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Von Bernd Haasis „Bei jedem Film, den ich mache, lerne ich etwas“, sagt US-Filmproduzent Jon Landau (53), der mit Regisseur James Cameron große Filme wie „Titanic“ (1997) und „Avatar“ (2009) realisiert hat. Landau präsentiert sich als Mann, der in jedem Widerstand eine Chance sieht, während er bei der Fachkonfe- renz FMX im Haus der Wirtschaft über „Ava- tar 2“ und das Filmemachen an sich philoso- phiert. Dass Landau der Einladung nach Stuttgart gefolgt ist, sagt viel über den Stel- lenwert, den die FMX sich erarbeitet hat. Niedergang der Filmindustrie? Von we- gen: „Dazu habe ich Zitate von Bedenken- trägern aus allen Jahrzehnten seit 1950, und wir sind immer noch da. Das Filmemachen verschwindet nicht, es verändert sich. Ich fürchte das Digitale nicht, ich nehme es an!“, sagt Landau. „Statt mit Holz und Hammer statten wir Filmsets heute digital aus. Der Unterschied: Unsere Möglichkeiten sind jetzt unbegrenzt. Früher war es beschwer- lich, Details zu verändern, ein fehlendes Kleidungsstück einzufügen, heute ist das kein Problem mehr.“ In „Avatar 2“ werde man die Welt des Fan- tasie-Planeten Pandora in der Tiefe erkun- den, kündigt er an und zeigt dann eine echte Innovation: Cameron steht an einem nack- ten Set, auf dem eine Gruppe Schauspieler in digitalen Anzügen eine Szene spielt – und der Regisseur hält eine Kamera, auf deren Display alle Akteure Maske und Kostüm tra- gen und die exotischen Hintergründe sicht- bar sind. Die Kamera fügt all das automa- tisch ein, noch in eher schematischer Auflö- sung, aber doch nahe am späteren Look. Und vor allem: in Echtzeit. Der Realfilm stößt nun auf Terrain vor, das bislang Animatoren vorbehalten war, die schon immer erschaffen konnten, was sie wollten. Der Belgier Ben Stassen erweckt im Trick-Spielfilm „Das magische Haus“ Tiere, Spielzeuge und Objekte eines alte Illusionis- ten zum Leben. Der böse Neffe, ein Immobi- lienmakler, möchte ihm die Villa abluchsen, doch die Helferlein, Katerchen, Hase, Tau- ben, Tänzerin, Trommler, halten dagegen. Der Film feiert am Sonntag Premiere beim Trickfilm-Festival. Während er sich an den US- Standards von Disney und Pixar orientiert, pflegt der Japaner Mi- zuho Nishikubo die große Animé-Tradition. „Giovanni’s Is- land“ zeigt, wie die Russen 1945 die südliche Kurileninsel Shiko- tan besetzen – und wie japanische und russische Kinder die Verwer- fungen zumindest zeitweise überwinden. Im Zentrum steht der fantastische Roman „Night on the Galactic Railroad“ von Kenji Miyazawa (1896–1933), in daran angelehn- ten surrealen Traumsequenzen bearbeiten zwei Jungs die Traumata des Krieges. Einen völlig eigenen, europäischen Look hat der Este Mait Laas gefunden. Mit klassi- schem Puppentrick greift er satirisch die Problematik der Bootsflüchtlinge auf, und das auch noch in Form einer Oper: Orangen- köpfe wie Maroc stören im Land der Zitro- nenköpfe, in dem Lisa lebt, den Wohlstands- frieden. „Be Clean / Be Light / Be Nice / Be White“ steht auf Plakaten am Strand, und Maroc singt auf Französisch von „Egalité“. Extrem originell, wunderbar animiert und pointiert – ein Anwärter auf den Spielfilm- preis des Festivals. Auch der Erste Weltkrieg beschäftigt das Festival. Propagandafilme sind zu sehen, und während das deutsche Kaiserreich Bri- tannien als Kraken brandmarkt, der die Welt umklammert, pflegen die Briten bereits die Ironie – feiner Humor ist auf der Insel eine lang eingeübte Tradition. Bereits er- staunlich vielschichtig ist ein Film von 1918 über die Versenkung