16
Band 93 Ueli Kieser / Kurt Pärli / Ursula Uttinger (Hrsg.) Datenschutz – Aktuelle Fragen auf dem Weg Schriftenreihe des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

Ueli Kieser/Kurt Pärli /Ursula Uttinger (Hrsg ... · Hier ist auf die frühere 3‐Säulen‐Architektur zu verweisen. Die Richtlinien waren in der sogenannten 1. Säule (Europäi‐

Embed Size (px)

Citation preview

Band 93

Ueli Kieser/Kurt Pärli /Ursula Uttinger (Hrsg.)

Datenschutz – Aktuelle Fragen auf dem Weg

Schriftenreihe desInstituts für Rechtswissenschaftund Rechtspraxis

21 

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

Dr.  PHILIPP MITTELBERGER,  Datenschutzbeauftragter  Fürstentum  Liechten‐

stein, Vaduz 

Inhaltsübersicht

Teil 1:    Datenschutzreform in Europa ...................................................................... 22 

1.1  Rechtliche Grundlagen – heutiger Stand im Europarat .............................22 1.2  Rechtliche Grundlagen – heutiger Stand im EWR .....................................23 1.3  Gesellschaftliche Änderungen ......................................................................24 1.4  Reformvorschlag im Rahmen des Europarates ..........................................24 1.5  Reformvorschlag im Rahmen des EWR .......................................................24 1.6  Neue Elemente der revidierten Datenschutzkonvention ..........................25 1.7  Neue Elemente der Grundverordnung (Auszug) ......................................25 1.8  Was bedeutet die Grundverordnung für …? ..............................................28 1.9  Beurteilung der Reformen .............................................................................29 

Teil 2:    Auswirkungen auf einen Kleinstaat ............................................................ 30 

2.1  Liechtenstein im EWR ....................................................................................30 2.2  Texte der WP 29 zur Reform .........................................................................30 2.3  Gesamtbeurteilung aus Sicht eines Kleinstaates .........................................31 2.4  Folgen der Grundverordnung für Liechtenstein ........................................32 2.5  Aktueller Stand und Ausblick der künftigen  

  Grundverordnung (EWR) ..............................................................................33 2.6  Aktueller Stand und Ausblick (EWR) ..........................................................33 2.7  Aktueller Stand und Ausblick (Europarat) .................................................34 2.8  Kommission und Europäischer Rat ..............................................................34 

 

PHILIPP MITTELBERGER

22 

 

 

Dieser schriftliche Beitrag ergänzt die an der Tagung abgegebenen Folien und ist als 

Ergänzung derselben zu  sehen. Dabei  steht die künftige Grundverordnung  im Fo‐

kus. Auf die Entwicklungen  im Europarat, die Gegenstand eines anderen Referates 

waren, wird nur am Rande eingegangen. 

Wie der Vortrag  ist auch dieser Beitrag  in zwei Teile gegliedert: die Datenschutzre‐

form in Europa einerseits und die Auswirkungen auf einen Kleinstaat anderseits. 

Teil 1: Datenschutzreform in Europa

1.1 Rechtliche Grundlagen – heutiger Stand im Europarat

Die Rechtsgrundlagen des heutigen Datenschutzes  in Europa werden der‐

zeit  überarbeitet. Zuerst  sollen  die  geltenden Grundlagen  aufgelistet wer‐

den. 

Der  Europarat  hat  mit  der  Datenschutzkonvention  (ETS 108)  aus  dem 

Jahr 1981  das  älteste multilaterale Abkommen  geschaffen. Dieses Abkom‐

men wurde mit einem Zusatzprotokoll (ETS 181) aus dem Jahr 2001 ergänzt. 

Neben  diesen  beiden  verbindlichen  Rechtsinstrumenten  bestehen  etliche 

Empfehlungen,  die  ebenfalls  im  Rahmen  des  Europarates  ausgearbeitet 

wurden. Diese sind zwar nicht  rechtlich verbindlich, dennoch wird  immer 

wieder auf sie Bezug genommen. Von diesen Empfehlungen seien hier eini‐

ge erwähnt: Die Recommendation CM/Rec(2010)13 on the protection of individu‐

als with regard to automatic processing of personal data  in the context of profiling 

ist  die  jüngste  Empfehlung.  Andere  sind  etwa  die  Recommendation 

No. R (2002) 9 on the protection of personal data collected and processed for insur‐

ance purposes, die Recommendation No. R (89) 2 on the protection of personal data 

used  for employment purposes (welche derzeit überarbeitet wird) oder die Re‐

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

23 

commendation No. R (87) 15 regulating the use of personal data in the police sector, 

die bis heute im Schengen‐Bereich als wichtig gilt. 

