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(Aus der Inneren Abteilung des StSdt. Wenzel-Hancke-Krankenhauses, Breslau. ]?rim~rarzt: Prof. Dr. E.l,'rank.) Untersuchungen an Sportsleuten. I. Mitteilung: Ver~nderungen des morl)hologischen Blutbiides. Von Eugen Hartmann und Ernst Joki. (Eingegangen am 23. Januar 1930.) Die Untersuchungen fiber das Verhalten des weii~en Blutbildcs bei KSrperarbeit gchen auf Grawitz, Cohnstein und Zunlz zuriick. Diesen Autoren war bereits bekannt, dab es nach k6rperlicher Anstrengung zu einer Vermehrung der weil~en Zellen kommt. Grawitz stellte schon damalS seine Theorie der myogenen Leucoeytose auf. Im Verfolg dcr Grawitzschen Stu" dien land Liberow bereits nach mi~igen K6rperleistungen einc deutliche Lympho" cytose, die naeh 10 Minuten yon einer Vermehrung der Neutropbilen abgel6s~ wurde. Erst viel spgter wandte sich das Interesse dem Verhalten der roten Blur" kSrperchen zu. Die ~ilteste Angabe stammt, yon Raulman~b der eine ErhShung der Erythrocytenzabl nach sportlichen Leistungen feststellen konnte. Barcro/t, 8cheunert, Mi~ller und Kryzwanek beobachteten das Verhalten dcr Erythrocyten im Tierexperiment. Die letztgenannten Autoren fanden mittels der tt~imatokrit- metbode eine ErhShung des Vo]umenantei]s der roten Blutk6rperchen. Neuerdings wurden diese Befunde yon Abderhalden und Roske vollauf best~tigt. ~hnliche Ergebnisse zeitigten die Arbeiten yon Schneider und Havens, Brothby und .Berry sowie yon Rakestraw. Arnold berichtete gleichfalls, dat~ beim Menschen im An" schlufl an k6rperliche Leistungen eine Vermehrung der Zahl der roten Blur" k6rperehen auftritt. Dieses Phi~nomen soll mit steigender Arbeitsleistung zu- nebmen. In jiingster Zeit sind insbesondere wieder die Vergnderungen des wei[~e~ Blutbildes eingehend studiert worden. Dabei verdienen besonders die Arbeiten Egoro]/s Beachtung, der an cinem gr6i~eren Material Untemuchungen angestellt hat. Er unterschied 3 verschiedene Reaktionsphasen, deren Auftretcn yon der GrSl]e der geleisteten Arbeit abh~ingig scin so]], und zwar: 1. Die lymphocyti~re Phase, welche nach L~ufen fiber 100--2000 m oder naeh 15--20 Minuten Turnen auf~ritt. 2. Die neutrophfle Phase, die sich nach Dauerleistungcn, wie z. ]3. 10-kin ~ Li~ufen, einstellt und 3. die Intoxikationsphase nach Marathonl~ufen. Aul~erdem wurde yon ihm der Versuch unternommen, eine graphiscbe Oar- stellung der :Blutversehiebungen zu geben, aus derer weitgehende Sch]iisse auf Art und Ausmal~ der geleisteten Arbeit ziehen will. Ernst und Herxheimer berichteten welter iiber eine deutliche Zunahme der Gesamtzahl der weif]en Zellen im Anschlu2 an Mittelstreckenl~tufe fiber 800 bis

Untersuchungen an Sportsleuten

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Page 1: Untersuchungen an Sportsleuten

(Aus der Inneren Abteilung des StSdt. Wenzel-Hancke-Krankenhauses, Breslau. ]?rim~rarzt: Prof. Dr. E.l,'rank.)

Untersuchungen an Sportsleuten. I. Mitteilung:

Ver~nderungen des morl)hologischen Blutbiides.

Von

Eugen Hartmann und Erns t Joki.

(Eingegangen am 23. Januar 1930.)

