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ANNALEN DER CHEMIE PHARMACIE. LXXXIV. Bander erstes Heft. Ueber die Zusammensetzung des Jodstickstoffs j von R. Bunsen. Dafs die Elemente des Wassers bei der Bildung des Jod- slickstoffs keine Rolle spielen, lafst sich aus dem einfachen Umstande folgern, dafs eine concentrirte Losung yon Jod in absolulem Alkohol bei der Sattigung mit wasserfreiem Am- moniak Jodstickstoff giebt , ohne dars dabei das Losungsmittel an der Zersetzung theilnimmt. Der Jodstickstoff kann daher keinen Saberstoff enthalten , sondern nur aus Stickstoff, Jod und Wasserstoff bestehen. Da ferner bei der Bildung des- selben aus Jod und Ammoniak als einziges Nebenproduct nur Jodwasserstoff entsteht , so mds derselbe ein Substitutions- product des Ammoniaks seyn , in welchem der Wasserstoff theilweise oder vollstiindig durch Jod vertreten ist , namlich : Jede dieser Verbindungen 1, 2, 3 konnte aber moglicher Weise noch Ammoniak oder Jodwasserstoffsaure enthalten. Es. llfst sich indessen leicht beweisen, dafs die letztere sich nicht unter den Bestandtheilen des Jodstickstoffs findet , denn der- Annal. d. Cbemie n. Pharm. LXXXIY. Bd. 1. Heft. 1

Ueber die Zusammensetzung des Jodstickstoffs;

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A N N A L E N DER

CHEMIE PHARMACIE.

LXXXIV. Bander erstes Heft.

Ueber die Zusammensetzung des Jodstickstoffs j von R. Bunsen.

Dafs die Elemente des Wassers bei der Bildung des Jod- slickstoffs keine Rolle spielen, lafst sich aus dem einfachen Umstande folgern, dafs eine concentrirte Losung yon Jod in absolulem Alkohol bei der Sattigung mit wasserfreiem Am- moniak Jodstickstoff giebt , ohne dars dabei das Losungsmittel an der Zersetzung theilnimmt. Der Jodstickstoff kann daher keinen Saberstoff enthalten , sondern nur aus Stickstoff, Jod und Wasserstoff bestehen. Da ferner bei der Bildung des- selben aus Jod und Ammoniak als einziges Nebenproduct nur Jodwasserstoff entsteht , so m d s derselbe ein Substitutions- product des Ammoniaks seyn , in welchem der Wasserstoff theilweise oder vollstiindig durch Jod vertreten ist , namlich :

Jede dieser Verbindungen 1, 2, 3 konnte aber moglicher Weise noch Ammoniak oder Jodwasserstoffsaure enthalten. Es. llfst sich indessen leicht beweisen, dafs die letztere sich nicht unter den Bestandtheilen des Jodstickstoffs findet , denn der-

Annal. d. Cbemie n. Pharm. LXXXIY. Bd. 1. Heft. 1

2 B 14 n s e n , iiber die Zmammensetzung

selbe liist sicli ohnc Gasenlwicklung in Salzsiiure zu einer Fltissigkeit aiif, die nur Einfnch-Chlorjod und Ammoniak, aber hcine J o t h asserstoflsiinre enthiilt. Aus ebcn diesem Verlrallen ldst sicli cler SchluTs zielicii , daTs tlcr Jotlstickstoff eine Ver- bindung von tler Form R€,, NH . I,, N&. I scyn inid's, ent- weder fiir sich, oder nocli kercinigt niil dcn Eleinenten des Anmoniaks. Welchc von tliesen Allernativrn die riclitigo ist , lal'st sich leiclit cntsclieitlcn, wenn nian dic Atomverbalt- nissc eriniltelt , in \velclicn die durcli Stilzsiiiire aus Jodstick- stoff erhallenen Zersclziiii,rrspl.odiiclt? zii einantlcr slelirn. Den11

wenn wirklich nur Einfach-Cldojod und Anitnonialc entsteht, so mu/;. die Zersdzung nacli c+wii tlrr iiaclis~f~lic~ntlrii Sch+ malen vor sicli g ( h i :

Man sieht dalier, dds der Jotlsticltsloff , uni mich cles Ausdruckes zu bedienen, ein Nilril, ein Iniitl oder ein Amid des Jods seyn niuk, je naclidem auf ein Alom Ainnioniak drei , awei oder ein Atom Jodcliloriir ahgeschicdcn werden. Aus einer alinliclicn Bclraclitung liikt sicli folgern , tlaTs zwei Atomc AI1iliiollii& auf drei Alonie Einfach-Chlorjod der Ver- bindung 7) U,N + W S , untl zwei Atonie Ammoniak auf ein Atom Chlorjod der Zusainmenselzung H,N + 11,N . I cnt- sprechen. Es liandclt sich dalier bei tler Analyse des Jod- slickstoffs niir nocli uni die Bestimmung seiner Zcrsetzungs- producle durrli Salzsiiure, und zwar

i . mi die Menge des gebildelen Aninioniaks ; 2. iiin die Zusammensclzung und ltIenge dcs gcbildelen

