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Nr. 206 | 7. bis 20 August 2009 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass. Arbeitsplatz Rutschbahn – unterwegs mit dem Spielplatzinspektor Piratenpartei: Die Internetgeneration entert die Politarena Szwajcarska Produkt Polen pflücken Schweizer Früchte

Surprise Strassenmagazin 206/2009

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Surprise Strassenmagazin 206/2009

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Page 1: Surprise Strassenmagazin 206/2009

Nr. 206 | 7. bis 20 August 2009 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

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Piratenpartei: Die Internetgeneration entert die Politarena

Szwajcarska ProduktPolen pflücken Schweizer Früchte

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UMWELTBEWUSST

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Inhalt04 Editorial

Knechte aus dem Osten04 Leserbriefe

Surprise statt Medienschrott05 Basteln für eine bessere Welt

Kasperlitheater im Leutschenbach06 Aufgelesen

Auf Nimmerwiedersehen06 Zugerichtet

Anschauungsunterricht07 Mit scharf

Komödiantenstadel in Bundesbern07 Erwin

… findet Arbeit08 Porträt

Bretter, die die Welt bedeuten15 Strassenfussball

WM-Test gegen Häberli und Hofer22 Wörter von Pörtner

Amiland ist abgebrannt23 Neue Volksmusik

Alpentöne am Gotthard24 Kulturtipps

Konfusion unter freiem Himmel26 Ausgehtipps

Pack die Badehose ein28 Verkäuferporträt

«Ich bin mein eigener Chef»29 Projekt Surplus

Chance für alle!Starverkäufer

30 In eigener SacheImpressumINSP

Gemüse und Früchte müssen von Hand geerntetwerden. Bauern finden in der ganzen Schweiz bei-nahe niemanden, der diese Arbeit für sie macht.Deshalb lassen sie Erntehelfer aus Osteuropakommen. Sie nehmen harte Arbeit und wenig Lohnin Kauf, denn in der Heimat ist das Geld goldwert.

18 LandwirtschaftDie Fruchthelfer

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Titelbild: iStockphoto (Szwajcarska Produkt: polnisch für Schweizer Produkt)

Illegale Kopien von Musik und Filmen, Killerspiele,Mail-Überwachung – im Internet tobt ein Kampf umFreiheit und Kontrolle. Jetzt gehen die Computer-freaks in die Offensive. Weil die etablierten Parteienkeine Antworten auf die Herausforderungen des Digi-talzeitalters haben, entern nun die Piraten die Politik.

12 SicherheitKontrolle auf der Rutschbahn

Damit die Kinder unbeschwert toben können, inspi-ziert Andreas Hochstrasser regelmässig die Frei-zeitanlagen der Stadt Zürich. Als Spielplatzinspektorsteigt er auf Schaukeln und Spieltürme und suchtdie Balance zwischen Abenteuer und Sicherheit.

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10 Neue ParteiPiraten gegen Zensur

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Ihre Meinung!Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20,

Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, [email protected]. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt,

die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

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FRED LAUENER,

GESCHÄFTSFÜHRER

EditorialVon Knechten und Piraten

Bis zu 15000 ausländische Saisonarbeiter hel-fen jedes Jahr auf Schweizer Bauernhöfen mit,die Ernte einzubringen. Weil die Arbeit schwerund der Lohn gering ist, ist für die Bauern dasbenötigte Personal auf dem heimischen Ar-beitsmarkt schlicht nicht zu finden. Doch ob-schon die zumeist osteuropäischen Erntehelferlängst zum Bild der Schweizer Landwirtschaftgehören, sind sie als Thema heikel. Manch einBauer, der sich von Polen, Rumänen oder Slo-waken helfen lässt, ist schon als Leuteschinderund Ausnutzer hingestellt worden. Den Ein-druck, den die Knechte aus dem Osten bei Redaktorin Julia Konstantinidis hinterliessen,als sie für die Reportage in dieser Ausgabe re-cherchierte, war zumindest vordergründig einanderer. Für ein paar Monate Arbeit erhaltendie Erntehelfer mehr Lohn als sie im eigenenLand in einem ganzen Jahr verdienen könnten(sofern sie dort überhaupt Arbeit finden). DieBauern andererseits bekommen für bescheide-nes Geld überdurchschnittliche Leistung. DerDeal scheint fair. Er ist es aber nur, solangeauch fair gespielt wird. Seite 10.Die grassierende Regulierungswut in bald allenLebensbereichen hat auch ihr Gutes: Sie schafftneue Berufe und Aufgaben. So gelten beispiels-weise bei Bau und Unterhalt von Kinderspiel-plätzen die europäischen Normen EN 1176 undEN 1177. Um die strengen Vorschriften einhal-ten zu können, braucht es spezielles KnowHow. Deshalb gibt es seit einigen Jahren so-genannte «Spielplatzinspektoren». Ein eigent-licher Traumjob. Redaktor Reto Aschwandenberichtet ab Seite 14.Schliesslich möchte ich Ihnen den kurzen aberprägnanten Artikel von Stefan Michel über dieneueste Gruppierung in der Schweizer Polit-landschaft empfehlen. Wie ein Lauffeuer ver-breitet sich derzeit die aus Schweden stam-mende «Piratenpartei» über den Kontinent. Wiein der analogen Schweiz von gestern eine so-genannte Autopartei «freie Fahrt für freie Bür-ger» forderte, verlangt die Piratenpartei vonheute freien Zugang zu Kulturgütern, sprichfreies Kopieren aus dem Internet ohne Ende.Seite 12.

Herzlich,

Leserbriefe«Habt ihr noch mehr der spannenden, nach-denklichen, grauenvollen Kurzgeschichtenin petto? Der Sommer dauert an …»

Nr. 205: «Lesen!»

Surprise statt MedienschrottWir sind regelmässige Käufer von Surprise.Dabei fällt uns immer wieder auf, dass Sie mitoriginellen Artikeln unser Interesse finden.Ebenso erfreuen wir uns an der graphischenGestaltung des Hefts – und die künstlerischen Illustrationen von Priska Wenger sind einzig-artig. Die Sommer-Badi-Lesenummer zeugtvon kreativer, guter Redaktionsarbeit. Ihr Ni-veau grenzt sich in jeder Beziehung positivvom Medienschrott ab, der uns heute zugemu-tet wird.Eva und Kurt Müller, Bubendorf

GlückwunschEin sehr schönes Heft haben Sie da gestaltet,Glückwunsch!Alex Capus, per E-Mail

GrandiosHerzlichen Dank für die aktuelle Ausgabe mitden spannenden und hochwertigen Kurzge-schichten! Grandios!Jasmin Ihr, per E-Mail

KurzweiligHerzlichen Dank für das ausgezeichnete «Le-sen»-Magazin. Habt ihr noch mehr der span-nenden, kurzweiligen, nachdenklichen, grau-envollen Kurzgeschichten in petto? Der Sommerdauert an …Bernhard Keller, Pratteln

Zum Tod von Maria Kata StrazewskiTraurig und tief betroffen müssen wir bekannt geben, dass dieCo-Leiterin unseres Chorprojektes

Maria Kata Strazewski

am 6. Juli 2009 bei einem Autounfall während den Ferien umsLeben gekommen ist. Maria war verantwortlich für die individuelle Stimmbildung unddie gesangliche Arbeit in der Gruppe. Ihr grosses Engagement,ihre Energie und ihre herzliche, offene Art machten sie nebst dereigentlichen Arbeit zu einer wichtigen sozialen Bezugsperson fürdie Sängerinnen und Sänger. Nur wenige Tage vor dem tragischen Unglück lachte, tanzte und sang Maria noch mit dem Chorauf der Bühne des Wildwuchs-Festivals in Basel. Es ist schwer zu akzeptieren, dass es das letzteMal war.

Unsere Gedanken sind bei Marias Ehemann Piotr und allen Angehörigen.

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Basteln für eine bessere WeltNach Gotthelf, den 50er-Jahren und den Pfahlbauern dürfen jetzt ein paar stramme Schweizer und Schweizerinnen auf SF TV das Leben im Réduit nachspielen. Surprise verzichtet auf dieses Trauerspiel und bastelt sich stattdessen sein eigenes Kasperlitheater.Anleitung: Grosse Schachtel seitlich aufstellen. Die Seitenwände der Schachtel nach aussen klappen. Boden mit einem Rahmen von10 cm ausschneiden. Das Theater mit Farbe und Vorhängen verzieren. Die Kasperlifiguren auf Karton malen, ausschneiden und an einen Holzstängel kleben – Vorhang auf!

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Grosse Schachtel seitlich aufstellen. Die Seitenwändeder Schachtel nach aussen klappen.

Boden mit einem Rahmen von 10 cm ausschneiden.Überflüssigen Karton abschneiden.

Die Kasperlifiguren ausschneiden und an einen Holzstängel kleben.

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AufgelesenNews aus den 90 Strassenmagazinen,die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Alleinerziehende Väter

Hannover. In Deutschland erziehen 350 000Väter ihre Kinder allein, so das Resultat einerStudie der Technischen Universität Dort-mund. Die meisten von ihnen übernehmendiese Aufgabe nach einer Scheidung oderdem Tod ihrer Partnerin. Rund 60 Prozentdieser Väter arbeiten Vollzeit. Viele von ih-nen leiden darunter, dass der Arbeitgeber ih-nen weniger zutraut, seit sie alleinerziehendsind. Sie wünschen sich bessere Kinderbe-treuungsangebote und besondere finanzielleZuwendungen vom Arbeitgeber.

«Ich hatte ein Leben»

Hamburg. W. Kepper, 55, Strassenzeitungs-verkäufer in Hamburg: «Ich war ein tüchtigerMittelständler, arbeitete 16 Stunden am Tagin meiner Firma. 17 Mitarbeiter waren be-schäftigt. Irgendwann verlor ich meinenHauptkunden. Ich fand keinen neuen Auf-trag in dieser Grösse, musste die Leute ent-lassen, die Firma schliessen. Schulden, Ehekaputt, Zwangsräumung. In meiner Stadtkannte man mich. Da war ich wer. Als icham Ende war, zog ich weg und kam nie mehrzurück. Meine Kinder habe ich seither nichtwieder gesehen.»

Junge Obdachlose

Salzburg. Rund 40 Jugendliche leben in Salz-burg auf der Strasse. Viele von ihnen habenes zu Hause nicht mehr ausgehalten, einigesind aus betreuten Wohngemeinschaftenoder der Jugendpsychiatrie rausgefallen. «Ofthaben diese Jugendlichen eine Persönlich-keitsstörung im sozialen Bereich und könnensich schwer integrieren», sagt Pavo Janjic-Baumgartner, Leiter der Salzburger Jugend-beratung. Je länger sie auf der Strasse leben,desto kleiner wird die Chance, dass sie irgend-wann wieder ein Dach über dem Kopf haben.

