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C. Weygend. Willkiirlich herbeigefiihrta Kristallisation von Schmelzen 265 Uber die willkiirlich herbeigefuhrte Kristallisation von Schmelzen Yon C. WEYGAND Wie neuerdings von E. BIILMANN und A. KLIT~) sowie besonders von J. MEYER und W. PFAFF~) gefunden worden ist, kristallisieren die Schmelzen gewisser organischer Substanzen nicht mehr frei- willig, nachdem sie von den normalerweise vorhandenen Keimbildnern durch Zentrifugieren oder durch Filtration befreit worden sind. Uber die Natur dieser Keimbildner haben sich die genannten Autoren nicht naher ge2iuBert. Im folgenden werden Beobachtungen uber das Kristallisieren von Schmelzen mitgeteilt, die daruber Aus- sagen erlauben. Insbesondere geben die Methoden zur willkurlich herbeigefiihrten Kristallisation einige genauere Aufschliisse. Man kann bei der erzwungenen Kristallisation zuniichst rein methodisch zwischen immateriellen und materiellen Beeinflussungen unt erscheiden. A. Immaterielle Beeinflussungen sind Temperatur und D r u c k. Die reinen Temperatureinflusse sind allgemein bekannt und sollen hier nicht behandelt werden. Druckeinflusse sind in zwei ver- schiedenen Richtungen vorhanden. 1. Reibender, kratzender Druck auf die (meist gliisernen) GefiiBwande als Mittel zur Einleitung der Kristallisation ist zwar eine triviale MaBnahme, doch scheint uber das Wesen des Vorganges noch keine Klarheit zu herrschen. Am ehesten ist an die Schaffung frischer Oberfliichen zu denken, die durch Absplittern von Glas- fragmenten entstehen, da die Keimbildung bekanntlich auch sonst mit Vorliebe an Phasengrenzen einsetzt. Denkbar ist es auch, daB beim Kratzen uberhaupt erst ein wirksamer Kontakt zwischen Schmelze und Unterlage entsteht. 1) E. B ~ A " u. A. Knr, Kgl. Danske Vide&. Selak. Math.-fys. Medd. a) J. MEYER u. W. PBAFF, Z. anorg. u. allg. Chem. 217 (1934), 257; 2%2 XI1 (1932), 4. (1935), 382.

Über die Willkürlich herbeigeführte Kristallisation von Schmelzen

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C. Weygend. Willkiirlich herbeigefiihrta Kristallisation von Schmelzen 265

Uber die willkiirlich herbeigefuhrte Kristallisation von Schmelzen Yon C. WEYGAND

Wie neuerdings von E. BIILMANN und A. KLIT~) sowie besonders von J. MEYER und W. PFAFF~) gefunden worden ist, kristallisieren die Schmelzen gewisser organischer Substanzen nicht mehr frei- willig, nachdem sie von den normalerweise vorhandenen Keimbildnern durch Zentrifugieren oder durch Filtration befreit worden sind.

Uber die Natur dieser Keimbildner haben sich die genannten Autoren nicht naher ge2iuBert. Im folgenden werden Beobachtungen uber das Kristallisieren von Schmelzen mitgeteilt, die daruber Aus- sagen erlauben. Insbesondere geben die Methoden zur willkurlich herbeigefiihrten Kristallisation einige genauere Aufschliisse.

Man kann bei der erzwungenen Kristallisation zuniichst rein methodisch zwischen immateriellen und materiellen Beeinflussungen unt erscheiden.

A. Immater ie l le Beeinflussungen sind Temperatur und D r u c k. Die reinen Temperatureinflusse sind allgemein bekannt und sollen hier nicht behandelt werden. Druckeinflusse sind in zwei ver- schiedenen Richtungen vorhanden.

1. Reibender , kratzender Druck auf die (meist gliisernen) GefiiBwande als Mittel zur Einleitung der Kristallisation ist zwar eine triviale MaBnahme, doch scheint uber das Wesen des Vorganges noch keine Klarheit zu herrschen. Am ehesten ist an die Schaffung frischer Oberfliichen zu denken, die durch Absplittern von Glas- fragmenten entstehen, da die Keimbildung bekanntlich auch sonst mit Vorliebe an Phasengrenzen einsetzt. Denkbar ist es auch, daB beim Kratzen uberhaupt erst ein wirksamer Kontakt zwischen Schmelze und Unterlage entsteht.

