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Aus dem Institut fur allgemeine und spezielle organische Chemie der Universitat Bern Untersuchungen der Bindung von Natrium- und Chlorionen durch Casein mittels Wasserdampf - Sorptionsmessungen * Von R. SIGNER und ST. GAL (Eingegangen am 2. November 1960) ZUSAMMENFASSUNG: Natriumchlorid und Natriumhydroxyd erhohen die Wasserdampfsorption von Casein betrachtlich, Salzsiiure erniedrigt sie sehr wenig. Im Gleichgewicht mit gesiittigter Koch- salzlosung werden von Casein Natrium- und Chlorionen in einer Zahl gebunden, die der maximalen Siiurebindungsfshigkeit groBenordnungsmiiBig entspricht. SUMMARY: Sodium chloride and sodium hydroxide raise considerably the water vapor sorption of casein, hydrochloric acid, however, decreases it to a very small extent. Casein binds sodium and chloride ions in.equilibrium with saturated sodium chloride solution, and the number of bound ions corresponds roughly with the maximum acid binding capacity of this protein. Einleitung Obwohl die Wasserdampfsorption von Proteinen seit langem intensiv untersucht wirdl), liegen keine systematischen Beobachtungen uber ihre Beeinflussung durch Elektrolyte vor. Der Grund dafur liegt vermutlich in den folgenden zwei Umstanden: Einmal sind die Proteine sehr kompli- zierte Sorbentien fur polare Gase wie Wasserdampf, bei denen die Bin- dung der Wassermolekule keine Oberflachenerscheinung ist, sondern un- abhangig vom Verteilungszustand an gewissen SteUen der Polypeptid- ketten erfolgt2). Die meisten Proteine enthalten aber die verschiedensten *) Eine ausfiihrliche Beschreibung der Versuche findet sich in der Dissertation von ST. GAL, Universitiit Bern 1961. Mikrofilme der ungekiirzten Dissertation sind ab Mitte 1961 bei der Stadt- und Hochschulbibliothek Bern erhiiltlich. l) H. NEURATH in K. BAILEY (ed.): The Proteins. Vol. I. Part B. Academic Press Inc. New York 1953. 2, E. F. MELLON, A. H. KORN und S. R. HOOVER, J. Amer. chem. SOC. 71 (1949) 2761. 259

Untersuchungen der bindung von natrium- und chlorionen durch casein mittels wasserdampf-sorptionsmessungen

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Aus dem Institut fur allgemeine und spezielle organische Chemie der Universitat Bern

Untersuchungen der Bindung von Natrium- und Chlorionen durch Casein

mittels Wasserdampf - Sorptionsmessungen * Von R. SIGNER und ST. GAL

(Eingegangen am 2. November 1960)

ZUSAMMENFASSUNG:

Natriumchlorid und Natriumhydroxyd erhohen die Wasserdampfsorption von Casein betrachtlich, Salzsiiure erniedrigt sie sehr wenig. Im Gleichgewicht mit gesiittigter Koch- salzlosung werden von Casein Natrium- und Chlorionen in einer Zahl gebunden, die der maximalen Siiurebindungsfshigkeit groBenordnungsmiiBig entspricht.

SUMMARY:

Sodium chloride and sodium hydroxide raise considerably the water vapor sorption of casein, hydrochloric acid, however, decreases it to a very small extent. Casein binds sodium and chloride ions in.equilibrium with saturated sodium chloride solution, and the number of bound ions corresponds roughly with the maximum acid binding capacity of this protein.

Einleitung

Obwohl die Wasserdampfsorption von Proteinen seit langem intensiv untersucht wirdl), liegen keine systematischen Beobachtungen uber ihre Beeinflussung durch Elektrolyte vor. Der Grund dafur liegt vermutlich in den folgenden zwei Umstanden: Einmal sind die Proteine sehr kompli- zierte Sorbentien fur polare Gase wie Wasserdampf, bei denen die Bin- dung der Wassermolekule keine Oberflachenerscheinung ist, sondern un- abhangig vom Verteilungszustand an gewissen SteUen der Polypeptid- ketten erfolgt2). Die meisten Proteine enthalten aber die verschiedensten

*) Eine ausfiihrliche Beschreibung der Versuche findet sich in der Dissertation von ST. GAL, Universitiit Bern 1961. Mikrofilme der ungekiirzten Dissertation sind ab Mitte 1961 bei der Stadt- und Hochschulbibliothek Bern erhiiltlich.

l) H. NEURATH in K. BAILEY (ed.): The Proteins. Vol. I. Part B. Academic Press Inc. New York 1953.

