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RB Leipzig Aufstieg ohne Grenzen Ullrich Kroemer VERLAG DIE WERKSTATT

Ullrich Kroemer RB Leipzig – Aufstieg ohne Grenzen · Ullrich Kroemer VERLAG DIE WERKSTATT VERLAG DIE WERKSTATT. Inhaltsverzeichnis ... RB Leipzigs Capo Sebastian.....137 KAPITEL

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RB Leipzig –Aufstieg ohne Grenzen

ISBN 978-3-7307-0251-2VERLAG DIE WERKSTATT

Ullrich Kroemer

RB Leipzig polarisiert: Manche sehen in Rasenballsport den Untergang aller Fußballtraditionen. Andere hoffen darauf, dass die Leipziger die Langeweile um Dauermeister Bayern München beenden können. Und in Leipzig freuen sich viele, endlich wieder hochklassigen Fußball zu sehen.

Der Leipziger Sportjournalist Ullrich Kroemer präsentiert mit diesem Buch die erste Vereinsgeschichte: von der Gründungsphase über die sportlich wechselhaften Jahre in der Regionalliga bis zum „Aufstieg ohne Grenzen“. Interviews u.a. mit Ralf Rangnick, Daniel Frahn, Fanvertretern und RB-Kritikern runden das Buch ab. So entsteht ein facettenreiches Vereins porträt mit allen spannenden Themen rund um den Klub.

„Ein angenehm sachliches Buch über RB Leipzig – für Fans und für Kritiker.“(MDR Info)

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

KAPITEL I Gipfelsturm mit Rückschlägen: der Aufstieg in die Bundesliga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11„Wir sind keine Ja-Sager“� Interview mit Achim Beierlorzer und Zsolt Löw . . . . . . . . . 18

KAPITEL I I Liebe auf den zweiten Blick: wie Red Bull den Standort Leipzig entdeckte . . . . . . . . . . 25Neustart der Verhandlungen: der zweite Anlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

KAPITEL I I ISturzgeburt in Markranstädt: die ersten Monate von RB Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35„Nicht nur Sponsor sein“ � Interview mit Markus Egger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39„Neuland in Deutschland“: Ankunft des Fußball-Ufos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Spielrecht für Leipzig: die Rolle der Verbände bei der Gründung von RBL . . . . . . . . . . . 45„Ich habe den Bullen im Herzen“ � Interview mit Tino Vogel, erster

Cheftrainer und von 2011 bis 2016 U23-Coach von RB Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

KAPITEL IVVerlorene Jahre? Weshalb RB Leipzig bis 2012 sportlich stagnierte . . . . . . . . . . . . . . . . . 58„Zu viele Amateure am Werk“ � Interview mit Sven Neuhaus,

erster Torhüter von RB Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

KAPITEL VAlles auf Anfang: die Ära Rangnick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69„Es geht um Evolution in allen Bereichen“ � Interview mit Ralf Rangnick,

Trainer und Sportdirektor bei RB Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76„Ich warte auf eine Revolution der Spielsysteme“ � Interview mit

Taktikexperte Prof. Dr. Memmert über die Spielauffassung von Ralf Rangnick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

„Ralf will aufsteigen und ich net“ � Porträt über RB Leipzigs zweimaligen Aufstiegstrainer Alexander Zorniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

„Die Menschlichkeit ist ein Stück weit verloren gegangen“ � Interview mit Daniel Frahn, Kultkapitän und Rekordtorschütze von RB Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . 93

KAPITEL V IMehr Mitbestimmung?! Lizenzkampf und Klubentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103„Die Lücken des Regelwerks ausgenutzt“: wie die Lizenzierung

von RB Leipzig bewertet wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108„Rechtlich nichts zu beanstanden“ � Interview mit dem

Sportjuristen Johannes Arnhold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110„Grobes Foulspiel auf Kosten der anderen“ � Interview mit

Sportmarketing- und Lizenzierungs-Experte Christian Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114Der Marathonmann � Porträt über Oliver Mintzlaff, Vorstandsboss

von RB Leipzig und Red-Bull-Fußballchef . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

KAPITEL V I I„Sternchenfeuer“ statt Pyrotechnik: die neue Leipziger Fankultur . . . . . . . . . . . . . . . . . 126„Verstehen, was in der Kurve läuft“: RB Leipzig beschreitet

neue Wege in der Fanarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133„Ich wünsche mir einen Hexenkessel“ � Interview mit

RB Leipzigs Capo Sebastian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

KAPITEL V I I IBoykotte und Proteste: das Feindbild RB Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148„RB Leipzig ist ein gut geeigneter Sündenbock“ � Interview mit dem

Fanforscher Prof. Harald Lange über die Proteste gegen RBL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154„Die Zeit der medialen Ablehnung ist vorbei“ � Interview mit dem

Blogger Matthias Kießling (rotebrauseblogger.de) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

KAPITEL IXJungbullen-Zucht: das RB-Nachwuchsleistungszentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Geldsegen für die Region: wie Leipzig und das Umland von RB profitieren . . . . . . . . . 174

AUSBL ICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

ANHANGNamen und Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Kapitel VIII

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BOYKOTTE UND PROTESTE :das Feindbild RB Leipzig

S ündenbock der Fußballnation: Vom ersten Auftritt 2009 an wurde RBL von gegnerischen Fanszenen geächtet. Bisweilen kreativ, viel zu oft dumpf, reflexhaft und unter der Gürtellinie, manchmal gar gewalttätig. Im siebten Jahr des Vereinsbestehens hat die Vehemenz der Proteste abgenommen.

Ingo Hertzsch, RB-Spieler der ersten Stunde, späterer Fanbeauftragter und heutiger Ver-einsrepräsentant, hatte vor dem Ligastart 2009 die Hoffnung, dass die Proteste gegen RB Leipzig im Rahmen bleiben würden. Auf die Frage, ob er und das Team bereits ange-feindet worden seien, sagte Hertzsch der Leipziger Volkszeitung damals: „Persönlich nicht. Bei den ersten Tests gab es Transparente und verbalen Unmut. Wenn es dabei bleibt, ist das okay.“ Doch es blieb nicht dabei, Hertzschs Hoffnungen bestätigten sich nicht.

Gleich das erste Pflichtspiel von Rasenballsport bei der zweiten Mannschaft von Carl Zeiss Jena war eine Blaupause dafür, was sich in den kommenden Jahren auf vielen Sportplätzen von der Oberliga bis in die 2. Bundesliga dutzendfach wie-derholte. Die Gäste aus Leipzig wurden in Jena auf einem Nebenplatz als „Toten-gräber der Fußballtradition“ empfangen; so stand es auf einem Banner. Ein anderes Spruchband beim Debüt empfahl: „Boykottiert und bekämpft Red Bull Leipzig“. Vor dem ersten Auftritt hatten gegnerische Fans versucht, den RB-Bus per Sitzblockade zu stoppen. Da es an RB-Fans als Gegner mangelte, richtete sich der Hass direkt gegen die Spieler, die bepöbelt und mit Bierbechern beworfen wurden. Nach Abpfiff traten die Kicker ungeduscht und so schnell wie möglich die Heimreise an — Szenen, die man so sonst nur von den teils kriminellen Rivalitäten konkurrierender Klubs aus Südamerika kennt. Torhüter Sven Neuhaus, der damals dabei war, erinnerte sich im Interview: „Wenn wir in die Stadien kamen, habe ich die Scheuklappen heruntergeklappt, um all die Beschimpfungen auszublenden. Ich habe nur gedacht: Lasst mich alle in Ruhe! Jetzt hauen wir euch fünf Stück rein und fahren wieder nach Hause! Ich habe versucht, so wenig wie möglich ringsumher wahrzunehmen. Erst als ich nach dem Spiel im Bus saß, habe ich wieder durchgeatmet. Gerade die Auswärtsspiele waren heftig. Das fing 2009 im allerersten Spiel in Jena an und zog sich durch die Saison. Die Fans waren extrem aggressiv, und die Schiedsrichter waren nicht gerade auf unserer Seite.“ Die „Roten Bullen“ aus der Messestadt waren für viele aktive Fans von Beginn an ein rotes Tuch. „Wir sind gehasst worden“, sagt Neuhaus.

