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Uber die Konstitution des Quecksilber(l1)-hydrazinochlorids Von KLAUS BRODERSEN &lit 4 Abbildungen Irihaltsiibersicht Quecksilber(I1)-hydrazinochlorid, (N,H,Hg2)CI,, wurde erstmalig rein dargestellt. Die Verbindung kristallisiert rhom bis ch mit den Gitterkonstanten a = 8,15 b = 6,75 c = 10,55 A und 4 Formeleinheiten pro Zelle. Die wahrscheinliche Raumgruppe ist Dt\. Es wird ein Strukturvorschlag abgeleitet, in dem Quecksilber- und Stickstoffatome ein zwei- dimensionales (N,H,Hg2),-Netzwerk init vierbindigem Stickstoff bilden. In allen bisher rontgenographisch untersuchten Quecksilber( 11)- Stickstoff-Verbindungen wie den schmelzbaren Prazipitaten 1) 2), Hg (NH3),X,, den unschmelzbaren Prazipitaten,) 4, 5, 6), HgNH,X, dem Quecksilber(I1)-imidobromid’), Hg,NHBr,, der MILLoNschen Base und deren Salzens) 9, lo), Hg,NX, bilden sich zwischen Quecksilber- und Stickstoffatomen kovalente Bindungen aus. Das Stickstoffatom liegt vierbindig vor und ist durch tetraedrisch gerichtete sp3-Bindungen mit den Quecksilber- bzw. Wasserstoffatomen verknupft. Quecksilber nimmt somit dem Stickstoff gegenuber eine gewisse Sonderstellung unter den 1) C. H. MAC GILLAVRY u. J. M. BIJVOET, Z. Kristallogr., Mineralog. Petrogr., Abt. A 2, W. RUDORFF u. K. BRODERSEN, Z. anorg. allg. Chem. 270, 145 (19.52). 3) W. N. LIPSCOMB, Acta crystallogr. [London] 4, 266 (1951). *) L. NIJSSENu. W. N. LIPSCOMB, Acta crystallogr. [Copenhagen] 6, 604 (1952). j) K. BRODERSEN u. W. RUDORFF, Z. anorg. allg. Chem. 275, 141 (1954). ‘j) C. M. DEELEY u. R. E. RICHARDS, J. chem. SOC. [London] 1954, 3697. 7) K. BRODERSEN u. W. RUDORFF, Z. Naturforschg. 9b, 164 (1954); K. BRODERSEN, 8) S. D. ARORA, W. N. LIPSCOMB u. NI. C. SNEED, J. Amer. chem. SOC. 73, 1015 9) W. N. LIPSCOMB, Acta crgstallogr. [London] 4, 156 (1951). lo) W. RUDORFB u. K. BRODERSEN, Z. anorg. allg. Chem. 274, 323 (1953). - __ 94, 240 (1936). Acta crystallogr. [Copenhagen] 8, 723 (1955). (1951).

Über die Konstitution des Quecksilber(II)-hydrazinochlorids

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Page 1: Über die Konstitution des Quecksilber(II)-hydrazinochlorids

Uber die Konstitution des Quecksilber(l1)-hydrazinochlorids

Von KLAUS BRODERSEN

&lit 4 Abbildungen

Irihaltsiibersicht Quecksilber(I1)-hydrazinochlorid, (N,H,Hg2)CI,, wurde erstmalig re in dargestellt.

Die Verbindung kristallisiert rhom bis ch mit den Gitterkonstanten

a = 8,15 b = 6,75 c = 10,55 A und 4 Formeleinheiten pro Zelle. Die wahrscheinliche Raumgruppe ist Dt\ . Es wird ein Strukturvorschlag abgeleitet, in dem Quecksilber- und Stickstoffatome ein zwei- dimensionales (N,H,Hg2),-Netzwerk init vierbindigem Stickstoff bilden.