2, E. F. MELLON, A. H. KORN und S. R. HOOVER, J. Amer. chem. SOC. 71 (1949) 2761.

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R. SIGNER and ST. GLL

sorptionsfahigen Gruppen, und es ist bis heute noch nicht gelungen, genau zu entscheiden, wie sich die gebundenen Wassermolekiile unter diesen ver- teilen. Die zweite Komplikation in der Wasserdampfsorption, die in Sy- stemen aus Protein mit Elektrolyten vorauszusehen ist, besteht darin, daB auch die Ionenhydratation beriicksichtigt werden muB.

Die hier beschriebenen Versuche wurden ausgefuhrt, um festzustellen, ob die Wasserdampfsorption eines bestimmten Proteins in Gegenwart von Elektrolyten trotz der erwahnten Komplikationen gewisse deutbare Ziige aufweist. Solche Experimente drangen sich heute auf, einerseits wegen der groBen chemischen und biochemischen Bedeutung der Wirkung von Elektrolyten auf Proteine und anderseits im Hinblick auf neuere Sorp- tionsmessungen an einfacheren Systemen, wie Ionenaustauschern und ihren Sa l~for rnen~,~) , die zum Verstandnis der Ergebnisse bei Proteinen herangezogen werden konnen.

Als Protein wurde in dieser Arbeit Casein verwendet wegen seiner leich- ten Zuganglichkeit in hinreichenden Mengen, wegen seiner Bestandigkeit gegen Denaturierung und weil es verschiedenartige ionenbindende Grup- pen aufweist. Zudem sind sein Aminosaurebestand 5, und die Titrations- kurve 6, genau bekannt . Es wurde die Wasserdampfsorption von isoelek- trischem Casein und von Casein mit Natriumchlorid-, Natriumhydroxyd- und Salzsaure-Zusatzen bei verschiedenen Wasseraktivitaten untersucht, alles bei 25 "C.

Versuchsteil

Herstellung der Mischungen von Casein mit den Elektrolyten

Alle Praparate wurden aus einer grofleren, homogenen Menge von MERcE-Saurecasein nach HAMMARSTEN hergestellt. Es wurde meist 3 g Casein mit 30 ccm destilliertem Wasser aufgeschlemmt und 1 Stde. lang quellen gelassen. Nur zur Herstellung der Caseinhydro- chloride wurden 4 g Casein mit 60 ccm Wasser angesetzt, um bei der nach dem Siurezusatz entstehenden Losung die Viskositat herabzusetzen, wodurch die pH-Kontrolle und das Gefriertrocknen erleichtert wurden. Zu den gequollenen Caseinen wurde entweder Natrium- chlorid p. a. in trockener Form oder n/2 Salzsaure bzw. Natriumhydroxyd tropfenweise unter standigem Riihren aus einer Mikrobiirette zugegeben. Diese relativ hohe Konzen- tration wurde gewahlt, urn eine stiirkere Verdiinnung bei der Gefriertrochung m vermei- den. Nach einstiindigem Riihren wurden die noch vorhandenen Caseinknollen mit einem

3, G. DICKEL und J. W. HARTMANN, 2. physik. Chem. 23 (1960) 1. 4, G. E. BOYD und B. A. SOLDANO, Z. Elektrochem. Ber. Bunsenges. physik. Chem. 57

5 , W. G. GORDON, W. F. SEMMETT, R. S. CABLE und M. MORRIS, J. Amer. chem. SOC. 71

6, N. J. HIPP, M. L. GROVES und T. L. MCMEEKIN, J. Amer. chem. SOC. 74 (1952) 4822.

(1953) 162.

(1949) 3293.

