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SCHUSSANGST ODER -SCHEUE Kehrt Marsch! Wenn der Hund beim Schuss Reißaus nimmt, sind oft negative Erfahrungen schuld. Wie diese aussehen können, und wie der Hundeführer das Problem in den Griff bekommt, beschreibt ANTON FICHTLMEIER . UNSERE HUNDE 58 WILD UND HUND 24/2010

Unsere HUnde - Fichtlmeier€¦ · Wenn der Hund beim Schuss Reißaus nimmt, sind oft negative Erfahrungen schuld. Wie diese aussehen können, und wie der Hundeführer das Problem

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  • S c h u S S a n g S t o d e r - S c h e u e

    Kehrt Marsch!Wenn der Hund beim Schuss Reißaus nimmt, sind oft negative Erfahrungen schuld. Wie diese aussehen können, und wie der Hundeführer das Problem in den Griff bekommt, beschreibt Anton Fichtlmeier.

    Unsere HUnde

    58 Wild und hund 24/2010

  • Wild und hund 24/2010 59

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  • Die Anlage zur Geräuschempfindlichkeit reicht bei Hun-den von der Entwicklung einer echten, nicht therapier-baren Schussangst, über die therapierbaren Formen der Geräuschempfindlichkeit bis hin zur Schussgleichgültigkeit. Eine nicht unbedeutende Zahl unserer Jagdhunde zeigt eine mehr oder weniger ausgeprägte Unsicherheit bei Lärm, Geräuschen, Gewit-ter, Feuerwerk und vor allem bei der Schussabgabe. Bei der Mehr-zahl der davon betroffenen Hunde tritt diese Problematik beson-ders in den ersten zwei bis drei Lebensjahren auf. Dabei lässt sich die echte Schussangst (nicht therapierbar) von einer Schussscheue (therapierbar) deutlich unterscheiden.

    Die echte Geräuschempfindlichkeit, aus der eine Schussangst resultieren kann, ist zunächst angewölft. Sie lässt sich nicht weg-prägen, sondern nur mindern. Erkennbar ist sie daran, dass der Hund in gegebener Situation panische Angst empfindet, kopflos flieht, zittert oder stark speichelnd jedes Futter verweigert und nicht mehr ansprechbar ist. Therapierbar ist diese Form der Schuss angst meiner Meinung nach nicht. Das einzige, was hilft, ist das Meiden von Situationen, die den Hund mit den angstaus-lösenden Geräuschen konfrontieren.

    Manchmal ist die genetische Disposition zur Geräuschemp-findlichkeit bereits bei Welpen erkennbar. Beim Erkunden seines Umfeldes zeigt der junge Hund dann auffällig gehemmtes Neu-gierverhalten und nähert sich Objekten und Lebewesen nur mit großer Vorsicht. Er neigt schnell zur Flucht oder versucht, oft auch durch Knurren, Schnappen oder Beißen, seinen Freiraum zu behaupten. Solchermaßen veranlagte Welpen müssen meist durch alle Stationen ihres Lebens mit viel Fingerspitzengefühl geführt werden. Darum sollten bei solchen Vierläufern bestimmte stressauslösende Situationen ebenso vermieden werden, wie eine harte Herangehensweise bei der Erziehung und Ausbildung.

    Leider ist die angeborene Geräuschempfindlichkeit aber nicht immer schon im Welpenalter ersichtlich. Sie kann auch erst während der Reifung des Hundes zu Tage treten. So veranlagte Hunde zeigen sich als Welpen und lange Zeit auch noch als Junghunde völlig unbekümmert und vermeintlich wesensfest gegenüber Lärm und Schussgeräuschen. Von einem Tag auf den anderen jedoch verfallen sie bei einer Schussabgabe plötzlich in panische Angst. Vermutlich legt also die Genetik im Zuge der Ausreifung des Hundes sozusagen einen Schalter um. Zur Jagd sind Hunde mit echter Schussangst nur noch minimal oder gar nicht einsetzbar. Eventuell noch am Riemen, wenn eine Totsuche ansteht und sichergestellt werden kann, dass kein Schuss mehr abgegeben wird.

    Konfrontiert man solche Hunde während der Nachsuche doch mit Schussgeräuschen, kann es schnell zu Fehlverknüpfungen kommen. Zum Beispiel kann der Hund die Wundfährte des Wildes mit dem Schuss in Verbindung bringen. In der Folge löst bereits die Wittrung, stellvertretend für den Schuss, zukünftig seine Angst aus. Desweiteren kann der Hund seine Schussangst auch auf Örtlichkeiten und Menschen generalisieren.