In allen bisher rontgenographisch untersuchten Quecksilber( 11)- Stickstoff-Verbindungen wie den schmelzbaren Prazipitaten 1) 2),

Hg (NH3),X,, den unschmelzbaren Prazipitaten,) 4, 5, 6) , HgNH,X, dem Quecksilber(I1)-imidobromid’), Hg,NHBr,, der MILLoNschen Base und deren Salzens) 9, l o ) , Hg,NX, bilden sich zwischen Quecksilber- und Stickstoffatomen kovalente Bindungen aus. Das Stickstoffatom liegt vierbindig vor und ist durch tetraedrisch gerichtete sp3-Bindungen mit den Quecksilber- bzw. Wasserstoffatomen verknupft. Quecksilber nimmt somit dem Stickstoff gegenuber eine gewisse Sonderstellung unter den

1) C. H. MAC GILLAVRY u. J. M. BIJVOET, Z. Kristallogr., Mineralog. Petrogr., Abt. A

2, W. RUDORFF u. K. BRODERSEN, Z. anorg. allg. Chem. 270, 145 (19.52). 3) W. N. LIPSCOMB, Acta crystallogr. [London] 4, 266 (1951). *) L. NIJSSEN u. W. N. LIPSCOMB, Acta crystallogr. [Copenhagen] 6, 604 (1952). j) K. BRODERSEN u. W. RUDORFF, Z. anorg. allg. Chem. 275, 141 (1954). ‘j) C. M. DEELEY u. R. E. RICHARDS, J. chem. SOC. [London] 1954, 3697. 7) K. BRODERSEN u. W. RUDORFF, Z. Naturforschg. 9b, 164 (1954); K. BRODERSEN,

8 ) S. D. ARORA, W. N. LIPSCOMB u. NI. C. SNEED, J. Amer. chem. SOC. 73, 1015

9) W. N. LIPSCOMB, Acta crgstallogr. [London] 4, 156 (1951). lo) W. RUDORFB u. K. BRODERSEN, Z. anorg. allg. Chem. 274, 323 (1953).

- _ _

94, 240 (1936).

Acta crystallogr. [Copenhagen] 8, 723 (1955).

(1951).

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6 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 285. 1956

81etallen ein. Die relativ grofie Stabilitat der Hg-N-Bindung fuhrt dazu, dafi Hg-N-Verbindungen in wafirigen Losungen stabil sind.

Quecksilber(I1)-salze von Sauerstoffsauren werden wie praktisch alle Edelmetallsalze in Wasser durch Hydrazinhydrat bis zum Metal1 redu- ziert. Dagegen geht bei Quecksilber( 11)-chlorid oder -bromid die Reduk- tion nur bis zu den schwerloslichen Quecksilber(1)-halogeniden. Aus alkoholischen oder atherischen Losungen schliefilich erhalt man Hg(I1) - Anlagerungsverbindungen wie HgCl, + N,H,, HgBr, . N2H4 oder Hg (CN), . N,H411). Die Konstitution dieser Substanzen entspricht wahrscheinlich derjenigen der schmelzbaren Prazipitate, Hg (NH,),X, ; eine Hydrazinmolekel hat hier die Rolle von 2 Molekeln Ammoniak ubernommen. Da ini Hydrazin aber 2 Stickstoffatome durch eine N-N- Bindung verknupft sind, ist anzunehmen, da13 im Gitter dieser Anlage- rungsverbindungen ( -N,H4-Hg-N,H,-Hg-)-Ketten vorliegen, zwi- schen welche die Anionen eingelagert sind.

