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Acta Medica Scandinavica. Vol. CIII, fasc. 1-11, 1940. (Aus tler innwen lilinik zu Jonkoping, Schweden.) 0 ber die hormonale Regulation des Haarwuchses von ESKIL KYLIN. Itei tler Hedaktioti :ini X. November 1939 eiiigegaiigeii. Wie wir alle wissen, habcn uns die Forschungen der letzten Jahrzchnte immer wieder gelchrt, dass die verschietlenen Organe und Organfunktionen des hfcnschlichcn Korpers unter hormonalen Gesetzen stehen. Solchc hormonalr Regulationen sind in allcm moglichen Gebiete wirksam, und zwar hesonders, wenn cs tlen Stoffwechscl gilt. Unter diesen Verhaltnissen kann cs nicht wun- dernehmen, dass man in dcr letzten Zeit angefangen hat, aucli narh cincm hormonalen Regulationsmcc.hanismus fur den Haarwuchs zu suchen. lhss dic Bildung und dab Waclistum des Haares hormonal regu- liert wird, scheint schon von vornherein wahrscheinlich. Wir wissen dass ein gewisser Haarwuchs offenbar mil inkretorischen Verhalt- nissen in Zusammenhang steht. Ich meine hier den Haarwuchs, der beim Menschen einen ’I’d tler sekundaren Gesctileclitscharakterc ausmacht. Heim Kastraten kommt dieser Haarwuchs nicht zu- st andc. Aber auch rein klinisch ist die Annahme berechtigt, dass das Wachstum des Haares endokrin reguliert wird. Man durfte auch schon jetzt mit Bestimrntheit sagen konnen, dass die Hypophyse bei dieser Regulierung einc* wichtige Ausgabe besitzt. Hei dieser Annahmc stiitzc ich mich auf viele Grunde. Fur mich war hier eine klinischc Heobachtung wegleitend. Ich fand bei vielen Fallen der spatpuberliiren Magersucht einer Krankheit, die init dcr Erkrankung der hypophyse susammenhangt, dass cine

Über die hormonale Regulation des Haarwuchses

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Page 1: Über die hormonale Regulation des Haarwuchses

Acta Medica Scandinavica. Vol. CIII, fasc. 1-11, 1940.

(Aus tler innwen lilinik zu Jonkoping, Schweden.)

0 ber die hormonale Regulation des Haarwuchses von

ESKIL KYLIN.

Itei tler Hedaktioti :ini X. November 1939 eiiigegaiigeii.

Wie wir alle wissen, habcn uns die Forschungen der letzten Jahrzchnte immer wieder gelchrt, dass die verschietlenen Organe und Organfunktionen des hfcnschlichcn Korpers unter hormonalen Gesetzen stehen. Solchc hormonalr Regulationen sind in allcm moglichen Gebiete wirksam, und zwar hesonders, wenn c s tlen Stoffwechscl gilt. Unter diesen Verhaltnissen kann cs nicht wun- dernehmen, dass man i n dcr letzten Zeit angefangen hat, aucli narh cincm hormonalen Regulationsmcc.hanismus fur den Haarwuchs zu suchen.

l h s s dic Bildung und dab Waclistum des Haares hormonal regu- liert wird, scheint schon von vornherein wahrscheinlich. Wir wissen dass ein gewisser Haarwuchs offenbar mil inkretorischen Verhalt- nissen in Zusammenhang steht. Ich meine hier den Haarwuchs, der beim Menschen einen ’I’d tler sekundaren Gesctileclitscharakterc ausmacht. Heim Kastraten kommt dieser Haarwuchs nicht zu- st andc.

Aber auch rein klinisch ist die Annahme berechtigt, dass das Wachstum des Haares endokrin reguliert wird. Man durfte auch schon jetzt mit Bestimrntheit sagen konnen, dass die Hypophyse bei dieser Regulierung einc* wichtige Ausgabe besitzt.