des Passagierschiffs „Lusitania“ durch ein deutsches U-Boot im Jahr 1915, bei der 128 amerikanische Passa- giere ums Leben kamen – ein Anstoß unter vielen für die USA, ihre Neutralität schließ- lich aufzugeben und 1917 aufseiten der En- tente in den Krieg einzutreten. Die Ausdruckskraft der Trick-Akteure ist noch eingeschränkt, nicht zu vergleichen mit dem, was reale Schauspieler heute ohne Kulisse zu virtuellen Produktionen beisteu- ern. „Für sie ist es eine Befreiung, ohne Kos- tüme und Maske spielen zu können“, sagt Landau, „und wir müssen Szenen kaum noch wiederholen. Außerdem entgeht uns kein spontaner Moment, und wir können ihn nachher einbauen, wo wir wollen.“ Dabei legt Landau auf eines großen Wert: „Man erfindet keine Geschichte, um Tech- nologie einzusetzen, man benützt die Tech- nologie, um eine Geschichte zu erzählen. Avatar hat nicht funktioniert wegen 3-D, sondern wegen der Geschichte, wegen der Themen, die größer sind als der Dschungel. Das Publikum allein mit Bildern überwälti- gen zu wollen funktioniert nicht – die Leute sind klug genug, das zu durchschauen.“ In Stuttgart sowieso, das Festival schult beharrlich die Sinne. Passanten, Touristen, Müßiggänger jeden Alters folgen am Don- nerstagabend auf der Schlossplatz-Groß- leinwand Andreas Hykades hypnotischem Kurzfilm „Love an Theft“, zu technoidem Sound mutieren da historische Gestalten und Pop-Ikonen bruchlos ineinander und in dämonische Fratzen. Solche gibt es anschließend auch in „Waltz With Bashir“ zu sehen, Ari Folmans künstlerisch animier- ter Dokumentation über Verwerfungen des Nahostkonflikts; das Publikum bleibt, gebannt, fasziniert, staunend. ¡ Kartenreservierung telefonisch unter 07 11 / 9 25 46 - 123. Infos im Netz unter: www.itfs.de und www.fmx.de Geschichten, größer als der Dschungel Trickfilm-Festival und FMX: Aus Europa kommt das Besondere, aus Amerika die Perfektion – doch es gibt eine Verbindung Animationsfilmer hatten schon immer unbegrenzte Möglichkeiten, und viele nutzen sie – nun stoßen auch virtuell im Computer produzierte Realfilme auf dieses Terrain vor. Von Thomas Morawitzy Thomas Fröschle, besser bekannt als Topas, kann nicht nur zaubern, er ist auch unver- schämt witzig und eloquent: Der ideale Gastgeber also für die Show „Stars & Ta- lents“, mit dem sich Friedrichsbau Varietés vom alten Spielort verabschiedet. Charmant holte Topas das Publikum zwi- schen den Auftritten der Artisten auf die Bühne und wickelt es mit seinen Tricks ver- schlagend lächelnd um den Finger. Topas lässt seine Spielkarten Hardrock schnurren oder schnatternd die Zauberflöte begleiten, er zeigt wie man schnell und originell in sei- ne Jacke schlüpft Topas ist das strahlende Bühnentier, das diese Show auf seinen breiten Schultern trägt. Aber auch jene, die er vorstellt, sind gekommen, um zu verblüffen. Zwei große Sterne, glitzernd in dynamischer Schrägla- ge, sind das Bühnenbild. Dazu das Licht, das das Geschehen glamourös umspielt. Der ers- te Auftritt gehört Vanessa Tuna, sie singt ihr Stück „Tigress“. Tuna wuchs nahe Stuttgart auf, ihr Song „The World Is Mine“ wird von US-Sendern gespielt, im Friedrichsbau um- rahmt sie Zauberei und Artistik mit ihren emotionalen Popsongs. Während sie von der Tigerin singt, tritt das Ensemble des Abends tanzend auf: Künstler mit Anzug, Schlips und Koffer, vier Männer, zwei Frauen, jung, begabt und gut trainiert. Die Sensation des Abends ist Danilo, ein Sportakrobat. Er verharrt inmitten der Luft, auf einem oder auf zwei ausgestreckten Ar- men, regungslos, scheinbar mühelos, in Posen, die