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Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide. III Zur Kristallstruktur von Ag2HgSI2

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Über Münzmetall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide. III1)

Zur Kristallstruktur von Ag2HgSI2

Hans-Lothar Keller* und Lars Wimbert

Dortmund, Fachbereich Chemie � Anorganische Chemie der Universität

Bei der Redaktion eingegangen am 15. Juli 2003.

Professor Bernt Krebs zum 65. Geburtstag gewidmet

Inhaltsübersicht. Ag2HgSI2 wird aus AgI und α-HgS durch Umset-zung bei 120 °C in mikrokristalliner Form als gelbes Pulver erhal-ten. Die Substanz kristallisiert im Raumgruppentyp Cmc21 mit a �

1384,35(6) pm, b � 746,97(3) pm, c � 710,29(3) pm und Z � 4.Die Struktur besteht aus einer verzerrt hexagonal dichtesten Pak-kung von Schwefel- und Iodatomen, in der Quecksilber ein Drittel

On Coinage Metal Mercury Chalcogenide Halides. III.On the Crystal Structure of Ag2HgSI2

Abstract. Ag2HgSI2 was obtained as a yellow powder by heating amixture of AgI and α-HgS at 120 °C. The compound crystallizesin space group type Cmc21 with a � 1384.35(6) pm, b �

746.97(3) pm, c � 710.29(3) pm and Z � 4. The structure consistsof a distorted hexagonal closed package of sulphur and iodine, inwhich a third of the tetrahedral spaces is occupied by silver and a

Einleitung

Zum Themengebiet der Münzmetall-Quecksilber-Chalko-genidhalogenide wurde bereits von Karataeva und Sviridovsowie Suchow und Pond über Ergebnisse berichtet, die ersteHinweise auf Verbindungen der ZusammensetzungAg2HgSX2 (X�Br, I) [1, 2] geben. Blachnik und Dreisbachbestätigen das Auftreten einer Verbindung mit der Sum-menformel Ag2HgSI2 [3]. In weiteren Veröffentlichungenüber Untersuchungen im Bereich der Kupfer- bzw. Silber-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide werden eine Vielzahlweiterer Phasen wie z.B. CuHgSX (X�Cl, Br) [4],CuHg2S2Cl [5] oder AgHgSX (X�Cl, Br, I) [5, 3] benannt,jedoch außer in [4] keinerlei Aussagen über den jeweiligenstrukturellen Aufbau der Verbindungen gegeben. In ge-meinsamen Veröffentlichungen mit Beck und Rompel [6]wurde erstmals über die Darstellung einkristalliner Probenvon CuHgSeBr, AgHgSBr und AgHgSI mit Hilfe von

1) Erste Mitteilung: Z. Anorg. Allg. Chem. 2001, 627, 2298.Zweite Mitteilung: Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 421.* Prof. Dr. H.-L. KellerUniversität DortmundAnorganische ChemieOtto-Hahn-Str. 6D-44221 DortmundE-Mail: [email protected]

Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 2337�2340 DOI: 10.1002/zaac.200300238 2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 2337

der Oktaederlücken und Silber ein Drittel der Tetraederlücken be-setzt. Die Verzerrung der hexagonalen Struktur wird durch denPlatzbedarf der freien Elektronenpaare am Schwefel und Iod her-vorgerufen, was durch die Berechnung der Elektronenlokalisie-rungsfunktion (ELF) gezeigt werden konnte.

third of the octahedral spaces is occupied by mercury. The distor-tion of the hexagonal structure is caused by the need of space ofthe lone pairs at sulphur and iodine. This was shown by the calcu-lation of the electron localisation function (ELF).

Keywords: Coinage metals; Mercury; Chalcogenide halides; ELF

Hydrothermalsynthesen und die Bestimmung der Kristall-strukturen berichtet. Weiterführende Arbeiten lieferten mitHilfe modifizierter Hydrothermalsynthesen Einkristalle vonα-CuHgSCl und CuHgSBr, woran die Aufklärung der Kri-stallstrukturen und Studien zur Phasenumwandlung durch-geführt wurden [7]. In diesem Zusammenhang erfolgte dieDarstellung einkristalliner Präparate der Hochtemperatur-Modifikation von AgHgSI und die Bestimmung der Kri-stallstruktur [8]. In jüngsten Untersuchungen konnte die-Kristallstruktur der von Suchow und Blachnik [2, 3] er-wähnten Verbindung Ag2HgSI2 durch Kombination vonRöntgenpulverdiffraktometrie und Rietveldmethode aufge-klärt werden. Es wird über die Kristallstruktur des erstenVertreters eines neuen Formeltyps in der Reihe der Münz-metall-Quecksilber-Chalkogenidhalogenide berichtet.

