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Inhalt Geleitwort der Bundesvorsitzenden des VCP ........................................... 7 Gebrauchsanweisung für ein dickes Buch ............................................... 9 Der Werdegang Kapitel 1: Die Anfänge: 1909–1918 ................................................. 13 Ulrich Bauer Kapitel 2: Die Christlichen Pfadfinderschaften werden ein Bund: 1919–1933 ...................................................................... 33 Hartmut Keyler Kapitel 3: In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft: Wilfried Duckstein / 1933–1945 ..................................................................... 58 Matthias Mahlke Kapitel 4: Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg: 1945–1961 ............. 85 Hartmut Schwartz Kapitel 5: Christliche Jungenschaft in Berlin nach 1945 ................. 107 Klaus Detert Kapitel 6: Konsolidierung und Umbrüche: 1961–1969 ................... 119 Albrecht Sudermann Kapitel 7: Zusammenschluss mit den evangelischen Pfadfinderinnen .............................................................. 148 Simon Musekamp Die Themen Kapitel 8: Die Pfadfinderpädagogik ................................................. 163 Bernhard Bischoff Kapitel 9: Stände, Altersstufen, Proben: Der Weg des einzelnen Pfadfinders .................................. 169 Bernhard Bischoff Anhang: Pfadfinder trotz allem (PTA) .............................. 178 Albrecht Sudermann Kapitel 10: Wölflinge ....................................................................... 180 Annemarie Peters-Studemund Kapitel 11: Unsere Zeltlager ............................................................. 185 Hermann Ortlieb Kapitel 12: „Darum wird unsere Fahrt keine Flucht bedeuten!“ – Großfahrten zwischen 1920 und 1971 ........................... 197 Peter Dehmel Kapitel 13: Einübung im Glauben und Mitleben in der Gemeinde ..... 209 Siegfried Keil Anhang: Unser Engagement bei den Kirchentagen .......... 217 Hartmut Schwartz Kapitel 14: Liedgut und musische Aktivitäten ................................... 220 Ulrich Bauer Seitenblick: Unsere Riten und Feiern .............................. 234 Wilhelm Peetz Kapitel 15: Naturverständnis und umweltbewusstes Leben ............... 237 Ulrich Bauer

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  • Inhalt

    Geleitwort der Bundesvorsitzenden des VCP ........................................... 7

    Gebrauchsanweisung für ein dickes Buch ............................................... 9

    Der Werdegang

    Kapitel 1: Die Anfänge: 1909–1918 ................................................. 13 Ulrich Bauer

    Kapitel 2: Die Christlichen Pfadfinderschaften werden ein Bund: 1919–1933 ...................................................................... 33 Hartmut Keyler

    Kapitel 3: In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft: Wilfried Duckstein /1933–1945 ..................................................................... 58 Matthias Mahlke

    Kapitel 4: Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg: 1945–1961 ............. 85 Hartmut Schwartz

    Kapitel 5: Christliche Jungenschaft in Berlin nach 1945 ................. 107 Klaus Detert

    Kapitel 6: Konsolidierung und Umbrüche: 1961–1969 ................... 119 Albrecht Sudermann

    Kapitel 7: Zusammenschluss mit den evangelischen Pfadfinderinnen .............................................................. 148 Simon Musekamp

    Die Themen

    Kapitel 8: Die Pfadfinderpädagogik ................................................. 163 Bernhard Bischoff

    Kapitel 9: Stände, Altersstufen, Proben: Der Weg des einzelnen Pfadfinders.................................. 169 Bernhard BischoffAnhang: Pfadfinder trotz allem (PTA) .............................. 178 Albrecht Sudermann

    Kapitel 10: Wölflinge ....................................................................... 180 Annemarie Peters-Studemund

    Kapitel 11: Unsere Zeltlager ............................................................. 185 Hermann Ortlieb

    Kapitel 12: „Darum wird unsere Fahrt keine Flucht bedeuten!“ –Großfahrten zwischen 1920 und 1971 ........................... 197 Peter Dehmel

    Kapitel 13: Einübung im Glauben und Mitleben in der Gemeinde ..... 209 Siegfried KeilAnhang: Unser Engagement bei den Kirchentagen .......... 217 Hartmut Schwartz

    Kapitel 14: Liedgut und musische Aktivitäten ................................... 220 Ulrich BauerSeitenblick: Unsere Riten und Feiern .............................. 234 Wilhelm Peetz

    Kapitel 15: Naturverständnis und umweltbewusstes Leben ............... 237 Ulrich Bauer

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 5

  • Kapitel 16: Jungmannschaft in den fünfziger und sechziger Jahren .... 245 Siegfried Keil

    Kapitel 17: Soldaten ........................................................................ 252 Jobst Besser †

    Kapitel 18: Studentengruppen .......................................................... 260 Jobst Besser †

    Kapitel 19: Lebenspfadfindertum der Kreuzpfadfinder ....................... 267 Siegfried Keil

    Kapitel 20: Auch in der „Dritten Welt“! ........................................... 274 Peter Dehmel

    Kapitel 21: Auslandsbeziehungen ..................................................... 281 Hartmut Keyler

    Kapitel 22: Führerkurse nach dem Zweiten Weltkrieg ....................... 290 Friedrich-Wilhelm SiggelkowAnhang: Woodbadge und Hardaukurse ............................ 296 Volker Distel

    Kapitel 23: Christliche Pfadfinderschaft als Jugendverband ................ 298 Friedrich-Wilhelm Siggelkow

    Kapitel 24: Organisation, Finanzen, Administration .......................... 307 Dieter KarhofAnhang: Gebietsgliederung und Führer ........................... 319 Ulrich Bauer

    Kapitel 25: Uniform – Tracht – Zeichen ............................................ 321 Hartmut Keyler

    Das Lexikon

    Kapitel 26: Lebensläufe in Stichworten ............................................ 339 Ulrich Bauer

    Kapitel 27: Die Publikationen .......................................................... 368 Gerd Pfetscher

    Kapitel 28: Grundsätze, Ordnungen, Satzungen ................................ 401

    Kapitel 29: Zeittafel ......................................................................... 445

    Anhang

    Literaturverzeichnis ........................................................................... 461

    Personen, Orte, Stichworte ................................................................ 464

    Abkürzungsverzeichnis, Glossar ......................................................... 473

    Die Autoren ..................................................................................... 475

    Inhalt6

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 6

  • Herzlichen Glückwunsch!

    Wir gratulieren den Autorinnen und Autoren dieses Buches über die Geschichte der Christlichen Pfadfinder-schaft Deutschlands ganz herzlich. Und wir danken für das Buch.

    Vierzig Jahre ist es ja schon her, dass es die alte Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD) offiziell nichtmehr gibt. Denn zum Jahresbeginn 1973 verbanden sich die Pfadfinder der CPD mit den Pfadfinderinnen ausdem Bund Christlicher Pfadfinderinnen (BCP) und dem Evangelischen Mädchen-Pfadfinderbund (EMP) zumVerband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP), der seitdem sehr aktiv ist.

    Dieses Buch über den größten der drei Vorgängerbünde will für die heute Aktiven dreierlei leisten:• Es lädt uns ein, die Vergangenheit zu entdecken und uns mit ihr auseinanderzusetzen. Wir entdecken

    dabei vieles, worauf wir stolz sein können.• Es kann uns zeigen, was bis heute Bestand hat. Zum Beispiel, warum wir graue Hemden tragen, auf Fahrt

    gehen oder zur Evangelischen Jugend gehören.• Es schärft die Selbstkritik, wenn wir überlegen, warum wir manches von früher heute nicht mehr tun. Ist

    da etwas verloren gegangen? Oder stellen wir fest, dass sich manche Dinge im Laufe der Zeit verändernmussten?

    Meist wird gesagt, wir lernen aus den eigenen Erfahrungen. Wir können auch aus den Erfahrungen unsererVorgänger lernen. Welche Spuren der Vergangenheit gibt es vor Ort oder in der Region noch zu entdecken?

    Wir wünschen viel Spaß bei der Spurensuche und diesem Buch viele neugierige Leserinnen undLeser!

    Kassel im Juli 2013

    Thomas Kramer, Jule Lumma und Oliver Pfundheller

    Bundesvorsitzende des VCP

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 7

  • Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 8

  • Lieber Leser und lieber Leserin, Sie halten einkompliziertes Gemeinschaftsprodukt in Hän-den. Zu Beginn, vor etwa zehn Jahren, waren esdrei Männer, Jobst Besser, Hartmut Keyler und Ulrich Bauer, die den Kampf gegen das Vergessenbegannen. Unterstützt von Annelie Rau mit demBundesarchiv des Verbandes Christlicher Pfadfinde-rinnen und Pfadfinder sichteten sie Zeitschriftenund Protokolle und sammelten Daten und Fotoko-pien zur Entwicklungsgeschichte der ChristlichenPfadfinderschaft Deutschlands.

    Offiziell kürzen wir im Übrigen den Namen desBundes mit CPD ab. Aber insbesondere uns Älterenist die Kurzform CP sehr vertraut. Deshalb findenSie in diesem Buch beide Abkürzungen.

    Vor zwei Jahren stieß der Unterzeichner dazu. Auchdas Ziel wurde deutlich, ein Handbuch zur Ge-schichte der CP zu machen, also keine wissenschaft-liche Abhandlung. Dankenswerterweise hat sich eingutes Dutzend weiterer Autoren gefunden, der äl-teste 87, der jüngste 29 Jahre alt. Die Mehrzahl warin dieser CP irgendwann einmal sehr engagiert,auch die einzige Autorin! Leider ist mitten in der Ar-beit Jobst Besser überraschend gestorben. In Ge-danken haben wir für ihn das alte Waldläuferzeichen� in den Boden geritzt: „heimgegangen“. Es warauch sein Buch, für ihn haben wir es jetzt fertig -gestellt.

