etwa 1 c m Durehmcsser, in welche ein rundes Planglas so eingelassen ist, dass seine obere Fli~che mit der Korkoberfli~ehe b~ndig ist. Der Muskel (am besten Sartorius kleiner FrSsche) wird mit zwei als Electroden dienenden Stecknadeln auf dem Kork so ausgespannt, dass er fiber die Mitte des Glases hinweggeht. Die Beobachtung ge- schicht mit schwachen Vergr~sserungen (z. B. Obj. 3. Leitz), ohne Deekglas.

Sehr treffend bezeichnet du Bois -Reymond, und nach ihm J e n d r h s s ik, den sigh darbietenden Anblick als tin flUchtiges Hin- fibergleiten yon Schatten tiber das GesiebtsMd. Abet ausserdem sieht man, was beide Autoren nicht erw~hnen, die einzelnen Faser- abschnitte in encrgisehcr longitudinaler Hin- und Herbewegung. Dies ist nattirlich nicht im Geringsten unvereinbar mit dem wellen- artigen Fortschreiten der Erseheinung, cbensowenig wie das Auf- und Nicdersteigen eines Holzsttickchens auf einer WasseroberflSoche, tiber welehe Wdlen dahinziehen, mit diesen Wellen. Wenn die Geschwindigkeit abgcnommen hat, sieht man ferner deutlich, dass V e r d i c k u n g e n der einzelnen Muskelfasern fiber das Gesichtsfeld ziehen; die nothwendig mit der Verdickungswelle verbnndene Y er- k t i r z u n g s w e l l e ist abet offenbar die Ursaehe der longitudinalen Verschiebungen, welehe bet grSsserer Lcbhaftigkeit des Wogens allein sichtbar stud. Jede vortibergehende VerkUrzung muss eine Hin- und Hcrbewcgung im Gesichtsfeldc hervorrufen. Je grSsser die Geschwindigkeit des Fortschreitcns, je grSsser also die Wellenl~nge im VerhNtniss zum Gesichtsfelde, um so weniger wird man vom Fortsehreiten der Erseheinung zu sehen bekommen kiSnnen; man wird dann nut die locale Verkfirzung und Wiederersehlaffnng bc- merken; dies ist das erw~hnte Hin- und Hcrgehen.

Sonst sieht man im Gesichtsfelde keinerlci regelmi~ssige Be- wcgung, insbesondere (dies betonen aueh du B o i s - R c y m o n d und J e n d r ~ s s i k ) kein StrSmen des Faserinhaltes. Der G e f ~ s s i n h a l t ist, wie man an den BlutkSrperehen erkennen kann, in der Regel nieht vollkommen in Ruhe, racist sehiebt er sigh ebenfalls bin und her; zuweilen strthnt er kurze Zcit in ether Riehtung, aber ebenso

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off gegen, wie mit dem Strom. VSllig unzweifelhaft handelt es sich nur um pass ive V e r d r ~ t n g u n g e n des Blutes dureh dieBe- wegungen der Muskelfasern, ohne welche man niemals das Blur sich verschieben sieht. Dass einzig letztere das Kfihne'sehe Ph~- nomen maehen, springt sehon maeroseopisch, aber ganz besonders mieroseopiseh so sehr in die Augen, dass die J end r~s s ik ' s ehe Auffassung unmSglieh erscheint.

2. E i n f l u s s de r S p a n n u n g a n d v e r w a n d t e r U m s t a n d e auf das Wogen.

Der zuerst yon Jendr t~ss ik kurz angegebene Einfluss der Spannung ist sehr bedeutend. Die einfaehste Art ihn za beobach- ten ist die, den Muskel mittels zweier als Eleetroden dienender Stecknadeln (mit angel~theten feinen Drahten) auf Kork in ver- schiedenem Dehnungsgrade festzustecken. Man sieht dann leicht, dass das Wogen bei einem gewissen m~ssigen Spannungsgrade (Spannungsoptimum) am lebhaftesten ist, und kann es dutch starke Abspannung sowohl, Me dureh gehtirige Dehnung beseitigen.

Bei diesen Versuchen andert sich jedoch der Spannungsgrad dutch die Schliessung selbst, wegen der eintretenden Contraction. Will man eine Spannung haben, welehe yon der Schliessung un- abhlingig ist, so muss der Muskel frei schwebend belastet werden, wozu die bekannten Vorriehtungen, z. B. der yon du B o i s - R e y - mond und yon J e n d r t i s s i k dazu benutzte Zuckungste.legraph, dienen kSnnen. Ieh verwendete meist, da er grade zur Hand war, einen im n~chsten Paragraphen zu beschreibenden kleinen Apparat, welcher den Muskel zugleich in Oel zu versenken gestattet. Das letztere ist nattirlich fiir den augenblickiichen Zweek gleiehgtiltig abet ich fand auf diese Weise zufftllig, dass es sehr practisch ist, den dtinnen, frei schwebenden Muskel einmal in Oel zu tauehen. man sehtitzt ihn durch den Oeliiberzug vor Vertroeknung, and spart so die feuehte Kammer, welche der hier nSthigen ganz directen Beobachtung reeht hinderlich ist.

Man sieht am frei belasteten Muskcl sogleieh, dass ausser der Spannung noch andere Umstiinde auf das Wogen einwirken denn bei gleichbleibender Belastung i~ndert sich die Energie des Wo- gens ungemein mit dem C o n t r a e t i o n s g r a d e , Am unbelasteten oder wenig belasteten )Iuskel (Sartorius) bewirkt die Sehliessung

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des starken Stromes eine eolossale and dauernde Verktirzung, meist mit starker Q u e r r u n z e l u n g des Nuskels, yon welcher nut die Seitenfiinder meist frei bleiben; dieselben sind hrmfig, etwas wellig geNltelt. In diesem Zustande sieht man entweder kein Wogen, oder nur ein solehes der night gerunzelten Theile. Bei m~ssiger Belastung bleibt diese starke Contraction nieht lange bestehen, der Muskel verlSmgert sieh unter Gl~tttung der Runzeln, und jetzt stellt sieh Wogen ein; sobald die Danereontraetion vi~llig vortiber ist, pflegt aueh das Wogen wieder aufzuh~ren. Da in die- sem Versnehe die Spannung night veffmdert wurde, so lehrt derselbe, dass R u n z e l n n g an s i eh das Wogen v e r h i n d e r t .

Wenn man andrerseits im Stadium starker Contraction und Runzelung den Muskel pl~tzlieh debut (z. B. dureh Zug an der Wagsehale mit der Hand), so tritt sofort lebhaftes Wogen auf, welches beim Naehlass der Dehnung angenblieklieb wieder ver- sehwindet, wenn sieh wieder Runzelung einstellt. Verst~rkt man im Gegentheil die Dehnung, so h~rt das Wogen e.benfalls auf, um beim Naehlass angenblieklieh wiederzukehren, wenn aneh am er- mUdeten Muskel nur Nr einen Augenbliek. ~ Ueberhanpt spielt die Ermtidung in diesen Versuehen eine stets zu bert~eksiehtigende st~rende Rolle.