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Bindung von Natrium- und Chlorionen durch Casein

Glasstab zerdriickt, worauf die Kolben noch 24 Stdn. bei 12-15 "C stehen gelassen wurden. In Vorversuchen wurde bei Ansatzen mit wenig Salzsaure und Natriumhydroxyd festge- stellt, daB das PH unter diesen Bedingungen schon nach 24 Stdn. einen konstanten Wert erreicht, wenn auch die Quellungs- und Losungsvorgange in dieser Zeitspanne noch nicht beendet sind. Die Mischungen wurden dann rasch eingefroren und gefriergetrocknet. Das Kondensat der Caseinhydrochloride zeigte auch bei den groaten Saurezugaben von ca. 80 Molen pro lo5 g Casein keine Spur von Salzsaure.

Die Caseinhydrochloride und Natriumcaseinate wurden nach der Gefriertrocknung im Morser homogenisiert und durch langeres Stehenlassen iiber verdiinnter Schwefelsaure geeigneter Konzentration auf die jeweilige Luftfeuchtigkeit des Wageraumes konditioniert. Diese Praparate konnten direkt zur Bestimmung der Gleichgewichtswassergehalte ver- wendet werden, da eine- vollstandige Bindung der Ionen schon vor und wahrend des Ge- friertrocknens erfolgt.

Die natriumchloridhaltigen Proben wurden nach der Gefriertrocknung nochmals be- feuchtet und unter isothermen und annahernd reversiblen Bedingungen langsam entwas- sert. Hier diente die Gefriertrocknung nur zur Herstellung eines innigen Gemisches bekann- ter Zusammensetzung aus Casein und Natriumchlorid. Die Befeuchtung erfolgte in einem Exsikkator unter Wasserstrahlvakuum iiber wasseriger Schwefelsaure geeigneter Konzen- tration. Die Proben wurden in diinner Schicht der feuchten Atmosphare ausgesetzt, deren Wasseraktivitat 0,768 betrug, also um 0,016 hoher lag als vou gesattigter Kochsalzlosung. Nach einer Woche wurde die Schwefelsaure gewechselt auf eine Wasseraktivitat von 0,741, Dies ist um 0,011 niedriger, als einer gesattigten Kochsalzlosung entspricht. Nach einer weiteren Woche wurden die Proben homogenisiert und auf die Luftfeuchtigkeit des Wage- raumes konditioniert. Diese Operationen wurden bei genau 25 "C durchgefiihrt.

Neben den elektrolythaltigen Caseinproben wurde zum Vergleich auch reines Casein in Wasser suspendiert und gefriergetrocknet. Ein Teil davon wurde nachtraglich noch wie die natriumchloridhaltigen Praparate isotherm befeuchtet und langsam entwassert.

Die Bestimmung der Gleichgewichtswassergehalte

Es wurde die isopiestische oder Exsikkator-Methode in ihrer einfachsten Form ange- wendet. Die 7 Wasseraktivitaten, 0,0500; 0,0935; 0,1440; 0,1940; 0,2400; 0,2885 und 0,3350 wurden in Exsikkatoren von ungefahr 2 1 Gasraum mit Hilfe von je 500 g Schwefel- saure-Wasser-Mischungen eingestellt. Unter der Wasseraktivitat 0,05 war die Streuung der Gleichgewichtswassergehalte wegen Feuchtigkeitsaufnahme beim SchlieBen der Wage- glaser zu groB. ober der Wasseraktivitat 0,35 nimmt die Sorption durch unspezifische Wasserbindung stark zu, so dal3 dieses Aktivitatsgebiet im vorliegenden Zusammenhang weniger interessierte.

Die Exsikkatoren wurden ohne Evakuieren in einem Luftthermostaten bei 25,OO f 0,05 "C gehalten. Die Wasseraktivitaten wurden aus der Konzentration der Schwefelsaure- losungen nach den Angaben von SHANKBIAN und GORDON7) berechnet. Die Genauigkeit in der Bestimmung der Wasseraktivitat betragt & 0,0005.

Die Einwaage der Proben von rund 300 mg erfolgte immer aus Praparaten, die auf die Luftfeuchtigkeit des Wageraumes konditioniert waren. Der Wassergehalt der eingewoge- nen Praparate wurde gleichzeitig separat bestimmt nach einem Verfabren, das weiter unten beschrieben ist.