Hei dieser Annahmc stiitzc ich mich auf viele Grunde. F u r mich war hier eine klinischc Heobachtung wegleitend. Ich fand bei vielen Fallen der spatpuberliiren Magersucht einer Krankheit, die init dcr Erkrankung der hypophyse susammenhangt, dass cine

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Abb. 1. Abb. 2.

abnorme Behaarung entstand, und zwar als Lanugobeharrriing an den Wangen, am Nacken irnd an den Exlremituten. Gleichzeitig wurtle die normale 13ehaarung am Kopf, in den Achselhohlen und an der Pubesregion abnorm trockcn und fie1 aus. Nach ciner Hypophysentransplantation fielen die ahnormen Lanugohaarc wieder aus; die normale Behaarung dagegen nahm zu und wurde normal, Id1 zeige hier ein Bild, das d i e m Verhalten illustriert.

Auf der Ahl). 1 sieht man, wie schlccht ausgebildet die Puhes- brhaarung vie auch die Behaarung des Kopfes ist. Ahb. 2 zeigt das- sc.ll)c Madchen 11/2 .Jahre nach einer Hypophysentransplantation, mit sehr schon ausgebildeter Behaarung. Hier hatte es sich um einen 10 - A d a med. seandinau. Vol. C I I I .

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sehr scliweren Fall von ciner seit 5-6 Jahrm? bestehenden spat- pubertaren Magersucht gehandelt. Sie wog bei der Aufnahnie vor der Transplantation nur 29 Kg. Der Grundumsatz war - 46. Rlutdruck: 70-80 Blutzucker: 64-76. An den oben erwahntcn Lokalisationen fand sicli sehr ausgesprochene Lanugobehaarung.

Bemerkenswert ist, dass ich in einem Fall mit Diabetes insipi- dus ebensolche abnorme Lanugobehaarung sah.

Auch andere klinische Feststellungen zeigen uns, dass die Hypophyse fur den Haarwuchs bedeutungsvoll ist. Bei den baso- philen Adenomen finden wir, wie bekannt, beinahe immer eine abnorme Behaarung. Bei der Simmondschen Krankheit sind die Haake diinn, trocken und fallen aus.

Beim Studien des hormonalen Regulationsmechanismus fur verschiedene Funktionen des menschlichen Korpers war es bcson- ders wertvoll, die physiologische Pathologi der betreffenden Funk- tion zu studieren. Wenn es galt, den Mechanismus des Kohlenhydrat- stoffwechsels zu studieren, war es besonders erfolgreich, die spezi- fische Krankheit diese Mechanismus, die Zuckerkrankheit, zu stu- dieren. Die Zuckerkrankheit ist ja die spezielle FKrankheit, wo dieser Hegulationsmechanismus versagt. Wenn es galt, den Wasser-Salz- Stoffwechsel zu studieren, war das Studium der Diabetes-insipidus Krankheit von ahnlicher Bedeutung.

Wollen wir die hormonale Regulation des Haarwuchses studie- ren, so ware es meiner Meinung nach wichtig, eine Krankheit z ~ i finden, bei welcher der Mechanismus der Haarregulation versagt, und zwar in gleichem Mass wie derjenige der Kohlenhydratregula- lion bei den schwersten Fornien von Zuckerkrankheit. Wenn wir cine solche Krankheit finden, so miissen wir sic zuerst klinisch studicrcn, urn die ganze Symp tomatologie festzustellen.

Eine solche Krmikheit is/ die Alopecia totalis. Bei ihr ver- sagt der ganze Regulationsmechanismus des Haarwuclises und zwar so, dam alle Haarc ausfallen, nicht nur alle Haare auf dem Kopf sondern auch alle Haare auf dem ganzen Korper. Es fallen alle Pubes- und Axillarhaare aus sowie auch alle kleinen diffus auf tlcni Kiirper wachsendcn Haare.

1)iese Krankheit ist iriiher recht unvollstandig erforscht gewcsen. Bei meinen Studien uber sie habe ich indessen feststcllen kiinncn, dass die Krankheit nicht nur den Haarwuchs trifft, sondern auch

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andere ektodermale Gebilde wie die Haut und die Nagel. Die Haut ist durch eine Pigmentarmut charakterisiert, die in viclen Fallen so weit geht, dass man iiber Albinismus sprechen kann. Aus- serdem ist die Haut imbibiert, geschwollen. Sie ist nicht im gewohn- lichen Sinne des Wortes odematos. Fingereindriicke sind nicht her- vorzurufen. Sie ist auch nicht myxodematos. Sie ist ungefahr auf dieselhe Weise imbibiert, wie man es bei graviden Frauen in den letzten Monaten sieht. Die Nagel sind briichig, uneben und oft deutlich deformiert.