    Eine normale Geräuschempfindlichkeit gehört zur natürlichen Entwicklung eines Hundes. Jedoch gehen Vierläufer mit Geräuschen, die ihnen vom Welpenalter an vertraut sind, unbe-fangener um, und sie können sich besser darauf einstellen. Des-halb ist es wichtig, bereits Welpen behutsam und überlegt an di-

    Schuss und Futter: Während der Hund frisst, gibt der Führer einen Schuss ab.

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  • verse Geräusche zu gewöhnen. Wächst der Welpe aber in einem reiz- und geräuscharmen sowie eintönigen Umfeld auf und versäumen dazu noch Züchter und Welpenbesit-zer, den unbedarften Hund positiv an diverse Umwelt-, Knall- und Schussgeräusche zu gewöhnen, muss dieses später unter Umständen mühsam nachgeholt werden.

    Die therapierbare Form der Schussempfindlichkeit unterscheidet sich von der nicht therapierbaren Schuss-angst dadurch, dass der Hund nach der Schussabgabe zwar verunsichert die Jagd einstellt, zum Führer zurückläuft, dort Schutz sucht und jede weitere Aufgabe verweigert, aber: Er bleibt dabei immer noch gut ansprechbar und kommt einfachen Hörzeichen wie Sitz, Fuß oder Platz nach. Diese Schussscheue tritt oft situationsbezogen auf. Ein Beispiel: Der Hund zeigt sich bei Schussabgabe an Land unbekümmert und passioniert, nimmt auch noch freudig das Wasser an. Jedoch dreht er sofort ab, wenn dann der Schuss bricht. Dies lässt darauf schließen, dass es sich „nur“ um eine negative Verknüpfung mit dem Wasser handelt und nicht um echte Schussangst. Mit etwas Geduld, einer guten Anleitung und viel Einfühlungsver-mögen kann diese Verunsicherung therapiert werden.

    Eine Therapie wird allerdings weitaus schwieriger, wenn die Unsicherheit eine Generalisierung erfährt. Zum Beispiel in Bezug auf bestimmte Örtlichkeiten. Ist das pas-siert, wird der Hund bereits beim Annähern an das Gewäs-ser, das er negativ mit einer Schussabgabe verknüpft hat, ohne vorherige Schussabgabe leichtes Zittern und Verun-sicherung zeigen. Genauso kann es zu einer Generalisie-rung und somit zu Fehlverknüpfungen mit Apportierwild kommen, welches stellvertretend für den Schuss Unsicher-heit auslöst. Manche Hunde werden auch bereits dadurch verunsichert, dass man die Flinte in die Hand nimmt oder beim Entsichern das metallene Klickgeräusch zu hören ist. Selbst die Geräuschkulisse an Silvester oder im Fasching kann ein Auslöser für Schussscheue sein.

    Tritt Schussscheue bei einem Junghund während einer Brauchbarkeits- oder Zuchtauswahlprüfung auf, kann der Hund diese Prüfung natürlich nicht bestehen. Der Führer sollte ihn jedoch nicht sofort als „unbrauchbar“ aburtei-len. Denn eines darf nicht vergessen werden: Bei der Über-prüfung eines jungen Hundes handelt es sich stets um eine Momentaufnahme seiner Entwicklungsphase und seiner aktuellen Verfassung. Der Hund sollte auf jeden Fall zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem an seiner Schuss-scheue gearbeitet wurde, erneut auf einer Prüfung vorge-stellt werden.

    Normalerweise lässt sich eine Schussscheue binnen zwei bis drei Monaten wegtrainieren. Dieser Umstand könnte belegen, dass es sich lediglich um eine zeitlich be-grenzte Entwicklungsphase des Hundes handelt und nicht um eine angewölfte Geräuschangst. Eine solche Empfind-lichkeit gegenüber Schussgeräuschen bekommt man in den überwiegenden Fällen schnell und oft mit einfachsten Mitteln in den Griff. Betroffene Hunde lassen sich gut und nachhaltig stabilisieren und sind dann in ihrer Leistung

    Wetzel Bücher

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    Anschnitt

  • zeitgleich zur Vorsicht mahnt und seine Aktionen etwas hemmt, damit er sich notfalls zurückziehen kann, wenn die Situation zu prekär wird.

