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230 Deville u, Wohler, Giber die Affinitat Ueber die Affinitat zwischen Stickstoff und Titan ; yon H. Sainte-Claire Deaille und F. Wohler. Durch die folgenden Beobachtungen glauben wir bewei- sen zu konnen, dafs zwischen Slickstoff und Titan eine un- erwartet grofse Affinitat besteht , dab sich dieses Metall, wenigstens im Trennungszustande, unmittelbar mit dem Stick- gas der atmospharischen Luft zu verbinden vermag , dafs nichts schwieriger ist als die Darstellung eines ganz stick- stoll'freien Titans, und dak alle die Korper mit kupferrother oder messinggelber Farbe, die bei den friiheren Reductions- versuchen von B e r t h i e r und andern erhalten und als metalli- sches Titan bezeichnet wurden, in der That aus Stickstoiftitan bestehen. Wie von den beiden Elementen der Luft der Sauerstoff dasjenige ist, welches sich am kriiftigsten der Er- haltung vieler Grundstoffe in ihrem Elementarzustande wider- setzt, so ist es fur das Titan bei lioher Temperatur der Stick- stoff. Wahrend die mit Kohle ausgekleideten gewohnlichen Schmelzgefarse bei hoher Temperatiir fur den Sauerstoff der Ofenluft als solchen undurchdringlich sind , werden sie mit Leichtigkeit von dem Stickgas durchdrungen , das von dem Titan aufgenommen wird, wenn es im Tiegel mit einem gliihenden Gemenge von Titansaure und Bohle in Beruhrung kommt. Die Affinittit zwischen beiden Korpern ist so grofs, dafs, wenn man nach dem Verfahren von Berzelius in einem nur lose bedeckten Porcellantiegel Titan durch Erhitzen von Fluorlitankaliurn mit Natrium reducirt, man in dem so erhaltenen wirklich metallischen Titan fast stets kupferfarbene Blattchen bemerkt, die, wie man sich leicht uberzeupen kann, Stickstofftitan sind. Diese Beobachtung , die wir bei Ver- suchen, die Eigenschaften des Titans im compacten Zustande kennen zu lernen, zurallig machten, war es, welche die fol-

Ueber die Affinität zwischen Stickstoff und Titan

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230 D e v i l l e u, W o h l e r , Giber die Affinitat

Ueber die Affinitat zwischen Stickstoff und Titan ; yon H . Sainte-Claire Deaille und F. Wohler.

Durch die folgenden Beobachtungen glauben wir bewei- sen zu konnen, dafs zwischen Slickstoff und Titan eine un- erwartet grofse Affinitat besteht , d a b sich dieses Metall, wenigstens im Trennungszustande, unmittelbar mit dem Stick- gas der atmospharischen Luft zu verbinden vermag , dafs nichts schwieriger ist als die Darstellung eines ganz stick- stoll'freien Titans, und dak alle die Korper mit kupferrother oder messinggelber Farbe, die bei den friiheren Reductions- versuchen von B e r t h i e r und andern erhalten und als metalli- sches Titan bezeichnet wurden, in der That aus Stickstoiftitan bestehen. Wie von den beiden Elementen der Luft der Sauerstoff dasjenige ist, welches sich am kriiftigsten der Er- haltung vieler Grundstoffe in ihrem Elementarzustande wider- setzt, so ist es fur das Titan bei lioher Temperatur der Stick- stoff. Wahrend die mit Kohle ausgekleideten gewohnlichen Schmelzgefarse bei hoher Temperatiir fur den Sauerstoff der Ofenluft als solchen undurchdringlich sind , werden sie mit Leichtigkeit von dem Stickgas durchdrungen , das von dem Titan aufgenommen wird, wenn es im Tiegel mit einem gliihenden Gemenge von Titansaure und Bohle in Beruhrung kommt. Die Affinittit zwischen beiden Korpern ist so grofs, dafs, wenn man nach dem Verfahren von B e r z e l i u s in einem nur lose bedeckten Porcellantiegel Titan durch Erhitzen von Fluorlitankaliurn mit Natrium reducirt, man in dem so erhaltenen wirklich metallischen Titan fast stets kupferfarbene Blattchen bemerkt, die, wie man sich leicht uberzeupen kann, Stickstofftitan sind. Diese Beobachtung , die wir bei Ver- suchen, d i e Eigenschaften des Titans im compacten Zustande kennen zu lernen, zurallig machten, war es, welche die fol-