ZugerichtetRichter ohne Robe

Die Schüler, die von ihrem Staatskundelehrerins Bezirksgericht Zürich geführt werden, umdurch Anschauung zu lernen, wissen: In Hollywood tragen Richter schwarze Roben,womöglich noch gepuderte Perücken undklopfen mit dem Hammer auf das Pult. DerAngeklagte muss auf die Bibel schwören, dieWahrheit zu sagen und nichts als die Wahr-heit. Melodramatisch wandert der Staatsan-walt im Saal umher, schiesst unvermittelt aufden Zeugen zu und unterzieht ihn einemscharfen Kreuzverhör. «Einspruch, Euer Eh-ren», ruft der Verteidiger zwischendurch undhält die besten Argumente bis zur letzten Sekunde als Trumpf im Ärmel.Aufgeregt schnatternd nehmen die Schülerim hellen und modern eingerichteten Ge-richtssaal auf den Zuschauerrängen Platz.Zum ersten Mal sind sie live bei einer Ge-richtsverhandlung dabei. Auf dem Programmsteht «schwere fahrlässige Körperverletzung».Angeklagt ist der Hauswart einer Badean-stalt. Der Richter, der mit einem Anzug vonder Stange gekleidet ist, begrüsst ihn und sei-ne Übersetzerin freundlich. Sie muss jedesWort ins Italienische und zurück ins Deut-sche übersetzen. Die Befragung zieht sich indie Länge. Der Fall ist fad und diffus.Ein von der Justiz zu gemeinnütziger Arbeitverdonnerter Kroate sollte eine 5,4 Meter ho-he Wand der Sportanlage neu streichen. Umbis zur Kante zu gelangen, stellte er eineBockleiter aufs Rollgerüst – eine wacklige An-gelegenheit. Prompt stürzte er auf den Asphalt und zog sich dabei schwere Verlet-zungen an den Handgelenken zu. Seitdembezieht der Kroate eine Invalidenrente von

30 Prozent. Der Hauswart soll ihn angewiesenhaben, die Leiter aufs Rollgerüst zu stellen, be-hauptete er gegenüber der Staatsanwaltschaft.Anders als in den Gerichtsserien sind bei dieserVerhandlung weder der Kläger noch der Staats-anwalt oder Zeugen zugegen. Die Aussagenund Anträge wurden vorab schriftlich festge-halten. Der Sachverhalt wird als bekannt vo-rausgesetzt. Nur der Angeklagte muss vor Ge-richt erscheinen, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Er bestreitet, seinen Gehilfen zudiesem Manöver angestiftet zu haben. Wie siedenn kommuniziert hätten, will der Richterwissen. Er – der Angeklagte – spreche ja nurItalienisch und der Kläger seine Landessprache.«Mit Händen und Füssen», sagt der Hauswartund hebt sie zum Augenschein in die Höhe.Es ist eine matte Veranstaltung. Der Richter oh-ne Schärfe, der Verteidiger ohne Schwung, derAngeklagte maulfaul. Statt der Kraftausdrücke,mit denen die TV-Streithähne um sich werfen,geht es im Real Life sachlich zu. Ein Prozesssoll fair sein – und die Verhandlungsführungsetzt nicht auf Effekte. Das enttäuscht die fern-sehgeprägten Schüler.Zäh fliesst die Zeit dahin. Einige Schüler kön-nen das Gähnen kaum unterdrücken, anderefangen an, mit den Beinen zu wippen und rut-schen auf den Stühlen herum. Endlich, nachzwei Stunden ist die Gerichtslektion zu Ende.Die Aussagen des Klägers seien widersprüch-lich, findet der Richter und spricht den Ange-klagten frei. Er erhält eine Prozessentschädi-gung von 3850 Franken. «Va bene cosi», sagtder Angeklagte dumpf. Die Schüler haben et-was fürs Leben gelernt: Die Wirklichkeit kannder Fiktion nicht standhalten.

ISABELLA SEEMANN ([email protected])

ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

([email protected])

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VON FRED LAUENER

Was haben die Damen und Herren Brunschwig-Graf, Lüscher, Brun-ner, Darbellay, aber auch Pelli, Schwaller, Broulis, Roth oder Chassotmiteinander gemeinsam?

Sie alle sind Darsteller in der Sommerkomödie «Die Schweiz sucht ei-nen Bundesrat». Die Handlung ist mega, die Dialoge sind cool: Im Zwie-licht des hinteren Teils der Bühne zupfen der hübsche Christian und sei-ne Gefährtin Martine im Schneidersitz zart an den Blütenblättchen ihrerblauen Parteiblümchen. Dazu wiederholen sie immer wieder verzücktund leise den Satz «Sie wählen mich, sie wählen mich nicht.»

Genialer Regieeinfall, nicht wahr? Aber es kommt noch besser: Denn plötzlich fällt der lustige Toni vom

Heuboden seines Kuhstalls auf die Bühne und plappert los wie JörgSchneider in seinen besten Zeiten als Kasperli. Tratra trallalla, fragt derKasperli in unserem Stück, seid ihr alle da? Ich auch, hihihaha, scherztdas lustige Kerlchen, um sogleich dem Publikum einen Schrecken ein-zujagen. Er sei heute nämlich nur gekommen, um das verehrte Publi-kum vor dem Krokodil zu warnen, das sich gerade mit einem geheimenPlan ins Theater schleiche. Seit im Kasperliland ein neuer König gesuchtwerde, fresse sich das böse Tier durch alle braven Herden im Land, da-mit nur bloss ja kein weisses Schaf neuer König werden könne. PotzHolzöpfel und Zipfelchappe, das ist eine Verschwörung, wenn das dieGrossmutter wüsste.

Das Krokodil heisst Christophe. Es hat hinter den Kulissen alles mit-gehört, kriecht nun behäbig auf die Bühne und öffnet sein grosses Maul:Nichts sei wahr von dem, was der Kasperli verzapft hätte, behauptet es.Ganz im Gegenteil! Es sei ein Krokodil mit Stil und Kultur und wenn esum Menschenfleisch gehe, könne es auch vegetarisch. Jawohl, so sei es,und der Toni lüge schon wieder.

AblenkungstheaterDie Schweiz sucht einen Bundesrat

ERWIN findet Arbeit VON THEISS

Dann geht der lustige Schwank weiter. Er wird uns noch eine ganzeWeile erfreuen. Erst am 16. September wird der letzte Vorhang fallen.

Inszeniert wurde das Spektakel von Pascal Couchepin am Schluss derSommersession, als er seinen Rücktritt aus dem Bundesrat bekannt gab.Couchepin wusste, dass seine Nachfolge zum beherrschenden Sommer-lochthema werden würde und andere, auch wichtigere politische The-men unter dem Deckel bleiben würden.

Das heisseste Eisen, das Couchepin diesen Sommer auf keinen Fallim Fokus haben wollte, ist die Abstimmungsvorlage vom 27. Septemberzur Invalidenversicherung IV. Dann wird über eine befristete Erhöhungder Mehrwertsteuer als Beitrag zur dringend nötigen Sanierung der IVabgestimmt. Die Vorlage ist umstritten, insbesondere die SVP bekämpftsie vehement. Eine öffentliche Debatte findet jedoch bisher praktischnicht statt.

Sich selbst der Nächste setzte Bundesrat Couchepin die Prioritätenanders. Mit seiner taktisch präzisen Rücktrittsplanung und dem damitverursachten Medienhype um seine Nachfolge hat er ein Ablenkungs-manöver inszeniert, um eine neuerliche hässliche Abstimmungs-Schlammschlacht der SVP gegen seine Person zu verhindern. Der Sacheist damit kein Gefallen getan. Sich selber schenkt Couchepin aber viel-leicht einen doch noch einigermassen versöhnlichen Abschied aus demBundeshaus. Um seine politische Hinterlassenschaft möchten sich dannbitte die Kollegen aus dem Ensemble kümmern, bekannt aus der Reihe«Die Schweiz sucht einen Bundesrat», dem heurigen Sommerkracherauf allen Kanälen. ■

Pascal Couchepin hat mit seinem Rücktritt aus der Landesregierung ein Sommertheater inszeniert, das vonden wirklich heissen politischen Themen ablenkt. Schlau gemacht, Monsieur le Conseiller fédéral.

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VON MICHÈLE FALLER (TEXT) UND DOMINIK PLÜSS (BILD)

Hinter dem Tresen steht ein schlanker Mann mit Glatze und Turn-schuhen und macht Kaffee. Draussen vor der Glastür plätschert der Regen, doch hier drin ist es gemütlich warm und trocken. «Gut herge-schwommen?», fragt er freundlich und trägt die Kaffeetassen zum altenHolztisch mit den knarrenden Bänken.

Uwe Heinrich, Leiter des jungen theater basel, setzt sich, nimmt einen Schluck Kaffee und stellt klar: «Ich habe noch nie mit Profischau-spielern gearbeitet, aber das interessiert mich auch überhaupt nicht.»Natürlich kennt der Theaterpädagoge und Dramaturg die Arbeit mit pro-fessionellen Schauspielern vom Zuschauen oder dramaturgischen Be-gleiten her. Doch wie gesagt: Sein Hauptinteresse gilt der Arbeit mit Jugendlichen, denn anders als bei Profis müsse man dort auf die Per-sönlichkeit der Spieler achten: «Ich glaube, es gibt bei Jugendlichen kei-ne Begabung an sich.» Doch wenn man wisse, wie jemand ticke, könneman ihn für eine bestimmte Rolle perfekt besetzen. «Wahrscheinlichspielen junge Leute deshalb so fantastisch, weil sie viel von sich selbereinbringen», überlegt Heinrich. Auch das noch nicht Festgelegte, Su-chende fasziniert ihn: «Die Jugendlichen sind noch nicht ganz fertig.» Erschmunzelt: «So kann ich mich der Illusion hingeben, dass mein Tun relevant ist.»

Das ist wohl der Bescheidenheit zu viel. Schliesslich wurde Uwe Hein-rich letzten November für seine Verdienste ums junge theater basel mitdem Kulturpreis der Stadt Basel ausgezeichnet. Er hat das Renommé derseit 1977 bestehenden Talentschmiede stetig vergrössert. Die professio-nellen Inszenierungen für Jugendliche werden an Theaterfestivals im In-und Ausland eingeladen und heimsen immer wieder Preise ein.

Der 1965 in Dresden geborene Heinrich schmeisst den Laden bereitsseit bald zehn Jahren. Er sucht für ein Publikum zwischen 14 und 24Jahren relevante Stücke aus, organisiert Regis-seure, Spieler, Bühnenbild, Musik. «Das sindmeine offiziellen Aufgaben», sagt der Theater-leiter. «Von meiner Ausbildung, meinem We-sen und meiner Leidenschaft her mache ich al-les unter theaterpädagogischen Gesichtspunkten.» Und wer ihm einmaldabei zugesehen hat, der weiss, wie viel Spass das auf beiden Seitenmacht, und was für Energien da freigesetzt werden.

Pädagogisch war der heutige Theaterleiter früher schon tätig. Nochin der DDR war er Lehrer im Fach Kunsterziehung, allerdings nur zwei-mal drei Monate lang. «Ich bin gescheitert in der Schule», sagt Heinrichohne Umschweife. «Bei mir war immer wildes Chaos; die sind über dieTische und Bänke gelaufen.» Eigentlich hätte er drei Jahre an dieserSchule ausharren müssen. «So hast du in der DDR quasi dein Studiumzurück bezahlt; mit der Verpflichtung, dort zu arbeiten, wo dich derStaat braucht.» Doch nach den zwei dreimonatigen Einsätzen, unter-brochen von Armeedienst – «Auch so eine Staatspflicht …» –, fiel die

PorträtKunst und jugendlicher ÜbermutUwe Heinrich leitet das junge theater basel. Hier kann er tun, was er auch in seiner Freizeit am liebsten macht:ins Theater gehen, Ausstellungen besuchen – und darüber reden.

Mauer, und der unglückliche Lehrer war erlöst. In Berlin studierte erTheaterpädagogik und arbeitete darauf in einem Puppentheatermuseumin der Nähe Dresdens als Museumspädagoge. Seine innovativen Füh-rungen, bei denen er die kostbaren Puppen aus den Vitrinen nahm,stiessen bei den Vorgesetzten allerdings auf wenig Begeisterung. «Ichliess die Kasperfigur die Führung machen und seine Puppenkollegenaus der Vitrine nehmen – und bin deswegen mit Ach und Krach geflo-gen.» Er versteht den Rauswurf rückblickend, muss aber trotzdem einbisschen spotten: «Kaum hat etwas einen Inventarstempel auf demArsch, ist es gleich viel wert wie die Sixtinische Madonna.»

Nach seiner Zeit am Theater Junge Generation in Dresden – «Ein Kinder- und Jugendtheater in der Grösse eines Stadttheaters!», erklärt ermit leuchtenden Augen – verschlug es Heinrich 1996 nach Basel: Erübernahm die Leitung des Kindertheaters Spiilkischte, von dem erschon längere Zeit Fan war. Heimweh nach Dresden hat er mittlerweilekeins mehr. Er sei ja auch schon ewig weg und lebe gerne in Basel. Sei-ne Eltern besuche er noch ab und zu, doch vor allem seit seine 22-jäh-rige Tochter nicht mehr dort wohne, verbinde ihn nicht mehr so viel mitseiner Heimatstadt. «In Dresden kennt auch nicht jeder jeden; hier inBasel sind alle miteinander verbandelt oder kennen sich über den Götti», sagt er lachend.