Die Un te r suchungen fiber das Verha l ten des weii~en Blutbi ldcs bei

KSrpera rbe i t gchen auf Grawitz, Cohnstein und Zunlz zuriick.

Diesen Autoren war bereits bekannt, dab es nach k6rperlicher Anstrengung zu einer Vermehrung der weil~en Zellen kommt. Grawitz stellte schon damalS seine Theorie der myogenen Leucoeytose auf. Im Verfolg dcr Grawitzschen Stu" dien land Liberow bereits nach mi~igen K6rperleistungen einc deutliche Lympho" cytose, die naeh 10 Minuten yon einer Vermehrung der Neutropbilen abgel6s~ wurde. Erst viel spgter wandte sich das Interesse dem Verhalten der roten Blur" kSrperchen zu. Die ~ilteste Angabe stammt, yon Raulman~b der eine ErhShung der Erythrocytenzabl nach sportlichen Leistungen feststellen konnte. Barcro/t, 8cheunert, Mi~ller und Kryzwanek beobachteten das Verhalten dcr Erythrocyten im Tierexperiment. Die letztgenannten Autoren fanden mittels der tt~imatokrit- metbode eine ErhShung des Vo]umenantei]s der roten Blutk6rperchen. Neuerdings wurden diese Befunde yon Abderhalden und Roske vollauf best~tigt. ~hnliche Ergebnisse zeitigten die Arbeiten yon Schneider und Havens, Brothby und .Berry sowie yon Rakestraw. Arnold berichtete gleichfalls, dat~ beim Menschen im An" schlufl an k6rperliche Leistungen eine Vermehrung der Zahl der roten Blur" k6rperehen auftritt. Dieses Phi~nomen soll mit steigender Arbeitsleistung zu- nebmen.

In jiingster Zeit sind insbesondere wieder die Vergnderungen des wei[~e~ Blutbildes eingehend studiert worden. Dabei verdienen besonders die Arbeiten Egoro]/s Beachtung, der an cinem gr6i~eren Material Untemuchungen angestellt hat. Er unterschied 3 verschiedene Reaktionsphasen, deren Auftretcn yon der GrSl]e der geleisteten Arbeit abh~ingig scin so]], und zwar:

1. Die lymphocyti~re Phase, welche nach L~ufen fiber 100--2000 m oder naeh 15--20 Minuten Turnen auf~ritt.

2. Die neutrophfle Phase, die sich nach Dauerleistungcn, wie z. ]3. 10-kin ~ Li~ufen, einstellt und

3. die Intoxikationsphase nach Marathonl~ufen. Aul~erdem wurde yon ihm der Versuch unternommen, eine graphiscbe Oar-

stellung der :Blutversehiebungen zu geben, aus de re r weitgehende Sch]iisse auf Art und Ausmal~ der geleisteten Arbeit ziehen will.

Ernst und Herxheimer berichteten welter iiber eine deutliche Zunahme der Gesamtzahl der weif]en Zellen im Anschlu2 an Mittelstreckenl~tufe fiber 800 bis

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Eugen HarLmann und Ernst Jokl: Untersuchungen an Sportslou~cn. ~i53

3000 m. Bergm.an land eine gcringe Leueoeytose nach mitBiger Arbeit, jedoeh nioht wiihrend dieser. ]3ei Herzkranken sell eine Neigung zur Verminderung der Leucocytenzahl naeh k6rperlieher Beanspruehung bestehen. Bereits naoh 100-m- Li~ufen land Casper bet Frauen eine u der weiBen ]31utzellen. Isaaes Und Gordon boschrieben naoh einem Marathonlauf eine sehr starke Leueeeytese. Sic erw~thnten auoh als erste, dab w~hrend dieser k6rperliehen Leistung eine Verraehrung der Blu6pl/~ttehen stattfindet, was neuordings yon BJtrens best~tigt Werden konnte. Vor kurzem berichtet GaisbSck tiber gleiohartige Lcucoeyt.en- versehiebungen. Sehliel~lieh sel noeh der yon Seyderhelm und Hess zuerst be- sohriebenen Sehrcileueocytose der S~uglinge Erw~hnung getan, die gleiohfalls als lnyogen gedeutet wird.

