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Bauwelt 43 2004 | 33 Die raumhohen Fenster haben dem Eckklassenzimmer im Erdgeschoss den Rufnamen „Aquarium“ eingebrockt. Das Foto links zeigt den Blick aus dem Obergeschoss in die Dr.-Klausener- Straße. Der südliche Schulhofbereich vor dem bisherigen Küchentrakt soll im zweiten Bauabschnitt neu gestal- tet werden. 32 | Bauwelt 43 2004 Architekt: Rainer Maria Kresing, Münster Projektleiter: Stefan Fuchs Mitarbeiter: Guido Becker, Jens Duwe, Ernst Schuppe Tragwerksplanung: Gantert + Wiemeler, Münster Bauherr: Stadt Marl, Stadtbetrieb Immo- bilienwirtschaft Ulrich Brinkmann Die Schule in der Siedlung Gesamtschule in Marl-Hüls Wie für die Städte im Ruhrgebiet charakteris- tisch, setzt sich auch Marl aus einer Reihe ehe- maliger Dörfer zusammen, die in diesem Fall erst relativ spät – Marl erhielt sein Stadtrecht 1936 – industrialisiert und urbanisiert wurden. Navigiert man gedanklich durch das Baum- diagramm dieses 90.000-Einwohner-Gefüges, um zur Gesamtschule „Martin-Luther-King“ zu gelangen, landet man im Ortsteil Hüls und sodann im Unterortsteil Lenkerbeck. Lenker- beck präsentiert sich dem Besucher zunächst mit den backsteinernen Bauten der Schachtan- lage Auguste Viktoria 1/2 und, auf der ande- ren Straßenseite, mit dem im Ruhrgebiet übli- chen Wohn- und Geschäftshauskurmel. Gleich dahinter versteckt sich eine ganz aufgeräumte, gartenstadtähnliche Wohnbebauung. In deren Mitte formt die Dr.-Klausener-Straße einen her- ausgehobenen Stadtraum, sanft geschwungen und mit grüner Mittelpromenade. An ihrem westlichen Ende liegt malerisch im Wald das Jahn-Stadion, an ihrem östlichen die gesuchte Schule. Den Auftritt als öffentliches Gebäude verdankt der in den fünfziger Jahren errichtete Kom- plex vor allem seinem Erweiterungsbau und mehr noch dessen Architekten. Anders als von den Teilnehmern des Verhandlungsverfahrens verlangt, wollte Rainer Maria Kresing den ers- ten Bauabschnitt der mit insgesamt drei Schrit- ten projektierten Aufstockung der Schule von vier auf sechs Züge nicht auf der Ostseite des bestehenden Schulhauses im alten Baumbe- stand verstecken, sondern selbstbewusst und mit der größtmöglichen Präsenz an die Georg- Herwegh-Straße rücken. Ob dies zu deuten ist als Zeichen für eine sich wandelnde Ein- stellung zum Verhältnis von Stadt und Schule, von Alltag und Unterricht, sei dahingestellt, doch setzt sich diese Haltung fort bis ins ge- stalterische Detail. Von der Übernahme der nachbarlichen Traufhöhe abgesehen (das ins- gesamt dreigeschossige Volumen wurde in das zur Straße ansteigende Gelände quasi ein- gelassen), wird erst gar nicht versucht, die Bedeutung des zum Schuljahr 2003/04 einge- weihten Gebäudes für die städtische Gesell- schaft zu verschleiern, Maßstab und Habitus herunterzubrechen auf die Kleinteiligkeit der Satteldachhäuschen ringsum oder auf einen unterstellten Kinderblick. Ein solches Bewusst- sein für die integrative Kraft einer öffentlichen Architektur ist weit mehr als bloße Rhetorik im Falle einer Institution wie dieser, in deren Klassen Kinder aus mitunter vierzehn Natio- nen unterrichtet werden und deren Umgebung der Architekt vielsagend als „Brennpunkt“ be- zeichnet. Eine Art zweigeschossige Stadtloggia zieht ins Gebäude, das acht Unterrichtsräume, drei- zehn Fachklassen sowie Räume für das Leh- rerkollegium bietet. Raumhohe, von keiner Sprosse gegliederte Glasflächen gewähren Ein- blicke in die Klassenzimmer, Deckenstreifen und Ausstellfenster wurden mit glatten Birken- holzfurniertafeln verkleidet. Der massiv wir- kende Rahmen dieses Wechselspiels – Sockel, Dachplatte, Gebäudeecke – ist zur Gänze mit einem anthrazitfarbenen Putz überzogen, der den Betrachter unweigerlich an die ähnlich Der erste Bauabschnitt der Schuler- weiterung bietet 1950 m 2 HNF bei 4415 m 2 BGF, die Gesamtkosten be- trugen 7 Millionen Euro. Nächsten Sommer soll der zweite Bauabschnitt in Angriff genommen werden. Lageplan im Maßstab 1 : 2500

