12
58 111. Untersuchungen iiber die Voluniconstitutiora der 198. f esten Korper 1) ; non €1. S c h r o de r. V. Theorelische Einleitnng. Es scheint mir angemessen, zunachst einen Blick auf den Ideengang zu werfen, welcher mich bei meinen Untersuchungen auf diesem Felde geleitet hat. Bekanntlich , wenn sich Substanzen chemisch verbinden oder auch nur gleicbformig mischen, ist das Gewicht der Verbindung oder Mischung immer genau gleich der Summe dcr Gewichte, welche den Bestandtheilen im ungemischten oder unverbundenen Zustande zukommen, und es 1Sifst sich in jedem mechanischen Bruchtheile der Verbindung oder Mischung das gleiche Gewichtsverhaltuifs der in ihr enthaltenen Bestandtheile nachweisen, wie in der ganzen Verbindung oder Mischung. Man kann dieses Gesetz das Summationsgesetz der Gewichte nennen. In der That ent- nimmt man aus demselben, in Verbindung mit dem Ge- setze von der Proportionalitat der Wirkungsfahigkeiten der Tragheit mit den an einerlei Ort gemessenen Gewichten der Korper, den Begriff von der Constanz der Materie oder der Masse, welcher fur die ganze neuere Chemie gewisser- mafsen das Fundament bildet. 199. Das gleiche Siimmafionsgesets gilt unter gewissen Einschrankungen auch fiir die Volume gemischter oder cheinisch verbundener K6rper. Es gilt fiir jede blos nae- chanische Mischung oder Durchdringung von Kbrpern, und es gilt ebenso in voller Strenge fur alle durch Diffusion gleichformig gemischten Gase. Man kann defshalb hei 1) Da ich mich hnufig auf die im Band 106 und 107 dieser Annalen von mir mittgetheilten Untersuchungen bcrufcn mufs, so gebe ich die nachfolgenden Untersuchungen mit an jene anschliefsenden fort- laufeuden Nummern. No. 1-105 findet sich im Band 106 s. 226 u. d. f. No, 106 - 197 im Band 107 S. 114 u. d. f. Jahrgang 1859.

Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

58

111. Untersuchungen iiber die Voluniconstitutiora der

198.

f esten Korper 1) ; non €1. S c h r o de r.

V. Theorelische Einleitnng.

E s scheint mir angemessen, zunachst einen Blick auf den Ideengang zu werfen, welcher mich bei meinen Untersuchungen auf diesem Felde geleitet hat. Bekanntlich , wenn sich Substanzen chemisch verbinden oder auch nur gleicbformig mischen, ist das Gewicht der Verbindung oder Mischung immer genau gleich der Summe dcr Gewichte, welche den Bestandtheilen im ungemischten oder unverbundenen Zustande zukommen, und es 1Sifst sich in jedem mechanischen Bruchtheile der Verbindung oder Mischung das gleiche Gewichtsverhaltuifs der in ihr enthaltenen Bestandtheile nachweisen, wie in der ganzen Verbindung oder Mischung. Man kann dieses Gesetz das Summationsgesetz der Gewichte nennen. In der That ent- nimmt man aus demselben, in Verbindung mit dem Ge- setze von der Proportionalitat der Wirkungsfahigkeiten der Tragheit mit den an einerlei Ort gemessenen Gewichten der Korper, den Begriff von der Constanz der Materie oder der Masse, welcher fur die ganze neuere Chemie gewisser- mafsen das Fundament bildet.

199. Das gleiche Siimmafionsgesets gilt unter gewissen Einschrankungen auch fiir die Volume gemischter oder cheinisch verbundener K6rper. Es gilt fiir jede blos nae- chanische Mischung oder Durchdringung von Kbrpern, und es gilt ebenso in voller Strenge fur alle durch Diffusion gleichformig gemischten Gase. Man kann defshalb hei

1) Da ich mich hnufig auf die im Band 106 und 107 dieser Annalen von mir mittgetheilten Untersuchungen bcrufcn mufs, so gebe ich die nachfolgenden Untersuchungen mit an jene anschliefsenden fort- laufeuden Nummern. No. 1-105 findet sich im Band 106 s. 226 u. d. f. No, 106 - 197 im Band 107 S. 114 u. d. f. Jahrgang 1859.