die Gesetze der Schwerkraft Lü- gen strafen. Laura von Bongard indes jongliert mit ihren Füßen. Goldene Bälle tanzen auf ihnen, gleiten an ihren schönen Beinen auf und ab, scheinen, sorgsam ausbalanciert, zu schweben. Herr Benedict schließlich ist der Geschäftsmann, der fliegen lernt. Zu Be- ginn seines ersten Auftritts sieht man ihn noch in einer Situation, die vielen Stuttgar- tern so fremd nicht ist: Er lehnt am frühen Morgen in der Straßenbahn und träumt sich fort – bis ihn die Schlaufe, an der er sich hält, tatsächlich in andere Welten zieht, in denen er prompt federleicht umher- wirbeln kann. In der Pause entsteht in- mitten des Zuschauer- raums ein großer Käfig. Die Show beginnt von Neuem, Laura von Bongard und Luka Clayburn lassen sich als eng umschlungenes akrobatisches Vogelpär- chen bewundern. Topas, Vanessa Tuna und Herr Benedict kehren zurück, zaubern, sin- gen, tanzen, fliegen. Und nun begegnet das Publikum auch „Twin Spin“, Lukas Stelter und Benno Jacob, die mit dem altvertrauten Diablo Erstaunliches vollbringen. Die Show nähert sich ihrem Ende, Topas und Vanessa Tuna treten nun gemeinsam auf. Der Zauberer mit Maske lässt die blonde Sängerin mal mehr, mal scheinbar weniger geschickt verschwinden, tauscht auf un- denkbare Weise mit ihr den Platz und er- scheint sekundenschnell und ohne dabei außer Atem zu sein am ande- ren Ende des Saals. Zuletzt gibt sich der Zauberer als Fan von Ho- ward Carpendale zu erkennen. Die Zuhörer nehmen den nächsten Zug nach Hause und freuen sich darauf, dem Stuttgarter Varieté im Herbst wieder zu begegnen, dann auf dem Pragsattel. ¡ Bis zum 17. Mai. Tickets 07 11 / 225 70 70 Ein letztes Kunststück vor dem Abflug Animierte Frühlingsstimmung auf dem Schlossplatz: Das Trickfilm-Festival hat sich zum beliebten Publikumsmagneten entwickelt Foto: Festival/Martin Zentner Von Armin Friedl Herr Alt, Sie haben dort ja schon einiges inszeniert. Was setzen Sie hier fort? Das Theaterkollektiv transit@stuttgart ist neu gegründet. Das Kernteam besteht aus dem türkischen Autor Emre Akal, der ungarischen Dramaturgin Boglarka Rai- ser und mir. Die zwei Schauspieler wurden extra für diese Pro- duktion ausgewählt. Wir verstehen uns als transkulturelles Kol- lektiv, das sich um aktuelle Migrations- themen kümmert, aber nicht aus der deutschen Mehr- heitsperspektive, sondern hier sind Künstler mit Migra- tionshintergrund ak- tiv beteiligt. Das ist eine rein professio- nelle Produktion. Und was machen Sie in „Ostwind“? Wir haben etwa 20 Interviews mit Migran- ten hier in Stuttgart und Umgebung ge- führt, Akal hat die zu fünf Biografien ver- dichtet. Es sind Geschichten vom Rande der Gesellschaft. Da gibt es etwa eine bul- garische Romafrau, die als Prostituierte arbeitet, einen Straßenmusiker, eine Jura- studentin, die in der Altenbetreuung tätig ist, sowie eine Klofrau, die früher Kran- kenschwester war. Und was wollen Sie damit ausdrücken? Das sind nicht nur Verlierer, sondern Men- schen, die sich selbstbewusst und beharr- lich einen Platz hier in dieser Gesellschaft geschafft haben. Das ist nicht nur ein Be- troffenheitsstück, das ist mit viel Lebens- energie und Humor verbunden. ¡ Premiere an diesem Samstag um 20 Uhr. Weitere Aufführungen am 27. 4., 3. und 4. 