Experimentelles

Die Verbindung Ag2HgSI2 ist bei Temperaturen oberhalb 240 °Cthermisch instabil. Die Synthese war bei Temperaturen im Bereichvon 120 °C erfolgreich. Erwartungsgemäß konnten trotz langer Re-aktionszeiten keine einkristallinen Präparate erhalten werden.165,7 mg (0,712 mmol) α-HgS (Alfa Aesar) und 334,3 mg(1,424 mmol) AgI (eigene Herstellung entsprechend [9]) wurden imAchat-Mörser innig verrieben und in eine Quarzglasampulle vonetwa 6 cm Länge und einem Innendurchmesser von 6 mm eingefülltund unter Ölpumpenvakuum zugeschmolzen. Das Präparat wurde

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Tabelle 1 Kristallographische Daten von Ag2HgSI2 und Angabenzur Strukturbestimmung. Die in Klammern angegebenen Werte fürdie Standardabweichungen beziehen sich jeweils auf die letzte ange-gebene Stelle.

Summenformel Ag2HgSI2

Meßtemperatur 295 KKristallsystem orthorhombischRaumgruppe Cmc21 (Nr. 36)Gitterkonstanten/pm a � 1384,35(6), b � 746,97(3),

c � 710,29(3)Zellvolumen/106pm3 734,50Zahl der Formeleinheiten 4Dichte (berechnet)/gcm�3 6,35Farbe gelbPulverdiffraktometer PW1050 (Philips)benutzte Röntgenstrahlung Cu-Kα, λ � 154,178 pmMeßbereich/° 7,0 < 2θ < 90,0Schrittweite 0,02°Messzeit pro Schritt 14 sZahl der Profilpunkte 4160Zahl der Reflexe 32Zahl der verfeinerten Parameter 41Gütefaktoren nach UntergrundkorrekturRp 5,67 %wRp 6,97 %

4 Monate bei 120 °C getempert. Nach dem Abkühlen auf Raum-temperatur mit einer Abkühlgeschwindigkeit von 30 °C/h lag gelbesAg2HgSI2 röntgenographisch einphasig in mikrokristalliner Formvor.

Strukturbestimmung

Röntgenographische Messungen an Ag2HgSI2 wurden mit einemautomatischen Pulverdiffraktometer PW1050 (Philips) unter Ver-wendung von Kupfer-Kα-Strahlung (λ�154,178 pm) durchgeführt.Der Messbereich betrug hierbei 2θ�7-90°, die Stepbreite lag bei0,02° mit einer Messzeit von 15 s pro Step. Die Reflexe wurdenunter Verwendung der Programme ITO [10] und Treor90 [11] indi-ziert. Auslöschungsbedingungen lieferten den RaumgruppentypCmc21. Die Kristallstruktur von Ag2HgSI2 konnte mit dem Pro-grammpaket EXPO [12, 13] gelöst und teilweise verfeinert werden.Die endgültige Verfeinerung der Kristallstruktur erfolgte mit demProgramm GSAS [14]. Die Gütefaktoren betrugen nach erfolgterUntergrundkorrektur Rp�5,58 % und wRp�6,97 %. Einzelheitenzur Datenerfassung sind in Tabelle 1 aufgeführt. Die Lageparame-ter der Atome sind in Tabelle 2 angegeben, Tabelle 3 zeigt eineÜbersicht ausgewählter Bindungswinkel und -abstände.2)

Für die graphischen Darstellungen wurde das Programm DIA-MOND [15] eingesetzt.