Page 2: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

59

einem Gasgemische, z. B. reinem Knallgase, auch von dem Volum eines jeden Bestandtheilev in der Mischung reden im Gegensats zu dem Volum der ganaen Mischung. Sind zwei Volume Wasserstoff mit einem Volum Sauer- stoff zu drei Volumen Knallgas gemischt, so kann man sagen, dafs der Wasserstoff in der Mischung mit dem Volum zwei, der Sauerstoff mit dem Volum eins enthalten sey, obwohl sich in Wirklichkeit alle beide gleichformig in das Volum drei ausgedehnt finden. Der Ausdruck: der Wasserstoff ist mit dem doppelten Volum in der Mischung enthalten, als der Sauerstoff, parst vollkommen, in Anbetracht, daCs beide in jedem Brucbtheile der Mischung im Verhiiltnifs von 2 : 1 nachgewiesen werden kbnnen. Ich will dies das Sicmmationsgeseta fiir die Volume mechanischer Mischungen nennen.

200. Auch bei ohemischen Verbindungen h h g t das Volum der Verbindurtg nach unverhderlichen Gesetzen von den Volumen der Bestandtheile a6 ; indessen scheint auf den ersten Blick diese Abhangigkeit fiir Gase, Flfissig- keiten und feste Korper eine sehr verschiedene zu seyn. Man wird es jedoch von vorn herein sls wiinschenswerth anerkennen, die der Volumconstitution der Korper in den verschiedenen Aggregatzustanden zu Grunde liegenden Gesetze, wie ich es hier versuche, auf ein gemeinsames Grundprincip zuriickfiihren zii konnen. Es gelingt diel , wie ich zeigen werde, in der That, wenu die dem Summalions- geseta fiir die Gewichte und ftir die Volume mechanischer Mischungen zu Grunde liegende Anschauung auch auf die Volume chemischer Verbindungen fibertragen wird.

Fur Gase (so lange sie nicht so weit verdichtrt sind, dafs sie sich nicht mehr als vollkommene Gase betrachten lassen) hat sich ein sehr einfaches Gesetz fur die Volume herausgestellt. Die Volume der Atome der Elemente in Gasform sind einander gleich, und die Volume der ein- fachen und zusammengesetzten Molecule der Korper in Gasform sind ebenfalls einander gleich, und zwar doppelt so grob, als die Volume der Atome, - insofern diese

Page 3: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

60

Volume alle bei gleicheni Druck und gleicher Temperatur gemessen werden.

Es folgt daraus, dafs die Volume gasformiger Verbin- dungen nicht das rciue Summationsgesetz befolgen ; dafs bei Verbindungen rind Scheidungen von Gasen Conden- salionen im positivcn oder negativen Sinne vorkommen miissen, weil das Volum der Verbindung nicht immer gleich ist der Summe der Volume der Restandtheile vor der Verbindung. Als diese reine Summe erscheint es allerdings, z. B. wenn sich Wasserstoff und Chlor zu salz- saurem Gase vereinigen; dagegen findet eine Condensation statt, wenn sich z. B. Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser- . dampf verbinden; zwei Volume Wasserstoff und ein Volum Sauerstoff, als Knallgas zu drei Volumen geinischt, con- densiren sich in Folge der chemischen Vereinigiing zu zwei Volumen Wassergas.