Ganz entspreehend sind die Erseheinungen, wenn man v or der Sehliessung dem Muskel versehiedene Dehnungsgrade ertheilt. Die Erseheinungen bei den sehw~iehsten Dehnungsgraden sind sehon besehrieben; bei mittlerer Belastung bewirkt die Sehliessung Wo- gen, bei starker nieht.

Der Umstand dass das Wogen bei mittlerer Belastung meist mit der Dauereontraetion versehwindet, ki~nnte auf den Gedanken ftihren, dass das Wogen eine wirkliehe Verk~rzung des Muskels zur Bedingung hat. Dies ist abet bestimmt nieht der Fall. Nan sieht das Wogen erstens an m~ssig' gespannten and an beiden Enden befestigten Muskela bei der Sehliessung auftreten, an denen also eine VerkUrzung unm~glieh ist, und zweitens aueh an Muskeln welehe gar keine Dauercontraetion, sondern nut Sehliessungs- und Oeffuungszuekung zeigen.

Maskeln letzterer Art, zu welehen meist die sehon etwas er- miideten geh~ren, sind nun am besten geeig'net, den hier noeh night besehriebeuen Fall des Aufh~rens des Wogens, ngmlieh den der aussersten Ersehlaffang, zu demonstriren. Wenn man einen solehen

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Muskel, WeiGher im Wogen begriffen, auf einer Glas- oder Korkplatte liegt, durch longitudinales Zusammensehieben seiner Enden in mSg- liehst starke Ersehlaffung versetzt, so hSrt das Wogen auf, umbe i Wiederherstellung mi~ssiger Streekung zurtiekkehren.

An horizontal lidgenden )/[uskeln kann man aueh einzelne Abschnitte in versGhiedene Spannnngsgrade versetzen. Man kann z. B. einem an beiden Enden befestigten Muskel auf die Mitte ein ElfenbeinstabGhen sanft aufdrticken, and es naeh einem Ende hin versGhieben, so dass die eine Halfte mi~gliehst erschlafft, die andere st~trker gedehnt wird. Jede Halfte zeigt dann, unabhi~ngig yon der anderen, denjenigen Grad yon Wogen, weleher ihr vermiige ihres meGhanisehen Zustandes zukommt, und ks ist gleiehgtiltig, ob die Versehiebung naeh der Anode oder Cathode bin erfolgt, d.h. ob die sti~rker gespannte Abtheilung an der einen oder der anderen Elec-

trode liegt. Dieser Versueh, welcher sieh mannigfaGh variiren liisst, ist nieht ohne Bcdeutung; er zeigt n~tmlich, dass eine wegen starker grschlaffung an sieh night wogende Muskelabtheilnng an c h Woge n der a n g r e n z e n d e n The i l e n i e h t f o r t p f l a n z t .

Urn nun dig auf den ersten Bliek etwas verwickelten Einfitisse der Spannung and tier Contraction auf das Wogen genauer zu formuliren, mtissen wit die Fiille, in welchen das Wogen at~sbleibt, n~ther dn's Auge fassen.

Auf der einen Seite haben wir den Fall starker Ersehlaffung oder starker mit Runzelung verbundener ContraGtion. Beiden Zu- st~.nden gemeinsam ist zunachst die Verdiekung des Muskels. Man k~nnte daher annehmen, dass die Verringerung der DiGhte das Wo- gen verhindert. Allein erstens lehrt die oben S. 601 angeftihrte Er- w@ung, dass die Diehte dutch diese Verdiekung gar nicht abnimmt, im Gegentheil wegen der gleichzeitigen Verktirzung etwas zunehmen mtisste. Zweitens sehen wit, wie erwii.bnt, dig nicht gerunzelten Randpartien oft wogen, obgleich in ihnen nothwendig dieselbe Diehte herrseht, wit in der gernnzelten Mitte. Weiter versehwindet das Wogen in gerunzelten oder stark der Lii.nge nach zusammengeseho- benen Muskeln aueh dann, wenn die lntensitat so hoeh tiber dem zum Wogen nSthigen SGhwellenwerth liegt, dass geringe Verminderun- gen tier Dichte gar nicht in Betracht kommen kiinnen. Zum Ue- berfluss habe ich noeh folgende einfachen Versuche angestellt. Ein Muskel, weleher starkes Wogen zeigt, wird dureh einen ibm der Lange naeh angelegten (untergelegten) zweiten, lebenden oder todten

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608 L. H e r m a n n :

Muskel betr~tehtlieh verdiekt; das Wogen wird dadureh bei einiger- massen starken StrSmen nieht beseitigt, obgleieh die Dichte be- triiehtlieh herabgesetzt ist. Aueh wenn man nut eine einzelne Streeke eines wogenden l~Iuskels dutch ein untergelegtes Muskel- sttiek verdiekt, gehen die Wellen tiber diese Streeke unver~inder~ hinweg, wahrend sie~ wie wir gesehen haben, in eine dutch Run- zelung oder longitndinale Zusammendr~ngungverdiekteMuskelstreeke nieht tibergehen.

Ganz unhaltbar w~tre aueh der Gedanke, dass etwa die Wogen in einem gerunzelten oder zusammengesehobenen Muskel vorhanden, abet wegen der Runzelung oder Verdiekung nieht e r k e n n b a r seien. Denn einerseits sieht man aueh bei treffliehster Beleuehtung niehts davon, andrerseits ist vorhandenes Wogen aueh dureh einen aufgelegten zweiten Sartorius hindureh sehr gut zu sehen, wenu derselbe dutch vorherige Erseh~pfung selber wogenfi'ei gehalten wird. Endlieh lehrt die m i e r o s e o p i s e h e Untersuehung sofort, class die bert. Muskelu wirklieh bewegungslos sind.

Das wesentliehe Moment, welches in den gel~annten beiden Zust~nden das Wogen verhindert~ kann offenbar nur in der starken F a l t u n g und K n i e k u n g de r M u s k e l f a s e r u liegen. Dass eine solehe bis zur Ziekzaekbildung in sehr sehlaff liegenden l~Ius- kelfasern vorhanden ist, ist eine sehon seit P r e v o s t und Dumas bekannte Thatsaehe, die man aueh an einem dureh Zusammen- sehiebung wogenfreien Muskel oder Muskelabsehnitt ganz direct unter dam Mieroseop eonstatiren kann. An einem dutch Contraction gerunzelten guskel ist diese Faltung sehon mit blossem Auge slehtbar; sic ist hier regelmassiger and erstreekt sieh his zur Oberfl~iehe; das Mieroseop zeigt sic nattMieh ebenfalls. Aber kS ist hier festzuhalten, dass diese Faltung nut einen TheiI der Fasern betreffen kann. Eine Anzahl Fasern muss nothwendig ziemlieh gradlinig eontrahlrt seln, sonst w~re die Runzelung nieht verst~nd- lieh; ieh kann wenigstens keine andere Erkl~trung finden, als die, dass bei starker Contraction ein Theil der Fasern sieh st~irker verktirzt als der Rest, und so die anderen in Falten legt. Die stark verktirzten Fasern seheinen sehr in der 5linderheit zu sein, denn unter dem l~Iieroseop sieht man Niehts davon, und aueh Niehts yon dem in ihnen vermuthlieh stattfindenden Wogen. Wenn man den Muskel im gerunzelten Zustande h~trten und in L~ngs- sehnitten untersueheu wtirde, so wtirden diese Fasern wahrsehein-

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Ueber das galvanische Wogen des 5'Iuskels. 609

]ieh sieh eonstatiren lassen. Wir d•rfen also bis auf Weiteres an- nehmen, dass s ta rke z i e k z a e k a r t i g e Kr t immung der Mus- k e l f a s e r n d e s A u f t r e t e n oder die F o r t p f l a n z u n g des Wogens ve rh inde r t , meg sie nun dureh passive Zusammensehie- bung oder dutch die starke Contraction anderer Fasern bewirkt sein. Dass die Randpartieu, auch wenn sie wellig gebogen sind, h~iufig wogen, ist kein Widersprueh, da die Ziekzaekkrtimmung etwas ganz anderes ist als diese leiellten Biegungen yon vergleichsweise grossem gegenseitigen Abstande.