Wegen der oben erwahnten Neigung zur Ausbildung von Hg-K- Bindungen kann in wafirigen Losungen aber auch Substitution von Wasserstoffatoinen an Stickstoffatomen der Hydrazingruppe durch Quecksilberatome erfolgen. Hierzu ist die Abspaltung von Salzsaure notig, die durch Zusatz von Natriumacetat erreicht werden kann11). Fugt man in der Kalte eine wafirige Quecksilber(I1)-chloridlosung zu einer wafirigen Hydrazinsulfatlosung, so bleibt fur einige Zeit eine klare Losung erhalten. Beim Versetzen dieser Liisung mit Xatriumacetat bildet sich eine gelbliche Fallung, die nach dem Abfiltrieren und Trocknen durch Waschen mit Alkohol und Ather bei geringster Erschutterung sehr heftig explodiert. Das Fallungsprodukt ist, wie schon HOFMAXK und MARBURG 11) festgestellt haben, nicht einheitlich. Auf Grund analy- tischer, besonders rontgenographischer Untersuchungen bestehen diese Substanzen aus Quecksilber( 11) -hydrazinochlorid und mehr oder weniger grofien Mengen Quecksilber(1)-chlorid. Unter besonderen Vorsichts- mafinahmen kann man durch 10 Minuten langes Erhitzen auf 100°C die Substanz, ohne da13 Explosion eintritt, in Hg,CI, uberfuhren. Auch bei der explosiven Zersetzung bildet sich ‘Hg,CI,. Unter Wasser oder Alkohol lafit sich die Substanz gefahrlos handhaben.

Um auf rontgenographischem Wege etwas uber die Konstitution der Substanz aussagen zu konnen, mul3te das Quecksilber(I1)-hydrazino- chlorid zunachst r e i n dargestellt werden. Dies gelingt nur, wenn man abweichend von HOFXANN und MARBURG nicht Hydrazinsulfat, sondern

11) K. A. HOFMANN u. E. C. MARBURG, Ber. dtsch. chem. Ges. 30, 2030 (1899); Liebigs Ann. Chem. 305, 214 (1899).

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K. BRODERSEN, Konstitution des Quecksilber(I1)-hydrazinochlorids 7

Hydraziniumchlorid, von dem sich bei tieferen Temperaturen konzen- triertere Losungen herstellen lassen, verwendet.

Zur D a r s t e l l u n g des reinen (N,H2Hg,)C1, versetzt man die Losung von 0,5g N,H,. 2 HCl in 5 ml Wasser unter guter Kuhlung mit Eiswasser mit einer Losung von 0,5 g HgCI, in 10 ml Wasser. Durch Zugabe von 10 g festem Natriumacetat erhalt man eine hellgelbe Fallung, die abfiltriert und mit Wasser gewaschen wird. Wegen der Ex- plosivitat der Substanz wird sie durch kurzes Waschen mit Alkohol und Ather getrocknet.

Zur Analyse lost man die Substanz unmittelbar im Glasfiltertiegel in Salpetersaure. Erschutterungen des Tiegels muB man dabei sorgfaltig vermeiden. In aliquoten Teilen der salpetersauren Losung wurde Hg als HgS und C1 als AgCl bestimmt. Die Stickstoff- bestimmung erfolgte volumetrisch durch Verbrennung nach DUMAS. Gef. : 79,96% Hg, 14,2% C1, 5,7% N; ber. fur (N2H,Hg,)Cl,: 79,89% Hg, 14,12% C1, 5,58% N.

Die gefundenen Analysenwerte und das Fehlen der Linien des Hg,Cl, im Debyeo- gramm beweisen, daR reines (N,H,Hg,)Cl, vorliegt.

Alle Versuche zur Reindarstellung der entsprechenden Brom- und Jodverbindung verliefen erfolglos. Selbst unter sehr starker Kuhlung ist das Bomid nur etwa 30 Sekunden lang stabil. Die hellgelbe Farbe der Suspension geht dann schnell unter Gasentwicklung in die weiBe Farbe des Hg,Br, uber. Auch beim Behandeln von frisch bereitetem (N,H,Hg,)Cl, mit wal3riger Kaliurnbromidlosung erhalt man unter Gasentwicklung nur Hg,Br,. Die entsprechende Jodverbindung bildet sich auch interrnediar praktisch nicht mehr.