    Sie halten das zweitbeste Buch über die CPD inHänden. Das beste Buch haben Sie möglicherweiseim Kopf: wenn Sie alles ergänzen, was nach IhrerMeinung da und dort fehlt, oder korrigieren, was an-ders hätte dargestellt werden müssen oder anders zubewerten wäre. Das zweitbeste Buch aber haben wirgerne für Sie gemacht: Wir, die wir in der Mehrheitweder ausgewiesene Historiker noch Wissenschaft-

    ler sind, fast alle auch ungeübte Schreiber. Uns alleaber verbindet, dass uns die CP fasziniert hat; fürnicht wenige unter uns ist sie lebensweisend gewe-sen. Hier schreiben Leute mit viel Herzblut, auchwenn sie einen sachlichen Stil wählen. Unkritischwollten wir alle nicht sein. Wir wollten uns abernicht außerhalb des Aquariums hinsetzen und die Fische betrachten; sondern – verzeihen Sie, lieberLeser und liebe Leserin, diese Metapher – wolltendie Fische zu verstehen versuchen; deshalb warenwir auch wieder drin, in dem Aquarium.

    In dieses Pfadfinderbuch führen mindestensfünf Wege:

    (a) Der chronologische: Sie können dieses Erzähl-buch einfach vom Anfang an zu lesen beginnen, demWerdegang entlang gehen von 1909 bis 1972, alssich diese CPD (nicht nur) durch den Zusammen-schluss mit den evangelischen Pfadfinderinnen zudem Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfad-finder verwandelte, welcher jetzt auch schon wieder40. Geburtstag feiern konnte.(b) Sie können den emotionalen Weg gehen, umnachzuspüren, was die jungen Menschen so faszi-niert hat in diesem von der Bewegung der bün -dischen Jugend bis in die sechziger Jahre geprägtenJugendbund. Dann suchen Sie mithilfe des Sachver-zeichnisses nach den kleinen Kästen „Erlebt!“, dassind Bilder in Worten; oder Sie blättern durch die(aus Platzgründen leider nicht sehr zahlreichen) Bil-der oder steigen bei Kapitel 12 (Fahrt) oder 11(Lager) ein.(c) Viele mögen den Weg der Namen bevorzugen:Dann müssen Sie hinten beginnen, bei den vielenkurzen Lebensläufen derer, die die CPD gesteuertund geprägt haben. Oder Sie suchen im Personen-

    9

    Gebrauchsanweisung für ein dickes Buch(anstelle eines Vorworts)

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 9

  • verzeichnis nach denen, die Sie kennen. Wir bittenjedoch die Namensucher um Vergebung, wenn wirPersonen nicht erwähnt haben, die eigentlich nochhätten genannt werden müssen; manche tauchendoch im Text noch auf, von manchen wussten wirnicht oder schätzten ihre Bedeutung anders ein alsSie.(d) Selbstverständlich gibt es auch Querschnitts-pfade, schräg durch die Dickichte und über dieHöhen und Tiefen der Geschichte. Einige dieserPfade finden Sie im Teil Die Themen. Lesen Siebitte nicht an den Kapiteln 13 (Einübung im Glau-ben und Mitleben in der Gemeinde) und 19 (Le-benspfadfindertum) vorbei; da sind Sie dem christ -lichen Kern sehr nah. Oder schauen Sie zu Kapitel8, wo der pädagogische Hintergrund z.B. des Lebensim Freien skizziert wird.(e) Der Blitzeinstieg für Kenner führt über die Zeit-tafel ganz hinten. Wenn Sie das, was da steht, alleskennen: Hut ab! Aber vielleicht sind Sie ja doch neu-gierig, was wir zu den dürren Daten inhaltlich zu-sammengetragen haben: Dann müssen auch Sie zu(a) zurückgehen. Viel Freude dabei!

    Das Buch ist primär aus der Perspektive des Ge-samtbundes „CPD“ geschrieben. Das war unum-gänglich, sollte es ein Handbuch sein. Deshalb feh-len (auch uns Autoren) der Geruch des Lagerfeuersin der Nase und die Gänsehaut, die wir bekamen,wenn wir den Ring zum Bundeslied schlossen. Des-halb fehlen die vielen bunten Pfadfinderfertig -keiten, wie die (vielbeschworenen) Knoten undKimspiele. Deshalb fehlen meist aber auch die Er-zählungen der lokalen und regionalen Geschichte,wie sie in vielen Chroniken und individuellen Fahr-

    tenbüchern farbig aufscheint. Die Christliche Pfad-finderschaft Deutsch lands war nur recht oberfläch-lich betrachtet ein homogener Bund; darauf machenwir aufmerksam, aber wir können die vielen regio-nalen Entwicklungen nicht untersuchen und dar-stellen.

    Deshalb ist dieses Buch auch eine Einladungzum Forschen. An Euch, ihr jungen Pfadfinderin-nen und Pfadfinder im VCP, dazu, wie denn das mitdem sogenannten Vorgängerbund CP an Eurem Hei-matort vor vielen Jahren ablief. An Sie (und Euch),die Sie mit einem bündischen Herzen vielleicht eineDissertation oder Masterarbeit schreiben wollen:Hier ist ein fast unendlich großes Forschungsfeld für(Sozial-)Pädagogen, Theologen, Kirchenhistoriker,Politologen, Sozialwissenschaftler (dem Autor dieserZeilen fiele sogar ein volkswirtschaftliches Themaein, z.B. über den Nutzen öffentlicher Förderungvon Jugendarbeit). Oder vielleicht kennen Sie je-manden, dem Sie diesen Hinweis geben. Und – lastbut not least – vielleicht regt Dich, lieber ehemalsAktiver, dies Buch an, etwas Energie und Zeit für Re-cherchen z.B. dem VCP-Bundesarchiv in Kassel an-zubieten. Das wäre dankenswert!

    Einige Beiträge in diesem Buch waren ursprüng-lich viel umfangreicher. Wir haben sie gemeinsamgestrafft und manchen wissenschaftlichen Apparatdabei unterdrückt. Das VCP-Bundesarchiv kann in -teressierten Lesern auf Anfrage die ausführlichenVersionen einiger Kapitel digitalisiert zur Verfügungstellen.

    Im August 2013 Albrecht Sudermann

    10

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 10

  • Der Werdegang

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 11

  • Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 12

  • Was das Entstehen evangelischerPfadfindergruppen begünstigt hat

    Manche denken, die ersten Pfadfindergruppen hät-ten ihre Wurzeln im Militär des Kaiserreichs gehabt.Wenn man die Entwicklung des deutschen Pfadfin-dertums hauptsächlich an dem damals größten Bund,dem Deutschen Pfadfinderbund (DPB), festmacht,mag das stimmen. Für die ab 1910 vor allem in Würt-temberg, Sachsen und Bayern entstehenden Pfadfin-der-Abteilungen in den Christlichen Vereinen JungerMänner (CVJM) und den evangelischen Jünglingsver-einen trifft das aber nicht zu. Ein Blick auf die Berufevon drei „Gründervätern“ zeigt ein anderes Bild: Jo-hannes Knehr in Stuttgart war Bankbeamter, GustavKertz in Nürnberg CVJM-Sekretär und Fritz Rieboldin Sachsen Handwerker und Schriftsteller.

    Was hat das Entstehen evangelischer Pfadfindergrup-pen begünstigt? Es sind wohl folgende Faktoren:• eine überwiegend protestantische Bevölkerung

    (1880: Württemberg 70%, Sachsen 97%), derMittelschicht zugehörig,

    • zahlreiche und aktive CVJM und Jünglingsver-eine (der Südbund und Sachsen gehörten um1906 zu den vier größten CVJM-Bünden inDeutschland),

    • charismatische Persönlichkeiten (z.B. Knehr,Kertz, Riebold) sowie

    • das Fehlen des DPB an bestimmten Orten (wodie CP stark war, gab es kaum DPB und umge-kehrt).

    Ein Blick zuvor auf die politische Entwicklung

    Die Pfadfinderbewegung in Deutschland beginnt1909, in einer Periode starken nationalen Selbstbe-wusstseins, aber auch zunehmender Beunruhigungder Bevölkerung durch innenpolitische Spannungenund außenpolitische Bedrohungen. Das deutscheKaiserreich ist eine bundesstaatlich organisiertekonstitutionelle Monarchie (1871–1918), der 25wirtschaftlich und sozial sehr unterschiedlich ge-prägte Bundesstaaten angehören, darunter dieKönig reiche Preußen (40 Millionen Einwohner),Bayern (7 Millionen), Sachsen (5 Millionen) undWürttemberg (2,5 Millionen). Insgesamt leben inDeutschland rund 65 Millionen Menschen auf einerFläche von 541.000 km² (Vergleich 2013: Bundes -republik Deutschland: 82 Millionen Einwohner auf375.000 km2).

    Der König von Preußen, Wilhelm II., ist deut-scher Kaiser von 1888 bis 1918. Eine große Rolle in

    13

    Kapitel 1

    Ulrich Bauer

    Die Anfänge: 1909–1918

    Was das Entstehen evangelischer Pfadfindergruppen begünstigt hat – Ein Blick zuvor auf die politische Ent-wicklung – Die erste Wurzel: Evangelische Jünglingsvereine und CVJM – Die zweite Wurzel: Die Pfadfinderbe-wegung in England – Die dritte Wurzel: Der Wandervogel – Pfadfindergruppen in Deutschland außerhalb derKirchen – Mit evangelischen Pfadfindern hat es in Stuttgart begonnen – Anhang: Stuttgarter Pfadfinderleben1911–1918

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 13

  • der innenpolitischen Wertschätzung spielt seit derReichsgründung 1871 das Militär. Seine Werte, wieDisziplin, Vaterlandsgesinnung, straffe Organisation,werden auch von der bürgerlichen Gesellschaftmehr und mehr akzeptiert. Deshalb stößt es aufbreite Zustimmung, dass das Kaiserreich stark auf-rüstet.

    Deutschland ist 1871 eine Großmacht mitten inEuropa geworden. Industrie und Agrarwirtschaft ex-pandieren erheblich, dank enormer französischerReparationsleistungen. Die Bevölkerung wächst.Deutschland will europa- und weltpolitisch eine grö-ßere Rolle spielen. Um diesen Anspruch zu befesti-gen, sucht die Regierung den Kolonialbesitz zu er-weitern und rüstet Heer und Flotte massiv auf. Diesempfinden die anderen europäischen Großmächte,vor allem Frankreich, Großbritannien und Russland,als Bedrohung. Das Reich isoliert sich internationalund sieht sich selbst bald eingekreist.

