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1 Designs qualitativer Forschung in der Deutschdidaktik – ein Überblick Prof. Dr. Christine Garbe, Dr. Andreas Seidler, Andreas Barnieske Vortrag im Rahmen des Literaturdidaktischen Kolloquiums an der Universität zu Köln Universität zu Köln Gliederung 1. Theorie qualitativen Denkens (Christine Garbe) 2. Untersuchungspläne 2.1 Einzelfallanalyse (Andreas Barnieske) 2.2 Dokumentenanalyse (Christine Garbe) 2.3 Handlungsforschung (Andreas Seidler) 3. Literatur

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Designs qualitativer Forschung in der Deutschdidaktik – ein Überblick

Prof. Dr. Christine Garbe, Dr. Andreas Seidler, Andreas Barnieske

Vortrag im Rahmen des Literaturdidaktischen Kolloquiums an der Universität zu Köln

Universität zu Köln

Gliederung 1. Theorie qualitativen Denkens (Christine Garbe)

2. Untersuchungspläne

2.1 Einzelfallanalyse (Andreas Barnieske)

2.2 Dokumentenanalyse (Christine Garbe)

2.3 Handlungsforschung (Andreas Seidler)

3. Literatur

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Die Grundlagen qualitativen Denkens: 5 Postulate

Postulat 1: Subjektbezogenheit

Gegenstand humanwissenschaftlicher Forschung sind immer Menschen, Subjekte. Die von der Forschungsfrage betroffenen Subjekte müssen Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchungen sein.

Postulat 2: Deskription

Am Anfang einer Analyse muss eine genaue und umfassende Beschreibung des Gegenstandsbereichs stehen.

Postulat 3: Interpretation

Der Untersuchungsgegenstand der Humanwissenschaften liegt nie völlig offen, er muss immer auch durch Interpretation erschlossen werden.

Postulat 4: Alltägliche Umgebung

Humanwissenschaftliche Gegenstände müssen immer möglichst in ihrem natürlichen, alltäglichen Umfeld untersucht werden.

Postulat 5: Verallgemeinerungsprozess

Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse stellt sich nicht automatisch über bestimmte Verfahren ein; sie muss im Einzelfall schrittweise begründet werden.

Wie lassen sich die abstrakten Postulate forschungspragmatisch aufschlüsseln?

Die 13 Säulen qualitativen Denkens

Einzelfallbezogenheit Deskription

Offenheit

Methodenkontrolle

Vorverständnis

Interpretation

Introspektion

Forscher-Gegenstands-Interaktion

Im Alltag

Ganzheit Subjekt

Historizität

Problemorientierung

Argumentative Verallgemeinerung

Verallgemeinerungsprozess

Induktion

Regelbegriff

Quantifizierbarkeit

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Die 13 Säulen qualitativen Denkens

Einzelfallbezogenheit Deskription

Offenheit

Methodenkontrolle

Im Forschungsprozess müssen immer auch Einzelfälle mit erhoben u. analysiert werden, an denen die Adäquatheit von Verfahrensweisen u. Ergebnisinterpretationen laufend überprüft werden kann.

Der Forschungsprozess muss so offen dem Gegenstand gegenüber gehalten werden, dass Neufassungen, Ergänzungen und Revisionen sowohl den theoretischen Strukturierungen und Hypothesen als auch der Methoden möglich sind, wenn der Gegenstand dies erfordert

Der Forschungsprozess muss trotz seiner Offenheit methodisch kontrolliert ablaufen, die einzelnen Verfahrensschritte müssen expliziert, dokumentiert werden und nach begründeten Regeln ablaufen.

Die 13 Säulen qualitativen Denkens

Vorverständnis

Interpretation

Introspektion

Forscher-Gegenstands-Interaktion

Die Analyse sozialwissenschaftlicher Gegenstände ist immer vom Vorverständnis des Analytikers geprägt. Das Vorverständnis muss deshalb offen gelegt und schrittweise am Gegenstand weiterentwickelt werden.

Bei der Analyse werden auch introspektive Daten als Informationsquellen zugelassen. Sie müssen jedoch als solche ausgewiesen, begründet und überprüft werden.

Forschung wird als Interaktionsprozess aufgefasst, in dem sich Forscher und Gegenstand verändern.

