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zenforschung. Die Universität Frankfurt hat kürzlich das For- schungskolleg Humanwissen- schaften gegründet. Welche Be- deutung messen Sie diesen »In- stitutes for Advanced Studies« in den Geisteswissenschaften bei? Schorn-Schütte: Dieses Programm ist eine parallele Aktivität des Ministe- riums zu den DFG-Kolleg-Forscher- gruppen. Die Ministerin wollte auf diesem Weg auch ihr Engagement für die Geisteswissenschaften un- terstreichen. Wenn in einer Univer- sität – wie nun in Frankfurt mit dem Forschungskolleg Humanwis- senschaften – bereits ein institutio- neller Rahmen und eine Infrastruk- tur aufgebaut werden, dann ist eine gute Voraussetzung geschaffen, um in ein solches Förderprogramm des Ministeriums aufgenommen zu werden. Wenn wir jetzt noch Glück hätten, den Zuschlag für das Exzel- lenzcluster zu bekommen und eventuell auch mit einem Antrag für eine DFG-Kolleg-Forschergrup- pe erfolgreich zu sein, gäbe es her- vorragende Strukturen, um die Pro- filbildung der Geistes- und Sozial- zu sagen: Dieses ist unsere Wissen- schaftstradition, hinter der müssen wir uns nicht verstecken. Die nächste Generation geht damit sehr viel unbefangener um und belebt die europäische Debatte damit. ? Bildungsministerin Annette Schavan will »Freiräume für die Geisteswissenschaften« schaffen und bis 2009 rund 64 Millionen Euro bereitstellen. Dazu gehört auch die Einrichtung internatio- naler Forschungskollegs als Orte geisteswissenschaftlicher Spit- wissenschaften an der Universität Frankfurt voranzubringen. ? Zu den Eliteuniversitäten wird die Johann Wolfgang Goethe- Universität nun zunächst einmal nicht gehören – eine verpasste Chance? Schorn-Schütte: Ich habe eigentlich gehofft, dass der Frankfurter Antrag eine Chance hat, weil das Konzept der Stiftungsuniversität aus meiner Sicht etwas Kreatives und Neues ist, was an die Traditionen der Bürger- universität in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts anknüpft – jenseits der staatlich finanzierten Universität. Die Idee, die Hochschule in eine öffentlich-rechtliche Stiftung umzuwandeln, bleibt eine Heraus- forderung – ganz unabhängig vom Ausgang dieses Auswahlprozesses. Es wird vermutlich eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative geben, nach fünf Jahren werden dann die Karten neu gemischt. Dann werden nicht alle weiter gefördert, die jetzt schon dabei sind, und spätestens dann kann die Universität Frankfurt ihr Glück noch einmal versuchen. Perspektiven 78 Forschung Frankfurt 1/2007 Wie Menschen Normen und Wertvorstellungen mit beeinflussen Der etwas andere Blick auf dynamische Prozesse bei der Herausbildung normativer Ordnungen – Fragestellungen für das geisteswissenschaftliche Exzellenzcluster N ormative Ordnungen legitimie- ren die Entstehung und Aus- übung politischer Autorität, sie bil- den aber auch die Grundstruktur, nach der Chancen und Lebensgüter in einer Gesellschaft verteilt werden sollen. Sie lassen sich nicht per De- kret unumstößlich fixieren, sondern leben von den dynamischen Impul- sen aller Beteiligten. Solche Normen, die innerhalb einer Gesellschaft all- gemeine Anerkennung beanspru- chen und ihren Niederschlag zum Beispiel in Verfassungen finden können, müssen sich zudem kri- tisch mit der jeweiligen gesellschaft- lichen Realität konfrontieren las- sen. Oftmals gehen aus dieser Kon- frontation neue Konflikte hervor, die zur Herausbildung einer ande- ren normativen Ordnung führen können. Wie bilden sich normative Ord- nungen, welchen Prozessen sind sie unterworfen? Diese Fragen lassen sich unter ganz verschiedenen Ge- sichtspunkten betrachten: Man kann nach den ökonomischen Be- dingungen fragen, nach dem Ein- fluss von anderen Faktoren wie den Macht- und Gewaltverhältnissen oder nach überindividuellen Me- chanismen, wie sie sich in hoch- komplexen Gesellschaften entwi- ckeln und sich beispielsweise in den Eigenrationalitäten des ökonomi- schen oder des politischen Systems widerspiegeln, die sich unabhängig von den Absichten der Beteiligten selbst regulieren. In dem geplanten Exzellenzcluster »Die Herausbil- dung normativer Ordnungen« wol- len wir unseren Fokus nicht so sehr auf die an diesen Prozessen beteilig- ten Systeme richten, sondern auf die Perspektive der Personen, die an der Herausbildung normativer Ordnungen beteiligt sind – Politiker, Richter bis zu Ehrenamtlichen bei Umweltgruppen, aber auch Bürger, die ausschließlich von ihrem Wahl- recht Gebrauch machen oder sich öffentlich engagieren. Als Akteure haben sie die Erwartung, dass nor- mative Ordnungen ihnen gegen- über gerechtfertigt werden und dass die Rechtfertigungen sie überzeu- gen können. Solche Erwartungen und die Art und Weise ihrer Erfül- lung lassen sich gewiss nicht von je- nen anderen Faktoren trennen, aber es wäre genauso falsch, sie nur als oberflächlichen Ausdruck ano- nymer überindividueller Strukturen zu untersuchen. In den geplanten Projekten des Clusters sollen nicht