    Die Kolonien in Afrika und Neuguinea sindEnde des 19. Jahrhunderts von deutschen Kauf -leuten erworben worden, als Gebiete mit vielfäl -tigen Rohstoffquellen zur wirtschaftlichen Ausbeu-tung. Sie werden nach und nach unter den Schutzdes Reichs gestellt („Deutsche Schutzgebiete“) undaus strategischen Überlegungen zum Aufbau vonStützpunkten genutzt. Die größten sind Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwest-Afrika, Kamerun, Togound Neuguinea. Ihre Fläche beträgt 3 Mio. km2, alsofast das Sechsfache des Reichsgebiets; die Bevöl -kerung umfasst 14 Millionen, darunter 24.000Deutsche. Alle deutschen Kolonien werden nachdem Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag vom28. Juni 1919 eingezogen und dem Völkerbund unterstellt.

    Zu der Schutztruppen-Uniform gehört als Kopf -bedeckung der „Südwester“, dessen Kopie inDeutschland anfangs auch die Pfadfinder tragen.Neben dieser Äußerlichkeit gibt es auch inhaltlicheAuswirkungen auf die Pfadfinderbewegung inDeutschland: Alexander Lion verarbeitete seine Er-fahrungen als Stabsarzt in Deutsch-Südwest-Afrikain seinem Pfadfinder-Buch (s.u.).

    Zwischen 1870 und 1914 wandelt sich Deutsch-land von einem Agrarland zu einem Industriestaat

    (Gründerzeit). Die neuen ökonomischen Strukturenverändern auch die Gesellschaft (massive Wanderun-gen in die Industriezentren, Anwachsen der großenStädte, enorme soziale Ungleichheiten, Zunahmeder Parteien, Entstehen von Interessenverbänden).Allerdings behält der Adel sein hohes Sozialprestigeund behauptet weiterhin seine dominante Rollebeim Militär, in der Diplomatie und in der Zivilver-waltung. Im Protest gegen die Großstadtzivilisationgründet sich 1901 in Berlin der Wandervogel (s.u.).Später wird man das als den Beginn der deutschenJugendbewegung bezeichnen.

    Der Erste Weltkrieg vom August 1914 bis zumNovember 1918 ist für alle Menschen in Europa eineinschneidendes Ereignis. Jugendbewegte Wander-vögel wie auch national-konservative Pfadfinder mel-den sich freiwillig und ziehen mit großer Begeiste-rung ins Feld. Der Blutzoll ist hoch. So fallen z.B.2.000 Mann am 10. November 1914 bei der Erobe-rung einer Hügelkette nahe Langemarck in West-Flandern nördlich von Ypern, angeblich mit demDeutschlandlied auf den Lippen. Daraus wird dervon der Kriegsleitung und den Nationalsozialistenspäter heroisierte „Mythos von Langemarck“. Hol-ger Jürgenliemk (S. 109): „Als die Kriegsnot überdie Bünde der Jugendbewegung kam, war es dieTreue zum eigenen Volk und der Gehorsam gegendas Gesetz des Vaterlandes, die das Deutschland-lied beim Sturm auf Langemarck zum Symbol wer-den ließ.“ Die Erwartung bestätigt sich nicht, dassdieser Krieg an den Fronten in Ostpreußen, Polen,Russland, Rumänien und Italien oder in Belgien undFrankreich nur einige Monate dauern wird. Es wer-den daraus vier Jahre. Insgesamt sterben an allenFronten rund 15 Millionen Menschen. Ungefähr 70Millionen Menschen aus 40 Staaten sind direkt alsSoldaten oder indirekt als Zivilbevölkerung betrof-fen. Das Ende des Krieges wird markiert durch denWaffenstillstand am 11. November 1918 und dieUnterzeichnung des Friedensvertrags am 28. Juni1919 in Versailles und in Trianon.

    Das Ende der Monarchien im Deutschen Kai -ser reich geht einher mit dem Kriegsende und der sogenannten November-Revolution, die durch diezunehmende existentielle Unzufriedenheit der Be-

    Ulrich Bauer14

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 14

  • völkerung ausgelöst wird. Ausgang dafür ist die Meu-terei von Kieler Matrosen am 3. November 1918.Soldaten- und Arbeiterräte übernehmen weithin dieMacht im Reich. Der Kaiser dankt am 9. November1918 ab und geht am Tag darauf ins Exil nach Hol-land. Auch alle übrigen deutschen Fürsten dankenfreiwillig ab oder werden entmachtet.

    Vor diesem politischen Hintergrund vollziehensich die Reform der deutschen Jugendverbände unddie Bildung der deutschen Jugendbewegung.

    Die erste Wurzel: EvangelischeJünglingsvereine und CVJM

    Evangelische Pfadfindergruppen entstehen nach eng-lischem Vorbild ab 1910 zunächst als Pfadfinder-Ab-teilungen der Christlichen Vereine Junger Männer(CVJM) in Stuttgart, Nürnberg und Sachsen. Auch inJünglingsvereinen, z.B. im Süddeutschen Evange -lischen Jünglingsbund, aber auch in Schülerbibelkrei-sen (BK) werden Pfadfindertrupps gegründet.

    Schauen wir uns deshalb die beiden wichtigsten Ver-einigungen genauer an:

    Evangelische Jünglingsvereine gibt es ab 1823.„Jünglingsvereine nennt man auf evangelischerSeite freie Vereinigungen auf Grund christlicherund vaterländischer Gesinnung, die, namentlich ingrößeren Städten, einzeln stehenden jungen Män-nern, besonders des Arbeiter-, Handwerker- undKaufmannsstandes, die Möglichkeit anständigerund anregender Verwendung ihrer freien Zeit bie-ten“ (Meyers Großes Konversationslexikon, 1907).Jünglingsvereine sind (im Unterschied zu denCVJM) innerhalb der Kirchengemeindegrenzen or-ganisiert und sind vorwiegend von Theologen ge-prägt.

    Die Jünglingsvereine schließen sich Mitte bisEnde des 19. Jahrhunderts zu regionalen Verbändenzusammen (1856 Ostbund, 1869 SüddeutscherJünglingsbund) und bilden 1899/1900 die Natio-nalvereinigung der evangelischen Jünglingsbünd-nisse in Deutschland. Der Ostdeutsche Jünglings-

    bund besteht 1906 aus 499 Vereinen, darunter 11CVJM.

    Die Geschichte der Christlichen Vereine Jun-ger Männer beginnt 1844 mit der ersten Vereins-Gründung durch George Williams in London. Er willjungen Menschen in der Großstadt Lebensorientie-rung geben. 1855 treffen sich in Paris junge Männeraus verschiedenen Verbänden und vereinbaren dieeinheitliche Grundlage für alle CVJM, die „PariserBasis“: Schwerpunkt soll die Laienmissionsarbeitunter jungen Männern sein.

    1883 gründet Friedrich von Schlümbach den erstendeutschen CVJM in Berlin. Danach entstehen CVJMin fast allen Großstädten Deutschlands. Sie bilden1919 den Gesamtverband „CVJM Deutschland“.Das anfängliche Misstrauen der Jünglingsvereine ge-genüber den „amerikanischen“ Verkündigungs -methoden der CVJM legt sich bald. Nach Gründungder CVJM in Deutschland lösen sich die Jünglings-vereine nicht plötzlich auf. Im Laufe der Zeit abernähern sich Jünglingsvereine und CVJM immermehr an. Wo CVJM entstehen, gehen bestehendeJünglingsvereine oft darin auf. Später vereinigen sichbeide Zweige im „Reichsverband der EvangelischenJungmännerbünde und verwandter Bestrebungen“(kurz: Jungmännerwerk).

    Ein Blick auf die Größenordnungen: Der CVJMStuttgart z.B. wurde im November 1861 als „Jüng-lingsverein“ gegründet und 1890 in „CVJM“ umbe-nannt. In zwanzig Abteilungen hatte er 1906 ca.2.000 Mitglieder und gehörte zum Süddeutschen

    Die Anfänge: 1909–1918 15

    Weltbund der CVJM

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 15

  • Bund der CVJM-National-Vereinigung in Deutsch-land. Dieser Bund war mit 10.000 Mitgliedern in231 Vereinen einer der größten Deutschlands. Welt-weit gab es 1906 insgesamt 7.338 Vereine mit rund730.000 Mitgliedern (Heute hat der CVJM weltweitca. 45 Millionen Mitglieder).

    Die zweite Wurzel:Die Pfadfinderbewegung in England

    Die zweite Wurzel der Christlichen Pfadfinderschaftist mit dem Namen des britischen Generals Baden-Powell (unter Pfadfindern kurz: „BiPi“) und seinenIdeen zur Jugenderziehung auf der Grundlage von„Scouting“ verbunden. Hier sollen nur einige seinerLebensdaten steckbriefartig angeführt werden:

    Sein vollständiger Name ist Robert StephensonSmyth Baden-Powell,1st Baron Baden-Powell of Gilwell in the County of Essex. Er wird am22.02.1857 in London geboren und stirbt am

    08.01.1941 in Nyeri, Kenia.BiPi wächst in einem christ -lichen Elternhaus auf und be-sucht eine Internatsschule. DerVater ist Pfarrer, Astronom undGeometrie-Professor. Nach Ab-schluss der Militärakademiedient BiPi als britischer Offizierin Indien, Südafrika, Malta undauf dem Balkan. Im Burenkrieg1899 befehligt er die Verteidi-gung der Stadt Mafeking in Süd-

    afrika gegen eine Übermacht der Buren und setztdabei Jungen als Sanitäter und Melder ein. Späterwird er zum Generalmajor befördert und wird Ge-neralinspekteur der Kavallerie. Seinen Abschiedvom Militär nimmt er 1910 als Generalleutnant.