Die erstere Beslinnnung bietet keine Scliwierigkeilen dar, und kann ganz einfacli auf die gewohnliche Weise mit Platin- chlorid ausgefiihrt werden. Zu der zweiten liabe ich mich eincr Methode bedient , welche an Schiirfe und Einfachheit

Chlorjods.

deo Jodstidoto&. 3

nichts zu wunschen iibrig liefs. Man mirst namlich von der salzsauren Liisung des Jodstickstoffs zwei gleieh grofse Yo- lumina ah, wid bestimmt in dem einen das Jod durch Chlor- palladiurn, nachdeni inan zuyor das Chlorjod durch schweflige Saure in Chlorwassersloff und Jodwasserstoff verwandelt hat. Die gefuiadene Joduienge sey i. Das zweite gleich groke Volunien fiigt man einem M a t e schwefliger Siiure llinzu, von dein man dorch einen jodomelrischen Priiliminiirversuch zuvor ermittelt hat, wieviel Jod i, dasselbe fur sich allein zu seiner Zersliirung bedarf, und bestimmt die zur vollstiindigen Zer- stiirung der schwefligen Siiure noch nothwendige Jodmenge i,, ebenfiills jodonietrisch. Damus ergieht sich das Cewicht des iin Chlorjod enthaltenen Chlors c miltelst der Gleichung €1 - (i, - i,, - i) = c. Hat man auf diesein Wege die Zu- 1 samniensetzung und Menge des Chlorjods ermittelt , welches sich in der die Zcrsetzungsproducte des Jodstickstoffs enthal- tenden salzsauren Fliissigkeit findet, so ist nur noch das gleich- zeitig gebildele Ammoniak zu beslimmen. Zu diesem Zweck wird ein den beiden friiheren gleiches Volurnen der Fliissigkeit bis zur Verjagung des Chlorjods irn Wasserbade eingedampft, und das dnrin enlhaltene Ammoniak mit Platinchlorid bestimmt.

Die Darstellung des zur Analyse benutzten Jodstickstoffs gesrhah durch Verinischen kalter gesattigter wasserfreier alkoholischer Liisungen von Jod und Ammoniak. Es fie1 dabei ein schwarzes Pulver nieder, das leicht und ohne die mindeste Zersetzung w erleiden niit absolutem Alkohol ausgewaschen werden konnte. Das so gewonnene Product wurde noch feucht in verdiinnter Salzsiiure geliist, was leicht und ohne die ge- ringste Gasentwicklung geschah. Yon der erhallenen Liisung wurden darauf drei gleiclie Volurnilla in eine Mafsflasche ab- gernessen. Das em te gab 9,3290 Grm, Chlorplatinammonium. Das zweite gab 0,1456 Grm. Palladium durch Gliihen des

1"

4 B u n s en, iiber die ZusmmenseLszmg

gefallten Jodpdladiums. Das dritte wurde einem Make schwef- liger Siiure, das nach einem Praliminarversuch 241,6 CC. Jod- liisung (yon 0,005 Grm. Jod im Cubikcentimeter) zu ihrer Zerstorung bedurfte , hinzugefugt , und die zur vollstandigen Zerstorung noch nothige Jodlliissigkeit zu 131,4 CC. bestimmt.

, Daraus ergiebt sich fur das gebildete Ammoniak c=0,02508 und die iibrigen Rechnungselemente : i=0,27551; i,= 1,2080; ill = 0,6570, und milhin fiir die zu beslimmenden Zersetzungs- producte des Jodstickstoffs :

Vereuch Atomverhaltuifs Amnioniak 0,02508 2 , a Jo d 0,27551 3700 Chlor 0,07701 3,OO.

Also auf zwei Atome Ammoniak drei Atome Einfach- Chlorjod. Der Jodstickstoff kann daher nichts anderes seyn als Ammoniak, worin der gesommte WasserstolT durch Jod ver- treten ist, verbunden noch mit einem Atom unzersetzten Am- moniaks, der oben abgeleiteten Formel ?) H,W . NIs ent- sprechend , wie die nachstehende gefundene nnd berechnete Zusammensetzung zeigt :

Jodchloriir

gefundea berechnet Chlor 21,85 1 Atom 21,85 Jod 78,15 1 ,, 78,15

100,oo 100,00. Jodstickstoff

gefunden berechnet Stickstoff 3,46 1 Atom 3,40 Jod 92,33 3 ,, 92,46 Ammoniak 4,21 1 ,, 4,14

1oo,oo 100,00.