UNI 2007/01 Teil 4 · riums zu den DFG-Kolleg-Forscher-gruppen. Die Ministerin wollte auf ... nicht nur die Gleichheit aller ... gen normativer Ordnungen zu erweitern und die den

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zenforschung. Die UniversitätFrankfurt hat kürzlich das For-schungskolleg Humanwissen-schaften gegründet. Welche Be-deutung messen Sie diesen »In-stitutes for Advanced Studies« inden Geisteswissenschaften bei?

Schorn-Schütte: Dieses Programm isteine parallele Aktivität des Ministe-riums zu den DFG-Kolleg-Forscher-gruppen. Die Ministerin wollte aufdiesem Weg auch ihr Engagementfür die Geisteswissenschaften un-terstreichen. Wenn in einer Univer-sität – wie nun in Frankfurt mitdem Forschungskolleg Humanwis-senschaften – bereits ein institutio-neller Rahmen und eine Infrastruk-tur aufgebaut werden, dann ist einegute Voraussetzung geschaffen, umin ein solches Förderprogramm desMinisteriums aufgenommen zuwerden. Wenn wir jetzt noch Glückhätten, den Zuschlag für das Exzel-lenzcluster zu bekommen undeventuell auch mit einem Antragfür eine DFG-Kolleg-Forschergrup-pe erfolgreich zu sein, gäbe es her-vorragende Strukturen, um die Pro-filbildung der Geistes- und Sozial-

zu sagen: Dieses ist unsere Wissen-schaftstradition, hinter der müssenwir uns nicht verstecken. Dienächste Generation geht damit sehrviel unbefangener um und belebtdie europäische Debatte damit.

? Bildungsministerin AnnetteSchavan will »Freiräume für dieGeisteswissenschaften« schaffenund bis 2009 rund 64 MillionenEuro bereitstellen. Dazu gehörtauch die Einrichtung internatio-naler Forschungskollegs als Ortegeisteswissenschaftlicher Spit-

wissenschaften an der UniversitätFrankfurt voranzubringen.

? Zu den Eliteuniversitäten wirddie Johann Wolfgang Goethe-Universität nun zunächst einmalnicht gehören – eine verpassteChance?