Derzweite Hauptfall des Ausbleibens ist die starke Streckung des Muskels. Hier kOnnte man zunaehst den letzten Grund darin suchen, dass starke Dehnung re in m e c h a n i s e h des Wogen ver- hindert, weil, wie ja der mieroseopisehe Anbliek lehrt, jede Woge eine mit Verktirzung verbundene Verdiekung der Faser darstellt. Dass Muskelu, welehe in gestreekter Lage lest aufgespannt sind, h~tufig wogen, w~re hiergegen kein Einwand, da ja die loealen Verktirzungen dureh "eompensatorisehe Dehnungen des Restes der Faser erm~glieht sein kOnnten. Eine zweite M~gliehkeit w~ire, dass die Dehnung nur dadureh das Wogen verhindert, dass sie die Fasern vollkommen gradlinig ausstreekt, mit auderen Worten, dass mit der v o l l k o m m e n e n G r a . d s t r e e k u n g der Fase rn eine w c s e n t l i e h e B e d i n g u n g des Wogens wegfiillt .

Gegen die erstere Erklarung seheint zuniiehst zu sprecheu, dass die Dehnungsgrade~ welche das Wogen verhindern, keiueswegs so gross zu sein brauehen, um jede Verktirzung des Gesammtmus- kels zu verhindern. Allein mSglicherweise erfordert die Ent- wicklung der starkeu localen VerdiCkungen und Verkiirzungen, welche das Wogen ausmaehen, doch einen viel hSheren Grad von mechaniseher Freiheit des Muskels als die Gesammtverktirzung. Auch der Umstand, dass man in wegen Streckuug nieht wogenden Muskeln, wie im fiinften Paragraphen auzuftihren ist, durch ktinst- liche Eingriffe Wogen hervorbringen kann, ist nicht eutseheideud, da dieses Wogen stets vergleiehsweise sehwach ausf~illt, und dureh stiirkere als die gewiihnliche Reizung erzwungen seiu kSnnte.

Die zweite der angeftihrten M(iglichkeiten wtirde zu der Fol- gerung ftihren, dass F a s e r k r i i m m u n g e n eine nothwendige Be- dingung des Wogens sind; da gestreckte Fasern, wie wir sehen werden und soeben erwiihnt ist, kiinstliehe Reizungen zuweilen in Gestalt yon nach der Cathode ablaufcnden Wogen ablaufen lassen,

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610 L. H e r m a n n :

so mtissten die Faserkrtimmungen nieht sowohl eine Bedingung der For tp f lanzung , als vielmehr des Ent .s tehens der Wogen abgeben, mit anderen Worten: die Wogcn mtissten aussehliesslich yon Fase rk r t immungen ausgehen, eine Folgerung, fiir welche, wie wir sehen werden, eine Art theoretischer Begriindung sich leicht aufstellen liesse.

Die Entseheidung zwisehen beiden Mtiglichkeiten hoffte ich yon der microscopisehen lJntersuchung. Mitder oben S. 604 erw~thnten Vorriehtung konnte ich die Spannung des wogenden Muskels unter dem Mieroseop raseh verandern, ohne die Beobaeh- tung zu unterbreehen. Die Korkplatte ist mit 'den Objeethaltern befestigt and man braucht nur mit der linken Hand die tinke Electrodennadel ihren Platz wechseln zu lassen, wiiohrend die reehte zur Einstellung des Tubus und zur Handhabung yon Sehltissel und Wippe frei bleibt. Man sieht an gew~hnlieh ge- spannten Muskeln die Fasern ziemlieh gradlinig verlaufen, hiiufig mit leiehter feiner Kr~uselung dei' R~nder; abet hie nnd da finden sich entsehiedene Krtimmungen. Allein es gelang mir nieht naeh- zuweisen, dass die Wogen aussehliesslich yon diesen Krtimmungen ausgehen; noch viel weniger fi'eilich liess sieh das Gegentheil er- weisen. Bei sti~rkerer Dehnung schwinden alle Krtimmnngen, und aueh die feine Krauselung der Faserri~nder, und das Wogen h(irt auf. Abet um den direeten eausa len Zusammenhang dieses Auf- h(irens mit dem Wegfall der Krtimmungen naehzuweisen, hittte festgestellt werden miissen, dass eine Kriimmungsstelle, yon weleher Wogen ausging, mit ihrer Ausgleiehung aueh das Wogen beseitigte, was nieht beobaehtet werden konnte. Dagegen babe ieh sehr oft gesehen, wie beim longitudinalen Zusammensehieben des Muskels mit dem Eintritt ziekzaekfSrmiger Faserlagerung das Wogen ver- sehwand.

Wir mUssen es also vor der Hand unentsehieden lassen, ob die Dehnung das Wogen dadureh beseitigt, dass sie die Faser- krtimmungen aufhebt, also nur yon letzteren Wogen ausgeht, oder ob eine gewisse Spannung rein meehanisch das Wogen ersehwert, resp. beseitigt. Der Widerspruch, weleher im ersteren Falle sieh ergeben wtirde, gegentiber dem wogenhindernden Einflusse ziek- zaekftirmiger Faserlage, ist nut ein seheinbarer, da die letztere wesentlieh neue Bedingungen einfUhren ktinnte, wie welter unten zu erSrtern ist. Jedenfalls wtirde sieh der oben S. 601 hervorge-

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Ueber das gaIvanische Wogen des Muskels. 611

hobene Umstand, dass dtinne und weiehe Muskeln lebhafteres Wogen zeig'en~ als dicke oder fcstgeftigte wie der Gastrocuemius, unge- zwnngen mit dem Resultat vereinigen lassen, dass Faserkrtimmungen haupts~chlich ftir das Wogen massgebend sind.

3. E i n f l u s s de r T e m p e r a t u r a u f das Wogen.

Ausserordentiich htibsche und tiberrasehende Erscheiuungen bekam ieh zu Gesieht, als ich den Einfluss der Temperatur auf das K U h n e'sehe Phiiuomen untersuchte.

Die ersten Versuche dieser Art stellte ieh so an, dass der Muskel (Sartorius) auf eine dtinnwandige, mit zwei RShreuansittzen versehene platte Glasdose (sog. feuchte Gaskammer yon Ge i s l e r ) gelagert wurde, durch deren HShlung mittels einer sich gabelnden Leitung naeh Belieben warmes oder kaltes Wasser geleitet werden konnte. Die Enden des Muskels waren in zwei kleine Lager yon Kochsalzthon eingeknetet, welehe sowohl zum Festhalten wie zur Stromzuleitung dienten, uud weleheu zwei Zinkdri~hte als Electro- den anlagen.

