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DIE NATURWISSENSCHAFTEN Jahrgang 40 Heft t9 (Erstes Oktoberheft) t953 Uber die Wirkungsgruppen tier oxydierenden und reduzierenden Fermente*). Von OTTO WARBURG, Berlin-Dahlem. Seit LAVOISIER im Jahr t 780 die Zellatmung ent- deckte, hat man sick fragen mtissen, wie es kommt, dab die biologischen Brennstoffe im Leben mit Saner- stoff reagieren, w~ihrend sie im Reagenzglas mit Sauer- stoff nicht reagieren. Die Antwort lautet: So wenig wie im Reagenzglas, so wenig reagieren die Brennstoffe im Leben mit Sauerstoff; sondern der Sauerstoff reagiert im Leben mit komplexem Ferro-Eisen, das er zu Ferri-Eisen oxydiert. Ist dies geschehen, so wird das Ferri-Eisen yon der Zelle zurtickreduziert, und neuer Sauerstoff kann mit dem Ferro-Eisen reagieren. Der so wirkende Katalysator der Atmung, den man das sauerstofffibertragende Eisen genannt hat, ist durch eine ungew6hnliche Methode entdeckt worden, deren Prinzip ich durch einen Versuch erl~iutern will. Versuch I. Das Spektrum einer Xenon-Hochdrucklampe der Osram-Studiengesellschaft wird auf eine Perlwand projiziert. In den Strahlengang bringt man zwei Tr6ge, die beide eine L6sung von reduziertem Blut- Mmin in 15 % Pyridin-Wasser enthalten. Beide L6sungen nnterscheiden sich dadurch, dab die obere mit Stickstoff, die nntere mit Kohlenoxyd ges~ittigt isL Oben, in Stickstoff, sieht man die Banden des Ireien, nicht mit Kohlenoxyd verbundenen Eisens, die im griin liegen. Unten, in Kohlenoxyd, sollte man die Banden des mit Kohlenoxyd verbundenen Eisens sehen, die im gelb liegen. Doch ist das nicht der Fall, da das starke Licht der Projektionslampe die Kohlen- oxydverbindung, sowie sie sick bildet, immer wieder spaltet. Zun/ichst also sieht man keinen Unterschied in der Lage der Banden in den beiden Tr6gen. Schwitcht man jedoch das Licht der Projektions- lampe, bevor es in die Tr6ge eintritt, mit einem Ranchglas, so sieht man, wie in dem unteren Trog die ]3anden von griin hack gelb wandern; w~ihrend sie yon gelb nach griin zurtickkehren, wenn man das Rauch- glas wieder fortnimmt. Sehr sch6n sieht man die Er- scheinnngen, wenn man dutch einen rotierenden Sek- tor das Licht abwechselnd stfirker und sehw~icher werden l~iBt. Dann bleiben die Banden in dem oberen Trog, wo kein Kohlenoxyd ist, ruhig, w~ihrend sie sich in clem unteren Trog, wo das Kohlenoxyd ist, lain- und herbewegen. So also kann man sehen, wie das Kohlenoxyd im Dunkeln (oder in schwachem Licht) mit Eisen reagiert und wie es im Licht yon dem Eisen wieder abgespalten wird. Anwendung. Wir fanden, dab Kohlenoxyd im Dunkeln die Zell- atmung hemmt und dab Licht die Kohlenoxydhem- mung der Atmnng wieder zum Verschwinden bringt, mit andern Worten: Wir fanden, dab Kohlenoxyd im Dunkeln mit einem Katalysator der Atmung reagiert *) Vor trag, gehalten bei der Hauptversammlung der l~{ax-Planck- Gesellschaft in Berlin-Dahlem am 2t. Mai 1953. Naturwiss. t953. und dab es im Licht yon diesem Katalysator wieder abgespalten wird. Diese Analogie war so grog, dab man sagen kann, Kohlenoxyd und Licht haben das sauerstoffiibertragende Eisen entdeckt, damals eine unsichtbare Substanz, die aus den Zelten zn isolieren aussicktslos erschien. Isolierung des sauersto/fiibertrage~r Eisens. Obwohl mit Kohlenoxyd und Lieht viele Eigen- schaften des sauerstofftibertragenden Eisens gefunden wurdeli, so hatte die Methode doch ihre Begrenzungen, und so haben wir im Lauf der Jahre immer wieder versueht, das sauerstoffiibertragende Eisen zu iso- lieren. In einer Arbeit mit NEGELEIN wurde der Anfang gemacht; aber erst in einer Arbeit mit HANS- SIEGFRIED GEWlTZ ist es in der letzten Zeit gelungen, das sanerstofffibertragende Eisen in solchen Mengen zu isolieren und zu kristaIlisieren, dab man heute diese wichtige Substanz mit den Methoden der Chemie untersuchen kann. Dabei hat das isolierte Eisen be- stittigt, was Kohlenoxyd ~nd Licht voransgesagt batten: dab das sauerstofffibertragende Eisen eine H~iminverbindung ist; dab die Kohlenoxydbande des sauerstoffiibertragenden Eisens um 590 m?~ liegt ; dab das sauerstoffiibertragende Eisen wesentlich ver- schieden yon BlutMmin ist. Versuch If. Auf der Perlwand wird ein Trog abgebildet, der eine L6sung des sauerstofftibertragenden Hiimins in 3 % Pyridin enth~ilt. Das Eisen des H~imins ist bier 3-wertig, die Farbe der L6sung ist gelbgrtin. Redu- zieren wir nunmehr das Eisen, so sieht man, wie beim Valenzwechsel des Eisens die Farbe der L6sung von gelbgrtin in tiefes Rot umschlitgt. Leiten wir dann Sauerstoff dutch die rote L6sung, so wird das 2-wertige Eisen wieder zu 3-wertigem Eisen oxydiert, und die L6sung wird wieder gelbgrtin. Dies ist insofern kein Modellversuch, als es der Valenzwechsel desselben H~tmins ist, der sick fort- gesetzt in allen unsern Zellen abspielt. Es ist der Vor- gang, dutch den im wesentlichen der Sauerstoff in der organischen Welt iibertragen wird. Versuch III. Wiedemm wird das Spektrum der Xenon-Hoch- dmcklampe projiziert. In den Strahlengang werden zwei Tr6ge gebracht, yon denen der obere Trog eine L6sung yon BlutNimin enthiilt, der untere Trog eine L6sung des sauerstofffibertragenden Hfimins. In beiden Tr6gen ist das Eisen znn~ichst 3-wertig. Redu- zieren wir das Eisen in beiden Tr6gen zur Ferro-Form, so entwickeln sich in beiden Tr6gen die Ferrobanden. Sie sind sehr erkeblich gegen einander verschoben. Die Banden des Bluthiimins liegen im griin, die Banden des sauerstoffiibertragenden H~imins aber im gelb. 39