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Die 13 Säulen qualitativen Denkens

Im Alltag

Ganzheit Subjekt

Historizität

Problemorientierung

Analytische Trennungen in menschliche Funktions- bzw. Lebensbereiche müssen immer wieder zusammengeführt werden und in einer ganzheitlichen Betrachtung interpretiert und korrigiert werden.

Die Gegenstandsauffassung im qualitativen Denken muss immer primär historisch sein, da humanwissenschaftliche Gegenstände immer eine Geschichte haben, sich immer verändern können.

Der Ansatzpunkt humanwissenschaftlicher Untersuchungen sollen primär konkrete, praktische Problemstellungen im Gegenstandsbereich sein, auf die dann auch die Untersuchungsergebnisse bezogen werden können.

Die 13 Säulen qualitativen Denkens

Bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse humanwissenschaftlicher Forschung muss explizit, argumentativ abgesichert begründet werden, welche Ergebnisse auf welche Situationen, Bereiche, Zeiten hin generalisiert werden können.

In sozialwissenschaftlichen Untersuchungen spielen induktive Verfahren zur Stützung und Verallgemeinerung der Ergebnisse eine zentrale Rolle, sie müssen jedoch kontrolliert werden.

In humanwissenschaftlichen Gegenstandsbereich werden Gleichförmigkeiten nicht mit allgemein gültigen Gesetzen, sondern besser mit kontextgebundenen Regeln abgebildet.

Auch in qualitativ orientierten humanwissenschaftlichen Untersuchungen können (mittels qualitativer Inhaltsanalyse) die Voraussetzungen zur Absicherung und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse geschaffen werden.

Argumentative Verallgemeinerung

Verallgemeinerungsprozess

Induktion

Regelbegriff

Quantifizierbarkeit

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Untersuchungspläne und Verfahren qualitativer Forschung nach Philipp Mayring 2002

Qualitative Designs Einzelfallanalyse Handlungsforschung

Dokumentenanalyse Feldforschung

Qualitative Evaluation Qualitatives Experiment

Qualitative Erhebungsverfahren Problemzentriertes Interview Gruppendiskussion

Narratives Interview Teilnehmende Beobachtung

Untersuchungspläne und Verfahren qualitativer Forschung

Aufbereitungsverfahren Wahl der Darstellungsmittel Zusammenfassendes Protokoll

Wörtliche Transkription Selektives Protokoll

Kommentierte Transkription Konstruktion deskriptiver Systeme

Auswertungsverfahren Gegenstandsbezogene Theoriebildung

Qualitative Inhaltsanalyse

Phänomenologische Analyse Objektive Hermeneutik

Sozialwissenschaftlich-hermeneutische Paraphrase

Psychoanalytische Textinterpretation

Typologische Analyse

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Gliederung 1. Theorie qualitativen Denkens (Christine Garbe)

2. Untersuchungspläne

2.1 Einzelfallanalyse (Andreas Barnieske)

2.2 Dokumentenanalyse (Christine Garbe)

2.3 Handlungsforschung (Andreas Seidler)

3. Literatur

Untersuchungspläne Erhebungsverfahren Auswertungsverfahren

Einzelfallanalyse Problemzentriertes Interview

Gegenstandsbezogene Theoriebildung

Dokumentenanalyse Narratives Interview Phänomenologische Analyse

Handlungsforschung Gruppendiskussion Sozialwissenschaftlich-hermeneutische Paraphrase

Feldforschung Teilnehmende Beobachtung

Qualitative Inhaltsanalyse

Das qualitative Experiment

Objektive Hermeneutik

Qualitative Evaluationsforschung

Psychoanalytische Textinterpretation

Typologische Analyse

Untersuchungspläne und ihre Verfahren

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Untersuchungspläne Erhebungsverfahren Auswertungsverfahren

Einzelfallanalyse Problemzentriertes Interview

Gegenstandsbezogene Theoriebildung

Dokumentenanalyse Narratives Interview Phänomenologische Analyse

Handlungsforschung Gruppendiskussion Sozialwissenschaftlich-hermeneutische Paraphrase

Feldforschung Teilnehmende Beobachtung

Qualitative Inhaltsanalyse

Das qualitative Experiment

Objektive Hermeneutik

Qualitative Evaluationsforschung

Psychoanalytische Textinterpretation

Typologische Analyse

Untersuchungspläne und ihre Verfahren

Beispiel: Dissertationsprojekt

Arbeitstitel des Vorhabens: „Zur Praxis von lesebezogenen Peer-Kommunikationen und

ihre Bedeutung für die individuelle(n) Lesemotivation(en)“

Eine zentrale Frage ist: Welche Lesemotivation(en) werden durch Peer-

Kommunikationen beeinflusst?

