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XXVH. Aus der psychiatrischen Klinik zu Gdttingen (Prof. L. Meyer). Ueber eine bisher weniger beachtete Form yon (~esichtstiiuschungen bei Geisteskranken. (Nach einem am 5. M~rz 1896 in der medicinischen Gesellschaft zu G~;ttingen gehaltenen Vortrage.) Von Dr. K. Krause~ I. Assistenzarzt. Es ist bekannt, (lass unter den bei Geisteskranken so iiberaus haufigen und wichtigen Kr,qnkheitserscheinungen, welche man unter der Bezeich- hung ,,Sinnesti~uschungen" zusammenfasst, Tauschungen im Gesichtssinn, abgesehen yon den bei Delirium tremens-Kranken fast regclm~tssig auf- tretenden Visionen, recht selten sind. Die Gesichtstiius(:lmngcn sind entweder einfache elementarel), welche im Sehen yon Funken, Blitzen, Feuerri~dern und ~ihnlichen Lichterscheinungen bestehen, oder sie haben complicirtere Formen, wie (lie eben erw~ihnten Hallucinationen der Alkoholisten, die kleinere mid gr;issere Thiere der vcrschiedcnstcn Arten, Menschen~ Fratzen, Teufel und andere phantastische Gestaltcn sehen. Noch complicirtere Formen ste[len wie in einem Panorama gesehene Laudschaften, Menschenansammlungeu, Aufz/ige: Scenen wie im Theater mid dergl, dar. Der F~irbung nach sind die vorget~iuschten Bilder bald lcbhaft~ bunt und grell, bahl farblos wie Schatten oder Silhouetten2)~ 1) M e n d e 1, Der gegenw~rtige Stand der Lehre yon den Hallucinationen. Yortrag', gehalten in der ttufeland'sehen Gesellschaft zu Berlin. Berliner ldin. Wochenschr. 18907 No. 26~ S. 578. 2) Ziehen, Psyehiatrie. S. 21. 1894.

Ueber eine bisher weniger beachtete Form von Gesichtstäuschungen bei Geisteskranken

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Page 1: Ueber eine bisher weniger beachtete Form von Gesichtstäuschungen bei Geisteskranken

XXVH.

Aus der psychiatrischen Klinik zu Gdttingen (Prof. L. Meyer).

Ueber eine bisher weniger beachtete Form yon (~esichtstiiuschungen bei Geisteskranken.

(Nach einem am 5. M~rz 1896 in der medicinischen Gesellschaft zu G~;ttingen gehaltenen Vortrage.)

Von

Dr. K. Krause~ I. A s s i s t e n z a r z t .

E s ist bekannt, (lass unter den bei Geisteskranken so iiberaus haufigen und wichtigen Kr,qnkheitserscheinungen, welche man unter der Bezeich- hung ,,Sinnesti~uschungen" zusammenfasst, Tauschungen im Gesichtssinn, abgesehen yon den bei Delirium tremens-Kranken fast regclm~tssig auf- tretenden Visionen, recht selten sind. Die Gesichtstiius(:lmngcn sind entweder einfache elementarel), welche im Sehen yon Funken, Blitzen, Feuerri~dern und ~ihnlichen Lichterscheinungen bestehen, oder sie haben complicirtere Formen, wie (lie eben erw~ihnten Hallucinationen der Alkoholisten, die kleinere mid gr;issere Thiere der vcrschiedcnstcn Arten, Menschen~ Fratzen, Teufel und andere phantastische Gestaltcn sehen. Noch complicirtere Formen ste[len wie in einem Panorama gesehene Laudschaften, Menschenansammlungeu, Aufz/ige: Scenen wie im Theater mid dergl, dar. Der F~irbung nach sind die vorget~iuschten Bilder bald lcbhaft~ bunt und grell, bahl farblos wie Schatten oder Silhouetten2)~

1) M e n d e 1, Der gegenw~rtige Stand der Lehre yon den Hallucinationen. Yortrag', gehalten in der t tufeland'sehen Gesellschaft zu Berlin. Berliner ldin. Wochenschr. 18907 No. 26~ S. 578.

2) Ziehen, Psyehiatrie. S. 21. 1894.

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ihre Umrisse sind entweder deutlich und seharf oder unklar un<l ver- schwomlnen. Andere Gesichtst~iusehungen beruhen auf illusion~irer Um- deutung der Bildcr wirklich vorhandener Gegenst'ande. 8olehe Kr:mken sehen ill dell Wolken, Biiumen~ Zimmertapeten etc. Gest,'t[teu 1) ode,' die Gesichter yon Personen ihrer Umgebung entstellt oder verwandelt'-'), so dass sit in den lletreffeuden Personen andere zu sehen glaul)en. Ein beriihmtes Be,spiel solcher lllusionen sind (lie Phantasien des fieberkran- ken Knaben in Goeth~¢s ,ErlkSnig" (,den ErlenkSnig mit Kron und Sehweif?" - - ,Mein Sohn, es is, ein~ Nehelstreif'" ,, . . . . . siehst Du nicht dort ErlkSnigs T~chter am dfistern Ort?" - - ,ich seh' es genau: es seheinen (lie alten We,den so grau").

Was den Entstehungsort der Gesichtstiiuschungcn anbetrifi't, so kSnnte a priori hierfiir die ganze B'flm yon dem peripherischen Auf- nalnneapparat bis zu (lell corticahm Centren un<[ schliesslich diese selbst in Betrachtkommen. l)ass die grosse Mehrzahl yon Halhw, inatione,l cen- trahm Vorg~ingen ihre Entstehung verdankt, dass es sich um Vorstel- lungsphantasmen, nicht um Erregungen der Sinne handelt, ist unzwei- felhaft. Dies hat schon vor Lnngem L. Meyer a) d:trgethal b indem er~ was speciell ,lie Gesichtst~iuschungen anbelangt~ besonders auf (lie Visio- nen der Alkoho]isten und Hysterischen exemplificirte. Er wies darauf hin~ dass ruhigere Kranke dieser Art ihre subject,yen Bilder als unbe- stiinmte graue Flecke besehreiben, wShrend auf der HShe des l)eliriums Gegenst~hl(le yon den verschiedensten Formen und Dimensionen er- scheinen, wie sic gerade zu den llhantastisch erregten Vorstelhmgen der Kranken passen. Ein weiterer Beweis ffir die psyehische Fmtstehung dieser Hzdlueinatiouen ist~ wie L. Meye r hervorhebt, dic MSgiichkeit, sic durch Anregung verschiedener Vorstellungen zu induciren und modi- fieiren4). So gelingt es unter Umstfinden dm'eh Suggestiou aus Miicken Mitus% Ratten, Hunde: LSwen~ ja Elephanten zu macheu. Ferner be- tout L. Meyer~ dass be, den Deliranten hgufig die zuf~llig vor dcr Erkrankung ]lerrsehenden Vorstelhmgen fiir die Art ihrer l]'dlucinationen bestimmend sind, so erlebten zur Zeit des dSnischen Feldzuges viele dieser Kranken Gefimhte; auch (lie allt'iglichen Eindriieke, die de,' Be- ruf der Kranken mit sieh braehte, waren yon Eiufluss, Fischer sahen me,st Aale und andere Fisehe, ein Thierbiindiger wilde Thiere. - - Ehenso

1) M e n d e l 1. c. 2) Z i e h o n 7 Psychiatric. S. 38. 3) L. M e y e r , Ueber dell Charakter der lIallueinationen beiGeisteskrank-

he,ten. Centralbl. f. d. ,ned. Wissenschal'ten. 1865. No. 43. 4) L. M e y e r I. e.

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spielen psyehische Momente, Angst und Einengung des Bewusstseins eine hervorragcnde Rolle beiln Zustandekommcn vieler illusion'arer Trans- formationen optischer Wahrnehmungen. So k0nnen Kranke unter dem Einflusse lebhafter Angst, wie es bei einer Melaneholischen in der G5t- tinger hnstalt tier Fall war, glauben, class (lie W':inde und (lie 1)coke ihrcs Ziinmc'rs, der Ofen und andcre Gegenst~in(lc mff sic fi~qen oder sie sehen dicselben sieh in drohende Gestalten verwandeln.

W~ihrend bei der Entstehung dcrartiger Silmest:~tusehungen ofl'enbar die RindenthStigkeit im Allgemeinen gest0rt ist, glaube ieh ein(~r an- deren, bisher hier nieht erw~hnten Art yon Gesiehtsti:msehungen, bei der es sieh ebenfalls um das Bewegtsehen feststehender Objeete handelt, ein(~ andere Deutung geben zu mfissen. Bei ihn(;n k0nnen wir uns kamn erklftren, wie Gemtithsaffeete oder Vorstellungt~n ihre Entstehung be- dingen kOnnten, auch seheint zu ihr(~m Zustandekommen weniger beizu- tragen die eigentliche optisehe Wahrnehnmng als vielmehr die sieh nfit derselben zur (}esichtsvorstellung componirenden Muskel - und Tas t - e m p f i n d u n g e n aus dem A u g e n b e w e g u n g s a p p a r a t . Auf solehe Hallucinationen hat m~ter andern A. C r a m e r , der sic als ,Hallueina- tionen im Muskelsinn der Augenmuskeln "1) bezeiehnet, besonders die Aufmerksamkeit gelenkt, und seinen Ansehauungen haben sieh Ander% unter ihnen Mendel2), angesehlossen.