Über die Wirkungsgruppen der oxydierenden und reduzierenden Fermente

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Page 1: Über die Wirkungsgruppen der oxydierenden und reduzierenden Fermente

DIE NATURWISSENSCHAFTEN Jahrgang 40 Heft t9 (Erstes Oktoberheft) t953

Uber die Wirkungsgruppen tier oxydierenden und reduzierenden Fermente*). Von OTTO WARBURG, Berlin-Dahlem.

Seit LAVOISIER im Jahr t 780 die Zellatmung ent- deckte, hat man sick fragen mtissen, wie es kommt, dab die biologischen Brennstoffe im Leben mit Saner- stoff reagieren, w~ihrend sie im Reagenzglas mit Sauer- stoff nicht reagieren. Die Antwort lautet: So wenig wie im Reagenzglas, so wenig reagieren die Brennstoffe im Leben mit Sauerstoff; sondern der Sauerstoff reagiert im Leben mit komplexem Ferro-Eisen, das er zu Ferri-Eisen oxydiert. Ist dies geschehen, so wird das Ferri-Eisen yon der Zelle zurtickreduziert, und neuer Sauerstoff kann mit dem Ferro-Eisen reagieren. Der so wirkende Katalysator der Atmung, den man das sauerstofffibertragende Eisen genannt hat, ist durch eine ungew6hnliche Methode entdeckt worden, deren Prinzip ich durch einen Versuch erl~iutern will.