Sobald nun die Dose yon i10o warmem Wasser durchstrSmt wird (der Muskel wird hierbei kaum auf 30~ erw~rmt), sieht man das Wogen in jeder Hinsichtungemein viel lebhafter warden, und beim Zustri3men von zimmerwarmem Wasser wieder zu seiner ge- wShnliehen Intensit~tt zurttckkehren. Da die Erwiirmung und Wiederabkithlung des Muskels eine erhebliehe Zeit beansprueht, so darf man den Strom nattirlieh nicht die ganze Zwisehenzeit hindurch geschlossen lassen, sondern muss ihn erst naeh Herstel- lung der neuen Temperatur wieder sehliesseni

Viel schSner wird der Versueh, wenn man behufs sehnellerer, ausgiebigerer und exaeterer Temperatur~uderung Versenkung des Muskels in temperirtes reines OlivenS1 anwendet, ttierzu diente

folgende einfache Vorriehtung. Ein Stativ triigt einen nach unten gehenden vertiealen Netallstab, weleher unten zu einem aufw~rts ragenden Haken Umbiegt. Vertical tiber letzterem tr~gt das Stativ ein ElfenbeinrSllchen. An dem Haken wird das untere Ende eines Sartorius befestigt, und mittels eines in sein oberes Ende gesteekten Hakchens und eines an letzterem befestigten Fadens, welcher tiber die Rolle geht, vertical schwebend ausgespannt; tier Faden geht noeh tiber ein zweites am Stativ in der HShe des ersten an-

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612 L. Hermann:

gebraehtes Rtillchen, und tr~gt dann eine kleine ungemein leiehte Wagsehale aus geloehtem Carton; dieselbe wiegt nur wenig tiber 1/4 gr. Durch Auflegen yon Gewichten (1--10 gr) auf letztere l~isst sigh tier Muskel in beliebigem Grade spannen. Zur Stromzuleitung dient der verticale Stab und das obere mit einem sehr feinen Draht 1) verbundene H~tkehen. Von unten her kann nun, ohne irgend etwas zu verfindern, tin mit temperirtem Oel geftillter Cy- linder yon 24 mm liehtem Durehmesser und 70 mm ttShe so em- porgehoben und festgestellt werden, dass tier Muskel ganz in Oel versenkt ist, wobei er nattirlieh dessert Temperatur sofort annimmt. Es wird zwisehen drei solehen Cylindern abgeweehselt, welehe ein Assistent temperirt; das eine hat Zimmertemperatur (18--19 0 C.), das zweite enthNt kaltes (0--5~ das dritte warmes (35 ~ Oel. Die Dieke der Oelsehieht im Cylinder gestattet, den Muskel ausser- ordentlich genau in dureh- und auffallendem Lichte zu beobaehten 2).

Mit dieser Vorriehtung sieht man nun, dass sehon mfissige K~l te das Wogen vollst~indig b e s e i t i g t ; vorher, resp. bei etwas hSherer Temperatur, wird die F o r t p f l a n z u n g s g e s e h w i n d i g k e i t des Wogens sehr deutlieh und erheblich h e r a b g e s e t z t . Oel yon Zimmertemperatur stellt die ~,'ew~hnliche Energie des Wogens wieder her. W~trme aber ve rs t~ i rk t ungemein sowohl dig Aus- breitung als dig Lebhaft!gkeit (Wellenhbhe) des Wogens und ver- g r S s s e r t dessen P o r t p f l a n z u n g s g e s e h w i n d i g k e i t ausseror- dentlieh. An frischen Muskeln sieht man in warmem Oel die Erseheinung in einer tiberrasehenden Seh~nheit, yon tier man naeh den gew~hnlieben Versuehen keine Vorstellung hatte. Es bedarf kaum der Erw~thnung, dass bei Raekkehr zur gewShnliehen Tem- peratur night allein dig gewShnliehe, sondern, analog den negat[ven Nachwirkungen, eine abnorm geringe Lebhaftigkeit sigh einstellt.

4. Seh l t i s se aus dem b i s h e r Mi tge the i l t en .

DiG letztangeftihrten Thatsaehen beseitigen wit ieh glaube aueh den letzten Zweifel, dass das Ktihne'sehe Phanomen keine

1) Sehr prak~iseh sind hierzu die mir~von Iterrn Coll. Langendorff empfohlenen Lame~taf'~den, an welehen nur der 5{angel eines isolirenden Ueberzuges unter Umst~inden stSrend sein kann.

2) Eine urspriinglich eonstruirte u um in einem feststehen- den Cylinder das 0el durch RShren ab- und zufliessen zu lassen, bew~hrte sieh nieht, weil 0el~ besonders kaltes, zu langsam dureh die I~Shren geht.

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Ueber das g~lvanische Wogen des Muskels. 613

Electrotransfusions-, sondern eine E r r e g u n g s e r s e h e i n u n g ist. Zwar ist es night unwahrscheinlich, dass auch die Eleetrotransfu- sion yon der Temperatur abh~tngig i s t , - Versuche tiber diesen Punkt existiren meines Wisscns bisher nicht. Abet ob W~trme sic verst~trkt, und nicht vielmehr vermindert, muss sehr zweifelhaff erscheinen. Bekanntlich verbessert Erw~irmung das Lcitungsver- m~gen der FlUssigkeiten; je grt~sse r aber das LeitungsvermSgen, um so geringer ist nach bekannten Erfahrungen die Electrotrans- fusion. Nun ist frcilich zu erw~igen, dass das verbesserte Leitungs- vermSgen zug|eich den einwirkenden Strom verst~rkt~ und dass sehr wohl auch ein directer die Electrotransfusion befSrdernder Einfluss der W~irme existiren kann, welcher denjenigen des ver- besserten LeitungsvermSgens tibercompensiren kSnnte. Aber der Einfluss yon Temperaturgnderungen im Betrage weniger Grade auf das Muskelwogen ist viel zt~ gross~ als dass man auch nur im Entferntesten daran denken kSnnte, ihn auf diese hypothetischen physicalisehen Beziehungen zurUckzuffihren.

Auf der anderen SeRe ist der verst~rkende und zugleich in gewissem Grade ermtidende und erschSpfende Einfluss der W~rme in evidentester Analogie mit den bekannten physiologischen Wir- kungen derselben anf den Muskel, besonders mit dcr ErhShung der Erregbarkeit, der ContractionsgrSsse und vor Allem der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Erregung. Temperaturen, welche noch welt tiber dem Gefrierpunkt liegen, kSnnten unmSglich eine rein physiealische Erscheinung dieser Gattung vollst~indig unter- drticken, w~hrend ihre fast lfihmende Wirkung auf zahlreiche pro- toplasmatische Functionen lgngst bekannt ist.