Differenzthermoanalytische Untersuchungen

Münzmetall-Quecksilber-sulfidhalogenide zeigen häufig Polymor-phie [6, 7, 8], daher wurde Ag2HgSI2 thermoanalytisch untersucht.Die Messungen wurden mittels eines Thermoanalyzers TA1 (Mett-

2) Einzelheiten zur Kristallstrukturbestimmung können unter An-gabe der Hinterlegungsnummern (CSD 413300) beim Fachinforma-tionszentrum Karlsruhe, D-76344 Eggenstein-Leopoldshafen (E-mail: [email protected]) unter Angabe der Autoren unddes Zeitschriftenzitats angefordert werden.

2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim zaac.wiley-vch.de Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 2337�23402338

Tabelle 2 Lageparameter der Atome für Ag2HgSI2 und Koeffizien-ten der isotropen thermischen Auslenkungsparameter/pm2 fürTiso � exp(�8 π2 Uiso (sin θ/λ)2). Die in Klammern angegebenenWerte für die Standardabweichungen beziehen sich jeweils auf dieletzte angegebene Stelle.

Atom Wyckoff-Symbol x y z Uiso

Ag 8b 0,3361(4) 0,1607(5) 0,7661(9) 531I 8b 0,1524(3) 0,2841(4) 0,677(1) 351Hg 4a 0,5 0,5160(7) 0,918(1) 406S 4a 0,5 0,274(2) 0,670(3) 248

Tabelle 3 Ausgewählte interatomare Abstände/pm und Winkel/° fürAg2HgSI2. In Klammern stehen Werte für die Standardabweichun-gen und beziehen sich jeweils auf die letzte angegebene Stelle.

Atome Abstände/pm

Hg � S 238(2), 252(2)Hg � I 337,5(7), 359,0(8)Ag � S 252(1)Ag � I 277,8(8), 288,7(5), 295(1)

Atome Winkel/°

S � Hg � S 175,5(7)Hg � S � Hg 93,1(3)I � Ag � I 103,1(3), 108,9(2), 110,5(3)I � Ag � S 100,0(5), 102,7(3), 130,7(4)

ler) in einem Temperaturbereich von 20 °C bis 300 °C mit Heizra-ten zwischen 2 °C/min und 6 °C/min in Quarzglastiegeln durchge-führt. Bei diesen Analysen konnte lediglich im ersten Heizzyklusein endothermer Effekt bei 242 °C beobachtet werden, der mitHilfe von röntgenpulverdiffraktometrischen Messungen der Zerset-zung von Ag2HgSI2 in α-AgHgSI und β-AgI zuzuordnen ist. Wei-tere Hinweise auf eventuelle Phasenumwandlungen konnten nichtbeobachtet werden. Unsere Messergebnisse haben jedoch gezeigt,dass es sich bei der Verbindung Ag2HgSI2 nicht, wie von Blachnikund Dreisbach [3] beschrieben, um eine bei Raumtemperatur meta-stabile Verbindung handelt.

Schwingungsspektroskopische Untersuchungen

Ergänzend zu den röntgenographischen und thermoanalytischenUntersuchungen wurden an Ag2HgSI2 Raman- und IR-spektros-kopische Untersuchungen durchgeführt.

IR-Spektren wurden mit Polyethylenpresslingen in einem Bereich50-650 cm�1 mittels eines Gerätes FT-IR IFS113V (Bruker) gemes-sen. Die Aufnahme der Raman-Spektren erfolgte mit einem Spek-trometer T64000 (ISA / Jobin Yvon) mit angeschlossenem Ar�-Laser Stabelite 2017 (Spectraphysics) bei einer anregenden Wellen-länge von 647 nm in einem Wellenzahlenbereich von 10-400 cm�1.Im Raman-Spektrum ergibt sich neben den bei kleinen Wellenzah-len auftretenden Gitterschwingungen nur eine breite Linie bei294,8 cm�1 die der symmetrischen HgS-Valenzschwingung zuzu-ordnen ist. Die im FT-IR-Spektrum beobachteten Banden zeigenWellenzahlen von 231,9 cm�1 für die AgS-Valenzschwingung,343,8 cm�1 für die asymmetrische HgS-Valenzschwingung und356,3 cm�1 für eine Deformationsschwingung der I-Hg-S-Grup-pen.

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Zur Kristallstruktur von Ag2HgSI2

Abb. 1 Ausschnitt aus der Kristallstruktur von Ag2HgSI2 mit Blickentlang [001].