7, S. SEANKMAN und A. R. GORDON, J. Amer. chem. SOC. 61 (1939) 2370.

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R. SIGNER und ST. GAL

Vor der eigentlichen Gleichgewichtseinstellung wurden alle Proben 48 Stdn. lang iiber konzentrierter Schwefelsiiure bei atmosphMschem Druck vorgetrocknet, wobei der Was- sergehalt auf ungefiihr 2 yo nuiickging. Es wurden also alle Gleichgewichtswassergehalte, auch bei der niedrigsten Wasseraktivitat von 0,05, von unten her erreicht.

In einem Exsikkator wurden 6 Wiigeglaser mit verschiedenen Proben gleichzeitig unter- gebracht. Die Einstellung der Gleichgewichte dauerte 3 4 Tage, aber die Wiigeglaser wur- den zur Sicherheit 6 Tage in den Exsikkatoren belassen.

Die Wiigeglaser wurden nach dem Offnen des Exsikkators innerhalb von 10 Sek. zu- gedeckt. Die Feuchtigkeitsaufnahme aus der Adenluft wiihrend dieser Zeit war bei 300 mg Einwaage weniger als 0,Ol yo. Die Wiigeglaser wurden dann zwischen 30 und 90 Min. nach der Entfernung aus dem Exsikkator gewogen. Die Gewichte wurden mit zwei Korrekturen versehen. Die erste beriicksichtigt die Dichtedifferenz der Luft inner- und aderhalb der Wiigeglaser und die zweite die Wasserdampfdurchliissigkeit der Wiigeglasschliffe.

Die Bestimmung der Wassergehalte der konditionierten, einzuwiigenden Priiparate er- folgte an Proben von 300 mg durch Stehenlassen iiber Phosphorpentoxyd wihrend 24 Stdn. bei Zimmertemperatur in einem auf 5.10-2 Torr Restdruck evakuierten Vakuumexsik- kator. Vor dem Offnen des Exsikkators wurde getrocknete Luft einstromen gelassen und die Wiigeglaser mit Hilfe eines einfachen Mechanismus zugedeckt. Hierauf wurde der Ex- sikkator geoffnet und die Wiigegliiser gewogen.

Resultate

Zuerst wurde untersucht, wie sich der Gleichgewichtswassergehalt von Casein-Natriumchlorid-Gemischen als Funktion der zugesetzten Koch- salzmenge gegeniiber dem reinen Casein verschiebt. Diese Messungen wurden nur bei einer Wasseraktivitat von 0,15 f 0,Ol ausgefiihrt. Die Resultate sind in Abb. 1 graphisch dargestellt.

- Mole NaCI Abb. 1. Gleichgewichtswassergehalte von Casein-Natriumchlorid-Gemischen bei einer Wasseraktivitiit von 0,15 f 0,Ol. Ordinate: Wassergehalt in Prozenten des wasserfreien

Caseins. Abszisse: Mole Natriumchlorid auf 105 g trockenes Casein

Wie ersichtlich steigt der Gleichgewichtswassergehalt des Caseins mit wachsenden Natriumchloridmengen bis zu etwa 100 Molen auf 105 g Casein an. Dariiber hinaus bleibt der Wassergehalt des Caseins auch bei sehr grol3en Natriumchloridmengen konstant.

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Bindung von Natrium- und Chlorionen durch Casein

Im weiteren wurden 6 Casein-Natriumchlorid-Gemische mit Natrium- chloridmengen zwischen 150-170 Molen auf lo5 g Casein hergestellt und bei den 7 Wasseraktivitaten untersucht, einerseits urn die Reproduzier- barkeit derartiger Bestimmungen kennenzulernen und andererseits um die ganze Sorptionsisotherme im Aktivitatsbereich von 0,05-0,35 zu ermitteln. Die Ergebnisse sind in Abbildung 2 in der Kurve 1 wiederge- geben. Die Variationsbreite der 6 Einzelbestimmungen ist durch die Lange der Vertikalstriche gekennzeichnet. I n der gleichen Abbildung ist in der Kurve 4 die Sorptionsisotherme von vier Caseinproben, die keiner- lei Behandlung unterzogen wurden, eingetragen, ferner in Kurve 3 die Isotherme von vier gefriergetrockneten Probea und schlieI3lich in Kurve 2 diejenige von sechs Proben, die nach der Gefriertrocknung nochmals be- feuchtet und isotherm entwassert wurden. Bei den Kurven der Abbil- dung 2 ist die Variationsbreite der Parallelbestimmungen bei mehreren Aktivitaten durch die Vertikalstriche angegeben.