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genden Versiiche veranlafste. Zuvor wollen wir daran er- innern, dafs das reine Titan , wie es zuerst von B e r z e l i u s erhalten und spater von dem einen yon uns naher beschrie- ben wurde *), ein dunkelgraues Pulver ist, ahnlich dem durch Wasserstoffgas reducirten Eisen, dafs es beim Erhitzen an der Luft mit der glanzendsten Feuererscheinung verbrennt, und dafs es von Chlorwasserstoffsaure unter lebhafter Was- serstoffgasentwickelung leicht zu Chloriir aufgelost wird , aus welcher farblosen Losung Ammoniak schwarzes Oxydulhydral fallt. In diesem reinen Zustande kann man das Titan rnit Sicherheit nur erhalten, wenn man in ein euvor rnit Wasser- stoffgas gefiilltes Rohr von Porcellan oder bohmischem Glas zwei Schiffchen einbringt , das eine gefiillt mit Fluortitan- kalium, das vordere mit Natrium , und dieses allmalig zum Gliihen erhitzt, wahrend man einen Strom von getrocknetem und vollig luftfreiem Wasserstoffgas durch das Rohr gehen lafst, so d a b das Natrium dampfformig zu dem Titansalz ge- fuhrt wird. Nach dem Erkalten wird die Masse rnit vielem warmem Wasser behandelt.

Der erste Versuch, den mir vornahmen, war folgender : Wir machten ein inniges Gernenge von 51 Grm. Titansaure und 9 Grm. Kohle, riamlich in dem Verhaltnirs, worin sie unter Bindung von Stickstoff die Substanz der Hochofenwiirfel, TiC2W + 3 Ti% bilden konnten. Mit diesem Gemenge wurde ein Kohlenschiffchen gefiillt und dieses in ein aus- wendig vor dern Verbrennen geschutztes Rohr von dichter Kohle gestellt, welches vermittelst des Geblases bis zu der Temperatur, bei der Platin flussig wird, erhitzt wurde, wah- rend man einen Strom von Stickgas, entwickelt aus salpetrig- saurem Ammoniak und wohl gewaschen und getrocknet, hin- durchgehen lids. So wie jene Temperatur erreicht war

*) Diese Annalen LXXIII, 48.

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und das Gas im raschen Strom hindurchging, war deutlich zu bemerken, dafs das Schiffchen weilsgliihender, leuchtender wurde, als das umgebende Rohr. Zugleich wurde das Stick- gas, so rasch sein Strom in dieser Periode sein mochte, so vollstlndig absorbirt, dafs an dem anderen Ende nur Kohlen- oxydgas aus dem Rohr trat, leicht entaundbar und von selbst fortbrennend , zum Beweise, dafs es kein anderes Gas beige- mengt enthielt. Als seine Bildung aufhorte, wurde der Apparat unter fortwiihrendem Hindurchstromen yon Stickgas erkalten gelassen.

Der Inhalt des Schiffchens war in eine krystallinische, metallglanzende, theils kupferfarbene, theils lebhaft messinggelbe Substanz verwandelt. In Salzsaure war sie unloslich. Mit Kalihydrat in einem mit einer Gasrohre versehenen Rohr ge- schmolzen, entwickelte sie so vie1 Ammoniak, dafs das Wasser, in welches das Gasrohr mundete, alkalisch und stark riechend wurde. In Chlorgas erhitzt verbrannte sie zu liquidem Titan- chlorid , unter gleichzeitiger Bildung der gelben fliich tigen Krystalle von Cyantitanchlorid *I, erkennbar an dem heftigen Geruch des Cyanchlorids, den sie in Beriihrung mit Wasser entwickelten.

Hieraus geht unzweifelhaft hervor, dars in diesem Falle die Substanz der Hochofenwurfel gebildet worden ist , dafs diese in den Hochofen auf gleiche Weise aus dem Stickgas der Geblaseluft entstehen konnen **), d a b also der Stickstoff, selbst als freies Gas, zu dem Titan eine so grofse Affinitat hat, dab er sich rnit ihm, wenigstens wenn er es bei sehr

") A. a. 0. S. 35 u. 219. **) Der eine von uns hat indessen bewiesen, dab bier ihrer Entstehung

aueh die Bildung von Cyankalium vorausgehe, dafs man sie jeden- falls durch heftiges Gliihen yon Tiiansaure mit Cyanlralium hervor- bringen kann. A. a. 0. S. 41.

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hoher Teniperatur im Entstehungszustande trim, unter Feuer- erscheinung vereinigt.

Als wir das so erhaltene metallglanzende Product in einem Kohlentiegel, der in einem Kalktiegel stand, eine Viertelstunde lang einer Temperatur ausgesetzt hatten, die noch iiber dem Schmelzpunkt des Platins liegt, namlich einer Temperatur, bei der Rhodium flussig wird, fanden wir das Volumen der Masse , die nicht geschmolzen wary bedeutend vermindert, diese aber mit treppenformig iiber einander ge- hauften kleinen octaedrischen Krystallen bedeckt , - eine Bestatigung der zuerst von Z i n k e n und spater auch von dem einen von uns gemachten Beobachtung"), dah die Hoch- ofenwiirfel in sehr hoher Temperatur fluchtig sind und dak sie sich wahrscheinlich durch Sublimation gebildet haben. Auch ist zu erwahnen, dafs bei dem obigen Versuch die Flamme im Innern des Ofens leuchtend war, ohne Zweifei von dem verfluchtigten Titan.