Die Frage nach der Konstitution des Quecksilber(I1)-hydrazino- chlorids beantworten HOPMANN und MAR BURG^^) durch die Annahme einer Molekiilverbindung folgender Formulierung :

Sie stutzen ihre Auffassung durch den Nachweis von Hydrazin nach Zersetzung der Substanz in wafiriger Losung. Weiterhin nehmen HOF- MANS und MARBURG an, daR Chlor an Quecksilber gebunden vorliegt, weil bei der Fallung von Hydrazinsulfat mit HgC1, nicht ein Queck- silber(I1)-hydrazino - s u l f a t sondern das entsprechende Chlorid ent- steht.

Gegen das Vorliegen einer Molekiilverbindung sprechen aber die Unloslichkeit der Substanz und die gelbe Farbe, die allen hochkonden- sierten Hg-K-Verbindungen gemeinsam ist.

Zur Klarung der Frage nach der Konstitution des Quecksilber(I1)- hydrazinochlorid wurde eine Kristallstrukturbestimmung versucht. Die Substanz kristallisiert rhombisch12). Es gelang eine Indizierung des Debyeogramms mit den Gitterkonstanten

a = 4,07, b = 3,37, und c = 5,27,B.

Im Debyeogramm treten bei dieser Indizierung keinerlei systematische Ausloschungen auf.

12) Herrn Dr. WEISSKIRCHNER, Mineralog. Inst. Univers. Tiibingen, sei fur die

Cl-Hg-NH-NH-Hg-C1.

polarisationsmikroskopische Untersuchung der Substanz gedankt.

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8 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine. Chemie. Band 285. 1956

Die Dichte der Verbindung wurde pyknometrisch bei 4°C unter Wasser bestimmt. Die Bestimmung ergab den Wert 5,15 & 0,5. Dieser gefundene Dichtewert ist sicher zu niedrig, da eine geringfiigige Zer- setzung der Substanz unter Gasentwicklung wahrend der Ausfiihrung der Bestimmung unvermeidbar ist. AuBerdem konnte die Einwaage nur durch Analyse des Pyknometerinhalts nach erfolgter Dichtebestim- mung ermittelt werden. Aus der pyknometrischen Dichte ergibt sich die Zahl von 0,45 Formeleinheiten (N2H,Hg,) C1, in obiger Element'ar- zelle. Mit 0,5 Formeleinheiten, das heifit je einem Atom Hg, N, H und C1, berechnet sich die Dichte zu 5,74,. Die Differenz zwischen gefuii- dener und berechneter Dichte diirfte im Hinblick auf die Schwierig- keiten bei der Dichtebestimmung noch tragbar sein.

Die aus der Dichte folgende Zahl von nur je einem Atom Hg. X, H und C1 in obiger Zelle ist mit dem Hydrazingehalt der Substanz nicht vertraglich. Daher muB die wahre Elementarzelle groBer sein. Im Debyeogramm wird jedoch nur bei sehr starker Uberbelichtung eine Interferenz (2 1 2 ) (siehe Tab. 1) beobachtet, die eine Verdoppeluag der Zelle in Richtung der b-Achse verlangt. Der Grund hierfur ist in dem sehr geringen Streuvermogen der N- und C1-Atome zu suchen, das ini Vergleich zum Streuvermogen der Hg-Atome fur die C1-Atome nur das etwa 0,22fache und fur die N-Atome nur das etwa 0,088fache betraigt. Die notwendige VergroBerung der Zelle kann sich also nur aus den Lagen der C1- und evtl. auch der N-Atome ergeben.

Aus dem Debyeogramm lassen sich zunachst nur die Lagen der Hg-Atome, die eine primitive Zelle obiger Dimensionen bilden, festlegen. Weitere Aussagen iiber die Struktur des (N,H,Hg,) GI, sind aus den ange- gebenen Grunden nicht mit Sicherheit einer Intensitatsdiskussion zu entnehmen. Es ist daher notwendig, einige Annahmen uber die Struktur des Quecksilber( 11)-hydrazinochlorids zu machen.