0 0 0,l 0.2 0.3 o w

Abb. 2. Sorptionsisothermen von Casein und Casein-Natriumchlorid-Gemisehen Ordinate : Wassergehalt in Prozenten des wasserfieien Caseins. Abszisse : Wasseraktivitat. Kurve 1: Casein mit 150-170 Molen Natriumchlorid a d lo5 g Casein. Kurve 2: Casein, in Wasser suspendiert, gefriergetrock.net, dann isotherm befeuchtet und entwassert. Kurve 3: Casein in Wasser suspendiert und gefriergetrocknet. Kurve 4: Casein ohne

Behandlung

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R. SIGNER und ST. GAL

Die Unterschiede der zwei obersten Kurven stellen die Erhohung der Sorptionsfahigkeit durch einen ifberschul3 an Natriumchlorid gegenuber dem reinen Casein bei verschiedenen Wasseraktivitaten dar.

Es zeigte sich ferner, dal3 die Sorption des Caseins, zwar relativ wenig, aber doch auf eine recht reproduzierbareweise von der Behandlung ab- hangig ist. Sowohl das Suspendieren in Wasser mit anschlieBender Ge- friertrocknung als auch die Konditionierung bei der Wasseraktivitat der gesattigten Kochsalzlosung erhohen die Sorptionsfahigkeit. Dieser Be- fund zeigt, wie wichtig es ist, bei der Herstellung und Untersuchung der Proben genau die gleichen Bedingungen einzuhalten.

In weiteren Versuchen wurden die Ionen des Kochsalzes einzeln in Form von Salzsaure und Natriumhydroxyd zum Casein gegeben, um ihre Wirkung getrennt zu untersuchen. Die MeBergebnisse sind in den Abbil- dungen 3 und 4 wiedergegeben.

HCI t M o l e + N a O H

Abb. 3. Isopsychren des Caseins mit Salzsaure- und Natriumhydroxydzusatz Ordinate : Wassergehalt in Prozenten des wasserfreien Caseins. Abszisse : Mole Salzsaurc

bzw. Natriumhydroxyd, bezogen auf lo5 g Casein Kurve 1 : Wasseraktivitit 0,0500 Kurve 3: Wasseraktivitat 0,1440

Kurve 5 : Wasseraktivitlt 0,2400 Kurve 7 : Wasseraktivitlt 0,3350

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Bindung von Natrium- und Chlorionen durch Casein

Die Geraden dieser Abbildungen sind Isopsychren, die die h d e r u n g des Gleichgewichtswassergehaltes als Funktion der Zusammensetzung bei konstanter Wasseraktivitat darstellen. Der Null-Punkt liegt auf der Abszisse in der Mitte und entspricht dem reinen Casein. Nach links figu- rieren die Caseinhydrochloride und nach rechts die Natriumcaseinate.

Abb. 4. Isopsychren wie in Abb. 3

Kurve 6: Wasseraktivitat 0,2885 Kurve 2: Wasseraktivitat 0,0935 Kurve 4: Wasseraktivitat 0,1940

Die Messungen wurden auf beiden Seiten nur bis etwa 80 Mole ausgedehnt. Dies ist einerseits die maximale Saurebindungsfahigkeit des Caseins, und andererseits war das pH der Losungen auf der alkalischen Seite bei 80 Mo- len Natriumhydroxyd auf lo5 g Casein in der Nahe von 9. Dieses ist be- kanntlich die Grenze, iiber welcher sich irreversible Reaktionen, in erster Linie die Hydrolyse der Amidgruppen an den Glutaminsaurebausteinen, abzuspielen beginnen.