1.2 Rechtliche Grundlagen – heutiger Stand im EWR

Vierzehn  Jahre  nach  der Verabschiedung  der Datenschutzkonvention  des 

Europarates wurde die allgemeine Datenschutzrichtlinie 1995/46/EG verab‐

schiedet. Diese wurde in den folgenden Jahren ergänzt durch die Richtlinie 

2002/58/EG  über  den  Datenschutz  in  der  elektronischen  Kommunikation 

und Richtlinie 2009/136, welche die letztgenannte Richtlinie ergänzt,  jedoch 

bis  heute  nicht  in  den  EWR  übernommen  wurde  und  somit  für  die 

EWR/EFTA‐Staaten nicht massgebend ist.  

Diese  Richtlinien  werden  durch  den  Rahmenbeschluss  2008/977/JHA  er‐

gänzt, der weniger weit geht als die Richtlinien und z. B. nur im grenzüber‐

schreitenden Bereich gilt. 

Wieso  gibt  es  neben  diesen  Richtlinien  auch  den  Rahmenbeschluss? Und 

worin besteht der Unterschied? Hier ist auf die frühere 3‐Säulen‐Architektur 

zu verweisen. Die Richtlinien waren  in der sogenannten 1. Säule  (Europäi‐

sche Gemeinschaft) anwendbar,  in der 3. Säule  (Zusammenarbeit der Poli‐

zei‐ und  Justizbehörden  in Strafsachen)  jedoch nicht. Somit gab es hier ein 

Vakuum,  das  mit  dem  Rahmenbeschluss  2008/977/JI  des  Rates  vom 

27. November  2008  über  den  Schutz  personenbezogener  Daten  in  der 

3. Säule zumindest teilweise gefüllt wurde. 

Bei dieser  3‐Säulen‐Architektur gab  es  zudem unterschiedliche Zuständig‐

keiten. Während bei der 1. Säule das Europäische Parlament ein Mitsprache‐

recht hatte, war dies bei der 3. Säule nicht der Fall. Hier hatte der Europäi‐

sche Rat das Sagen. Der Sicherheitsbereich ist – gerade nach Terroranschlä‐

gen –  immer wieder  in den Schlagzeilen. Politiker  forderten  immer wieder 

neue Sicherheitsvorschriften, die zum Teil stark in die Privatsphäre der Bür‐

ger eingreifen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der Da‐

tenschutz eher ein Stiefkind war, sodass es bis 2008 keine EU‐weiten Rege‐

lungen  gab. Dies  änderte  sich mit  dem  genannten  Rahmenbeschluss,  der 

PHILIPP MITTELBERGER

24 

jedoch, wie erwähnt, weniger weit geht als die allgemeine Datenschutzricht‐

linie. 

Der Vertrag von Lissabon hob diese Säulenarchitektur auf. Gleichzeitig trat 

die Europäische Grundrechte‐Charta in Kraft. In Art. 7 wird die Privatsphä‐

re und  in Art. 8 der Datenschutz explizit erwähnt. Dies  führt  in der EU zu 

einer  klaren  Stärkung  des Datenschutzes.  In  diesem  Sinne  hat  der  EuGH 

schon in verschiedenen Urteilen auf diese beiden Bestimmungen Bezug ge‐

nommen  und  die  jeweiligen  Fälle  im  Sinne  des Datenschutzes  behandelt 

(z. B. Urteil zu Google Spain oder zur Vorratsdatenspeicherung). 

1.3 Gesellschaftliche Änderungen

Gesellschaftliche Änderungen wie die Globalisierung,  technische Entwick‐

lungen und das Internet oder Social Media sind wichtige Elemente, welche 

die bestehenden Rechtsgrundlagen aus den  Jahren 1981 und 1995  in Frage 

stellen. Dazu kommen auch die wichtige Terrorismusbekämpfung und all‐

gemein Fragen zur Sicherheit. 