Versuch I. Das Spektrum einer Xenon-Hochdrucklampe der

Osram-Studiengesellschaft wird auf eine Perlwand projiziert. In den Strahlengang bringt man zwei Tr6ge, die beide eine L6sung von reduziertem Blut- Mmin in 15 % Pyridin-Wasser enthalten. Beide L6sungen nnterscheiden sich dadurch, dab die obere mit Stickstoff, die nntere mit Kohlenoxyd ges~ittigt isL Oben, in Stickstoff, sieht man die Banden des Ireien, nicht mit Kohlenoxyd verbundenen Eisens, die im griin liegen. Unten, in Kohlenoxyd, sollte man die Banden des mit Kohlenoxyd verbundenen Eisens sehen, die im gelb liegen. Doch ist das nicht der Fall, da das starke Licht der Projektionslampe die Kohlen- oxydverbindung, sowie sie sick bildet, immer wieder spaltet. Zun/ichst also sieht man keinen Unterschied in der Lage der Banden in den beiden Tr6gen.

Schwitcht man jedoch das Licht der Projektions- lampe, bevor es in die Tr6ge eintritt, mit einem Ranchglas, so sieht man, wie in dem unteren Trog die ]3anden von griin hack gelb wandern; w~ihrend sie yon gelb nach griin zurtickkehren, wenn man das Rauch- glas wieder fortnimmt. Sehr sch6n sieht man die Er- scheinnngen, wenn man dutch einen rotierenden Sek- tor das Licht abwechselnd stfirker und sehw~icher werden l~iBt. Dann bleiben die Banden in dem oberen Trog, wo kein Kohlenoxyd ist, ruhig, w~ihrend sie sich in clem unteren Trog, wo das Kohlenoxyd ist, lain- und herbewegen. So also kann man sehen, wie das Kohlenoxyd im Dunkeln (oder in schwachem Licht) mit Eisen reagiert und wie es im Licht yon dem Eisen wieder abgespalten wird.

Anwendung. Wir fanden, dab Kohlenoxyd im Dunkeln die Zell-

atmung hemmt und dab Licht die Kohlenoxydhem- mung der Atmnng wieder zum Verschwinden bringt, mit andern Worten: Wir fanden, dab Kohlenoxyd im Dunkeln mit einem Katalysator der Atmung reagiert

*) Vor trag, gehalten bei der Hauptversammlung der l~{ax-Planck- Gesellschaft in Berlin-Dahlem am 2t. Mai 1953.

Naturwiss. t953.

und dab es im Licht yon diesem Katalysator wieder abgespalten wird. Diese Analogie war so grog, dab man sagen kann, Kohlenoxyd und Licht haben das sauerstoffiibertragende Eisen entdeckt, damals eine unsichtbare Substanz, die aus den Zelten zn isolieren aussicktslos erschien.

Isolierung des sauersto/fiibertrage~r Eisens.

Obwohl mit Kohlenoxyd und Lieht viele Eigen- schaften des sauerstofftibertragenden Eisens gefunden wurdeli, so hatte die Methode doch ihre Begrenzungen, und so haben wir im Lauf der Jahre immer wieder versueht, das sauerstoffiibertragende Eisen zu iso- lieren. In einer Arbeit mit NEGELEIN wurde der Anfang gemacht; aber erst in einer Arbeit mit HANS- SIEGFRIED GEWlTZ ist es in der letzten Zeit gelungen, das sanerstofffibertragende Eisen in solchen Mengen zu isolieren und zu kristaIlisieren, dab man heute diese wichtige Substanz mit den Methoden der Chemie untersuchen kann. Dabei hat das isolierte Eisen be- stittigt, was Kohlenoxyd ~nd Licht voransgesagt batten: dab das sauerstofffibertragende Eisen eine H~iminverbindung ist; dab die Kohlenoxydbande des sauerstoffiibertragenden Eisens um 590 m?~ liegt ; dab das sauerstoffiibertragende Eisen wesentlich ver- schieden yon BlutMmin ist.

Versuch I f .