Schorn-Schütte: Ich habe eigentlichgehofft, dass der Frankfurter Antrageine Chance hat, weil das Konzeptder Stiftungsuniversität aus meinerSicht etwas Kreatives und Neues ist,was an die Traditionen der Bürger-universität in den zwanziger Jahrendes 20. Jahrhunderts anknüpft –jenseits der staatlich finanziertenUniversität. Die Idee, die Hochschulein eine öffentlich-rechtliche Stiftungumzuwandeln, bleibt eine Heraus-forderung – ganz unabhängig vomAusgang dieses Auswahlprozesses.Es wird vermutlich eine Fortsetzungder Exzellenzinitiative geben, nachfünf Jahren werden dann die Kartenneu gemischt. Dann werden nichtalle weiter gefördert, die jetzt schondabei sind, und spätestens dannkann die Universität Frankfurt ihrGlück noch einmal versuchen. ◆

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Wie Menschen Normen undWertvorstellungen mit beeinflussenDer etwas andere Blick auf dynamische Prozesse bei der Herausbildung normativer Ordnungen – Fragestellungen für das geisteswissenschaftliche Exzellenzcluster

Normative Ordnungen legitimie-ren die Entstehung und Aus-

übung politischer Autorität, sie bil-den aber auch die Grundstruktur,nach der Chancen und Lebensgüterin einer Gesellschaft verteilt werdensollen. Sie lassen sich nicht per De-kret unumstößlich fixieren, sondernleben von den dynamischen Impul-sen aller Beteiligten. Solche Normen,die innerhalb einer Gesellschaft all-gemeine Anerkennung beanspru-chen und ihren Niederschlag zumBeispiel in Verfassungen findenkönnen, müssen sich zudem kri-tisch mit der jeweiligen gesellschaft-lichen Realität konfrontieren las-sen. Oftmals gehen aus dieser Kon-frontation neue Konflikte hervor,die zur Herausbildung einer ande-ren normativen Ordnung führenkönnen.

Wie bilden sich normative Ord-nungen, welchen Prozessen sind sieunterworfen? Diese Fragen lassensich unter ganz verschiedenen Ge-sichtspunkten betrachten: Mankann nach den ökonomischen Be-dingungen fragen, nach dem Ein-fluss von anderen Faktoren wie denMacht- und Gewaltverhältnissenoder nach überindividuellen Me-chanismen, wie sie sich in hoch-komplexen Gesellschaften entwi-ckeln und sich beispielsweise in denEigenrationalitäten des ökonomi-schen oder des politischen Systemswiderspiegeln, die sich unabhängigvon den Absichten der Beteiligtenselbst regulieren. In dem geplantenExzellenzcluster »Die Herausbil-dung normativer Ordnungen« wol-len wir unseren Fokus nicht so sehrauf die an diesen Prozessen beteilig-

ten Systeme richten, sondern aufdie Perspektive der Personen, diean der Herausbildung normativerOrdnungen beteiligt sind – Politiker,Richter bis zu Ehrenamtlichen beiUmweltgruppen, aber auch Bürger,die ausschließlich von ihrem Wahl-recht Gebrauch machen oder sichöffentlich engagieren. Als Akteurehaben sie die Erwartung, dass nor-mative Ordnungen ihnen gegen-über gerechtfertigt werden und dassdie Rechtfertigungen sie überzeu-gen können. Solche Erwartungenund die Art und Weise ihrer Erfül-lung lassen sich gewiss nicht von je-nen anderen Faktoren trennen,aber es wäre genauso falsch, sie nurals oberflächlichen Ausdruck ano-nymer überindividueller Strukturenzu untersuchen. In den geplantenProjekten des Clusters sollen nicht

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nur historische Prozesse, sondernauch die gegenwärtigen globalenKonflikte um eine gerechte Welt-ordnung aus der Perspektive deragierenden Personen beleuchtetwerden.