5. Karten unter 01 77 / 51 04 69 Nachgefragt Wilfried Alt Der Regisseur inszeniert „Ostwind“ im Feuerbacher Fairkaufhaus in der Steiermärker Straße 53. „Am Rand der Gesellschaft“ Wilfried Alt hofft auf eine Fortset- zung seines neuen Theaterprojekts Foto: Weiss „Das Publikum allein mit Bildern überwältigen zu wollen funktioniert nicht“ Jon Landau US-Filmproduzent Foto: FMX/Reiner Pfisterer Sind sind gekommen, um zu verblüffen: Mit Topas und der Show „Stars & Talents“ verabschiedet sich das Friedrichsbau Varieté Topas als zauberhafter Gastgeber Foto: Kovalenko ¡ Die Ähnlichkeit von animierter Figur und deutscher Synchronsprecherin ist verblüf- fend: Mary Katherine, das Menschenkind aus den Blue Sky Studios/USA, das sich im 3D-Animationsfilm „Epic“ in die Welt fantas- tischer Waldbewohner verirrt und die 28- jährige Schauspielerin Josefine Preuß, die der Figur ihre deutsche Stimme gibt, sind beide zarte Wesen mit schmalem Gesicht, schnellen Bewegungen, heller Stimme und ausdrucksstarker Mimik. ¡ „Vermutlich haben sie mich auch deshalb genommen“, sagt Josefine Preuß, als ihr Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn am Donnerstag im Renitenztheater den Preis als beste Sprecherin beim 21. Internationalen Trickfilmfestival überreicht. ¡ „Die Stimme hört auch Bewegung“, verrät Josefine Preuß. Auch die Berlinerin Anna Thalbach war für den Sprecherpreis nomi- niert. Im Animationsfilm „Das kleine Ge- spenst“, einer Verfilmung des gleichnami- gen Kinderbuchklassikers von Otfried Preuß- ler durch Alain Gsponer, gibt Thalbach dem Titelhelden nicht nur Stimme, sondern auch 52 Gesichtsausdrücke. Und Ilja Richter? Nominiert für die Synchronstimme des grü- nen Glupschaugen-Monsters Mike Glotzkow- ski im Dan-Scanlon-Film „Die Monster Uni“, erzählte er im Renitenz gerne von seinen Erfahrungen als Stimme von Erdmännchen Timon in „Der König der Löwen“. (bj) Hintergrund Josefine Preuß als beste Synchronsprecherin geehrt Evan McKie verlässt das Stuttgarter Ballett Nach mehr als 20 Jahren tanzt das Stutt- garter Ballett wieder Maurice Béjarts „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Der Pas de deux für zwei Herren bildet nun das Mittelstück des neuen Ballettabends „Af- termath“. Das gleichnamige Stück von Hauschoreograf Demis Volpi beschließt den Abend im Opernhaus, den Edward Clugs „No Men’s Land“ mit hoher Intensi- tät eröffnet. Für „Aftermath“ an diesem Samstag (Beginn 19 Uhr) gibt es noch Restkarten an der Abendkasse. Diese loh- nen sich besonders, da Evan McKie (mit Jason Reilly an diesem Samstag in Béjarts „Fahrende Gesellen“ zu erleben) am Frei- tag seinen Abschied bekannt gegeben hat. Der Erste Solist des Stuttgarter Balletts tanzt künftig beim National Ballet of Ca- nada in Toronto. Auch seine Abschiedsvor- stellung tanzt McKie im Rahmen von „Fahrenden Gesellen“ – voraussichtlich am 3. Juni. Vormerken kann man sich zu- vor die Vorstellungen am 7. und 9. Mai. Ballettintendant Reid Anderson, der selbst von 1989 bis 1996 das Kanadische Natio- nalballett geleitet hat, sagte am Freitag zum Abschied von Evan McKie: „Evan ist ein feiner, eleganter Tänzer, der vor allem als Interpret der großen Ballette John Crankos weltweit für Begeisterung gesorgt hat. Wir werden ihn vermissen.“ (StN) www.stuttgarter-ballett.de Jason Reilly (links) und Evan McKie in „Die fahrenden Gesellen“ Foto: Ballett Unser Wochenendtipp Gartenparty Okay, die Wettervorhersage verspricht an diesem Wochenende nicht unbedingt beste Bedingungen für eine richtige Gar- tenparty. Aber zum Glück gibt es ja die- sen lustigen Saxofonohrwurm namens „Garden Party“, mit dem die isländische Band Mezzoforte seit über 30 Jahren je- den verregneten Sommer aufheitert. Wie der Zufall es will, spielen Mezzoforte an diesem Samstag um 21 Uhr im Jazzclub Bix. Tickets an der Abendkasse. (StN) 18 Nummer 96 • Samstag, 26. April 2014 Kultur