Ergebnisse und Diskussion

Ag2HgSI2 kristallisiert im Raumgruppentyp Cmc21 mit denElementarzellenparametern a � 1384,35(6) pm, b �746,97(3) pm, c � 710,29(3) pm und 4 Formeleinheiten proElementarzelle. Jedes Quecksilberatom ist nahezu linearvon zwei Schwefelatomen umgeben, die wiederum jeweilsein weiteres Quecksilberatom koordinieren. In der Strukturwerden so parallel angeordnete, entlang der kristallographi-schen c-Achse verlaufende Hg-S-Zickzackketten aufgebaut.Die Atome innerhalb der Ketten sind planar parallel zurbc-Ebene angeordnet. Abbildung 1 zeigt einen Ausschnittaus der Kristallstruktur mit Blick entlang dieser Quecksil-ber-Schwefel-Ketten. Der Hg�S-Abstand innerhalb derKetten beträgt zwischen 238 und 252 pm und liegt somit imBereich der Werte von Zinnober (Hg�S: 236,8 pm [16]) undMetacinnabarit (Hg�S: 253,5 pm [17]). Die Koordinations-sphäre der Quecksilber-Atome wird durch Iod-Atome imAbstand zwischen 338 und 359 pm zu verzerrten Oktaedernaus zwei Schwefel- und vier Iod-Atomen ergänzt. Diese Ok-taeder sind in Richtung der kristallographischen c-Achseüber gemeinsame Flächen zu unendlichen Strängen ver-knüpft. Diese Umgebung entspricht dem aus anderenMünzmetall-Quecksilbersulfidhalogeniden bekanntenKoordinationsmuster für die Quecksilber-Atome.

Die Silberatome sind in der Kristallstruktur vonAg2HgSI2 von jeweils drei Iodatomen und einem Schwefel-atom verzerrt tetraedrisch umgeben. Die Tetraeder sindüber alle Ecken zu einem dreidimensionalen Netzwerk ver-knüpft. Der Silber-Iod-Abstand beträgt zwischen 278 und295 pm und liegt somit in vergleichbarer Größenordnungvon β-AgI (Ag�I: 279,7 und 282,5 pm [18]). Der Silber-Schwefel-Abstand mit 252 pm entspricht Vergleichswertenvon Ag2S (Ag�S: 249,7 und 251,0 pm [19]).

Die Schwefelatome sind von zwei Silber- und zweiQuecksilberatomen verzerrt tetraedrisch umgeben. Die Ver-zerrung dieser Tetraeder wird durch freie Elektronenpaarean den Schwefelatomen hervorgerufen („lone-pair“), wo-durch die Koordinationssphäre der Schwefelatome unter

Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 2337�2340 zaac.wiley-vch.de 2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 2339

Abb. 2 Darstellung der Koordinationssphären aller Atomsorten inAg2HgSI2 sowie der Isoflächen der Elektronenlokalisierungsfunk-tion für einen Wert von 0,85 bei Schwefel (unten links) und füreinen Wert von 0,71 bei Iod (unten rechts).

Einbeziehung dieser Elektronenpaare zu einer verzerrtenpseudo-trigonalen Bipyramide ergänzt wird. Dieser Zusam-menhang konnte durch die Berechnung der Elektronenlo-kalisierungsfunktion (ELF) bestätigt werden. Die Berech-nungen erfolgten unter Verwendung des ProgrammpaketesTB-LMTO-ASA [20]. Abbildung 2 zeigt die Umgebung derSchwefelatome mit der Elektronenlokalisierungsfunktionfür eine Isofläche von 0,85.

Die Iodatome weisen stark deformierte Koordinations-polyeder aus drei Silberatomen und zwei deutlich weiterentfernten Quecksilberatomen auf. Der Winkel zwischenden beiden Quecksilber-Iod-Bindungen ist mit 61,4° unge-wöhnlich klein. Diese Auffälligkeit sowie die gesamte Formdes Koordinationspolyeders resultiert aus dem sterischenAnspruch der freien Elektronenpaare der Iodatome und ei-ner daraus resultierenden Deformation der Koordinations-sphäre. Dieser Zusammenhang konnte ebenfalls durch Be-rechnungen der Elektronenlokalisierungsfunktion bestätigtwerden. Die Umgebung der Iodatome unter Einbeziehungder Elektronenlokalisierungsfunktion für eine Isofläche von0,71 ist ebenfalls in Abbildung 2 dargestellt.