Die Eigenart und Seltenheit dieser Phgnomene dfirfte es wohl reehtfertigen, ihnen einige Beachtung zu widmen. Wit haben nun Ge- legenheit gehabt in der G6ttinger Anstalt einen Kranken zu beobaeh- ten, bci dem Erscheinungen dieser Art vorhanden waren, und ieh m0chte im Folgenden fiber diesen Fall berichten und ihm zwei 5hn- lich% deren Mittheilung ich tier Gfite des Herrn Dr. Cramer verdanke~ ansch licssen.

¥orher el'scheint es mir jedoeh nothwendig mit einigen Worten auf (lie p h y s i o l o g i s e h e n Verh ' a l t n i s se der L o e a l i s i r u n g im Raume , auf die W a h r n e h m u n g b e w e g t e r O b j e c t e und auf d i e B i l d u l f g d e r G e s i c h t s v o r s t e l l u n g e n vom p s y c h o l o g i s e h e n S t a n d p u n k t e aus einzugehen.

Her inga) , den ieh zuerst citiren will, eonstruirt den Sehramn

1) A. C ramer, Die tlallucinationen im Muskelsinn bei Geistesl(ranken und ihre klinische Bedeutung. 1889. S. 22.

2) Mendel 1. c. S. 578. 3) t ier ing, Der Raumsinn und die Bewegungen desAuges in t l e rmann ,

llandbuch der Physiologie. l~Kg. 3. Bd. 1. Theil. (Physiologie des Gesichts- sinns)~ Theil I.

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naeh bestimmten optischen Gesetzen auf Grund der gegebenen l)oppel- netzhautbilder. ,,Die Anordnung der Lage tier Sehdinge im Sehraume ist, wie er sagt, ,,abhangig yon der Gestalt und Lagc der l)oppehwtz- hautbilder". Der Sehraum ist nach ihm ein zusammenh~ngender Com- plex von Gcsichtsempfindmlgen~ in weh'hem (lie Localisirung, wenigstens in tier Nfthe~ ziemlich an (lie richtige Stelh; der Objecte erfolgt. Be- wegen si('h nun (lie Augen~ so verschieben sich die Bilder auf tier Netz- h'mt~ und es iindern sich ,die absoluten llaumwcrthe" der lctzteren. Geleitet werden derartige Augenbewegungen durch den Ortswechsel (ler Aufmerksalnkeitl)~ sie werden olme weiteres Zuthtm "tusgelSst und haben an sich keinen Einfluss auf die Localisirung'-)). Weml sich nun das gesehene Object bewegt~ so zieht as unsere Aufmerksanlk(~it beson- ders leieht auf sich~ wit' begleiten cs gcwSlmlich mit unserem Blick% ]ticrdurch tritt eine Aenderung des Raumwerthes und dalnit des Ortes der Empiindung ein. He r i ng ist der Ansieht~ dass (lie Netzhaut yon Anfang an ramnhafte Empfindungen besitzt. Einem jeden Punkte im Raume soll ein Punkt der Netzhaut mit HOhen-~ Breiten- und Tiefen- geffihl zugeordnet sein. Er leugnet somit~ d'tss E m p f i n d u n g e n o(ler Geffihle~ die ( l u r c h B e w e g u n g e n des Auges g e g e b e n s in( l~von m e r k l i ( ' h e m E i n f l u s s be im L o c a l i s i r e n sinda). Insofern er also eine ,angeborene Sehsinnsubstanz" annimmt~ vertritt er~ wenn er auch den Einfiuss der Erfahrung keineswegs gering anschl~gt~ (lie sogenamge n a t i v i s t i s c h e T h e o r i e der Gesichtsvorstellungen. Hiermit steht er abet im Gegensatze zu den meisten Physiologen und Psychologen~ untcr denen eine grSssere Anerkennung als die seinige gefunden hat die yon Wundt 4) aufgestellte s y n t h e t i s c h e Theor ie .

Nach diesem Forscher sind die urspriinglichsten Raumvorstelhm- gen unter dem Einfluss der Bewegungen des Auges entstanden~ bei (lenen (ler Fixationspunkt fortwfihrend grSsste Kreise besehreibt~ (lie einer Hohlkugelfiache angehSren. Hierftir spricht schon die Form des Sehfehles~ das uns wie die innere OberflSche einer Kugelschale erseheint. Wundt weist dam waiter naeh, dass "inch , da s g e g e n s e i t i g e L a g e - verh~t l tn iss der Ob j ee t e im S e h f e l d ganz und gar dureh (lie B e w e g u n g s g e s e t z e des Auges b e s t i m m t wird'~). ZurBestiitigung ffihrt er neben anderen Beweisen die bekannte Erseheinung an~ dass bei

1) t ie r ing 1. c. S. 534. 2) Her ing 1. e. S. 535. 3) l Ie r ing 1. e. S. 547. 4) W undt~ Grundziig'e der pbysiologischen Psychologie. 5) Wundt 1. e. S. 10.%

1~87. lI. Bd,

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L~ihmung des Musculus rectus externus beim Versuchc nach aussen zu blicken die Objecte sich in derselben Richtung nach aussen zu drehen scheinen, l)er Grun, I licgt darin~ dass der Kranke glaubt, dass sich s(dn Auge bcwege. Sicht ein normalcs Aug('., das sich nach rechts b( t- w(;gt~ dabei innner (li<~,selben Gegenstande, so miissen sich ,lies(~ eben- fnlls nach rechts be~l~gen. D:ls gcl:,ihmte Auge ,objectivirt also seine Bewegmlgst(~ndenz"~ und da es selbst still stcht, scheinen sich ibm (lie Gegenst~tnde zu drehen.

Wcnn sich nun die Gegenst:~inde im Raume bewegen~ so bleibt d'ts Auge nicht ruhcnd, sondern folgt unwillkiirlich die Geg(,nstS~nde fixirend. ,Eine ri<-htige Auffassung der ~tusseren Bewegmlg"~ sagt \ ¥ u n d t , , is t

" " o " nut mSglich~ wenn w i t uns tier G e s c h w n l ( h ~ k c i t u u s e r e r A u g e n - b e w e g u n g f o r t d a u e r n d b e w u s s t b lc ibcnl)~ andernf'dls treten Tiiu- schungen tin". Ein Bcispicl solcher ist (lic Sclminb(~wegung (h~r ~tusseren Gegenst:,inde bci rascher Eisenbahnfahrt. Bei (lersclben verschieben sich die Bi[der der Gegenst'~n(lc a.uf der Netzhaut~ da wit' abet keinc Mus- kclanstrengung mache~ und demgcm~ss keine Bewegtmgsempilndmlg haben~ stellcn wir uns die Gegenstande als bewcgt vor. Vollkommene Tiiusehungcn kOnnen entstehen~ wenn wit :m cinem stillstehenden Eisen- bahnzuge vorbeifahren. Wir kOnnen densclben ffir wirklieh bewegt, uns selbst ffir in Ruhc bcfindlieh halten. Es kommt cben darauf ml, wie wit die Versehiebung der Netzhautbilder auslegen. - - W u n d t rcsumirt sehliesslieh°-): ,Aueh das ruhende Auge bildet seine Vorstellungen naeh Itegelll, die den Bewegungsgesetzen gemass sind, und yon (len(,n wir ammhmen miissen~ dass sic sich erst mit Hiilfe der Bcwegung festge- stcllt lmben. Das ruhendc Einzelauge misst vorher hie gesehene Ob- jecte nach der Anstrengung ab~ die zum 1)urchl:~ufen ihrer l)imensionen crfordcrlich iet~ und d.'ts ruhende Doppcl:mgc sch~ttzt unmittclbar das Ticfcnv('.rhitltlfiSS indirect ge.sehcner Punkte nach dem Lagcverhitltniss (let ihm~.n cntsprcchenden Deckpunk'm zum Blickpunkt. Aus diescr Thatsache folgt~ dass an die R e i z u n g t i n e s j e d c n N c t z h a u t l ) u n k - t c s e ine B c w e g u n g s e m p f i n d u n g g e b u n d e n scin muss~ welchein Bezug auf Richtung und Umfang bestimmt ist. Diese Bcwegungsempfin- (lung ist eine unmittelbare Muskclcmpfindung~ sobald das Auge sich wirklich bcwcgt, sic ist einc hmervationseml)findmlg ~ wenn das Augc ruhig blcibt und bloss yon den in den 1Achtpunl(t(~n des Gesichtsfl~ldes auftauchcndcn Eindrficken tin Antrieb zur Bcwegung der Blicklinie aus-

1) \Vundt 1. c. S, 133. 2) \Vundt 1. c. S. 189.

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h..ber Gt, si~,lltsliills(:hungen hot I leisteskrn.nl~en. 835

gcht~ {lo1' sich mit dem Erinnerungsbihlc der actuellcn Muskclempfindung verbindct".