1.4 Reformvorschlag im Rahmen des Europarates

Die  30. Justizministerkonferenz vom  24. bis  26. November  2010  in  Istanbul 

fasste den  formellen Beschluss zum Reformstart  im Rahmen des Europara‐

tes.  Beauftragt wurde  der Konventionsausschuss  der Datenschutzkonven‐

tion  (T‐PD).  Nach  Abschluss  der  Arbeit  wurde  ein  Ad‐hoc‐Ausschuss 

(CAHDATA)  einberufen,  um  die  Arbeit  fortzuführen.  Dieser  Ad‐hoc‐

Ausschuss traf sich von Herbst 2013 bis Ende 2014. 

1.5 Reformvorschlag im Rahmen des EWR

Die Europäische Kommission  schlug am 25. Januar 2012 zwei  Instrumente 

zur Reform des Datenschutzes vor: eine Datenschutz‐Grundverordnung als 

Weiterentwicklung  der  Richtlinie  1995/46/EG  und  eine  Richtlinie  zum 

Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten 

durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, 

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

25 

Untersuchung  oder Verfolgung von  Straftaten  oder der  Strafvollstreckung 

sowie zum freien Datenverkehr. 

Wieso eine Verordnung und eine Richtlinie? Ziel der Reform  ist eine Stär‐

kung des Datenschutzes. Dabei sollte insbesondere auch Rechtssicherheit für 

Unternehmen geschaffen werden. Dazu  ist eine Verordnung, die direkt an‐

wendbar  ist,  sicher  das  geeignete Mittel.  Denn  im  Unterschied  zu  einer 

Richtlinie  haben  die  Mitgliedstaaten  bedeutend  weniger  Ermessensspiel‐

raum  für die Umsetzung. Damit kann und  soll das Beispiel Google Street 

View vermieden werden, bei dem  es  sehr unterschiedliche nationale Posi‐

tionen gegeben hatte. Dies führte zur Gefahr, dass national unterschiedliche 

Positionen  von  Datenschutzbehörden  gegeneinander  ausgespielt  werden 

können, eine Art forum shopping. 

1.6 Neue Elemente der revidierten Datenschutzkonvention

Ziel einer revidierten Konvention  ist natürlich eine Modernisierung. Damit 

verbunden sind eine Erhöhung der Wirksamkeit derselben und ein Ausbau 

des Kontrollmechanismus.  In dem  Sinne  soll  ein  «Monitoring» durch den 

neuen  Konventionsausschuss  eingeführt  werden.  Die  Revisionsarbeiten 

orientieren  sich  an den Arbeiten  in  «Brüssel». Die Konvention hat  zudem 

einen globalen Anspruch und sieht vor, dass auch nicht‐europäische Staaten 

beitreten können.1 

1.7 Neue Elemente der Grundverordnung (Auszug)

Das neue Verfahren in «Brüssel» sieht vor, dass das Europäische Parlament 

und der Rat Stellung nehmen können. Diese drei Texte werden danach  im 

sogenannten Trilog diskutiert. Dabei müssen sich diese drei Kerninstitutio‐

nen der EU auf einen Text einigen, der schlussendlich verabschiedet wird. 

 

                                                                          

1   Weitere Informationen: JEAN‐PHILIPPE WALTER: «Modernisierung des Übereinkommens 

zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Da‐

ten (Übereinkommen 108)», Januar 2014. 

PHILIPP MITTELBERGER

26 

So  weit  ist  man  noch  nicht.  Immerhin  sollen  hier  einige  Schwerpunkte 

stichwortartig aufgezählt werden: 

Weiterhin kein Schutz juristischer Personen 

Anwendungsbereich:  u. U.  auch  nicht‐europäische  Unternehmen 

(Art. 3) 

Stärkung  der  Einwilligung:  aktive Handlung  (Art. 4),  Beweislast  bei 

Dateninhaber (Art. 7) 

Daten eines Kindes (Art. 8) 

Besonders schützenswerte Daten (Art. 4 und 9): einschliesslich geneti‐

sche Daten 

Vorgängige  Information  (Art. 11): mehr Betonung auf Allgemeinver‐

ständlichkeit 

Recht auf Vergessen (Art. 17) 