    Selbst ein ehemals draufgänge-rischer und unbekümmerter Welpe nä-hert sich jetzt plötzlich jeder Müllton-ne, jeder umgestürzten Wurzel, jeder Plastiktüte, die sich im Wind hin und herbewegt s owie jeder dunkel geklei-deten oder fremden Person distanziert und mit Argwohn. Durch diese Phase muss ein Hund mit Bedacht geführt werden, und der Mensch muss ihm stets helfend zur Seite stehen.

    nicht mehr von Hunden zu unterschei-den, die noch nie Probleme bei der Schussabgabe zeigten.

    Natürlich ist es naheliegend, Jagd-hunde, die sich niemals schussscheu prä-sentierten, bevorzugt der Zucht zuzufüh-ren. Es erscheint aber nicht sinnvoll, aus demselben Grund Hunde, die in allen anderen Fächern der Jagd Vorzügliches leisten und nur am Prüfungstag sozusa-gen auf dem „falschen Lauf“ erwischt wurden, aus dem Genpool zu nehmen.

    Gerade bei einem Junghund gibt es eine sensible Zeit, in der es bei ihm schnell zu Fehlverknüpfungen bezüg-lich imaginärer Gefahren kommen kann. Wird er in dieser Zeit zu schnell, zu oft oder unsensibel mit unbekannten Stressverursachern konfrontiert, ent-wickelt er manchmal ein Meide- oder Angstverhalten, das sich in kürzester Zeit festigt, wenn nicht schnell gegen-gesteuert wird. Dieses Zeitfenster geht

    mit dem Erwachsenwerden des Hundes einher und dient seinem Selbstschutz. Hunde sind nach meiner Erfahrung kei-ne klassischen Rudeltiere wie Wölfe. Und auch die Organisation ihres Lebens entspricht in keiner Weise der eines Wolfrudels. Kein älteres Tier zeigt ih-nen, was Gefahr bedeutet.

    Um herauszufinden, was gefährlich oder ungefährlich sein könnte, verlässt sich der junge Jagdhelfer in erster Linie auf seinen Instinkt und seine bisherigen Erfahrungen. Wenn der Jung hund also mit zunehmendem Interesse an seinem Umfeld immer weitere Kreise zieht, braucht er einen Mechanismus, der ihn

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    Erst ohne Schuss: während das Dummy geworfen wird, rennt der Hund los. Für den Apport wird der Hund später natürlich ausgiebig gelobt.

    Dann laut: Das Dummy wird geworfen. Während der Hund losrennt, macht die Führerin (r.) durch Klatschen laute Geräusche, um die Apportierfreude des Hundes daran zu koppeln.

    Fast zeitgleich werden zwei Dummys in dieselbe Richtung abgeschossen, während die Führerin ihren Hund laut motiviert. Der

    Hund ordnet das Geräusch dem Knallverursacher zu, während er auf das

    erste Dummy fixiert ist. Das Abfeuern des Launchers wird so zum begleitenden

    Geräusch und rückt in den Hintergrund.

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    Unsere HUnde

  • „Viele Wege führen nach Rom“, es gibt mehrere Ansatzpunkte, dem Problem Schussscheue beizu-kommen. Einer der wichtigsten ist, dass der Hund die Geräusche, die ihm Probleme bereiten, erst ein-mal einwandfrei einer Person zuordnen kann. Dadurch stehen die Geräusche für ihn nicht mehr imaginär und abstrakt im Raum. Kennt er den Geräuschverursacher, wird ihm, sprich dem Schuss, meist ein Großteil seiner Bedrohlichkeit genom-men.

    Sollte der Hund – trotz Schussscheue – führig sein, Kontakt zu seinem Besitzer halten und gerne apportieren, wird er zunächst in einen freudigen Erregungszustand gebracht. Er darf das von einem Helfer geworfene Dummy suchen und bringen (siehe Bildserie links). Im nächsten Schritt werden laute Geräusche und später der Knall für den Hund zum Startsignal. Immer wieder muss er dabei die Geräusche dem Knallverursacher zuordnen kön-nen. Zu Anfang sollte zwischen Hund und Knall-verursacher ein vertrauensvolles Verhältnis be-stehen. Zeigt sich der Hund dabei schussfest, kann auch eine fremde Person die Schüsse abgeben.