Weiterhin nimmt Wundt an~ class sich mit der hmervationsempfin- dung, welehe ein gegebener Netzhauteindruck im indireeten Sehfelde wachruft, immer gleichzeitig (tie an die Bewegung des Augcs gebundene Tastemplindung, welehc yore Druek auf die sensibeln l'heile der Orbita hcrrfihre, reprodueire. Die qualitativ gleiehfSrmig(~ Muskoleml)findung wet'de erst dureh die begleitende Tastompfindung in Bezug auf die Rich- tung der intendirten Bcwegung bestimmt. Es set mSglieh: dass auch tier Netzhaue einc locale Fi~rbung anhafte, (lie (lie Loealisation unter- stiitzen helle. ,,Die N c t z h a u t e m p f i n d u n g e n " ~ sagt er schliesslieh in seinen ausgezeiehneten lJarlegungon~ , , ve r sehme lzen mit Tas t - und B e w e g u n g s e m p f i n d u n g e n zu u n t r e n n b a r e n Complexen. Was aber die Gesichtsvorstellungen auszeiehnet, ist die Beziehung jcner Empfindm~gscomplexe auf einen Punkt, (las Netzhautcentrmn"l).

Eine andere Theorie des Wahrn(~hmmtgsvorganges, die densclben auf die Gcsetzc der Verbindung der Vorstellungen zuriickffihrt, ist {lie A s s o c i a t i o n s t h e o r i e . hn Anschluss an cinch der hervorragen(lsten Vcrtreter derselbcn, Lotze~ sagt Ziehqm2), indem cr die Frag(~ auf- uirft, wie es kommc~ class wir die l';mpfimlungen 7 die uns dur{.h die Fasern der Nctzhaut vq,rmitt(dt wer(len~ entspre<'.h(md dcr Faseranord- nung (hu' Nctzhaut~ also entspr~chcnd tier Anordnung der Gegenst~tndc or(hlen: ,,Wcnn wit (las Aug~ drehen, so (hiss alas Netzhautbild tines Objeetcs yon irgcnd cinem Punkt (let' Netzhaut: (h,r geradc yon den Strahhm getroff~,n wird, na('h der MaeuN [utea g(.langt~ so haben wit" cilm continuirlieh(, I/eihe yon Bt, wcgungs(mlpfindullgen. Jedcr N(,r- w~nf:lscrcndigung ist cSw Bewegmlgs(,mpfinthmg yon I)estimmter GrSsse zugeor(Inet~ und dicse Bew(~gungsempfindung(m bilden ihrer Int(,nsit~it nach cino stctige R(,ihe. Eine j(,(le Ncvvenfascrcndigmlg besitzt in di(,ser associirt('n Bewegnngscnlpfindung tin erworbcnes Localzeichcn. Wir o rdncn also die, L i c h t e m p f i n d u n g c n llach der Skal ' t dcr mit ihnen a s s o c i i r t e n B e w c g u n g s e m p f i n d u n g e n " a ) . Z iehen (,rkl~irt auch den s t (~rconlet r ischcn C h a r a k t c r der Gcs i ch t scm- p f i nd un gen durch Assoc i a t i onen mit Bcwog~tngs- und Tast - v o r s t e l l u n g c n und s'~gt dram: ,Es ist fraglich, ob das ruhendc I)op- 1)claug(~ j(~mals cinch stercomctrischcn llaum sich constru[ren k~'innte. Abcr unsere Augen bq~uegcn sich~ dcr Accommodationsmuskel sl)ielt ~

1) W.~ 1. c. p. 192. 2) Z iehen, Leitfitden der physiologisohen Psychologie 189(;. 3) Ziehen~ 1. c. S. 94.

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der Kopf wird gcdreht~ der ganze KSrper vorwfirts bewegt, die Gesichts- cmpfindungen werden dutch Betasten controlirt, und so cine grosse Summc neuer associirter Bewegungs- and Tastvorstellungen gegeben".

Ebenfalls im Sinne der Assoeiationstheorie, wenn auch in etwas andercr Weise, spricht sich Wcrn i cke -~) aus. Naehdem er den psycho- logisehen Begriff der Erinnerungsbi]der als die Erimlerung der gleichen gegenscitigcn Anordnung der functionirenden Elemente definirt und day Ged~ichtniss fiir die jeweilige Form der Netzhautbilder dutch eine er- worbene functionellc Verknfipflmg der gleichzeitig erregten wahrneh- menden Elemente erkl~irt hat, constatirt er, dass ffir das o p t i s c h e E r i n n c r u n g s b i l d noch eine Componen t e h i n z u k o m m e , mit der es ers t die G e s i e h t s v o r s t e l l u n g bilde. Es bestehe n~m]ich eine associative Verbindung der don Netzhautpunkten zugeordneten Percop- tionszellen mit Bewegungsvorstellungen des centr'tlen Projcctionsfeldes dcr Augenbewcgungen. Zur Erkl~irung der Thatsache, dass das Erinnc- rungshild, trotzdem die Netzhautbilder, welehe yon conercten Dingen der Ausscnwelt entworfen werdcn, yon den versehiedcnsten GrSsscn sind, eine Einheit is L nimmt er im Anschluss an die Hypothesc yon It. Sachs an3)~ dass fiir jedcn Halbmeridian der Netzhaut cine besondere Muskel- anordmmg erforderlich sei, dutch dere,t Zusammenwirken die Macula auf die Lichtquclle eingestellt werde, dass dicsc Muskelcombination abcr ffir alle Punkte desselben Halbmeridians die glciche blcibe und nur die ]nncrvationsgrSssc in ihrer Intcnsitfit wechsclc, je nach der Entfcrnung des yon den Lichtstrahlcn gctroffencn Punktes wmd c r Fovca contrails. , , l)urch G l c i c h z e i t i g k c i t odor A u f e i n a n d e r f o l g c dcr E r r e g u n g b c n a c h b a r t e r Netzha, u t p u n k t e c n t s t c h t die festc Assoc ia t ion zwischen den c n t s p r c c h c n d c n w a h r n e h m e n d c n Zc l len c inor - s t i r s , du rch d i e E i n s t e l l u n g s b c w e g u n g c n d e s A u g e s zwischen d icsen und den P u n k t e n des m o t o r i s c h e n P r o j e c t i o n s f e l d e s andc re r sc i t s "* ) . An andercr Stelle spricht er sieh iiber das Zusam- mcnwirkcn der Nctzhauteindriicke mit den Augenbewegungen folgcndcr- massell aus: ~WCllll (lie Form eines Gcgenstandcs gen'm wahrgcnommcn wcrden sol I, so wird bekanntlich durch zwcckentspreehcnde Augcnbcwe- gungen die Stelle des dcutlichcn Sehens gcwisscrmassen an den Um- rissen des Gegcnstandcs cntlang gefiihrt~ ein Vorgang~ dcr dcm Abtastcn

1) 1. c. S. 96. 2) Wornickc, Grundriss dcr Psychiatric.

gische Einleitung. 3) Wernickc, 1. c. S. 26. 4) 1. c. S, 41,

Thcii I. Psycho-physiolo-

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UO)er Gcsi(~htstSu~chm~gen bci tleisicsl(rankcn. ~37

durch (b~s hewegte Tastorgan (ter Finger vollstfi.ndig analog ist und ebetlso gut als Abtastung der Contouren dur('h die Macula lutea be- zeichnet werden kiinnte. Die complicirten Augenbewegungen~ welche dazn erforderlich sind, hinterlassen motorisehe Erinnerangsbilder~ wel(:he ganz ~ihnliehe Reihenassociationen bilden~ wie die beim Abtastea mit (ler Hand gewomlenen"*).

Eine gewichtige Stfitze finden die bier uiedergegebenen Ansichten Z i c h e n ' s und W e r n i e k e ' s fiber das Wesen der Gesichtsvorstellungen in den Resultaten der Beobachtungen~ welche man an operirten Blind- geborenen gemacht hat. l)iese Resultate stimmen s~tmmtlich darin iiber- ein~ class die r~iumliche Gesichtswahrnehmung sich durch Combination tier Vorstollungen der Blickrichtung mit Muskcl- und Tastgeffihlcn aus- bildet. Der Blindgeborene~ der durch eine Operation das Augenlicht crlangt~ sieht im Anfang nut bunte Flecken~ (lie ihm dicht vor seinen Augen zu liegen scheinen~ erst naeh und naeh lernt er ein Urtheil fiber die Entferaung, Form und GrSsse der Gegenst~nde gewinnen~ indem er sic begreift, beffihlt~ abtastet, glcichzeitig die Blicke darauf richter uad so die Bewegungs- und Tastgeffihle der iibrigen beweglichen KOpertheile nfit clench des l)oppelauges und mit den optisehen Bildern verbindet.