1) E. B ~ A " u. A. K n r , Kgl. Danske Vide&. Selak. Math.-fys. Medd.

a ) J. MEYER u. W. PBAFF, Z. anorg. u. allg. Chem. 217 (1934), 257; 2%2 XI1 (1932), 4.

(1935), 382.

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2. Reibungsloser Druck auf eine zwischen Glasflachen als Film ausgebreitete Schmelze wirkt zwar nur in vereinzelten Fallen, dann aber mit vollkommener Sicherheit als Kristallisationsanreiz.

Bei bestimmten Substanzen wirken reibender und reibungsloser Druck dem Anschein nach vollig verschieden. So erzeugtl) kratzende Reibung in der Schmelze des p’-Methylchalkons, nicht sehr leicht, aber eintretendenfalls mit fast absoluter Sicherheit die Modi- fikation VII vom Schmelzpunkt 45O. Reibungsloser Druck auf den Flussigkeitsfilm zwischen Objekttriiger und Deckglas dagegen ruft mit vollkommener Sicherheit die Modifikation IV vom Schmelz- punkt 54O hervor.

3. Ob die beim Schu t t e ln , ganz allgemein bei der Erschutte- rung von unterkuhlten isotropen Phasen oftmals einsetzende Kristalli- sation ebenfalls auf einen DruckeinfluD zuruckgeht, sol1 nicht be- sprochen werden.

B. Materielle Beeinflussungen bestehen darin, daB feste Partikeln der verschiedensten Art mit der Schmelze in Kontakt ge- bracht werden. Sie sind teils unspezifischer, teils spezifischer Natur.

a) Unsp ezif ische Kristallisationsanreger (K. A.) sind solche, deren Molekulbau mit der kristallisierenden Substanz in keiner er- sichtlichen Beziehung steht, wie Glaspulver, Sand, Staub.

b) Die spezifischen K.A., deren Molekulbau mit dem der kristallisierenden Substanz in deutlicher Beziehung steht, konnen wiederum in verschiedene Klassen eingeteilt werden.

1. Art eigene Kristalle oder Kristallfragmente. Hierunter werden entweder kristalline Partikeln von strucktur-chemisch ein- heitlichen Individuen bzw. von deren polymorphen Modifikationen, oder aber solche von desmotropen Formen verstanden, die in allelo- tropen, geschmolzenen Gemischen als Gleichgewichtskomponenten an- zunehmen sind. Im Sonderfall konnen auch die desmotropen Formen noch polymorph sein2).

2. Art f r emde Kristalle oder Kristallfragmente von a) St ruk tu rve rwand ten ; darunter sind Homologe ein-

schlieBlich der Stammsubstanz, uberhaupt Der iva t e zu verstehen.

,9) I someren , und zwar Strukturisomeren wie Stereoisomeren (optische Antipoden, Racemformen, geometrische Isomere).

y ) Polymeren. 1) C. WEYQAXD u. H. BAUMQ~TEL, Lieb. Ann. 469 (1929), 256. 2, C. WEYQAND, Z. anorg. u. dig. Chem. 206 (1932), 414.

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Die Wirkung von unspeeifischen Kristallisationsanregern ist wenig untersucht. Moglicherweise unterscheidet sie sich grundsatz- lich nicht von der unter A 1 aufgefiihrten Beeinflussung duroh reibenden Druck. Dagegen liegen uber die Wirkung spezifischer K. A. zahlreiche Beobachtungen vor.

Die Keimwirkung von a r t eigenen kristallinen Partikeln ist dadurch gekennzeichnet , daB sie - anscheinend - momentan ein- setzt, sobald der wirksame Kontakt zwischen Schmelze und Impf- partikel hergestellt ist, und dadurch, daB intakte Einzelkristalle genau so wirken wie Kristallfragmente. Die Keimwirkung arteigener kristalliner Partikeln ist aber keineswegs eindeutig, sondern vielfach von der Temperatur abhiingig.

Bestimmte polymorphe Formen erzeugen niimlich in der art- eigenen Schmelze nur innerhalb gewisser Temperaturgebiete ,,sich selbst", wiihrend sie bei anderen Temperaturen als K.A. fur andere, sei es stabilere, sei es weniger stabile Modifikationen dienen.