Das »andere Bild«: Aus derPerspektive der Beteiligten

An Lorenzettis Fresko der gutenund der schlechten Regierung [sie-he auch Gunther Teubner »›Il buongoverno‹ – zur Symbolik in Loren-zettis Fresko«, Seite 34] kann mandie unterschiedlichen Blickwinkelauf normative Ordnungen vorzüg-lich erläutern. Aus einer externenPerspektive lässt sich etwa fragen,wie das Verhältnis zwischen denKommunikationssystemen Rechtund Politik dargestellt wird oderwelche Annahmen zu ökonomi-schen Bedingungen sich dem Fres-ko über die Folgen des guten Regi-ments entnehmen lassen. Einen an-deren Standpunkt nimmt jedochein, wer herauszufinden sucht, wiedie Beteiligten selbst ihre normativeOrdnung wahrnehmen, wie sie sichzu dem von ihr erhobenen An-spruch auf Geltung und Befolgungverhalten – und wie sie selbst dieseOrdnung rechtfertigen oder kritisie-ren. Wendet man sich dieser – fürdas geplante Exzellenzcluster zen-tralen – Perspektive zu, zeigen dieFresken ein »anderes Bild.«

Die Fresken befinden sich im»Saal der Neun«, der damaligenRegierung der Stadtrepublik Siena,also dem Zentrum einer republika-nischen Macht. Sie lassen sich da-her kritisch lesen als eine Art Spie-gel für die Regierungsmitglieder,der sie ermahnen und ermutigensoll, tugendhaft und gerecht zuhandeln, um die drastisch darge-stellten schädlichen Folgen einerschlechten Regierung zu vermei-den. Diese Sichtweise ermöglicht esdann auch denjenigen Bürgern, diemit der Regierung nicht überein-stimmen, kritisch auf diese Freskenzu verweisen, um die Regierung zugerechten Entscheidungen zu er-mahnen. Die Stadtrepublik Sienastellt sich so dar, wie sie sich selbstversteht und wie sie zu sein bean-sprucht, also in einem faktischenebenso wie in einem idealisieren-den Sinne. Das Band, das die Bür-ger zusammenschließt, läuft durcheinen Hobel, auf dem das Wort»Concordia« steht. Der Hobel lässtsich deuten als Symbol für die

Gleichheit der Bürger einer Repu-blik – nicht nur die Gleichheit allerRechtspersonen vor dem Gesetz,sondern auch die Gleichheit allerStaatsbürger, gleichberechtigt undaktiv partizipieren zu können.

Mit dem einigenden Band be-schwört das Fresko einen Zustand,der seit der Antike als größte Ge-fahr einer freien Gesellschaft galt:die Furcht vor der Zwietracht, vorder Bildung von Fraktionen, die einander bekämpfen und das Inte-resse der eigenen Gruppe über dasInteresse der Gesamtheit, das Ge-meinwohl oder »bonum commu-ne« stellen. Ein solcher, das Bandder Gerechtigkeit und Gleichheitsprengender, Dissens wurde für dieHauptursache des Bürgerkriegs ge-halten, der wiederum den Nährbo-den für die Tyrannis bildet – alsogenau das Gegenbild, das Lorenzettimit dem guten Regiment konfron-tiert, mit ihren Schrecken, mit ihrerKorruption, mit Armut und Ver-elendung und der allgegenwärtigenUnsicherheit und Angst.

Aber auch die Fresken zur gutenRegierung lassen sich anders inter-pretieren: als ein Gegen-Bild zu densonst geläufigen Darstellungen desguten Herrschers, der seine Machtunmittelbar von Gott empfängt undan der Spitze einer ständisch undhierarchisch gegliederten Gesell-

schaft steht, die gerade nicht ausder Gleichheit ihrer Mitglieder her-vorgeht, sondern durch die Un-gleichverteilung von Privilegienund Lasten geprägt ist. Ähnlich wiediese konträren Betrachtungswei-sen ein und desselben Gemäldessind eben auch die Interpretations-möglichkeiten der Personen, dienormative Ordnungen aus ihrer je-weiligen Perspektive beurteilen.