Es wiirde reich zu welt ffihren~ wenn ich noch auf weitere Thee- rich iiber Gesichtsvorstellung'en~ deren es in Eiuzelheiten yon cinander abweiehende sehr zahlreiche giebt, eingehen wollte und ieh will reich darauf besehr~inken~ die Hauptziige je einer der drei GrundtheorieL1 mit- getheilt zu haben. [ch kann mir selbstverst~indlich auch nicht ;m- massen kritisch an diese Theoi'ien her:mzugehen. 1)a es abet nothwen- dig ist~ zur Beurtheihmg der p'lthologischen 6esichtsvorstellu~gen~ veil dencn wit" reden wollen, eine Basis za gewinnen: so darf ich wohl be- merken~ dass gegen (lie Her ing ' sche Theorie schon (let" Urns(and spricht, class wir uns auch bei geschlossenen Augen jederzeit der Rich- tang unseres Blickes~ ([eren Vorstellung uns in diescm Falle doch nur durch Bewegungsempfindungen fibermittelt sein kann, bewusst sind. Mit Um'eeht wird (lies yon H e r i n g in Abredc gestellt. Ferner will es uns doch tfieht rccht einlen(-hte~ class yon den m~end]ich vielen Punkten im Raume ein jeder durch einen Punkt auf der Netzhaut~ einem Organ- gebilde yon so besehr~inktem Umfange~ vertreten sein soil. Endlieh miiehte ieh sehon bier darauf hinweisen~ dass auf dem Boden der He- r ing 'schen Thcorie eine befriedigcnde psyehologische Erkl!irung der in Rede stehendcn Gesiehtstfiuschungen unmSglich ist~ ein Eiadruek~ der sieh im Laufe der spiiteren Auseinandersetzungen gewiss Jedem auf-

1) \¥ernickc~ 1. c. S. 53,

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S38 Dr. 1(. t(rause,

drSngcn wird. Die Anschauungen der anderen citirten Autoren k6nnen wir recht wohl zusammenfassen; wenn sie auch im Einzelnen yon tin- 'ruder abweichen, haben sie <loch einen gemeinsamen Kern. Schliessen wir uns ihnen im Allgemeinen an, so mfissen w i r e s als feststehend ei'achten, dass B e w e g u n g s - und T a s t e m p f i n d u n g e n . d i e b e i Be- w e g u n g e n d e s A u g e s ~ und n i c h t n u r d i e s e s , s o n d e r n a u e h d e s Kop t ' e s und a n d e r e r b e w e g l i c h e r K~ '~rper the i le ~ n t s t e h e n ~ be - z i e h u n g s w e i s e d i e d u r c h s o ] t h e B e w e g u n g e n b e d i n g t e n k i n - ~ s t h e t i s c h e n V o r s t e l l u n g e n e in s e h r b e d e u t s a m e r , j a u n e n t - b e h r l i c h e r F a c t o r s i n d ffir d i e B i l d u n g yon R a u m v o r s t e l l u n - g e n , i n s b e s o n d e r e ffir d i e G e w i n n u n g yon T i e f e n v o r s t e l l u n g c n u n d f i i r da s S e h e n b e w e g t e r O b j e c t e .

Naeh diesen Yorbemerkungen gehe ich auf unsere F~ille ein.

F a l l . I. IIr. Dr. phil. E. aus (+., 34 Jahre alt~ ist erblich insoweit be- lastet, ais ein Bruder seiner Mutter geisteskrank ist. Er ist sehr intelligent, aber yon jeber sonderbar gewesen. Naeh Beendigung seiner philologischen Studien wurde er Lehrer, iiberwarf sieh aber mit seinen Vorgesetzten und musste aus dem Staatsdienste ausseheiden. Er maehte damals einen Selbst- mordversueh dutch einen l{evolversehuss~ wurde aber geheilt, l)ann war er mehrere Jahre hindurch als Privatlehrer in verschiedenen Stellungen th~itig und fiihrte sieh in dieser Zeit sehr gttt. Im Jahre 1894 war er bereits lmrze Zeit in der Strassburger psychiatrischen Klinik in Behandlung, aus der er als l~eeonvaleseent cntlassen wurde. Spiiter studirte er Philosophic und woilte sich in G(Sttingen habilitire% was ibm in tIinbliek auf friihere Vorg~nge nieht gestattet wurde. Nachdem er den diesbeziiglieben ablehnenden Beseheid be- kommen hatte (am 6. Mai 1895), gerieth er in grosse Aufregung und begab sieh am nS.ehsten Tage in die hiesige Anstalt, um sieh atdnehmen zu lasscn. flier kam er in einem Zustande beftiger ~ingstlicher Erregung an~ tier voriiber- gehend durch freiere Momente nnterbroehen wurde~ in welchen er ruhig und geordnet spraeh, his er~ auch bei Erw~ihnung irgend einer gleichgiiltigen Saehe~ wieder ~h)gstlieh wurde und in sehr lautem Tone seiner qu~lenden Angst Ausdruck gab. In diesem Zustande verkannte er seine Umgebung~ hielt seine Mitkranken fiir Zuchth~iusler und moint% dieselben besehS&igten sich viel mit seiner Person und spr~iehen fiber ihn. In den niiehsten Tagen wurde er etwas ruhiger, ausserte aber Wahnideen, so bekauptete er, entweder werde er als l(ranker schlecht behandelt oder er sei ein Yerbreeher und solle gestraft werden. Alle beobaehteten ihn und fiherwaehten ihn. Einmal sprach er die Befiirehtung aus~ er sei mit Stryehnin vergiftet~ er glaubte hypnotisirt und elektrisirt zu werden~ wollte auch einmal einen elektrisehen Schlag verspiirt haben. Aueh Geruehs- und Gebtirshallueinationen waren vorhanden~ so gab er an 7 zu riechen, dass ihm etwas in das Bert gestreut sei und hSrte einmal einen Zuruf, der sexucllen lnhalt hatte. Naeh 13t~igigem Aufenthalte hatte sich sein Zustand so giinstig gestaltet~ class er ganz beruhigt und geordnet

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t~eber t{esiehtsliLusehut,~on bei <ieistGshraHket~. ~g~9

war und verstiindig iiber seine l(ranl;heit urtheilto~ u n d e r xvurde~ tim ibm in seinem weiteren l~ortkonlmen nieht hindorlich zn soin~ als ,~gehoilt ~ entlassen. Im duni kam or nach Hamburg, um sioh naeh Brasilien einzuschif]'en~ we er eino ltauslehrerstelle erhalten hatte. Dort wurde er durch Verwirr{heit, Un- ruho und Anfregung so auffallend~ dass er in die llamburger lrronanstalt b~t'ie- drichsberg gebracht wurde. Nach der deft gefidtrten Krankengesehichto war er an fang's gehemmt, etwas verwirrt, spraeh ziigernd~ withnte sich bonachl, hei- ligt und glaubte seiner Umgebung zur Last zu sein~ ass und sehlief mangel- haft. Naoh ca. 4 Wochen wurde er reizb~r~ heftig~ weitorhin sehr erregt, un- ruhig', thiitiie, h gegen Mitkranko und das Wartepersonal, schlief fast gar nichL und natlnt kaum etwas zu sich. Er wurde daher isolirt. Bald wurde or ruhi- ger~ spracll da.nn oine Zeit lang gar nicht und erschien stuporiSs, deprimirt und apathisch. Einige Wochen vor seiner Wiederaufl~ahme in unsere knstalt (am 15. lletober 1895) war er wieder ein wenig beweglicher und freier gewor- den. tiler, we or sich noeh belindet~ hat sieh seinZnstand im Ganzen nieht we- sent lieh gebessert. Bisweilenwarer regsarner, znggnglieher, nahm an derUnter- haltung q'heil, beseh:&ftigte sieh mit Leetiire und seliriftliellen Arbeiten, perio- disch aber ist er, wie aueh jetzt, sehr gehemmt, wig betgubt tmd lii sst sich nut sehwer zur Nahrungsaufnahme bewegen. Er ist stets sehr empfindlich, f/ihlt sieh durch Dinge, die ihn gar nieht beriihren, verletzt~ bezieht Alles auf sich und glaul,t seinen Mitkranken auf dig sonderbarste Weise sieh unangenGhm ztt maehen. Im Ganzen sprieht er sieh jedoeh sehr wenig aus.