Mit diesen vollig iibereinstimmende Resultate gab die nachstehende Analyse eine's Jodstickstoffs , der aus weniger

des Jodstickstoffs. 5

concentrirten alkoholischen Losungen von Jod und Ammoniak dargestellt war. c = 0,02783 #); i=0,3i98'Hc); i,=i,i445; i,, = 0,5005.

Versuch Atomvorhiiltnifs Ammoniak 0,02783 1,95 Jod 0,31987 3,OO Chlor 0,09061 3,M.

Jodchloriir gefunden herechnet

Chlor 2293 i At. 21,85 Jod 77,92 i At. 78,15

iOO,oo 100,00. Jodstickstoff

berechnet Stickstoff 3,32 1 At. 3,443 Jod 92,65 3 At. 92,46 Ammoniak 4,03 i At. 4,i4

i00,00 100,OO.

Urn zu ermitteln, ob der aus wasserigen Losungen von Chlorjod erhaltene Jodstickstoff von dem aus Alkohol gebildeten in seiner Zusammensetzung abweicht, wurde eine mit Wasser verdunnte Losung von Jod in Konigswasser mit Ammoniak gefallt, und der Niederschlag moglichst schnell mit soviel kal- tem Wasser ausgewaschen , daL die noch zuriickgehaltene Multerlauge hochstens nur 0,Oi Milligramm Ammoniak enthalten konnte. Die Analyse dieses wie friiher untersuchten Nieder- schlags gab folgende Zahlen :

c=O,0099-); i, = 0,5800; i,, = 0,2300; i = 0,1745 1.).

*) 0,3651 Grm. gefundeneni Platinsalmiak enbprechend. **] 0,1342 Grm. gefundenem Palladium entsprechend.

$) Entspreehend 0,0732 Grm. erhaltenem Palladium. ***) Entsprechend 0,1300 Grm. Platinsalniiak.

6 B u n s en , iiber die Zlcsat~mensetaung

Vcrrach Alcrmverhllinit Ammonirtk 0,0099 i,27 Jod 0,1745 3,00 Chlor 0,04905 3,Oi.

Chlorjod gefunden bcrechnet

Chlor 21,04 i At. 2i,85 78,06 i At. 78,15 Jod

Jodstickstofl gefundcn bcrcchnc t

~- io0,Oo i00,oo.

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Stickstoff 3,51 4 At. 3,51 Jocl ‘35,31 i2 At. %,43 Ammoniak 1,15 i At. i,O6

i00,oo ioo,00. Die Formel f i r das aus wasseriger Liisung von Chlorjod

erhaltene Product ist daher : US?4 + 4 H J.,.

Bei der grofsen Leichligkeit, mit der das Jodstickslolf- ammoniak bei liingcreiii Auswasclien mit Wasser linter Aus- scheidung von Jod und Slicksloff zerselzt wird, liifst es sich zwar nicht unniiltelbar enlscheidcn , 011 die gcfundene geringe Menge Ammoniak unr niechanisch eingcinengt ocler cheinisch verbtinden darin vorkomnit. Man kann iiidcssen aus der Un- tersncliung der durch Wassereinwirkung erhallenen Zerselzungs- prodiicte des Jodslickstoffammoniaks den sichcrn Schlut zichen, dafs diefs Animoniak wirklich cheriiisch gebunden darin vor- kommt. Um sich davon zu tihermugen, braucht man nur das Ausivaschen so lrtnge forlzusetzea, his der grorsere Theil der Verbindung unter Arisschcidung von Jod und StickslolF zer- selzt is1 , und die zuruclibleibende jodhaltige unreinc Yer- bindung in Salzsaure gelost \vie friiher zii untcrsuchen.

Wenn durch fortgeselzles Auswascheii zuletzt widlich die ammoniakfreie Verbindung F4 neben den1 als Zersetzungs-

des Jodsticksioffs. 7

product abgeschiedenen Jod entstiinde, so konnte in der salz- sawen Losung nie mehr als 1 At. Ammoniak auf drei Atome des entstandenen Chlorjods gebildet werden ; wenn dagegen der Jodstickstoff nur in Verbindiwg mit Ammoniak existiren kann, so wird auf drei Atome Chlor im gebildeten Chlorjod stets mehr als ein Atom Ammoniak vorhanden seyn, wie lange man auch das Auswasclien fortsetzen mag; nlmlich im ersten Fall :

und im letztern :