Allegorische Darstellung als Kontrastfolie der individuellen Bewertung

Anders als bei einem gelehrten poli-tisch-juristischen Traktat – wie esMachiavelli zirka 200 Jahre späterin Florenz schreiben wird – gelingtes Lorenzettis Fresko, wie in einerErzählung mit sinnlichen, sinnfälli-gen und ästhetischen Mitteln ver-ständlich zu machen, was normati-ve Ordnung und Wertvorstellungender Bürger in Siena ausmachen. Diezeitgenössischen Betrachter brauch-ten vermutlich nicht wie die meis-ten von uns heute eine Art Manual,um die Bedeutungen der verschie-denen Figuren und ihrer aufeinan-der bezogenen Tätigkeiten zu ver-stehen. Indem dieses Fresko vonden guten und schlechten Regie-rungen sowie ihren jeweiligen Fol-gen erzählt, vollzieht es zugleich ei-ne Handlung, mit der die normative

Überragt von derWeisheit, throntdie Gerechtigkeitüber den Bürgernder Stadt. Mit die-sen ist sie durchein Seil verbun-den, das von denWaagschalen derausgleichendenund der verteilen-den Gerechtigkeitüber die Figur derEinheit und durchden auf ihremSchoß liegendenHobel der bürger-lich-republikani-schen Gleichheitführt.

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Frankfurter Geisteswissenschaftler nehmen erste Hürde – Entscheidung im Oktober

»Erste Hürde genommen, aber weiter feilen am ge-meinsamen Antrag für das Exzellenzcluster« – dieFrankfurter Geistes- und Sozialwissenschaftler rea-gierten mit Erleichterung und gedämpftem Optimis-mus, als am 12. Januar bei der Deutschen For-schungsgemeinschaft verkündet wurde, dass sie auf-gefordert sind, das von ihnen gewählte Thema»Herausbildung normativer Ordnungen« zu präzisie-ren. Immerhin gehörte der Frankfurter Antrag damitzu den 40 der 123 Projektvorschläge, die nun in dieEndrunde um die 13 noch zu vergebenden Exzellenz-cluster vorgerückt sind. Die bundesweite Konkurrenzist, insbesondere in den Geistes- und Sozialwissen-schaften, groß, da die Zahl der Anträge aus diesemFächerspektrum deutlich höher liegt als noch in derersten Runde.

Nach anstrengenden Wochen des Diskutierens undFormulierens, in denen sich das spezifische Frankfur-ter Profil immer klarer herauskristallisiert hat, mussder mehr als 100 Seiten lange Antrag Mitte April aufdem Tisch der internationalen Gutachter-Kommission

liegen. Im Oktober entscheidet sich, ob sich die Uni-versität Frankfurt – neben den beiden bereits bewillig-ten naturwissenschaftlichen Exzellenzclustern – auchmit einem geisteswissenschaftlichen Cluster profilie-ren kann. Setzt sich das Frankfurter Wissenschaftler-Team, dem insgesamt 22 Forscher angehören, durch,wird der Erfolg mit einer durchschnittlichen Förder-summe von 6,5 Millionen Euro pro Jahr über fünfJahre honoriert.

Die intensive interdisziplinäre Forschungsarbeitvon Historikern, Philosophen, Politologen, Ökono-men, Rechtswissenschaftlern und Kulturanthropolo-gen könnte sofort unter optimalen Bedingungen auchfür den wissenschaftlichen Nachwuchs beginnen. Umvon der internationalen Jury positiv bewertet zu wer-den, reicht es nicht aus, fächerübergreifende Koope-rationen innerhalb der Universität zu initiieren. Ge-meinsam mit Wissenschaftlern der Hessischen Stif-tung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), desInstituts für Sozialforschung, des Max-Planck-Institutsfür Europäische Rechtsgeschichte und der Techni-schen Universität Darmstadt entwickelten die Uni-Wissenschaftler in den vergangenen Monaten einfeinmaschiges Kompetenz-Netz.