Portabilität (Art. 18) 

Datenschutzbeauftragte (Art. 35) 

Zertifizierung (Art. 39) 

Verbandsbeschwerderecht (Art. 73) 

Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte (Art. 84) 

Die Grundverordnung verfolgt das wichtige Ziel der Schaffung von Rechtssi‐

cherheit  für Unternehmen. Dazu  sollen  Erleichterungen  für Dateninhaber  ge‐

schaffen werden. Eine dieser Erleichterungen besteht in der Abschaffung der 

allgemeinen Meldepflicht von Datensammlungen bei den nationalen Daten‐

schutzbehörden,  die weithin  als  bürokratische  Last  empfunden wird. Zur 

Schaffung von Rechtssicherheit wird ein sogenannter «One‐Stop‐Shop» ein‐

geführt. Danach soll sich ein Unternehmen, das mehrere Sitze in Europa hat, 

mit  einem Anliegen  an die Datenschutzbehörde des Hauptsitzes wenden. 

Diese soll das Anliegen prüfen. Dabei ist noch offen, wie die anderen Daten‐

schutzbehörden beigezogen werden sollen. Das Ziel aber ist klar: Ein Daten‐

inhaber soll einen Ansprechpartner haben und ein koordiniertes Verfahren 

soll sicherstellen, dass der Dateninhaber eine Antwort erhält, die europaweit 

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

27 

Gültigkeit hat. Fälle wie Google Street View, bei dem es sehr unterschiedli‐

che Ansichten von Datenschutzbehörden gab, sollen vermieden werden. 

Andererseits erfolgt aber auch ein Ausbau der Pflichten der Dateninhaber. Hier 

seien folgende stichwortartig aufgeführt: 

Vorkehrungen zur Geltendmachung der Rechte (Art. 12) 

Pflichten des Verantwortlichen (Art. 22 Übersicht; Art. 28 Dokumenta‐

tion) 

Data Protection by Design, Data Protection by Default (Art. 23) 

Datenschutz‐Folgeabschätzung  (Data  Protection  Impact Assessment, 

Art. 33) 

Meldung bei Sicherheitsverstössen  (Data Breach Notification, Art. 31 

und 32) 

Vorherige Genehmigung und Zurateziehung (Art. 34) 

Interner Datenschutzbeauftragter (Art. 35) 

Diese Änderungen haben natürlich auch Folgen für die Datenschutzbehörden. 

Im Allgemeinen werden  ihre Aufgaben zunehmen. Auch hier  seien  einige 

stichwortartig genannt: 

Beratung  im  Fall  einer  «riskanten»  Datenbearbeitung,  Genehmi‐

gungspflicht (Art. 34) 

Meldung von Sicherheitsverletzungen (Art. 31) 

Rolle  im  Zusammenhang  mit  Zertifikaten,  Verhaltensregeln,  BCR, 

Standardverträgen (Art. 51) 

One‐Stop‐Shop (Art. 51a und b) 

Sanktionsmöglichkeiten (Art. 79). 

Die  heutige  Artikel‐29‐Arbeitsgruppe  (WP 29)  wird  durch  einen  Europäi‐

schen Datenschutzausschuss (EDPB) abgelöst, dessen Aufgaben  in Art. 66 ge‐

nannt werden. 

   

PHILIPP MITTELBERGER

28 

Wie beim Beispiel des «One‐Stop‐Shops» erwähnt, werden sich die Daten‐

schutzbehörden vermehrt abstimmen müssen. Dazu wird ein so genanntes 

Kohärenzverfahren geschaffen. Dabei ist eine Stellungnahme des EDPB vorge‐

sehen, wenn mehrere Mitgliedstaaten betroffen sind (Art. 58). Zudem gibt es 

Regelungen über eine Stellungnahme der Kommission (Art. 59 und 60). 

Detailbestimmungen zur Grundverordnung sind in delegierten Rechtsakten 

und Durchführungsrechtsakten vorgesehen  (Art. 62, z. B. über  (Nicht‐) An‐

gemessenheit des Datenschutzes  in  einem Drittland). Allgemein kann,  zu‐

mindest  im Entwurf der Kommission, eine Stärkung der Kompetenzen der 

Europäischen Kommission festgestellt werden. 