Zu diesem starksten Argument gegen die Erkl~trung durch Eleetrotransfusion kommen nun noch zahlreiche, theils schon yon frUheren Autoren angeftihrte, theils im Vorstehenden cnthaltene hinzu. Die Eleetrotransfusion in feucht durchtrgnkten porSsen KSrpern ist, wie schon du B o i s - R e y m o n d hervorgehoben hat, ein unsichtbarer und D~usserst langsamer Process, welcher ganz unmerklich die Anodengegend trockner, die Cathodengegend feuch- ter machtl). Wie dieser Process wellenartig fortschreitende Vet-

1) Sehr bemerkenswerth ist es, dass dies auch dann noeh eintritt, wenn die Eleetroden aus Wasser bestehen. Ieh hutte dies bei einer anderen Ver- suchsreihe zu constatiren Gelegenheit FrSsehe waren so angebracht, dass

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614 L. H e r m a n n :

diekungen hervorrnfen sollte, ist ganz nnversfiindlieh. Sollte wirk- lieh in dem r(ihrigen oder fasrigen Bau des Muskels die Ursaehe dieses unerkliirbaren Umstandes liegen, so w~h'e ferner unbegreif- lieh, warum nieht aueh Nerv und Sehne wenigsten% sine Andeu- tung davon zeigen.

Ferner sprieht der oben angeftihrte Einfluss der Ermtidung und des Absterbens so deutlieh wie mtiglieh gegen jene physica- lisehe Herleitung. Man mtisste zum Mindesten sehr gewagte An- nahmen tiber die Aggregatzusti~nde im Muskel maehen, man mtisste sieh denken, dass der Muskelinhalt dureh Ermiidung fester und dutch Erholung wieder fltissiger wird. Aueh starke StrSme mtiss- ten den Inhalt fester maehen i(vgl. S. 602). Vollends die J en- drs Ansieht, dass die interstitietlen RShreninhaite tier Eleetrotransfusion unterliegen sollen, seheint mir, abgesehen yon den sehon angeftihrten aus folgenden Grtinden gi~nzlieh unhaltbar: Wie sollen vor Allem Ermiidung, Erholung, Temperatur u. s. w. auf diese Fltissigkeiten Einfluss haben? Wie soUen tibe~'haupt diese versehwindend sp~rliehen Pltissigkeiten zu so gewaltigen Ersehei- nungen ausreiehen? Wie soll das stets genau dem Faserverlauf folgende Ablaufen der Wellen sieh erklaren, da J e n d r s selber darauf Gewieht legt, dass jene Rtihren vielfaeh verzweigt und ge- bogen sind?

Zu der Deutung durch Electrotransfusion hat jedenfalls der Umstand wesentlieh beigetragen, dass an der Cathode eine An- sehwellung auftritt. Ktihne z. B. bringt diese Anschwellung, wie es ja vor der Erkenntniss des polaren Erregungsgesetzes fiir den Muskel ganz natUflieh sehien, mit dem Hinfluthen der Substanz n~tch der Cathode in Verbindung. Jetzt wissen wir, und J e n - d r~s s ik hat es sehon riehtig dargestellt, dass die eathodisehe Anschwellung ein idiomuscul~rer Wulst ist, der yon der starken Sehliessungserregung herriihrt. Uebrigens lehrt aueh der Augen- sehein, dass diese Anschwellung nieht das Depositum der anfluthen- den Wellen sein kann. Denn sic tritt gleieh anfangs auf and ist viel kleiner als die Summe dieser Wellenberge.

ihre beiden Hinterbeine in mit Wasser geffillte Gef~sse eintauchten, raittels weleher ein kr~ftiger Strom stunden- und tagelang zugelei%et wurde. Hierbei ~vird regelm~ssig die Haut des Anodenbeins lederartig zum Schrumpfen ge- brecht, w~hrend dss Cathodenbein 5dematSse Haut und blasig abgehobene Epidermis zeigL Es ist g]eiehgiiltig ob der Frosch ]ebend oder %odt ist.

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Ueber das galwnische Wogen des Muskels. 615

Wir k(innen auf Grund des bisher Gesagten sehon mit roller Sieherheit den Satz ausspreehen; dass die zuerst yon du Bols- R e y m o n d ausgesproehene Ansieht richtig, d. h. das Ktthne'sche Phiinomen eine E r r e g u n g s e r s c h e i n u n g " ist. Specieller aber k(innen wit es als eine Erscheinung a b n o r m e n A u f t r e t e n s und a b n o r m e r F o r t p f l a n z u n g von E r r e g u n g e n bezeichnen, welche derMuskel unter dem Einfluss verhi~ltnissm~ssig starker Str(ime zeigt. Das A u f t r e t e n ist abnorm, well in der :Norm die galvanische Er- regung stets yon der Cathode, oder bet der Oeffnung yon der Anode ausgeht, hier aber an den versehiedensten Faserstellen Erregungs- wellen auftreten. Die F o r t p f l a n z u n g ist abnorm, insofern sie erstens unvergleiehlieh langsamer als sonst erfolgt, obgleleh der gewShnliehe Einfluss der Temperatur dem Sinne nach fortbesteht, und zweitens die Erregungen sieh nur in Einer Richtung, namlieh naeh der Cathode hin, fortpflanzen.

Sueht man also nach ether Erkliirung der Erseheinung, so wird dieselbe an solehe Momente anzukntipfen haben, welehe erstens das Fortpflanzungsverm~gen der durehstrSmten Muskelfaser, set es allgemein, set es ftir die hier in Rede stehenden Erregung'en, abnorm langsam nnd nur einseitig maehen, zweitens das Auftreten yon Erregungen an den verschiedensten Faserstellen herbeiftihren.

5. Das V e r h a l t e n des d u r e h s t r S m t e n Muske l s gegen

k t in s t l i che E r r e g u n g e n .

Der erste der soeben genannten Umst~nde legte es nahe zu untersuchen, ob etwa der stark durchstrSmte Muskelauch kiinstliche Erregungen abnorm langsam und nur einseitig fortleitet, und diese Untersuehung ftihrte sofort auf einige bemerkenswerthe Thatsachen.

Vor Allem galt es zu constatiren, ob ktinstliche Reize tiber- haupt Einfluss auf das Wogen haben. Um zun~chst eine a l l ge - m e in e Reizung des Muskds vorzunehmen, eombinirte ieh einen Inductionsapparat mit ether eonstanten Kette in der bekannten zu- erst yon P f l t i ge r angegebenen Art; d. h. die secundi~'e Spirale wurde sammt dem Muskel in den einen Zweig der eonstanten Batterie (18 Zinkkohleelemente) aufgenommen, w~hrend der an- dere einen Widerstand yon 10000 Einheiten enthielt. Im Haupt- kreise der Batterie befand sich ein gewiihnIieher Schliissel, und

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616 L. H e r m a n n :

zwischen Muskel und Spirale ein Sehltissel als Nebenschliessung; im prim~iren Kreise des Inductions~pparats spielte der Wag n e r'sche Hammer. Man konnte also nach Belieben dureh die Muskeln den constanten Strom, die tetanisirenden Inductionsstrbme, oder beides zugleich gehen lassen. Sind beide Strtime, oder zum mindesten der Inductionsstrom, sehwaeh, so gestaltet sich der Versueh zu einem electrotonischen Superpositionsversueh, wie er frtiher yon mir augestellt worden istl). Hier abet handelt es sieh um etwas ganz Anderes; es soll entsehieden werden, ob InduetionsstrSme Einfluss auf das Wogen h a b e n . - Der Muskel ist entweder auf Kork fest- gesteekt, oder er ist freisehwebend und belastet in der S. 605 und 611 erw~ihnten Vorriehtung angebraeht.