Auf dem Weg zum Exzellenzcluster

Der gute Herr-scher erscheintals Verkörperungdes Gemeinwohls,die Farben derStadtrepublik Siena tragend und eingerahmtvon den aristoteli-schen sowiechristlichen Tugenden.

Ordnung der Republik Siena in derMitte des 14. Jahrhunderts nichtbloß allegorisch repräsentiert, son-dern auch bekräftigt, bestätigt undso idealisiert wird, dass sie als Kon-trastfolie für die Beurteilung undBewertung ihrer eigenen Gegen-wart taugt.

Für die Angehörigen der Repu-blik, die das Fresko betrachteten

Herrschaftsform oder eine bestimm-te Verteilung der Grundgüter einerGesellschaft legitimiert wird, nichtallein von den Gründen abhängt,die sich in einer öffentlichen dis-kursiven Rede behaupten und be-streiten lassen. Vielmehr sind solcheLegitimationen stets eingebettet inHandlungen, Handlungsmuster, Er-zählungen und Rituale. Dieseschöpfen ihre Bedeutung aus denkonkreten historischen Umständen,aus den jeweiligen Erfahrungsräu-men und Erwartungshorizontender Beteiligten und Betroffenen, ih-ren kulturellen Traditionen und Ri-tualen, ihren literarischen und my-thologischen Überlieferungen, ih-ren kollektiven, in langwierigenAuseinandersetzungen geformten,von gemeinsamen oder kontrover-sen Wertüberzeugungen geprägtenIdentitäten und ihrem jeweiligenWissen von sich und anderen wievon der sie umgebenden, durch ih-re Handlungen mitgestalteten Welt.Die ganz unterschiedlich motivier-ten und historisch begründetenFaktoren bezeichnen wir als»Rechtfertigungsnarrative«, um be-wusst den Horizont auf die histori-schen und lokalen, lebensweltli-chen Kontexte der Rechtfertigun-gen normativer Ordnungen zuerweitern und die den Beteiligtenunmittelbar präsenten kulturellen

und die Erzählung verstehendnachvollzogen, lieferte sie eineRechtfertigung ihrer eigenen nor-mativen Ordnung, die sie ihrerseitsakzeptieren, zurückweisen oder kri-tisch mit Blick auf die Differenzzwischen dem im Fresko dargestell-ten Anspruch und der Wirklichkeitder alltäglichen Regierung lesenkonnten. Mit der ausführlichenSchilderung der Folgen der schlech-ten Regierung konnte das Freskoden Beteiligten, je nachdem, alswarnendes Beispiel bei der Kritikeines Entscheidungsvorschlags die-nen oder als Rechtfertigung für einegerade auf die Abwendung solcherFolgen zielenden Maßnahme. Eshandelt sich also um eine Erzäh-lung, welche für die Beteiligten undBetroffenen als Medium für die kri-tische Rechtfertigung ihrer normati-ven Ordnung und der sie begrün-denden und erhaltenden politi-schen Entscheidungen fungiert –nicht unmittelbar durch Argumenteund Begründungen, sondern durchdie sinnliche Evidenz der bildlichenDarstellung.

Eingebettet in kulturelle Traditionen und Handlungen

An diesem Beispiel lässt sich zeigen,dass der Geltungsanspruch einernormativen Ordnung, mit der eine

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Zusammenhänge mit in den Blickzu nehmen.

Auch das lässt sich am Beispielder selbstbewussten Stadtgesell-schaft der Frühen Neuzeit exempla-risch verdeutlichen: So sind dieBürger Sienas geprägt vom Selbst-verständnis einer Stadtrepublik inder Inkubationszeit der Renaissan-ce, sie rezipieren die Antike und in-terpretieren ihre Tugenden in neuerWeise, wenden sich von mittelalter-lichen Vorstellungen und Ritualenab und entwickeln ein neues