Das Bild ist bei jeder Wasseraktivitat gleich und zeigt, da13 die Casein- hydrochloride gleich vie1 oder eher etwas weniger und die Natriumcasei- nate wesentlich mehr Wasser sorbieren als das reine Casein. Der Zusam-

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R. SIGNER und ST. GAL

menhang zwischen Wassergehalt und zugesetzten Molen Saure und Base ist bei allen Wasseraktivitaten linear. Die Steigung der Geraden nimmt mit zunehmender Wasseraktivitat zu. Die Konstanten der Regressions- gleichungen der allgemeinen Form Y = a + bx sind in der Tabelle 1 zu- sammengestellt. Y ist der Wassergehalt i n Prozenten des wasserfreien Caseins, und x ist die Zahl der zugesetzten Mole. Der Geltungsbereich dieser Regressionsgleichungen liegt zwischen 0 und 80 Molen auf los g Casein.

Tab. 1. Die Konstanten der Regressionsgleichungen (Weitere Erklarungen s. Text)

~~~

Wasseraktivitat

0,0500 0,0935 0,1440 0,1940 0,2400

' 0,2885 0,3350

a Caseinhydrochloride

b 2,93 337 4,97 5,77 6,48 7,20 7,82

-0,0008 -0,0016 -0,0031 -0,0026 -0,0029 -0,0030 -0,0042

Natriumcaseinate a

2,87 3,91 4,93 5,72 6,47 7,18 7,84

b 0,0207 0,0237 0,0260 0,0298 0,0321 0,0353 0,0382

Bei den Caseinhydrochloriden ist die Neigung der Geraden nur bei der hochsten Wasseraktivitat mit der Sicherheitsschwelle von 1 yo signifikant, trotzdem steigen die b-Werte mit zunehmender Wasseraktivitat mit einer Ausnahme, namlich bei der Aktivitat 0,1440, ziemlich regelmaBig an. Die Korrelationskoeffizienten der Natriumcaseinate sind alle signifikant. Die a-Werte der zwei Serien weichen voneinander bei keiner Wasseraktivitat signifikant ab und stellen den Gleichgewichtswassergehalt des aus waB- riger Suspension gefriergetrockneten Caseins dar.

Diskussion

Die Erhohung der Sorptionsfahigkeit von Casein durch Natriumchlorid ist ohne Zweifel eine Folge der Bindung von Natrium- und Chlorionen durch das Protein. Es konnte namlich festgestellt werden, daB Natrium- chlorid ohne Casein aus wal3riger Losung, unter denselben Bedingungen gefriergetrocknet, vollstandig kristallin anfallt und keine Hygroskopizi- ta t zeigt. Weitere Versuche ergaben, da13 Gemische aus trockenem Casein und Salz gleich vie1 Wasser sorbieren wie das reine Casein. Die Erhohung der Sorptionsfahigkeit tritt also nur auf, wenn die Natrium- und Chlor-

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Bindung von Natrium- und Chlorionen durch Casein

ionen in Losung waren und die Bindungsstellen am Proteinmolekul ein- nehmen konnten. Eine reine adsorptive Bindung von nichtdissoziierten Natriumchloridmolekulen ist sehr unwahrscheinlich, so daB wir diese Moglichkeit auBer acht lassen. Als weitere mogliche Wirkung des Na- triumchlorids auf das Casein konnte man zur Deutung der Erhohung der Sorptionsfahigkeit eine Auflockerung der inneren Struktur des isoioni- schen Caseins durch das Natriumchlorid annehmen. Da aber das Koch- salz in groBerer Konzentration auf das Casein auf beiden Seiten des iso- elektrischen Punktes aussalzend wirktq, ist die Annahme einer solchen strukturellen Veranderung nicht angezeigt. So ist es weitaus am wahr- scheinlichsten, daB die Erhohung der Wasserdampfsorption des Caseins durch Natriumchlorid auf einer Bindung von Natrium- und Chlorionen durch das Protein beruht und durch die eigene Hydratation der Ionen bedingt ist.