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Der Peer-Begriff -  Den Kern des peer-Begriffs bildet das Prinzip der „symmetrischen

Reziprozität“ (Youniss 1982), d.i. die wechselseitige Interaktion von Personen auf einer hierarchiegleichen Stufe.

-  Im Gegensatz zum unilateral-komplementären Strukturmuster (z.B. Eltern-Kind-Interkation) herrscht im symmetrisch-reziproken Strukturmuster nicht notwendiger Weise eine Ordnung im Handeln. Peers ko-konstruieren untereinander Beziehungen, Wissen und Kultur.

Schule

Formal

Verein

Non-formal Partner-

schaft Freund-schaft

Clique Netzwerk (Schueler.vz)

In-formell

Formen von Peer-Zusammenschlüssen (nach Oswald/ Uhlendorff 2008)

Die Einzelfallanalyse

-  Die Komplexität des ganzen Falles, die Zusammenhänge der Funktions- und Lebensbereiche in der Ganzheit der Person und der historische, lebensgeschichtliche Hintergrund sollen betont werden

-  Einzelfallstudien dienen der Beschreibung und der Rekonstruktion des subjektiven Sinns

-  Sie können als Korrektiv humanwissenschaftlicher Forschung dienen (Theorietest)

-  Sie können die Interpretation von quantitativen Daten erleichtern

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Vorgehensplan zur Sicherung der wissenschaftlichen Verwertbarkeit des Materials

1.  Fragestellung: Kein Fall ist an sich interessant. Es muss expliziert werden, was mit der Fallanalyse bezweckt werden soll

2.  Falldefinition: Was soll als Fall gelten? Denkbar sind Extremfälle, Idealtypen, häufige Fälle, selten Fälle, theoretisch interessante Fälle

3.  Bestimmung der Methoden und Erhebung 4.  Aufbereitung des Materials

(Fallzusammenfassung, Fallstrukturierung, Fallinterpretation)

5.  Einordnung des Einzelfalls in einen größeren Zusammenhang

Bezogen auf das Beispiel: „Welche Lesemotivation(en) werden durch Peer-Kommunikationen beeinflusst?“

-  Kein Fall ist an sich interessant top down-Verfahren der bewussten Stichprobenziehung

Für die Probanden scheint die Kommunikation mit anderen über Gelesenes von zentraler Bedeutung zu sein

-  Was gilt als Fall? Idealtyp Durch Anschlusskommunikation werden textbezogene

Konstruktionsprozesse ausgetauscht -  Komplexität des ganzen Falles / Rekonstruktion des

subjektiven Sinns Unterschiedliche Fälle denkbar: das Mädchen vom

Gymnasium, das immer gerne gelesen hat; der Junge von der Realschule, der in der Freizeit nie gelesen hat)

offene Erhebungsinstrumente

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Problemzentriertes Interview (halbstrukturiert)

-  Das Problemzentrierte Interview wählt den sprachlichen Zugang, um seine Fragestellung auf dem Hintergrund subjektiver Bedeutungen, vom Subjekt selbst formuliert, zu eruieren

-  Der Interviewer lässt den Probanden möglichst frei zu Wort kommen (keine Antwortvorgaben)

-  Es ist aber zentriert auf eine bestimmte Problemstellung, die vorher analysiert wurde

-  Wesentliche Dimensionen, die es zu untersuchen gilt, werden in einem Leitfaden festgehalten

-  Bietet sich bei einem größeren Sample an

Qualitative Inhaltsanalyse

Grundgedanke: Qualitative Inhaltsanalyse will Texte systematisch analysieren, indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet entwickelten Kategoriensystem bearbeitet.