Wennglei(.h aus dem Gesagten hervorgeht, dab bereits eine grebe I~eihe yon ArbeiLen fiber dieses Gebiet vor]iegt, muB fest~gestellt werden, da|] es t rotzdem an einer systematisehen, alle morphologisehen Ver~ itnderungen gleichzeitig erfassenden Untersuchung fehlt.

Wir habcn uns die Aufg8be gestellt, an ether gr6Beren Anzahl yon Sportslouten das Verhalten s~i.mtlieher zelligen Blutelemente in qua|i- tativer und quanti tat iver Hinsioht zu studieren. Es wurden insgesamt 18 M~inner und 4 MSdehen vor und naoh kiirzercr oder ]~ngerer Muskel- arbeit untersuoht. Wir stellten gleiehzeitig die Zahl der Erythrocyten, Leueoeyten, den H~moglobingehalt und insbesond~re die Zahl der Blut- Pl~it~ehen lest. WeiLerhin wurde die VerKnderung der Blut.k6rperehen- senl<ungsgesehwindigkeit, das Differentialblutbild sowie das Auftreten Vitalgranulierter Ery throcytcn st~udiert. Die Athleten wurden vor dem Lauf im Laboratorium untersueht und die Laufstrecken stets so ge- W~hlt, dab das Laborator ium wieder als Ziel galt. Diesen Umstand nl6ehten wir deswegen nachdrfieklichst betonen, weil einerseits i~hnliche Angaben anderer Autoren gr6f~tenteils fehlen, andererseits die Rfick- bildung der Blutvergnderungen so setmell vor sich zu gehen vermag, dag geringe Zeitintervalle bereits genfigen k6nnen, das Blutbild weit- gehend zu versehieben.

Zur Bestimmung der Blutelemcnte wurdea die iibliehen klinischen Methoden benutzt. Die Zahl der Blutpli~ttchen bestimmten wir nach Kri~tensen, die Sen- kungsgesehwindigkei~ nach Linzenmeyer. ]:)as Fgrben der :Blutausstriehe erfolgte nach Giemsa, nach vitalgranulierten Erythrocyten wurde mit der Brillantkresyl- blaumethode gefahndet.

~/m folgenden m6ehten wir zun~iehst t~beliariseh die Ergebnisse Unserer Untersuchungen wiedergeben.

Es ergibt sich aus folgender Tabelle, dab die Arbeitsleistungen der einzelnen Versuchspersonen verschieden waren. )'all 1--10 vollfiihrten ausgesprochene Spr[nterleistungen, indem sie Streeken yon 250--350 m in m6gliehst schnellem Tempo zuriicklegt(,n. Die Arbeitsleistungen der Versuehspersonen 11~18 waI'en l~tngerdauernd. Ein Toil yon ihnen fiihrte einen leichten Mittelstreckenlauf, die tibrigen Athleten dieser Gruppe ein normales leichtathletisehes Nachmittags- training durch. Das heil~t es wurde ein wenig gelaufen und gesprungen, am Schlufi land ein sch~rferer "Wettlauf start. :Fall 19~22 hatten Dauerleistungen, welche me~t aus Langstreckenl/~ufen bestanden, hinter sich.

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454 Eugen Hartmann und Ernst Jokl:

Alter Datum Nr. (1929) Name In

Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 17. IX. 19

2 18. VI. 21

3 18. IX. 16

4 23. IX. 17

5 24. IX. 16

6 25. IX. 16

7 25. IX. 16

17

Kurt S.

Edith K.

Ilse Th.

8 2. X.

Bernhard W.

Heinz H.

Lilo U.

Kgte S.

Conrad H.

vor naeh

v o r

naeh

v o r

naeh

v o r

naeh

v o r

n a e h

v o r

naeb

vor naeb

~bung Hgb. %

300 m Sprint

200 m Sprint

200 m Sprint

350 m Sprint

350 m Sprint

250 m Sprint

250 m Sprint

300 m

Erythr.