Aus gesattigter waBriger Kochsalzlosung werden nach der Abbildung 1 etwa 100 Mole Salz auf lo5 g Casein gebunden. Das ist die gleiche GroBen- ordnung wie die maximale Saurebindungsfahigkeit des Proteins, die ihrer- seits mit dem Bestand an basischen Aminosauren einigermaBen uberein- stimmt. Wie auch in anderen Fallen9), nehmen auch hier praktisch alle positiv geladenen Gruppen an der Bindung von Chlorionen und natur- gemal3 eine entsprechende Zahl von anionischen Gruppen an der Bindung der Natriumionen teil.

Aus den Abbildungen 3 und 4 1aBt sich der SchluB ziehen, daB fur die Erhohung der Sorptionsfahigkeit des Caseins durch Natriumchlorid haupt- sachlich die Hydratation der gebundenen Natriumionen verantwortlich ist. Die Chlorionen spielen dabei, wenn uberhaupt, nur eine sehr unter- geordnete Rolle.

Bei der Hydratationsanderung durch Natriumhydroxyd- und Salz- saurezusatz, wie sie in den Abbildungen 3 und 4 festgehalten ist, fallt vor allem der lineare Verlauf uber die groBe Zahl von 80 Molen pro lo5 g Ca- sein auf. Ein Vergleich mit den verschiedenen ionenbindenden Gruppen im Casein, die in Tabelle 2 zusammengestellt sind, zeigt, daB sowohl beim Zusatz von 80 Molen Saure als auch von 80 Molen Lauge Gruppen mit ganz verschiedenen pK-Werten umgesetzt werden mussen. Wenn die Anderung der Wasserbindung pro Mol zugesetzter Base oder Saure trotz- dem konstant bleibt, zeigt dies, daB die Sorptionsanderung in erster Linie vom zugefugten anorganischen Ion abhangig ist.

*) S. P. L. SORENSEN und I. SL~DEK, C. R. Trav. Lab. Carlsberg 17 (1927) Nr. 14. 9 , G. SCATCHARD, Y. V. Wu und A. L. SEEN, J. Amer. chem. SOC. 81 (1959) 6104.

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R. SIGNER und ST. GAL

Tab. 2. Die ionogenen Gruppen des nicht fraktionierten Caseins und ihre pK-Werte'O)

PK

5,6-7,0 7,6-8,4 9,4-10,6

11,6-12,6

Gruppen --

Aus

Bestand A.S.-

20 10 56 24

I 2 0 .a .a + d

Imidazol .................. a-Amino .................. c-Amino .................. Guanidin .................

$ 2 3 .*

1 ilnzahl auf 105g

or-Carboxyl ................ @-Carboxyl (Asp.-Saure) .... y-Carboxyl (Glut.-Saure) ... Phosphoseryl .............. Phenol-OH ...............

3,O-3,2 3,0-4,7 ca. 4,4

ca. 2 und 7 9,8-10,4

I I

10 53 38 56 35

Total

AUS AS.. Bestand

110

192

4us Titr.- Kurve

76

184

Alle Befunde stehen mit der Theorie der Ionenhydratation in bestem Einklang. Die Chlorionen sind in der Losung sehr wenig, wahrscheinlich sogar iiberhaupt nicht hydratisiert 11), wahrend die Natriumionen stark hydratisiert sind. Der groBe Unterschied in der Hydratation der Casein- hydrochloride und Natriumcaseinate hat im weiteren eine Parallele in den verschiedenen Loslichkeiten des Caseins in Salzsaure und Natrium- hydroxyd 12). Natriumhydroxyd bringt, auf gleich vie1 Mole bezogen, wesentlich mehr Casein in Losung als Salzsaure.

Die vorliegende Arbeit wurde begiinstigt durch Mittel, die der SCHWEI- ZERISCHE NATIONALFONDS dem einen der Autoren (R. S.) zur Erforschung zwischenmolekularer Krafte zur Verfiigung stellte.

10) E. J. COHN und J. T. EDSALL, Proteins, Amino Acids and Peptides; Reinhold Publ.

11) R. A. ROBINSON und R. H. STOKES, Ann. N.Y. Acad. Sci. 51 (1949) 593. 12) J. LOEB und'R. F. LoEB,.J. gen. Physiol. 4 (1922) 187.

Corp. New York 1943.

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