Wendet man das schon eingangs erwahnte, bei allen bisher rontgeno- graphisch untersuchten Hg-N-Verbindungenl-lO) gefundene Struktur- prinzip auch hier an, dann kommt man zu der folgenden Struktur- annahme f iir das (N,H,Hg,) C1, :

Jedes Hg-Atom ist an 2 N- Atome verschiedener Hydrazingruppen und jedes N-Atom einer Hydrazingruppe ist an 2 Hg-Atome, 1 H-Atom und ein weiteres N-Atom der Hydrazingruppe gebunden. Diese Xtoni- verknupfungen ergeben ein (N,H,Hg,),-Flachennetz, bei dem die K- Atome der Hydrazingruppen jeweils uber und unter der Ebene der Hg-Atome angeordnet sind. Die Abb. 1 zeigt das Flachennetz in der Aufsicht.

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K. BRODERSEN, Konstitution des Quecksilber(I1)-hydrazinochlorids 9

Diese Strukturannahme fiihrt, wie man aus Abb. 1 sieht, wegen der Lagen der N-Atome zur Verdoppelung der Gitterkonstanten a und b. Mit den verdoppelten Konstanten

a = 8,15 und b = 6,75A

errechnet sich init dem Tetraederwinkel am N-Atom bei Einsetzung eines Hg--IV-Abstandes von 2,1 a (wie er in allen anderen Hg-N-Verbin- dungen 1-10) gefunden wurde) ein N-N- Abstand in den Hydrazin- gruppen von 1,68 .L% gegeniiber 1,47 A13) his 1,46 A14) im freien Hydrazin. Die VergroBerung des N-N-Abstandes kann durch die Hg-N-Bindung

- b-di5A I

Abb. 1. (N,H,Hg,),-Flachennetzwerk im Quecksilber( 11)- hy drazinochlorid

-~-669A-

Abb. 2. (-Hg-NH,-)-Ketten im HgNH,Cl nach LIPSCOMB

und die positive Ladung der N-Atome verursacht sein. Nimmt man dagegen den N-N-Abstand mit 1,4711. als konstant an, so werden der Hg-N-Abstand bis 2,13 .& grol3er und die Valenzwinkel am N-Atom um maximal 10 % aus den Tetraederrichtungen gedrangt. Eine Ent- scheidung zwischen beiden Moglichkeiten ist rontgenographisch nicht moglich. Jedenfalls ist das vorgeschlagene (N,H,Hg,),-Flachennetz mit den Zellkonstanten gut vertraglich.

Bei dem Versuch, die Chlorionen zwischen den Schichten unter- zubringen, ergeben sich aus Platzmangel praktisch iiur 2 Moglich- keiten. Da der Wert der Gitterkonstanten b zu 6,75 11. gefunden wurde, _._.___

13) P. A. GIGUERE u. 17. SCHOMAKER, J. Amer. chem. SOC. 65, 2025 (1943). 14) R. L. COLLIN u. W. N. LIPSCOMB, Acta crystallogr. [London] 4, 10 (1951).

Page 6: Über die Konstitution des Quecksilber(II)-hydrazinochlorids

10 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 285. 1956

2 auf Ionenkontakt liegende Chlorionen (Radius = 1,81 A) aber eine Strecke von 7,24 beanspruchen, miissen die Chlorionen entweder einen z-Parameter von + z und 'iZ - z bekommen oder sie mussen im gleichen Sinne parallel zur a-Achse versetzt angeordnet sein. Die Inten- sitatsberechnung ergibt fur den ersten Fall, da13 die Interferenz 0 0 2 starker nuftreten mu13 als 2 0 0. Gefunden wird aber gerade das umge- kehrte Intensitatsverhaltnis der beiden Interferenzen. Wahlt man fur die Chlorionen einen z-Parameter von l / 2 , dann erhalt man bei der Intensitatsberechnung den minimalsten Wert fur die Interferenz 0 0 2 . In der Abb. 3 ist der Intensitatsverlauf einiger Interferenzen fur die Variation des x-Parameters bei cinem z-Parameter von fur die Chlor- ionen aufge tragen.