Die ersten Versuehe naeh dem angegebenen Verfahren gaben ein sehr mannigfaehes und seheinbar regelloses gesultat. Zuweilen wurde krfiftiges Wogen dutch Hereinbreetlen der InduetionsstrSme aufgehoben, um naeh Absperrung derselben wiederzukehren; in anderen FNlen wurde umgekehrt das Wogen erst durch die In- duetionsreizung hervorgerufen oder verst~rkt.

Al!ein bald ergab sieh~ dass der Erfblg lediglieh davon ab- h~ingt, welehe Aenderung des meehanisehen Zustandes des Muskels die Induetionsreizung hervorbringt. Ist z. B. der Muskel frei be- weglieh und mlissig gespannt, und unter dem Einfluss eines eon- stanten Stromes in kraftigem Wogen begriffen, und wird er nun dureh d i e InduetionsstrSme plStzlieh zu sta.rker Verktirzung mit Runzelung g'ebraeht, so h(irt das Wogen, wie gewShnlieh in letzterem Zustande, auf. Abet noeh auf ganz andere Weise kSnnen die In- duetionsstrSme Wogen beseitigen. Ist der Muskel auf Kork fest- gesteekt, bei massiger Spannung, und wogt er dutch einen eon- stanten Strom ohne starke Dauereontraetion, so hSrt das Wogen dutch die inductive Reizunff a uf, sobald diese hinreiehende .Ver- kUrzung, also hier Spannung des Muskels hervorbringt. Umgekehrt Hervorrufung oder Verstiirkung des Wogens dureh die Induetions- strSme wird beobaehtet, wenn ein frei beweglieher und wegen starker Belastung nieht wogender Muskel dutch dieselben zu merk- lieher Verkfirzung gebraeht wird, wobei in tier Regel einzelne Partien sich in gentigendem Grade abspannen, um wogen zu kSnnen.

Bis hierher best~tigen also die Versuche nut unsre sehon

1) Dies Archly Band XXX. S. 1.

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Ueber das galvanisehe Wogen des Muskels. 617

frtiher angeNhrte Erkenntniss betr. die entscheidende Bedeutung der FaserkrUmmung fur das Wogen, und es muss zweifelhaft erscheinen, ob tiberhaupt Bin essentieller directer Einfluss der Reiz- strSme auf das Wogen existirt. Um danach zu suchen, mussten die InductionsstrSme so genommen werden, dass sic an sich keine Contraction machen, oder wenigstens ihr ttinzukommen zum con- stanten Strome die vorhandene Contraction nicht verst~rkt.

Am normalen Muskcl sieht man nun nnter diesen Umst~nden, d. h. mit schwachen InductionsstrSmen, Uberhaupt keine Einwirkung derselben auf das Wogen. Anscheinend gtinstiger sind die Ver- hNtnisse bei schon stark ersehSpften, oder durch Warme gescha- digten Muskeln (z. B. wenn man bei Lampenlicht zu arbeiten ge- zwungen ist). Solche Muskeln reagiren auf InductionsstrSme selbst bei grosser Intensitat derselben~ iiberhaupt nicht mehr mit Contrac- tion, wi~hrend starke constante StrSme noch Verktirzung and Wogen hervorbringen. Ist nun letzteres ziemlieh erloschen und li~sst man jetzt die an sich wirkungslosen starken InduetionsstrSme hereinbrechen, so sieht man h~tufig eine sehr deutliche Anfrischung des Wogens, welehe freilich nur kurze Zeit anhalt. Diese Beobaehtung gelingt freilich durehaus nicht jedesmal, aber ich habe sic doch so haufig und mit sieherer Aussehliessung einer indirecten, mechanischen Wirkung gemacht, dass ich as zum Mindesten als sehr wahrscheinlich bezeiehnen muss, dass allgemeine Reizung des Muskels das Wogen begtinstigt, Was beil~ufig gesagt ein weiteres sehlagendes Argument gegen die Herleitung der Erscheinung aus Electrotransfusion sein wtirde. Ftir die Erkl~trung des Wogens ist Ubrigens diese Thatsaehe, auch wenn sic vSllig sicher festgestellt ware, anscheinend nicht yon entseheidender Bedeutung, da sic vielleicht nur darauf zurUekzu-

ftihren ist, dass der an sich unwirksame Reiz der Inductionsstr~me die Erregbarkeit des Nuskels erhSht, und dadurch jede eigene Lei- stung desselben, welches aueh ihr specieller Ursprung sei, verstarkt.

Weir mehr muss es uns ftir die an die Spitze dieses Para- graphen gestellte Frage darauf ankommen, die Wirkung loca l b e s c h r ~ n k t e r Reize kennen zu lernen, und ich bediente mich aus naheliegenden GrUnden zunachst der m e e h a n i s c h e n Reizung. Ein geeigneter Muskel wird auf Kork massig ausgespannt, und Bin hinlanglieh starker Strom hindurchgeleitet, um Wogen hervor- zubringen. Man setzt die Darchleitung so lange fort, his das Wogen betrachtlich abgenommen oder selbst aufgehSrt hat. Nun wird,

No Pflfiger, Archly L Physiologie . Bd. XXXIX, 41

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ohne den Strom zu.(iffnen, ein meisselfSrmig zugeschuittenes Holz- st~tbehen mit seiuer (nicht seharfen) Schneide senkreeht zur Fase- rung an irgend einer Stelle auf den Muskel mit m~issiger Kraft aufgestossen. S o f o r t b e g i n n t an d i e s e r S t e l l e in den ge - t r o f f e n e n F a s e r n neues W o g e n , ode r noch v o r h a n d e n e s s e h w a e h e s W o g e n w i rd v e r s t a r k t , a b e r a u s n a h m s l o s nu t naeh der C a t h o d e him Das so hervorgerufene Wogen dauert nut kurze Zeit, und man kann den Versueh oft wiederholen, bis der Muskel ganz ersehSpft oder durch die vielen meehanisehen Insulte zu stark mitnommen ist. An den mechaniseh gereizten Stellen bildet sieh in der Regel (wenn nieht zu brtisk verfahren wird so dass der Muskel an der Reizstelle durehstossen wird) ein idio- muscnlarer Wulst. Am ergiebigsten ist, wie aus dem Gesagten hervorgeht, due meehanisehe Reizung an der Anode, and zwar in gauzer Breite des Muskels ; man kann sie oft dutch blosses Seit- wartsdrticken der anodisehen Befestigungsnadel hervorbringen. Un- wirksam in Bezug auf das Wogen ist nattirlieh mechanisehe Reizung an der Cathode. Der Versueh erfordert, was ieh nicht zu erwi~hnen unterlassen darf, an stark mitgenommenen Muskeln sehr genaue Beobachtung, da das dnreh den Reiz hervorgebrachte Wogen hier oft i~usserst minuti(is ist, in den Fasern nur eine kleine Strecke zurtick- legt, und naeh kurzer Zeit erlischt.