201. Diese Condensation Iafst sich nun, sowohl bei Gasen, als Fliissigkeiten , als festen Kbrpern, in zweierlei Weise auffassen. Man kann sich vorstellen, dars die Mi- schung der Componenten sich als solche condensirt, dafs also in deni erwahnten Beispiele drei Volume zu zweien sich verdichtet haben; und dies ist die bis jetzt herrschende Anschauungsweise ; oder aber : man kann das Summations- gesets aufrecht erhalten , und das V o h m der Verbindung als reine Summe der Volume auffassen, mit welchen die Bestandtheile in Verbindung trefen, wenn man nur an- nimmt, dafs einzelne von den Bestandtheilen, beaor sie in die Verbindung eingehcn, erst einen anderen Zustand an- nehmen, und eine Voliimiinderung erleiden. Es wird dann mit anderen Worten der Vorgang einer chemischen Ver- bindung zu betrachten seyn als eine, mit vorheriger Zu- standshderung nebst Condensation oder Expansion ein- zelner Componenten verkniipfte , Mischung oder gleich- Eormige Durchdringung der Bestandtheile. Auf welche Weise die einzelnen Condensationscoefficienten fur jeden Bestandtheil hiebei anzunehmen seyen , bleibt bei dieser Auffassung zunachst innerhalb gewisser Grhzen toillkuhr-

Page 4: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

61

lich, weil durch den Werth einer Summe die Werthe der Glieder noch keineswegs bestimmt sind. Wofern diese Auffassung also iiberhaupt niitzlich rind haltbar erscheinen sol], m d s sie sich in einer solchen Art ausfiihrbar zeigen, dafs auf Grund derselben die Volumconstitution ddr Ver- bindungen durch Annahme einfacher und regelmafsig wieder- kehrender Condensationsfactoren erklarbar wird.

202. Die Volumconstitution der Gase liifst sich nun auf Grund dieser Anschauungsweise [nit den beiden Con- densationsfactoren 1 und 2 vollstandig erklaren, d. h. da- dnrch, dars man annimmt, dafs beide Bestandtbeile mit unverandertem Volum , oder der eine mit unverandertem, der andere mit seinem halben Volum, oder dafs beide niit ihrem holben Voluni in eine Verbindung eingehen. Fiir das obige Beispiel ist man darnach gezwungen, anaunehmen, daQ wenn Wasserstoff und Sauerstoff sich chemisch zu Wasserdampf verbinden, der Wasserstoff sich auf sein halbes Volum verdichtet, und sich so rnit dem Sauerstoff nach dem Summationsgesetz mischt.

Fur die erste Auffassnngsweise, wonach die Conden- sation anf die Summe der Volume der Bestandtheile be- zogen wird, reicht man keineswegs mit ntir awei Conden- sationscoefficienten am. Fur gasrornaige Korper hat da- her die sweite Auffassungsweise entschiedene Vorziige, worauf ich schon 1840 (d. Ann. Bd. 50 S. 557 und 558 unter 5. 6 meiner Abhandlung ,, Allgemeine Begriindung der Volumcntheorie") aufmerksam gemacbt babe.

Die Gesetze der Volumconstitution der Gase lassen sich nun, der entwickelten Auffassungsweise zu Folge, in die drei Satze zusammenfassen (alle Volume bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gemessen):

A . Das Molecularvolum einer Verbindung ist die Summe der Volume, welche ihren Componenten ziikommen. (Summationsgcsets.)

B. Jedes Element und ebenso jede als Component auftretende Complexion von Elementen existirt fiir sich und in verschiedenen Verbindungen in solchen ungleichen

Page 5: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

62

Zustanden, d a k das Voluin des Elementes oder der Com- plexion im Verhaltnifs von 1 : 2 veranderlich ist. (Con- densationsgeseta.)

C. Die Volume der Elernentarntome sind gleich, uud auch die Volume der Moleciile sind gleicli, und zwar sind letztere doppelt so grol's als erstere. (Gesek der Gleich- heit der Molecularvolume.)