Nun steht Heinrich auf der leeren Bühne, blickt umher und meint, erhabe kein Problem mit dem Nichts: «Wenn 15 Jugendliche hier drinsind, ist die Bühne voll – auch ohne Bühnenbild.» Der Mann ist ein The-aterpädagoge mit Leib und Seele: Bei der aktuellen Theaterkurs-Pro-duktion «the point of no return – do hilft au kei bümpli» geht es um Po-litikbewusstsein und gleichzeitige Untätigkeit. Ein Thema, das die Jungenbewegt. Dass die Inszenierung nicht moralinschwer daherkommt, zeigtder Flyer, den Heinrich grinsend hervorkramt und auf den Tisch legt:Ein monströses Dekolleté, bestehend aus zwei in ein Unterleibchen ge-

zwängten Weltkugeln, macht den Ernst der Lage mit kräftigem Augen-zwinkern deutlich. Und damit ganz sicher keine Missverständnisse auf-kommen: «Wir machen hier nicht Sozialarbeit mit Theaterkursen, son-dern Kunst mit sozialem Anspruch.» Wenn der Theaterleiter etwas sagt,das auch nur ansatzweise elitär klingt, schiebt er eine Relativierungnach: «Alles spielt sich einigermassen auf der Ebene der Jugendlichenab. Deshalb können wir gar keine Kunstkacke produzieren.»

Uwe Heinrich lässt den Blick kurz in die Ferne schweifen und stelltfest, dass er am jungen theater basel genau das mache, was er auchsonst in seiner Freizeit gerne tun würde, falls er denn welche hätte: insTheater gehen, Ausstellungen besuchen, über Kunst reden. Der wortge-wandte Mann hält einen Moment inne und lächelt dann zufrieden. ■

«Bei der Theaterarbeit mit Jugendlichen kannstdu gar keine Kunstkacke produzieren.»

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Seit den Betreibern der Internettauschbörse «The Pirate Bay» der Prozess gemacht wurde, stechen in der ganzen Welt Piratenparteien in See und entern die politische Diskussion umRechtsfragen im digitalen Zeitalter.

Neue ParteiDie digitalen Seeräuber

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VON STEFAN MICHEL

Diese Geschichte beginnt in einer Piratenbucht im digitalen Meer desInternets, und sie schlägt weltweit Wellen, die inzwischen auch dasBinnenland Schweiz erreicht haben. «The Pirate Bay» ist eine der gröss-ten Internettauschbörsen der Welt. Geschätzte 22 Millionen Menschenbieten sich dort gegenseitig Musikstücke, Filme, Spiele oder Computer-programme an. Deren Vermarkter – Plattenfirmen, Filmproduzenten, Game-Hersteller usw. – sehen sich um ihre Urheberrechte betrogen, dieihnen normalerweise einen wesentlichen Teil ihrer Einkünfte bescheren.

Weil «The Pirate Bay» von Schweden aus unterhalten wird, klagt derWeltverband der Phonoindustrie dort gegen die Betreiber. Vier Personenwerden Mitte April dieses Jahres in einem Auf-sehen erregenden Prozess zu einem Jahr Ge-fängnis und einer Busse von 2,7 Millionen Euro verurteilt. Schon drei Jahre vorher habensie und ihre Mitstreiter die Piratenpartei ge-gründet. Ihr primäres Ziel ist die Reform des Urheberrechts und spezielldie Legalisierung des Austauschens digitaler Dokumente – also der Ge-setze, derentwegen sie vor Gericht stehen. Das harte Urteil, sechs Wochen vor der Europaratswahl gefällt, entpuppt sich für die selbster-nannten Seeräuber als politischer Goldschatz: Aus dem Nichts erreichensie in Schweden 7,1 Prozent der Stimmen und erbeuten einen Sitz imEuropaparlament.

Kurs auf die SchweizIn 24 Ländern kreuzt inzwischen eine Piratenpartei. Eine der jüng-

sten ist jene der Schweiz. Wofür kämpfen die Seeräuber? Freies Fischenfür alle im weltweiten Netz? Freiheit für die verurteilten Betreiber derPiratenbucht? Denis Simonet, 24-jähriger Informatikstudent an derETH und Präsident der Piratenpartei der Schweiz (PPS), klärt auf: «Wirwollen freien Zugang zu Kulturgütern, die Wahrung unserer Grund-rechte, insbesondere der Privatsphäre und informationeller Selbst-bestimmung, und wir sind gegen schädliche Monopole, welche eine Folge des geltenden Patentrechts sind.»

Noch haben die Schweizer Piraten kein eigenes Programm und be-rufen sich auf jenes des schwedischen Mutterschiffs. Im Forum auf derPartei-Website wird eifrig diskutiert. In den Grundsätzen sei man sicheinig, in den konkreten Forderungen und Vorschlägen noch nicht, er-klärt Simonet. Das liegt wohl auch an der unterschiedlichen politischenHerkunft der Schweizer Seeräuber. Es seien Leute aller politischer Couleur dabei, vom SVP-Anhänger bis zum SP-Wähler, erklärt er. Dieallermeisten verbringen sehr viel Zeit vor dem Computer und habenüberdurchschnittliche Kenntnisse in der Informationstechnologie. Manfinde sich im Anliegen eines möglichst freien Internets und dem Schutzvor Überwachung ganz allgemein. «Wir sind die digitale Generation.Wir sind mit Computern aufgewachsen. Den meisten Politikern fehltdas Verständnis und das Wissen, um vernünftig über diese Themenentscheiden zu können», erklärt der Seeräuberhäuptling selbstsicher.

Warum aber gründet diese digitale Bewegung, die als Facebook-Gruppe richtig ins Rollen kam, so etwas Schwerfälliges und Altmodi-sches wie eine Partei. «Wir wollen politisch ernst genommen werdenund unsere Anliegen in die politischen Gremien tragen. Hätten wir einen Verein gegründet, würde das niemand zur Kenntnis nehmen.»Zufrieden fügt er an: «Seit der Gründung der Facebook-Gruppe warenwir in allen grossen Zeitungen der Schweiz, in der Tagesschau und aufmehreren Radiokanälen. Zumindest die Medien nehmen uns ernst.»

Wer hat Angst vor der schwarzen Flagge?Mit ihrer gezielten Mobilisierung der Internet-affinen Jugend fischen

die Piraten in den Gewässern anderer Jungparteien. JUSO-PräsidentCédric Wermuth ist an der Gründungsversammlung der Piratenparteidabei gewesen und hat den Politneulingen den einen oder anderen

Tipp gegeben. Dass diese den Jungsozialisten Stimmen rauben könn-ten, glaubt er nicht. «Als Partei im eigentlichen Sinn wird es für sie sehrschwierig. Dafür gibt es in der Schweiz schlicht keine politische Nische,die sie besetzen könnten. Auch müssten die Piraten dann thematischdeutlich breiter werden.» Auch Erich Hess, Vorsitzender der JungenSVP, hat keine Angst vor der schwarzen Flagge: «Sicher können sie ge-wisse Leute abholen. Dass sie sich mit nur einem Thema in der ganzenSchweiz halten können, bezweifle ich.»

Den Anliegen der Piraten stehen sowohl der Links- wie der Rechts-politiker wohlwollend gegenüber. Hess hält fest: «Die Piratenparteikämpft für möglichst viel Freiheit im Netz, wir kämpfen für eine mög-lichst freie Gesellschaft. Damit kämpft sie für etwas, wofür wir schon

lange kämpfen.» Wermuth sieht Möglichkeiten der Zusammenarbeit:«Mit der Lobbyarbeit in ihren Kernthemen kann sie eine Ergänzung zurJUSO sein, ähnlich dem VCS oder der GSoA. In der Frage der Killer-spiele sind wir zum Beispiel einer Meinung.» Die Piratenpartei hält einmögliches Verbot von sogenannten Ego-Shootern für einen unzulässi-gen Eingriff in die persönliche Freiheit und ausserdem für völlig wir-kungslos, um Gewalttaten zu vermeiden.

«Mit der Netzpolitik greift die Piratenpartei ein wichtiges, neuesThema auf», findet auch Politikforscher Michael Hermann von der Uni-versität Zürich. Dass sie den Erfolg ihrer schwedischen Vorbilderwiederholen können, glaubt er nicht. «Wahlen haben hier weniger Pro-testcharakter. Wenn zur rechten Zeit eine populäre Website verbotenwird, ist vielleicht ein Achtungserfolg möglich, mehr aber auch nicht.»Der Grund: «Parteien ohne weltanschauliches Profil setzen sich in derSchweiz nicht durch.» Mit ihrer an der Gründung geäusserten Losung,weder links, noch rechts, sondern vorne zu politisieren, lassen sich gemäss Hermann kaum Wählerstimmen gewinnen. Ein allfälliger Pira-tenparlamentarier wird zu mehr als 95 Prozent nicht über digitale The-men befinden müssen, sondern über Fragen wie die Ausgestaltung derSozialwerke, Verträge mit der EU oder Umweltrichtlinien. Schwer vor-stellbar, dass sich die rechten und linken Piraten in diesen Punkten einig werden.

«Wir diskutieren das», sagt Simonet. «Eine Möglichkeit wäre fürmich, dass wir auf der Liste angeben, ob jemand bei Nicht-Piratenthe-men eher die SVP- oder die SP-Linie vertritt.» Vorerst steht aber das Fei-len an den eigenen Positionen im Vordergrund. «Die Lösungen, die wiranstreben sind einfach, vernünftig und pragmatisch», verspricht derPräsident. Ein Verbot von Killerspielen bringe ebenso wenig wie dasStoppschild, das seit Kurzem indizierten Kinderporno-Websites vorge-schaltet ist – nach diesem Hinweis könne man deren Inhalt trotzdem ansehen. «Kinderpornoseiten gehören abgeschaltet – fertig! Das Stopp-schild macht es sogar noch einfacher, sie zu finden.» Für Simonet, derneben dem Studium beim Bund als Software-Tester arbeitet, ein Para-debeispiel für den mangelnden Sachverstand von Politikern und Be-hörden in digitalen Fragen.

Keine Angst hat der Jungpolitiker vor Beutezügen der etablierten Par-teien auf die Themen der Piraten – im Gegenteil. «Wir wollen nicht unbedingt als Partei gross werden, sondern, dass sich unsere Ideendurchsetzen. Wenn das andere Parteien übernehmen, ist uns das recht.Dann braucht es uns nicht mehr.» Dann dürfte die schwarze Flagge baldam Horizont verschwinden. ■

«Parteien ohne weltanschauliches Profil setzensich in der Schweiz nicht durch.»

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Bildlegende

SicherheitVerspielt von Amtes wegen

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Andreas Hochstrasser hat den Traumjob vieler Kinder. Als Spielplatzinspektor steigt er be-ruflich auf Holztürme und Rutschbahnen.

VON RETO ASCHWANDEN (TEXT) UND LUC-FRANÇOIS GEORGI (BILDER)

«Was machsch du da?» Der Dreikäsehoch blickt zum Erwachsenen,der auf der Hängebrücke des Spielplatzes in Zürich Wipkingen steht undkonzentriert die Holzelemente studiert. «Ich kontrolliere, ob alles in Ord-nung ist», antwortet Andreas Hochstrasser. Solche Begegnungen sind fürihn Alltag. Als Fachkraft für die Spielplatzsicherheit in der Stadt Zürichist er regelmässig auf Freizeitanlagen unterwegs. «Und warum schabstdu jetzt das Holz ab?» «Da stand etwas vor, und ich möchte nicht, dasssich eines von euch Kindern eine Spriesse holt.»

Seit zehn Jahren gelten in der Schweiz EN 1176 und EN 1177. Dieseeuropäischen Normen regeln, was beim Bau und beim Unterhalt vonSpielplätzen zu beachten ist. Andreas Hochstrasser ist als Leiter der Ar-beitsgruppe Sicherheit bei Grün Stadt Zürichzuständig für die rund 150 öffentlichen Spiel-plätze, bei denen die städtische Dienstabtei-lung Grundeigentümerin ist. Zusätzlich kon-trolliert der 49-Jährige gemeinsam mit vier an-deren Fachkräften rund 400 weitere Spielanlagen, die der Stadt gehören.