Die Krankheitsersrheinungen nun, die uns interessiren, linden s ich auf- gezeiehnGt in einer l/esehreibung', die Dr. E. selbst yon seinem krankhal'ten Zustande zur Zeit eines Intervalls gegeben bat, we er gec,rdnet und ldar {iber seine Verhaltnisse urtheiltG. DiGse Autonosograpl~ie zeichnet, sieh dutch eino wundGrbare Genauigkeit und Sehgl're der Beobaehtung, auffallende Objeetivitgt des Urtheils und grosse Gewandtheit der Darstellnng aus. Ich will daher den t'2ranken hier selbst reden lassen, indem ic.h vorausschieke, dass sieh die naeh- folgenden Notizen attf dig Zeit seines I-lantburger Aufenthaltes beziehen. Er schilderta hier einen merkwfirdigen Volgang 7 den er als ~Lesen ~ bezeichnet, und der ibm als ,~eine AufliJsung der Sprache~ ja des Denkens~ als ein Spiel mit W~irtern und Vorstellungen, die zusammenhSngend oder zusammenhang'los sind"~ erscheint~ ein Vorga.ng, tier, wie er glaubt~ yon einer anderen Person~ ,die mit ihm in Rapport sl, and und in ihm gleichsam wie in einem I~uehe las, hervorgerufen und unterhalten wurde*% P'r fiihrL dann in seinem BeriehLe fort: ,~Ieh befand reich damals isolirt in der l¢,)je, in der ausser dGm Belle welter kein Geg'enstand war als ein weisser l(achelofen, der quer vor der sc:hrii.g dora Belt gegeniiber 'oefindlichen l~'ke des [/annaes stand. [ch fiihlte reich gen~;- ~higt, aufdiesen Ofen den Bliek zu richten, der s ieh a l s b a l d zu drehen seh ien u n d m i t d e r W a n d ab- und z u n e h m e n d e W i n l ; e l b i l de t e und dabe i dem Blieke ba ld die weisse ~ 'orderwand~ ba ld mehr die l ( an te n n d die Se i te da rbo t und ihn d a n n nach reeh t s auf die g r i i n g e s t r i e h e n e W a n d u n d yon d iese r abw~irts zu den b r a u n e n W a n d s t r e i f e n l a n g s des F u s s b o d e n s h i n l e n k t e . Dass der Ofen

Archly f. Psyehi~ttrie. Btl. 2D. l lcft a, 5'4.

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810 Dr. K. l(rause 7

s ieh w i r k l i c h b e w e g t e , g l a u b t e ieh nicht~ ich s e h r i e b v i e l m e h r die B e w e g u n g meinem Auge zu, des absiehtlich yon aussen dureh einen Apparat mit Hfilfe yon Elektrieitii.t gedreht wurdo. Es sehien mir auch a l s o b i c h d i e D r e h u n g d e s A u g e s d e u t l i c h e m p f g n d e , s i e w a r m i r p e i n - l i c h , ohne da s s ich reich ih r e n t z i e h e n k o n n t e , wenn ietl n i c h t m e i n e fes te Lage im Be t t e , an des ich reich g e f e s s e l t f f i h l t e , odor d i e s e s s e l b s t v e r l i e s s . Aber aueh wenn ich dies that, so war ich alsbald wieder geniithigt, in jene peinliche Lage zuriiekzukehren und me in Auge f r e i w i l l i g d e r Qual dos G e d r e h t w e r d e n s p r e i s z u g e b e n . Ich fiihlte reich dutch allerlei mir jetzt nieht mehr deutliche Reize und Sti3sse in die dem Lesen gfinstige Haltung zuriiekgenSthigt. Die Elemente dieses Le- sens waren die ansehaulich dargebotenen Begriffo Ofen~ Ofen-Wand, Ofen- Kant%-Seit%-Ecke, grfine Wand, brauner Streifen. Aus diesen W(irtern wurden vorzfiglieh die Voeale herausgeliist und die Anlmfipfungspunkte l'iir folgend% ~iusserst triviale Reihe yon S~itzen~ die sich naeh unziihligen vergeb- lichen Versuchen als gesul~at der immer wiederholten Drehungen und Riick- drehungen ergab :

Wfh mir hrmen Thdren Uns kfinnst Du ke~nen S;ind in die Augen streden K~nnst Du nicht, so bradchst Du nicht. Wit drei striifiben uns a6ch nieht. Wit brafichen keine Schwidgermama Wir vergdben nieht aus Fdreht vor bradnen Seh~itten.

Ueber die Aceente bemerkt Dr. E., dass sie bezeiehneten~ in weleher Weise die Drehimpulse des Auges die S~tze und Folge der Wi~rter beeinfluss- ten. ,Spi~ter", sagt er dann~ ,schien es mir aueh, als ob diese Satzfolge auch auf andere Impulse hin verlangt wiirde, llierzu schienen rnir d u r e h A u g e n d r e h u n g die F u s s w a n d des Be t t e s und b e s o n d e r s die Ktipfe d e r B c t t p f o s t e n in e ine z u c k e n d e S c h e i n b e w e g u n g v e r s e t z t zu word e n~ welche etwa don Bewegungen eines Kasperl im Kasperltheater glich: abet iiusserst peinlieh war. Die Reproduction der S~itze wurde zmf diese Weise allein dureh den Rhythmus der Zuckungen bewirkt". Dr. E. schildert dann eingehend die seelischen Qualen Furcht~ Sehreck und Trauer, dic or hei dieser Procedur empfand, wie ihn Zorn und Erbitterung fiber die Bi3swilligkeit des unbekannten Peinigers ergriffen~ deq wie er glaubt% ihn geistesl~rank machen und daffir die F~ihigkeit eintauschen wollte, anderer Bewegungen und Gedan- ken zu errathcn. Ich nmss mir versagen, auf seine hochinteressanten Berichte weiter einzugehen und wendo reich daher zu

F a l l II1). Hr. R. aus B , zur Zeit seiner Aufnahme in der Irrenheil- anstalt zu Marburg (1887) 47 Jahre alt~ hereditgr nieht belastet~ war als Kind immer gesund und wuchs unter giinstigenVerhitltnissen auf. Er zeiehnete sich in der Schule und in seinem Berufe aus und galt als hervorragend intelligent

1) Bereits ausffihrlich veri~ffentlicht in A. C ramor , ,Die Hallucinationen ira Muskelsinn" etc. S. 124.

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Ileber 6esiCqltstiiusehun~~.n 1,el (icistesl, ranken. 8-!1

und energisch, allerdings aueh als empfindlich und ehrgeizig. Er machte eine vorziigliehe Carribre und nahm zur Zeit seiner Erl~rankung bereits eine fiir sein Alter reeht hohe militgrisehe Stellung ein. Naeh seinem eigenen sehriftliehen Kra.nkheitsberieht begann siel~ im Beginn des Jahres 1887 bei ihm das driiekende Gef(ihl einzustellen~ was er his dahin nie empfunden halt% dass ihm zu viel Arbeit aufgeb~irdet sei. Seine l(rSfte begannen, trotz aller Versuehe dagegen anzuldimpfen~ zu versagen, mid er ring an unsicher und un- selbststgndig zu arbeiten. Mitte M,~i w~ren sehliesslieh seine gr~fte ganz er- schSpft~ er wurde sehlaflos und plagte sieh mit dem Gedanken, was aus seiner Familie werden solle, wenn er ein ernstes Gehirnleiden bekomme. Eine l~eise brachte ibm keine Erholung und t{uhe~ der Zusttmd steigerte sich bis in's {~ualvolle, Trugvorstellungen stellten sich ein und ~ingstigten ihn auf's hSehste. Er hatte das Gefiihl, als ob das Belt aus einander wieh und glaubte sieh unter heftigem Sehweiss wie ein Sehlangenmenseh zu winden. Auf der Pdiel{reise naeh C. nahm er dann deutliehere Trugvorstellungen wahr. Er sah die t l e b u n g e n und S e n k u n g e n des i h m w o h l b e k a n n t e n Weges w i e d e r - h o l t m i t e i n a n d e r v e r w e c h s e l t . We naeh s e i n e r E r i n n e r u n g de r W e g a n s t e i g e n m u s s t e , f ie l er und u m g e k e h r t . Aufmerksammachte ihn hieraufjedesmal sein Begleiter~ der ihm einzureden vermoehte, der Wag fiihre nieht so bergab bezw. bergan wie er ihn gesehen~ sondern umgekehrt. Bliel<te er aber dann wieder hinter sich~ so sah er den Weg dech wieder so wie er ihn vorhin gesehen. Auf dent Bahnhofe in N. bemerkte er~ dass Passa- giere ihn mit starrenden eder sehielenden Augen ~msahen, und das s s ieh v ie le der ihn u m g e b e n d e n C,,esl~allen in s c h w a n k e n d e m G a n g e he- wegten . Weir mehr abet plagten ihn Zwangsvorstellungen in der Form der Griibelsueht. Auf die mannigfaehste Weiso glaubte er sioh Andeutungen zu- gesehoben, die den Zweek verfolgten, ihn anf etwas Ausserordentliehes~ auf ires'end ein ersehiitterndes Ereigniss vorzubereiten. ,~Warum", sehreibt er~ ,~wurde ich z. B.~ wenn ieh yon meinen I(indern spraeh, gel'ragt, wie viele ieh hab% als hgtte ich etwas Falsehes gesag[? ,~Warmn fand ieh in der Anstalt den stehengebliebenen Regulator wieder, den ieh zuletzt im Zimmer meiner Mutter gesehen'h ~

In der Anstalt zu Marburg~ in der er sieh yen Ende Juni bis zum Ende .lull 1887 befand, trat eben diese Zweifelsueht zu Tage. In den geringsten ZufiilliglCeiten sah er bedeutnngsvoIle Omin% bei den einfaehsten Dingen dri~ng- ten sieh immer andere Vorstelhmgen dazwisehen, die ihm zum Griibeln Ver- anlassung gaben. Die Personen seiner Umgebung Yerkannte er last stets und hielt sic f(ir alte Belmnnte. Hie und da hatten seine kranl<haften Vorstellungen den ausgesproehenen Charakter des Verfolgungswahnes, so iiusserte er, er solle irre gemaeht werden. Die kurz vor seiner Entlassung eingetretene Besserung machte sptiterhin solehe Fortschritte, dass er einen Mortal spgter in durehaus ot~jeetiver Weise iiber seinen Znstand w~ihrend seines Aufenthaltes in Marburg beriehten nnd sein Urtheil dahin abgeben l<onnte, dass er sieh nnter der Ein- wirkung se[ner kr~mldmften Zwangsvorstellungen als Spielball seiner Umgehung ge[iihlt und in den Aeusserungen der iibrigen Kranken eine Kette yon Angriffen

5~1.