Protestkultur: Fans des Karlsruher SC modifizierten den Werbeslogan des Leipziger Hauptsponsors 2015/16 durchaus kreativ, schossen aber mit weiteren Transparenten und Spruchbändern deutlich über das Ziel hinaus.

Klaus Reichenbach, Präsident des Sächsischen Fußball-Verbands (SFV), sagte damals der Leipziger Volkszeitung: „Wenn es so weitergeht, wird es schlimm. Wir wissen, dass in der Fanszene diskutiert wird, gemeinsam gegen RB vorzugehen. Dieser blinde Hass hat aber mit sportlicher Rivalität nichts mehr zu tun, das ist Frustbewältigung und Aggressionsabbau einer gewaltbereiten Minderheit. Mich hat überrascht, dass es schon in Jena, bei einer Reservemannschaft, solche Ausmaße angenommen hat. Gegen die direkten Konkurrenten von RB kann das noch andere Dimensionen erreichen. Ich habe kein gutes Gefühl, wir müssen den Anfängen wehren.“ Als Reaktion auf die Begegnung in Jena wurden damals vom Nord-Ostdeutschen Fußball-Verband (NOFV) alle Partien mit RB-Beteiligung als Risikospiele eingestuft. „Wir brauchen scharfe Sicherheitsvorkeh-rungen und müssen in dafür geeignete Stadien gehen“, sagte Reichenbach. RB erhöhte seinerseits im Stadion am Bad die Zäune am Gästeblock sowie die Zahl der Sicherheits-mitarbeiter.

Zu Beginn der ersten Saison in der Regionalliga 2010/11 formierte sich neuer, über-regionaler Protest. Beim ersten Auswärtsspiel zerstachen RB-Feinde einen Reifen des

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Mannschaftsbusses und besprühten das Fahrzeug mit gelber Farbe. Und auch nach dem Aufstieg in die 3. Liga eskalierte die Gewalt gegen RB weiter: Nach dem Auswärtsspiel beim Halleschen FC wurde der Mannschaftsbus mit Steinen und Flaschen beworfen. „Die ersten Jahre waren diesbezüglich extrem“, sagte Ex-Kapitän Daniel Frahn im Gespräch für dieses Buch. „Ein Stein schlug knapp neben Tim Sebastian ein. Dass man im Stadion beleidigt und beschimpft wird, damit muss man rechnen, wenn man zu einem Verein wie RB Leipzig wechselt. Aber nach der Attacke in Halle saßen wir im Bus und haben gewusst, dass das hätte böse enden können. Erst im dritten Jahr haben wir die Anfein-dungen dann in positive Energie umsetzen können. Das hat uns geholfen, so zusammen-zustehen, dass nichts zwischen uns kommt. Ein ganz entscheidender Grund dafür, dass wir es geschafft haben, endlich aus dieser 4. Liga herauszukommen“, sagt Frahn (siehe das Interview mit Daniel Frahn in diesem Buch).

Nachdem sich die Situation etwas beruhigt hatte, entflammten die Proteste beim Aufstieg in die zweite Liga aufs Neue. Allein das Hin und Her bei der Lizenzierung für die Bundesliga hatte böses Blut geschürt. Mit dem Eintritt in die Bundesliga wurden offenbar viele Fans gewahr, dass es RB Leipzig ernst meint mit seinem Angriff auf das Fußball-Establishment. Vor dem Start der Spielzeit 2014/15 gründete sich die Initiative „Nein zu RB“, der sich bis Ende 2015 über 150 Fangruppierungen aus über 30 Stand-orten von der ersten bis zur vierten Liga angeschlossen hatten, und gab dem RB-Protest einen offiziellen Anstrich. Nachdem es beim ersten Zweitligaspiel von RB Leipzig bei 1860 München einen Protestmarsch gegen die Gäste aus Leipzig gegeben hatte, begrün-deten die Anhänger des kleinen VfR Aalen einen Trend, indem sie dem Auswärtsspiel ihres Teams in der Leipziger Arena fernblieben.

Viele weitere Fanszenen schlossen sich dem Vorbild an, sodass die Gästeränge in der ersten Zweitligasaison zum Großteil leer blieben. Neben den Fans von Traditionsklubs sprangen auf den Boykottzug auch zahlreiche Gruppierungen von Vereinen wie Heiden-heim und Ingolstadt auf, die wohl eh nur mit einer kleinen Schar Unterstützer ange-reist wären. In einem Montagsspiel gegen Heidenheim straften die RB-Fans den Heiden-heimer Anhang per Stadionbanner als „Mitläufer“ ab: „Boykottieren ist ein Trend! Habt ihr ihn letztes Jahr verpennt?“, stand da zu lesen.

Ausnahmen bildeten die Fans von Erzgebirge Aue und FC St. Pauli, die komplett oder wie bei Eintracht Braunschweig zumindest in Teilen anreisten. Andere wie die Anhänger des FC Union Berlin organisierten ein Traditionsspiel gegen den alten Rivalen BSG Chemie, um demonstrativ erst zur zweiten Hälfte des Spiels der Profis bei RB zu erscheinen.

Auswärts trieb der Protest derweil immer buntere Blüten: In der Rückrunde der Saison 2014/15 rief die Aalener Ultra-Gruppierung erstmals auch zum Boykott des Heimspiels im eigenen Stadion auf — dessen Namensgeber übrigens die Firma des mil-lionenschweren Klub-Mäzens ist. Statt ihre Mannschaft gegen die offensichtlich so ver-hassten Leipziger anzutreiben, saßen die Ultras in einem Vereinsheim und schauten sich das Spiel am Fernseher an.

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BOYKOTTE UND PROTESTE

Wie bereits in München organisierten auch die Fans des Karlsruher SC und 1. FC Nürnberg Protestdemonstrationen gegen die bösen Bullen, in Berlin streiften sie sich schwarze Müllsäcke über und schwiegen minutenlang. Und in Düsseldorf, wo sie eben-falls schwarze Ponchos trugen, spielte der Stadion-DJ Songs, die sich gegen die Gäste richteten: Kauf mich von den Toten Hosen oder Abbas Money, Money, Money. Die Nürn-berger Ultras entwickelten ein Dartsspiel und einen sogenannten Anti-Kommerz-Ener-gy-Drink, die beide den Namen Dead Bull trugen. Und selbst bei Partien, mit denen RB gar nichts zu tun hatte, wurden Anti-Bullen-Banner aufgehängt und -Sprechchöre ange-stimmt. Der Dortmunder Ruhrpott-Rapper M.I.K.I dichtete einen Anti-Red-Bull-Song („stoppt diesen Rinderwahn“), der auf YouTube über 350.000-mal angeklickt wurde.

„ZEIGEN, WIE FUSSBALL ANDERS FUNKTIONIERT“Interview mit Justus Peltzer, Fanbeauftragter des FC St. Pauli, über den Boykott des Boykotts

In einem Interview erklärte St. Paulis Fanbeauftragter Justus Peltzer Ende 2014, weshalb gerade die alternative Fanszene des Kultklubs den Boykott in Leipzig boykottierte und auch in der Red-Bull-Arena vollzählig mit etwa 5.000 Auswärtsfans Flagge zeigte.

Herr Peltzer, weshalb verweigern ausge-rechnet die Fans des FC St. Pauli den all-gemeinen Trend zum Boykott von Spie-len von RB Leipzig?Justus Peltzer: Unter den Fans des FC St. Pauli war es die einhellige Meinung, dass Red Bull Geld eh nicht interessiert und der Verein auf die Einnahmen der Aus-wärtsfans sowieso nicht angewiesen ist. Also fahren wir nach Leipzig, um unser Team zu unterstützen; auch um zu zeigen, wie Fußball anders funktionieren kann und bei St. Pauli seit Jahrzehnten anders funktioniert, was auch bei der Jahres-hauptversammlung des Vereins bestätigt wurde: (basis-)demokratisch, nicht von großen Geldgebern abhängig.

Wie wurde unter den Fans diskutiert, ob das Spiel boykottiert wird oder nicht?Seitdem klar war, dass wir gegen RB Leip-zig spielen und dass andere Fangruppen

boykottieren, wurde das immer mal wie-der besprochen. Da hat sich in diversen Gesprächen herauskristallisiert, dass ein Boykott nicht der geeignete Weg für die St.-Pauli-Fans ist. Es gibt schon ein paar Leute, die nicht nach Leipzig fahren, aber die sind klar in der Minderheit.