So erzeugt ein Kristall der metastabilen cis-Zimtsiiure vom Schmelzpunkt 42O bei Zimmertemperatur wieder die 42O -Siiure, bei etwa 00 aber wirkt er als K.A. fur die Bildung der noch weniger stabilen 32O -Siiurel). Umgekehrt erzeugt2) die p'-Methylchalkon- form VI, 48O, bei Zimmertemperatur sich selbst, unterhalb von etwa 5O aber wirkt sie ah K.A. zur Bildung der stabileren Modifikation 111, 55O. Besonders ausgepriigt finden sich derartige sekundiire Tempe- ratureinflusse bei den Triglyceriden, hier sind sie sogar reversibel, d. h. mit steigender bzw. sinkender Temperatur wirken stabilere und metastabilere Formationen wechselseitig aufeinander als K. A. - Entsprechend der Umwandlungstemperatur bei enantiomorphen Phasen kann man in manchen Fiillen mit ziemlicher Genauigkeit ,,Umschlagstemperaturen" bzw. Umschlagsintervalle ermittelns).

Die spezifische Keimwirkung ar t f remder kristalliner Par- tikeln setzt im Unterschied zu der der arteigenen vielfach nicht momentan ein und es ist nicht immer gleichgiiltig, ob intakte Einzel- kristalle oder Kristallfragmente zur Verwendung kommen. Ferner ist die Keimwirkung unter Umstiinden davon abhiingig, ob die Impfpartikeln aus Schmelzen oder aus Losungen erhalten worden waren, oft sogar davon, aus welchem Losungsmittel umkristallisiert wurde und schlieBlich manchmal vom Alter. DaB bei der Keim-

l) C. WEYOMVD II. H. BAUMG;~RTEL. Ber. 66 (1932), 693. a) C. WEYQAND U. H. BAUMOXRTEL, Lieb. Ann. 469 (1929), 239. s, C. WEYOAND, Z. anorg. u. d g . Chem. 206 (1932), 307ff.

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wirkung artfremder K. A. die gleichen Temperatureinflusse zu beob- achten sind, die oben bei den arteigenen besprochen wurden, ist nicht verwunderlich. In allen Fiillen aber ist die Keimwirkung art- fremder K.A. ebenso spezifisch, wie die der arteigenen, d. h. die art- fremde Impfpartikel erzeugt unter reproduzierbaren Bedingungen stets die gleiche oder die gleichen Modifikationen. Treten beim Impf- akt mehrere Modifikationen nebeneinander auf, so sind es stets solohe, die auch spontan nebeneinander auftreten bzw. auseinander hervorgehen. Fast ausnahmslos ist die Keimwirkung wechselseitig, die erzeugte Modifikation ruft in der Schmelze der erzeugenden die- jenige Modifikation hervor, aus der sie hervorgegangen ist. Die ganz vereinzelten Falle, in denen diese Regel nicht zutrifft, sind besonders gelagert und sollen spater fur sich besprochen werden. Die Leichtig- keit, mit der eine artfremde Partikel die Kristallisation anregt, steht oft in erkennbarer Beziehung zur k o n s t i t u t i v en , vielleicht auch zur k onf igura t i v en V er w a n d t s c h a f t.

So erzeugtl) die stabile 590-Form des Chalkons nur schwierig, wenn auch im eintretenden Falle vollig sicher die stabile Form des p’-Athylchalkons vom Schmelzpunkt 63O, wiihrend die metastabile Form Modifikation VI, 48O, des p’-Methylchalkons momentan einwirkt.

Es ist daher oft bequemer, bei der Herstellung von metastabilen polymorphen Modifikationen Vermittler einzuschalten. Z. B. erzeugt zwar die stabile Form des p‘-iso-Propylchalkons vom Schmeh- punkt 65O in der Schmelze des p’-n-Butylohalkons die instabile Modi- fikation vom Schmelzpunkt 280, aber die Impfung ist launisch. Da- gegen erhiilt man mit stabilem iso-Propylchalkon momentan aus der p‘-iso-Butylchalkonschmelze eine metastabile Modifikation vom Schmelzpunkt 690, die zwar sehr kurzlebig ist, aber ihrerseits in der p’-n-Butylchalkonschmelze die gewiinschte 28O-Form leicht er hervor- ruft als das stabile und daher als Ausgangsmaterial jederzeit verfug- bare p‘-iso-Propylchalkon.

Die kristallisationsanregende Wirkung von S truktur i s o m e r en aufeinander unterscheidet sich im iibrigen in keiner Weise von der der Struktur v e r wand t en.