    Im Zusammenhang mit seinem Handbuch zurAusbildung der militärischen Kundschafter („Aidsfor Scouting“) entsteht die Idee zu einer besonde-ren Jugenderziehung, dem „Scouting“. Im Mai1907 veröffentlicht er „Boy Scouts: A Suggestion“:Er beginnt gleichzeitig mit den Arbeiten zu seinemberühmtesten Buch „Scouting for Boys“, das 1908

    erscheint. Seine im Verlauf von acht Jahren ent -wickelten Ideen erprobt er vor der Buchveröffent -lichung mit etwa 25 Jugendlichen 1907 in einemZeltlager auf Brownsea Island.

    Seine Pfadfinderidee ist gekennzeichnet durchdie Elemente: „Learning by doing“, die kleineGruppe, die Anleitung zur Selbsterziehung, Gesetzund Versprechen, die tägliche „Gute Tat“. In der Fol-gezeit schreibt BiPi seine pädagogischen Entwürfe inweiteren Veröffentlichungen nieder. Er wird vielfachgeehrt und international ausgezeichnet.

    Baden-Powell war ohne Zweifel eine der heraus-ragenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts undhat Millionen von Jungen und Mädchen Perspekti-ven für ihr Leben aufgezeigt.

    Das Buch „Scouting for Boys“ ist ein Bestsellergeworden. Mit einer Gesamtauflage von 150 Millio-nen gehört es zu den meistgedruckten Büchern derWelt. In neun Kapiteln wird darin das Pfadfinderseinerklärt. Mehrfach ergänzt und verändert ist es bisheute weltweit die Grundlage für die Pfadfinder -pädagogik geblieben.

    Ulrich Bauer16

    The Scouts Promise:

    On my honour I promise that I will do my best• to do my duty to God and the King,• to help other people at all times,• to obey the Scout Law.

    The Scout Law:

    1.A Scout’s honour is to be trusted.2.A Scout is loyal to the King, his country, his officers,his parents, his employers and those under him.

    3.A Scout’s duty is to be useful and to help others.4.A Scout is a friend to all, and a brother to everyother Scout, no matter, to what social class theother belongs.

    5.A Scout is courteous.6.A Scout is a friend to animals.7.A Scout obeys orders of his parents, patrolleader, orScoutmaster without question.

    8.A Scout smiles and whistles under all difficulties.9.A Scout is thrifty.10.A Scout is clean in thought, word and deed.

    Pfadfinder-Versprechen und Pfadfindergesetz nach „Scoutingfor Boys“ 1908

    Robert Baden-Powell

    Sudermann_Pfadfinder_60_200_Sudermann_L_1 26.11.2013 01:23 Seite 16

  • Nach dem Erscheinen von „Scouting for Boys“ ent-stehen überall in Großbritannien Pfadfindergruppen.Die erste initiiert BiPi selbst in Birkenhead bei Liver-pool im dortigen YMCA, zu dessen Vorstand er ge-hört. Ein Jahr später gehören der Bewegung in Eng-land schon rund 60.000 Pfadfinder an.

    Von 1909 an verbreitet sich die Pfadfinderbewe-gung auch in Deutschland, von 1912 an in Öster-reich und in der Schweiz. 1916 begründet BiPi dieWölflingsbewegung nach dem Dschungelbuch vonR. Kipling und 1919 die internationale Rover-Bewe-gung der 17–21-jährigen Pfadfinder.

    Die dritte Wurzel: Der Wandervogel

    Den Anfang des Wandervogels datiert man auf dasJahr 1896, als Herrmann Hoffmann am Gymnasiumin Steglitz (Berlin) mit seinen Schülern Wanderun-gen unternahm. Auf Initiative von Karl Fischer (geb.1881) wurde 1901 in Steglitz mit Hilfe einiger Leh-rer der „Ausschuss für Schülerfahrten Wandervogele.V.“ gegründet. Dies gilt als der Beginn der soge-nannten Jugendbewegung. Der Wandervogelwächst rasch in vielen Städten als eine Bewegungvon Schülern und Studenten. Sie suchen nach Alter-nativen zu den einengenden Vorgaben ihres schuli-schen und gesellschaftlichen Umfelds in einem na-türlichen und jugendgemäßen Lebensstil (Wandern,Fahrt, Volkstanz, Volkslied). Zu einem Ausdruck derJugendbewegung wird der offene Hemdkragen, dersogenannte Schillerkragen, der später auch zurTracht der Christlichen Pfadfinder gehört.

    Zu einer großen Bekenntnisversammlung treffensich am 10./11. Oktober 1913 hunderte Vertreterder Jugendbewegung sowie Lebensreformer unter-schiedlicher Art auf dem Hohen Meißner in Nord-hessen. Dieses Treffen versteht sich als Gegenveran-staltung zu der martialischen 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht zu Leipzig. Die Jugendbewegung de-monstriert damit gegen Hurrapatriotismus und Mili-tarismus. Der Wandervogel selbst nimmt offiziellnicht teil.

    Dort wird die sogenannte Meißnerformel verab-schiedet: „Die Freideutsche Jugend will aus eigener

    Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit inne-rer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese in-nere Freiheit tritt sie unter allen Umständen ge-schlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigungwerden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Allegemeinsamen Veranstaltungen der FreideutschenJugend sind alkohol- und nikotinfrei.“

    Die Christlichen Pfadfinder stellen im jugendge-meinschaftlichen Leben der Vorkriegsepoche einenGegentyp zur Wandervogelbewegung dar, da ihr„Ideen wie autonome Jugendkultur, partnerschaftli-che Generationen- und Geschlechterbeziehungen,die Ablehnung bürgerlicher Bindungen … oder dieGeringschätzung der Erziehung zur Lebenstüchtig-keit weitgehend fremd“ sind. „Auch schützte diefeste Einbindung der Pfadfinderabteilungen in diemit erheblichem gesellschaftlichem Prestige ausge-statteten kirchlichen Großorganisationen zusam-men mit dem Prinzip der Erwachsenenführung (inden oberen und mittleren Chargen) und den Sympa-thien, die der Pfadfinderbewegung ganz allgemeinvon militärischer Seite aus Gründen der Wehrer-tüchtigung entgegengebracht wurden, vor demMisstrauen und der Skepsis der Erwachsenenweltgegenüber der Jugendbewegung und dem Vorwurfgesellschaftlichen Außenseitertums. Anders als derWandervogel galt man als gesellschaftlich eingeglie-dert.“ (Wurzbacher, S. 80 und 87)

    In der Neubesinnung der CP nach dem ErstenWeltkrieg spielen neben christlichen Elementen(Mission, Tatchristentum) und den lebensreforme -rischen Zielsetzungen (Kampf gegen „Schmutz undSchund“ und Alkohol etc.) die Begegnungen mitdem Wandervogel mit seinen selbstbestimmten und musischen Aktivitäten eine richtungweisende Rolle.

    Im Rückblick verweist Eugen Vollmer auch aufdie Konkurrenz des Wandervogels zum CVJM. Ersagt (lt. Protokoll der 4. Pfadfinder-Kompanie vom20. März 1919), dass in Stuttgart „die Pfadfindernur deshalb gegründet worden wären, weil seiner-zeit die Vereine Jungdeutschland und Wandervogelentstanden wären und der CVJM genötigt gewesensei, auch etwas Ähnliches zu bieten, damit er nichteinen Teil der jungen Leute verlor.“

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  • Pfadfindergruppen in Deutschlandaußerhalb der Kirchen

    Im Folgenden wird zunächst ausschließlich über dasnicht konfessionell ausgerichtete Pfadfindertum be-richtet, also hauptsächlich über den Deutschen Pfad-finderbund (DPB). Konfessionell-christlich ausge-richtet sind in dieser Zeit nur die evangelischenCP-Gruppen, der katholische Bund (DPSG) wird erst1929 entstehen.

    � Waren die Pfadfinder kleine Soldaten?

    Von Anfang an hat die Pfadfinderbewegung inDeutschland, insbesondere die interkonfessionelle,mit dem Vorurteil zu tun, sie sei eine vormilitä -rische Ausbildung. Baden-Powell ist Offizier, Ale-xander Lion, der Autor des ersten deutschen Pfadfin-derbuches, ist auch Offizier und Maximilian Bayer,der erste Reichsfeldmeister des Deutschen Pfadfin-derbundes, ebenfalls. Die Pfadfinderbücher Baden-Powells und Lions beruhen in der Tat auf persön -lichen militärischen Erfahrungen, auch in Kriegen.Alle damals entstehenden Pfadfinder-Gruppen über-nehmen militärische Formen in der Ausbildung, inder „Pfadfinder-Karriere“ und bei Organisations-Strukturen. Hasso von Recum (Wurzbacher, S. 79)stellt hinsichtlich der CPD allerdings zurecht fest:„Letzten Ende erweist sich jedoch der christlicheGrundgedanke stets als wichtiger Korrekturfaktorgegenüber der Gefahr eines möglichen Abgleitensin militaristisch-nationalistische Bereiche. Nichtumsonst gehört … das Neue Testament unabding-bar ins Pfadfindergepäck.“

    Baden-Powell hat sein „Scouting for Boys“ nichtin erster Linie für Zwecke der Wehrertüchtigung er-dacht und erprobt. Gustav Kertz, der Gründer derevangelischen Pfadfindergruppen in Franken (s.u.),schließt Soldatenspielerei und Kasernenhofdrill vonder Pfadfinderei aus (Kertz, S. 11). Äußerlich sinddie Pfadfinder zwar „uniformiert“, innerlich undvon der Idee her ist das Pfadfindertum aber nichtmilitärisch. Auch Fritz Riebold hat 1922 entschie-den festgestellt, dass „wir die Vorbereitung zum

    Kriegsdienst vollkommen ablehnen“ (ANP 5, 1. Jg.1922).