Wollen sich die St.-Pauli-Fans bewusst von dem Boykott-Mainstream distanzieren?Auch das ist ein Grund, weil wir es nicht so machen wollen wie alle anderen. Es ist ja auch ein wenig seltsam, dass plötzlich alle boykottieren. Das scheint ein Muss geworden zu sein. Im vergangenen Jahr war RB Leipzig bereits der gleiche Verein mit dem gleichen Geld, und da sind noch alle Fans gekommen. Wir machen das eben anders, haben Bock auf das Spiel in Leipzig. Mit unserer ersten Mannschaft waren die St.-Pauli-Fans ja bislang auch noch nicht im Leipziger Stadion.

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KAPITEL V I I I

In einigen Fällen überschritten die Anfeindungen jedoch die Regeln deutlich. Im März 2015 kochte die Stimmung gegen RB über, als RB-Gegner vor dem Auswärtsspiel beim Karlsruher SC den Leipzigern einen Besuch im Hotel abstatteten und später am Auto der Verantwortlichen Ralf Rangnick und Oliver Mintzlaff rüttelten und sie an der Ausfahrt aus dem Stadion hinderten. Beim nächsten Auswärtsauftritt in Heidenheim wurde Spieler Sebastian Heidinger — der übrigens in der Saison darauf nach Heiden-heim wechselte — mit einem mit Urin gefüllten Bierbecher beworfen.

Was halten die St.-Pauli-Fans von der Kampagne nein-zu-rb.de?Hier wird das nicht unterstützt, eher ein wenig kritisch beäugt. Man muss schauen, wo die Vereine der an der Kam-pagne beteiligten Fanklubs ihr Geld her bekommen. Wenn die Fans von Ingol-stadt beim Gastspiel auf St. Pauli das Anti-RB-Protestbanner hochhalten, mutet das schon seltsam an, da Ingolstadt auch ganz schön am Tropf seines Hauptspon-sors Audi hängt. Wo ist da die Grenze? Wo fängt Kommerz an, wo hört er auf? Das wird hier in der FCSP-Fanszene sehr hete-rogen betrachtet. Einige sagen, dass es RB nur auf die Spitze treibt und konsequent weiterdenkt, wie alle anderen Vereine im Kapitalismus auch funktionieren. An-dere lehnen RB vor allem auch wegen der Tauschgeschäfte zwischen Leipzig und Salzburg konsequent ab.

Wie wird denn der Protest der St.- Pauli-Fans in Leipzig aussehen?Ultrà St. Pauli (USP) haben eine Motto-fahrt organisiert: Jeder Fan soll sein äl-testes Trikot von St. Pauli anziehen, um die Geschichte und Tradition zu doku-mentieren, die dieser Klub mit seinen Fans hat. Ich bin gespannt, wie das um-gesetzt wird.

Wird es Spruchbänder oder Choreo-grafien geben, die sich mit RB Leipzig be-schäftigen?

Nein, angemeldet sind nur die norma-len Fanutensilien, die in Leipzig nur sehr begrenzt genehmigt werden. Da wird viel verboten, wenig erlaubt. Nicht nur Protest gegen RB wird verboten, auch große Fahnen etc. Es gibt da sehr rigide Vorschriften. Deswegen wird es auch keine Choreografie der St.-Pauli-Fans geben, das wäre viel zu umständ-lich gewesen.

Sind die scharfen Einlasskontrollen in Leipzig das bestimmende Thema bei den St.-Pauli-Fans?Das ist sicher das größte Thema. Unsere Fans fragen sich: Muss ich mein T-Shirt ausziehen, wenn sich die Aufschriften gegen RB, DFL, DFB oder Polizei rich-ten? Das ist in Leipzig alles verboten. Das handhaben wir bei St. Pauli ganz anders. Hier steht die freie Meinungsäu-ßerung — natürlich im Rahmen der Sta-dionordnung — über allem. Der Leipziger Ordnungsdienst hat da nicht den besten Ruf. Wir schauen auch genau hin, wer da so am Gästeeingang steht und wie kont-rolliert wird. Ich habe auch schon bei der Sicherheitsbesprechung ganz klar gesagt, dass wir bezüglich der Einlasskontrollen Konfliktpotenzial sehen, auch um den Leipziger Ordnungsdienst zu sensibilisie-ren, dass es zu keinen negativen Vorfäl-len kommt.

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BOYKOTTE UND PROTESTE

Nachdem sich Rasenballsport Unterstützung durch den Ligaverband erbeten hatte, wandte sich DFL-Boss Christian Seifert gegen die Proteste: „Kein Mitglied des Ligaver-bands sollte zum Ausdruck bringen, dass man so etwas wie Verständnis für ein gewisses Verhalten hat“, sagte Seifert. „Es gibt keinen einzigen hehren Wert, keine Traditions-pflege oder auch keine Kapitalismuskritik, um zu rechtfertigen, was sich letzte Woche bei der Blockupy-Demo in Frankfurt oder zuvor auch bei Spielen von RB Leipzig abge-spielt hat.“ Andreas Hensel, Sprecher der Kampagne „Nein zu RB“, sagte vor dem Start der Saison 2015/16 dazu: „Wichtig ist, dass der Protest in der zweiten Liga weiterhin stattfindet. Auch Ende der letzten Saison haben viele Szenen noch mal ligaübergreifend durch Spruchbänder klargemacht, dass eine Solidarisierung mit RB Leipzig, wie sie sich die DFL wünscht, nicht stattfinden wird. Die Vereine haben sich dann auch teilweise von dieser Solidarisierung distanziert beziehungsweise haben sie nicht akzeptiert.“

Zum Start der Hinrunde der Spielzeit 2015/16 beruhigten sich die Unmutsbekun-dungen gegen die neue Leipziger Fußballschule spürbar. Der Boykott-Trend war wieder out geworden, sodass sich viele gegnerische Fans zum Auswärtsspiel nach Sachsen auf-machten. Auswärts wurde zwar bei Union Berlin wieder traditionell geschwiegen — diesmal in Rot —, großflächig gegen RB plakatiert und Buttersäure auf den Gästetoiletten und im Gästeblock verteilt. In Heidenheim bewarfen Anhänger den RB-Bus mit nachgemachten Dollarnoten, was Ralf Rangnick jedoch „fast schon wieder originell“ fand. Und gegen Arminia Bielefeld wurden die Gäste aus Leipzig in der ersten Viertelstunde mit speziellen Trillerpfeifen so hochfrequentig und lautstark ausgepfiffen, dass die RB-Verantwortlichen zunächst eine Beschallungsanlage als Quelle des Lärmprotests vermuteten. Dem war aber offenbar nicht so. Beim nächsten Auswärtsspiel in Karlsruhe dann kulminierte der Protest gegen RB wie bereits in der Vorsaison. Karlsruher Fans zeigten unter anderem ein Banner mit der Aufschrift „RB verdient Prügel“, woraufhin KSC-Anhänger auf eine nachgebil-dete Dose aus Pappe einschlugen. Zudem richtete sich der Protest durch teils niveaulose Sprechchöre und Banner unter der Gürtellinie auch erstmals massiv gegen Ralf Rangnick persönlich. Doch die Reizfigur blieb cool. „Ich habe das nur am Rande mitbekommen. In Hoffenheim richtete sich das damals gegen Dietmar Hopp, jetzt offenbar vor allem gegen mich“, sagte Rangnick. Ein Auswärtsspiel später bei der SpVgg Greuther Fürth wurde der Gästebereich mit literweise Öl verunreinigt, um RB Leipzig nicht nur symbolisch zu Fall zu bringen; und Rangnick wurde auf der Trainerbank ebenso wie sein Co-Trainer Achim Beierlorzer von einem halbvollen Bierbecher getroffen.