Selbstbewusstsein gegenüber denkonkurrierenden Staaten in ihrerUmwelt. Und auch gegenüber demAnspruch der Religion zeigen siemehr Distanz: Zwar sind in Loren-zettis Fresko die aristotelischen Tu-genden der Tapferkeit, Klugheit, desGroßmuts und der Mäßigung über-wölbt von den spezifisch christli-chen Tugenden des Glaubens, derLiebe und der Hoffnung – doch dieallegorische, das Kreuz tragende Fi-gur des Glaubens steht keineswegsso im Zentrum wie die Figuren derGerechtigkeit, des Friedens oder gardie das Wappen Sienas tragende Fi-gur des »bonum commune.«

In solchen »Rechtfertigungsnar-rativen« verbinden sich auf einenoch zu entschlüsselnde Weise nor-mative, auf Überzeugung und Ein-sicht zielende Gründe mit rhetori-schen, narrativen, ästhetischen undperformativen Elementen. Zumeistist es diese »narrative« Dimensionnormativer Ordnungen, an der sichauch die kritischen Gegen-Narrati-ve entzünden, die Umwälzungen in

Gang setzen: Aus diesem Gegen-Impuls kann sich, wenn die Dyna-mik von einer zunehmenden An-hängerschaft geschürt und von densozialen und ökonomischen Ver-hältnissen in einer Gesellschaft mit-getragen wird, eine neue Machtentwickeln, die schließlich auch mitden diskursiven Mitteln einer ratio-nalen Rechtfertigung zur Herausbil-dung einer neuen normativen Ord-nung führt.

Für den sienesischen Maler undseine Zeitgenossen gab es eine ein-

zige normative Ordnung, die ver-schiedene normative Teilordnungenauf harmonische Weise zu integrie-ren vermochte – die weltliche Herr-schaftsordnung mit der Religion,dem gemeinschaftlichen Selbstver-ständnis der Bürger, den Forderun-gen der Verteilungs- und Tauschge-rechtigkeit sowie den ethischenMaximen der individuellen Lebens-führung.

Globale Gegenwart: Demokratieexport und gerechte Verteilung derReichtümer

Springt man über viele Jahrhun-derte hinweg in die unmittelbareGegenwart, zeigt sich, dass diesesharmonische Verhältnis zwischenden normativen Teilordnungennicht mehr besteht. Der National-staat war einer der letzten Versu-che, ein alle Teilordnungen über-greifendes, in einer nationalen Verfassung verkörpertes Recht-fertigungsnarrativ zu entwickeln,das mit der Trennung von Staat

und Kirche die Religion privatisier-te, eine universalistische Moral voneinem positivierten Recht trennte,Fragen der individuellen Lebens-führung dem Einzelnen überant-wortete sowie Menschenrechte undVolkssouveränität in eine span-nungsreiche Balance brachte. Zwarentwickelte sich so ein relativ hohesMaß an Stabilität, doch auch dienormative Ordnung der National-staaten konnte nicht verhindern,dass sich in einigen Fällen die Ge-wichte verschoben und das kollek-

tive nationale Selbstverständnisplötzlich alle anderen normativenAnsprüche zugunsten des Impera-tivs einer zumeist aggressiven undzerstörerischen nationalen Selbstbe-hauptung verdrängte, wie an dennationalistischen Diktaturen des 20.Jahrhunderts deutlich wird.

Der Kalte Krieg vermochte – zu-mindest in einigen Teilen der Welt –verschiedene Nationalstaaten inden Gegensatz zwischen zwei gro-ßen normativen Ordnungen einzu-binden, freilich um den Preis der la-tenten Drohung eines Atomkriegsund der erzwungenen Duldungmassiver Menschenrechtsverletzun-gen. Im Zeitalter der Globalisierungbüßt das nationalstaatliche Recht-fertigungsnarrativ an Überzeu-gungskraft ein – oder es wird zu ei-nem Instrument umfunktioniert,

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Die Folgen des guten Regiments zeigen sich an der Blüte desöffentlichen Lebens sowie an der optimalen Verwirklichungmenschlicher Fähigkeiten. Die Bürger gehen unbehelligt ihrenGewerben nach, üben ihr Handwerk aus, widmen sich Wissen-schaft und Kunst, nehmen an öffentlichen Festen teil.