Auffallend ist es, da13 artfremde Partikeln sich manchmal zu- niichst in der gepriiften Schmelze partiell auflosen, ehe sie die Impf- wirkung entfalten. Ebenso 1al3t sich die Kristallisationsanregung oft durch Zerbrechen der Impfpartikeln in der Schmebe selbst be-

1) C. WEYGAND u. P. MENSDORF, Ber. 68 (1935), 354.

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schleunigen, wobei naturlich Verwechslungen mit dem kratzenden Druck ausgeschlossen werden mussen. In anderen Fiillen wirken erst aus einem Schmelzgemisch auskristallisierende Partikeln impfend auf die Restschmelze; praktisch genugt es oft, die Impfstelle nach partieller Auflosung des Impfmaterials abzukuhlen. Diese HilfsmaB- nahmen dienen aber lediglich zur Abkurzung der Verweilzeit der Impfpartikeln in der gepruften Schmelze, erlaubt es deren Unter- kuhlungsfiihigkeit, so treten die gleichen Modifikationen nach Stunden, ja nach Tagen schlieBlich auch ohne sie auf.

Dagegen sind die Unterschiede in der Wirkung von Impf- kristallen verschiedener Vorgeschichte anscheinend nicht gradueller, sondern wesentlicher Natur. So konnte die sehr selten spontan auf- tretende metastabile p'-Methylchalkonform V, 46O, willkurlich nur mit liingere Zeit gelagertem, nicht aber mit frisch umkristallisiertem oder frisch erstarrtem 0'-Nitrochalkonl) erzeugt werden. Neuer- dings erwies sich auch das inzwischen viele Monate unkontrolliert gebliebene 0'-Nitrochalkonpriiparat als wirkungslos. Fruher war zum Umkristallisieren Alkohol verwendet worden, aus rein chemischen Grunden wurde nunmehr Benzol genommen, mit dem Erfolg, daB das anfallende Materiel ohne Lagerung und mit vie1 groBerer Be- reitwilligkeit als K. A. fur die gewunschte p'-Methylchalkonform wirkte. Vom 0'-Nitrochalkon konnten polymorphe Formen bisher nicht nachgewiesen werden, es kann vielleicht auf Grund der obigen Umstiinde als ,,kryptopolymorph" bezeichnet werden. Bekanntlich scheiden sich in xahlreichen Fallen aus verschiedenen Losungsmitteln der gleichen Substanz ganz verschiedene polymorphe Formen ab, unter Umstiinden auch solche, die in der Schmelze nicht zu wachsenvermogen, wie die aus Methanol erhiiltliche 990-Form des p-Methylchalkons2).

Besondere Umstiinde herrschen bei der Keimwirkung von optischen Antipoden aufeinander. I n diesem Falle hat man sich der Impfwirkung von Fremdpartikeln rein empirisch am fruhesten be- dient, teils mit, teils ohne Erfolg. Untersuchungen uber die poly- morphen Formen der Weinsiiuredimethylester zeigen den Grund dafur : von den drei polymorphen Modifikationen des d-Esters wirken nur die b eiden met as t abilen kris tallisa tionsanregend auf die 1- Ester- schmelze, wiihrend die stabile sich ihr gegenuber vollig indifferent verhiilt3).

l) C. WEYQAND u. F. SOH&=, Ber. 68 (1936), 233. a) C. WEYQAND, Ber. 60 (1927), 2431. s, C. WEYQAND, A. WEISSBERQER u. H. BAUMQLRTEL, Ber. 85 (1932), 696.

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Auch cis-trans-Isomere wirken aufeinander als K. A. So erzeugt die gewohnliche trans-Zimtsiiure in der cis-ZimtsSiureschmelze glatt und ohne jede Nachhilfe die Modifikation vom Schmelzpunkt 42O und bei kunstgerechtem Verfahren niemals eine andere, entgegen den Angaben von A. W. K. DE JON^), der die einschliigigen Versuche von C. WEYGAND und H. BAUMGARTEL~) nicht hat reprodwieren konnen.

Im Hinblick auf die Untersuchungen von J. MEYER und W. PFAFF (1. 0.) von besonderer Bedeutung ist die schon vor liingerer Zeit beiliiufig mitgeteilte Feststellung, da13 auch Poly- mere auf die Schmelze von Monomeren als spezifische Kristalli- sationsanreger wirken konnen.