Kurz vor dem Aufstieg kochte die feindselige Stimmung noch einmal beim Gastspiel auf dem Betzenberg in Kaiserslautern über. Der frühere FCK-Kapitän Willi Orban wurde bei seiner Rückkehr mit RB Leipzig heftig verunglimpft. Ein Banner im Lautern-Fan-block zeigte Orbans Konterfei im Fadenkreuz; auf einem anderen Transparent wurde nicht nur Orban selbst, sondern auch seine Mutter in übler Gossensprache beleidigt. Noch vor wenigen Jahren hatte der Abwehrspieler selbst als Fan in der Lauterer West-kurve gestanden – nun wurde er von den Ultras zur Persona non grata erklärt. Rang-nick fand wie gewohnt deutliche Worte und sprach von „einer neuen Dimension der

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KAPITEL V I I I

Geschmacklosigkeit“. Der Sportchef der „Roten Bullen“, wegen dem Orban zu Saison-beginn nach Leipzig gewechselt war, sagte: „Wenn das der Dank für einen Spieler ist, der seit dem fünften Lebensjahr 18 Jahre lang für den Verein spielt, dem der Verein eine Ausstiegsklausel gibt und der den Verein so oder so verlassen hätte, dann ist das für mich völlig unverständlich.“ Orban musste dieses Spiel wegen einer Gelb-Roten Karte vorzeitig beenden.

Generell jedoch regulierte sich genau wie die Schärfe in der medialen Berichterstat-tung auch der Protest im zweiten Zweitligajahr deutlich und blieb an vielen Standorten vor allem ein Phänomen der Ultra-Gruppierungen. Der Vorsitzende Oliver Mintzlaff kon-statierte „eine immer stärkere Versachlichung. Der Unterschied zur vergangenen Saison ist wie Tag und Nacht.“ Gut möglich, dass zu der Deeskalation auch der Schock über das abgebrochene Pokalspiel gegen den VfL Osnabrück beigetragen hatte. Ein VfL-Fan hatte beim Stand von 1:0 für sein Team durch einen Feuerzeugwurf auf den Schieds-richter den Abbruch provoziert. Das Skandalmatch wurde mit 2:0 für RB gewertet. „Das war nicht die Tat eines Einzelnen, Wurfgeschosse waren in Osnabrück an der Tages-ordnung“, sagte Rangnick daraufhin. Spieler und Betreuer seien vor und während der gesamten Partie „bespuckt und mit Bierbechern und Feuerzeugen beworfen“ worden, so Rangnick. „Dass das Spiel abgebrochen wurde, war die logische Konsequenz.“ Für die weitere Saison forderte Rangnick ein Mindestmaß an Respekt für sein Team ein: „Es wird sicher bei unseren Auswärtsspielen in der zweiten Liga nicht extrem freundschaft-lich zugehen. Das erwarten wir auch nicht, aber es muss gewährleistet sein, dass wir als Mannschaft, als Verein und vor allem die Schiedsrichter geschützt sind.“

„RB LEIPZIG IST EIN GUT GEEIGNETER SÜNDENBOCK“Interview mit dem Fanforscher Prof. Harald Lange über die Proteste gegen RBL

Der Protest gegen RB Leipzig beschränkt sich vielerorts auf die oftmals plumpe Debatte Tradition vs. Kommerz. Mittlerweile versichern sich viele aktive Fanszenen beinahe reflexhaft der Abneigung gegen RB Leipzig, ohne sich wirklich eingehend mit dem Thema zu beschäftigen. Prof. Harald Lange, Gründer und Vorsitzender des ersten deutschen Faninstituts, hat einen Zugang gefunden, um „einen Schritt zurückzutreten und zu verstehen, weshalb die Fans protestieren oder weshalb RB Leipzig diese Proteste nicht versteht“.

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INTERVIEW MIT PROF . HARALD LANGE

Durch seinen Ansatz hebt der Fanforscher die Diskussion auf eine ganz neue Ebene. Im Interview erörtert Lange, wie sich die Aufregung um Rasenballsport erklären lässt, weshalb der Protest gegen den Red-Bull-Klub wichtig ist, sich der Klub als „Sündenbock“ besonders gut eignet und warum die Ironie des Fußballs eine Chance für die RB-Fanszene sein könnte.

Herr Professor Lange, RB Leipzig polari-siert derzeit wie kein zweiter Verein in Deutschland. Wie erklären Sie, dass dem Red-Bull-Klub seitens vieler aktiver Fan-szenen so viel Ablehnung, bisweilen Hass entgegenschlägt?Prof. Harald Lange: Ich habe mich diesem spannenden Phänomen genähert, indem ich die Spieltheorie aus der Mathematik beziehungsweise der Wirtschaftswissen-schaft auf den Fußball übertragen habe. Laut meiner These gibt es nicht nur das Fußballspiel im engeren Sinne, sondern darum herum noch ein anderes, sehr komplexes Spiel, das nach ganz ähnlichen Grundprinzipien wie ein Fußballmatch auf dem Platz verläuft. Ich teile die Spie-ler in drei große Fraktionen ein: die Ak-teure in den Klubs und Verbänden, die Fraktion Wirtschaft und Kommerz sowie die Spielerpartei der Fans in ihrer ganzen Heterogenität. Diese Parteien reiben sich immer wieder aneinander, brauchen sich aber gegenseitig, um das Spiel aufrechtzu-erhalten. Denn verzichtet man auf einen dieser Spieler, wird es uninteressant. Es sind doch gerade die Ambivalenzen, Dis-sonanzen, Spannungen und Konflikte, die dieses große Spiel um das engere Spiel Fußball interessant machen. Gerade dass im Fußball so viele unterschiedliche In-

teressen aufeinandertreffen, die man in diesem Spiel untereinander aushandeln muss, ist doch ein Grund, weshalb Fußball so interessant für unsere Gesellschaft ist.

Nach Ihrer Theorie bringt RB Leipzig also mehr Spannung in den Fußball, weil es das Spiel Tradition vs. Kommerz befeu-ert?Bis zu einem gewissen Punkt, ja. Gleich-zeitig muss man aufpassen, dass keiner der Akteure zu dominant wird und das Spiel an sich reißt. Denn wenn das Spiel auf Dauer Gefahr läuft, langweilig zu wer-den, geht es irgendwann kaputt. Noch aber sehe ich diese Gefahr nicht. Fuß-balltraditionalisten müssen also nicht im-mer gleich ein Schreckgespenst herbeibe-schwören und den Untergang des Fußballs befürchten, sondern können die Entwick-lungen mithilfe dieses Konstrukts etwas gelassener betrachten. Denn im Sinne die-ser Spieltheorie lassen sich viele Problem-lagen analysieren, die wir im Fußball mit

„Wichtig, dass es Gegenbewegungen gibt“: Fanforscher Harald Lange.

Kapitel IX

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KAPITEL IX

JUNGBULLEN-ZUCHT: das RB-Nachwuchsleistungszentrum

RB Leipzig hat sich binnen kurzer Zeit zu einem der Topklubs in der Nachwuchsausbildung hierzulande entwickelt. Mit Konzept und Konsequenz, sagt Nachwuchschef Frieder Schrof. Mit zweifelhaften Mitteln, sagen Konkurrenten. Ein Besuch im RBL-Trainingszentrum, der neuen Heimat der „Jungbullen“.

Das Ergebnis passt. Beim Duell zwischen RB Leipzig und dem SC Freiburg steht es gerade 3:0 — natürlich für RB. Als ein Grüppchen Journalisten bei einer Führung den Aufenthaltsraum der neuen Akademie von RB Leipzig betritt, schauen zwei Nachwuchs-spieler erstaunt von der Fußballsimulation am Flachbildschirm auf. Die beiden Zocker sind zwei von 48 Internatsschülern, die im Herbst 2015 als erste Generation das neue Trainingszentrum direkt auf dem Übungsgelände bezogen haben. An der Spielekon-sole lassen sie an einem der seltenen freien Nachmittage ihren Traum vom Profifußball schon einmal wahr werden — nicht etwa in der Champions League mit Bayern München, Real Madrid oder dem FC Barcelona, sondern in der zweiten Liga, mit Rasenballsport Leipzig und Aufstiegsmitfavorit SC Freiburg.