Auf der Perlwand wird ein Trog abgebildet, der eine L6sung des sauerstofftibertragenden Hiimins in 3 % Pyridin enth~ilt. Das Eisen des H~imins ist bier 3-wertig, die Farbe der L6sung ist gelbgrtin. Redu- zieren wir nunmehr das Eisen, so sieht man, wie beim Valenzwechsel des Eisens die Farbe der L6sung von gelbgrtin in tiefes Rot umschlitgt. Leiten wir dann Sauerstoff dutch die rote L6sung, so wird das 2-wertige Eisen wieder zu 3-wertigem Eisen oxydiert, und die L6sung wird wieder gelbgrtin.

Dies ist insofern kein Modellversuch, als es der Valenzwechsel desselben H~tmins ist, der sick fort- gesetzt in allen unsern Zellen abspielt. Es ist der Vor- gang, dutch den im wesentlichen der Sauerstoff in der organischen Welt iibertragen wird.

Versuch I I I .

Wiedemm wird das Spektrum der Xenon-Hoch- dmcklampe projiziert. In den Strahlengang werden zwei Tr6ge gebracht, yon denen der obere Trog eine L6sung yon BlutNimin enthiilt, der untere Trog eine L6sung des sauerstofffibertragenden Hfimins. In beiden Tr6gen ist das Eisen znn~ichst 3-wertig. Redu- zieren wir das Eisen in beiden Tr6gen zur Ferro-Form, so entwickeln sich in beiden Tr6gen die Ferrobanden. Sie sind sehr erkeblich gegen einander verschoben. Die Banden des Bluthiimins liegen im griin, die Banden des sauerstoffiibertragenden H~imins aber im gelb.

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Die Natur- 4 9 4 OTTO WARBURG: O b e r d ie W i r k u n g s g r u p p e n de r o x y d i e r e n d e n u n d r e d u z i e r e n d e n Fermen~ce. wissenschaften

In entsprechender Weise vergleichen wir das Spek- t rum des sauerstofftibertragenden H:imins mit einem H~imin, das wir aus Chlorophyll b, nach Abspaltung des Magnesiums durch Eisen, gewonnen haben. Hier- bei zeigt sich, dal3 die Ferrobanden der beiden H~imine ~icht wesentlich gegeneinander verschoben sind. Spek- tral steht also das sauerstoff~bertragende H~tmin dem H~imin aus Chlorophyll b n~her als dem Bluth~imin.

Fig. 1. D ime thy les t e r des Deute roporphyr ins aus sauers toff f iber t ragendem Hgtmin.

Fig. 2. D ime thy le s t e r des Deute roh~mins aus sauerstof fiiber t r agendem H&min.

Chemische Komtitutio~.

Der durch die Absorptionsbanden gefnndene Unter- schied zwisehen sauerstofffibertragendem Hgmin und Bluth:imin kommt nun in den EIementaranalysen sehr deutlich zum Ausdruck. Bluth~imin entMlt 8,5% Stickstoff, sauerstofftibertragendes H~imin enthfilt nur 6,5% Stickstoff. Bluth/imin enth:ilt 34 Atome Koh- lenstoff, sauerstofftibertragendes H:imin enth:ilt etwa 48 Atome Kohlenstoff. In der Tat enth~ilt das sauer- stofftibertragende HS, min in den Pyrrolringen t oder 2 eine Ket te yon Kohlenstoffatomen, die bisher noch in keinem H/imin gefunden worden ist nnd yon der die besonderen physikalischen Eigenschaften des sauer-

stoffiibertragenden Hamins, z.B. seine L6slichkeit in Nther, herrtihren. In den Pyrrolringen t oder 2 befindet sich ferner eine Formylgruppe, die sonst fiir das Chloro- phyll b charakteristisch ist; wahrend die Pyrrolringe 3 und 4, die die beiden Propions~turen tragen, identisch sind mit den entsprechenden Pyrrolringen des Blut h/imins. Das sauerstofffibertragende H/imin ist also in der einen H~ilfte Bluth~imin, in der anderen H:ilfte steht es dem Chlorophyll nahe und enth~lt auBerdem eine Kohlenwasserstoffkette, die in keinem der beiden anderen H~imine vorkommt. Einige besonders sch6n kristallisierende Derivate des sauerstoffiibertragenden H/imins sind in den Fig. t u n d 2 abgebildet.