    Einleuchtend ist auch die Einstellung von Militärsdazu: Carl von Seckendorff, Reichsfeldmeister desDPB, schreibt 1911, dass das pfadfinderische Solda-ten-Spielen nicht im Interesse einer späteren soldati-schen Erziehung liegen könne, weil beispielsweisepfadfinderischer Gehorsam himmelweit von militäri-scher Disziplin entfernt sei. Nach Alexis von Gebsat-tel, Oberstleutnant und Landesfeldmeister des Baye-rischen Christlichen Pfadfinderbundes, liegt derPfadfinderei nichts ferner, „als eine Rekrutenschuleoder Militärbildungsanstalt sein zu wollen“. Aber:„Die militärischen Formen und Kommandos alleinsind geeignet, unter allen Umständen Ordnung zu ge-währleisten“ (zitiert nach Bauer, S. 46–47). Ein Aus-bilder begrüßt ausdrücklich, „dass Pfadfinder nichtschießen lernen, denn die anderen haben es falschund ‚mit Mucken‘ gelernt“ (Dollinger, S. 18).

    Am Militär orientiert man sich allerdings im da-maligen deutschen Gesellschaftsgefüge gerne. FürChristoph Schubert-Weller steht fest, dass deutschePfadfinderei vor dem Ersten Weltkrieg eine vormili-tärische Erziehung darstellte. Er führt dazu vor allempädagogische Argumente (militärische Erziehungs-ziele und Ausbildungsmethoden), aber auch die hie-rarchische Organisation, Tracht und Abzeichen an,die „ohne große Umwege auf militärische Vorbilderzurückgehen“ (Schubert-Weller, S. 33). Pfadfinder-ausbildung sei nahe bei militärischem Denken undmilitärischen Zwecken angesiedelt gewesen. DerAutor räumt allerdings ein, dass sich in der weiterenEntwicklung der weltweiten Pfadfinderidee zivilesDenken entwickeln konnte, „auch ohne Rückgriffauf militärische Vorgaben“ (Schubert-Weller, S. 58–60).

    Sollten die Pfadfinder nun zu kleinen Soldatenerzogen werden oder nicht? Es ist nicht leicht, daseindeutig zu beurteilen. Vielleicht hilft Karl Seidel-mann weiter, der meint, dass das Pfadfindertum inDeutschland vor dem Ersten Weltkrieg „als Hilfe füreine militärische Ertüchtigung missverstandenwurde“ (Seidelmann, S. 26), insbesondere vor demHintergrund der damals weitverbreiteten militaris-tisch-nationalistischen Normvorstellungen.

    Ulrich Bauer18

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  • Während des Krieges ist dann die vormilitäri-sche Erziehung Vaterlandspflicht für alle nicht ein-berufenen Pfadfinder und Führer. Ausmärsche mitKriegsspielen werden beispielsweise in Stuttgart1914–1918 regelmäßig durchgeführt. MilitärischeJugenderziehung ist für die Pfadfinderabteilung desCVJM in Würzburg selbstverständlich. Dabei wur-den nicht nur Zugs- und Gefechtsausbildung betrie-ben, sondern auch (1916) „Gas-Angriffe und ihreAbwehr“ geübt (Albrecht, S. 10–11).

    Ab Kriegsende ändert sich dann alles: Uniform,Abzeichen, Dienstgrade, Kompanie und Regiment;diese Ordnungen werden durch neue Bezeichnun-gen abgelöst. Ein neuer Geist zieht ein.

    � Mit Alexander Lions Pfadfinder-Buchkam alles ins Rollen

    Alexander Lion wurde am 15.Dezember 1870 in Berlin gebo-ren und starb am 3. Februar1962 auf Schloss Elmisch-wang/Fischach. Er gehört zu-nächst aufgrund seiner familiä-ren Herkunft zur jüdischenGemeinde, die er 16-jährig ver-lässt. Er ist dann konfessionslosund später katholisch. Er wirdMilitärarzt. Bei seinen Auslands-einsätzen, z.B. 1904–1906 während des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika, sammelt ermedizinische Erfahrungen in Hygiene und Seuchen-bekämpfung. Darüber veröffentlicht er zahlreichewissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften. ImErsten Weltkrieg dient er in Frankreich und an dertürkischen Front und steigt zum Generaloberarztauf.

    Die Kriegs- und Kolonial-Erfahrungen prägenauch seine Übertragung von Baden-Powells Buch„Scouting for Boys“ auf deutsche Verhältnisse unterdem Titel „Das Pfadfinderbuch“, das nach der erstenAuflage 1909 noch weitere vier Auflagen erlebt.Damit gilt er, gemeinsam mit Maximilian Bayer, alsMitbegründer der deutschen Pfadfinderbewegung.

    Er wählt für das Wort „Boy Scout“ die deutsche Be-zeichnung „Pfadfinder“.

    Seidelmann weist darauf hin, dass Lion sich imGegensatz zu anderen Übertragungen von BiPisGrundwerk keineswegs streng an das Original hält.„Er erstrebte von Anfang an gemeinsam mit seinenMitarbeitern eine Eindeutschung der scoutistischenGedankenwelt und ihres pädagogischen Systems“(a.a.O., S. 27).

    Das Buch ruft direkt nach seinem Erscheinen be-reits Kritik hervor, z.B. wegen der Nähe zum engli-schen Vorbild. Das führt im Oktober/November1912 zu Anwürfen gegen Lion, Bayer und Secken-dorff durch General von Jacobi wegen „Mangel anVaterlandsliebe, Königstreue und religiösem Empfin-den“. Nach einem Offizier-Ehrengerichts-Verfahrenkommt es 1913 zu einem schriftlichen Vergleich,den der Kaiser bestätigt. Damit erkennt Wilhelm II.das Pfadfindertum als staatsbürgerliche Erziehung an(Schrölkamp 2004, S. 52–54).

    Nach dieser Kritik ändert Lion sein „Pfadfinder-buch“ von der zweiten Auflage an ganz massiv: Stattder ausführlichen Würdigung von BiPi als Begrün-der wird nun Turnvater Jahn als Vorläufer der Pfad-finderbewegung genannt, und Persönlichkeiten ausanderen Ländern werden durch deutsche Vorbilderersetzt. Statt Völkerverständigung und Gentleman-Ideal geht es nun um Wehrkraftgedanken, militäri-sche Ziele und unkritischen Patriotismus. Von Höf-lichkeit und Hilfsbereitschaft und den anderenPfadfindertugenden ist nicht mehr die Rede, umsomehr von jener vaterländischen Erziehung, von derin der Erstausgabe nur wenig die Rede gewesenwar.

    Lion wird 1911 Mitbegründer des DeutschenPfadfinderbundes.

    � Verein für Jugendsport in Feld und Wald

    Einige Leute überlegen, wie man die „pfadfinderi-sche Erziehungsmethode“, von der sie überzeugtsind, in den vorhandenen Jugendorganisationen wiedem Wandervogel, der Jugendwehr oder den Christ-lichen Vereinen Junger Männer erproben und ein-

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    Alexander Lion

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  • führen könnte. Deshalb gründen sie im Januar 1909in Berlin den Verein „Jugend-Organisation Pfadfin-der – Verein zur gesundheitlichen, moralischen undpraktischen Fortentwicklung der Jugend allerStände“. Die führenden Köpfe sind Georg Baschwitz(als „Finanzier“), Maximilian Bayer (als „Organisa-tor“), Alexander Lion („mehr im Hintergrund“) undErnst Singer. Eine eigene deutsche Pfadfinder-Orga-nisation wollen sie nicht bilden, aber Organisatio-nen und Gruppen bezüglich des Pfadfindens bera-ten. Wegen der verbreiteten Englandfeindlichkeitgeraten sie mit dem Begriff „Pfadfinder“ unterDruck. Deshalb benennen sie bereits Ende März1909 den Verein um in „Verein für Jugendsport inFeld und Wald“ (JFW).

    � Wehrkraftverein in Bayern

    Die ersten deutschen Pfadfindergruppen entstehen1909 an verschiedenen Orten in Bayern. Sie bildendanach aber keine landesweite interkonfessionellePfadfinderorganisation, sondern schließen sich alledem „Wehrkraftverein“ an: Im März 1910 wird inMünchen ein zunächst örtlicher Wehrkraftvereingegründet, für das ganze Königreich Bayern dannim Oktober 1911 der „Bayerische Wehrkraftvereine.V.“ (BWV). Die in Bayern entstehenden Pfadfin-dergruppen schließen sich diesem an, bis auf dieGruppen, die etwa zur gleichen Zeit den Bayeri-schen Christlichen Pfadfinderbund bilden. Interes-sant an diesem bayerischen Sonderweg ist, dassPrinzregent Luitpold das Protektorat über den Baye-rischen Wehrkraftverein übernimmt. Im BWV sindKatholiken, Evangelische und Juden vertreten.1911 und 1912 kommt es zu Kooperationsverträ-gen zwischen dem BWV und dem Deutschen Pfad-finderbund (DPB – s.u.), so dass der BWV gewisser-maßen ein Landesverband des DPB wird. Kriegs-und Kultusministerium fördern den BWV (Seidel-mann, S. 39).

    Der BWV ist trotz seines Namens nicht „militä -rischer“ im Formalen und Inhaltlichen als z.B. die christ lichen Pfadfinderregimenter in Württem-berg.

    � Der Deutsche Pfadfinderbund 1911–1921

    Der DPB verkörpert das interkonfessionelle Pfadfin-dertum in Deutschland im Zeitraum von 1911 bis1921. Nach seiner Gründung 1911 entwickelt ersich schnell zu einer Großorganisation mit bis zu90.000 Mitgliedern.

    Erster Reichsfeldmeister des DPB von 1911 bis1917 ist Maximilian Bayer. Das Bundeszeichen istzunächst das sogenannte Schachbrett, vom Kaiserverliehen. Der Bund ist anfänglich stark militärischgeprägt (Organisation, Inhalte, Personen), verändertsich aber nach dem Ersten Weltkrieg deutlich.