Ausserdem  sieht  der  Entwurf  Bestimmungen  für  besondere  Datenverarbei‐

tungssituationen  vor. Dabei  geht  es  um  den Arbeitsplatz,  die Gesundheit, 

statistische Zwecke etc. (Art. 80 ff.). Damit regelt die Grundverordnung auch 

Bereiche, die bisher der Spezialgesetzgebung überlassen waren. Es stellt sich 

die Frage, wie das Verhältnis zu Spezialgesetzen wie dem Sozialversicherungs‐ 

oder  Telekombereich,  dem  Geldwäschereigesetz,  der  Videoüberwachung 

etc. aussieht. Diese Frage scheint ungeklärt zu sein. Sind diese Spezialgeset‐

ze aufzuheben, da künftig alles durch die Grundverordnung geregelt wird? 

Oder sind sie, nur aber immerhin, anzupassen? 

1.8 Was bedeutet die Grundverordnung für …?

Die erwähnten neuen Bestimmungen haben vor allem folgende Auswirkun‐

gen. 

Für Behörden und Unternehmen ist das Ziel einerseits weniger Bürokratie. So 

wird z. B. die allgemeine Registrierungspflicht abgeschafft. Anderseits wer‐

den  aber auch verstärkte Pflichten  eingeführt wie z. B. Privacy by Design, 

Privacy by Default, Privacy Impact Assessment oder der Nachweis der Ein‐

willigung. 

Die Rechte  betroffener Personen werden  gestärkt. Dies  gilt  für die Einwilli‐

gung, die Datenportabilität oder das Recht auf Vergessen. Zudem werden 

Kinder neu explizit und verstärkt geschützt. 

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

29 

Die Datenschutzbehörden erhalten mehr Arbeit und verstärkte Kompetenzen. 

So  ist  z. B.  eine Möglichkeit  einer Busse  bis  2 % des  Jahresumsatzes  eines 

Unternehmens vorgesehen. Ebenso soll es eine verstärkte Zusammenarbeit 

im European Data Protection Board (EDPB) geben. 

1.9 Beurteilung der Reformen

Wie sind die Reformen allgemein gesehen zu beurteilen? 

Für den EWR ist die Reform grundsätzlich positiv zu beurteilen. Sie bewirkt 

eine Stärkung und Modernisierung des Datenschutzes. Die damit verbun‐

dene Harmonisierung bewirkt mehr Rechtssicherheit  für Unternehmen. Es 

erfolgt auch eine Reduzierung von Bürokratie und Kosten  (Registrierungs‐

pflicht). 

Das Verhältnis zwischen der Grundverordnung und der Richtlinie  im Poli‐

zeibereich  ist offen. Grundsätzlich  ist die Schaffung  einer Richtlinie neben 

einer  Verordnung  nicht  im  Sinn  der Harmonisierung. Dies wird  aber  zu 

akzeptieren  sein,  da  hier  historische Gründe mitspielen. Dennoch  gibt  es 

hier noch ungeklärte Abgrenzungsfragen. 

Eine Koordinierung  zwischen  «Brüssel» und  «Strassburg»  ist  sinnvoll. Al‐

lerdings  gibt  es  unterschiedliche  Interessen.  So  hat  «Brüssel»  ein  grosses 

Interesse daran, dass sich die Datenschutzkonvention nicht zu sehr von der 

Grundverordnung  unterscheidet.  Der  Konvention  können  auch  nicht‐

europäische Staaten beitreten. Dieser globale Anspruch ist für den Europarat 

leichter zu erfüllen, wenn die Anforderungen nicht zu hoch sind,  im Sinne 

einer Datenschutzgrundverordnung «light». 

Auch nach einer Verabschiedung der Reformtexte wird eine Koordinierung 

sehr  wichtig  sein.  Die  Zusammenarbeit  auf  europäischer  Ebene  war  im  

Übrigen Gegenstand eines Beschlusses der Europäischen Datenschutzkonfe‐

renz 2014. 

PHILIPP MITTELBERGER

30 

Teil 2: Auswirkungen auf einen Kleinstaat

2.1 Liechtenstein im EWR

Liechtenstein  ist Mitglied  im Europäischen Wirtschaftsraum und  somit  an 

Rechtstexte der ehemaligen ersten Säule gebunden. 