Es gibt drei verschiedene Arten der Kontrolle: Die visuelle Begutach-tung findet wöchentlich statt, alle vier Monate prüfen Mitarbeiter vonGrün Stadt Zürich bei operativen Kontrollen die Funktionstüchtigkeit derGeräte und bei der jährlichen Hauptinspektion werden schon mal Fun-damente ausgegraben. Das macht Hochstrasser heute nicht, dafür schauter nach Abnutzungsspuren an den Ketten der Schaukeln. Später kontrol-

liert er mit verschiedenen Prüfkörpern die Zwischenräume bei Netzenund Holzkonstruktionen. Vereinfacht gesagt, geht es dabei darum, aus-zuschliessen, dass sich ein Kind den Kopf einklemmen kann. Hochstras-ser erklimmt jeden Turm und kriecht durch jeden Durchgang. Das machtihm sichtlich Spass, der Grund dafür ist aber ernst: «Jedes Gerät muss sobeschaffen sein, dass ein Erwachsener ein Kind retten kann, wenn esSchwierigkeiten oder Angst bekommt.»

Sand auf dem ParkettKleinere Gemeinden sind mit der Umsetzung der Spielplatznormen oft

überfordert, denn eine Ausbildung in Spielplatzsicherheit existierte inder Schweiz bisher nicht. Nun ändert sich das. Andreas Hochstrasser istauch Delegierter bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) und

hat ein Mandat des Vereins Schweizerischer Stadtgärtnereien und Gar-tenbauämter. Er leitet Lehrgänge, in denen er Berufskollegen zum The-ma Sicherheit auf Spielplätzen schult. Denn auf diesen Anlagen geltenbesondere Regeln – das fängt schon bei der Kleidung an. Bei Einsätzenvor Ort trägt Hochstrasser eine Signalweste mit der Aufschrift «Spiel-platzkontrolle». Die braucht er deshalb, weil es auch schon vorkam, dassbesorgte Eltern – einen Pädophilen vermutend – die Polizei riefen, als

Die Verankerung hält. Gleich wird Hochstrasser mit den roten Prüfkörpern, die Kinderköpfe symbolisieren, Zwischenräume kontrollieren.

«Ein Kind braucht Herausforderungen, sonst istein Spielplatz nicht interessant.»

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einer seiner Berufskollegen in zivil auf dem Spielplatz fotografierte. Etwa40 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt Hochstrasser draussen. Lang-weilig wird im dabei nie: «Es gibt immer wieder neue Herausforderung,deshalb habe ich nie das Gefühl, ich hätte genug von Spielplätzen. ImGegenteil: Ich finde es absolut lässig.»

Jeden Kratzer können alle Sicherheitsbestimmungen und regelmässi-gen Kontrollen nicht verhindern. Und das müssen sie auch nicht. EinSpielplatz ist keine Gummizelle. «Ein Kind braucht Herausforderungen,ein Risiko, sonst ist ein Spielplatz nicht interessant», sagt Hochstrasser,der selber vierfacher Vater ist. Die Vorschriften verlangen deshalb nichtkomplette Unversehrtheit, sondern nur die Vermeidung bleibender Kör-perschäden. Das verstehen allerdings längst nicht alle. Als sich ein Kindauf einem Zürcher Spielplatz einen Milchzahn ausschlug, fand der be-handelnde Arzt, das dürfte nicht passieren. In solchen Fällen ist Hoch-strasser froh, wenn er auf die Normen verweisen kann, die besagen:Doch, das liegt absolut drin. Nichts nützten die Normen in einem ande-ren Fall: Ein Kind hatte Sand vom Spielplatz mit heim genommen unddamit den Parkettboden im Wohnzimmer beschädigt. Daraufhin ver-langten die Eltern vom Spielplatzinspektor allen Ernstes Schadenersatz.Hochstrasser verzieht keine Miene, als er seine Reaktion schildert: «Ichsagte: Ich schicke Ihnen eine Rechnung für den Sand, der weggekom-men ist.»

Der gesunde Menschenverstand ist für Hochstrassers Arbeit kein Kri-terium: «Man sollte nicht voraussetzen, dass die Leute selber ein Gefah-renbewusstsein haben.» Weniger diplomatisch formuliert: Beim ThemaSicherheit ist vom dümmsten anzunehmenden Menschen auszugehen.Auf den öffentlichen Spielplätzen stehen Infotafeln, auf denen unter an-derem darauf hingewiesen wird, dass Velohelme und Schlüsselanhängerabzulegen sind, bevor sich ein Kind auf Netze oder in enge Röhrenstürzt. Solange die Kleinen selber aufpassen, passiere relativ wenig, er-zählt Hochstrasser: «Ein Kind, das sich überfordert fühlt, geht zurückund meidet die Gefahr. Wenn ihm aber die Eltern zum Beispiel auf einenTurm helfen, kann es sein, dass es oben unsicher agiert und runterfällt.»

Nylon für die RutschbahnDie Geräte auf den verschiedenen Anlagen in Zürich unterscheiden

sich stark. «Wir wollen keine 08/15 Spielplätze», erklärt Hochstrasser.Deshalb werden bei Neubauten nach Möglichkeit die Quartierbevölke-rung und die Kinder in der Nachbarschaft miteinbezogen. Auf grösserenPlätzen gibt es auch Sonderanfertigungen. So wie auf der neuen Anlagebeim Gemeinschaftszentrum Heuried am Fuss des Üetlibergs. Bevor dieam 11. August 2009 offiziell eröffnet wird, trifft sich der Spielplatz-Inspektor vor Ort mit Erbauer Fredi Schelb, um letzte Korrekturen zu besprechen. Auf einem Erdhügel erhebt sich ein fünfeckiger Turm. ZurSpitze führt eine Wendeltreppe, die aus Seilen gespannt wurde. «DieseNetze mussten vor Ort geknüpft werden, bei einer solchen Konstruktionlässt sich das nicht vorab berechnen», berichtet Schelb, während Hoch-strasser kontrolliert, ob beim Eingang ins Innere die Kanten so abgerun-det worden sind, wie er es bei der letzten Inspektion verlangt hatte. Kon-strukteur Schelb erklärt unterdessen, dass er seit 20 Jahren Spielplätzebaue. Erlernen könne man den Beruf nicht, sagt der ehemalige Werkleh-rer: «Das Wissen, das man dafür braucht, baut man sich durch Erfahrungauf.» Erfahrungswerte kommen auch bei der Hygiene zum Einsatz. Sowird der Sand auf Spielplätzen heutzutage nicht mehr komplett ausge-tauscht, sondern nur teilweise. Untersuchungen haben nämlich gezeigt,dass sich Bakterien in neuem Sand besonders schnell ausbreiten. «In Ge-brauchtem hingegen herrscht ein biologisches Gleichgewicht, in demsich Gut und Böse bekriegen», erläutert Hochstrasser.

Zum Abschluss der Begehung zieht es den Spielplatzinspektor auf dieRutschbahn. Unten angekommen, wirkt er ein wenig enttäuscht: «DieBahn ist nicht besonders schnell.» Allerdings, so fachsimpelt er mitSchelb, seien Jeans nicht die ideale Bekleidung: «Am schnellsten sindFrauen in Nylonstrümpfen.» ■ In Strümpfen wäre er schneller: Hochstrasser auf Probefahrt.

Schutz für Kinderköpfe: «Hier wurden die Kanten abgerundet.»

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Beim Surprise Strassensport Turnier in Bern startet die Nationalmannschaft ihr intensives Trainingsprogrammfür die Weltmeisterschaft und trifft dabei auf so prominente wie hochkarätige Sparring Partner.

StrassensportLetztes Heimspiel vor der WM

VON OLIVIER JOLIAT (TEXT UND BILD)

Keines der 16 Liga-Teams konnte Glattwägs United bei der SchweizerMeisterschaft das Wasser reichen. Die jungen Fussballer aus Schwa-mendingen holten den Titel und bilden nun den Stamm der National-mannschaft, die im September an den Homeless World Cup nach Mailand fährt. Dort warten auf die Nati fussballerische Grosskaliber wieBrasilien, England, Deutschland oder Gastgeber Italien. Darum wurdeGlattwägs United mit einigen Spielern anderer Teams verstärkt. DieseKaderspieler stecken nun in einem harten Trainingsprogramm.

Ein letzter Test unter Wettkampfbedingungen bietet das SurpriseStrassensport Turnier auf dem Waisenhausplatz in Bern. Es ist auch fürdie Zuschauer die letzte Möglichkeit, das Nationalteam auf heimischemBoden spielen zu sehen und zu unterstützen.

Ein Spektakel der besonderen Art wird um 12 Uhr das Spiel gegen einBerner All-Star Team, angeführt von Ex-Nationalspieler Thomas Häber-li, der auf diese Saison hin von den Young Boys keinen Vertrag als Spie-ler mehr erhielt, von den Fans aber dank seinen vielen Toren und seinersympathischen Art weiterhin innig geliebt wird. Häberli wird unter-

stützt von den Wurzel 5 Rappern Serej, Diens und Tiersch. Die dreitrumpfen nicht nur mit schnellem Mundwerk auf, sondern überzeugenauch mit Ballgefühl. So dominierten sie mit Obstberg United über dieJahre die Alternative Fussballliga Bern und wurden einmal gar Europa-meister in der Alternativen Liga. Während der EM 08 zwangen sie zu-dem eine Auswahl der YB-Legenden in die Knie. Eine andere BernerGrösse steht dem All-Star Team mit dem frisch gewählten Stadtrat undBronco Jimy Hofer zur Seite.

Doch egal, ob die Nati das Spiel und eventuell gar das Tunier ge-winnt: Bis Mailand wird noch viel geschwitzt. Am 30. August fährt dasKader ins Tessin, wo in der Streetsoccer Arena von Surprise Strassen-sport unter der Führung von Nationaltrainer David Haberthür techni-sche und taktische Finessen trainiert werden.

Direkt vom Trainingslager rollt die Nationalmannschaft dann nachMailand, wo vom 6. bis zum 13. September der siebte Homeless WorldCup ausgetragen wird und sich die Schweiz mit 48 Nationen misst. ■

Samstag, 22. August, 10 – 19 Uhr, Waisenhausplatz, Bern.

Riesenstimmung: Bei der letzten WM in Melbourne trieb das Publikum die Spieler zu Höchstleistungen.

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16 Teams aus der Deutschschweiz messen sich diese Saison bei den Streetsoccer Turnierenvon Surprise Strassensport. Mehr Infos zu den Teams, der Liga und den Projekten von Sur-prise unter: www.strassensport.ch

FOTOS: CHRISTIAN SCHNUR

Die Surprise Strassensport Liga 2009

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Die 16 Teams

1 AC Gasse Chuchi Luzern2 AFG Boys Basel3 FC Barracuda Frenkendorf4 Nüni Tram Bern5 Schwarzer Peter Basel6 Glattwägs United Schwamendingen

Schweizermeister 09 Kategorie A7 TASCH Schaffhausen

Schweizermeister 09 Kategorie B8 Stadtküche Olten9 Street Kickers Basilisk Basel

10 Surprise Kobras Basel11 Surprise Lions Zürich12 Surprise Sahara Basel13 Team Olten14 Toblerone Bern15 Obstikickers Rombach (ohne Foto)

16 WIPP Wil (ohne Foto)

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LandwirtschaftVon fremder Handgepflückt

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Hilfskräfte für die Feldarbeit zu finden, ist in der Schweiz schwierig. Deshalb übernimmt imSommer eine Heerschar von Menschen aus Osteuropa die Erntearbeit auf heimischen Höfen.

JULIA KONSTANTINIDIS (TEXT), DOMINIK PLÜSS (BILDER)

Sie stehen zwischen Himbeersträuchern im Aargau, machen denRücken auf Salatfeldern im Thurgau krumm und holen im Baselbiet dieKirschen von den Bäumen. Sie kommen aus Orten, von denen hier nie-mand je etwas gehört hat und sprechen Sprachen, die kaum jemand versteht. Sie heissen Jewgeny, Krzystof oder Edyta und ohne sie hättenunsere Gemüse- und Obstbauern ein grosses Problem. Denn ohne dieErntehelfer aus dem Ausland käme ihr Gemüse und Obst nicht recht-zeitig vom Feld in die Läden.