Aus Abb. 3 erkennt man, da13 die Berechnung erst bei Werten des x-Parameters, die kleiner als 0,15 sind, fiir die Interferenz 2 0 0 gronere Intensitaten als fur die Interferenz 0 0 2 ergibt. Der x-Parameter der Chlorionen mu13 also kleiner sein als 0,15. Der kleinste Wert des x-Para- meters der Chlorionen folgt aus dem Hg-C1-Abstand, der bei x = 0,125 der Summe aus Chlorionenradius und Quecksilberatomradius 3,29 A entspricht. Die Chlorionen mussen sich demnach auf den Punktlagen

mit x etws gleich befinden. x '14 ' I z , 'I2-x '14 '12, ' l z + x '14 'Iv x 'J4 '12

flemcnfarzette von ChiYHp, I C/,

40t

0.125 015 oza 425 o-8.15A - - x -

Abb. 3. Intensitatsverlauf einiger Inter- Abb. 4 . ferenzen fur Variation des x-Parameters der Chlorionen (Verschiebung parallel zur

a-Achse) "00 N Hg C1-

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K. BRODERSEN, Konstitution des Quecksilber(II).hydrazinochlorids 11

Fur diesen Strukturvorschlag erhalt man eine Anordnung der Hy- drazingruppen in gleicher Entfernung uber und unter der einen Halfte der Chlorionen, wahrend die andere Halfte der Chlorionen keine Hy- drazingruppen zum Nachbarn hat. Ordnet man aber die (N,H,Hg,)- Schichten jeweils versetzt um '1, a oder (was das gleiche bedeutet) I/, b an, dann bekommt jedes Chlorion eine Hydrazingruppe zum Nachbarn. Diese Anordnung der (N,H,Hg,)-Schichten fiihrt zu einer Verdoppelung der c-Achse, die allerdings nur durch die Lagen der N-Atome hervor- gerufen wird und deswegen einer Intensitatsdiskussion nicht entnommen werden kann. Offen bleiben mu6 wegen des auRerordentlich geringen Streuverrnogens der N-Atome auch die Frage, ob die Anordnung der K-Atome etwas uber und etwas unter einer Hg-Ebene bei der dariiber liegenden (N,H,Hg,)-Schicht im gleiehen oder umgekehrten Sinne erfolg t .

In Abb. 4 ist die Elementarzelle des Quecksilber(I1)-hydrazino- chlorids fur den abgeleiteten Strukturvorschlag dargestellt. Aus ihr ist ersichtlich, dal3 die Chlorionen zwischen den (N,H,Hg,)- Schichten so eingelagert sind, dal3 jedes Hg-Atom annahernd quadratisch von 4 Chlor- ionen im Abstand 3,29 A umgeben ist. Ahnliche Nachbarschaftsverhalt- nisse zwischen Hg-Atomen und Halogenionen sind auch bei Salzen der Mrmoxschen Base lo) gefunden worden. Die N-C1-Abstande errrechnen sich zu 3,20 bis 2,20 und sind somit geringer als der gleiche Abstand im HgNH,C13), wo er 3,20 A betragt. Wegen der Unsicherheit der Lagen der N-Atome lassen sich die N-C1-Abstande nicht genauer angeben. Jedes Chlorion ist von 4 naher liegenden Chlorionen im Abstand 3,94 A und 2 ferner liegenden im Abstand 4,075A umgeben.