Wenige Meter weiter sind an den Wänden im Treppenhaus, das zu den Internats-räumen führt, Schlagzeilen aus der noch kurzen RB-Historie zu lesen. „2. Liga — Leipzig ist dabei“ und „16:59 Uhr gibt die DFL grünes Licht“ steht da ebenso schwarz auf weißem Grund wie „Mittenzwei erster Torschütze von RB Leipzig“, „Coltoooorti“ oder „Frahns großer Abgang“. Auf den Fluren sind die aktuellen und bereits abgewanderten Helden von RB Leipzig auf Fotografien zu sehen. Vor den verhältnismäßig einfach und funktional gestalteten Internatszimmern hängen Glaskästen, in denen für nachfolgende Spielergenerationen per QR-Code hinterlegt werden soll, wer in den einzelnen Zimmern bereits gewohnt hat. Auch mit solchen Details wollen die Verantwortlichen Identifika-tion mit dem Klub herstellen, die Talente anspornen, selbst einmal mit Namen oder Konterfei auf den Wänden der Akademie verewigt zu sein.

Frieder Schrof, Leiter des RB-Nachwuchses, hat die neue Heimat für die „Roten Bullen“ mitgeplant und den Bau begleitet. Bis Herbst 2015 hatte er sein Büro in einem der Container nebenan; nun hat auch er seinen Arbeitsplatz in dem 13.500 Quadrat-meter großen Gebäude mit dem überdimensionalen roten Stier an der silbernen Fassade bezogen. Der Schwabe, geboren im WM-Jahr 1954, bezeichnet das Trainingszentrum als „das modernste und eines der schönsten, das es in ganz Deutschland gibt und auch

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in Europa Maßstäbe setzt“. Er sagt: „Wir haben jetzt alles unter einem Dach, die Spieler trainieren und wohnen hier, werden hier betreut und gehen in unmittelbarer Nähe zur Schule.“ Durch die neue Nachwuchsschmiede ist RB Leipzig noch wesentlich moderner aufgestellt als zuvor. Nur ein Beispiel: Statt wie bisher ein Kraftzelt neben den Umklei-de-Containern steht dem RB-Nachwuchs in der Akademie nun ein riesiger Kraftraum mit den modernsten Geräten zur Verfügung, die auf dem Markt zu bekommen sind. Von diversen Pools und drei verschiedenen Saunen über eine eigene Halle und eine 60-Meter-Bahn mit drei Belägen zur Leistungsdiagnostik fehlt es an nichts. 33 bis 35 Millionen Euro hat der Bau gekostet; Profis und Nachwuchsspieler sind hier gleicher-maßen untergebracht.

Schrof war zu Beginn des Jahres 2013 gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Albeck vom VfB Stuttgart zu RB Leipzig gewechselt. 30 Jahre lang hatte der bedächtige Ausbilder zuvor die Nachwuchsarbeit bei den Schwaben geleitet — einer der Pioniere der Szene. Beide setzen die Vorstellungen von Supervisor Ralf Rangnick und Helmut Groß, Rangnicks sportlichem Berater und Taktik-Vordenker, nun eben bei RB Leipzig in allen Bereichen so konsequent um wie nur möglich. Schrof — weißes Haar, freund-liche Augen, verbindliches Auftreten — strukturierte die Nachwuchsabteilung komplett neu; mittlerweile sind 90 Mitarbeiter für die Kinder und Jugendlichen zuständig, davon knapp 40 hauptamtlich. In Andy Borchert gibt es beispielsweise einen hauptamtlichen Psychologen nur für die Nachwuchsabteilung. „Wir haben uns viel spezieller, weitrei-chender und großzügiger aufgestellt, haben neue Spezialbereiche geschaffen und mit hauptamtlichen Experten besetzt“, sagt Schrof. „Durch zahlreiche Weiterbildungen und Neueinstellungen ist unser Personal nun deutlich qualifizierter als zuvor.“

Mit beeindruckendem Ergebnis. Mittlerweile spielen mit Ausnahme der U23 alle 17 Nachwuchsteams in der höchstmöglichen Spielklasse. Die Zahl der Jugendnationalspieler schoss in Schrofs Amtszeit von 0 auf 25; U17 und U19 standen in den vergangenen zwei Spielzeiten insgesamt gleich dreimal im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft; das

Straßenschuhe sind im RBL-Trainingszentrum verboten; das hat sich Ralf Rangnick bei Arsène Wenger und der Academy des FC Arsenal abgeschaut.

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Nachwuchsleistungszentrum wurde 2015 von DFB und DFL auf Anhieb mit drei Sternen lizenziert. „Die Entwicklung des RB-Nachwuchses insgesamt ist phänomenal und über-trifft das, was wir uns selbst zu Amtsantritt vorstellen konnten“, sagt Schrof. „Normaler-weise dauert es mindestens fünf Jahre, bis man ein ordentliches Niveau erreicht hat. Das haben wir in zweieinhalb Jahren geschafft.“

E INHE ITL ICHES SP IELSYSTEM VON DEN K INDERN B IS ZU DEN PROF ISMarkenzeichen der Red-Bull-Fußballschule ist das einheitliche Spielsystem. „Grundlage für ein erfolgreiches Spiel ist immer das Spiel gegen den Ball“, sagt Schrof. „Dadurch ver-hindern wir Tore und erkämpfen Bälle — je mehr Bälle wir erobern, desto mehr Chancen haben wir, zu Torabschlüssen zu kommen.“ Der Pressing-Gegenpressing-Fußball soll bei allen Altersklassen gleichermaßen umgesetzt werden — in dieser Form ein Novum hier-zulande. „Unsere Spielphilosophie ist durchgängig. Die beginnt bei der ersten Mann-schaft und zieht sich bis in den Kinderfußball hinunter“, bestätigt Schrof. So einheitlich und stringent wie bei RB wurde Fußball hierzulande noch nie gelehrt. „In dieser Kon-sequenz und Intensität ist das schon auch ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Unsere Trainer tauschen sich ständig auf der Basis der vergangenen Spiele und Trai-ningseinheiten aus, hinterfragen sich und entwickeln das Spielsystem so immer weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in vielen anderen deutschen Vereinen in dieser Form bearbeitet wird“, bestätigt Schrof. Einmal pro Woche, immer mittwochs, sitzen

13.500 Quadratmeter bebaute Fläche: Das etwa 33 Millionen Euro teure Trainingszentrum bietet Platz für 50 Internatsschüler und lässt keine Wünsche offen.

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alle RB-Nachwuchstrainer wie in einer Schulklasse zusammen und erstatten Schrof und ihren Kollegen Bericht über den Entwicklungsstand ihrer Teams.

Das Gehirn hinter dem RB-Fußball ist Helmut Groß. Der baden-württembergische Taktikguru implementierte die einheitliche Spielphilosophie, analysiert Trainingsein-heiten und -spiele und schult die RB-Trainer regelmäßig. Groß selbst will im Hintergrund wirken, lässt lieber sein Spielsystem für sich sprechen — und Frieder Schrof. „Helmut Groß ist ein absoluter Fußballfachmann, der immer auf der Höhe der Zeit ist, sich mit allen Entwicklungen des Weltfußballs beschäftigt und mit Universitäten zusammen-arbeitet“, sagt er. Schrof und Rangnick arbeiteten bereits beim VfB Stuttgart mit Groß zusammen, später folgte der Taktikvordenker Groß dem Fußballentwickler Rangnick nach Hoffenheim und Leipzig. Im Vergleich zum Spielstil in Stuttgart und Hoffenheim habe sich der Fußball bei RB weiterentwickelt. „Wir achten noch stärker auf Tempofuß-ball, wollen stets fairen, aber doch aggressiveren Fußball spielen“, sagt Schrof. Und: „Die Spieler müssen noch mehr vorausdenken.“

Um optimal auf diese Herausforderungen eingestellt zu sein, bekommen die Talente neben der sportlichen Infrastruktur von der Rundumverpflegung bis zur schulischen Betreuung perfekte Bedingungen geboten. Die frühere Schulleiterin Sabine Schiefer und ihr Mann wohnen als Betreuerehepaar mit im Trainingszentrum, organisieren den Internatsbetrieb und die schulische Betreuung gemeinsam mit eigens engagierten Leh-rern für Nachhilfe und Hausaufgaben.