77 i o0oo 85 5,130000

73 4,300000 77 4,600000

69 3,860000 75 4,200000

70 4,170000 75 4,500000

71 4,200000 75 4,570000

72 4,190000 77 4,770000

68 3,770000 75 4,640000

72 4,250000

9

10

11

12

13

14

15

16

19

2O

21

22

7. x. i

17. IX.

5. X.

10. IX.

13. IX.

4. X.

9. X.

5. IX.

17. VII

27 .VIII.

27 .VIII.

5. IX.

27.VIII.

10. IX.

Helmuth W.

Heinz H.

Klaus W.

Kur~ Z.

Gerhard S.

Rudolf H.

Waldemar F.

Alired J.

Klaus ]3.

Karl S.

Karl S.

Adolf A.

Herbert K.

Hans ]3.

vor n a o h

16 vor nach

20 vor naeh

16

29

15

13

13

17

14

18

18

19

17

18

Sprint

300 m Sprint

Schneller 300 m Sprint

Training mit Lauf

An flanger Training

Normales Training

Gemiitl. Trab fiber 800 m

Gemiitl. Trab tiber 800 m

Training mit folgendem Lauf

1000 m Rennen

Seharfes Training

10000 m Lauf

10000 m Lauf

3000 m Lauf

Sehr scharfes Training

75

68 74

79 87

75 79

75 78

70 80

70 75

70 72

75 78

71 77

70 78

81 82

78 84

8O 84

74 80

4,460 000

3,900000 4,370 000

4,890000 5,150000

4,440000 4,940000

4,240000 4,700 000

4,180 000 5,000 000

4,170 000 4,510000

3,900 000 4,300000

4,350000 4,900000

4,280000 5,10O00O

I 4,020000

i 4,770000

4,570000 4,770000

4,840000 5,200 000

i 4,800000 5,000000

14,22oooo 4,730000

Blot" Leuk. plKt~ohe~

7 400 [80000 14800 160000

8900 700O0 13800 16000

5000 140000 11500 290000

9100 35000O 14700 540000

7400 205000 10600 32000O

9500 400000 12000 396000

5800 260000 9800 367000

11500 3600~ 12900 380~ 13700 235000 21000 420000

14000 1650(~ 17200 300000

7 900 260000 9 500 340000

12000 3~ooOO 15600 54000v

7 500 18000O 10500 440000

9 500 1000O0 12500 185000

7 300 25000O 8500 280~ 9300 1860~

10100 164000

7 300 1650~.~ 12000 25000v 14 500 350000 15000 400000

6000 237~ 10400 30000~

8400 21~~176176 12 200 "I

11000 2~8@ 20000 350000

13 500

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456 Eugen Hartmann und Ernst Jokl:

Im folgenden wollen wir kurz die Ergebnisse unserer Untersuchmlgel~ besprechen 1.

In sgmtlichen Fi~llen konnten wir ztmfichst eine Steigerung des Hh.moglobingehaltes feststellen. Das Ausma$ der Reaktion schwankte zwischen 1 und 10% (z. B. Fall 13). Die Z/thlung der Erythrocyten ergab mit absoluter Regelm//Bigkeit eine Zunahme, welche Werte bis fast eine Million crreichte (z. B. Fall 7 und 18). Die Leucoeytenzahlelt stiegen nach jeder Arbeitsleistung deutlich an, und wir konnten teilweise Steigerungen bis zum Doppelten des Ausgangswertes feststellen (z. B. :Fall l , 3, 7 und 9).

Dem Verhalten der Blutplgttehen gebiihrt sehon deswegen eine be- sondere Beachtung, well fiber diesen Punkt bisher, abgesehen rot: vereinzelten Angaben in der Literatur, systematisehe Untersuehm~ge1~ fehlen. Zudem stellte sich heraus, dab sowohl nach kurzdauerndell als auch naeh l/ingeren Leistungen eine gewaltige Steigerung der Throm" bocytenzahl die Folge ist. Steigerungen his zu 100% wind durchauS nieht selten, Fall 13 z. B. zeigt eine 150proz. Vermehrung. Derartige Schwankungen sind unter andersartigen Einfliissen noeh nieht zur Beobachtung gelangt.