Im Leben ist das sauerstoffiibertragende H~tmin, wie mit Kohlenoxyd nnd Licht gefnnden wurde, an Eiweil3 gebunden. Diese Bindung des H~tmins an Eiweig beeinflugt sowohl die Energie als auch die Geschwindigkeit des Valenzwechsels. Mit der Wir- kungsgruppe -- dem Eisen- und dem Wirkungs- mechanismus --, dem Valenzweclasel -- , ist also die Katalyse noch nicht vollst~indig erkl~rt. Aber im Vergleich z:: dem Zustand, in dem man weder Wir- kungsgruppe noch Wirkungsmechanismus kannte, ist der Fortschritt fast unendlich groB.

N i kotinsdur eamid.

Eine andere Wirkungsgruppe, die wir bei der Unter- suchung der Zellatmung gefunden haben, ist das Ni- kotinsiLureamid. Es ist eine einfache Pyridinverbin- dung, die durch partielle Hydrierung und Dehydrie rung ihres Pyridinrings in der Atmung Wasserstoff tibertr~tgt (Fig. 3)-

CH CH CH( ~'CC~ 2 = CH(~'ICCO NH 2 CHQ.. ~-CHy + 2 H CHt~'--//)CH2 + H +

N + N

Fig.3. Wassers toff - (Elektronen-) Aufnahme du tch Nikot ins / iureamid.

Versuch IV.

Auch die Funktion des Nikotins~iureamids kann man durch ein Experiment zeigen. Zwar ist das Nikotins~iureamid eine farblose Substanz, die auch im Ultravio]ett keine charakteristischen Banden hat. Aber wenn das Nikotins~iureamid Wasserstoff auf nimmt, so entsteht im nahen Ultraviolett eine charak- teristische Bande und mit der Bande eine bl~iulich- weil3e Fhloreszenz. Man kann also die Wasserstoff- aufnahme des Nikotinsfiureamids zeigen, wenn man es vor dem Schwarzglas einer Analysen-Quarz]ampe reagieren 1/il?t. Zum Beispiel befindet sich in der einen Flasche eine Nikotins:iureamid-Verbindung, in der andern ein Reduktionsmittel. Jede der beiden L6- sungen ist vor dem Schwarzglas dnnkel. GieBen wir aber die beiden LSsungen zusammen, so entsteht das partiell hydrierte Nikotinsfiureamid, und mit ihm er scheint die bl:iulich-weil3e Fluoreszenz.

Diese Fluoreszenz entsteht immer, wenn Nikotin- s&ureamid und die Brennstoffe der Zelle :inter ge- dgneten Bedingungen zusammentreffen. Dann ent zieht das Nikotins~iureamid den Brennstoffen Elek- tronen nnd verbrennt sie, schrittweise, zu Kohlens~iure und Wasser.

Nikotins~iureamid ist auch der Wasserstoffiiber- tr:iger der G~rungen. Bei den G/irungen entzieht das

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Heft 19 OTTO V(ARBURG: ~)-ber die X'Virkungsgruppen der oxyd ie renden und reduz ie renden Fermente . 495 ~953 (Jg. 40)

Nikotins~iureamid dem eir~e~ Teil des Zuckers Wasser- stoff und tibertr~gt diesen Wasserstoff auf den a~de~,e~,~ Teil des Zuckers. Wenn z.B. bei der alkoholischen G~irung der Zucker zum Teil zu Kohlens~ure oxydiert, zum Teil zu Alkohol reduziert wird, so ist dies das Werk des Nikotins~ureamids. Die Gleichung der Alkoholbildung lautet :

Dihydro-Nikotins~iureamid + Acetaldehyd Nikotins~ureamid + Alkohol.

Diese Reaktion ist es, durch die der Alkohol in der lebeilden Natur entsteht.

Auch bei der Photosynthese scheint das Nikotin- s~ureamid eine Rolle zu spielen. Es wird neuerdings von SEVERO 0CHOA angenommen, dab in griinen be- lichteten Pflanzenzellen Nikotins~tureamid denWasser- stoff des Wassers aufnimmt und mit diesem Wasser- stoff die Kohlens~ture reduziert, w~thrend der Sauerstoff des Wassers in die Lnft entwickelt wird.