Die jungen Kicker bekommen einiges geboten, müssen allerdings auch viel inves-tieren und strenge Vorgaben erfüllen. Ein sogenanntes Verhaltens-ABC regelt die Erwar-tungen von RB auf dem Platz und im Internat. Diesen Fußballknigge hat Schrof bereits 1985 in Stuttgart eingeführt; inzwischen wurde das Regelwerk etwa durch Social-Media-Richtlinien oder ein Tattooverbot für die Spieler ergänzt. Alkohol steht natürlich ebenso auf dem Index wie ungesunde Ernährung; ab 22 Uhr ist für die Spieler im Internat Bettruhe. „Wir möchten die Spieler zu leistungsorientiertem und wertebezogenem Ver-halten erziehen. Wir möchten von ihnen sehen, dass sie sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, um im Leistungssport Ziele zu erreichen“, erklärt Schrof. „Fußball und Schule sollen im Vordergrund stehen und nicht extravagante Frisuren, die möglicher-weise auch noch hinderlich beim Fußball sind. Und wir wollen auch nicht, dass sich die Spieler in einem Alter Tattoos stechen lassen, in dem sie die Folgen ihres Handelns noch nicht voll absehen können.“ Für die Spieler im Internat zwischen 15 und 19 Jahren keine einfache Situation zwischen Pubertät, schulischer Entwicklung und sportlicher Heraus-forderung. Talent Gino Fechner sagte in einer Dokumentation von Sportkanal Sky: „Es ist schon eine Belastung, alles richtig zu steuern. Man muss sehr diszipliniert damit umgehen. Man gewöhnt sich daran, aber es ist wirklich nicht einfach.“

In einem Text der Zeit monierte ein früherer Jugendkicker von RB, dass bereits 100 Gramm Gewichtszunahme fünf Euro Strafe gekostet hätten. Ein Kilo Übergewicht wäre demnach 50 Euro teuer. Frieder Schrof dementiert, dass es Geldstrafen in dieser Höhe gebe. Zwar schließt er nicht aus, dass ein Trainer mal fünf Euro Strafgeld in die Mann-

KAPITEL IX

schaftskasse angedroht habe. Doch in der Regel, sagt Schrof, seien die Strafen bei RB so gestaltet, dass die Spieler sogar noch von dem Denkzettel profitieren — zum Beispiel durch eine zusätzliche Einheit im Fitnesstrakt.

Schrof weiß, dass es auf dem Platz nicht nur stromlinienförmige Ja-Sager braucht, sondern bisweilen auch dominante und rebellische Typen: „Es gibt auch immer wieder Vorkommnisse, die nicht mit dem übereinstimmen, was wir wollen. Wir reagieren, indem wir die Spieler zum Gespräch bitten und gemeinsam aufarbeiten, welche Konsequenzen ihr Verhalten hat.“ Die Aufregung um den Erziehungskodex und die Reglementierungen kann er nicht nachvollziehen. „Wenn man Leistungssport betreibt und 50 junge Leute unter einem Dach wohnen, sind Regeln unabdingbar“, sagt Schrof. „Wir wollen damit niemanden ärgern und keinem schaden, sondern nur für einen funktionierenden Sport- und Internatsbetrieb sorgen.“ Schrof betont, dass jene Ordnung, die RB auf dem Platz sehen wolle, auch im Umfeld der Spieler herrschen müsse: „Spaß und Freude haben bei uns einen hohen Stellenwert, aber dazu gehören Ordnung und Disziplin ebenso wie das Gewähren von Freiräumen. Ich glaube nicht, dass sich leistungsorientierte Spieler hier wohlfühlen würden, wenn jeder tun und lassen könnte, was er will. Dann hätten wir nicht nur im Internat Unordnung, sondern auch in den Mannschaften. Und Sie werden keine Mannschaft mit Unordnung finden, die erfolgreich ist.“

In der Öffentlichkeit kommen die scheinbar übertriebene Fürsorge und Kontrolle der RBL-Verantwortlichen für die Schützlinge bisweilen als Überwachung und Drill rüber. Die Eltern, so Schrof, schätzen die Regeln im RB-Internat jedoch. Sie bräuchten das Gefühl, dass ihr Sohn in Sicherheit sei und bestens betreut werde, wenn sie in Hamburg

Kurze Wege: Direkt neben der Akademie am Cottaweg befinden sich die Trainingsplätze.

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oder Frankfurt ins Bett gingen, sagt er. Sich und seine Mitarbeiter versteht er als Ersatz-eltern für die Spieler. „Da haben wir auch Verantwortung gegenüber den Eltern“, sagt Schrof. Zudem gebe es für den Internatsbetrieb strenge Vorschriften des Jugendamts.

WILDERE I AUF FREMDEM TERR ITORIUM?Gemeinsam mit anderen Nachwuchsvorreitern wie dem VfL Wolfsburg oder Borussia Dortmund scoutet RB Leipzig nicht nur regional, sondern deutschlandweit nach den besten Talenten. Die Topspieler der jeweiligen Jahrgänge kommen etwa wie die U19-Spieler Vitaly Janelt und Ermedin Demirovic vom Hamburger SV oder wie Idrissa Touré von TeBe Berlin; Renat Dadashov stammt aus Rüdesheim und lernte das Fußball-ABC bei Eintracht Frankfurt. Mit den Verpflichtungen von Przemyslav Placheta (Polonia War-schau) und Kamil Wojtkowski (Pogon Stettin) dehnte RB seine Scoutingaktivitäten auch in das Nachbarland Polen aus. Es gibt aber auch Leistungsträger, U-Nationalspieler und potenzielle Identifikationsfiguren, die wie die Leipziger Felix Beiersdorf und Fridolin Wagner, der Riesaer Dominik Franke oder Erik Majetschak aus Bad Lausick aus der Region stammen. „Von den besten Talenten aus der Region sollte uns tunlichst keiner durch die Lappen gehen“, fordert Ralf Rangnick. Spieler aus anderen Teilen des Landes verpflichte der Klub nur dann, „wenn sie Profiperspektive haben“.

Mit vielen Verantwortlichen der Vereine in Ost- und Mitteldeutschland hat RB ein Miteinander gefunden. „Was glauben Sie“, fragt Schrof, „wie froh die Verantwortlichen der Vereine in der Region sind, wenn sie Spieler von RB bekommen können? Die wissen genau, diese Spieler sind gut ausgebildet, die helfen uns weiter.“ Und: „Die Klubs, die

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AusblickNur siebeneinhalb Jahre nach Gründung des Vereins bestreitet RB Leipzig in der Saison 2016/17 seine erste Spielzeit als Erstligist – als 55. Mitglied seit Gründung der Bundes-liga. Der Auftritt bei der TSG Hoffenheim am letzten Augustwochenende 2016 wird als Erstliga-Premiere ebenso in die Klubgeschichte eingehen wie das spektakuläre Heim-debüt gegen Borussia Dortmund 14 Tage darauf. Der Aufstieg ins Oberhaus war in den vergangenen Jahren stets zentrales Ziel und Motivation aller Protagonisten des Klubs. Bei seinem Amtsantritt als Trainer im Sommer 2015 etwa hatte Rangnick gesagt: „Was an dem Tag hier in Leipzig los sein wird, dieses Bild habe ich schon im Kopf.“

Doch hinter den Kulissen plant RB Leipzig längst weiter. Der „Aufstieg ohne Grenzen“ endet schließlich nicht mit der Zugehöhrigkeit zu den besten 18 Mannschaften Deutsch-lands. Rangnick äußerte bereits mehrfach, dass sein Team in der ersten Liga nicht nur mitspielen, sondern auch für Aufsehen sorgen wolle — genau wie einst die TSG Hoffen-heim im Aufstiegsjahr. Übersteigerte Erwartungen, dass RBL bereits als Aufsteiger dem FC Bayern München Paroli bieten könne, wies Rangnick schon am Tag nach dem Auf-stieg zurück. „Wir sind absoluter Neuling in der Bundesliga und wollen uns mit unserem Fußball dort zunächst so schnell wie möglich zurechtfinden“, sagte er. Mit einer Platzie-

Transferaktivitäten zwischen Red Bull Salzburg bzw. „Farmteam“ FC Liefering und RB Leipzig

Saison Transfers Red Bull Salzburg / FC Liefering N RB Leipzig

Transfers RB Leipzig N Red Bull Salzburg / FC Liefering

2016/17 Naby Keita, Benno Schmitz, Omer Damari (Leih-Ende)