Das qualitative Blutbild verhglt sieh wie folgt: Die Lymphocytell zeigten Sehwankungen nach beiden Seiten. Er ergab sieh jedoch, dal3 nach kurzdauernden Leistungen (Fall 1--10) stets ein Ansteigen, nach Dauerleistungen ein Gleichbleiben oder Ab[allen dieser Zellen eintrat, wobei Zunahmen bis fast 100%, Abnahmen bis 50% festzustellen warel~. Die mittleren Leistungen hatten entspreehend weehselnde Resultate im Oefolge: Einige, Fglle zeigten Zunahmen, andere Abnahmen, oder es t ra t fiberhaupt keine zahlenmiiBige VerSnderung auf. Die Blu$- k6rperehensenkungsgeschwindigkeit wurde stets mit Ausnahme vol~ 4Fiil len gepriift. Dabei beobaehteten wir Verlangsamungen, Be- sehleunigungen und Gleichbleiben der Senkungszeiten, ohne dab es gelang, Beziehungen zur Art und zum AusmaB der geleisteten Arbeit festzustellen. Das Verhalten der vitalgranulierten Erythroeyten ist in der Tabelle zweeks besserer {)bersicht nicht angeffihrt. Sic zeigteS in keinem Fall eine Zunahme.

1 Jedc h/tmatologisehe Untersuchungsmethode zcigt Wertc an, dcrcn Genauig" keit in bestimmten Grenzen schwankt. So auch die H/~mog]obinbestimmung, dic Zi~hlung der Erythroeyten, Leucocyten, Thrombocyten, die Messung der Senkung s~ gcschwindigkeit. Es gcht keineswegs an, dicsen Faktor yon vornherein unberiicl~" sichtigt zu lassen. So gibt z. B. Domarus ftir die Sahlischc It/~moglobinbestimmungs" methode 5% als Fehlerbreite an. Wenn wir nun trotzdem glauben, aueh diejenige~ unserer Ergebnisse als Steigerungen des H/imoglobingehaltes deuten zu dtirfen, dere~ Ausmafl nicht mehr als 5 % betr/tgt, so geschieht das deswegen, weil die RichtuIlg der Verschiebung in allen untersuchten F/~llen die gleiche war. ~hnliche Erwggunge~ habcn uns auch bei der Betrachtung der fibrigen Resultate gelegentlich geleite$.

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Untersuehungen ~n Sportsleu~en. 457

Vor einer kritisehen Besprechung unserer Ergebnisse wollen wir zu- niichst auf die bisher in der uns zugiinglichen Lite ratur niederge]egten Ansichten eingehen.

In iiberalls z~hlreiehen Arbeiten wird die Arbeitsversehiebung der l~lutelemente als myogen bezeichnet. Grawitz, der diesen Begriff ein- gefiihrt hat, meintc damit jene VerSnderungen, welche dureh die MUskelarbeit Ms solehe hervorgerufen werden. ~ r war der Ansieht, d~l~ bei K6rperleistungen in der arbeitenden Mnskulatur Stoffe gebildet werden, die zu einer Ausschwemmnng yon Blutelementen aus den Knochenmarkdepots fiihren. Es scheint, als ob sicb die Mebr- Z~hl der Autoren dieser Vorstellung angesehlossen hat, w~ihrencl ~aegeli die Ansiebt ~ul~ert., dal~ beim Zustandekommen der myogenen Leueo- eytoae meehanisch-cireulatorisehe Momente eine Rolle spielen.