203. In meiner Sclirift: ,Die Siedhitze der chemischen Verbindungen . . . . nebst vollstiindigen Beweisen fiir die Theorie der Molccularvoluine der Fliissigkeiten" ( M a n n - L e i m 1844) gelang es mir, nachzuweisen, dal's auch fur fluchtige Fliissigkeiten die gleiche Anschauungsweise voll- berechtigt ist , indeni ich darlegte, daCs das Volum einer Verbindung wiederum betrachtet werden kann als die Sumrne der Volume der Bestandtheile, wofern man nur diese Volume bei entsprecbenden oder ,,correspondirenden'' Tempcraturen milst, das heifst, soweit ich bis jetzt er- mitteln konnte, bei solchen (ungleichen) Trmperaturen, bei welchen die Darnpfe der Flussigkeiten gleiche Spannkriifle haben. Icli habe im Besonderen nachgewiesen , d a b H,, C, und 0, in einer groBen Reihe organischer Flussig- keiten bei correspondirendcn Temperaturen vollig gleiche Volume eiunehinen, und demnach die denkbar einfachsten Volumverhaltnisse darbieten.

Es wird sich die dort von mir entwickelte theoretische Anschauung voraussichtlich um so mehr bestatigen, je weiter die Wissenschaft fortschreiten wird. Eine kurze Nachricht uber diese Arbeit babe ich im 62. Bande dieser Annalen S. 341 u. d. f. gegehen.

204. Was endlich die Volumconstitution der festen Kijrper betrifft, so begegnet der Versuch einer Durch- fuhrung der gleichen Auffassung seit laiiger Zeit den grofsten Schwierigkeiten.

Die Aufstellung des ersten, oder des Summationsge- setzes, welches lautet : I. ,Das Molecularvolum eines zu- sammengesetzten Korpers ist die Summe der Volume, welche seinen Restandtheilen oder Elementen zukommen'.

Page 6: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

63

[diese Ann. Bd. 50 S. 554, Jahrgang 1840 - ich habe nur das Wort ,,Aequivalent", welclies ich danials brauclte, und welches seitdem seiiie Bedeutung verandert hat, in ,,Molecul' verandert] , - die Aufstellung des Summations- gesetzes ist nur dann von Werth, wenn die an sich noch innerbalb gewisser Granzen willkiihrlich wahlbaren Volume der Bestandtheile oder Elemente durch &in einfuches Con- densutionsgeset5 mit ihren im isolirteb Zustande beobuch- teten Volumen in Zusammenhang gebracbt werden konnen, und dadurch in logischem Sinne erst ihre Definition er- halten. Die Wahrnehmung sehr haufig wiederkehrender einfacher Beziehungen der Volume ist in der That der ausschliefsliche Anla/% gewesen zu der dargelegten theo- retischeii Auffassung. Die Sicherheit, dafs die erwahnte Auffassung ftir eine in der N atur hegriindete Gesetzmafsig- keit den einfachsten Ausdruck bildet, ist um so grdfaer, je griifser die Reihe von Thatsachen ist, welch sich durch einfache Condensntionscoefficienten erklaren lassen. Das Condensationsgesetz dierit sornit zwar zu einem Theile dazu, die Definition der Voluincomponenten einer Verbindung erst zu vervollstandigen; es ist aber daruber hinaus noch von bedeutend grofsserer Tragweite, indem es zugleich die gegenseitige Abhiingigkeit zwischen den Volumen aller Verbindungen und ihrer Constituenten iiberhaupt mit Be- gtimmtheit und Vollstandigkeit zum Ausdruck zu bringen hat. Die bei der Aufstellung eines Condensationsgesetzes aua dem ersten Grunde noch vorhandene Willkiihr wird daher andererseits durch die Forderung der Durchfiihr- burkeit des Gesetzes im Einklang mit der Erfahrung be- schriinkt. In diesem Sinne sind alle nachfolgend beziig- lich der Condensationsverhaltnisse aufgestellten Gesetze und Regeln zu verstehen; es haiidelf sich bei ihnen stets darum, solche Festsetzungen zu treffen, welche, zur De- finitionsvervollstandigung filr die ,,Volumcomponenten" be- nutzt, ziigleich gerade den erfahrungsmarsig zwischen den Volumen iiberhaupt zu Tage tretenden Beziehungeii und Gesetzmafsigkeiten Ausdruck verleihen.