Unser Wochenendtipp - TOPAS Magic · Topas ist das strahlende Bh nentier, das diese Show auf seinen breiten Schultern trg t. Aber auch jene, die er vorstellt, sind gekommen, um zu

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Von Bernd Haasis

„Bei jedem Film, den ich mache, lerne ichetwas“, sagt US­Filmproduzent Jon Landau(53), der mit Regisseur James Cameron großeFilme wie „Titanic“ (1997) und „Avatar“(2009) realisiert hat. Landau präsentiert sichals Mann, der in jedem Widerstand eineChance sieht, während er bei der Fachkonfe­renz FMX im Haus der Wirtschaft über „Ava­tar 2“ und das Filmemachen an sich philoso­phiert. Dass Landau der Einladung nachStuttgart gefolgt ist, sagt viel über den Stel­lenwert, den die FMX sich erarbeitet hat.

Niedergang der Filmindustrie? Von we­gen: „Dazu habe ich Zitate von Bedenken­trägern aus allen Jahrzehnten seit 1950, undwir sind immer noch da. Das Filmemachenverschwindet nicht, es verändert sich. Ichfürchte das Digitale nicht, ich nehme es an!“,sagt Landau. „Statt mit Holz und Hammerstatten wir Filmsets heute digital aus. DerUnterschied: Unsere Möglichkeiten sindjetzt unbegrenzt. Früher war es beschwer­lich, Details zu verändern, ein fehlendesKleidungsstück einzufügen, heute ist daskein Problem mehr.“

In „Avatar 2“ werde man die Welt des Fan­tasie­Planeten Pandora in der Tiefe erkun­den, kündigt er an und zeigt dann eine echteInnovation: Cameron steht an einem nack­ten Set, auf dem eine Gruppe Schauspielerin digitalen Anzügen eine Szene spielt – undder Regisseur hält eine Kamera, auf derenDisplay alle Akteure Maske und Kostüm tra­gen und die exotischen Hintergründe sicht­bar sind. Die Kamera fügt all das automa­tisch ein, noch in eher schematischer Auflö­sung, aber doch nahe am späteren Look. Undvor allem: in Echtzeit.

Der Realfilm stößt nun auf Terrain vor, dasbislang Animatoren vorbehalten war, dieschon immer erschaffen konnten, was siewollten. Der Belgier Ben Stassen erweckt im

Trick­Spielfilm „Das magische Haus“ Tiere,Spielzeuge und Objekte eines alte Illusionis­ten zum Leben. Der böse Neffe, ein Immobi­lienmakler, möchte ihm die Villa abluchsen,doch die Helferlein, Katerchen, Hase, Tau­ben, Tänzerin, Trommler, halten dagegen.Der Film feiert am Sonntag Premiere beimTrickfilm­Festival.

Während er sich an den US­Standards von Disney und Pixarorientiert, pflegt der Japaner Mi­zuho Nishikubo die großeAnimé­Tradition. „Giovanni’s Is­land“ zeigt, wie die Russen 1945die südliche Kurileninsel Shiko­tan besetzen – und wie japanischeund russische Kinder die Verwer­fungen zumindest zeitweise überwinden. ImZentrum steht der fantastische Roman„Night on the Galactic Railroad“ von KenjiMiyazawa (1896–1933), in daran angelehn­ten surrealen Traumsequenzen bearbeitenzwei Jungs die Traumata des Krieges.

Einen völlig eigenen, europäischen Lookhat der Este Mait Laas gefunden. Mit klassi­schem Puppentrick greift er satirisch dieProblematik der Bootsflüchtlinge auf, unddas auch noch in Form einer Oper: Orangen­köpfe wie Maroc stören im Land der Zitro­nenköpfe, in dem Lisa lebt, den Wohlstands­frieden. „Be Clean / Be Light / Be Nice / BeWhite“ steht auf Plakaten am Strand, undMaroc singt auf Französisch von „Egalité“.

Extrem originell, wunderbar animiert undpointiert – ein Anwärter auf den Spielfilm­preis des Festivals.

Auch der Erste Weltkrieg beschäftigt dasFestival. Propagandafilme sind zu sehen,und während das deutsche Kaiserreich Bri­tannien als Kraken brandmarkt, der die

Welt umklammert, pflegen die Briten bereitsdie Ironie – feiner Humor ist auf der Inseleine lang eingeübte Tradition. Bereits er­staunlich vielschichtig ist ein Film von 1918über die Versenkung des Passagierschiffs„Lusitania“ durch ein deutsches U­Boot imJahr 1915, bei der 128 amerikanische Passa­giere ums Leben kamen – ein Anstoß untervielen für die USA, ihre Neutralität schließ­lich aufzugeben und 1917 aufseiten der En­tente in den Krieg einzutreten.