Schätzungsweise 10 000 bis 15000 Erntehelfer reisen pro Sommersai-son in die Schweiz ein und stellen so die Verfügbarkeit an Arbeitskräftenin der Landwirtschaft sicher. In den letzten Jah-ren sind es zunehmend Menschen aus den neu-en EU-Ländern im Osten Europas, die den Mo-tor der Schweizer Landwirtschaft am Laufenhalten. Männer und Frauen aus Polen, ausTschechien, aus der Slowakei oder aus derUkraine machen landauf, landab das, wofürsich keine Schweizer mehr finden lassen: Stun-denlange, körperlich anstrengende Arbeit,draussen bei jeder Witterung, sechs Tage die Woche, für wenig Geld.

«Ich bin zufrieden. Mit Schweizern kann man nicht schaffen.» PeterKallen, Gemüse- und Obstbauer in Oberwil, Baselland, spricht klare Wor-te. Auf seinem Betrieb werden für die Erntearbeit traditionellerweise Aus-länder angestellt. «Am Anfang kamen sie aus Spanien und Italien, dannaus Portugal und der Türkei», so Kallen. Jetzt sind es Osteuropäer wieKrzystof Ozimek und seine Frau Edyta aus Polen, die sich vorübergehendin den Unterkünften auf dem Hof eingerichtet haben. Sechs Zimmer ste-hen zur Verfügung, wenn möglich bringt Kallen die Angestellten einzelndarin unter, je nach Anzahl der Erntehelfer müssen sich zwei ein Zim-mer teilen. In zwei Küchen können sich die Arbeiter ihr eigenes Essenzubereiten, was auf dem Betrieb wächst, erhalten sie gratis, alles anderemüssen sie sich selber kaufen.

Arbeit als WillensfrageFleissig und bescheiden muss sein, wer seine Brötchen auf Schweizer

Feldern verdient: Als Empfehlung für den Minimallohn der Erntehelferwurden vom Schweizerischen Bauernverband 3110 Franken brutto imMonat festgelegt – bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 55 Stun-den die Woche. Laut Hanspeter Flückiger, Leiter des GeschäftsbereichsAgro-Impuls, der Erntehelfer an Bauern vermittelt, gehen davon gemässEmpfehlung 990 Franken für Kost und Logis weg. Kommen noch die Ab-züge für AHV/IV, die Krankenkasse und die Quellensteuer dazu, bleibenweniger als 2000 Franken am Ende des Monats.

«Die Gemüse-Margen sind so niedrig, ich kann nicht mehr bezahlen»,begründet Peter Kallen seine Lohnpolitik. Was für Schweizer indiskuta-bel ist, ist für die ausländischen Erntehelfer goldwert: «Ich verdiene hierdreimal so viel, wie ich in einem gut bezahlten Job in Polen bekommenwürde», erklärt Krzysztof Ozimek.

Da der gelernte Elektromechaniker diesen gut bezahlten Job in sei-nem Heimatdorf in Ostpolen sowieso nicht findet, reist er seit einigenJahren durch Westeuropa, den reifen Früchten hinterher. Auf einem Erd-beerfeld in Deutschland hat der 25-Jährige seine Frau Edyta kennen gelernt. In Deutschland hätten teilweise bis zu 200 Erntehelfer auf einemHof gearbeitet, «das war nicht gut, es waren zu viele», meint Ozimek. BeiPeter Kallen gefällt es ihm, insgesamt sind sechs Erntehelfer aus den neuen EU-Ländern auf dem Hof beschäftigt, man pflegt eine gute Freund-schaft untereinander. Drei von ihnen haben ein eigenes Auto, da liegtnach Feierabend ein Besuch bei anderen polnischen Erntehelfern in der Umgebung drin – und davon gibt es viele. Mit dem Patron beschränktsich der Kontakt auf die Arbeitszeit. «Wenn ich will, gehts», meint

Krzystof Ozimek, auf die Arbeitsbelastung angesprochen. Um sechs Uhrmorgens ist Arbeitsbeginn, Schluss ist gegen sechs Uhr abends. Dazwi-schen muss die Arbeit vorwärts gehen, schliesslich sollen die Detail-händler schöne frische Ware in der Auslage haben.

Krzystof Ozimek und seine Frau nehmen die Plackerei auf den Feldernin Kauf, denn sie haben ein Ziel: In der Heimat ein Haus bauen.

Arbeit mit BewilligungUm Lohndumping zu verhindern, müssen die hiesigen Landwirte

Arbeitsbewilligungen für Erntehelfer aus den neuen EU-Ländern bean-tragen. Für Hilfskräfte aus den alten EU-Ländern besteht lediglich eineMeldepflicht.

Um die Bewilligung zu erhalten, müssen die freien Stellen vorgängigbeim Regionalen Stellenvermittlungszentrum (RAV) ausgeschrieben wer-den. Damit soll sichergestellt sein, dass keine Ausländer für die Arbeitbevorzugt werden. Die Gefahr ist klein: «Es melden sich extrem wenigeSchweizer auf diese Stellen», weiss Judith Müller, Leiterin des Rechts-dienstes des Amts für Arbeit im Kanton Thurgau. Sie rechnet bis EndeJahr mit rund 800 ausgestellten Bewilligungen für Arbeitskräfte aus demAusland, die eine Maximal-Aufenthaltsdauer von einem Jahr erlauben.

Da in der Landwirtschaftsbranche keine Gesamtarbeitsverträge exi-stieren, liegt die Bewilligungspraxis beim Kanton. Im Thurgau hält mansich an die Vorgaben des Bauernverbands und gibt nur Arbeitsplätze frei,die sich an die Minimallohn-Empfehlungen des Verbands halten und wodie Unterkünfte den landesüblichen Standards entsprechen.

Diese Definition ist allerdings sehr weit gegriffen: «Das ist eine Grau-zone», meint Christa Suter, Leiterin der UNIA-Sektion Winterthur. DieUnterkünfte seien immer wieder ein Thema. Suter kennt die Situationder Erntehelfer aus der Region Zürich, wo sie versuchte, die Arbeiter zu

Monika Fyda:

«Ich will eine Arbeit finden und mein Haus zu Ende bauen.»

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organisieren, damit diese ihre Interessen besser vertreten könnten, denn:«Aufgrund fehlender Sprachkenntnisse wissen die Erntehelfer oft nichtüber ihre Rechte Bescheid und können deshalb auch nicht dafür einste-hen.» So komme es vor, dass etwa Familienzulagen nicht ausbezahlt oderkeine Überstundenregelungen ausgearbeitet würden. Die Gewerkschaftverlangt vom Bund, immerhin minimale Standards festzulegen. Doch damit das geschieht, muss feststehen, dass die Branche punkto Miss-brauch als prekär einzuschätzen ist. Dazubraucht es aber Beweise und Leute, die etwassagen. An diese ranzukommen, ist für die Ge-werkschaft jedoch schwierig, da die Erntehelferoft nur über die Arbeitgeber erreichbar sind.

Tatsächlich habe es mit dem Beitritt der neu-en EU-Länder 2004 eine gewisse Polemik à la«der Bauer lässt die Polen für sich arbeiten» ge-geben, berichtet Hanspeter Flückiger. Der Bundstufte die Landwirtschaft vor einigen Jahren noch als «Fokusbranche» einund verordnete flankierende Massnahmen: Die kantonalen Behördenmussten überprüfen, ob Lohnmissbrauch stattfand. Unterdessen wurdendiese Kontrollen eingestellt, die Branche aus dem Fokus genommen.

«Die Arbeitsbedingungen sind besser geworden», stellt Philippe Sauvinfest. Seine Gewerkschaft, l’autre syndicat im Waadtland, hat die Situa-tion der Erntehelfer als prioritär eingestuft, Skandale über inakzeptableUnterkünfte aufgedeckt und damit einiges erreicht: Der Mindestlohnliegt in der Waadt zwingend über den Empfehlungen des Bauernver-bands bei 3300 Franken. Aktuell läuft eine Petition für einen 13. Mo-natslohn.

Für die Vertreter der Arbeitnehmer ist das Fernziel klar: Ein Gesamt-arbeitsvertrag mit verbindlichen Richtlinien, wie es in vergleichbarenBranchen wie etwa dem Baugewerbe üblich ist.

Arbeit zu jeder ZeitDie 18 jungen Leute, die auf dem Hof von Hansruedi Brunner in Ther-

wil zwischen endlosen Reihen von Heidelbeer-Sträuchern stehen, habenandere Sorgen: Nur die schönsten, reifsten Beeren sollen sie in die Kar-ton-Schalen legen, da achtet der Chef genau drauf. Mit steter Strenge hältBrunner seine Gehilfen beisammen. Es sind Männer und Frauen aus Polen und aus der Ukraine. Die meisten sind als Praktikanten angestellt,

was die Lohnkosten für Brunner tiefer hält, als wenn er reguläre Ernte-helfer beschäftigen würde. Er braucht die vielen Hände: 10 bis 20 TonnenHimbeeren und etwa das Doppelte an Erdbeeren ernten die Angestelltenpro Saison.

«Die Verfügbarkeit von motivierten Pflückern ist unabdingbar, da dieheiklen Früchte eine sehr kurze Erntezeit haben. Es ist deshalb sehrwichtig, dass die Erntehelfer auf dem Hof wohnen, damit bei guten Wet-terverhältnissen geerntet werden kann.»

Auf dem einheimischen Arbeitsmarkt findet Hansruedi Brunnerschwer geeignete Helfer, seine Erlebnisse mit Personen, die ihm vom RAVvermittelt wurden, beschreibt er als katastrophal. «Eigentlich schade,denn es war angenehm Schweizerdeutsch zu reden», findet Brunner. Mitseinen Erntehelfern aus Osteuropa verständigt er sich auf Hochdeutsch,das aber nicht alle gleich gut beherrschen.

Landwirt Hansruedi Brunner ist mit seinen Praktikanten aus Osteuropa zufrieden.

Jewgeny Momom:

«Hier ist das Geld gut, sehr gut.»

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Um die Liefersicherheit bei den Abnehmern garantieren zu können,habe er 1990 mit der Beschäftigung von Frauen aus Bosnien begonnen.«Aus Kriegsgründen wurde das sehr gute Personal aus dem ehemaligenJugoslawien für die Schweiz gesperrt, so dass wir in Portugal rekrutierenmussten», erzählt der Landwirt. Das sei ein paar Jahre gut gegangen,jetzt rekrutiere man in Osteuropa, vor allem in Polen. Brunner hat mit ei-ner landwirtschaftlichen Schule bei Sanok im Südosten von Polen einAbkommen, dass ein Teil der Schüler sein obligatorisches Praktikum beiihm absolvieren kann.

Dass er von ahnungslosen Bürgern der Umgebung den Übernamen«Sklaventreiber» erhalten habe, sei ihm bekannt. Doch Brunner nimmtsgelassen: «Die wissen einfach nicht was es braucht, um im Frischmarktzu bestehen – wir haben es hier sehr gut zusammen.»

Hauptsache ArbeitBunt blitzen die Kopftücher und Schirmmützen der Erntehelfer zwi-

schen den Beerenstauden auf. Lukas und Martin, beide 19 Jahre alt, rup-fen geduldig die Heidelbeeren von den Ästen. Sie sind zum ersten Mal inder Schweiz, bleiben drei Monate. Wenn es möglich ist, möchten sienächstes Jahr wiederkommen. So wie Monika Fyda. Sie kam erstmals vordrei Jahren als Praktikantin auf den Hof im Baselbiet, inzwischen wirdsie als Hilfskraft entlöhnt und ist so etwas wie eine Vertraute von Hans-ruedi Brunner. «Ich bin mir diese Arbeit gewohnt, wir haben zu Hauseauch Landwirtschaft», meint sie. Doch ewig will die gelernte Gartenar-chitektin nicht zwischen Polen und Brunners Hof pendeln. Sie will einerichtige Arbeit finden und ihr Haus zu Ende bauen. Dafür braucht sie dasGeld, das sie von Februar bis September auf dem Bauernhof in derSchweiz verdient.

Auch der 19-jährige Jewgeny Momom, von Brunner der Einfachheithalber Jurgi genannt, kennt die Arbeit: «In der Ukraine haben wir die-selben Bedingungen, aber hier ist das Geld gut, sehr gut», findet er. Er istmit einer Gruppe von 30 Landsleuten in die Schweiz gekommen, «diesind jetzt alle im Land verstreut.» Gegen Heimweh helfe manchmal Wodka oder Bier, erzählt Hansruedi Brunner. Doch wer am nächstenMorgen nicht aus dem Bett kommt, trägt die Konsequenzen: «Dann istder Freiwillige für den Samstagnachmittag schnell bestimmt», erklärtBrunner. Doch die Gruppe nehme das gelassen und das Ganze sei damitfür alle geregelt.