Page 7: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

64

Dieses sweite, das Condensationsgeseta, wird sich zwar mit der Zeit, wozu schon jetzt zahlreiche Andeiitungeu vorliegen, noch vereinfachen lassen; nach dem heuligen Stande der Wissenschaft Iiil'st es sich jedoch nur SO durch- fiihren und aufrecht erhalten, wie ich es schon 1840 Bus- gedriickt hahe. (Diese Ann. Bd. 50 s. 5 5 5 , wobei ich wieder nur das Wort ,, hequivalent", wclches seitdeni seine Bedeutung verandert hat, durch ,Moleciil" ersetze) :

11. Jedes Elerncnt existirt in aerschiedenen Verbin- dungen in solchen ungleichen (polyrnorphen) Zustanden, dars das Volum seines Moleciils im Verhaltnirs der Zahlen 1 : 2 : 3 : 4 : 5 : 6 . . . . veranderlich ist."

Die Condensationsfactoren sind in der That einerlei mit den harmonischen Verhultnirs'saahlen.

205. Mein schon erwahnter 1840 gemachter Versuch, diese einfachen Condensationen der Elemente nachzuweisen, konnte, obgleich ich in einzelnen Verbindungen die Con- densationen der Elemente schon damals ganz richtig auf- fafste, doch nicht in vollig geniigender Weise gelingen, weil die Thatsachen dam noch nicht in hinreichender Scharfe und Mannichfaltigkeit vorlagen. Das Summationsgesetz allein ohne das Coudensationsgesetz annehmen, wie es in Folge meiner damaligen Arbeit von anderer Seite ge- schehen ist , rnufste jedoch nothwendig dahin fiihren, dals man sich mit ganz undefinirten nnd dekhalb ganz unniitzen Zahlenwerthen beschfftigte, da der Begriff der Volumcom- ponenten, wie ich oben nachgewiesen habe, ja iiberhaupt nur, in die Form eines Condensationsgesetzes eingekleidet, vollends gegeben werden kann.

206. Die Ermittelung der Volumconstitution der Ver- bindungen ist auf der ersten Stufe ihrer Entwickelung der Ermittelung der Gewichtsconstitution der Korper sehr ana- log. Der Auftindung der letzteren rnufste die Wahr- nehmung vorangehen :

A . Die Mischung in Verbindungen kann nicbt nach beliebig veranderlichen Verhlltnissen stattfinden , wie die mechanische Mischung und die Diffusion, sondern nur nach festera Verhaltnissen.

Page 8: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

65

B. Wenn ein Element in verschiedenen Quantitaten a , a', a" . . . . mit der nandichen Quantitiit b eines an- deren Elementes in Verhiudung tritt, so stehen die Quan- titaten a, u', a" irn Verhiiltnifs einfacher ganzer Zahlen. (Gesetz der ,.multiplenu Verbindungen.)

Wcnn die Quaotitaten b , c, d . , . . verschiedener Elemente sic1 rnit multiplen Wertheii der Quantitiit a eines anderen Elem ?rites verbinden, so treten jene Elemente dann auch nach ! 'anZen vielfachen (multiplen) Werthen der Quantitaten 4 1 , c , d . . . . untereinarder in Verbindung. (Gesetz der aequivaleiiten Mengen.)

D. Die Gesetze, welche sich fur die Gewichte der Elemente als giiltig erweisen, treffen ehenso anch zu fur die Gewichte der Complexionen oder Verbindungen von Elementen, wenn diese ihrerseits in Verbindungen eingehen. Ihre Aequivalentzahl wird dnrch Addition der Aequivalente der Bestandtheile kefiiuden. (Gesetz der Aequiaalent- summen.)