Die Ausdruckskraft der Trick­Akteure istnoch eingeschränkt, nicht zu vergleichenmit dem, was reale Schauspieler heute ohneKulisse zu virtuellen Produktionen beisteu­ern. „Für sie ist es eine Befreiung, ohne Kos­

tüme und Maske spielen zu können“, sagtLandau, „und wir müssen Szenen kaumnoch wiederholen. Außerdem entgeht unskein spontaner Moment, und wir können ihnnachher einbauen, wo wir wollen.“

Dabei legt Landau auf eines großen Wert:„Man erfindet keine Geschichte, um Tech­nologie einzusetzen, man benützt die Tech­nologie, um eine Geschichte zu erzählen.Avatar hat nicht funktioniert wegen 3­D,sondern wegen der Geschichte, wegen derThemen, die größer sind als der Dschungel.Das Publikum allein mit Bildern überwälti­gen zu wollen funktioniert nicht – die Leutesind klug genug, das zu durchschauen.“

In Stuttgart sowieso, das Festival schultbeharrlich die Sinne. Passanten, Touristen,Müßiggänger jeden Alters folgen am Don­nerstagabend auf der Schlossplatz­Groß­leinwand Andreas Hykades hypnotischemKurzfilm „Love an Theft“, zu technoidemSound mutieren da historische Gestaltenund Pop­Ikonen bruchlos ineinander und indämonische Fratzen. Solche gibt esanschließend auch in „Waltz With Bashir“zu sehen, Ari Folmans künstlerisch animier­ter Dokumentation über Verwerfungen desNahostkonflikts; das Publikum bleibt,gebannt, fasziniert, staunend.

¡ Kartenreservierung telefonisch unter07 11 / 9 25 46 ­ 123. Infos im Netz unter:www.itfs.de und www.fmx.de

Geschichten, größer als der DschungelTrickfilm-Festival und FMX:Aus Europa kommt das Besondere, aus Amerika die Perfektion – doch es gibt eine Verbindung

Animationsfilmer hatten schon immerunbegrenzteMöglichkeiten, und vielenutzen sie – nun stoßen auch virtuell imComputer produzierte Realfilme aufdieses Terrain vor.

Von Thomas Morawitzy

Thomas Fröschle, besser bekannt als Topas,kann nicht nur zaubern, er ist auch unver­schämt witzig und eloquent: Der idealeGastgeber also für die Show „Stars & Ta­lents“, mit dem sich Friedrichsbau Varietésvom alten Spielort verabschiedet.

Charmant holte Topas das Publikum zwi­schen den Auftritten der Artisten auf dieBühne und wickelt es mit seinen Tricks ver­schlagend lächelnd um den Finger. Topaslässt seine Spielkarten Hardrock schnurrenoder schnatternd die Zauberflöte begleiten,er zeigt wie man schnell und originell in sei­ne Jacke schlüpft

Topas ist das strahlende Bühnentier, dasdiese Show auf seinen breiten Schulternträgt. Aber auch jene, die er vorstellt, sindgekommen, um zu verblüffen. Zwei großeSterne, glitzernd in dynamischer Schrägla­ge, sind das Bühnenbild. Dazu das Licht, dasdas Geschehen glamourös umspielt. Der ers­te Auftritt gehört Vanessa Tuna, sie singt ihrStück „Tigress“. Tuna wuchs nahe Stuttgartauf, ihr Song „The World Is Mine“ wird von

US­Sendern gespielt, im Friedrichsbau um­rahmt sie Zauberei und Artistik mit ihrenemotionalen Popsongs. Während sie von derTigerin singt, tritt das Ensemble des Abendstanzend auf: Künstler mit Anzug, Schlipsund Koffer, vier Männer, zwei Frauen, jung,begabt und gut trainiert.