Ulrich Brinkmann Die Schule in der Siedlung · 2018. 10. 18. · Mitte formt die Dr.-Klausener-Straße einen her-ausgehobenen Stadtraum, sanft geschwungen und mit grüner Mittelpromenade

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Page 1: Ulrich Brinkmann Die Schule in der Siedlung · 2018. 10. 18. · Mitte formt die Dr.-Klausener-Straße einen her-ausgehobenen Stadtraum, sanft geschwungen und mit grüner Mittelpromenade

Bauwelt 43 2004 | 33

Die raumhohen Fenster haben demEckklassenzimmer im Erdgeschoss denRufnamen „Aquarium“ eingebrockt.Das Foto links zeigt den Blick aus demObergeschoss in die Dr.-Klausener-Straße. Der südliche Schulhofbereichvor dem bisherigen Küchentrakt sollim zweiten Bauabschnitt neu gestal-tet werden.

4. Marl-imp_ok 04.11.2004 14:17 Uhr Seite 33

32 | Bauwelt 43 2004

Architekt:

Rainer Maria Kresing, Münster

Projektleiter:

Stefan Fuchs

Mitarbeiter:

Guido Becker, Jens Duwe,

Ernst Schuppe

Tragwerksplanung:

Gantert + Wiemeler, Münster

Bauherr:

Stadt Marl, Stadtbetrieb Immo-

bilienwirtschaft

Ulrich Brinkmann

Die Schule in der SiedlungGesamtschule in Marl-Hüls

Wie für die Städte im Ruhrgebiet charakteris-tisch, setzt sich auch Marl aus einer Reihe ehe-maliger Dörfer zusammen, die in diesem Fallerst relativ spät – Marl erhielt sein Stadtrecht1936 – industrialisiert und urbanisiert wurden.Navigiert man gedanklich durch das Baum-diagramm dieses 90.000-Einwohner-Gefüges,um zur Gesamtschule „Martin-Luther-King“zu gelangen, landet man im Ortsteil Hüls undsodann im Unterortsteil Lenkerbeck. Lenker-beck präsentiert sich dem Besucher zunächstmit den backsteinernen Bauten der Schachtan-lage Auguste Viktoria 1/2 und, auf der ande-ren Straßenseite, mit dem im Ruhrgebiet übli-chen Wohn- und Geschäftshauskurmel. Gleichdahinter versteckt sich eine ganz aufgeräumte,gartenstadtähnliche Wohnbebauung. In derenMitte formt die Dr.-Klausener-Straße einen her-ausgehobenen Stadtraum, sanft geschwungenund mit grüner Mittelpromenade. An ihremwestlichen Ende liegt malerisch im Wald dasJahn-Stadion, an ihrem östlichen die gesuchteSchule.Den Auftritt als öffentliches Gebäude verdanktder in den fünfziger Jahren errichtete Kom-plex vor allem seinem Erweiterungsbau undmehr noch dessen Architekten. Anders als vonden Teilnehmern des Verhandlungsverfahrensverlangt, wollte Rainer Maria Kresing den ers-ten Bauabschnitt der mit insgesamt drei Schrit-ten projektierten Aufstockung der Schule vonvier auf sechs Züge nicht auf der Ostseite desbestehenden Schulhauses im alten Baumbe-stand verstecken, sondern selbstbewusst undmit der größtmöglichen Präsenz an die Georg-

Herwegh-Straße rücken. Ob dies zu deuten ist als Zeichen für eine sich wandelnde Ein-stellung zum Verhältnis von Stadt und Schule,von Alltag und Unterricht, sei dahingestellt,doch setzt sich diese Haltung fort bis ins ge-stalterische Detail. Von der Übernahme dernachbarlichen Traufhöhe abgesehen (das ins-gesamt dreigeschossige Volumen wurde in das zur Straße ansteigende Gelände quasi ein-gelassen), wird erst gar nicht versucht, die Bedeutung des zum Schuljahr 2003/04 einge-weihten Gebäudes für die städtische Gesell-schaft zu verschleiern, Maßstab und Habitusherunterzubrechen auf die Kleinteiligkeit derSatteldachhäuschen ringsum oder auf einenunterstellten Kinderblick. Ein solches Bewusst-sein für die integrative Kraft einer öffentlichenArchitektur ist weit mehr als bloße Rhetorikim Falle einer Institution wie dieser, in derenKlassen Kinder aus mitunter vierzehn Natio-nen unterrichtet werden und deren Umgebungder Architekt vielsagend als „Brennpunkt“ be-zeichnet. Eine Art zweigeschossige Stadtloggia zieht ins Gebäude, das acht Unterrichtsräume, drei-zehn Fachklassen sowie Räume für das Leh-rerkollegium bietet. Raumhohe, von keinerSprosse gegliederte Glasflächen gewähren Ein-blicke in die Klassenzimmer, Deckenstreifenund Ausstellfenster wurden mit glatten Birken-holzfurniertafeln verkleidet. Der massiv wir-kende Rahmen dieses Wechselspiels – Sockel,Dachplatte, Gebäudeecke – ist zur Gänze miteinem anthrazitfarbenen Putz überzogen, derden Betrachter unweigerlich an die ähnlich