Dafs nun dime Sahe in der That viillig gleichlautend Geltung hahen miissen, wenn inan statt der Gewichte der Bestandtheile ihre vor der Verbindung gemessenen Volurrre ins Auge falst, ergieht sich von selbst als streng logische Conseqnenz des Vorstehenden, unter Beriicksichtigung der weiteren Thatsache, dafs einer jeden bestimmten chemischen Substanz unter gegcbenen Druck- und Temperatur -Vet-- hiiltnissen auch eiu festes, durch voriibergehende Einwir- kungen nicht bleibeud modificirbares Voluna , beziehungs- weise eine speci6sch unverauderliche Dichtigkeit (speci- fisches Gewicht) zukommt.

Die fur die Atomyewichte und Molecudnrgmichfe giil- tigen Beziehungen und Gesetze lassen sich hiernacli un- mittelbar auf die uor der Verbindung gemessenen Atom- oolzinae und Moleculwvolume iibertragen.

Dieselben Satze miissen sich aber auch auf die modi- ficirten Volume, niit welchen die Componenten in den Ver- bindungen enthalteu zu denken sind, anwendbar erweisen, wofern wirklich diese letzteren ideellen Volume aus den vor

C.

Poggendorff s Ann. ErgBnzungsbd.pYL 3

Page 9: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

66

der Verbindung mefsbaren mittelst fester Condensations- factoren ahleitbar seyn sollen.

Ich will die Volume, mit welchen die Elemente und ihre Compleziorren in den Verbindimyen enthaltcn gedaclit werden, ihre ,, Constitutio?isvolu?ne‘ nennen. Fur diese letzteren miissen demnach in der That, nach Analogie der fur die Gewichte gultigen Gesetze B, C, D, die nachfolgenden GesetLe sich bewahrheiteri:

Wenn ein Element rnit verschiedenen Constitutions- volumen a , a’, u’’ . . . . in Verbindungen vorkommt, ao steheii diese Volume a, a‘, a” . . . . im Verhiiltnils ein- facher ganzer Zahlen.

C’. Wenn verschiedene Elenieiite mit den Constitutions- volumen b , c , d . . . . sich mit einfitchen Condensationa- wertheii des Voluins a eines anderen Elemeiites verbinden, so treten jene Elernente dann auch nach eiufachen Con- densationsverhaltnissen der Volume b , c , d . . , unferein- arider in Verbindung.

Die fur die Constitutionsvolume der Efemenie gul- tiger1 Gesetze siiid auch giiltig fur die Constitutionsvolume der VerDindungeti oder der Complexionen von Elenienten, weiiii diese Complexionen selbst in weitere Verbindungen eintreten. Dns Constitutioiisvoluni einer Verbindung ist die Suinnie der Constitutionsvolume ihrer unrnittelbaren Componenten.

A n m e r k u n g. Dn das Molecul eines freieii Elementea als aus gleichartiyeii Atomen susammengeseiai zu erachten ist, 80 kann auch das Atonivolum eineg freken Elementes in obigeni Sinne als ein Constitutionsvolum desselben auf- gefafst werden.

Wie nun der Begriff des Atom- und Molecular-Gewichtes seine volle Definition erst auf Griind der unter B, C, D aufgefiihrten Wahrnehmungen erhalten koniite , so kann auch nur auf Gruud der analogen Wahrnehmungen B’, C‘, D’ der Begriff des Coiistitiitiotisvolums vollends erfafst , und das Condeiisatioirsgeseto gewonnen werden j wobei sich von selbst versteht, dafs die Constitutionsvoliirne als Atomao-

B’.

D‘.

Page 10: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

67

lume und als lolecularvol unae aufzufassen siiid, wed die Volriinconstitotion der Verbindungen in Zusamrnenliaiig mit ihrer Gewiohtscoiistitution bestelit, und ohne diesen Zusaminenhang nicht gedtlcht werdeii kann.

Die Aufindung der Gewichtsconstitution der Verbin- dungen ist dadurcl: sehr erleichtert, dak das Gewicht der Verbiiidung stets gleich bleibt der Sumine der unveraniler- lichen Gewichte der Componenten. Die Auffiudung der Volumconstitution der Verbindungen ist vie1 schwieriger, weil das Volurn einer Verbindung als die Summe, nicht cons tauter, sondern nach dern Conderisationsgesetz ver- anderticher Volume der Componenteu aufzufassen ist.