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~42 Dr. K. l{raus%

orbliekthabe~ deren Spit zesieh gegen seinoPersonrid~tete. Dot l(ranke ist ~ vSllig geneson und im Jahre darauf zu einem sehr verantwortm~gsvollen Pos on im Staatsdienste berufon worde% den or vor oinigen dahren~ so vial mir bekannt, aus Gesundhdtsriicksichten verliess, nm eine weniger anstrengend% aber sellr angesohene Privatstelhmg anznnehmen.

[m vorigon .lahre ist er pl~tzlie] b angeblich an oinom Sdflaganfall% vor- storbon. Versc, lliedene Umst~nde deuten darauf hin~ dass or kurz vorhor wie- der psychisch erlorankt war.

FMI Ill. Die clrii,te oncl[ieh mir zu Geboto stohondo Beob~mhtung bo- trifl% einen im December 1890 in dioEberswalder Land-Irrenanstalt ~us der Maison de Santd in SehSneberg aufgenommenen, damals 34j~hrigen Steuer- boamten K. Die Mutter dessdben war geist~skrank, or solbst sell immor oigen- thfimlieh goweson sdn. Irn Jahre 1887 war or 5 Monate lang in der Provin- ziaMrrenanstalt zu Grafonberg in Behandlung. Dort war er anfangs in deli- rantom Zustande~ hallueinirto viel~ h~tte Gr~issenideon~ wurdo naeh einom Monat ruhiger~ seinelI:dlueinationen versehwanden allm~ilig und or konnte als geheilt ontlassen werdon. Ende August 1890 erkrankte er wiederum. Er glaubto einen anderen zmn Diebstahl verleitet zu lmben~ betelo viol: hielt sieh fiir hypnotisirt nnd studirte eifrig die Lehren veto Magnetismus~ dor Elektrieitiit und Zeugungsgesehichte. Einlge Tage vor seiner Aufnahmo in SehiJneberg gab or an, es kommo ihm so vor, als ob a l l e , die um ihn h e r g i n g e n (or arbeitote im Bureau), h~ipften und s ieh vor ihm v e r n e i g t e n . Boim Anbliek eines Vo,'gesetzten, dor aufi]m zukam, rief or: , S e h l , wie der t u r k e l t ! " Er gusserte auch, dass die durch seiu Zimmer gel~enden Persouon sich durch ein magnetisehes Fluidum an seinem Geiste bereichern wollten. Sein Verhalten soit seiner Aufnahme in der Eberswalder Anstalt bet nichts besonders Interessantes. Er war stets sehr unzugiinglich und abweisend~ hatte festsitzende Verfolgungs- und Vergiftungsideon~ die er gelogontlieh t~ussert% und wurde periodiseh erregt und aggrossiv gogen seine Umgebung.

Borer ich nun zur Bespreehung der Sinnest~iusehungen dimser drei Kranken iibergehe~ mSehte ieh wenigstens km'z die Diagnose ihrer Krank- heitszust~inde berfihren. Bei allen dreien handmlt ms sieh offenbar mn eine Paranoia ehroniea~ und zwar um (Iie haltumhlatoriseho Form der- smlben. Fall II. ist kliniseh besonders dadureh intmressant~ class mr zur Heilung gmlangte. Er stellt sozusagen eine abortive Form der Ver- riiektheit dar, die Wahnideen sind nieht zur vOlligen Ausbildung ge- l:mgt und es ist, wenigstens im wesentlichen~ bmi Zwangsvorstellmlgcn geblieben, die allmfilig wieder zuriickgegangen sind. Allerdings ist namh .lahren aller Wahrseheinliehkeit nach ein Ileeidiv aufgetreten. Aueh will ieh nieht unterlassen~ darauf hinzuweisen, dass bei Fal l I. und Fal l 11I. eine Attaque yon aeuter Verwirrtheit die Krankheit einleitete.

Es ist wohl ufibestreitbar, class das Gemeinsame der soeben mit- getheilten Gesiehtstgusehungen darin liegt~ dass alle drei Kranken f e s t -

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Uel)er Gcsichtst~Luschungo, n bei Geistcskral)ken. ,~43

s t ehende O b j e c t e s ich b e w e g e n oder die w i r k l i c h gen lach ten B e w e g u n g e n d e r s e l b e n v e r a n d e r t ~ ku rz gesag t~ (lie ] ,age der Ob jec te im R a u m e sich v e r s e h i e b e n sahen~ w~ihrend d i e s e l - ben im iibrigen~ in Bezug auf ih re Ges ta l t~ ih re Unl r i s s se , i h r e F a r b e k e i n e V e r l i n d e r u n g ze ig ten . Gemeinsam war den Ge- sieiltstliuschungen unserer Kranken ausserdem~ dass (lie W a h r n e h - m u n g d e r B e w e g u n g e n bei v o l [ e m B e w u s s t s e i n e r f o l g t e . Zwei- fellas kann, wie oben erwfilmt, eine Trftbmlg des Bewusstseins (lurch Wegfall gewisser corrigirender Einflfisse (las Auftreten van Sinnestiiu- sclmngen begfmstigen, ebenso wie heftige Affecte dureh abnorme Stei- gerung yon Associationen einer Bildung solcher T'ausehungen Vars('hub leisten k~'inm,nl). Van derartigen begiinstigenden Einflfissen kann aber bier keine Rede sein. Dies miichte ieh sell)st in dem Falle des l)r. E. nieht annehmen, der nach seiner l)nrstelhmg bei der Empfindnng jcner uunderl)aren Vorg~inge inner- mid ausserhalb seines Ki'~rpers ~on den leh- haftesten Gemiithsbewegungen ergriflbn war~ vielmehr ersch(~inen seine Angst, l:urcht, Trauer mid Zorn als eine psycholagisch ]eicht erkl~h'liche Folge d(,r Vorsteliungen, zu denen ihm seine abnormen Eml~fin(hmgen Anl'tss gaben, vor allen 1)ingen der Idee~ dass diese ,~iusserst pein- lichen" l,~mpfindungen dureh eine Maltraitimng seines K6rl)ers dureh ein('~ fremde Persan hervorgeruff, n seien. Seine Besonnenheit abt,r und sein Urtheil~ abgesehen van der wahnhaften Auslegung seiner Sinnes- t~iusclmngen w~thrend ihrer Wahrnehnmng~ sind durchaus ung~stSrt un(I er ist in der Lage ill klarer und pr~iciser Weise nlit ciner Anschau- lichkeit: (lit nur aus einer ungetriibten Beobaehtung hervorgehen kam b

~ ' " ' c e iiber seine Smnestausehun~,en zu berichten. Dies thut er allerdings erst in einer sp~iteren Periode sei,ler Krank-

heit~ in der er si(~h des krankhaften Charakters jener Ph'anomen(,~ die er ausdriicklieh als ,Scheinbewegungen" 1)ezeichnet: bewusst ist: allein ich glaul)e (loch~ (lass der Eilldruck~ den man aus seinen Mittheihmgen gewinnt~ der ist~ (lass zur Zeit des Auftretens jener Gesiehtst~tusehungen ein(~ Bewusstseinseinengung sein Urtlleil nMlt getriibt hat, d-~ss er sieh sehr wahl aller jener seelisehen Vargfinge erinnert und nieht etwa erst na('htr~iglieh Erkl~irungsversuehe seines damaligen |(rankheitszustandes maeht, bei denen er seiner Phantasie die Ziigel sehiessen l'5sst. Wie er, sa empfanden "inch die beiden anderen Kranken ihre Hallueinatianen gMehsam als etwas Fremdartiges, sic stehen denselben~ man kihmte fast sagen~ mit einer gewissen Objectivit~it gegeniiber. Herr Dr. E. weiss auch im Momente~ wa er den Ofen sieh bewegen sal b ganz genau~

1) M e n d o l 1. c. S. 615.

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844 Dr. K. I~rause,

wie el' lnit Bestimmtheit erklSrt, dass dersell)e in Wirkliehkeit feststand~ trotzdem nimmt er ihu bewegt wahr. Herr R. weiss ebenso~ dass der Weg eigentlich bergan fiihrt~ nieht nur aus eigener Erinnerung, sondern auch durch bestiitigende Mittheihmgen seines Begleiters, trotzdem sieht er ihn bergab fiihrend und umgekehrt. Er ist sieh sicherlich auch be- wusst gewesen, class <lie Personen~ (lie er sehwanken sah, nieht wirklieh schwankten. Aucher beriehtet sp~ter fiber seine Gesichtsti~uschungen als Trugvorstellungen in klarer Weise. Von Trfibung des Bewusstseins keine Spur~ ebenso wenig wie Affecte in Frage kommen.