Der Chef weiss aber auch, dass er seine Leute bei Laune halten muss,deshalb organisiert er gemeinsame Aktivitäten wie Grillabende, einentraditionellen Spaziergang auf die nahe gelegene Burgruine inklusiveGruppenfoto, und auch die Fasnacht oder der Besuch des 1. Augustfeu-erwerks sind willkommen Anlässe für positive Teamerlebnisse. Hans-ruedi Brunner scheint den Draht zu seinen ausländischen Angestelltenzu finden. Das muss er auch, will er seine Personalpolitik weiterhin aufgünstige Arbeitskräfte aus Osteuropa aufbauen.

Und dass diese sich nicht über ihre Arbeitgeber auslassen, obwohl sieda und dort vielleicht guten Grund dafür hätten, ist auch verständlich:Zu gut ist das Geld, das sie hier verdienen können, dafür werden Über-stunden und enge Unterkünfte wohl in Kauf genommen. Die Verantwor-tung für das Einhalten arbeitsethischer Grundsätze liegt nach Meinungvon Gewerkschafter Philippe Sauvin deshalb bei den Schweizern, denn:«Es wird immer Leute geben, die zufrieden sind, einen Job zu haben undmehr zu verdienen als in ihrem Land.» ■

In mühevoller Handarbeit füllen die Erntehelfer Schale um Schale mit Beeren.

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unbeschädigten und hellen Gebäude der Wal-Mart und die Kirchen sind, haben mein Ame-rikabild ziemlich ins Wanken gebracht. Früherwar hier alles schöner, neuer, grösser. Auchwenn bei uns gerne über die USA geschnödetwird, die Trends kommen von drüben: Klei-dung, Filme, Musik, Fernsehserien, Körperbe-haarungsregeln, Autotypen und Velomodelle.Selbst Globalisierungsgegner und Euro-Snobskönnen nicht ohne Computer aus dem HauseApple leben.

Andererseits werden die Menschen in denUSA immer grösser und dicker und könnensich kaum mehr bewegen. Zuweilen fragt mansich, wie es dieses Volk verfetteter, engstirni-ger Hillbillys, bei denen alles zusammenfällt,es je zur Weltmacht bringen konnte. Imperienzerfallen meist von innen her, vielleicht ist dieZeit der USA abgelaufen. Allerdings sollte mansie nicht zu früh aufgeben, die Amerikanersind mitunter schnell, sich neu zu erfinden.Und solange ein Mann im Weissen Haus sitzt,der mit Michelle Obama verheiratet ist, gibt esHoffnung. Für Amerika zumindest.

STEPHAN PÖRTNER

([email protected])

ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER

([email protected])

Auf meiner Amerikareise stand ich im Mu-seum vor einer Fotografie. Sie zeigte einenMann, der eine Art Veloschrottplatz auf einerkleinen Grünfläche betrieb, umgeben vonSchnellstrassen und Hochhäusern. Ich bewun-derte die in wilder Unordnung verstreutenRahmen und Räder. Es sah ein bisschen auswie in meiner Garage. Eine Frau trat hinzu underklärte mir, dass dieses Bild in ihrer Heimat-stadt L.A. aufgenommen worden sei. Sie wisseauch nicht, was die Künstlerin damit sagenwolle, vielleicht, dass L.A. zu einem Drittwelt-land verkomme. Es werde immer schlimmerdort, alles verdrecke und immer mehr Leute re-deten kein Englisch mehr, sondern Spanisch.Wie man das als freundlicher Tourist so tut, er-wähnte ich, dass wir aus der Schweiz kämen,wo man vier offizielle Sprachen habe. «Das istetwas anderes», sagt die Frau. «Europa war

Wörter von PörtnerAmerikabilder

schon immer vielsprachig, aber die Fremden,die zu uns kommen, müssen sich anpassenund unsere Sprache sprechen.»

Ich wende ein, dass «zu uns» doch relativsei, immerhin heisse die Stadt ja Los Angeles,was darauf hinweise, dass dort nicht immerEnglisch gesprochen wurde. Sie versteht nichtganz, was ich meine: «Los Angeles ist dochEnglisch.» So, wie sie es ausspricht, schon.Wenn Gouverneur Schwarzenegger den Na-men ausspricht, klingt es fast steirisch. Aucher warnt vor den Ausländern, die seinen bank-rotten Bundesstaat überfluten. Sich selbersieht er trotz Akzent nicht als solchen. Abernicht nur aus seinem Munde klingt der Ruf,dass sich die Fremden anzupassen hätten, et-was seltsam, weil es die USA in dieser Form jagar nicht gäbe, hätten sich die europäischenEinwanderer den Einheimischen angepasst.Dank überlegener Waffen haben sie sich dasLand unter den Nagel gerissen und ihre Vor-stellung von Besitz und Eigentum durchge-setzt. Wer etwas hat, darf und muss es vertei-digen. Das geht so weit, dass in Florida Fischerverhaftet wurden, die geschützte Delphine mitRohrbomben und Sturmgewehren jagten, weilsie genug davon hatten, dass ihnen die Tiereden Fisch stahlen.

Jetzt hat in Amerika die Krise zugeschlagen,ungleich härter als in Europa. LeerstehendeNeubausiedlungen, geschlossene Shopping-malls und Geisterstädte, in denen die einzigen

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Neue VolksmusikBlechbläser in der Besenbeiz

VON RETO ASCHWANDEN

«Experimenteller» soll die sechste Ausgabe des alle zwei Jahre statt-findenden Festivals werden, kündigt der neue künstlerische Leiter Johannes Rühl an. «Wir wollen nicht nur Musik aus den Alpen präsen-tieren, sondern auch Stücke über die Alpen. Alpentöne hat ein inhalt-liches Thema, aber kein stilistisches, das macht für mich den speziellenReiz aus.» In diesem Sinn hat der Klarinettist Gabriele Mirabassi eigensein Programm aus Liedern der italienischen Alpensoldaten des ErstenWeltkriegs zusammengestellt. Exklusive Aufführungen haben Tradition.So erlebte das ehrwürdige Tellspielhaus bei früheren Ausgaben das mul-timediale Spektakel «Turner in Uri», bei dem internationale Jazzgrössenmit der einheimischen Blasmusik, einem Chor und zwei Opernsängernauftraten. Und als Klaus Fessmann vor zwei Jahren in der Kirche seineKlangsteine aus dem Alpenraum zum Brummen und Dröhnen brachte,erlebte das Publikum den Begriff Resonanzkörper am eigenen Leib.

Genau darum geht es: Auch wenn sich viele der gastierenden Musi-ker im Umfeld von Jazz und moderner Klassik bewegen, so sind dochdie meisten Darbietungen intuitiv erfahrbar. Ein Musikstudium brauchtes jedenfalls nicht, um die Konzerte zu geniessen. Trotzdem bewegensich viele Künstler in kleinen Nischen. Entsprechend begehrt sind En-gagements am dreitägigen Festival. «Für viele ist die Präsenz bei Alp-entöne sehr wichtig, denn es bietet ein Forum, um neue Projekte vor-zustellen», sagt Rühl.

Tatsächlich ist Alpentöne ein Festival für Entdeckungen. Dieses Jahrsind acht von insgesamt über 30 Konzerten Erstaufführungen. ChristanZehnder (Stimmhorn, Kraah) präsentiert die Premiere seiner Kooperationmit der Hackbrettlerin Barbara Schirmer. Die Westschweizer PerformerinLaurence Revey kombiniert das archaische Patois des französisch-sprachigen Wallis mit den elektronischen Klanglandschaften des Islän-ders Bardi Johannsson. Und mit Attwenger, Corin Curschellas und MaxLässer samt Überlandorchester geben sich auch einige alte Bekannte derNeuen Volksmusik die Ehre. «Für mich als Programmmacher ist es eindankbares Festival», sagt Rühl. «Durch die räumliche Nähe der ver-schiedenen Bühnen sinkt die Hemmschwelle, sich auf Entdeckungeneinzulassen.» Mittlerweile seien die Besucher an Herausforderungen ge-wöhnt, schmunzelt Rühl: «Das Publikum in Altdorf erträgt einiges.»

Und es feiert auch gern. Während im Tellspielhaus kunstsinnig mu-siziert wird, geht bei den kostenlosen Konzerten im Festzelt auf dem an-grenzenden Lehnplatz die Post ab. Regelmässig treiben zu fortgeschrit-tener Stunde Blechblasbands Bergbauern, Kunstkenner und Dorfpunksgemeinsam auf Tische und Tanzfläche. Diesmal obliegt diese Aufgabedem österreichischen Septett Da Blechhauf’n, das im Schnellzugstempodurch Lieder von Elvis, Beethoven und Ludig Hirsch fetzt, sowie derGrossformation Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot, die Brecht,Hendrix und Eigenkompositionen als Mischung aus Revolutionsoperund Besenbeizwalzer kredenzt.

Der spezielle Charme des Festivals entsteht aus der Nähe von Musi-kern, Einheimischen und Publikum von auswärts, die sich spätestensbeim Klangspaziergang am Sonntagnachmittag einstellt. Die Musikerverteilen sich im Reussdelta, während die Zuhörer am Seeufer entlangschlendern und da und dort ein Ohr voll nehmen, bevor man an denFeuerstellen bei Cervelat und Bier neue Bekanntschaften macht. Undmanchmal werden die auf dem Lehnplatz bis weit über Mitternacht hin-aus vertieft. Eingeweihte munkeln jedenfalls, manch erfahrener Alpen-töne-Besucher nehme sich für den folgenden Montag jeweils präventivfrei. ■

Alpentöne, 14. – 16. August, Altdorf UR.

www.alpentoene.ch

Beim Klangspaziergang gibt es Alpentöne am Urnersee.

Wer Fahnenschwinger sucht, ist bei Alpentöne am falschen Ort. Mit dem Musikantenstadl hat das Festival inAltdorf rein gar nichts zu tun, stattdessen überträgt der Kulturkanal DRS 2 die Hauptkonzerte live. Und wennes Nacht wird, tanzen Punks und Bauern gemeinsam auf den Tischen.

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Kulturtipps

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BuchMut zum Miteinander«durCHstarten» erzählt Geschichten von 15 Jugendlichen aus 14Ländern, die in die Schweiz eingewandert sind – und davon, wases heisst, einen Neuanfang wagen zu müssen.

VON CHRISTOPHER ZIMMER

Die Pubertät ist eine verwirrende Zeit. Gut, wenn dann Vertrautes die ei-gene Welt wie ein schützender Kokon umgibt. Ein Schutz, gegen denTeenies zwar ankämpfen, der aber doch Halt gibt. Und wenn das nichtso ist? Wenn man ausgerechnet dann die eigene Sprache und Kultur, dieFreunde, manchmal sogar die Familie hinter sich lassen muss?Das Lesebuch «durCHstarten» versammelt Geschichten von Jugend-lichen, für die ein solch einschneidendes Erlebnis eine zuweilen trau-matische Realität geworden ist: von Kids und Teenager zwischen elf und17 Jahren – aus Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Deutsch-land, England, Iran, Italien, Kosovo, Philippinen, Serbien, Somalia, SriLanka, Südafrika und Thailand.So bunt die Palette der Herkunftsländer ist, so verschieden sind dieGründe, warum diese Jugendlichen ihre Heimat verlassen mussten. Essind nicht nur die «klassischen» Kriegsflüchtlinge, die in der SchweizAsyl suchen. Oft sind es so «unspektakuläre» Gründe wie Scheidung, Fa-miliennachzug oder die Rückkehr einer Familie mit Schweizer Wurzeln.Gerade dieses Unspektakuläre schafft Nähe – denn so etwas kann Vie-len passieren.Dieses Schulbuch erzählt nicht nur von Trennungsschmerz oder von er-schwerten Bedingungen bei Ausbildung und Jobsuche. Es schildertauch Fälle von geglückter Integration, Erfolg im Beruf und Familien-gründungen – und macht damit Mut zum Miteinander.15 angehende Lehrer haben die Porträts verfasst. Entsprechend praxis-nah und verständlich sind die Texte, die von kleinen Fotoserien beglei-tet werden. Statements in der Muttersprache der interviewten Jugend-lichen verdeutlichen den Sprachwechsel, abwechslungsreiche Aufgabenladen zur vertieften Auseinandersetzung ein, und ein thematischer Informationsteil vermittelt Hintergrundwissen.«durCHstarten» ist mehr als ein Schulbuch. Es motiviert zum Miterlebenund Nachdenken – auch ohne Schulbank und Lehrplan.«durCHstarten». Geschichten von Jugendlichen, die in die Schweiz eingewandert

sind. Lesebuch für das 5. bis 8. Schuljahr. Lehrmittelverlag Kanton Solothurn 2009.