Anwendungsgebiete: Qualitative Inhaltsanalyse eignet sich für systematische, theoriegeleitete Bearbeitung von Textmaterial. Dabei sind auch große Mengen zu bewältigen (Sample: 20 Probanden)

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Qualitative Inhaltsanalyse

Ablaufmodell strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse

Bestimmung der Strukturierungsdimensionen und Ausprägungen (theoriegeleitet), Zusammenstellung des Kategoriensystems

Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den einzelnen Kategorien

Materialdurchlauf: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen

Materialdurchlauf: Fundstellenbezeichnung

Ergebnisaufbereitung

Überarbeitung, gegebenenfalls Revision von Kategoriensystem und Kategoriendefinition

Qualitative Inhaltsanalyse

Gegenstand der Analyse Fragestellung, Theorie

Festlegen eines Selektionskriteriums, Kategoriendefinition

Zeilenweiser Materialdurchgang: Kategoriendefinition, Subsumption oder neue Kategorienformulierung

Revision der Kategorien nach 10-50% des Materials

Endgültiger Materialdurchgang

Interpretation, Auswertung

Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung

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Gliederung 1. Theorie qualitativen Denkens (Christine Garbe)

2. Untersuchungspläne

2.1 Einzelfallanalyse (Andreas Barnieske)

2.2 Dokumentenanalyse (Christine Garbe)

2.3 Handlungsforschung (Andreas Seidler)

3. Literatur

Untersuchungspläne Erhebungsverfahren Auswertungsverfahren

Einzelfallanalyse Problemzentriertes Interview

Gegenstandsbezogene Theoriebildung

Dokumentenanalyse Narratives Interview Phänomenologische Analyse

Handlungsforschung Gruppendiskussion Sozialwissenschaftlich-hermeneutische Paraphrase

Feldforschung Teilnehmende Beobachtung

Qualitative Inhaltsanalyse

Das qualitative Experiment

Objektive Hermeneutik

Qualitative Evaluationsforschung

Psychoanalytische Textinterpretation

Typologische Analyse

Untersuchungspläne und ihre Verfahren

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Die Dokumentenanalyse

  Die Dokumentenanalyse will Material erschließen, das nicht erst vom Forscher durch die Datenerhebung geschaffen werden muss („nonreaktives Messen“).

  „Dokumente“ können vielfältige Materialien sein: Texte, Filme, Tonbänder, aber auch Gegenstände wie Bauten, Kunstobjekte, Werkzeuge – je nach Fragestellung. Sie werden als Objektivationen des menschlichen Geistes / der menschlichen Psyche betrachtet.

  Die Dokumentenanalyse bedient sich meist qualitativer Verfahren / interpretativer Methoden.

  Überall dort, wo kein direkter Zugang durch Beobachten, Befragen oder Messen möglich ist, stellt die Dokumentenanalyse den bevor-zugten Zugang dar. Sie kann jedoch in beinahe jeden Untersuchungs-plan eingebaut werden; besonders verbreitet ist sie in historischen und kommunikationswissenschaftlichen Studien.

Die Dokumentenanalyse

Aus der Quellenkritik der Geschichtswissenschaft lassen sich 6 Kriterien für den Erkenntniswert von Dokumenten ableiten:

1.  Art des Dokuments: Urkunden / Akten / Zeitungsberichte etc. 2.  Äußere Merkmale des Dokuments: Zustand des Materials, etc. 3.  Innere Merkmale des Dokuments: Inhalt bzw. Aussagekraft 4.  (Grad der) Intendiertheit des Dokuments: Wurde es für die (Beeinflus-

sung der) Öffentlichkeit geschrieben oder nicht? 5.  Nähe des Dokuments zum Gegenstand, der untersucht werden soll:

zeitlich, räumlich, sozial… 6.  Herkunft und Überlieferung des Dokuments: Authentizität, Quellen-

kritik, etc.

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Die Dokumentenanalyse

Der Ablauf einer Dokumentenanalyse erfolgt in 4 Schritten:

1.  Klare Formulierung der Fragestellung: Was soll untersucht werden? 2.  Definition, was als Dokument gelten soll: Welches Material soll für die

Analyse herangezogen werden? 3.  Quellenkritik: Wie ist die Aussagekraft der herangezogenen Dokumente

zu bewerten? 4.  Interpretation des Dokuments: Welche Erkenntnisse lassen sich daraus

für die eigene Fragestellung gewinnen? Hier dominieren i.d.R. interpretative Ansätze, es kann aber auch die quantitative Inhaltsanalyse zur Anwendung kommen.