Dementsprechend  hat  Liechtenstein  die  allgemeine  Datenschutzrichtlinie 

95/46/EG  nach  Art. 1  des  Datenschutzgesetzes  (DSG)  umgesetzt.  Art. 28 

Abs. 1 bestimmt: «Es wird eine Datenschutzstelle eingerichtet, die organisa‐

torisch dem Landtag zugeordnet  ist.» Diese vertritt das Fürstentum Liech‐

tenstein  nach Art. 32 Abs. 1  Bst. f DSG  in  der Datenschutzgruppe  gemäss 

Art. 29 der Richtlinie 95/46/EG. Diese Gruppe hat nach Art. 30 der Richtlinie 

unter anderem die Aufgabe, «die Kommission bei  jeder Vorlage zur Ände‐

rung  dieser  Richtlinie,  zu  allen  Entwürfen  zusätzlicher  oder  spezifischer 

Massnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten natürlicher Personen 

bei  der  Verarbeitung  personen‐bezogener  Daten  sowie  zu  allen  anderen 

Entwürfen  von Gemeinschaftsmassnahmen  zu  beraten,  die  sich  auf  diese 

Rechte und Freiheiten auswirken.» 

2.2 Texte der WP 29 zur Reform

In dieser Eigenschaft hat sich die Gruppe in folgenden, öffentlichen Papieren 

zur Reform als solcher oder zu Teilaspekten geäussert: 

Opinion 01/2012  on  the  data  protection  reform  proposals,  vom 

23.03.2012 (WP 191) 

Opinion 08/2012 providing further input on the data protection reform 

discussions, vom 08.10.2012 (WP 199) 

Working Document 01/2013  Input on  the proposed  implementing acts, 

vom 22.01.2013 (WP 200) 

Opinion 01/2013 providing  further  input  into  the discussions  on  the 

draft  Police  and  Criminal  Justice  Data  Protection  Directive,  vom 

26.02.2013 (WP 201) 

Statement of the Working Party on current discussions regarding the 

data protection reform Package, vom 27.02.2013 

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

31 

Advice paper on essential elements of a definition and a provision on 

profiling  within  the  EU  General  Data  Protection  Regulation,  vom 

13.05.2013 

Working Party Comments to the vote of 21 October 2013 by the Euro‐

pean Parliament’s LIBE Committee, vom 11.12.2013 

Letter from the Article 29 Working Party to the Chair of the Council’s 

Working Party on Information Exchange and Data Protection (DAPIX) 

on the One‐Stop‐Shop mechanism, vom 16.04.2014 

Statement on  the  role of a  risk‐based approach  in data protection  legal 

frameworks, vom 30.05.2014 (WP 218) 

Statement  on  the  results  of  the  last  JHA  meeting,  vom  17.09.2014 

(WP 222) 

2.3 Gesamtbeurteilung aus Sicht eines Kleinstaates

Als kleinster EWR‐Staat ist Liechtenstein mehr als andere auf klare Prioritä‐

ten angewiesen. Dies gilt natürlich auch im Rahmen des Datenschutzes, wo 

der Fokus in Liechtenstein klar auf der Grundverordnung liegt. Dies, da sie 

weiter  gehen  soll  als  die  neue Konvention.  Insbesondere wird  es  ein  neu 

gestaltetes Sanktionsregime geben. Zudem werden  im Rahmen von «Brüs‐

sel» mehr verbindliche Rechtsinstrumente geschaffen als  im Europarat  (wo 

es  auch Empfehlungen  an die Mitgliedsstaaten  gibt, wie  anfangs  gezeigt). 

Diese verbindlichen Rechtsinstrumente nehmen häufig Bezug auf die beste‐

henden Datenschutzrichtlinien aus Brüssel, die  in das  innerstaatliche Recht 

umzusetzen  sind. Zudem  trifft  sich  die Artikel‐29‐Arbeitsgruppe  öfter  als 

der Beratende Ausschuss  in Strassburg. Insgesamt sind somit die Rechtsin‐

strumente aus Brüssel «lebendiger» und wichtiger als die aus Strassburg. 