    Im zweiten Schritt wird ein Startsignal für ein „Losrennen-dürfen“ erarbeitet. Dazu entfernt sich eine Person mit dem Futternapf. Der hungrige Hund wird zuerst mit dem Hörzeichen: „Lauf voran!“, dann bei Wiederholung, mit Hörzeichen und lautem Geräusch, wie in die Hände klatschen oder lautem Rufen, geschnallt und darf zum Napf sausen. Während der Hund das Futter frisst, gibt der Halter einen Schuss ab, rennt zum Napf und legt Futter nach. Schließlich wird der Schuss zum Signal, dass der Hund zur Schüssel rennen und Fressen darf.

    In der dritten Phase laufen Führer und Hund gemeinsam los, während der Schütze unmittelbar hintereinander zwei Dummys in Laufrichtung abschießt. Hund und Führer dürfen beide je ein Dummy holen. Der Schuss wird dadurch zum Aus-löser für ein freudiges „Zusammen-Hinlaufen“ und gleichzeitiger Orientierung zu den Dummys. Da man zwei Dummys schießt, können sich Hund und Führer in ihrem Verhalten koppeln. Das Ziel ist ei-ne Schussabgabe, die den Hund in eine positive Er-wartung versetzt. Das Schießen soll zukünftig für ihn bedeuten: „Jetzt geht es los! Jetzt passiert etwas Tolles!“

    Allerdings sollte eines bedacht werden: Primär geht es bei diesen Handlungsweisen darum, dem Hund zunächst die Angst oder Scheue vor dem Schuss und anderen lauten Geräuschen zu neh-men. Sobald dies zum Erfolg geführt hat, muss der Hund für den praktischen Jagdbetrieb wieder lernen, dass der Schuss nicht immer gleich-bedeutend ein Losrennen signalisiert! Fo

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    Achtung, es knallt!

    silvester – eine gefährliche ZeitViele hunde haben Probleme damit, wie wir den Jahreswechsel feiern. Sogar der schussfeste und erfahrene Jagdgebrauchshund kann bei dieser geräusch-kulisse unter ungünstigen umständen Schäden bekommen. neigt ihr hund bereits zu unsicherheit bei anderen geräuschen, kann sich diese durch un-achtsamkeit in der Silvesternacht so ausweiten, dass unter umständen eine fortdauernde geräuschangst entsteht.

    Meistens bereiten dem hund die lauten Knaller oder Feuerwerkskörper (oft auch noch stark nach Pulver riechend) Probleme, da er sie nicht zuord-nen kann. So mancher tierhalter verhält sich in dieser Situation falsch. er macht den Fehler, den hund beruhigen zu wollen, indem er ihn streichelt, und ihm aufmerksamkeit, vermeintlichen trost und Zuwendung schenkt. „ist ja nicht so schlimm!“ – „Brauchst keine angst zu haben!“

    der hund kann dies aber als Bestätigung für sein angstverhalten auffas-sen, die angst wird noch verstärkt und anstelle einer Stressverarbeitung noch gefördert. Sucht der hund Schutz unter tisch, Bank oder Sofa, zittert, winselt, hechelt, jault er oder zeigt panisches Verhalten, sollte der hunde-halter versuchen, die aufmerksamkeit des hundes auf so genannte ersatzaufgaben zu lenken oder ihn zum Scherzen motivieren.

    Verharrt der hund jedoch in seiner panischen angst und bleiben die Motivationsversuche ergebnislos, müssen alle anwesenden Personen die angst des hundes ignorieren und sich ganz neutral verhalten. auch wenn es schwerfällt.

    einige tipps für den Silvestertag:. Planen Sie ein Silvester zuhause oder besuchen Sie mit ihrem hund Freunde

    mit einem geräuscharmen oder gar ruhigen umfeld.. unternehmen Sie die letzte gassirunde mit ihrem hund am frühen abend,

    sodass er später nur noch kurz raus muss.. Schließen Sie alle Fenster am Silvesterabend, damit sich die lautstärke

    reduziert. . Ziehen Sie die Vorhänge zu oder die Jalousien herunter. . Spielen Sie eine Musik-cd mit angenehmer ruhiger Musik, um den lärm

    der Silvesterraketen zu übertönen.. Verhalten Sie sich möglichst ruhig und gelassen, sodass der Silvesterabend

    für ihren hund ein abend wie jeder andere wird!. denken Sie daran, dass auch vor Silvesterabend und am neujahrstag

    Jugendliche gerne raketen oder Böller zünden.gestalten Sie ihrem Jagdhund ein schönes Silvesterfest und einen ange-nehmen und guten rutsch ins neue Jahr.