CHF 28.60.

TheaterSlapstick mit AbgründenPaarprobleme aus der Sicht eines Kellners erleben, ein ausserKontrolle geratenes Dorffest beobachten, lachen und erschre-cken. Und das alles unter freiem Himmel.

VON MICHÈLE FALLER

Der blonde Mann im weissen Jackett stützt sich auf den Barhocker undseufzt: «Der grösste Teil unseres Lebens ist Krach. Künstlicher, von Men-schen gemachter Krach.» Und das, nachdem er einen Unbekannten mitseiner alles andere als leisen Art völlig aus der Ruhe gebracht hat. ImKutschenmuseum des Botanischen Gartens Brüglingen (BL) wird AlanAyckbourns Komödie «Confusions!» geprobt, und der Titel ist keine lee-re Versprechung. Immer wieder ertönen Anweisungen vom Regiepult.Genauso oft ertönt aus dieser Richtung amüsiertes Lachen.«Die Mischung ist toll», sagt die junge Regisseurin Sarah Ley über dasStück, das sie als Freilichtaufführung inszeniert. «Es werden extreme Fi-guren und Handlungen gezeigt, und trotzdem sind es Alltagssituatio-nen, bei denen man denkt: O nein, so jemanden kenne ich! Oder: Oje,so bin ich manchmal auch!» Wenn die Verwicklungen und Verwirrun-gen auch daran erinnerten, ein Schwank sei «Confusions!» nicht, son-dern eine intelligente Komödie, in der sich mitunter auch Abgründe auf-täten, erklärt Ley.Als Kontrast zu den zwischenmenschlichen Tragikomödien hat die Re-gisseurin, die eine Schwäche für Schlager hat, den «Glitzerchor» einge-führt. «Er verkörpert die heile Welt und tritt immer im schlimmsten undunpassendsten Moment auf», berichtet Ley verschmitzt. Draussen vor dem Botanischen Garten breitet Sarah Ley die Arme ausund sagt: «Hier findet das Dorffest statt!» Voller Begeisterung führt siedie neu angefertigte Drehbühne mit den unterschiedlichen Türen vor,erklärt, wie der Kellner in der einen Szene von Tisch zu Tisch haste, undwie die natürliche Umgebung manchmal auf wundersame Weise zumStück passe. Ein Blick in die traumhafte Landschaft allein lädt schonzum Verweilen ein. Wer also ausnahmsweise nicht mitten in den Kon-fusionen des Lebens stecken, sondern sie von aussen betrachten möch-te, der begebe sich getrost ins Grüne.«Confusions!», 7., 8., 11., 14., 15., 18., 21., 22. August, 20.15 Uhr, Botanischer Garten

Brüglingen, Basel. www.confusions.ch

Extreme Figuren in einer intelligenten Komödie – «Confusions!».

Teenager erzählen vom Einwande-

rungsland Schweiz

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DVDMilieu-JägerInnovatives Genrekino kommt aus Asien. Punkt. Dass dennochfast alles an unseren Leinwänden vorbei geht und erst als Holly-wood-Remake gezeigt wird, spricht nur für eines – die Originaleauf DVD zu gucken. Zum Beispiel «The Chaser».

VON PRIMO MAZZONI

Das Debüt des Südkoreaners Na Hong-jin avancierte letztes Jahr in sei-nem Heimatland beim Publikum zum bisher erfolgreichsten Film undwurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.Der Ex-Bulle, Jetzt-Zuhälter, Eom Jung-ho (Kim Yoon-suk) verliert seinebesten Mädchen. Immer nach dem Anruf desselben mysteriösen Kun-den ist wieder eine weg – an einen anderen Zuhälter verkauft, wie Jung-ho vermutet. Das will er sich nicht länger bieten lassen. Deshalb zwingter die eigentlich an Grippe erkrankte Kim (Seo Youg-hee), ihre Tochterallein zu Hause zu lassen und als Köder anzuschaffen. Dass Schlimme-res hinter dem Verschwinden der Prostituierten steckt, ahnt der geübteZuschauer bereits, und tatsächlich hat der junge, charmante Freier (HaJung-woo) einige Leichen in Keller und Garten versteckt. «The Chaser»ist ein Serienmörder-Thriller erster Güte und für Leute, die kein Blut sehen können, ungeeignet. Die erste halbe Stunde spielt sich die Ge-schichte ganz klassisch, äusserst gekonnt, nach bekannten Noten ab.Doch dann, kaum hat Jung-hos Jagd nach dem Mister X richtig begon-nen, geschieht etwas Unerwartetes – und ab jetzt spielt der Regisseurmit den Genre-Elementen, als wäre er ein alter Hase. Während einer Nacht und einem Tag setzt sich die rasante und immerspannendere Jagd fort, aber mit ständig veränderten Vorzeichen, sovielsei verraten. Dazu ausgezeichnete Hauptdarsteller, interessante Charak-tere, nicht ohne Humor und kein billiges Happy-Ending – erfrischend.«The Chaser» (Original: «Chugyeogja»), 120 Min., Deutsch oder Koreanisch mit

deutschen Untertiteln. Keine Extras. Erschienen bei Ascot Elite.

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Die 25 positiven FirmenDiese Rubrik ruft Firmen und Institutionenauf, soziale Verantwortung zu übernehmen.Einige haben dies schon getan, in dem siedem Strassenmagazin Surprise mindestens500 Franken gespendet haben. Damit helfensie, Menschen in pre kären Lebensumstän-den eine Arbeitsmöglichkeit zu geben undsie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zube g leiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? DieSpielregeln sind einfach: 25 Firmen werdenjeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jenerBetrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

werden?

Mit einer Spende von mindestens 500 Franken

sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3,

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Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag!

Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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VXL AG, Binningen

Thommen ASIC-Design, Zürich

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil

Ernst Schweizer AG, Hedingen

JL AEBY Informatik, Basel

iuliano-gartenbau & allroundservice, Binningen

Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

KIBAG Kies und Beton

Inova Management AG, Wollerau

SVGW, Zürich

Brother (Schweiz) AG, Baden

Segantini Catering, Zürich

Axpo Holding AG, Zürich

AnyWeb AG, Zürich

Kaiser Software GmbH, Bern

fast4meter, Storytelling, Bern

IBZ Industrie AG, Adliswil

Velo-Oase Bestgen, Baar

Niederer Kraft & Frey, Zürich

Mundipharma Laboratories GmbH, Basel

GUIDIMEDIACOM, Zollikon

reinhardpartner Architekten und Planer, Bern

Personalberatung Stellenwerk AG, Zürich

Weleda AG, Arlesheim

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Die Verfolgungsjagd – ein Must im Genrefilm «The Chaser».

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Ausgehtipps

Radhof, WinterthurMusik dröhnt, Volk tanztIn Winterthur gibt es ein Open Air der anderenArt. Es heisst Bambole, dauert drei Tage und istumsonst. Aus Rücksicht auf Landbesitzer undBarfusstänzer wird den Rauchern ein portab-ler Aschenbecher offeriert. Derart ausgerüstetgehts Richtung Hauptbühne, zu Rockern wieNavel aus Basel, den Engelberger TöfflibubenThe Toenails oder den Lokalmatadoren Pornolé. Indiepopper kommen bei Huck Finnaus Luzern und den Berner Electric Blanketauf ihre Kosten, und wer die stilistischenScheuklappen daheim lässt, entdeckt die Toll-hausmusik von Knuts Koffer. Auf der zweitenBühne musizieren am Freitag und Samstag je-weils Songwriter wie die italienische One-Man-Band Gypsy Rufina. Fürs leibliche Wohlsorgt eine illustre Schar freiwilliger Helfer, alsSanitäter amtet unter anderem eine bekannteGrösse des Kampftrinkervereins Turbojugend.Da kann eigentlich nichts schief gehen und soschliessen wir mit dem Grusswort der Veran-stalter: «Möge das Bier fliessen, die Musikdröhnen und das Volk tanzen.» (ash)Bambole, Radhof, Winterthur-Wülflingen,

13. bis 15. August. www.bambole.ch

Tollhaus Winterthur: Knuts Koffer am Bambole.

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Weissenstein/SORauf auf den BergDie Zeiger stehen auf fünf vor zwölf für den Sessellift, der auf den Weis-senstein fährt. Findet sich nicht bald ein Gönner, der die Erhaltung undSanierung der historischen Bahn mit ihren hölzernen Zweier-Sitzen er-möglicht, wird sie durch eine moderne Gondelbahn ersetzt. Wer alsoganz sicher noch einmal nostalgisch auf den Hausberg der Solothurnerfahren will, sollte das diesen Sommer noch tun. Von Oberdorf aus gon-deln die Sessel auf den Weissenstein hinauf. Oben auf dem Berg lässt essich gut wandern – oder einkehren. (juk)Seilbahn Weissenstein, Talstation in Oberdorf, bis am 1. November in Betrieb. Infos

und Öffnungszeiten: www.seilbahnweissenstein.ch

Vom Abbruch bedroht: Weissenstein-Sessellift.

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Nasser Spass – im Rhein durch Basel.

Langenbruck/BLRasante RodeleiWer es mag, wenn die Haare im Fahrtwind wehen, während grüne Wiesen vorbeisausen, sollteeinen Ausflug ins Baselbiet nach Langenbruck planen. Dort nämlich steht eine Rodelbahn, dieauch im Sommer geöffnet hat. Der Lift der über 1000 Meter langen Anlage wird sinnigerweise zu80 Prozent mit Fotovoltaik betrieben. Obwohl die Kurven steil sind, der Solarbob gehörig Fahrtaufnimmt und man den einzigen 540-Grad-Kreisel ganz Europas passieren muss, ist die Rodel-fahrt für die ganze Familie geeignet. Mit Verpflegung kann man sich vor Ort eindecken: Die Tun-nel-Kiosk-Bar und das Pyramidenzelt bieten Kleinigkeiten an – ein Picknickplatz lädt zum ausgiebigen Proviantverzehr ein. (mek)Solarbob Rodelbahn Langenbruck, bei schönem Wetter bis Oktober täglich geöffnet, von November bis März

nur an Wochenenden und Feiertagen. Infos: 062 390 03 03, www.solbarbob.ch Rodelbahn Langenbruck: Finden Sie den Kreisel!

Ausgebrannt, aber immer noch antörnend – Primal Scream.

BaselR(h)ein in die Fluten

Zugegeben, es ist nicht jedermanns Sache: Neben Hochseefrachtern den Fluss hinunter zu schwimmen, vorbei an Werken der chemischenIndustrie und unter Furcht einflössend hohen Brücken hindurch. Trotz-dem – wer den Sprung in den Rhein einmal gewagt hat, lässt fortan je-des Gartenbad links liegen und kann vom Bad mitten durch die BaslerAltstadt nicht genug kriegen. Und wer sich das erste Mal nicht alleine indie Strömung traut, kann es beim Rheinschwimmen zusammen mit vie-len anderen tun. Es lohnt sich. (juk)Basler Rheinschwimmen, 11. August, Treffpunkt kurz vor 18 Uhr, Kleinbasler Ufer,

Höhe Schaffhauserrheinweg 93. Die beim Start abgegebene Kleidung kann beim

Ziel am Kleinbasler Ufer, Höhe Florastrasse wieder in Empfang genommen werden.