Fur den vorstehenden Strukturvorschlag finden sich Punktlagen in der Raumgruppe D::. Bei der Intensitatsberechnung wurden die aus den oben angegebenen Atornabstanden folgenden Parameter eingesetzt. In Tab. 1 sind die berechneten und gefundenen Intensitaten gegeniiber- gestellt. Die befriedigende Ubereinstimmung zwischen berechneten und gefundenen Intensitaten (die 0 0 I-Interferenzen werden infolge Blattchen- effekts im Debyeogramm etwas zu intensiv beobachtet) ist eine Stiitze fur den abgeleiteten Strukturvorschlag des Quecksilber(I1)-hydrazino- chlorids.

Interferenzen mit ungeraden h, k oder 1, die allein durch Beugung an C1- oder N- Atomen hervorgerufen sein konnen, erhalten bei der Iutensitatsberechnung Werte unter 5,s und sind deshalb in der Tab. 1 nicht aufgefiihrt. Mit Ausnahme der Interferenz 2 1 2, die nur auf stark uberbelichteten Aufnahmen beobachtet werden kann, treten keine der- nrtigen Interferenzen im Debyeogramm auf. Zur Intensitatsberechnung wurden die winkelabhangigen Streufakt,oren fur Hg und C1-, die Flachenhaufigkeitszahlen, die

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12 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 285. 1956

h k l

0 0 2 2 0 0 0 2 0 2 0 2

(2 1 2 )

0 2 2 0 0 4 2 2 0 2 2 2 2 0 4 0 2 4 4 0 0 4 0 2 2 2 4 0 0 6 4 2 0 0 4 0 4 2 2 2 0 6 4 0 4 0 4 2 2 4 0 0 2 6 2 4 2 4 2 4 2 2 6 0 4 4 2 4 4

(4 0 6)

0 0 8 4 4 0

Tabelle 1 P u l r e rauf n a h me v on (N,H,Hg,)CI, (Cu,,-Strahlung)

0,146 0,187 0,229 0,237 0,264

0,271 0,292 0,298 0,330 0,348 0,371 0,378 0,405 0,423 0,438 0,441 0,456 0,465 0,476 0,476 0,480 0,494 0,494 0,515 0,529 0,529 0,542 0,574 0,578

0,585\ 0,592

sin 8gei .

0,146 0,188 0,231 0,237 0,266

0,273 0,293 0,301 0,329 0,349 0,369 0,379 0,407 0,424 0,436 0,442 0,458 0,463

0,479 diffus

0,496

0,513

0,529

0,543 0,572 0,579

diffuses Band von 0,585 bis 0,591

Intensitatbe,.

78,2 93,s 41,O 91,2 5 3

96,4 45,6 56,l 81,s 37,l 24,9 11,7 32.7 36,9

6,4 24,O 10,6 17,O

5,9 20,l

'i::} 25,2

15,5

35,6

10,o

9,5

5,9 s'31

14,l

9,6

Intensitatgel, I

stark sehr stark mittel stark nur auf stark uberbelich-

tetem Film, schwach stark stark stark stark mittel mittel schwach schwach schwach schwach sehr schwach sehr schwach sehr schwach

schwach

schwach

schwach

schwach

sehr schwach sehr schwach nur auf uberbelichtetem

Film, schwach

schwach

LORENTZ-POlariSatiOUSfaktOren und die Absorption fur GuINIER-Aufnahmen 15) verwendet. Es wurden Pulveraufnahmen mit Cu,,-Strahlung (A = 1,542 A) in einer GUINIER- kamera mit einseitig begossenem Rontgenfilm bei unsymmetrischer Durchstrahlstellung von 50" angefertigt.

Aus den vorstehenden Betrachtungen ergibt sich fur die Kristall- struktur des (N,H,Hg2) Cl,:

Is) E. HELLNER, Z. Kristallogr., Mineralog. Petrogr., Abt. A 106, 122 (1954).