    Zu der Entwicklung im Krieg sei hier Seidelmannzitiert: „Das deutsche Pfadfindertum stellte sich beider Mobilmachung zur Verfügung, entsandte ju-gendliche Hilfskräfte zum Roten Kreuz, in die Laza-rette, für Erntearbeiten und Eisenbahndienste.Pfadfinder halfen bei Brückenbewachungen, bei Bo-tengängen und Transportbegleitungen. Die deut-sche Pfad finderei war also in den allge meinen Tau-mel von Kriegsbegeisterung und Opfer willigkeit hineingeraten wie die übrige Jugend der großeneuro päischen Nationen. Der Patriotismus wurdeweder durch die massenhaften Ausfälle noch durchHungersnot gemildert. Der Krieg nahm zunächstfast alle älteren Führer. Mit dem Engagement derjüngeren Führer hielt ein neues Prinzip (Jugend

    Ulrich Bauer20

    DPB

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  • führt Jugend) Einzug, die Beteiligung der Jugendselbst an der Führung ihrer Gruppen, wie sie imWandervogel sich schon bewährt hatte. Damit be-gannen sich die Grenzen zwischen Jugendbewe-gung und Jugendpflege bedeutsam zu verwischen,ehe sie sich ab 1919 allmählich überhaupt auf -lösten. Die Kriegsjahre selbst wurden als ‚tote Pe riode‘ bezeichnet“ (a.a.O., S. 40–41).

    Während des Krieges leisten die Pfadfinder nicht nur in der Heimat Hilfsdienste, sondern auchim Ausland, z.B. im besetzten Belgien. Der DPB-

    Reichs feldmeister Bayer setzt alsKommandant von Brüssel mitGenehmigung des Kaisers Pfad-finder als Ordonanzen und alsHilfskräfte für Botengänge undBüroarbeit ein, was später inNamur, Lüttich und AntwerpenNachahmung findet.

    Diese Hilfsdienste in Belgiensind philatelistisch gut dokumen-tiert und bekannt. Weniger be-kannt wurde, dass sich aus den

    bayerischen christlichen Pfadfindern im Oktober1914 das 1. bayerische Landsturm-Pfadfinder-Batail-lon bildete (Dol linger, S. 16) und dass die christ -lichen Pfadfinderabteilungen in Württemberg ausihren Reihen ganze Sanitätseinheiten rekrutierten,ausrüsteten und ergänzten (Wurz bacher, S. 79).

    Über die Einsatzzahlen und Verluste von Pfadfin-dern und Wandervögeln können wir aufgrund derschlechten Quellenlage keine belastbaren Aussagenmachen. Es sind wohl sehr viele der Pfadfinder, diein den Krieg eingezogen waren, gefallen.

    Das Kriegsende im November 1918 und der Zu-sammenbruch der Monarchien beenden alle Verbin-dungen zwischen Pfadfindern und Militär.

    1919 findet auf Schloss Prunn bei Regensburgein Treffen der Führerschaft des DPB statt. NamhafteTeilnehmer sind u.a. Franz Ludwig Habbel, Karl Sei-delmann, Ludwig Voggenreiter, Martin Voelkel, Hel-muth Kittel sowie Carl Freiherr von Seckendorff, derReichsfeldmeister. Ein wichtiges Ergebnis ist das so-genannte Prunner Gelöbnis: „Wir Pfadfinder wol-len jung und fröhlich sein und mit Reinheit und in-nerer Wahrhaftigkeit unser Leben führen. Wir

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    Die grundsätzlichen Ausprägungen der Jugendbünde in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg unterscheiden sichdeutlich von der sogenannten Kaiserzeit (Schrölkamp 1989, S. 58):

    Kaiserreich Weimarer Republik

    Entdeckung der Jugend (durch Erwachsene) Selbstentdeckung der Jugend

    Jugendpflege (vormilitärisch, fremdbestimmt) Jugendbewegung (selbstbestimmt)

    Erziehungspfadfinderei Gesinnungs- und Lebenspfadfinderei

    starre Ordnung und Gliederung Erneuerung, ständige Wiedergeburt

    militärisches Gepräge, Ausbildung Waldpfadfinderei, Verinnerlichung

    der gute Staatsbürger neues Menschentum, Neues Reich, Jugendadel

    Verein, Gruppe Bund, Stamm, Sippe

    Jugendbund Lebensbund

    Übungen, Instruktionsstunden Fahrten, Zeltlager, Heimabende

    uniformartige Kleidung, Südwester kniefreie Hosen, offenes Hemd, barhäuptig

    Soldatenlieder, vaterländische Gesänge Volkslieder (Zupfgeigenhansl)

    Ideale der bürgerlichen Gesellschaft Ideale des Mittelalters und der Indianer

    Maximilian Bayer,1913

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  • wollen mit Rat und Tat bereit sein, wo immer esgilt, eine gute und rechte Sache zu fördern. Wirwollen unseren Führern, denen wir Vertrauenschenken, Gefolgschaft leisten.“

    Vorher waren die Pfadfinder eingegliedert in die un-erschütterlichen Ordnungen des Kaiserreichs, nunbildet sich ein selbstbestimmtes Jugendbewusstseinmit jugendlichen Führern, traditionell-romantischenFormen und Hinwendung zum Volkstümlichen he-raus. „Aus den Übungen des Pfadfinderkorps wur-den nun Fahrten, Heimabende und andere freiereGesellungsweisen, man streifte die Uniform ab undwanderte barhäuptig und kniefrei. Statt der Solda-ten- wurden Volkslieder aus dem Zupfgeigenhanslgesungen. Die straff schematisierten Großgliede-rungen der Korps und Abteilungen zerfielen inFähnlein und Kleingruppen. Der gründlichste Wan-del, der dabei zutage trat, betraf Idee und Wirklich-keit des Führertums.

    Der Wandervogel hatte Wandern und Großfahrteingebürgert, die alte Pfadfinderei das Geländespielgepflegt, nun brachte die neue Lebensweise das Zel-ten in das Freiluftleben der deutschen Jugend dazu.Das Zelten, außerhalb des militärischen Getriebesin Deutschland vorher fast unbekannt, wurde zumBehausungsmittel auf Fahrt und Großfahrt.“

    Die Mitglieder der Gruppen entstammten in derRegel immer noch dem mittelständischen Bürger-tum. Politisch waren sie zunächst neutral bzw. in-different: „Äußerliche Staatsloyalität und Indiffe-renz gegenüber der Weimarer Demokratie hieltensich die Waage. Überall drückten die außerordent-lich schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse imReich, zumal in den Nachkriegsjahren mit ihrer galoppierenden Inflation“ (Seidelmann, S. 44–57).

    Evangelische Pfadfindergruppen in Deutschland

    � Es beginnt in Stuttgart

    Machen wir uns vorab das Folgende klar: Die Be -dingungen für die Entstehung christlicher Pfadfin-

    dergruppen waren in Württemberg nahezu ideal.Denn 70 Prozent der Bevölkerung waren protestan-tisch. CVJM und Jünglingsvereine waren stark ent-wickelt.

    Johannes Knehr, der die Jugendabteilung desPaulus-Vereins des CVJM Stuttgart leitet, hat 1909erste „pfadfinderische“ Ideen: Er lässt aus Stahl -röhren und wasserdichtem Segeltuch Zelte anferti-gen, in denen er dann in den Ferien und an den Wo-chenenden Zeltfreizeiten veranstaltet. Dieses Neuewird von der Jugend des Paulus-Vereins begeistertaufgenommen. Bald aber sieht Knehr, dass eine sol-che Art der Jugendarbeit nicht ohne eine gewisseOrdnung durchzuführen ist, und teilt die Lagerteil-nehmer ein in Kompanien und Gruppen, schafftfeste Grundsätze, beschreibt die Ausrüstung undführt Ab zeichen ein. Damit schafft er etwas Neues,das Parallelen zur englischen Pfadfinderbewegunghat.

    Der Paulus-Verein ist einer der etwa 20 Zweig-vereine des CVJM Stuttgart. 1906 zählt er 230, im

    Ulrich Bauer22

    In welchem Jahr hat die evangelische Pfadfinder-bewegung in Deutschland begonnen?

    Die ersten Pfadfinderabteilungen in Christlichen Verei-nen Junger Männer entstehen in Württemberg undFranken in der zweiten Jahreshälfte 1910. Aber man-ches tut sich bereits im Jahre 1909:

    In Berlin wird im Januar ein Verein für Jugendsport inFeld und Wald gegründet. – Englische Boy Scouts besu-chen im April Deutschland. – Alexander Lion veröffent-licht „Das Pfadfinderbuch“ im Mai. – Dieses Pfadfinder-buch wird, worauf Gustav Kerz in einem Brief an RobertDollinger 1947 hingewiesen hat, bereits 1909 in derSchülerabteilung des CVJM Nürnberg eifrig gelesen undpraktiziert. – Johannes Knehr beginnt im Frühjahr/Som-mer 1909 mit Pfadfinderzeltlagern. – Im Herbst 1909wird eigens eine Studienreise von CVJM-Vertreternnach England und Schottland geplant, die dann imMai/Juni 1910 stattfindet (s.u.).

    All das rechtfertigt es zu sagen: Nicht nur die konfessio-nell nicht ausgerichtete Bewegung, über die hier zuerstberichtet worden ist, begann im Jahre 1909. Auch füreine evangelische Pfadfinderbewegung gab es Impulsebereits in diesem Jahr!

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  • Jahr 1912 bereits fast 800 Mitglieder. Dort bildetKnehr drei Pfadfinder-Abteilungen (jeweils so großwie später ein Stamm). Christliches Pfadfinden brei-tet sich ziemlich rasch auf die anderen CVJM undevangelischen Jünglingsvereine innerhalb und au-ßerhalb von Stuttgart aus.

    Die Pfadfindergruppen sind nach militärischenVorbildern organisiert: Die drei Abteilungen desPaulus-Vereins sind die drei ersten Kompanien, zu-sammengefasst mit anderen Pfadfinder-Kompanienbilden sie ein Regiment. Alle Jungmännervereine ge-hören zum Süddeutschen Evangelischen Jünglings-bund (SEJB). Dieser erkennt die Bedeutung der„Pfadfindersache“ für seine Mitgliedsvereine schonsehr bald und regelt das Organisatorische 1912 miteiner Normalsatzung.