Die Harmonisierung des Datenschutzes  in Europa wird  insgesamt  für eine 

kleine Datenschutzbehörde sinnvoll sein, da somit die Möglichkeit gegeben 

ist,  sich mehr auf die Praxis anderer Datenschutzbehörden zu  stützen, die 

ähnliche Fälle zu beurteilen hatten. Dies gilt vor allem im EWR, wo es keine 

grossen Unterschiede insbesondere zu Österreich oder zu Deutschland mehr 

geben sollte. 

PHILIPP MITTELBERGER

32 

Dies hängt  jedoch sehr stark von der Frage ab, wie der Aspekt der Spezial‐

gesetzgebungen zu sehen sein wird. Wenn es auch weiterhin eine Spezialge‐

setzgebung geben wird, wäre dies ein Loch im Harmonisierungsteppich von 

Brüssel.  Im Rat gibt es, wie noch zu zeigen sein wird, Tendenzen, von der 

Idee  einer  Grundverordnung  in  Richtung  einer  Richtlinie  abzuweichen. 

Damit wäre dieser Vorteil für einen Kleinstaat relativiert. Die Grundverord‐

nung wird, wie erwähnt, zu mehr Aufgaben der Datenschutzbehörden füh‐

ren; was auch zu einer Ressourcenfrage werden kann. 

2.4 Folgen der Grundverordnung für Liechtenstein

Bei  den  Folgen  der Grundverordnung  ist  zu  unterscheiden  zwischen  den 

Folgen für Liechtenstein als Staat und den Folgen für die Datenschutzstelle, 

die am meisten betroffen sein wird. Kurzfristig geht es auch um Folgen für 

Liechtenstein als Staat: Verordnungen sind grösstenteils direkt anwendbar. 

Damit wird der Gesetzgeber viel weniger gefordert  sein  als dies bei  einer 

Richtlinie der Fall wäre. Ausnahmsweise sind weiterhin einzelne Punkte für 

den nationalen Gesetzgeber vorgesehen.2 

Mittel‐ und langfristig wird die Grundverordnung, natürlich, vor allem Fol‐

gen  für  die  Datenschutzbehörden  zeitigen.  Dies  gilt  für  die  Analyse  der 

Grundverordnung  als  solcher  und  der  delegierten  und  durchführenden 

Rechtsakte. Es wird  um die  Frage  gehen, wie die Praxis  gestaltet werden 

soll. Dazu wird  die  Information  der Öffentlichkeit  und  insbesondere  der 

Dateninhaber (Behörden und Unternehmen) eine wichtige Aufgabe darstel‐

len. So werden Wegleitungen etc. zu schaffen sein. Auch die Stärkung der 

Aufsichtsbefugnisse der Datenschutzstelle wird Folgen haben. Es  ist anzu‐

nehmen, dass Dateninhaber vermehrt den Rat der Datenschutzstelle suchen 

werden. Ebenso  ist  eine  Intensivierung der Zusammenarbeit  im EDPB  zu 

erwarten. 

   

                                                                          

2   Beispiel: Art. 49 Errichtung der Aufsichtsbehörde. 

Datenschutzreform in Europa und Auswirkungen auf einen Kleinstaat

33 

2.5 Aktueller Stand und Ausblick der künftigen Grundverordnung (EWR)

Doch so weit sind die Arbeiten noch nicht. 

Ursprünglich war das Ziel eine Verabschiedung der Grundverordnung bis 

Ende  2014.  Nach  3133 Änderungsanträgen (!),  welche  ein  historisches 

Höchstmass  im  Europäischen  Parlament  darstellten,  konnte  dieses  am 

12. März 2014 eine Stellungnahme abgeben. Damit war ein wichtiger Schritt 

erreicht. Und der Europäische Rat? Trotz des NSA‐Skandals hatte und hat es 

der Rat nicht so eilig mit der Reform. Er hinkt mit der Arbeit hinterher. Im‐

mer wieder werden einzelne Teile der Grundverordnung beraten.3 Aber das 

sind eben nur Teile. In den Pressemitteilungen des Rates zu diesen Diskus‐

sionen scheint  immer wieder der Satz auf: «Nothing  is agreed until every‐

thing is agreed.»4 Damit will sich der Rat noch nicht festlegen. 