Die Sensation des Abends ist Danilo, einSportakrobat. Er verharrt inmitten der Luft,auf einem oder auf zwei ausgestreckten Ar­men, regungslos, scheinbar mühelos, inPosen, die die Gesetze der Schwerkraft Lü­gen strafen. Laura von Bongard indesjongliertmit ihrenFüßen.Goldene Bälle tanzen

auf ihnen, gleiten an ihren schönen Beinenaufundab, scheinen, sorgsamausbalanciert,zu schweben. Herr Benedict schließlich istder Geschäftsmann, der fliegen lernt. Zu Be­ginn seines ersten Auftritts sieht man ihnnoch in einer Situation, die vielen Stuttgar­tern so fremd nicht ist: Er lehnt am frühenMorgen in der Straßenbahn und träumt sichfort – bis ihn die Schlaufe, an der er sich hält,tatsächlich in andere Welten zieht, in denen

er prompt federleicht umher­wirbeln kann.

In der Pause entsteht in­mitten des Zuschauer­

raums ein großer Käfig.

Die Show beginnt von Neuem, Laura vonBongard und Luka Clayburn lassen sich alseng umschlungenes akrobatisches Vogelpär­chen bewundern. Topas, Vanessa Tuna undHerr Benedict kehren zurück, zaubern, sin­gen, tanzen, fliegen. Und nun begegnet dasPublikum auch „Twin Spin“, Lukas Stelterund Benno Jacob, die mit dem altvertrautenDiablo Erstaunliches vollbringen.

Die Show nähert sich ihrem Ende, Topasund Vanessa Tuna treten nun gemeinsamauf.DerZauberermitMaske lässtdieblondeSängerin mal mehr, mal scheinbar wenigergeschickt verschwinden, tauscht auf un­denkbare Weise mit ihr den Platz und er­

scheint sekundenschnell und ohnedabei außer Atem zu sein am ande­ren Ende des Saals. Zuletzt gibtsich der Zauberer als Fan von Ho­ward Carpendale zu erkennen.

Die Zuhörer nehmen den nächstenZug nach Hause und freuen sich darauf,

dem Stuttgarter Varieté im Herbst wieder zubegegnen, dann auf dem Pragsattel.

¡ Bis zum 17. Mai. Tickets 07 11 / 225 70 70

Ein letztes Kunststück vor dem Abflug

Animierte Frühlingsstimmung auf demSchlossplatz: Das Trickfilm-Festival hat sich zumbeliebten Publikumsmagneten entwickelt Foto: Festival/Martin Zentner

Von Armin Friedl

Herr Alt, Sie habendort ja schoneinigesinszeniert.Was setzen Sie hier fort?Das Theaterkollektiv transit@stuttgart istneu gegründet. Das Kernteam besteht ausdem türkischen Autor Emre Akal, derungarischen Dramaturgin Boglarka Rai­

ser und mir. Die zweiSchauspieler wurdenextra für diese Pro­duktion ausgewählt.Wir verstehen uns alstranskulturelles Kol­lektiv, das sich umaktuelle Migrations­themen kümmert,aber nicht aus derdeutschen Mehr­heitsperspektive,sondern hier sindKünstler mit Migra­tionshintergrund ak­tiv beteiligt. Das isteine rein professio­nelle Produktion.

UndwasmachenSie in „Ostwind“?Wir haben etwa 20 Interviews mit Migran­ten hier in Stuttgart und Umgebung ge­führt, Akal hat die zu fünf Biografien ver­dichtet. Es sind Geschichten vom Randeder Gesellschaft. Da gibt es etwa eine bul­garische Romafrau, die als Prostituiertearbeitet, einen Straßenmusiker, eine Jura­studentin, die in der Altenbetreuung tätigist, sowie eine Klofrau, die früher Kran­kenschwester war.

Undwaswollen Sie damit ausdrücken?Das sind nicht nur Verlierer, sondern Men­schen, die sich selbstbewusst und beharr­lich einen Platz hier in dieser Gesellschaftgeschafft haben. Das ist nicht nur ein Be­troffenheitsstück, das ist mit viel Lebens­energie und Humor verbunden.

¡ Premiere an diesem Samstag um 20 Uhr.Weitere Aufführungen am 27. 4., 3. und4. 5. Karten unter 01 77 / 51 04 69

Nachgefragt

Wilfried AltDer Regisseur inszeniert „Ostwind“ imFeuerbacher Fairkaufhaus in derSteiermärker Straße 53.