Zuniiebst diirfen wir wohl die Bezeichnung ,,myogene Leucocytose" zu dem Begriff der ,,myogenen Verschiebung des gesamten morpholo- gisehen B]utbildes" erweitcrn (,,myogene Reaktion"). Dieser Schritt erscheint uns deswegen berechtigt, well die Zunahme der Zahl der raorphologischen Blutbestandteile nach KSrperleistungen keineswegs a~ff die Leucocyten allein besehr~inkt bleibt, sondern, wie aus der Ta- belie ersichLlich ist, sieh ~uf si~mtliche zelligen Bestandteile erstreckt. Unsere Annahme einer einheitlichen Steuerung aller morphologischen Ver:,inderungen des BlutbiIdes im Anschlufi an Muskelarbeit (,,myogene Reaktion") erfithrt weiterhin dadurch eine Stfitze, dait das Ausmal~ der Reaktion in gewissen Grenzen bei Mien Formelementen des Blutes bei demselben Individudm parallel geht. D. h. also : Dort, wo eine. starke Steigerung des H~imoglobingeha]tes sowie der Erythrdeytenzahl ge- funden wurde, ergab sich auch eine entsprechen4 hochgradige Ver- mehrung der Leueoeyten und Thromboeyten. Es erhellt daraus auch die Wiehtigkeit einer systematischen gleichzeitigen Untersuelmng s~imtlicher Formelemente des Blutes.

Betrach~en wir die MSgliehkeiten der Herkunft der h~matologischen l~ormelemente. Die Blutpl~ttcben werden yon den Megaearyocyten des Knoehenmarks gebildet oder kSnnen aus der Milz, die als Grab und Speicherungsstiitte der Thrombocyten fungiert, ausgesehwemmt werden. Die segmentkernigen Leueocyten stammen aus dem Knochenm~rk, die Lymphocyten aus der Milz sowie aus den Lymphknoten. Die Ery- tl~rocyten und das HSmoglobin kommen aus Knochenmark und Milz, Wie Barcro]t gezeigt hat.

Die Blutbildungssti~tten gehorchen physiologisehcn und patho! o- gisehen Reizen genau so wie ~ndere Organe. Das AusmaB der bio]o- gisehen Reaktion wird der Art des Reizes entspreehend je nach Sti~rke, I)auer, habitueller oder dispositioneller Y~eaktionsfi~higkeit des Blut- bildungssystems schwanken.

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458 Eugen Har$mann und Ernst Jokl:

Wir erw~hnten schon die charakteristische Lymphocytose, welche sich insbesondere nach kurzdauernden intensiven Muskelleistungen ei~- zustellen pflegt. Diese sowie die iibrigen Blutreaktionen naeh KSrper" arbeit zeigen auffallende ~hnliehkeiten mit jenen Erseheinungen, die nach Adrenalingabe auftreten. Betrachten wir kurz den Ablauf der Adrena]inreaktion: 20 Minuten nach der Einspritzung ergeben sich in der Regel folgende Ph~nomene:

1. Zunahme des H~mogiobingehaltes. 2. ErhShung der Erythrocytenzahl. 3. Milzcontraction. 4. Vermehrung der weil]en Blutzellen mit relativer und absoluter

Lymphoeytose. 5. Thrombocytose. 6. Steigerung des Blutdrucks. 7. ErhShung des Blutzuckerspiegels. 8. Pulsfrequenzsteigerung usw. Nach 40 Minuten zeigt das Blutbild 1. eine starke segmentkernige

Leueoeytose; 2. Thrombocytose. Wenn wir nunmehr den Ablauf der Adrenalinreaktion mit den

I~esultaten vergleichen, die wit bei ,r KSrperleistungel~ erhalten haben, so ergibt sich manehes Gemeinsame. Es wurde nach kurzdauernden Maximalleistungen stets eine deutliche Leucoeytose mi~ absoluter Lymphoeytose gefunden, desgleiehen eine sehr starke Thrombo" cytose sowie Steigerung des H~moglobingehaltes und der Zahl der Ery- throcyten. Bei Erghnzung unserer Ergebnisse durch solehe anderer Autoren ergeben sieh weitere Analogien. Barcro]t zeigte in seinen Bauchfensterversuehen, wie sich die Milz naeh Arbeitsleistungen kon- trahiert; auf die eingehend studierte Blutdrueksteigerung, die ErhShu~g des Blutzuckerspiegels sowie auf die Pulsbeschleunigung im Anschlul] an kurzdauernde Muskelarbeit sei gleichfalls hingewiesen. Naeh lang- dauernden KSrperleistungen fanden wir stets eine Thromboeytose uncl oft eine segmentkernige Leucoeytose.