Beispiel: DFG-Forschungsprojekt „Geschlechterdifferenz und Lektürepraxis in der Adoleszenz“ und Dissertation von Silja Schoett: „Medienbiografie und Familie“

Fragestellungen beider Projekte: Durch welche (tiefenpsychologischen) Dynamiken werden die Lese- und Medienbiografien von Jugendlichen beeinflusst? Wie konstruieren (16-19-jährige) Jugendliche ihre eigene Lebensgeschichte und Mediengeschichte sowie ihre geschlechtliche Identität? ProbandInnen: 16 Jugendliche aus Gymnasien und Berufsschulen Methodik in beiden Projekten: Erhebung: Offene, narrative Interviews Auswertung: Rekonstruktive Fallanalysen (Phänomenologische Analyse) Referenz: Gabriele Rosenthal: Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen, Ffm / New York: Campus 1995 Ergänzende Methodik in der Dissertation von Schoett: Dokumentenanalyse ausgewählter Rezeptionsgegenstände (Bücher, Filme)

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Erhebungsmethode Offenes Narratives Interview

Das biographisch-narrative Interview   will durch freies Erzählenlassen von Geschichten zu subjektiven, oftmals

latenten (also vor- oder unbewussten) Bedeutungsstrukturen gelangen, die sich einem systematischen „Abfragen“ versperren würden.

  Das im narrativen Interview geltende Prinzip der Offenheit für das Relevanzsystem der Befragten basiert auf der Annahme, dass die „Bedeutung einzelner Episoden einer Lebensgeschichte [...] sowohl im damaligen Erleben wie auch in ihrer heutigen Darbietung erst im Wie ihrer Positionierung innerhalb der biographischen Selbstpräsentation rekonstruierbar [werden].“ (G. Rosenthal) Folglich muss es den Befragten überlassen werden, über bestimmte Themen und Lebensphasen zu sprechen, andere aber auszulassen, sie zu bestimmten Lebensbereichen in Bezug zu setzen, sie in thematische Felder einzubetten und über sie in unterschiedlichen Textsorten zu sprechen.

  Dieser Raum zur Gestaltentwicklung wird im Interview durch eine thematisch und temporal offene Erzählaufforderung eröffnet.

Erhebungsmethode Offenes Narratives Interview

Ablauf eines (medien-)biografisch-narrativen Interviews:

1.  Erzählaufforderung 2.  Autonom gestaltete Haupterzählung oder biografische

Selbstpräsentation 3.  Erzählgenerierende Nachfragen 3.1 erzählinterne Nachfragen 3.2 erzählexterne Nachfragen 4.  Interviewabschluss.

Erzählaufforderung im zweiten Interview: „Ich möchte mich heute mit einem bestimmten Teil deiner Lebensge-schichte befassen, nämlich mit deinen persönlichen Erfahrungen mit Medien, also zum Beispiel Kassetten, Filmen, Fernsehen, Büchern, Computern und anderem. Vielleicht fängst du einmal an mit deinen frühesten Erinnerungen an Erlebnisse mit Medien und erzählst dann weiter bis zum heutigen Tag.“ (Schoett 2009, S. 65)

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Auswertungsmethode: Rekonstruktive Fallanalyse

Eine rekonstruktive Fallanalyse erfolgt in fünf Auswertungsschritten:

1.  Analyse der medien-biografischen Daten (der gelebten Lebens- und Mediengeschichte) 2. Text- und thematische Feldanalyse (der erzählten Lebensgeschichte und Mediengeschichte) 3.  Rekonstruktion der Fallgeschichte (der erlebten Lebens- und Mediengeschichte) 4.  Feinanalyse ausgewählter Interviewpassagen 5.  Kontrastiver Vergleich der erlebten mit der erzählten Lebens- und

Mediengeschichte.

Auswertungsmethode: Rekonstruktive Fallanalyse

Beispiel 1: Fragen für die Analyse der biografischen und medienbiografischen Daten (= gelebte Lebensgeschichte):

  Was kann das einzelne Datum für die Biografin bedeutet haben?   Welche Handlungsmöglichkeiten / Handlungsprobleme können sich

ergeben haben?   Welche Folgehandlungen und Ereignisverläufe sind bei der jeweils

angenommenen Bedeutungsvariante wahrscheinlich?

Beispiel 2: Fragen für die Text- und thematische Feldanalyse (= erzählte Lebens- und Mediengeschichte):   Welche Themen werden angesprochen, welche nicht?   Weshalb wird dieses Thema an dieser Stelle eingeführt?   Weshalb wird es in dieser Textsorte präsentiert?   Weshalb wird es in dieser Ausführlichkeit / Kürze dargestellt?   Zu welchen anderen Themen wird es in Bezug gesetzt?   Welches thematische Feld wird dadurch konstituiert? (Schoett 2009, S.