In ungc- fahr 50 yo meiner eigenen Faille gaben die Patienten an, dass die Krankheit auch unter den naheren Anverwandten vorkam. In gewissen Stammbaumen fand man die Krankheit wiederholte Male; so in den beiden, die ich hier epidiagrammatisch schildere.

Die Krankheit zeigt eine ausgesprochene Heriditat.

I 2) d I Q-&3&&&&7&(7=$-(7jJ 9-,9-'3 I------- * *I

d+Q Q-fd

Abb. 3. Abb. 4.

Die allgemeine Natur dieser Krankheit, wie auch ihre dcutliche Hereditat macht die Annahme berechtigt, dass die Krankhcit endo- krinen Ursprungs ist.

Diese Annahme wird durch folgende Erfahrung erhartet, die sich wohl nicht an einem unserer gewohnlichen Laboratoriumstiere, son- dern gelegentlich gewisser thcrapeutischer Massnahmen beim Menschen ergab. Dadurch wird die Bedeutung der gewonnenen Erfahrung jedoch nicht geringer, sondern im Gegenteil grosser als die cines Tierexperimentes.

Es handeltc sich hier um eine 25-jahrige junge Dame, die einc recht eigentumliche Anomalie des Haarwuchses zeigte. Von Kintl- lieit an hatte sie keine normalen Haare auf dem Kopf sondern nur ungefahr 10 cni lange Lanugohaare, die wie Wolle aussahen. Sic

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waren von weisser Farbe, vollslandig unpignientiert. A~icli dicb Pubes- und Axillarhaare waren vom selben Aussehen. Die Haut auf dem ganzrn Korper war hleich, unpigmentiert und ausserdem leicht sukkulent ungefahr wie man es bei graviden Frauen in den letzten Monaten oft findet. I )ie Nagrl waren hochgradig deformeirt. Siche Abb. 5 und 6.

Abb. 5. Abb. 6.

Im Nov. 1938 wurde bci der Patientcn rinr Idypophyscntrans- plantation vorgenommen, wohei 2 Kalbshypophysen implantiert wurden. Die Patienten giht nun an, (lass ungefahr 3 Wochcri spater auf deni ganzen KBrper kleine stecknadelgrosse Erhebungrn an der Maut auftraten LJngefahr cine Woche spater kam cin wenig Felt aus diesen Erhebungen und noch ein paar Wochcn spatcr wuchsen kleine Haare aus der Spitze dieser Erhebungen hervor. Gleichzeitig begannen die wolligen Haare am Kopf auszufallen. Anstatt dicser wolligeri Lanugohaarc wurlisen dickere, dunklc normale haare auf dem Kopf.

Die Patientin besuchte micli ungefahr 5 Monatc nach der Transplantation. Sie war nun vollstanctig verandert. Die IIaut war nicht mehr sukkuknt sondern sah normal aus und war audi normal pigmenticrt geworden. Am Kopf Sah man cine grosse Menge bis 20 ern langr, dunkle normale Haarc. Die Lanugohaarc waren zum grossten Teil verschwunden.

Aus diesem Versuch, drr einem reinen Tierexperiment gleich gestellt wcrden kann, ja einem solchcn sogar deutlich uberlegen ist, geht hervor, class die Implantation von Hypophysengewebc cinrn normalen Haarwuchs hrrvorzurufcn im standc ist.

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Nun konnte vielleicht jemand einwenden, es sei ein Zufall gewesen, dass die Haare nach der Hypophysentransplantation zu wachsen hegannen. Dagegen ist erstens zu sagen, dass die Patien- tin, die 25 Jahre alt war, friihcr niemals normale Behaarung gehabt hatte. Zweitens kann ich gegen diesen Einwand hervorheben, dass ich in vielen Fallen von Alopecia-totalis nach Hypophysentrans- plantation deutliches Haarwachstum gcfunden habe.