2.6 Aktueller Stand und Ausblick (EWR)

Die Arbeit der Reform  in Brüssel  zieht  sich  hin. Wie  erwähnt,  startet der 

Trilog  erst, wenn der Rat  eine Stellungnahme  abgegeben hat, was  ja noch 

nicht der Fall ist. Es ist derzeit offen, wann dies der Fall sein wird. 

Die Arbeiten im Rat – und der entsprechenden Arbeitsgruppe Dapix – kon‐

zentrierten sich bisher auf die Grundverordnung. Doch was  ist mit der ge‐

planten Richtlinie  im Polizeibereich, die  ja  in den  anderen Teil des  von der 

Kommission Anfang 2012 vorgestellten Datenschutzpakets gehört? Wird es 

hier  zwei Geschwindigkeiten  geben,  so dass die Grundverordnung  zuerst 

und die Richtlinie erst später verabschiedet werden? Sollte dies der Fall sein, 

wird die Diskrepanz zwischen der ehemaligen dritten und der ersten Säule 

noch grösser; wobei ja unklar ist, wie die Grundverordnung aussehen wird. 

Insgesamt sind  im Rat Tendenzen  festzustellen, die eher  in Richtung einer 

                                                                          

3   Presseaussagen: 

«Europa  kommt  mit  Datenschutzreform  kaum  voran»,  (heise.de  vom  04.03.2014) 

«EU‐Rat  trippelt  bei  der  Datenschutzreform  nach  vorn»,  (heise.de  vom  6.6.2014) 

«EU‐Rat will die Datenschutzreform abschwächen», (heise.de vom 13.10.2014). 

4   Siehe  zum  Beispiel:  http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata 

/en/jha/146049.pdf. 

PHILIPP MITTELBERGER

34 

Richtlinie  gehen,  da  Länder wie Deutschland  zum  Teil  bereits  einen  sehr 

hohen Standard aufweisen. Es  ist verständlich, wenn solche nationalen Er‐

rungenschaften beibehalten werden sollen. Schliesslich soll die Datenschutz‐

reform einen Fort‐ und keinen Rückschritt darstellen. Anderseits ist auch zu 

beachten, dass z. B. Big‐Data‐Fragen im Raum stehen, die bis heute ungelöst 

sind. Es ist auch verständlich, dass die Reform solche offenen Fragen beant‐

worten  sollte. Die  bestehende  allgemeine Datenschutzrichtlinie wird  2015 

zwanzig Jahre alt. Es wäre sicher  im  Interesse aller, wenn die  laufende Re‐

form einen ähnlich langen Bestand haben könnte. 

2.7 Aktueller Stand und Ausblick (Europarat)

Wie erwähnt ist die Arbeit im Europarat mit der Reform in Brüssel verbun‐

den. Nach dem Beratenden Ausschuss der Datenschutzkonvention  (T‐PD) 

wurde  ein  Ad‐hoc‐Ausschuss  (CAHDATA)  gebildet,  der  sich  zwischen 

Herbst 2013 und Ende 2014 dreimal traf. Die letzte Sitzung fand vom 1. bis 

3. Dezember 2014 statt. Die Arbeit wurde mit einigen Vorbehalten der Euro‐

päischen Kommission verabschiedet.5 Nun wird es am Ministerkomitee des 

Europarates  liegen, eine Entscheidung über den Text zu  treffen. Dort  sind 

auch  die Mitgliedsstaaten  der  EU  vertreten.  Deshalb  ist  kaum  damit  zu 

rechnen, dass die Reform im Rahmen des Europarates schneller verabschie‐

det wird als die des EWR. 

2.8 Kommission und Europäischer Rat

Derzeit besteht der Eindruck, dass der Rat die ganze Reform im EWR in die 

zur Kommission gegengesetzte Richtung ziehen will. Dies  ist  in dem Sinne 

verständlich, als es ungelöste Fragen wie z. B. das Phänomen von Big Data 

gibt. 

 

 

                                                                          

5   http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/dataprotection/TPD_documents/CAHDATA‐

RAP03Abr_En.pdf. 

Institut für Rechtswissenschaftund RechtspraxisBodanstrasse 4CH-9000 St. Gallen

Telefon +41 (0)71 224 24 24Telefax +41 (0)71 224 28 83

[email protected]

ISBN 978-3-906049-14-4