Der erste Bauabschnitt der Schuler-weiterung bietet 1950 m2 HNF bei4415 m2 BGF, die Gesamtkosten be-trugen 7 Millionen Euro. NächstenSommer soll der zweite Bauabschnittin Angriff genommen werden.

Lageplan im Maßstab 1 : 2500

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Page 2: Ulrich Brinkmann Die Schule in der Siedlung · 2018. 10. 18. · Mitte formt die Dr.-Klausener-Straße einen her-ausgehobenen Stadtraum, sanft geschwungen und mit grüner Mittelpromenade

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dunklen, vom Ruß der Jahrzehnte geschwärz-ten Fassaden erinnert, die für das Ruhrgebietso typisch sind. Seine Oberfläche ähnelt aller-dings eher der einer ausgewaschenen Beton-fassade. Verwendet wurde hier ein in Großbri-tannien seit längerem schon gebräuchliches,„Spar-Dash“ genanntes Wärmedämmverbund-system. Dessen Putzschicht ist dicker als dieeiner gewöhnlichen Thermohaut und kann des-halb während des Abbindens mit Kiesel- oderauch Glassplit beworfen werden. Das Ergebnisist nicht nur eine ansehnlichere Oberfläche,sondern auch eine größere Stoßfestigkeit, eineEigenschaft, die bei der Bauaufgabe „Schulge-bäude“ durchaus gefragt ist. Der Hersteller ver-spricht sogar eine im Laufe der Jahre immer

ansprechender werdende Optik, was für eineGebäudehülle dieser Art eine bislang unbe-kannte Eigenschaft darstellte.Für die Schule (und den Ortsteil Lenkerbeck)dürfte die gebäudehohe, glasüberdachte Halle,die sich gleich hinter dem Haupteingang öffnet,aber wohl noch wichtiger sein. Ausgestattetmit einer festen und mit einer flexiblen Bühne,kann dieser Raum als Aula wie als überdach-ter Pausenhof, als Konzerthalle wie für Büh-nenstücke genutzt werden, und überdies stehter nicht nur schulinternen Veranstaltungen of-fen. Der Technikraum hinter der Bühne etwadient nicht nur Schülerbands als Proberaum,hier kann auch unter Studiobedingungen foto-grafiert und entwickelt werden: Möglichkeiten,

die auch die Jugendarbeiter von der Initiative„kunterbuntes Chamäleon“ schätzen, die desNachmittags insbesondere Jugendliche einbin-den will, deren Kontakt zur Schule eher loseist. Für sie ist es überhaupt kein Nachteil, dassdieser unter dem Eingangsbereich gelegeneRaum kein Fenster hat: Die aufwendige Tech-nik sei dadurch einigermaßen einbruchsicheruntergebracht, weiß ein Lehrer frohgemut zuberichten. In der Auslobung des Verhandlungs-verfahrens gar nicht vorgesehen, ist die „Aula“inzwischen zum neuen Mittelpunkt für einenganzen Ortsteil geworde – für Mehrkosten vongerade einmal 1,2 Millionen Euro.

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1 Lehrer2 Musik3 Kunst4 Werken5 Aula6 Bühne7 Regie8 Cafeteria9 Lager

10 Technik11 Neue Medien12 Bibliothek 13 Klassenzimmer14 Naturwissenschaften

Materialität und Detaillierung sollenden Schülern „ein Gefühl für Werthal-tigkeit“ vermitteln, dies aber „ohneStrenge“, umreißt der Architekt denEhrgeiz seiner Planung. Oberes Foto:die Raumflucht der Naturwissenschaf-ten im Obergeschoss des Nordflü-gels; darunter: die von den Schülernselbst betriebene Cafeteria.

Längsschnitt und Grundrisse Sockel-,Erd- und Obergeschoss im Maßstab1 : 500Fotos: Christian Richters, Münster

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