In einigen, iiuserst seltenen Fallen sah ieh bei dem angege- benen Versueh in seiner gewShnliehen Form, d. h. bei mechanischer Reizung an einer intrapolaren Stelle, eine Spur yon Wogen oder yon Verstarkung vorhandenen Wogens an Stellen der anodischen Strecke, meist an der Anode selbst, auftreten. Ieh habe mieh aber auf das Bestimmteste tiberzeugt, dass in solehen Fallen nur eine mit der mechanischen Reizung verbundene Zerrung anderer Stellen des befestigten Muskels die Ursaehe war.

~ieht bloss an solchen Muskeln, welche wegen Erseh(ipfung nicht wogen, sondern aueh an solchen, deren Wogen wegen starker Erschlaffung oder Dehnung nicht zu Stande kommt, gelingt es oft, durch mechanisehe Localreizung kurze Strecken, welche immer nach der Cathode zu liegen, in deutliehes Wogen zu versetzen.

Aueh e l e e t r i s e h e Loealreizung wirkt, wenn aueh weniger pri~gnant, in der angegebenen Weise. Legt man einem durehstriim- ten Muskel, dessert Wogen sehr sehwaeh geworden ist, oder eben aufgehSrt hat, an irgend einer Stelle zwei einander sehr nahe und

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mit einem tetanisirenden Induetionsapparat vel"bundene Drahtelectro- den an, und 1Esst die StrSme hereinbreehen, so sieht man meist eine Auffrischung des Wogens, und zwar stets nur yon der gereizten Stelle naeh der Cathode hin. Zuweilen wirkt sehon vor Zulassung der Str~me der meehanisehe Reiz des Anlegens in derselben Weise. Aueh hier zeigen sich h~ufig an der Reizstelle idiomuseul~re Wtilste.

Wir sehen also, dass jeder hinl~nglieh~starke locale Reiz an dem durehstrSmten Muskei die Erscheinung des Wogens in den getroffenen Fasern, nnd zwar yon der Reizstelle naeh der Cathode hin, auslSst. Diese Thatsaehe l~tsst sieh aueh so ausdrticken, dass der dureh sehr starke StrSme geseh~digte Muskel intrapolare Lo- calreizungen mit der Bildtlng eines idiomuseulEren Wulstes beant- wortet, weleher mit einer im Vergleieh zur normalen Erregungs- leitung ungemein geringen Geschwindigkeit als idiomuscul~rer Wulst nach der Cathode hin vorrtiekt, und dass der ganze Vorgang sich mehrere Male wiederholen kann.

6. Z u r Erk l~rung des ga lvan i schcn Wogens.

In dem soeben angeftihrten Erfahrungssatze liegt bereits ein Theil einer Erkl~trung des Ktihne'sehen Phfinomens ausgesprochen. Starke galvanisehe StrSme ver~ndern in der durehflossenen Streeke die haupts~tehlichsten physiologischen Eigenschaften des Muskels, n~mlieh die Art der Reaction auf Reize und das Fortpflanzungs- vermSgen. Dass StrSme, welche ungemein hoeh tiber dem Sehwel- lenwerth ftir gewShnliche Sehliessungs- und Oeffnungserregung liegen, und welche sichtbare und tSdtliche Ver~nderungen an den Zulei- tungsstellen hinterlassen, einen sehr abnormen Zustand des Muskels herbeifiihren, und ihn auch bleibend in der ganzen Streeke seh~- digen, darf nicht Wunder nehmen. Unter den F~higkeiten des Muskels wird aber dutch fast alle SchEdigungen in erster Linie das ErschlaffnngsvermSgcn und dan Leitungsverm~igen beeintriich- tigt~). Aus Verminderung des ersteren erkli~rt sich die b~eigung zu Verktirzungsrtiekstlinden jeden Grades~ zu Dauercontraction in ganzer Liinge und zu idiomuscul~tren Wtilsten, namentlich an den Reizstellen. Die Schiidigung den LeitungsvermSgens ftihrt wie immer so auch hier vor Allem zu'Verlangsamungen, welche in unserem Falle

1) Vgl. meine Allgemeine Muskelphysik in dem von mir herausgege- benen Handbuch der Physiologie Bd. I. I. S. 58.

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unerhSrte Grade erreiehen. Ausserdem aber sehen wir aueh die merk- wtirdige Ersebeinung der nur e i n s i n n i g e n Leitung. Vielleicht wird gerade diese Erscheinung eines Tages ftir unser Verst:Jndniss des phy- siologischen Leitungsvorganges bedeutungsvoll sein. Augenblieklich l~sst sich eine ErklEruug noch nicht aufstellen. Aber soviel scheint sehon jetzt aus derselben hervorzugehen, dass galvanisehe Vorgange es sind, welehe die Fortpflanzung der Erregung besorgen, worauf ieh sehon frtiher wiederholentlieh hingewiesen babe 1). Nur so wird es verst~ndlich, dass ein starker L~ngsstrom in den Meehanismus der Leitung entscheidend eingreifen, und die eine Riehtung dersel- ben unterdrtieken kann. Es w~re jedoeh verfrtiht, eine speeiellere Theorie zu versuehen.

Nehmen wir die besproehene Ver~ndernng in den Eigensehaften der durehflossenen Faserstrecke als gegeben an, so fehlt zur Er- kl~rung des Wogens nar noeh ein Moment, n~mlieh die Auffindung einer Ursaehe, warum abnormer Weise Erregungen, anstatt nur yon der Cathode, yon den versehiedensten Punkten der durehflos- senen Strecke, bis zur Anode bin, ausgehen und bestandig yon Neuem auftreten. Ieh glaube dieses Moment ganz einfach darin zu erkennen, dass die StrSmungslinien durchaus nieht streng geometriseh dem Faserverlaufe folgen, selbst wenn der Muskel ganz frei yon zuf~illigen Kriimmungen, Faltungen, Biegungen im Ganzen oder in einzelnen Fasern ist. Sind die Electroden punktf~rmig, so sieht man dies sogleich, wenn man die StrSmungslinien entwirft; abet aueh bei quer linearer Anlegung der Eleetroden kSnnten hSehstens die oberflaehliehste Faserlage streng longitudinal dnrch- strSmt werden. Eine solehe DurchstrSmung sKmmtlicber Fasern ist tiberhaupt nur denkbar bei einem genau parallelfasrigen und genau gradlinig ausgespannten Muskel, dessen Electrodenfl~ehen genaue Quersehnitte sind. Diese Bedingungen dtirften hie verwirk- lieht sein. Die Mehrzahl der Fasern wird demnaeh immer nieht bloss eine Anoden- und eine Cathodenstelle haben, welche den Elee- troden des Gesammmtmuskels entsprechen, sondern eine grSssere Anzahl yon Ein- und Austrittsstellen wegen sehrEgen oder queren Verlaufs der StrSmungslinien zu den einzelnen Stellen der Fasern, ganz besonders wo die letzteren zuf~llig gekrtimmt liegen.

1) Vgl. das angefiihrte Handbuch Bd. I. 1. S. 256 und Bd. II. 1. S, 193 if.,

ferner dies Arehiv Bd. XXXV. S. 5.