2015/16 Péter Gulácsi, Stefan Ilsanker, Nils Quaschner (alle ablösefrei), Fabian Bredlow, Massimo Bruno, Marcel Sabitzer (alle Leih-Ende), Smail Prevljak (Leih-Ende FC Liefering)

Omer Damari (Leihe), Smail Prevljak (ablösefrei), Yordy Reyna (Leih-Ende), Dmitri Skopintsev (ablösefrei FC Liefering),

2014/15 Thomas Dähne, Stefan Hierländer, Rodnei (alle ablösefrei), Yordy Reyna (Leihe), Christos Papadimitriou (Leih-Ende)

Fabian Bredlow, Massimo Bruno, Marcel Sabitzer (alle Leihe), Smail Prevljak (Leihe FC Liefering),

2013/14 Georg Teigl (ablösefrei) Christos Papadimitriou (Leihe)

2012/13 — —

2011/12 Roman Wallner (ablösefrei) —

2010/11 — —

2009/10 — —

(Stand: Mitte Juli 2016)

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rung im Mittelfeld wäre Rangnick absolut zufrieden. „Wenn wir am Saisonende sagen könnten, dass wir nie mit dem Abstieg in direkte Berührung gekommen sind, würde ich das jetzt sofort unterschreiben.“ Weil es dafür eine möglichst eingespielte Mannschaft braucht, soll das Gerüst des Zweitligateams auch in der Bundesliga tragen; ergänzt nur durch hochveranlagte, aber noch junge Talente wie Timo Werner oder Naby Keita, die für insgesamt etwa 25 Millionen Euro eingekauft wurden.

Dass Rasenballsport für die Premierensaison in der Eliteliga auf viele bewährte Kräfte setzen wird, hat jedoch auch mit dem Financial-Fairplay-Prinzip der UEFA zu tun. Demnach müssen bei Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb die Einnahmen der vergangenen drei Jahre die Ausgaben mindestens ausgleichen. Das ist auch der Grund, weshalb RB bereits zu Beginn der Spielzeit 2015/16 die Mannschaft mit jungen und per-spektivisch bundesligatauglichen Spielern aufgerüstet hat, um später weniger ausgeben zu müssen. Zum einen entspricht das der schwäbisch-sparsamen Mentalität von Ralf Rangnick, zum anderen läuft der Klub so weniger Gefahr, gegen das Financial Fairplay zu verstoßen. Die Klub-Statuten der UEFA sind auch der Grund, weshalb RBL seinen Fokus gegenwärtig darauf richtet, neben Investor und Sponsor Red Bull sowie den der-zeitigen Sponsoren VW, Porsche, tipico und Ur-Krostitzer weitere Geldgeber zu finden, um das finanzielle Fundament auf breitere Füße zu stellen. Das Sponsoring von Red Bull soll dann nur noch etwa ein Drittel des jährlichen Etats ausmachen. „Wir müssen deutlich aktiver werden“, sagte Klubchef Oliver Mintzlaff bei einem Mediengespräch im Januar 2016 im Trainingslager in Belek. „RB Leipzig ist so attraktiv und in der Stadt und der gesamten Region so sehr angekommen, dass wir unseren Verein als mittelständi-sches Wirtschaftsunternehmen auch kapitalisieren müssen. Diesen Prozess müssen wir jetzt umsetzen.“ Bisher, so Mintzlaff, werfe nur der Hospitality-Bereich „Cash ab“; den Rest habe RB bisher vernachlässigt. „Wir haben ganz viele potenzielle Einnahmequellen, die wir noch gar nicht aktiviert haben. Das werden wir jetzt angehen“, erklärte Mintz-laff. „Wir werden sicherlich nicht die Aggressivsten in der Vermarktung sein, aber auch nicht so konservativ bleiben, wie wir sind“, so der RBL-Manager im Sponsors-Gespräch im Sommer 2016. Bereits zum Saisonstart 2016/17 will RB neue Geldgeber präsentieren. „Uns geht es nicht nur darum, viele Sponsoren zu haben, sondern strategische Partner-schaften zu schließen“, so der Chefmanager. „Entscheidend ist: Wie kann man gemein-same Synergien umsetzen? Diese Art des Sponsorings ist für mich viel wertvoller, als wenn ein Unternehmen nur die Werbebanden kauft.“

Zur neuen Strategie gehören auch Einsparungen bei den bisherigen Ausgaben. „Siebenstellige Summen“ will Mintzlaff durch den „Effizienzprozess“ generieren. „Wir möchten jeden Euro so sinnvoll wie möglich ausgeben“, sagte er. „In der Vergangenheit haben wir einen gewissen Anschub genossen, um Prozesse ins Laufen zu bringen. Jetzt erwarte ich von jedem Einzelnen noch viel mehr unternehmerisches Handeln – von der Servicekraft bis zum Abteilungsleiter. Das ist notwendig, um effizientere Strukturen zu haben, auch in der Geschäftsstelle. Da haben wir noch Nachholbedarf.“ Die Botschaft, die hinter all diesen Aktivitäten steht, lautet: Nach dem Aufstieg in die 1. Bundesliga soll

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auch die Qualifikation für Europa und Champions League so rasch wie möglich umge-setzt werden. Dafür will RB bereits gerüstet sein.

Das betrifft auch die Verbindung zu Schwesterklub Red Bull Salzburg. Natürlich sind die Kontakte zwischen Sachsen und Österreichern noch immer gut. Doch nachdem Ralf Rangnick den Sportdirektorenposten in der Mozartstadt zum Saisonende 2014/15 abgegeben hatte, wurden auch die Strukturen im Global-Soccer-Team bei Red Bull so angepasst, dass Salzburg zumindest auf dem Papier unabhängig agiert. Auch wenn Oliver Mintzlaff als Fußballchef des Sponsors natürlich weiterhin Einfluss darauf hat, was in Salzburg und Liefering geschieht. „Wir stehen immer mal wieder im Austausch und verfolgen mit Interesse, was in Salzburg passiert“, sagt Ralf Rangnick. „Aber Ent-scheidungen wie beispielsweise die Besetzung des Trainerpostens werden in Salzburg gefällt. Daran bin ich nicht mehr beteiligt.“ Im Hinblick auf eine mögliche gleichzeitige Teilnahme an europäischen Wettbewerben ist das von entscheidender Bedeutung. Zwar wird es solche massiven Spielerverschiebungen wie in der Saison 2015/16 (siehe Tabelle) zwischen beiden Klubs künftig wohl nicht mehr geben. Auch weil die Salzburger Fans sich übergangen fühlten, als Stars und Lieblinge wie Stefan Ilsanker, Marcel Sabitzer und Massimo Bruno die Österreicher gen Ostdeutschland verließen. Doch Wechsel wie der des umworbenen Keita zeigen, dass die Filialstruktur zwischen Österreichern und Sachsen nicht in allen, aber doch in vielen Fällen weiter gut funktioniert. Koopera-tionsvereinbarungen oder gar ein Vorkaufsrecht für RB Leipzig existiert laut Salzburgs Manager Jochen Sauer jedoch nicht.

Was die Klubstrukturen angeht, ist RBL zunächst bestens aufgestellt. Das Leistungs-zentrum sucht hierzulande seinesgleichen. Dennoch betonte Ralf Rangnick: „Es geht um Evolution in allen Bereichen. Der Verein ist in so einem rasanten Tempo gewachsen — allein, wenn man den Nachwuchsbereich betrachtet. Das habe ich in dieser Rasanz selbst in Hoffenheim nicht erlebt. Da gilt es zu schauen, dass wir alles weiterhin mit Augenmaß vorantreiben. Ich sehe uns da in vielen Bereichen noch lange nicht am Limit.“ So werden derzeit unter anderem die Verantwortlichkeiten in der Geschäftsstelle neu verteilt. „Wir sind so rasant gewachsen. Da verschieben sich natürlich auch Strukturen: Mitarbeiter müssen mehr Verantwortung übernehmen und gegebenenfalls andere Posi-tionen ausfüllen“, sagt Mintzlaff. „Wir spielen sicher nicht die Reise nach Jerusalem, und jeder Mitarbeiter nimmt einen neuen Posten ein. Aber aus der Erfahrung heraus, die wir als Führungsteam haben, werden sich im Verein sicher Verschiebungen der Auf-gaben und Kompetenzen ergeben.“

Auch rein sportliche Bereiche wie etwa das Scouting unter dem neuen Verantwort-lichen Johannes Spors, der aus Hoffenheim kam, sollen weiter professionalisiert werden. Ein anderes Beispiel für die stetige Entwicklung ist das Klub-TV, das im Sommer 2016 gestartet wurde. Die perspektivisch größte Baustelle wird im wahrsten Sinne des Wortes das Stadion (siehe vorheriges Kapitel in diesem Buch).