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X-tra, ZürichKapriolen an der LuftgitarreEin klarer Fall von «Die gibts noch?» Primal Scream sind Überlebende.Und zwar nicht nur, weil Sänger Bobby Gillespie mehr Drogen konsu-miert hat als Pete Doherty warme Mahlzeiten. Kaum eine andere zeit-genössische Band hat derartige Stilkapriolen geschlagen. «Loaded»brachte 1991 den Durchbruch und gehört zu den raren Rave-Nummern,die man heute noch anhören kann. Danach gabs statt Acid-Beats aufeinmal gärigen Gitarrenrock, später flirteten die Schotten mit Dub,Krautrock und finsteren Elektroklängen. Zu Beginn des neuen Jahr-tausends schien die Band ausgebrannt. Doch vor Jahresfrist kam über-raschend die Rückkehr zu alter Klasse. «Beautiful Future» ist PrimalScreams poppigste Platte, die weder vor gut gelaunten Refrains nochGlockengebimmel zurückschreckt. Zusammen mit dem alten Repertoiresollte es also locker reichen für einen Abend im Zeichen von Hüft-schwung und Luftgitarre. (ash)16. August, 20 Uhr, X-tra, Zürich.

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Verkäuferporträt«Ich bin ein Stehaufmännchen»

AUFGEZEICHNET VON ETRIT HASLER

«Aufgewachsen bin ich in Burgdorf und Langenthal. Ich machte eineLehre als Metzger, doch die musste ich im dritten Lehrjahr abbrechen.Meine Mutter hatte damals einen Freund, der war Alkoholiker, so wieschon mein Vater einer war. Eines Abends kam ich nach Hause, er hat-te sie geschlagen, und da ging ich auf ihn los. Ich kam ins Pestalozzi-Heim in Birr, im Aargau, wo ich eine Lehre als Landwirt machen konn-te, die ich auch abschloss. Doch als ich aus der RS kam, ging alles einbisschen schief.

Ich kam nach Zürich und rutschte in die Drogenszene, zu der Zeit,als der Platzspitz noch offen war. Ich dealte, um mich durchzuschlagenund wohnte auf dem besetzten Wolgroth-Areal. Ich kam auch immerwieder von den Drogen weg, aber nie für immer. Über eine Freundin,die ich damals hatte, rutschte ich in die Technoszene. Natürlich hat daskomisch ausgesehen, ich mit der Lederjacke und dem AC/DC-Tattoo un-ter den Ravern, aber zusammen mit den Drogen hat mich das gepackt. Natürlich war das nur eine Suchtverlagerung vom Heroin aufEcstasy und LSD.

Ich war einer der Hausdealer in einem Zürcher Technoklub, das warein irres System, und alle arbeiteten zusammen: Securitys, Dealer undauch Personal mischten mit. Das Geschäft lief gut und ich lebte in Sausund Braus, schlief in Hotels und ass in feinen Restaurants. Aber ich sahauch, dass es Leute gab, die mit den Drogen nicht zurecht kamen. Wennich konnte, half ich denen, davon wegzukommen. Klar, viele rutschtenwieder hinein, aber zwei meiner Freunde von damals haben heute eineigenes Geschäft, sind richtige Normalbüezer geworden.

Nach St. Gallen kam ich über einen Kollegen, den ich in der Strafan-stalt Saxerried kennengelernt hatte, und seither bin ich nicht mehr vonhier weggekommen, obwohl ich finde, die Leute hier sind verschlosse-ner als im Rest der Schweiz. Und vor allem die Ämter: Als ich eine kur-ze Zeit verheiratet war, bin ich beim Sozialamt rausgeflogen, mit demArgument, ich hätte ja jetzt eine Frau, die mich unterstützen könne, obwohl sie gerade mal 2500 Franken verdiente. Und auch jetzt habe ichwieder Ärger mit dem Amt: Weil ich zu viel für Surprise arbeite, habensie mich aus der Obdachlosenunterkunft UFO geworfen. Ich hätte ja ge-nug Zeit gehabt, mir eine eigene Wohnung zu suchen, fanden sie nur.Und das obwohl ich fünf bis sieben Stunden pro Tag arbeite. Das istdoch eine Sauerei.

Surprise habe ich viel zu verdanken und ich arbeite hart dafür. DieArbeit ist auch toll: Ich bin mein eigener Chef, was mir wichtig ist, daich nie gut darin war, Befehle anzunehmen. Und ich habe einen schö-nen Standort, am Globus in der Altstadt, da sind die Leute nicht so gestresst wie zum Beispiel am Bahnhof, sie sind am ‹Lädele› und habeneher Zeit, sich das Heft anzuschauen oder auf ein Schwätzchen bei miranzuhalten. Dass das Heft teurer geworden ist, stört die Kunden schein-

René Widmer, 40, hat es seit seiner Jugend nicht einfach. Doch unterkriegen lässt er sich nicht, weder von derSucht noch von der Bürokratie.

bar nicht. Viele sagen, sie würden auch sieben oder acht Franken dafürbezahlen. Und diejenigen, die fragen, wieso es denn teurer gewordensei, verstehen sofort, wenn ich ihnen erkläre, dass wir jetzt versichertsind und bezahlte Ferien bekommen, wie jeder andere, der arbeitet,auch.

Ansonsten geht es mir ganz gut im Moment. Ich konsumiere fastnicht mehr, und ich habe eine zweieinhalbjährige Tochter, die mir einewichtige Stütze ist, damit ich nicht wieder völlig absacke. Sie motiviertmich, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Natürlich ist esschwierig, von den Drogen wegzukommen, und in einen Entzug will ichnicht. Wie soll ich der Kleinen das erklären, wenn Papa plötzlich dreiMonate weg ist? Ich kriege das auch selber in den Griff, ich bin ein Stehaufmännchen, und wenn ich mir etwas in den ‹Gring› setze, danngeht das.» ■

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Surprise kümmert sich um Menschen, die we-niger Glück im Leben hatten als andere. Men-schen, die sich aber wieder aufgerappelt habenund ihr Leben in die eigenen Hände nehmenwollen. Mit dem Verkauf des Strassenmaga-zins Surprise überwinden sie ihre soziale Iso-lation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wie-der einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstach-tung und erarbeiten sich aus eigener Kraft ei-nen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassen-verkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

ber. Das verdient Respekt und Unterstützung.Regelmässige Verkaufende werden von Sur -prise-Sozialarbeiterinnen be treut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehörtauch, dass sie von Surprise nach bestandenerProbezeit einen ordentlichen Arbeits vertrag er-halten. Mit der festen Anstellung übernehmendie Surprise-Verkaufenden mehr Verantwor-tung; eine wesentliche Voraussetzung dafür,wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarktzu werden.

Vorname, Name

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E-Mail

Datum, Unterschrift

1 Jahr: 8000 Franken 1/2 Jahr: 4000 Franken 1/4 Jahr: 2000 Franken 1 Monat: 700 Franken

Ja, ich werde Götti/Gotte von:

Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected], PC-Konto 12-551455-3

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BobEkoevi KoulekpatoBasel

Jela Veraguth Zürich

Wolfgang KreibichBasel

Marlise HaasBasel

Eine Chance für alle!Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte

Starverkäufer

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Rosalie Roggen aus Bern nominiert MihretabTeklemichael als Starverkäufer: «Ich möchteeine Lanze brechen für den ‹Empfangschef›der Berner Kirchenfeld-Migros. Unser Surpri-se-Freund hat für alle ein Lächeln bereit. Erkennt inzwischen das halbe Quartier, machtda einen Spruch, fragt dort, wies geht heute,und er bleibt auch dann freundlich und auf-merksam, wenn es vor dem Laden mit Stras-sen- und Tramanschluss zugeht wie im ‹höl-zige Himmel›. Herr Teklemichael fehlt, wenner einmal nicht da ist, er ist im Quartier zurInstitution geworden.»

Ihre Nominierung schicken Sie bitte an:

Strassenmagazin Surprise, Redaktion,

Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel,

F +41+61 564 90 99, [email protected]

Peter Gamma, BaselPeter Hässig, BaselRené Senn, ZürichMarika Jonuzi, BaselAndreas Ammann, Bern

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus:

Kurt Brügger, BasellandAnja Uehlinger, BadenFatima Keranovic, BasellandKumar Shantirakumar, Bern

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit dieChance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

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Rechnungsadresse:

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an:Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected]

24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– )(Verpackung und Versand bietenStrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Gönner-Abo für CHF 260.–

Vorname, Name

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Geschenkabonnement für:

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Impressum

HerausgeberStrassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel,www.strassenmagazin.chGeschäftsführungFred LauenerÖffnungszeiten SekretariatMo–Do 9–12/14–16.30 Uhr, Fr 9–12 UhrT +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99, [email protected] Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Agnes Weidkuhn (Koordina-tion), T +41 61 564 90 70, [email protected] MitarbeitMichèle Faller, Luc-François Georgi, Etrit Hasler, OlivierJoliat, Primo Mazzoni, Stefan Michel, Dominik Plüss, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Christian Schnur, Isabella Seemann, Udo Theiss, Priska Wenger, ChristopherZimmerKorrektoratAlexander JungoGestaltungWOMM Werbeagentur AG, BaselDruckAVD GoldachAuflage25100, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./JahrAnzeigenverkaufMathias Stalder, T +41 76 409 72 06, [email protected]

VertriebSmadah LévyBaselMatteo Serpi, T +41 61 564 90 80 ZürichReto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich,T +41 44 242 72 11BernAlfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, T +41 31 332 53 93Betreuung und FörderungRita Erni, Anna-Katharina Egli, T +41 61 564 90 51 Chor/KulturPaloma Selma, T +41 61 564 90 40StrassensportLavinia Biert, T +41 61 564 90 10,www.strassensport.chTrägerverein Strassen magazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugs -weise oder in Ausschnitten, nur mit aus-drücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redak-tion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt.

Surprise ist:

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit beglei-teten Angeboten in den Bereichen Arbeit, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selb-ständigkeit und berufliche Eingliederung, das Verantwortungsbewusstsein, die Gesundheit undeine positive Lebenseinstellung. Surprise gibt es in der deutschsprachigen Schweiz.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimmeund sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Ge-sellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit.

Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende unabhängige Strassenmagazin Surprise heraus.Neben einer professionellen Redaktion verfügt das Strassenmagazin über ein breites Netz vonfreien Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen. Der überwiegende Teil der Aufla-ge wird von Menschen ohne oder mit beschränktem Zugang zum regulären Arbeitsmarkt aufStrassen, Plätzen und in Bahnhöfen angeboten. Die regelmässige Arbeit gibt ihnen eine Tages-struktur, neues Selbstvertrauen und einen bescheidenden aber eigenständig erwirtschaftetenVerdienst. Für viele Surprise-Verkaufende ist das Strassenmagazin der erste Schritt zurück in eineigenständiges Leben.

Strassensport Der zweite Schwerpunkt von Surprise ist die Integration von sozial benachteiligten Menschenin der Schweiz über den Sport. Mit einer eigenen Strassenfussball-Liga, regelmässigem Trai-nings- und Turnierbetrieb, der Schweizermeisterschaft sowie der Teilnahme des offiziellenSchweizer Nationalteams am jährlichen «Homeless Worldcup» vernetzt Surprise soziale Institu-tionen mit Sportangeboten in der ganzen Schweiz.

Organisation und Internationale VernetzungSurprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Stras-senmagazin Surprise GmbH geführt, die von dem gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Sur-prise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerks der Stras-senzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband gegen 100Strassenzeitungen in über 40 Ländern an.

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*gemäss MACH Basic 2008-2.

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Seite bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, [email protected]

Ist gut. Kaufen!Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache.Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten; *limitiertes Produkt

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Olivier Mossets (64) letzte Ausstellung nannte sich «Ten Monochromes»und zeigte – wie der Name verspricht – zehn unifarbene Werke desSchweizer Künstlers. Auf 3 à 3 Meter. Die hat Mosset zum Anlass ge-nommen, um für Surprise zehn T-Shirts in denselben Farben zu ent-werfen. Mit Surprise-Aufschrift. Und vom Künstler signiert.

Der in Berlin lebende Schweizer Künstler Erik Steinbrecher (45) hat fürSurprise eine Fotosammlung von Werbetexten durchforstet. Daraus sinddrei T-Shirts mit «flüchtigen Hinweisen» entstanden. In SteinbrechersWorten: «Dadurch, dass der Text auf Schulterhöhe steht, ist er nicht de-korativ.» Dafür mutiere jeder T-Shirt-Träger zum Werbeträger.

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