Um daher die Frage zu entscheiden, wurde von dem zur letzten Analyse henutzten Jodstickstoff ein Theil noeh mehrere Stunden lang mit destillirtem Wasser ausgewaschen, und dann im Wasser suspendirt einige Zeit sich selhst uberlassen. Bei Zusatz von Salzsaure hlieb eine reichliche Menge freies Jod ungelost. Die Losung, welche aufser Jodchloriir und Am- moniak noch freies Jod enthalten mufste, @b bei der wie oben uusgefuhrten Analyse folgendeElemente : c=0,00906*); i = 0,2546; i, t 0,4005; i,, = 0,025 "1. Die Liisung ent- hielt demnach, wenn man die Menge des Chlorjods aus d e n

gefundenen CMorgehalt - (i, - i,, - i,) = c berechnet :

Ammoniak 0,00906 1,637 At. Jodchloriir 0,15850 3,000 At. Freies Jod 0,12770.

€1 €

*) Aus 0,1166 gcfuudenem Platinsalniiak berechnet.

**) hus 0;6066 geluntYnnem PJIadimm bulrchnea.

8 B u n s e n , iiber die Zusammensetzr~ng

Man sieht daher, dafs das Ammoniak wesenllich zur Constitution des Jodstickstofls gehort , und dafs aufser der Verbindung #,W + H 1, noch eine andere wahrscheinlich von der Zusammensetzung H, H + 4 €4 €, besteht. - Die Art, wie die Jodstickstoffammoniakverbindungen direct aus Jod und Ammoniak entstehen , ist leicht ails den nachstehenden Zer- setzungsschematen ersichtlich :

4 (H,€++N&) #&+44ls 3 $40 / 3 B , N . O .

Dagegen wurde die Entstehung derselben aus dem durch Konigswasser und Jod erhaltenen Chlorjod in directesten Wi- derspruch niit der gefundenen Formel #,N + H I, treten, wenn, wie es angenommen wird , das durch Konigswasser gebildete Chlorjod wirklich €61, *) und nicht E l ware. Es kannte dann namlich aus der Wechselwirkung dieser Chlor- stufe auf Ammoniak nienials ?I€,, sondern nur N€ entstehen. Dieser Widerspruch liefs vermothen, dafs jene Annahme nicht richtig, und dafs die Formel des in Konigswasser gebildeten Chlorjods nicht 4€1,, sondern vielmehr E l ist. Und in der That haben einige Versuche , welche Herr C o h n in meinem Laboratorium nach der oben angegebenen Methode ausgefiilirt hat, ergeben, dafs selbst bei der Einwirkung von Jod auf das concentrirteste Konigswasser sogar beini Kochen und bei Ueber- schufs der Saure immer nur Einfach-Chlorjod erhalten wird. Extrahirt man namlich das Chlorjod aus dem mit Wasser ver- dunnten Konigswasser mit Aether, und schuttelt nian die er- haltene atherische Losung einigemale mit Wasser , so bleibt die Jodverbindung nach dem freiwilligen Verdunsten der letzten Aetherantkeile rein zuruck. Das zur Analyse I benutzte Pro- duct war auf diese Art aus gewohnlichem officinellem Konigs- wasser, das zur Analyse I1 dagegen aus dem concentrirtesten

*) L. Gmelia’s Handb. d. Chom. 1543. Thl. I, S. 876.

des Jodstickstoffs. 9

Sauregemisch in der Warme und bei grotem Saureuberschub bereitet. Bei dem ersten Versuch wurden 0,0476 Palladium, also i = 0,11344, iind ferner i,, - i, = 0,2235 erhalten. Der zweite Versuch gab 0,0326 Palladium, also i = 0,0177, und i,, - i, = 0,15825. Diefs entspriclit der Zusammen- setzung :

I. 11. berechnet Chlor 21,85 22,46 1 At. 21,85 Jod 78,15 77,54 1 At. 78,15

100,oo ioo,oo ioo,oo. Die Bildung des Jodstickstoffalnmoniaks aus Chlorjod wi-

derspricht daher keineswegs der fur diese Substanz aufgestellten Formel. Sie erklart sich einfach aus dem Schema :

2 €€,N &I&. ?4Is 3 l€l 1 3 H€l.

Nicht weniger leicht verslandlich sind die Yorgange, welche die explosive Zerselzbarkeit der Substanz bedingen. Es bildet sich zunachst Stickstoff und Jodwasserstoffsaure :

Die letztere mufs bei der hohen Temperatur, welche die Zersetzung begleitet , zum grofsten Theil in Jod und Wasser- stoff zerfallen, ein anderer Theil der Siiure m n t sich mit dem Ammoniak der Verbindung zu Jodammonium vereinigen , und dadurcli eine diesem Ammoniak aquivalente Menge Jod und Stickstoff in Freiheit setzen.