Noch aber ist in der Frage, ob umgebaut und erweitert oder komplett neu gebaut wird, keine Entscheidung gefallen. Doch wegen des 2020 auslaufenden Mietvertrags

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drängt die Zeit bis zur Entscheidung. Zunächst hieß es aus dem Klub, die Red-Bull-Arena müsse über eine Saison hinweg regelmäßig ausverkauft sein, damit eine Erweite-rung auch Sinn mache. Nun kündigte Oliver Mintzlaff an, sich bereits zu Jahresbeginn 2017 entscheiden zu wollen. Doch dass das derzeit 43.000 Zuschauer fassende Stadion in der Premierensaison aus allen Nähten platzen wird, ist für Ralf Rangnick ohnehin keine Frage. „Sollten wir mal in der Bundesliga spielen“, sagte der Sportchef bereits im Frühjahr 2015, „wird das Stadion wohl 17-mal pro Saison ausverkauft sein.“ Schon bei seinem Amtsantritt hatte er prophezeit, dass die Arena zwar schön sei, aber irgendwann zu klein werde. So taugt das Bild, das Rangnick im Gespräch für dieses Buch verwen-dete, ganz gut, um die Denkweise von RB Leipzig zu veranschaulichen. „Das ist ja das Besondere im Leistungssport“, sagte Rangnick. „Wie weit ist es noch bis zur Decke, und können wir die Decke bei Bedarf nicht noch ein bisschen anheben? Nicht nur metapho-risch, sondern vielleicht auch ganz real in unserem Stadion, wo wir möglicherweise irgendwann noch einen Rang mehr brauchen werden.“

Beim Wachstum von RB Leipzig gibt es also so gut wie keine Hindernisse, die der Klub nicht überwinden könnte. Das Einzige, das Leipzigs Aufschwung unterbrechen könnte, wäre ein ungeplanter Abgang Rangnicks. Der Chefdesigner hat alle Strukturen und Personalien auf seine Arbeit abgestimmt. Der Umbruch wäre gewaltig, sollte Rang-nick eines Tages unerwartet gehen. Aktuell jedenfalls ist RB Leipzig ohne Rangnick nicht vorstellbar. So muss es für RB und Rangnick auch perspektivisch darauf ankommen, einen Nachfolger für den Klub-Fixpunkt aufzubauen, um dessen Arbeit eines Tages wei-terzuführen. Rangnicks Vertrag läuft noch bis 2019. Dann wäre er bereits seit sieben Jahren bei RB. Für Fußball-Verhältnisse — erst recht die schnelllebige Leistungsgesell-schaft beim Red-Bull-Klub — eine kleine Ewigkeit. Doch aktuell ist kein Grund vorauszu-sehen, der das Bündnis zwischen Rangnick und Red Bull bedrohen könnte. So wird der wichtigste Angestellte aller Voraussicht nach auch in den kommenden Jahren Gehirn und Antriebsmotor bei RB Leipzig sein — für den „Aufstieg ohne Grenzen“.

Erfolgreicher Jahres-abschluss 2015: Dank teils spekta-kulärer Partien, in denen RB binnen weniger Minuten Rückstände in Siege verwandelte, hatte der Klub zur Winterpause acht Punkte Vorsprung auf Rang drei.

AnhangNAMEN UND ZAHLEN

SAISON 2009/10

NOFV-Oberliga SüdPl. Verein Sp. g. u. v. Tore Diff. Pkte.1 RB Leipzig 30 26 2 2 74:17 57 802 Budissa Bautzen 30 17 7 6 43:22 21 583 Carl Zeiss Jena II 30 15 8 7 56:37 19 534 VfB Auerbach 30 16 5 9 54:35 19 535 Dynamo Dresden II (N) 30 14 8 8 52:36 16 506 Sachsen Leipzig (A) 30 12 12 6 40:27 13 487 Rot-Weiß Erfurt II 30 11 10 9 40:41 –1 438 Erzgebirge Aue II 30 9 13 8 41:32 9 409 FSV Zwickau 30 10 9 11 42:37 5 3910 Germania Halberstadt 30 11 6 13 47:46 1 3911 VfL Halle 96 (N) 30 9 9 12 40:38 2 3612 1. FC Lok Leipzig 30 8 9 13 30:42 –12 3313 SC Borea Dresden 30 7 7 16 37:58 –21 2814 1. FC Gera 03 30 7 4 19 31:60 –29 2515 VfB Pößneck 30 4 6 20 17:63 –46 1816 SV Schott Jena (N) 30 2 9 19 15:68 –53 15

� Höchster Sieg und torreichstes Spiel: 08.05.2010 7:1 gegen VfB Pößneck (H)� Höchste Niederlage: 29.05.2010 1:2 gegen FC Sachsen Leipzig (A)� Bester Torschütze: Jochen Höfler (14)� Meiste Einsätze: Ingo Hertzsch, Lars Müller, Jochen Höfler, Christian

Reimann (alle 30)� Zuschauerschnitt (Stadion am Bad/Zentralstadion/Gontardweg): 2150

SFV-Landespokal

Runde Datum Ansetzung Erg. Aussch.-Rd. 31.07.09 VfK Blau-Weiß 1892 – RB Leipzig 0:5 Achtelfinale 06.09.09 FC Sachsen Leipzig – RB Leipzig 1:3 Viertelfinale 13.11.09 FSV Zwickau – RB Leipzig 3:2

Kader: Sven Neuhaus, Alexander Moritz, Benjamin Bellot, Thomas Kläsener, Ingo Hertzsch, Lars Müller, Stefan Schumann, Nicolas Warz, Patrick Kunig, Frank Räbsch, Timo Rost, Daniel Rosin, Patrick Bick, Toni Jurascheck, Sebastian Albert, Michael Lerchl, Mario Schaaf, Christian Streit, Sebastian Wille, Ronny Kujat, Christian Mittenzwei, Robert Scannewin, Marcel Nüchtern, Nico Frommer, Jochen Höfler, Christian Reimann, Robert Klauß, Sebastian Hauck. Trainer: Tino Vogel.

SAISON 2009/10 Hinten v.l.n.r.: Hans-Jürgen Bernstein (Mannschaftsbetreuer), Lars Müller, Sebastian Hauck, Ronny Kujat, Daniel Rosin, Thomas Kläsener, Christian Mittenzwei, Stefan Schumann, Frank Räbsch, Ingo Hertzsch, Zeugwart Siegfried Schaal. Mitte: Tino Vogel (Trainer), Joachim Krug (Sportdirektor), Perry Bräutigam (Torwarttrainer), Lars Weißenberger (Co-Trainer), Robert Klauß, Nicolas Warz, Christian Streit, Jochen Höfler, Christian Reimann, Werner Kranz (Masseur), Anja Strobel (Physiotherapeutin), Nils Haacke (Chef-Physiotherapeut). Vorne: Michael Lerchl, Patrick Bick, Robert Scannewin, Alexander Moritz, Sven Neuhaus, Benjamin Bellot, Mario Schaaf, Sebastian Wille, Toni Jurascheck.

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Der Leipziger Sportjournalist Ullrich Kroemer präsentiert mit diesem Buch die erste Vereinsgeschichte: von der Gründungsphase über die sportlich wechselhaften Jahre in der Regionalliga bis zum „Aufstieg ohne Grenzen“. Interviews u.a. mit Ralf Rangnick, Daniel Frahn, Fanvertretern und RB-Kritikern runden das Buch ab. So entsteht ein facettenreiches Vereins porträt mit allen spannenden Themen rund um den Klub.

„Ein angenehm sachliches Buch über RB Leipzig – für Fans und für Kritiker.“(MDR Info)

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