Ve rmSgen wir uns h i e r n a c h schon s chwer e inen E in f l u s s h i ihe re r p s y c h i s e h e r Vorgl tnge auf die B i l dung j e n e r S innes - t~ iusehungen v o r z u s t e l l e n , so werden wir auch vergeblieh nach Verbindungen mit Wahnvorstellungen unserer Kranken sueheu, <lie fiir die Entstehung der Trugbilder bestimmend gewesen sein k~'~nnten, hi welehen Zusammenhang z. B. sollen wir die Zwangsideen des Herrn R, sein krankhaftes Beziehen aller miiglichen Vorg~tnge auf die eigene Per- sou mit seinen Gesiehtsti~usehungen, inwelchen die Angabe des Herrn K, es komme ihm so vor~ als ob die Leute um ihn herum hfipften und torkelten~ mit seinen Wahnideen vom Hypnotisirtwerden~ der Bereiehe- rung an seinem Geiste seitens Anderer bringen? Die Wahnidee aber~ die Dr. E. mit seinen hallucinatorischen Erseheinungen verbindet~ dass er yon einer unsichtbareu und unbekannten Person bearbeitet werde, seheint mir, wie vorhin bereits beilaufig gesagt~ nieht etwa primi~r zu sein uud (lie Grundlage der Sinnest~uschungen abgegeben zu habe] b sondern im Gegentheil erst zur Erklarung der Drehung seines Auges~ der StSsse un<l Schllige~ die er an seinem KSrper zu empfiuden glaubte~ gebihlet zu sein~ iihnlieh wie er an eine friiher gefiihlte abnorme Sen- sation <lie Wahnidee des Elektrisirtwerdens knfipfte.

Es bleibt somit fibrig~ um zu einem Verst~ndniss der Entstehung unserer Gesiehtst~iuschungen zu gelangen~ d i e c e n t r ip e t a le B a h n v o n der A u f n a h m e s t a t i o n der B i lde r tier Ob jec t% der Ne t zhau t his zu dem Orte der W a h r n e h m u n g ~ als den wir die H i rn - r inde a n s p r e e h e n miissen, ins z u A u g e fassen. Wir erinnern uns hierbei~ dass d iese Bahn s ich aus zwei C o m p o n e n t e n z u s a m m e n - setzt~ n~ml i ch den re in o p t i s c h e n E m p f i n d u n g e n und den Enlpf indungen~ die d u t c h B e w e g u n g e n des Bulbus h e r v o r g e - ru fen werden . Dies sind nicht allein Muskelgefiihle, sondern wie aus den frfiher citirten Darlegungen yon W u n d t hervorgeht~ auch Tastge- ffihle. Die sensiblen Nerven der Augenmuskeln~ ihrer Sehnen~ der Fas- eien, des Periostes, des Bulbus, der Conjunetiva, der Lider mitsammt der ii,lsseren Haut, ktarz :dler in der AugenhShle liegenden und (lieselbetl

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Uetmr Oesichtst~hlschungen bei Cieisteskranken. 845

umgebenden Gebilde, "rber auch (lib sensiblen Nerven der die Bewegun- gen des Kopfes ausftihrenden Muskeln und der 5usseren Haut, die tier Gelenke, sie alle vereint werden ffir Beriehte fiber Angenbewegungen in Betraeht kommen, und ia diesem Sinne warden wir die sog. zweite Componente auffassen mfissen, die zusammen mit der ersten, der opti- schen Empfindu,,g sieh mit Erinnerung.~bildern assoeiirend zur Gesichts- vorstellung fiihrt. Dass dig e i g e n t l i c h e o p t i s e h e W a h r n e h m u n g nun bei u n s e r e n K r a n k e n i n t a c t i s t , wurde bereits hervorgeho- ben. Die gesehenen GegenstSnde erscheinen ihnen durehaus in ihren na.tiirliehen Formen und Farben, der Ofen bleibt Ofen: die Mensehen Menschen: ohne (lass sic verbihlct oder verzerrt erscheinen~ sic bewegen sieh eben nur. Eine Affection der Netzhaut~ worauf auch sonst nicht die geringsten Zeiehen hindeuten~ eine StSrung der rein optisehen Bahn muss also ausgeschlossen werden. Berficksiehtigen wir dagegen (lie Rolle~ welche, wie ich vorhin im Ansehluss an hervorl'agende Autoren zu entwickehl versuchte, bei der Localisation der Gegenst'ande im Raume und besonders bei Wahrnelmmng yon Bewegungen derselben Mus- ke]- und T a s t g e f f i h l e spielen~ so erscheint durchaus berechtigt~ (liB- se lben zur E r k l l i r u n g der Ges ich ts tS~usehungen: die uns b i e r b e s e h a f t i g e n ~ h e r a n z u z i e h e n . Wo nml auf der centripet.'den Bahn oder ob im Centrmn, zu dem sic ffihrt~ dic Stgrung~ die wit fiir die Entstelmng dieser Gesiehtstiiuschungen voraussetzen miissen~ stattgeflm- den hat, erscheint mir zu gewagt~ zu entscheiden. Sind es (lib Muskel- oder die Tastgefiihle~ denen der H'mptantheil zukommt: sind die Be- riehte aus ihnen gefitlscht~ o(h,r sind es Bewegungs- und Tastvorstel- lungen~ die die pathologisehen sinnliehen Wahrnehmungen veranlassen? Wir mfissen diese Frage ofl'en h~ssen.

F/Jr (tie Bedeutung dec Bewegungsgef0hle bei diesen Sinnest'Xu- schnngen ist A. Cramer~ der abet auch unter ,Muskelsinn" alle die verschiedenen Bahnen~ welehe zu eincr Vorstellung fiber eine stattgeflm- dene Bcwegung verhelfen~ versteht, entschieden eingetreten. Es seheint mir sehr dafiir zu spreehen die Angabe des einen uuserer Patienten~ des Herrn Dr. E. 7 dass er (lie D r e h u n g s e ine r Augen d e u t l i e h ve r sp f i r t zu h a b e n g l a u b e und a ls ein ihm 1)einliehes Gefiihl g e r a d e z u e m p f u n d e n habe .

[)ann aber mOehte ieh aueh an eine Analogie der besproehenen G esiehtst~iusehungen mit dem sogenannten S eh wind e l~) erinnern. Weml auch hier~ we es sieh um isolirte Gesiehtst~iusehmlgen handelte: yon

1) Art..Vertigo" in E u I e n b u r g ' s l~ealencyldopaedie der gesammten tfeilkunde (L a n d o i s) .

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~' o einer Stolung der Bewegungsgemeingeffihle, wie sic beim Sehwindel be- steht, nieht die Rede sein kann, so beruht doeh die A e h n l i e h k e i t be ide r Zus tande auf e iner S e h e i n b e w e g u n g der Gegens tande . Es ist nun bekmmt, dass ein grosser Theil der Sehwindelerseheilmngen abhlingig ist yon Augensehwankungen, dureh welehe T~tusehungen fiber die riiumliehen Verh~iltnisse der Umgebung zum KSrper und fiber die Lage des KOrpers se[bst hervorgerufen werden. Experimentell ist diese Abhangigkeit d<:r Sehwindelerseheinungen yon Augenbewegungen dureh t l i t z ig a) naehgewiesen worden, indem er dureh Leitung des eonstanten Stromes dureh den Hinterkopf bei Mensehen und Thieren Bewegungen tier Bulbi hervorrief. Hierbei traten Sehwindelerseheiuungell auf, indem bei Mensehen Seheinbewegung der 6egenst~inde yon der Anode naeh der Kathode unter l)rehung tier Bulbi in tier Riehtmlg des galvanisehen Stromes erzeugt wurde; bei gesehlossenen Augen traten zugleieh Sehwin- delerseheinungen auf, die auf den eigenen KSrper bezogeu wurden. Der KSrper sank naeh der Anode hin, als wenn ihm die Unterstfitzung ent- zogen wfirde, u ndes erfolgten Reaetionsbewegungen. Auch hier siud es also, wie bei unseren Krauken, Bewegungsgefiihle, welche fiber Be- wegungen der Objeete im Ramne beriehten, welehe in Wirkliehkeit gar nieht stattgefunden haben, l)er Untersehied ist nut der, dass beim Nystagmus eine wirkliehe Bewegung tier Augen abnorme Bewegungs- empfindung als Ursaehe des Sehwindels erzeugt, w~thrend bei unseren Kranken krankhafte Bewegungsempflndungen fiber eine Bewegung der Augen beriehten, die in Wirkliehkeit gar nieht gemaeht ist. Es geht l)r. E. also '~hnlieh wie einem Kranken mit L~ihmung des Muse. rectus externus, indem er sein Auge ffir bewegt h~ilt~ nun einen Gegenstand, wie z. B. den Ofen fixirt, und, da er denselben immer vor Augen sieht, sehliesst~ derselbe mfisse sigh ebenfalls in der Riehtung der Bewegung seines Auges, die er zu maehen glaubte, bewegt haben.