Die Wasserstoffiibertragung durch Nikotins~ure- amid wnrde 1934 in Dahlem entdeckt. Seitdem hat diese Substanz ihren Siegeszug dutch die Biochemie angetreten, der noch heute mit unverminderter St~rke anh&lt. In der Bilanz ist der Sauerstoff das Oxydans der organischen Welt; aber dem Mechanismus nach ist es das Nikotins~iureamid. In der Bilanz sind die O~rungen Dismutationen der Substrate; abet dem Mechanismus nach sind sie Wasserstoffverschiebungen durch Nikotins~iureamid. In der Bilanz ist die Photo- synthese eine Spaltung yon Kohlens~iure in Kohlen- hydrat nnd Sauerstoff; aber dem Mechanismus nach ist sie vielleicht eine Wasserstofffibertragung durch Nikotins&ureamid,

Alloxazin. Eine dritte Wirkungsgruppe, die wir bei der Unter-

suchung der Zellatmung gefunden haben, ist das gelbe Alloxazin, ein einfacher stickstoffhaltiger Ring, dessen Funktion es ist, den Wasserstoff, den das Nikotin- s~iureamid den Brennstoffen entzogen hat, an das Eisen weiterzugeben. Alloxazin und seine in der Natur vorkommenden Derivate sind yon RICHARD KUI~N in beriihmten Arbeiten synthetisiert worden.

Versuch V. Alloxazin fluoresziert bei Bestrahlung mit blauem

Licht gelbgrfin, w~hrend das reduzierte Alloxazin farblos ist und auch im nahen Ultraviolett nicht fluoresziert. Lagt man also das gelbe Alloxazin in blauem Licht oder vor dem Sehwarzglas der Analysen- Quarzlampe zwei Atome Wasserstoff aufnehmen, so verschwindet die Fluoreszenz. Leitet man Sauerstoff durch die L6sung, so kehrt die Fluoreszenz zurtick.

Kette der Wirkungsgruppe~< Weitere Wirkungsgruppen der Atmung sind die

drei H~imine, die MacMu~t, ~ im Jahre t885 entdeckte und die er Histoh~matine genannt hat. Es sind drei Eisenverbindungen, deren Ferroformen nicht mit Sauerstoff reagieren und deren VVirkungsweise deshalb lange Zeit unverst~indlich blieb. Heu te wissen wir, dab die Histoh~matine mit den anderen Wirkungs- gruppen der Atmung in einer Kette zusammenwirken und dab ihr PIatz zwisehen Alloxazin und sauersioff- tibertragendem Eisen ist. Damit ist die Zahl uilserer

Wirkungsgruppen auf sechs gestiegen, und wahrschein- tich sind damit alte Wirkungsgruppen der biologischen Verbrennung erkannt.

Der vollstfindige Mechanismus der biologischen Oxydation l~Bt sich dann in wenigen S~tzen zlmam- menfassen: Das Nikotins~ureamid entzieht den Brenn- stoffen Elektronen, wodurch sie oxydiert werden. Es folgt der Transport dieser Elektronen yon dem Nikotin- s~ureamid zu dem Alloxazin, yon dem Alloxazin zu den Histoh~imatinen, yon den Histohiimatinen zu dem sauerstoffiibertragenden Eisen, von dem sauerstoff- iibertragenden Eisen zu dem molekularen Sauerstoff. Der eigentliche und innerste Mechanismus der Ver- brennung in dieser 6stufigen Kette ist der Obergang der Elektronen yon den Brennstoffen auf das Nikotin- s~tureamid. AXles weitere ist Abtransport dieser Elek- tronen zum molekularen Sauerstoff.

Von keinem Glied der Kette kann man sagen, dab es wichtiger sei als das andre. F&llt ei~ Glied aus, so kommt die Zellatmung zum Stillstand. Zum Beispiel beruht die giftige Wirkung der Blausfiure darauf, dab sie sich mit dem sauerstofftibertragenden Eisen verbindet. Dann ist dieses Eisen nicht mehr imstande, Elektronen auf den molekularen Sauerstoff zu fibertragen; es stauen sich die Elektronen am Niko- tinsfiureamid, nnd damit kommt der ganze ProzeB der Atmung zum Stillstand.

Nukleotide.