Die Schwefel- und Iodatome in Ag2HgSI2 bilden zusam-men das Motiv einer wegen des sterischen Anspruchesfreier Elektronenpaare verzerrten hexagonal dichtesten Pa-ckung. Innerhalb dieser Anordnung besetzen die Quecksil-beratome ein Drittel der vorhandenen Oktaederlücken, dieSilberatome ein Drittel der Tetraederlücken. Dieses Beset-zungsmuster ergibt einen bisher weder im hexagonalen Kri-stallsystem noch in Form einer Verzerrungsvariante beob-achteten Strukturtyp. Einer der wenigen Vertreter einer he-xagonal dichteste Struktur mit gleichzeitiger Besetzung vonTetraeder- und Oktaederlücken ist der Forsterit Mg2SiO4,in dem jedoch ein anderes Besetzungsverhältnis der Lückenbeobachtet wird. Weiterhin treten im Forsterit bzw. in denOlivin-Strukturtypen keine Flächenverknüpfungen der Ok-taeder auf, wie dies im Ag2HgSI2 beobachtet wird. Als Ar-

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Abb. 3 Ausschnitt aus der Kristallstruktur von Ag2HgSI2 mit Blickentlang a) [001] bzw. c) [010] zur Verdeutlichung des Auffüllungs-musters der Tetraeder- und Oktaederlücken des verzerrt hexagonaldichtesten Anionenteilgitters im Vergleich zu b) und d) Wurtzit.

chetyp mit der Zusammensetzung A3X3 bzw. A2BX2Y,worin das oktaedrisch koordinierte Quecksilberion durchein einwertiges Kation in Tedraederlücken ersetzt wurde, istWurtzit anzusehen.

Ein Ausschnitt der Kristallstruktur, der das Besetzungs-muster der Tetraeder- und Oktaederlücken erkennen lässt,ist in Abbildung 3 dargestellt.

Eine gezielte Untersuchung der bisher bekannten Münz-metall-Quecksilber-sulfidhalogenide hinsichtlich der durchden p-Charakter einsamer Elektronenpaare hervorgerufe-nen Strukturverzerrungen zeigt, dass es sich im Falle vonAg2HgSI2 keineswegs um einen Einzelfall handelt. Nichtnur das von uns dargestellte α-AgHgSI [8] zeigt deutlicheVerzerrungen der Koordinationspolyeder, die durch freieElektronenpaare an den Schwefelatomen hervorgerufenwerden. Auch in der von Mason veröffentlichten Kristall-struktur des Minerals Capgaronnit (AgHgS(Cl0,82Br0,18)[21]) sind die Schwefelatome von je zwei Silber- und Queck-silberatomen verzerrt tetraedrisch umgeben. Die Verzer-rung läßt sich auch hier mit dem Platzbedarf der freienElektronen des Schwefelatoms begründen.

Im Gegensatz zu den bisher genannten Verbindungenwerden bei β-AgHgSI deutlich geringere Anzeichen für eineVerzerrung der Schwefel-Koordinationspolyeder festge-stellt. Diese Beobachtung konnte mittels ELF-Rechnungenerklärt werden, die einen deutlich geringer ausgeprägten p-Charakter der einsamen Elektronenpaare am Schwefel zei-gen.

Die Elektronenlokalisierungsfunktion (ELF) erwies sichals ein wirksames Instrument zum Verständnis komplexer

2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim zaac.wiley-vch.de Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 2337�23402340

Kristallstrukturen, wie die der Münzmetall-Quecksilber-sulfidhalogenide. Eine Betrachtung der elektronischenStrukturen in Zusammenhang mit der Anionen-Teilstruk-tur ermöglichte für Ag2HgSI2 differenziertere Erkenntnissezur Anordnung und Verzerrung von Strukturelementen undliefert auch für die anderen Münzmetall-Quecksilber-sulfid-halogenide wichtige Details zum Verständnis der beobach-teten Atomanordnungen.

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