    Der SEJB führt im April 1912 einen „ersten Instruk-tionskurs für Pfadfinder“ durch. Dabei sind 50 Ver-eine durch 150 Teilnehmer vertreten. Neben Refera-ten (wie „Die Organisation der Pfadfindersache fürsich und im Rahmen des Vereins“) wird im Lokalund im Freien praktisch geübt, z.B. Flaggenwinken,Kartenlesen, Knotenschlingen und Eigenmaße. Esgibt einen Geländetag mit Abkochen und Kriegs-spiel. Die Empfehlung der Bundesleitung lautet, die„Entwicklung der Pfadfindersache innerhalb unsererVereine möglichst planmäßig zu gestalten und durchdie Pfadfinderarbeit das Vereinsleben in wertvollerWeise zu befruchten“ (Des Jünglings Freund 1912,S. 69–70).

    Im SEJB gibt es in ganz Württemberg kurz vorKriegsausbruch sechs Pfadfinderregimenter. Das 1. (Stuttgarter) Regiment war die Haupt-Wirkungs-stätte von Johannes Knehr.

    � Johannes Knehr

    Johannes Knehr wurde am 12. Mai 1874 geborenund starb am 21. September 1924 in Stuttgart. Sein

    Geburtsort ist nicht bekannt. Erist Bankbeamter. In Stuttgartwird er 1895 Vorstand des Pau-lus-Vereins, den er 1892 mit gegründet hat. Er ist dies bis1924.

    In der Chronik des CVJMStuttgart (1961) wird berichtet:„Er hatte eine faszinierende Re-degabe, gesunden Humor undeine außerordentliche Hingabean seinen PV. Er war im Jahr400- bis 500-mal ‚im Verein‘ …

    Die Losung Gustav Werners, des Gründers des Bru-derhauses in Reutlingen, war auch seine eigene‚Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert‘.“

    Knehr wird der Gründer und Führer („Pfadfin-der-General“) der württembergischen Pfadfinderbe-wegung: Unter Knehrs Leitung treten 1911 dieStuttgarter Pfadfinder beim Bundesfest des Süddeut-schen Evangelischen Jünglingsbundes erstmals öf-fentlich auf. Ein weiterer Höhepunkt in der Öffent-lichkeit ist 1913 die Pfadfinder-Ausstellung in derStuttgarter Gewerbehalle (� S. 31).

    Von 1911 bis mindestens 1918 ist Knehr Führerdes 1. Württembergischen PfadfinderregimentsStuttgart. Als solcher ist er damit wohl auch der Füh-rer des Korps, das zwischen 1911 und 1913 gebildetworden ist und das bis 1918 besteht. In der Nach-folge dieses Korps bildet Knehr im Juli 1920 die„Jungdeutsche Christliche Pfadfinderschaft“(JCP), deren Führer er ist.

    Im Auftrag der Nationalvereinigung der CVJMund Jünglingsvereine unterhält er eine Auskunft-stelle für die sogenannte Pfadfindersache; an die

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    Pfadfinderregiment Stuttgart, 1912

    PfadfindergeneralKnehr

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  • kann sich aus dem ganzen Reichsgebiet jeder um Ratwenden, der z.B. eine Pfadfinderabteilung aufbauenwill. Die Nationalvereinigung greift 1920 einen Ge-danken Knehrs auf, den er schon 1912 geäußerthatte (Der Pfad 1, 1. Jg. 1920, S. 9), nämlich allePfadfinderabteilungen unter einer gemeinsamen„Marke“ zu führen. Sie beschließt im September inNeudietendorf, die christliche Pfadfindersache inallen CVJM und Jünglingsvereinen unter demNamen „Jungdeutsche Christliche Pfadfinderschaft“zu führen (Richtlinien für die Jungdeutsche Christ -liche Pfadfinderschaft – Der Pfad 9, 1. Jg. 1920,S. 157; Wortlaut � S. 405).

    Die Bezeichnung JCP existiert jedoch nur biszum Juni 1921, weil der Begriff „jungdeutsch“ imNamen der Christlichen Pfadfinderschaft bei derFührertagung in Neudietendorf am 9. und 10. Juni1921 keine Mehrheit findet, wie im Protokollbuchder 4. Stuttgarter Kompanie vermerkt wird (Proto-kollbucheintrag vom 16. Februar 1922). Die Pfadfin-derabteilungen firmieren seit dem Juni 1921 unterder Bezeichnung „Christliche PfadfinderschaftDeutschlands“ (� S. 44).

    Knehr wird 1921 in Neudietendorf zum Ehren-reichsführer der CPD ernannt und ist damit Mitgliedder Reichsführerschaft bis zu seinem Tode 1924. Inseinen letzten Jahren ist er pfadfinderisch nichtmehr aktiv.

    � Impulse durch eine Studienreise nach England

    Wie kommt das pfadfinderische Gedankengut in die deutschen Jünglingsvereine und CVJM? „Vom24. Mai bis 21. Juni 1910 machte eine Kommissionvon 32 Theologen und 10 Vereinssekretären derNationalvereinigung der evangelischen Jünglings-bünde Deutschlands’ zum Zwecke der Klärung, Er-weiterung und Befestigung unserer Arbeitsmetho-den und Bereicherung unserer Kenntnisse fürunsere evangelische Arbeit an der Jugend undJungmänner arbeit des deutschen Volkes eine Stu -dienreise nach England und Schottland. Inwieweitsie Anregungen mitgebracht hat, die zur Begrün-dung der Pfad finderarbeit in Deutschland führten,

    lässt sich nicht mehr genau sagen. Die Annahmeliegt nahe, dass die Berichte der Kommission überdas, was sie in England gesehen und erlebt hatten,stark zur Entfaltung des deutschen Pfadfindertumsbeigetragen haben. An der Studienreise nahmen derStuttgarter Kunstmaler Bauerle und der spätereBundessekretär des Süddeutschen EvangelischenJünglingsbundes, Bruno Mehmke, teil, zwei der Ar-beit Knehrs sehr zugetane einflussreiche Männer“(Dokumentation 1960, S. 7). Johannes Knehr nimmtan der Reise nicht teil, wohl aber Gustav Kertz (� S. 26) aus dem CVJM Nürnberg.

    Der Aufbau christlicher Pfadfindergruppen ab1910 bleibt nicht auf Stuttgart beschränkt. In Würt-temberg entstehen Gruppen in Esslingen, Cannstatt,Reutlingen, Backnang, Geislingen, Waiblingen undLudwigsburg. Der SEJB legt Wert darauf, dass allePfadfindergruppen der Vereine in erster Linie zu denCVJM und Jünglingsvereinen gehören. Der Bundes-sekretär des SEJB, Pfarrer Christian Kohler, der auchReise-Teilnehmer der Studienkommission 1910 ge-wesen ist, formuliert in den von ihm 1912 erlasse-nen „Normalsatzungen für Pfadfinderabteilungen“:„Die Pfadfindersache ist in den Rahmen unsererGesamtarbeit als eine Sonderabteilung wie unsereTurn-, Posaunen- und Gesangsabteilungen einge-gliedert, denn jeder Pfadfinder ist selbstverständ-lich in erster Linie Mitglied des Jünglingsvereinsbzw. CVJM“ (Dokumentation 1960, S. 8).

    Nach der England-Reise entstehen Pfadfinderab-teilungen auch außerhalb von Württemberg, vorallem in Franken und Sachsen, aber auch im West-und Nordbund. In den übrigen CVJM- und Jünglings-bünden (Baden, Hessen, Ostbund, Pfalz-Saar, Schle-sien, Thüringen) gibt es spätestens nach dem ErstenWeltkrieg Gruppen (was wir mangels exakter Quel-len daraus schließen können, dass im Schrifttum,z.B. „Auf neuem Pfad“ zwischen 1921 und 1923,mehrfach erwähnt wird, dass es dort für diese nochkeine Bundespfadfinderschaften gibt oder sie ohneBundesführer sind).

    Mitgliederzahlen sind nur punktuell bekannt: inSachsen sind es 1913 etwa 1.800 Mitglieder in 86Vereinen, im 1. Pfadfinderregiment Stuttgart 1918(trotz des Krieges!) 1.348 Mitglieder. Im ganzen

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  • Reich gibt es um 1911 etwa 10.000 Mitglieder inchristlichen Pfadfinderabteilungen der Vereine (Rie-bold, ANP 6, 12. Jg. 1933, S. 233–238), wovon etwadie Hälfte in Sachsen und Württemberg organisiertist.

    � Christliche Pfadfindergruppenzahlreich auch in Sachsen

    Das Entstehen evangelischer Pfadfindergruppen inSachsen ist untrennbar mit dem Namen Fritz Rie-bold verbunden. Riebold wurde am 13. März 1888in Zeulenroda geboren und starb am 24. Dezember1968 in Stuttgart. Zunächst ist er Sattler, Tapeziererund Polsterer. Er lernt 1910 im Alter von 22 Jahrenals fahrender Geselle in Stuttgart die christlichePfadfinderarbeit kennen. Nach einem Lehrgang fürkirchliche Jugendarbeit wird er 1913 hauptamtlichBundesjugendpfleger für das Pfadfinderwesen imEvangelischen Jungmännerbund in Sachsen. ImLaufe der Jahre zeigt sich seine außerordentlicheschriftstellerische und dichterische Begabung. Nachdem Zweiten Weltkrieg wird Riebold in der Sächsi-schen Landeskirche zum Pfarrer ordiniert.

    Schon 1911 soll es laut Hiecke in Sachsen inzwölf Jünglingsvereinen Pfadfinderabteilungen gege-ben haben (Hiecke, S. 40). Fritz Riebold ist 1912Führer der Pfadfinderkompanie in Dresden-Blase-witz. 1913 übernimmt er auch die Führung desPfadfinderregiments, in dem die Pfadfinderabteilun-

    gen aller CVJM in Sachsen zusammengefasst sind.Aus den Gruppen dieses Pfadfinderregiments wirdab Mai 1919 der Sächsische Christliche Pfadfin-derbund.