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K. BRODERSEN, Konstitution des Quecksilber(I1)-hydrazinochlorids 13

E le m e n t a r z el le : rhombisch mit a = 8,15 b = 6,75 c = 10,55a

Zel l inha l t : 4 Formeleinheiten (N,H,Hg,) C1, R a u m g r u p p e :

P u n k t lagen :

D i t - P n m a

4 Hg : 4 (a) 0 0 0, 0 lI2 0, 'Iz 0 ' iZ, ' iZ liZ 'I2 4 Hg : 4 (b) 0 0 ' I2, 0 'la1/*, ' i2 0 0, 0 4 C1: 4 (c) x lI4 z, X 3/4 Z, lI2-x 3]4 lI2+z, 4 C1: 4 (c) (siehe oben) mit x = ' Is und z = 3/4

4 N: 4 (c) (siehe oben) mit x = 0,082 bis 0,16 und z = 0,048 bis 0 4 N: 4 ( c ) (siehe oben) mit x = 0,418 bis 0,34 und 2 = 0,952 bis 0.

+ x lI4 l/*-z mit x = und z =

Zwischen der hier vorgeschlagenen Struktur des (N,H,Hg,) C1, und der des unschmelzbaren Prazipitates HgNH,Cl bestehen sehr weitgehende Ahnlichkeiten. Im gleichfalls rhombischen HgNH,Cl liegen parallel gelagerte (-Hg-NH,-)-Ketten vor, zwischen die die Chlorionen ein- gelagert sind3). Man kann sich sehr leicht die Struktur des (NzHzHgz)m- Netzwerkes in der Abb. 1 aus der Struktur des HgNH,Cl ableiten, wenn man sich die in der Abb. 2 gezeigten (-Hg-NH,-)-Ketten des HgNH,CI unter Erhalt der linearen N-Hg-N-Bindungen etwas gedreht und iiber die N-Atome unter Entfernung je eines H-Atoms miteinander verknupft denkt. Dabei entspricht die b-Achse im HgNH,Cl der a-Achse im (N2H,Hg2) Cl,. Ein Vergleich der gefundenen Gitterkonstanten der beiden Substanzen zeigt, dalS beim Hydrazinochlorid die a- Achse etwas verkleinert gegenuber der entsprechenden Achse des Amidochlorids ist. Diese Verkleinerung wird durch die in dieser Richtung liegenden N-N- Bindungen hervorgerufen.

G i t t e r k o n s t a n t e n i n a HgNH,Cl : a = 5,167 b = 4,357 c = 6,690 (N,H,Hg,)CI,: cj2 = 5,27, a12 = 4,07, b = 6,75.

Die untersuchte Hydrazinoverbindung entspricht formal zwar den Amidoverbindungen, HgNH,X, strukturell aber der Imidoverbindung, Hg,NHBr, (vgl. die folgende Zusammenstellung), weil die N-N-Bindung im Hydrazin zu einem hoheren Vernetzungsgrad des Hg-N-Gerustes fuhrt.

B a u e l e m e n t e Verb indungen isolierte Gruppen H,N--Hg-NH, Hg (NH,),X, schmelzbare

Prazipitate

Page 10: Über die Konstitution des Quecksilber(II)-hydrazinochlorids

14 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 285. 1956

Ketten (-NH,-Hg-NH,-Hg-) HgNH,X unschmelzbare Priizi-

( -N,H4-Hg-N~H~-Hg-) ?

Blattstrukturen (Hg,(NH),)Cc Hg,NHBr, Quecksilber(I1)-

pitate

Anlagerungsver bindungen HgX, . N,H4 Hydrazin-

imidobromid

Raumnetzstrukturen (Hg2N)m

(Hg,N,H,) C1, Quecksilber(I1)- h ydrazinochlorid

Hg,NX MILLoNsche Base und deren Salze

Herrn Professor Dr. W. RUDORFF danke ich fur wertvolle Diskussionen und appara- tive Unterstutzung.

Tubingen, Chemisches Institut, Anorganische Abteilung.

Bei der Redaktion eingegangen am 30. Oktober 1955.