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Verallgemeinerung: Phänomenologische Analyse

Grundgedanke: Phänomenologische Analyse lässt sich durch zwei Kernpunkte charakterisieren: -  Ausgangspunkt ist die Deskription der Phänomene aus der Sicht des Subjekts und seinen Intentionen -  Eine Reduktion auf ihren Wesenskern wird durch Variation der Phänomene versucht

Ablaufmodell phänomenologischer Analyse

Phänomendefinition

Materialsammlung zur Deskription aus subjektiv-intentionaler Perspektive

Erster Materialdurchgang, um generellen Sinn des Ganzen zu eruieren

Diskrimination von Bedeutungseinheiten mit Fokus auf das Phänomen

Interpretation der Bedeutungseinheiten

Synthetisieren zu einer Gesamtaussage über das Phänomen

Eidetische Reduktion durch Variation

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Auswertungsmethode: Dokumentenanalyse bei Schoett: Analyse von Medienrezeptionen zur Rekonstruktion der erlebten Mediengeschichte

Die Analyse von Medienrezeptionen erfolgt in 4 Schritten: 1.  Auswahl von Medienrezeptionen

2.  Medienanalyse

3.  Rezeptionsanalyse

4.  Vergleich von Medienrezeptionen und Biografie.

Ad 1: Die Auswahl eines Gegenstandes für die „Dokumentenanalyse“ erfolgt nach drei Kriterien: der Perspektive der Interviewten, der Perspektive der Forschenden und der Materiallage.

Ad 2: „Das der Rezeption zugrunde liegende Medium, Buch oder Film, wird mittels einer strukturalen Erzähltextanalyse untersucht. Analysiert werden Ereignishaftigkeit, Handlungsstruktur, Figurenkonstellation und –charakterisierung, Raum- und Zeitstruktur und Erzählweise.“ (Schoett, S.74)

Ad 3: In der Rezeptionsanalyse werden alle Äußerungen der Interviewten zu dieser Medienrezeption in ihren sequenziellen Kontexten untersucht.

Ad 4: Der Vergleich der ermittelten Struktur der Medienrezeption erfolgt auf der Ebene des Erzählens (der Selbstdarstellung) und des Erlebens (der zugrunde liegenden Struktur). „Ziel ist es, Genese, Bedeutung und Funktion des vergangenen und gegenwärtigen Medienhandelns zu bestimmen.“ (Ebd., S. 75)

Gliederung 1. Theorie qualitativen Denkens (Christine Garbe)

2. Untersuchungspläne

2.1 Einzelfallanalyse (Andreas Barnieske)

2.2 Dokumentenanalyse (Christine Garbe)

2.3 Handlungsforschung (Andreas Seidler)

3. Literatur

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Handlungsforschung

-  Begründet in den 1940er Jahren in den USA durch den deutsch-jüdischen Emigranten Kurt Lewin als „eine vergleichende Erforschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung.“

Grundgedanken der Handlungsforschung

-  Gleichberechtigte Beziehung zwischen Forschern und Praktikern bzw. Betroffenen

-  Systematischer Verknüpfung von Reflexion und Aktion

-  Ansetzen an konkreten Praxisproblemen aus der Sicht der Praktiker, um gemeinsam mit ihnen Veränderungsmöglichkeiten zu erarbeiten

-  Ziel ist die Erarbeitung von Handlungsorientierungen, die das Handeln im sozialen Feld anleiten

-  Die Utopie: Beitrag zum sozialen Fortschritt durch Überwindung der Kluft zwischen Theorie und Praxis

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Ablauf eines Handlungsforschungsprojekts

Definition des Praxisproblems gemeinsam

mit Praktikern

Zielbestimmung der Praxisveränderung

Diskurs mit Betroffenen Informationssammlung Praktisches Handeln

Anwendungsgebiete der Handlungsforschung

-  action research in der amerikanischen Bildungsreformbewegung der 1970er Jahre als Kritik an top-down-Curriculumsreformen

-  Anwendung in Lehrerbildung und –fortbildung -  Alternative zu Fortbildung nach dem Transmissions-

prinzip -  Kritik: Zweifel an Wissenschaftlichkeit wegen zu

starker Konzentration des Erkenntnisinteresses auf Handlungsziele

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3. Literatur

Grundlage der Präsentation: Mayring, Philipp (2002, 5. überarbeitete Auflage): Qualitative Sozialforschung. Weinheim und Basel: Beltz.