Im Ansehluss an die eben besproehenen Gesiehtstausehungen mag hier noeh kurz ein Fall Erwahnung finden, der einige Berfihrungspunkte mit den vorigen hat. Es handelte sigh zwar hier nieht um das Bewegt- sehen, sondern um das 6rSssersehen yon Gegenst~inden, eine Ersehei- hung, welehe vorfibergehend auftrat bei einer 44j~ihrigen an Paranoia ehroniea leidenden Frau S., welehe, seit vier Jahren geisteskrank, sieh yore 9. October 1895 bis zum 3. April 1896 in unserer Anstalt befand. Sie war in ihrem Verhalten bald unruhig und 5.ngstlieh, bald ruhiger und geordneter, immer abet deprimirter und weinerlieher Stimmung. Die Wahnideen, die sie ~iusserte, waren solehe der Verfolgung, re.ligiSse

1) Archiv fiir Anatomic und Physiologie. 1871.

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U(:ber (icsic.htstiiusclmng~m hei (loist~.skranlum. 847

und hypochondrische. Ausserdem hattc sie almorme S(msationen, sie ffilflte ihren Kopf sieh zusammcnziehen, ihren K0rper sieh drehen, ihre Glieder wie abgestorl)en. Yon eigentliehen Sinnestfmsehungen sind in der Anstalt ausser den bier in Frage ko(mnenden keine beobaehtet, w~thrend die Kranke fi'fiher Gehiirs- und Gesiehtshalhteinationen, aber amlerer Art (Feuer und dergl.) hatte. Ungefahr 4 Woehen naeh ihrer Aufn'thme trat sic mit der Angabe hervor, dass (lie I)inge, die sie durch das Fenster sabe, z. B. <tie Gartenmaue.rn und l),ikume, i h r u n g e w O h n - l ich g r o s s vork i~men und g l e i e h z ( , i t i g w e i t e n t f e r n t , wNn'<:ml sic. Persomnl uml l)inge im Zimmer in ihrer wirkliehen Gr('isse si~he. Na(:h einigcn Woehen versehwand die Erseheimmg a llm~lig.

Um nun feststellen zu lassen~ ob bei unserer Patientin vielleicht eine Anomalie der Refraction oder Aeconmmdation odes' eine Erln'ankmsg der brechenden Mcdien oder der Netzhaut vorhanden war~ haben wir sic in der G0ttinger Universit~its-Augenklinik untersuchen lassen~ und es wurde dortselbst festgestellt~ dass des" Zustand ihrer Augen ein dm'eh- aus normaler war. Es musste somit angenominen wer(len~ class es sieh um eine , , p s y e h i s e h e 5 1 a k r o p s i e " bei ihr h'mdelte. Weleher Ursaehe verdankte abet diese dann ihre Entstelmng? Erinnern wir uns~ welehe Mittel wit hat)en, um ein Urtheil fiber die (h'gsse eines Gegenstandes zu gewilmen, so ist einm'seits (lie Taxirung des' Entfernung yon gr6sstem Einfluss~ fiber deren Grad uns das Aeeommodationsgefiihl Auskmfft giobtl). Haben wit" zwei Objeete, deren 8ehwinkel umt demgemitss (h~ren Netzhautbilder gleieh sind, so halten wit erfahrungsgemiiss dasjenige Object ffir das kieinere, fiir welches beiln Sehen stiirker accommodirt werden muss. Ein weiteres Mittel zur Sehatzung der Gr6sse eines Ob- jects is( die Taxirung des Abstandes, die in dem Grad(, der Convergenz der Augenaehsen gegeben ist. ,,Wir schlitzen"~ wie L a n d o i s sag( (bei gleieh grossem Sehwinkel~ also gleieher Gr('isse der Netzhautbildeht~n), ,dasjenige Object als das kleinste~ bei dessert binoeul~irer Betraehtmlg (lie Sehaehsen die grgsste Convergenz haben mfissen. Ueber den Grad der hierzu niithigen Muskelallstr(mgung giebt uns das Muskelgefiihl der Augennmskeln Autisehluss~L -- Es liegt nun gewiss nahe, aueh bei un- serer granken die Entstelmng (ler Sinnestfiuselmng dm'eh einen abner- men Vorgallg auf tier Bahn~ die uns Berichte fiber Bewegungen, Lage, (~,ontraetionszustand etc. yon Augenmuskeln iilserbringt, oder in ihrem Ccntrum zu erklaren. Nun ist bekmmtermassen (lie Makropsie ein Symptom des Accommodationskrampfes~ und zwar ist sic darauf zurfickzuffihren~

1) Lando i s 7 Lehrbuch dcr Physiologie des Menschen. lbbl. § 405. p. 879, 8b().

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dass beinl Accommodationskrampf die Accommodationsanstrengung beim Betrachten der Objccte eine geringere ist als uuter norma[en ¥erhfilt- nissen. Wir sehen daher die Objecte ffir ferner liegend: als es wirklich (|er Fall ist~ an und daher im Vcrglciche zu friiher als gr5sser. Wir kSnnen a lso bei u n s e r e r K r a u k e n all e ine StSrul lg ( lenken, (lie V o r s t e l ] u n g e n h e r v o r r u f t , "~hnlich denen, wie sie tier A c c o m m o d a t i o n s k r a m p f erzeugt .

Andererseits abet liegt, wie ich glaube, doeh auch die M6gliehkeit vor, die Sinnestiiuschung der Frau S. als eine re in p s y e h i s c h e Er- s c h e i n u n g , als ein~ weim ich so sagen darf, Product der hSchsten Centren zu verstehen. Sic gab niimlieh an, dass ihr Alles so grauen- haft, schauerlich: 5de vorkomme, Vorstellungen, wie sie mit denen des Weiten und Grosse~l, speciell etwa eines weiten Raumes mit Objecten yon besonders grossen Dimensionen sehr wohl verbunden gedacht wet- den kSnuen. Es ist also mSglich, dass es sich bei dieser Kranken mn gewisse unklare unbcstimmte Vorstellungen gehandelt habe, denen sie itl dcr erw~'thntea Wcise sprachliehen Ausdruck verlieh, im Gegensatz zu den Gesichtst~uschungen der drei anderen Kranken, die wit" als Sinnes- t'~uschungen im eigentliehen Sinne des Wortes auslegen mussten.

Das Resultat meiner Betrachtungen m6chte ich kurz dahin zusam- n l el l f ,q s s e l l :

Die g rSss t e Zah l der G e s i c h t s t S u s c h t l n g e n is t re in psy- ch i sch bed ing t . Sic s t ehen in engs t em Z u s a m m e n h a n g e mi t dem l ) e n k i n h a l t der G e i s t e s k r a n k e n , und ih re E l l t s t e h u n g wi rd du reh S t e i g e r u n g oder A u f h e b u n g g e w i s s e r p s y c h i s c h e r Lei - s t u n g e n ( A s s o c i a t i o n e n ) begf ins t ig t . Bei e iner k l e i n e r e n An- zah l yon G e s i c h t s t i i u s c h u n g e n , bei w e l c h e u as s ieh um alas B e w e g t s e h e n r u h e n d e r G e g e n s t ~ n d e h a u d e l t , kSnnen wir da- gegen k e i n e n Z u s a m m e n h a n g mi t den h 0 h e r e n p s y e h i s c h e n F u n c t i o n e n f inden. Wir kS nnen sic uns nu t du rch e inen k r a n k h a f t e n V o r g a n g auf den Bahnen~ welche uns zu Vor- s t e l l u n g e n fiber A u g e n b e w e g u n g e n v e r h e l f e n , oder i h r e m C e n t r u m e rk l l i r en , j e n e n B a h n e n , m i t t e l s t de ren wir das geg~enseit ige Lageve rh i~ t tn i s s tier O b j e c t e b e u r t h e i l e n und ( l i e B e w e g u n g e n d e r s e l b e n w a h r n e h m e n . Die e i g e n t l i c h e op- t i s che Bahn abe r und ihr Cent rum~ die s ich mi t den oben g e n a n n t e n zu e ine r G e s i c h t s v o r s t e l l u n g v e r b i n d e n , s ind bei d iesen G e s i c l t t s t . t u s c h u n g e n in tac t .

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U(~hor Gesichtstiluschungen bei Geisteskranken. 849

Zum Schlusse meiner Arbeit erlaube ich mir meinem hoehverehr- ten Chef, Herrn Geh. Med.-Rath Prof. l)r. Meyer , ffir die freundlichc Uel)erlassung des Materials sowie ffir seine mannigfiwhen bereitwilligst ertheilten Winke und Belehrungen, sowie Herrn Geh. Sanit:~ts-llath Dr. Z inn for die Ueberlassung der Krankengeschieht('. meinen verbind- lichsten l)'mk auszusprechen. Zu ganz besonderem l)anke "lber fiihle ieh reich Herrn Privatdocenten 1)1". C r : u n c r v(~rpfliehtot~ der mir nicht nur (lie Anregung zu meiner Arbeit gegeben, SOll([(W]l rni('h aueh bei ders~qben auf's wirksamste in der liebenswfirdigsten Art und W(,isa mit t/ath und That unterstfitzt hat.