Es bleibt noch, die Bindung der Wirkungsgruppen Nikotins~ureamid und Alloxazin in den Katalysatoren zu erl~utern. Wie das Eisen nicht als ~reies Ion vor- liegt, sondern eingebaut in Porphyrine, so liegen Nikotins~iureamid und Alloxazin nicht als freie Basen vor, sondern eingebaut in lVlolekeln, die Phosphor- s&ure, Kohlenhydrat und meistens auch Adenin ent- halten und die Nukleotide genannt worden sin& Aus den Fig. 4 und 5 sieht man, da_8 in solchen Nukleotiden die (umrandeten) Wirkungsgruppen nur einen kleinen Teil der Molekeln ausmachen.

i / ~ / C 0 �9 NH,, i NH~ X'--../]~N

\ N/~-N / L N + j ~ II

H--C H--C ..... i 1

H--C--OH I H--C--OPOaH_~ I f O I O O

H--C--OH H--C--OH i H--~ ' o OH ~ . . . . .

~TT N h ] m2--O--P--O P--O--CH~

I I O- Oil

Fig. 4. Triphospho-Pyridin-Nukleotid.

O I NH ,, H~ I II I // I -,= \ ~ ) < N J

H--C--H H - - C - - - .... I ! H--C--OH H--C--OH 1 H--~'-- 0 H 0 H--C--0H

H--C--0H 0 0 H--C .... I ~ I CH2--0--P--0--P--0--CH ~

I I OH OH

Fig. 5. Alloxazin-Adenin-Dinukleotid.

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496 HANs Z)RISCHt~L: Die Mel3funktion biologischer Rezeptoren als regeltheoretisches Problem. Die Natur- wissenschaften

Bisdu~g an Eiwei~. Die Nukleotide sind in den Katalysatoren nicht

frei, sondern sie sind, ebenso wie die H~imine, an Eiweil3k6rper gebunden, deren Molekulargewicht yon der Gr6Benordnung 100000 ist. Damit bin ich in meiner Darstellung von den Wirkungsgruppen bis zu den sauerstofI- land wasserstoffiibertragenden Fermenten vorgedrungen, die also nach dem Oesagten drei Komponenten enthalten. Ihre Gr613enverh~iltnisse soll die Fig. 6 veranschaulichen. Der groBe Kreis ist das Eiweil3. Der mittlere Kreis ist das H~imin oder das Nukleotid. Der innerste Kreis ist die Wirknngs- gruppe -- das Eisen oder das Nikotins~iureamid oder das Alloxazin.

Fig. 6. Gr6Benverhaltnisse der 3 Kompollenten der sauerstoff- und wasserstofftiber tr agenden Fermente.

So ist es also bei der Untersuchung der Zellatmung gewesen, dab die Natur -- zum ersten Male -- das Geheimnis von Fermentwirkungen preisgegeben hat. Dabei hat sich gezeigt, dab diese Fermente nicht, wie noch WILLSTAt~TTEI~ glaubte, dnrch besondere, nur dem Leben eigene Kr~tfte wirken; sondern die sauerstoff- und wasserstoffiibertragenden Fermente wirken durch chemische Zwischenreaktionen einfacher, l~ingst be- kannter Substanzen, deren Besonderheit es lediglich ist, dab die Zwischenreaktionen schneller verlaufen, als die organische Chemie es f~r m6glich gehalten h~itte.

Hugo Theorell. Untrennbar mit diesen Ergebnissen verbunden ist

ein Name, dessen Tr~iger zu unserer Freude unter uns weilt. Ich meine H u e o TI~EORELL. Als THEORELI_ t 933 nach Dahlem kam, war das gelbe Ferment noch mehr als unrein, und yon den Alloxazinen war nur das Luminoflavin entdeckt. THEORELL stellte das gelbe Ferment rein dar. Er zerlegte das reine Ferment in Eiweil3 und Alloxazin und entdeckte dabei das Allo- xazin-Nukleotzd. Und sehlieBlich gliickte es THEORELL, Eiweig und Nukleotid wieder zu dem voll wirksamen Ferment zu vereinigen. Es ist die noch heute uniiber- troffene Meisterarbeit der Fermentchemie.