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W~hrend nun m~issige Strgme die Fasern nur an der eigent- lichen Cathode erregen, weil dig Dichte hier bei weitem am grSssten ist, werden starke StrSme auch jede zuFallige secund~re Cathoden- stelle zum Ausgangspunkt einer Erregung machen. Schon die nur an der Hauptcathode erregenden Stromstiirken machen, wenn sie etwas fiber der Schwelle liegen, an ersterer einen idiomusculiiren Wulst, wie man ganz deutlich sehen kann. Die starken Str~me machen nun solche Wiilste aueh an jeder seeund~tren Cathodenstelle, und nach dem eben Gesagten muss sich jede solche Localreizung in Gestalt eines Wulstes relativ langsam in der Richtung naeh der Cathode hin fortpflanzen. DiG Entstehung und Fortbewegung der Wtfiste macht neue Verfinderungen und neue Unregelmitssigkeiten im Ver- lauf der StrSmungslinien zur Faserung, und giebt so zu i m m e r neuen E r r e g u n g e n Anlass. So entsteht das merkwUrdige Wogen.

Diese Erkl~rung der Erscheinung scheint mir ungezwungen und vtillig ausreiehend; aueh beruht sie lediglich auf thatsfichlichen Grundlagen, deren eine freilich noch der theoretischen Erk]iirung harrt. .Es bleibt uns aber noch tibrig das Ausbleiben des Wogens in den oben besprochenen Fiillen mit unserem Erklfirungsprincip zu vereiiabaren. Am leichtcsten gelingt dies hinsichtlich d.es Aus- bleibens bei starker Streckung. Wir mussten es dahingestellt lassen, ob dieselbe einfach mechaniseh die kleinen Contractionen und Verdiekungen hindert, oder ob sie nur durch Gl~ttung aller zu- fKlligen Krtimmungen der Fasern wirkt. Ersteres w~re ohne Wei- teres plausibel, letzteres wtirde vortrefflich zn nnsrer Auffassung der Erscheinung passen, da ja die FaserkrUmmungen ganz beson- ders zur Entstehung secund~rer Cathodenstellen Anlass geben mUssen. Viel mehr Schwierigkeitcn macht das Ausbleiben des Wogens bei zickzaekfSrmiger Faserkrtimmung, aber aueh diese scheinen keineswegs uniiberwindlieh. Auf den ersten Blick wird man freilieh meinen, dieser Zustand des Muskels sei far die Bil- dung seeund~rer Cathodenstellen der denkbar gUnstigste. Zeichnet man sich aber eine zickzaekfSrmig gekrtimmte Nuskelfaser, und legt durch dieselbe longitudinale grade StrSmungslinien, betrachtet man ferner dig Ein- und Anstrittspunktc l~ings der Faser, so findet man, dass sich tiberall Anoden und Cathoden gegeniiberliegen, welehe sich gegenseitig in ihrer physiologischen Wirkung aufheben miissen; die Faser muss sieh also ungef~hr wie bei transversaler DurchstrSmung verhalten, welche bekanntli.ch als unwirksam anzu-

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sehen istl). Ausserdem k(innte tibrigens auch die Fortpflanzung der Erregung, da sie einmal nur yon Anode zu Cathode miiglich ist, bei dieser Art der Vertheilung der Electrodenstellen Schwierig- keiten finden, welche sich nicht iibersehen lassen.

Schliesslich mag noch erwiihnt werden, dass der Grund, warum das Wogen niemals die Cathode t|berschreitet, obgleich hier die Fortpfianzung anseheinend freie Bahn hi~tte, ganz offenbar in Leitungsunflihigkeit dieser Stelle liegt; man sieht ja ganz dent- lich, wie sie dureh den Strom tSdtlich verandert wird, und am Nerven ist die Leitungsunf~higkeit der Cathode bei starken StrSmen eine llingst bekannte Erscheinung.

Sollte ein kurzes ZnrUckwogen bei der Oeffnung, welches ich nieht mit Sieherheit constatiren konnte (vgl. oben S. 602), trotz- dem stattfinden, so wlire ftir dasselbe ohne Schwierigkeiten eine Erkl~rung aufstellbar, welche derjenigen des Sehiiessungswogens analog ist, und deren Hauptelcmente das Dasein seeundiirer Anoden, und der im Mnskel kurze Zeit vorhandene polarisatorisehe Gegen- strom sein wtirden. Es lohnt nicht, genauer hierauf einzugehen, da die erwiihnte Erscheinung mehr als zweifelhaft ist.

7. S c h l u s s b e m e r k u n g e n .

Fassen wir noch einmal kurz das Ergebniss vorstehender Arbeit zusammen, so haben wir in dem Ktihne'schen Phiinomen eine dureh kriiftige StrSme erzeugte abnorme intrapolare Erregungs- erscheinung erkannt, deren physiologisehe Natur sich vor Allem durch den m~ichtigen Einfluss der Temperatur documentirte. Das Wesen derselben liegt in multiplen Erregungen der Fasern, welehe durch secundiire Cathodenstellen entstehen, wegen Abweichung der StrSmnngslinien vom Faserverlauf, vielleicht haupts~chlich an zufgllig gekrtimmten Stellen. Diese Erregungen k(innen sich nut abnorm langsam und nur in der Richtung des Stromes fortpfianzen und haben die Natur idiomuseuliirer Wtilste. Auch ktinstliche Erregungen der durchflossenen Streeke zeigen diese Eigenschaften. Starke Strecknng verhindert die Erscheinung entweder dureh rein mechanische Widerstlinde, oder dutch Gllittung des Faserverlaufs,

1) Vgl. dies Arohiv Bd. XXI. S. 462.

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zickzaekfSrmige Faserkrtimmung wahrseheinlich dadureh, dass den secund~ren Cathoden tiberall secundiire Anoden gegentiberliegen.

Die Frage liegt nahe, ob nicht der ~ e r v eine entsprechende Erscheinung zeigt. Dieselbe wtirden wit nach der jetzt gewonnenen Erkenntniss nattirlich nicht mehr in einem s i c h t b a r e n Wogen zu suchen haben, yon welchem in der That Niehts nachgewiesen ist (vgl. oben S. 599), sondern vielmehr in Erregungswellen yon abnormer Sti~rke und Langsamkeit, welche in der Richtung des Stromes ablaufen mtissten. Dieselben wiirden nach Art aller ~Ter- venerregungen nieht sichtbar sein, sie wtirden aueh, da sie die durchfiossene Strecke nicht tiberschreiten ki~nnen, sich durch keine Wirkung auf einen Endapparat~ etwa den Muskel, zu erkennen geben kiinnen. Ihre einzige nachweisbare Wirkung wUrde in Actionsstr~imen bestehen, deren Constatirung aber, soweit man voraussehen kann, schon an dem starken Bestandstrome scheitern mtisste. Mir scheint es freilieh, aus Griinden~ welche hier uner- wiihnt bleiben kiJnnen, nicht wahrscheinlich, dass der ~qerv tiber- haupt zur Hervorbringung der Erscheinung so geeignet ist wie der Muskel. ~ieht ganz hoffnungslos dagegen erscheint die Un- tersuchung, ob im ~erven starke Stri~me die intrapolare Leitung im Sinne des Stromes vergleichsweise begtinstigen, obwohl mir dies 7 ebenfalls aus hier nicht zu entwiekelndem Grunde, yon vorn- herein nicht grade wahrscheinlich ist.

Ieh schliesse mit der Bemerkung, dass die meisten der in dieser Arbeit mitgetheilten Versuche an fi'isch eingefangenenHerbst- fr(ischen angestellt sind.