Obgleich eine Adrenalinausschiittung nach KSrperleistungen beim Mensehen bisher noch niemals im peripheren Blur naehgewiesen werdeu konnte (T.rendelenburg, Schlossmann), so legen die iiberaus i~hnlichen Ergebnisse der Adrenalin- und der myogenen Reaktion die Vermutung nahe, dal3 das primum movens in beiden Fi~llen das gleiehe sei. Dieser Gedanke wird zudem noch dureh Experimente gestfitzt: Bei einer Katze, deren eines Auge vSllig entnervt ist, tritt naeh Muskelarbeit eine Er- weiterung der Pupille ein. Es mug also Adrenalin oder eine ~hnlieh wirkende Substanz aufgetreten sein.

Wir mSchten uns nunmehr also den !V[echanismus der myogenell Reaktion folgendermaf~en vorstellen: Zu Beginn einer jeden KSrper"

Page 8: Untersuchungen an Sportsleuten

Untersuchungen an Sportsleuten. 459

leistung f inder eine Ausschwemmung yon Adrenal in oder fihnlich Wirken<ler Subs tanzcn in des Blur s tar t . Dadu rch en t s t eh t einerseits eine Contract ion der Mil~ (Barcro/t), wodureh eine starl :e Ve rmehrung der Leucocy tcn mi t absolu ter Lymphocy to se , eine ErhShung des ~I~imo- g}obingehalts sowie der Zahl der E r y t h r o c y t e n und der T h r o m b o c y - tea usw. e iu t r i t t . Die nach l~ngerdauernden KSrper le i s tungen auf- t retende segmentkern ige Leukocytose s(lwie T h r o m b o c y t o s e wird durch Kaochenmarks rc i zung yon denselben Fakto~vn bedingt . :Es is t also a~:zu~mhme::, daft die myogene ICeaktiort einheitl ich erkl/~rt ~verden kann . Die Uate rsch iede der Ausmal~e der ~eak+ ions symptome des Blutbi ldes beruhen, wie be~reits ~,ngedeu~,et, in der Haup t s~che au~ konst i tu t ionel len :(nd disposition~llen M omente~. Die Quantit~i.t der Ausschlage l ~ ) t daher auch keine gesetzm~l~ige Abh~ngigkei~ yon Dauer und Intensitw der geleisteten Avbei~ erkennen-

Was die Anp~ssung des hi~mopoctisehen Sys tems an regelm~Big fort- gesetzte ] n a n s p r u e h n a h m e des ~uske lap l )a ra te s anlangt , so nehmen raanche Autoren an, dull hieffiir des gleiehe gilt, was zum Tell auch Yon ande ren Organen zu sagen is t : So wie des Herz z. B. sigh be im Training ver~nder t (Herzheimer, Rautma~+n, Deuisch), soll sich gleieh- falls ein Tra in ingszus tand des Blutbi ldes e~ttwickeln (Schenk, Herx- l~eimev, Thgrner). Wir konnten bci ~mserem Material keinen Untersehied Zwischen dem Blutbi ld Trainier ter und Unt ra in ie r te r ~eststellen.

Es l~Bt sieh ~us unseren Unte r suehungeu folgern: Die qua l i t a t iven Ver:,i.nderu~gen im R a h m e n tier myogenen Reak t i on sind Funk$ionen der Dauer und In tens i t~ t geleisteter Arbei t , die quan t i t a t i ven solehe der Kons t i t u t ion ul~d weitgeher~d unbeeinf luBbar du tch Training.

Lite~tur. Abderhalden, ~oppe-Scylers Z. 2~, 526 (1896/97). - - Abderhalden, E., u,

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