A ~r t. AnlaB zu diesem Vortrag war der Fortschritt

in der Chemie des sauerstofftibertragenden Eisens und -- noch mehr -- der Wunsch, ein Gebiet, auf dem

Physik und Chemie am weitesten in das Gebiet der Lebensvorg~inge hineinragen, auch in der Sprache dieser Wissenschaften darzustellen. Wit sagen also nicht mehr, dab ,,Kodehydrasen Reaktionen akti- vieren", wenn wir wissen, dab Wasserstofftibertra- gungen durch Nikotins~iureamid vorliegen. Wit sagen nicht mehr, dab ,,Cytochroma~ den mo!ekularen Sauerstoff aktixdert", wenn wit wissen dab Reak- tionen des Sauerstoffs mit Ferro-Eisen vorliegen. Wir sagen nicht mehr, dab ,,G~trungsfermente die Dis- mutation yon Substraten aktivieren", wenn wit wissen, dab Wasserstoffverschiebungen durch Nikotins~iure- amid vorliegen. Erst so werden wir die biologische Ver-- brennung in ihrer grol3artigen Einfachheit verstehen und sie anderen klar machen k6nnen.

2. Wenn wit dem Ferro-Eisen den Preis als bio- logischen Reaktionspartner des molekularen Sauer- stoffs zuerkennen, so vergessen wir dabei doeh nicht das sauerstoffiibertragende Kupfer, das wir t937 ent- deckt haben, das aber als biologischer Reaktionspart- ner des Sauerstoffs gegeniiber dem Eisen zu vernach- l~issigen ist. -- Wir vergessen auch nicht die gelben Fermente, die in manchen Anaerobiern ohne vorge- schaltetes Eisen vorkommen und dann direkt mit molekularem Sauerstoff reagieren k6nnen. Aber diese An aerobier -- dereinst die Vork~impfer im Kampf gegen das sauerstoffiibertragende Eisen -- beteiligen sich per definitionem nicht wesentlich an dem Sauerstoffver- branch der lebenden Natur.

3. In dem ersten Pyridin-Proteid, das wir kri- stallisiert haben -- in dem reduzierenden G~irungs- ferment der Here -- fanden wir, dab das Protein das NikotJnsXnreamid hydrieren kann, das heiBt wahr- scheinlich, dab die SH-Gruppen des Proteins das Ni- kotins~iureamid hydrieren k6nnen. [Biochem. Z. 293, 35t (t937)]. Aber die Hydrierung des Nikotins~ture- amids durch das Protein verl~tuft eine Million mal langsamer als die Hydrierung des Nikotins~tureamids durch den Alkohol im Verballd des Proteins. Es ist also ausgeschlossen, dab die Hydrierung des Nikotin- s~iureamids durch den Alkohol fiber die SH- oder irgendwelche andere Gruppen des Proteins geschieht.

4. Es ist wahr, dab die zusammengefaBten Wir- kungen der sauerstoff- und wasserstoffiibertragenden Fermente night der Zellatmung gleichgesetzt wer- den dtirfen. Denn zur Zellatmung geh6ren auch die Phosphorylierungen; die Spaltnngen und Konden- sationen; der C,-Zyklus; die Reaktionen des Ko- ferments A; kurz der gesamte intermedi~ire Stoff- wechsel. Aber iiberall da, wo eine Oxydation oder Reduktion zu vollziehen ist, erscheinen das Eisen oder das Nikotins~iureamid oder das Alloxazin, die deshalb die Wirkungsgruppen nicht der Atmungsfermente, aber der Oxydations- und Reduktionsfermente sind.

Max-Planck-Institu~ /r Zellphysiologie, Berlin- Dahlem.

Eingegangen am 28. Mai 7953.

Die Mef~funktion biologischer Rezeptoren als regeltheoretisehes Problem. Von HANS DRISCttEL, Greifswald.

Die Leistung von sensiblen und sensorischen End- organen (Rezeptoren) ersch6pft sich bekanntlich nicht darin, das blol3e Vorhandensein oder Nichtvorhanden-

sein einer bestimmten Reizqualit~t anzuzeigen; diese sind vielmehr daftir eingerichtet, den Reiz bzw. den Reizvorgang quantitativ zu analysieren und das MeB-