Mein Material von Alopecia-totalis-Fallen, die ich mit Hypo- physentransplantation behandelt habe, belauft sich heute auf 64 Falle. Bei 12 von diesen wurde die Transplantation erst vor so kurzer Zeit vorgenommen, dass man noch keine Resultate erwarten kann. In drei Fallen habe ich keine Antwort auf meine Anfragen bekommen. Es sind also noch 49 Falle die beriicksichtigt werden konnen. In 40 Fallen habe ich die Nachricht erhalten, dass das Haar wieder gewachsen ist. Bei 9 Fallen war das Resultat negativ.

Die meistcn von diesen Fallen sind erst vor recht kurzer Zeit operiert worden. Nur in 10 Fallen liegt die Operation mehr als ein Jahr zuriick. Es ist darum wohl nicht zu erwarten, dass die Pat. im allgemeinen cine vollstandig normale Behaarung bekommen haben. Es dauert ja recht lange, bevor das Haar bis zur normalen Lange hervorwachst. Man kann darum heute noch nicht beurteilen, ob diese Behandlung in Zukunft derartigen Patienten wirklich volle Hilfe bringen kann. Rein thcoretisch scheint es mir jedoch sehr in- tressant, dass nach einer Hypophysentransplantation ein deutliches Haarwaehstum eintritt und zwar so oft, in ungefahr 80 yo der behan del ten Falle.

Welch schonen Erfolg man in gewissen Fallen erhalten kann, geht indessen aus einem Fallen hervor, der Bilder beigefiigt sind.

Abb. 7 ist vor der Transplantation. Abb. 8 11/2 Jahre nach der Transplantation genommen.

Remerkenswert ist, dass die Transplantation in 9 Fallen kein Erf olgt gab.

Wcnn man Krankhcitcn, die auf inkretorischen Storungen be- ruhen, mit Hormonen behandelt, findet man unter den Fallen solche, die vollstandig oder teilweise gegen das Hormon resistent sind. So verhalt es sich auch bei Insulinbehandlung von Fallen niit Diabetes-mellitus, und von Diabetes-insipidus-Fallen bei Behandlung mit Adiuretin.

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Abb. 7. Abb. 8.

Was den Diabetes-mellitus betrifft, hegen wir jetzt die Ansicht, dass solchc insulinresistente Faille nicht pankreatogener Natur sind. Man glaubt, dass die Ursache der Krankheit bei den insulin- resistenten Iliabetikerfallen in einer Ubersekretion des kontrainsu- laren Hypophysenhormons zu suchen ist. Man weiss ja nunmehr, dass die Regulation des Kohlenhydratumsatzes durch zwei ver-

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schiedene Hormone (oder Hormongruppen) zustandekommt, einer- seits das blutzuckersenkende Insulin und anderseits das blutzucker- steigende Hypophysenhormon (dazu kommt auch das Adrenalin. das gleichfalls das Hlutzucker erhoht.)

Die Tatsache, dass die Hypophysentransplantation in ungefahr 20 so drr Falle von Alopecia-totalis kein Haanvachstum herbei- fiihrt, kann fur die Annahme sprechen, dass der Haarwuchs wie die Blutzuckerregulation durch zwei verschiedene Hormone reguliert w id , und dass in diesen 20 yo der Falle die Ursache der Krankheit in irgendeinem anderen Grund zu suchen ist.

Es gibt schon jetzt einige bekannte Tatsachen, die fur die Annahme sprechen konnen, dass andere iukretorische Drusen als die Hypophyse Bedeutung fur den Haarwuchs besitzen. Besonders bedeutungsvoll ist die Tatsache, dass bei den bekannten Fallen von Hirsutismus oft Nebennierenrindentumoren angetroffen wor- den sind. Dies kann fur die Annahme sprechen, dass die Neben- nieren fur den Haarwuchs bedeutungsvoll sind. Auch die Sexual- driisen scheinen Einfluss auf den Haarwuchs zu besitzen.