    Fritz Riebold ist 1921 maßgeblich am Zusam-menschluss aller deutschen christlichen Pfadfinder-bünde zur Christlichen Pfadfinderschaft Deutsch-lands (CPD) beteiligt. Er gilt als Mitverfasser derNeudietendorfer Grundsätze und ist langjährigerSchriftleiter von CPD-Zeitschriften (z.B. „Auf neuemPfad“ ab 1923). Fritz Riebold ist der große Erzieherder CPD. Ihm geht es immer um die großen Dingedes Bundes und ihm verdankt die CPD, dass sie Ju-gendbewegung geblieben ist (Erbe des Wander -vogels, Fahrt- und Lagerleben). Riebold hat der CPDdas Liedgut der Singebewegung erschlossen.

    Nach einer Statistik des Evangelisch-LutherischenJungmännerbundes in Sachsen gibt es 1911 schonzwölf Pfadfinderabteilungen in CVJM oder Jünglings-vereinen, 62 im Jahr 1912 und 86 (mit 1.800 Pfad-findern) im Jahr 1913 (Hiecke, S. 40 und 95).

    � Nicht so zahlreich im West- und Nordbund

    Der Westdeutsche Bund ist 1906 mit 525 Vereinenund 36.000 Mitgliedern der größte im CVJM-Ver-einswerk. Er umfasst außer den Kerngebieten imRheinland und in Westfalen (heute: Nordrhein-West-falen) auch Kassel und Frankfurt.

    Die älteste nachweisbare evangelische Pfadfin-der-Gruppierung dort sind die BK-Pfadfinder („BK“steht für „Bibelkreis“ oder „Bibelkränzchen“), die1911 in Frankfurt gegründet worden sind. Sie treten1923 unter der Leitung von Paul Both in die CPDein, 1932 jedoch wieder aus. (Später werden die BK-Pfadfinder die Vorläufer der heutigen Heliand-Pfad-finderschaft in Hessen).

    In den Vereinen des Westbunds gibt es vor demKriege nur wenige Pfadfinderabteilungen, nachweis-bar z.B. in Dortmund (von 1911 bis 1915) und imLipper Land (etwa ab 1913); dort wird im November1921 der Gau Minden-Ravensberg-Lippe gegründet.Er ist damit wohl der älteste Gau der CP im West-bund.

    Die Anfänge: 1909–1918 25

    Fritz Riebold mit Sanitätsabteilung (1911)

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  • Das Besondere im Westbund ist, dass die dortentstandenen christlichen Pfadfindergruppen nochbis 1920 (neben ihrer Zugehörigkeit zum CVJM) alledem DPB angehören (Riebold 1933).

    Aus einem Bericht des Bundesführers des Nord -bundes, Ludwig Pott, aus dem Frühjahr 1925 wissenwir, dass 1911 im CVJM Hannover ein Pfad -findertrupp auf Anregung aus Stuttgart entstand und dass 1914 aus Anlass einer Pfadfinderausstellungdie „Bildung eines Landesverbandes“ erfolgte. AbFrühjahr 1920 gab es einen Neubeginn in Hannoverund ab 1921 „auch im gesamten Hannoverlande vonHannover aus“ (ANP 5, 4. Jg.1924/25, S. 175).

    � Gustav Kertz

    Das Entstehen christlicher Pfadfindergruppen vorallem in Nürnberg, danach in ganz Franken, ist aufdas Wirken von Gustav Kertz im CVJM in Nürnbergzurückzuführen.

    Er nimmt 1910 an der Studienreise nach Eng-land teil. Aufgrund eigener Pfadfindergruppen-Pra-xis veröffentlicht er bereits im Frühjahr 1911 einBuch mit dem Titel „Allzeit bereit – Erfahrungendeutscher Pfadfinder“, das als das Pfadfinderbuchder christlichen Pfadfinder bezeichnet werdenkann. Er weist einleitend auf seine 25 Jahre Erfah-rungen in den Schülerbibelkreisen hin: „Das, wasdie Pfadfinderbewegung brachte, war für mich undmeine Freunde durchaus nichts gänzlich Neues. ImGegenteil! Was neu und wertvoll ist, ist die Zu -sammenfassung unter einem großen, sittlichen Gesichtspunkte. So habe ich denn in dem vorlie -genden Büchlein gar manche alte Erfahrung mit ver-wertet. Auch von den Wandervögeln habe ich ge-lernt.“

    Das Pfadfinderwissen wird dort ähnlich wie inLions Buch kapitelweise unterrichtsmäßig darge-stellt. Eine besondere Stelle nehmen die abgedruck-ten Grundsätze ein, die möglicherweise anderen-orts entstanden sind. Denn sie sind bis auf zweiWörter identisch mit denjenigen in der Satzung des 1. Pfadfinderregiments Stuttgart von 1913

    (� S. 401). Die Grundsätze geben die wesentlichenInhalte der Pfadfindergesetze von BiPi wieder, ohneihnen aber in der Form zu folgen. Gottes Wort unddie christliche Gemeinschaft stehen an erster Stelle.Man spürt bei manchen Sätzen die pietistischeHandschrift.

    Zusammen mit Knehr und Riebold ist Kertz alseiner drei „Gründerväter“ der Christlichen Pfad -finderschaft anzusehen. Von 1909 bis 1912 war erSekretär des CVJM in Nürnberg und von 1912 bis1918 Generalsekretär des Nationalkomitees für Bibelkränzchen unter den Schülern höherer Lehr -anstalten.

    � Ein beachtlicher Bund in Franken und Bayern

    Im Königreich Bayern ist (mit Ausnahme von Fran-ken) die Mehrheit der Bevölkerung katholisch. Dieersten christlichen Pfadfinderabteilungen in Christ -lichen Vereinen Junger Männer entstehen daher imevangelischen Franken, und zwar 1910 in Nürnbergund Schwabach, aber auch im katholischen Würz-burg. Zwischen 1911 und 1913 folgen dann Fürth,Zirndorf, Neustadt a.d.A., Naila, Kitzingen, Schwein-furt, Aschaffenburg, Erlangen, Uffenheim, Weiden,Sulzbach und später Regensburg (1916), auch Ab -teilungen in verschiedenen BK-Gruppen, z.B. inNürnberg.

    Gustav Kertz beginnt schon im Sommer 1910 imCVJM in Nürnberg mit pfadfinderischen Aktivitäten.Im September 1910 finden wir in dem Monatsanzei-ger des CVJM Nürnberg den Hinweis: „Auch sonstsind noch so manche Anregungen von den engli-schen Pfadfindern, wie sie in dem Büchlein derbayerischen Vertreter auf der Englandreise ‚InFreundesland‘ beschrieben sind, auf unsere Ferien-fahrt ausgegangen.“ Auch Hermann Bauer, Feld-meister in Nürnberg, unternimmt von März bis Juli1913 eine Reise nach England, um „die englischePfadfinderbewegung kennen zu lernen“. Er berich-tet darüber in seinem Buch „Pfadfinder-Streifzügedurch das britische Inselreich“ (Bauer 1913). Mitihrem II. Bayerischen Pfadfindertag am 27./28. De-zember 1913 in Erlangen treten die evangelischen

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  • Pfadfinderabteilungen auch öffentlich in Erschei-nung.

    Die bayerischen CVJM und Jünglingsvereine gehören dem „Bayerischen Bund der ChristlichenVereine junger Männer und evangelischen Jüng-lingsvereine“ an. Darin gründen die Pfadfinderab-teilungen 1911 auf Burg Hoheneck bei Nürnbergden Bayerischen Christlichen Pfadfinderbund(BCPB) (dem Verf. mitgeteilt durch Helmut Raumam 27. Juli 2012).

    Die Ordnung des BCPB aus dem Jahre 1915 legtfest, dass dieser Bund eine Abteilung des Bayeri-schen Jünglingsbundes ist, dessen Grundlagen undZiele anerkennt und dass sich die Arbeit nach demHandbuch „Allzeit bereit“ richtet. Die organisato -rische Einteilung in Gruppen, Züge und Kompanienähnelt der württembergischen. Erster Landesfeld-meister ist von 1911 bis 1917 Alexis Freiherr vonGebsattel (Jg. 1867), ein königlich bayerischerOberstleutnant (Er muss 1917 zurücktreten, weilkirchliche Kreise – evangelische wie katholische –daran Anstoß nehmen, dass er als Katholik evangeli-sche Führungsämter innehat).

    Der BCPB ist 1914 in 12 Städten mit 20 Pfadfin-dertrupps hauptsächlich in Franken präsent, neundavon bilden das Erste Pfadfinderbataillon in Nürn-berg mit vier Kompanien zu je 50–60 Pfadfindern.

    Daraus lässt sich ungefähr eine Gesamtstärke desBCPB von 500 Personen schätzen.

    In Würzburg ist die Entwicklung ziemlich originell:Dort entsteht 1910 im CVJM eine Pfadfinderabtei-lung, die Teil des BCPB wird. Sie löst sich im Kriegauf, wird 1918 neu gebildet, tritt aber im Januar1921 aus dem CVJM aus und tritt der Christ lichenPfadfinderschaft bei, die sie im Oktober 1923 wie-der verlässt. Die Gruppe nennt sich danach Christ -licher Pfadfindertrupp Würzburg und gibt eine Mo-nats-Zeitschrift (Der Pfadfinder) heraus. Der Truppbleibt trotz seines Austritts aus dem CVJM Mitgliedim Reichsverband der Evangelischen Jungmänner-bünde Deutschlands.

    Es gibt Indizien dafür, dass nach dem ErstenWeltkrieg der Würzburger Trupp unter HeinrichBrummer zusammen mit CP-Gruppen in Kaufbeurenund München den BCPB wieder belebte, und dassBrummer dessen Landesfeldmeister etwa zwischen1923 und 1926 war. 1928 schließt sich der BCPB anden Jugendbund des Evangelischen Arbeitervereins(EAV) an (ANP 7, 7. Jg. 1927/28, S. 355f.). Brum-mer selbst gab in seinem Lebenslauf 1959 an, dassdieser Anschluss an den EAV als Unterabteilung be-reits 1925 erfolgte und dass er selbst seit 1927 be-ruflich beim EAV tätig war.

    Die Anfänge: 1909–1918 27

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