Um die vermuthete Durchdringlichkeit der Kohlentiegel fiir das Stickgas der Ofenluft zu bestltigen, setzten wir ein Gemcnge von 25,5 Grm. Titansaure und 4,5 Grm. Kohle, also im VerhaltniB zur Bildung der Titanwurfel, in einem verschlossenen Kohlentiegel 3 Stunden lang in einem Wind- ofen einer Temperatur aus, hei der Nickel vollkommen flussig wird. Das Product war eine ungeschmolzene, schwach zu- sammengesinterte braunlichgelbe Masse die schon unter der Lupe im Sonnenschein und noch deutlicher unter dem Mikroscop vollkommen metallisch broncefarben erschien. Un- gefahr 1 Grm. davon mit Kalihydrat geschmolzen bildete so vie1 Ammoniak , dafs damit eine Menge sublimirter Salmiak

*) A. a. 0. S. 42.

Annnl. d. Chem. u. Pharm. CIII. Bd. 2. Heft. 16

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und aus diesem Platindoppelsalz dargestellt werden konnte, - gewifs ein merkwiirdiger Weg der Verwandelbarkeit des Stickgasps der Luft in Amnioniak.

In trockenem Chlorgas erhitzt entzundete sich diese Sub- stanz und verglimmte unter Bildung von liquidem Titanchlorid und deutlichen Spuren der Krystalle von Cyantitanchlorid. Indessen blieb *noch etwas unveranderte Titansaure zuruck.

Der dritte Versuch, den wir vornahmen, war folgender. In ein vorher mit Stickgas gefulltes Dohmisches Glasrohr wurden zwei Porcellanschiffchen gestellt , das vordere mit Natrium , das andere mit Fluortitankalium gefullt und das Rohr bis zum vollen Gliihen erhitzt, wahrend ein Strom von getrocknetem Stickgas hindurchgeleitet wurde , bereitet ver- mittelst Phosphor aus atmospharischer Luft. Nachdem alles Natrium aus dem Schiffchen verfluchtigt war, wurde das Rohr erkalten gelassen, wahrend noch ein schwacher Strom voti Stickgas hindurchging. Das Salz war in eine dunkel- broncefarbene Masse verwandelt , die mit Salzsaure, womit sie anfangs schwach Wasserstoffgas entwickelte , ausgekocht wurde. Das Product war ein dunkelbraunes, in der Sonne metallisch schimmerndes Pulver , das unter dem Mikroscop aus lebhaft metallglanzenden, messinggelben Bliittchen und Prismen bestehend erschien. Mit Kalihydrat geschmolzen bildete es eine Menge Ammoniak.

Als wir in einem Porcellanrohre auf einem Schiffchen Aluminium his zum Schmelzen erhitzten, und einen Strom von Wasserstoffgas, der durch erwarmtes Titanchlorid gegan- gen war, also ein Gemenge von Wasserstoffgas und Titan- chloridgas daruber leiteten , bildete sich vie1 violettes Titan- chlorur und Aluminiumchlorid, und das Aluminium verwandelte sich in eine dunkle aufgequollene Masse, die von Salzsaure unter starker Wasserstofligasentwickelung nnd mit purpnr-

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rother Farbe aufgelost wurde, unter Abscheidung eines me- tallischen , broncefarbenen Pulvers , das von der Saure nicht weiter angegriffcn wurde und das rnit Kalihydrat geschinol- Zen eine Menge Arnrnoniak entwickelte. Wir haben diese Beobachtung zweirnal zufallig gemacht , bei Versuchen , die wir in anderer Absicht anstelllen. Sie giebt einen weiteren Beweis von der grofsen Affinitat zwischen Stickstoff und Titan, denn wir konnen in diesern Falle die Bildung des Stickstofftitans nur aus der zufalligen Gegenwart von Stick- gas in dern Apparat erklaren, herriihrend zurn Theil wenig- stens von Luft, die bei der Wasserstoffentwickelung mit eingegossen wurde.

G!eichwie bei der Reduction mil Natrium sich Stickstoff- titan bildet, wenn die Luft Zutritt hat, so ist dieses auch bei Anwendung yon Alurniniuni der Fall. Als wir Aluminium rnit Fluortitankalium und einem Gernenge von Chlorkalium und Chlornatriurn zusarnrnenschrnolzen, bekameri wir einzelne, nicht vereinigtc graue Metallrnassen, in denen schon mit blofsen Augen kupferrothe , sehr krystallisirte Partikel von Stick- stofftitan zu bernerken waren. Sie blieben bei der Auflosung des Aluminiurns in Salzsaure zuriick und entwickelten , mit Kalihydrat geschmolzen, Ammoniak.

Titansaure, auf einem Porcellanschiffchen in einern Flin- tenrohr bis zum starken Gliiheri in einem Gemenge von Was- serstoffgas und Stickgas erhitzt, wurde grauschwarz , enthielt aber dann keinen Stickstoff.