„Am Rand derGesellschaft“

Wilfried Alt hofftauf eine Fortset-zung seines neuenTheaterprojekts

Foto:W

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„Das Publikum allein mitBildern überwältigen zuwollen funktioniert nicht“

Jon LandauUS-FilmproduzentFo

to:FMX/ReinerPfisterer

Sind sind gekommen, um zu verblüffen:Mit Topas und der Show „Stars & Talents“ verabschiedet sich das Friedrichsbau Varieté

Topas alszauberhafterGastgeberFoto: Kovalenko

¡ Die Ähnlichkeit von animierter Figur unddeutscher Synchronsprecherin ist verblüf-fend: Mary Katherine, das Menschenkindaus den Blue Sky Studios/USA, das sich im3D-Animationsfilm „Epic“ in die Welt fantas-tischer Waldbewohner verirrt und die 28-jährige Schauspielerin Josefine Preuß, dieder Figur ihre deutsche Stimme gibt, sindbeide zarte Wesen mit schmalem Gesicht,schnellen Bewegungen, heller Stimme undausdrucksstarker Mimik.

¡ „Vermutlich haben sie mich auch deshalbgenommen“, sagt Josefine Preuß, als ihrStuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn amDonnerstag im Renitenztheater den Preis alsbeste Sprecherin beim 21. InternationalenTrickfilmfestival überreicht.

¡ „Die Stimme hört auch Bewegung“, verrätJosefine Preuß. Auch die Berlinerin AnnaThalbach war für den Sprecherpreis nomi-niert. Im Animationsfilm „Das kleine Ge-

spenst“, einer Verfilmung des gleichnami-gen Kinderbuchklassikers von Otfried Preuß-ler durch Alain Gsponer, gibt Thalbach demTitelhelden nicht nur Stimme, sondern auch52 Gesichtsausdrücke. Und Ilja Richter?Nominiert für die Synchronstimme des grü-nen Glupschaugen-Monsters Mike Glotzkow-ski im Dan-Scanlon-Film „Die Monster Uni“,erzählte er im Renitenz gerne von seinenErfahrungen als Stimme von ErdmännchenTimon in „Der König der Löwen“. (bj)

Hintergrund

Josefine Preuß als beste Synchronsprecherin geehrt

Evan McKieverlässt dasStuttgarter BallettNach mehr als 20 Jahren tanzt das Stutt­garter Ballett wieder Maurice Béjarts„Lieder eines fahrenden Gesellen“. DerPas de deux für zwei Herren bildet nun dasMittelstück des neuen Ballettabends „Af­termath“. Das gleichnamige Stück vonHauschoreograf Demis Volpi beschließtden Abend im Opernhaus, den EdwardClugs „No Men’s Land“ mit hoher Intensi­tät eröffnet. Für „Aftermath“ an diesemSamstag (Beginn 19 Uhr) gibt es noch

Restkarten an der Abendkasse. Diese loh­nen sich besonders, da Evan McKie (mitJason Reilly an diesem Samstag in Béjarts„Fahrende Gesellen“ zu erleben) am Frei­tag seinen Abschied bekannt gegeben hat.Der Erste Solist des Stuttgarter Ballettstanzt künftig beim National Ballet of Ca­nada in Toronto. Auch seine Abschiedsvor­stellung tanzt McKie im Rahmen von„Fahrenden Gesellen“ – voraussichtlicham 3. Juni. Vormerken kann man sich zu­vor die Vorstellungen am 7. und 9. Mai.Ballettintendant Reid Anderson, der selbstvon 1989 bis 1996 das Kanadische Natio­nalballett geleitet hat, sagte am Freitagzum Abschied von Evan McKie: „Evan istein feiner, eleganter Tänzer, der vor allemals Interpret der großen Ballette JohnCrankos weltweit für Begeisterung gesorgthat. Wir werden ihn vermissen.“ (StN)

www.stuttgarter-ballett.de

Jason Reilly (links) und Evan McKie in„Die fahrendenGesellen“ Foto: Ballett

Unser Wochenendtipp

GartenpartyOkay, die Wettervorhersage versprichtan diesem Wochenende nicht unbedingtbeste Bedingungen für eine richtige Gar­tenparty. Aber zum Glück gibt es ja die­sen lustigen Saxofonohrwurm namens„Garden Party“, mit dem die isländischeBand Mezzoforte seit über 30 Jahren je­den verregneten Sommer aufheitert. Wieder Zufall es will, spielen Mezzoforte andiesem Samstag um 21 Uhr im JazzclubBix. Tickets an der Abendkasse. (StN)

18 Nummer 96 • Samstag, 26. April 2014 Kultur