Es fiillt bei Polymorphieuntersuchungen bestimmter Substanzen auf, daB die Licht- und Wiirmepolymerisationsfiihigkeit verschie- dener Modifikationen im festen Zustand in den weitesten Grenzen verschieden ists). Bei dem am grundlichsten untersuchten p'-Methyl- chalkon sind die besonders leicht polymerisierbaren Formen 111, 55O , und VII, 45O, auch diejenigen, welche bei tiefer Temperatur am leichtesten und mit der hochsten Keimzahl spontan in der Schmelze erscheinen. Die Polymerisation der Form 111, 5 5 0 , im Sonnenlicht liefert in guter Ausbeute das von H. STOBBE und K. BREMER~) be- schriebene Dimere D vom Schmelzpunkt 243O. Dieses Dimere D aber erzeugt in der p'-Methylchalkonschmelze mit volliger Sicherheit diejenige Modifikation, aus der es sich am glattesten bildet, p'-Methyl- chalkon 111, 55O. Die Vorliebe, mit der die frische Schmelze des p'-Methylchalkons zahlreiche Keime dieser Modifikation bildet , be- ruht offensichtlich auf der Anwesenheit von durch die ublichen Reinigungsmethoden nicht entfernbaren Spuren dieses Dimeren. Auch fur die bei tieferer Temperatur einsetzende Keimbildung nach der Form VII, 45O, deren Keimzahl bei frischen Schmelzen kaum geringer ist, lie13 sich im gleichfalls von STOBBE und BREMER be-

1) A. W. K. DE JONU, Rec. trav. chim. 61 (1932), 698. Die dort zu finden- den personlichen Angriffe von H e m DE JONU gegen die ,,Leipziger Laboratorien" zu diskutieren erscheint fruchtlos, naohdem Herr DE J o ~ a in einer dariiber statt- gefundenen Korrespondenz auf seiner abweichenden Ansicht besteht. Inzwischen haben, was bei dieser Gelegenheit bemerkt werden mag, sich auch E. BIILMA" und A. KLIT, 1. c., S. 50, mit zum Teil derselben Begrundung wie WEYUAND und B A U M U ~ T E L gegen die theoretischen Schlusse von DE JONU ausgesprochen.

2) C. WEYUAND u. H. BAUMU~RTEL, Ber. 65 (1932), 693. 3, C. WEYUAND u. H. BAUMUXRTEL, Lieb. Ann. 469 (1929), 231ff. 4) R. STOBBE u. K. BREMER, Journ. prakt. Chem. 123 (1929), 1.

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schriebenen Dimeren A, Schmelzpunkt 114O, ein spezifischer K. A. auffinden. Bei der thermischen Alterung von Schmelzen mussen diese Polymeren entweder d i s s ozii er t oder auch is o merisi er t werden. Bemerkenswert ist es jedenfalls, daB die beiden isomeren Dimeren A und D in der Schmelze des Monomeren eindeutig ver- schiedene polymorphe Modifikationen hervorrufen. Interessanter- weise gelang es nicht , durch Hochvakuumsublimation von p’-Methyl- chalkonpriiparaten zu K. A.-freiem Material zu kommen.

So erkliirt sich die bei den Chalkonen und bei den cis-Zimtsauren haufig auftretende und fruher falsch gedeutete Erscheinung, daB mit sorgfiiltig hergestellten Proben der metastabilen Modifikationen be- reitete Losungen oder Schmelzen mit Vorliebe die Ausgangsformen wieder hergeben, offensichtlich deshalb, weil inzwischen entstandene Spuren von Polymeren die Rolle von spezifischen K.A. spielen. Wieweit diese Auffassung sich verallgemeinern la&, bleibt noch zu untersuchen. Hhnliche Falle sind nicht nur in der Chalkonreihe ziem- lich hiiufig; das beste Mittel z. B., um die 580-cis-Zimtsiiure jederzeit erzeugen zu konnen, besteht darin, ein Deckglaspriiparat dieser Modi- fikation kurz zu belichten und dann im Dunkeln aufzubewahren. Auch wenn, was ubrigens selten eintritt , inzwischen nachtriiglich die Umwand- lung zur stabilen Form vor sich gegangen sein sollte, liefert die vor- sichtig aufgeschmobene Probe fast ausnahmslos Keime der 58O-Form.