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Weltöffentlichkeit skandalisiert, siemobilisieren nationalstaatliche Re-gierungen zu humanitären Inter-ventionen, die wiederum die Ge-fahr neuer Menschenrechtsverlet-zungen heraufbeschwören.

Ob es um die Frage des Demo-kratieexports oder um die gerechteVerteilung der Reichtümer zwi-schen den Ländern des Südens unddes Nordens geht, um den Zugangzu lebenswichtigen Medikamentenfür Millionen HIV-infizierter Men-schen zu erschwinglichen Preisen –in allen diesen Fällen scheint sicheine globale Rechtfertigungsord-nung durchzusetzen, in der Men-schenrechte und Prinzipien der Ge-rechtigkeit eine zunehmend wichti-gere Rolle spielen. Dies gilt auch da,wo religiöse Wahrheiten und Über-zeugungen eines Teils der Welt auf

mit dem autoritäre Regimes ihrerBevölkerung suggerieren, dass sieso den von der Globalisierung aus-gehenden Bedrohungen widerste-hen könnten. Dort, wo der Natio-nalstaat nicht mehr als politischerAdressat normativer Forderungeninfrage kommt, ergibt sich ein hete-rogenes, teilweise widersprüchli-ches Bild. Die aktuellen Konflikteum die Herausbildung einer gerech-ten Weltordnung sind weder Sys-temkonflikte noch ideologischeKämpfe um kollektive Identitäten,sondern sie werden von normati-ven Forderungen getragen, diehöchst ambivalent als unmittelbareGerechtigkeitsansprüche von Men-schen auftreten. Menschenrechts-verletzungen werden selektiv unddurch Medien vermittelt und mitmoralischer Empörung vor der

säkularisierte Prinzipien der Demo-kratie und der individuellen Frei-heitsrechte eines anderen Teils pral-len oder wo dieser Konflikt zuSpannungen innerhalb der ver-schiedenen Kulturen selbst führt.Auch der wohlmeinende Transfervon Demokratie und liberalenRechtssystemen lässt sich nicht vonErfahrungen der Missachtung undder Ungleichbehandlung trennen,wo er in einer paternalistischenHaltung mit militärischen Mittelnunter Inkaufnahme unschuldigerOpfer oder mit der Drohung vollzo-gen wird, ansonsten vom Welt-markt oder bitter benötigten Kredi-ten der Weltbank ausgeschlossen zuwerden. Menschen lassen sich nichteinfach unter eine normative Ord-nung subsumieren, sondern sie ver-langen Rechtfertigungen, durchwelche sie zugleich als Personenanerkannt werden. Im Mittelpunktdes Exzellenzclusters steht nebender historischen Dimension der He-rausbildung normativer Ordnungenvor allem die neue Situation, diesich gegenwärtig im Gefolge derGlobalisierung entwickelt. ◆

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Die Gemeinschaftder durch das Seilder Gerechtigkeit,Einheit undGleichheit verbun-denen Bürger bil-det keine unifor-me Masse, son-dern besteht ausIndividuen, dieder Maler ver-schieden gestaltethat und in unter-schiedliche Rich-tungen blickenlässt.

Der Autor

Prof. Dr. Klaus Günther, 50, ist Professorfür Rechtstheorie, Strafrecht und Straf-prozessrecht am Institut für Kriminal-wissenschaften und Rechtsphilosophieim Fachbereich Rechtswissenschaft so-wie Mitglied des Forschungskollegiumsam Institut für Sozialforschung. Ge-meinsam mit dem Historiker Prof. Dr.Johannes Fried ist er Koordinator desVorantrags für das Exzellenzcluster undgegenwärtig Koordinator des Vollantrags,der im April bei der Deutschen For-schungsgemeinschaft eingereicht wer-den muss.

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