Die am leichtesten polymerisierbaren Modifikationen sind in- dessen keineswegs immer auch die am leichtesten erscheinenden. p’-iso-Propylchalkon konnte jahrelang nur in einer, auch heute noch stabilen, Form vom Schmelzpunkt 65O erhalten werden. Erst nachdem das p’-tertiiir-Amylchalkon dargestellt war, wurde mit diesem, das bisher nur eine Form zeigt, eine metastabile p’-tertiar- But ylchalkonmodifikation (Schmelzpunkt 62O) gewonnen, die nun- mehr in der p’-is0 - P r o p y 1 chalkonschmelze eine neue Form vom Schmelzpunkt 18O hervorrief. Diese ist unbestandig und liefert beim Lagern eine dritte vom Schmelzpunkt 45O (nicht die stabile!). Da der Weg zu dieser 45O -Modifikation immerhin umstandlich und wegen der guBerst geringen Kristallisationsgeschwindigkeiten zeitraubend ist, wurde eine groBere Menge an der Some belichtet und aus dem schmierigen Reaktionsprodukt ein dimeres p’-iso-Propylchalkon iso- liert, das wunschgemaB in der Schmelze des Monomeren die Ur- sprungsmodifikation vom Schmelzpunkt 45O erzeugt, obwohl die Schmelze bei Hunderten von Einzelbeobachtungen niemals einen einzigen Keim dieser Form gezeigt hatte.

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Die mitgeteilten Beobachtungen stehen in vollkommenem Ein- klang mit den Ergebnissen von J. MEYER und W. PFAFF (1. c.), denen entgangen war, dal3 C. WEYGAND schon 1929 ganz ent- sprechende, begrundete Ansichten uber die Keimbildung in Schmelzen polymorpher Substanzen und uber den Wert bzw. den Unwert solcher Erscheinungen als Kriterien fur Polymorphie oder Isomerie geBuBert hattel). Sie gelten aber vorlaufig nur fur diejenigen orga- nischen Stoffe, deren Schmelzen keine ausgesprochene Kristallisations- bereitschaft haben, d. h. sich merklich und fur geraume Zeit unter- kuhlen lassen, wenn spezifische K. A. fehlen, denn an anderen konnen entsprechende Untersuchungen nicht angestellt werden. Da sich unter den Stoffen mit leicht unterkuhlbaren Schmelzen erfahrungs- gemaB die zur Ausbildung von polymorphen Formen am meisten neigenden finden, erhebt sich die Frage, ob zwischen der mangelnden Kristallisationsbereitschaft und der Vielgestaltigkeit im kristalli- sierten Zustand ein innerer Zusammenhang besteht, oder ob die Vielgestaltigkeit als ganz allgemeine Eigenschaft a l len Kohlenstoff- verbindungen p o t en t ie l l eignet. Als p o t e n t i elle M o d i f i k a t i o n e n waren danach solche zu bezeichnen, die unter geeigneten Bedingungen realisiert werden konnten, vor allem dadurch, daB im zuganglichen Unterkuhlungsgebiet wirksame K.A. aufgefunden werden.

Mit der Methode der planmBBig herbeigefuhrten, erzwungenen Kristallisation lassen sich jedenfalls standig neue Modifikationen hervorrufen, wofur oben am p'-iso-Propylchalkon ein Beispiel an- gefuhrt wurde. Vom p'-Athylchalkon war bis vor kurzem nur eine stabile Form (Schmelzpunkt 63O) und eine metastabile (Schmeb- punkt 470) bekannt, und keines der zahlreichen im Laufe der Jahre gepruften Chalkonderivate, die samtlich noch die &hylenlucke ent- hielten, erzeugte eine andere. Erst das bei der katalytischen Reduk- tion des p'-Athylchalkons entstehende, noch unbekannte p'-Athyl- dihydrochalkon, CzH5. C,H, * CO * CH, - CH, * C,H5 , rief in der Athyl- chalkonschmelze eine dritte, neue, noch weniger stabile Modifikation vom Schmelzpunkt 40° hervor.

l) C. WEYOAND u. H. BAUMOARTEL, Lieb. Ann. 489 (1929), 231ff.; ferner C. WEYOAND, Lieb. Ann. 472 (1929), 172.

LeipAg, Chemisches Laboratorium der Universitiit .

Bei der Redaktion eingegangen am 10. August 1936.