207. Uzberdies ist die Aiiffinduug der Volumconsti- tution der KBrper noch mit einer zweiten besonderen Schwierigk ?it verkniipft.

Wahrend die Gewichte durch aiihere Krafte, wie Druck und Temperatur, nicht verhdert werden, sincl die Volume nioht nur nach dem Condensationsgesetz , sondern uber- diel's noch drirch Druck- und Temperatur -Eiuflusse Per- aitderlich.

Far die Gnse ergab sioh das Bestehen eines einfachen Coudensationsgesetzes, wenn die Volume bei gleichen Drucken und Temperaturen gemessen werden.

Fur fliichtiye Fliissigkeiten habe ich 1844 1. c. einfache Verhaltnisse der Constitutionsvolunie fur zahlreiche Korper- gruppen nachgewiesen bei solchen (verscliiedenen) Tem- peraturen, bei welchen die Dampfe der Fliissigkeiten gleiche Spannkrafte haben.

Fa r feste Korper gelang niir eine theilweise ent- sprechende Wahrnehmung erst im Jahre 1859. In meiuen ,,Neuen Beitrligen zur Volumentheorieu (diese hnnalen Bd. 106 und 107) habe ich constatirt:

111. Isomorphe Paare sind in der Regel paralleloster, das heil'st : homologe Verbindungen zweier Elemente oder Complexionen haben in der Regel gleiche Volumdifferenz, wenn sie von gleicher oder nahe gleicher Krystallform sind.

5"

Page 11: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

68

Es geht a m dieser Thatsache aber zweierlei hervor; erstens der Satz IV:

IV. Die Condensationen eines Elementes in verschiede- nen aber isomorphen Verbindunyen sind in der Regel die- selben ; oder mit anderen Worten : Die Constitutionsvolume gleichartiger Componenten isomorpher Korper sind in der Regel gleich. (Regel vom Parallelostcrisnius.)

Es geht ferner zweitens aus jener Thatsache 111 her- vor, dafs die Constitutionsvolume fester Korper vergleich- bar sind und einfache Condensationsverhiiltnisse erkennen lassen, wenn die IGrper gleiche Krystallform haben ; oder wie ich in diesen Annalen Bd. 197 S. 144 hervorgehoben habe, dafs die ,,correspondirenden Temperaturenu, bei welchen das Condensationsgesetz streng erftillt ist, bei ,,isomorphen Korpern nichi sehr meit von einander ab- stehen konnen", oder mindestens , dars der Einpufs dieser Temperaturverschiedenheiten in diesern Fd le nicht oon Belang ist.

Es ist hier offenbar die volle Definition eines neuen hypothetischen Begriffes von dem , was unter ,correspon- direndeii Temperaturan" bei festen Korpern zu verstehen ist , noch auhusuchen. Hypothetisch ist, dafs es solche Temperaturen gebe, bei welchen verglichen die Volume das Condensationsgesetz in aller Strenge erfiillen. Diese, nach Analogie der bei den Gasen und Fliissigkeiten fest- stehenden Erfabrungen, provisorisch aufgestellte Hypothese ist unentbehrlich, urn uberhaupt aus den Thatsachen ent- nehmen zu konnen, bei welchen specifischen Temperaturen die Volume der resten Korper in Vergleichnng zu setzen sind. Bis jetzt geht aus den Thatsachen nach Regel IV hcrvor, dafs fiir isomorphe Korper die Gleichheit dpr Tem- peratnren, bei welchen die Volume gemessen werden, wenigstens eine vollig geniigende Annaherung darbietet. Zur Zeit ist es jedoch noch nicht moglich, diew corre- spondirenden Temperaturen allgeniein zu bestimmen.

Die Volumanderungen der festen Korper durch Druck und Temperatur sind (gliicklicherweise fur die Losung der

Page 12: Untersuchungen über die Volumconstitution der festen Körper. V. Theoretische Einleitung

69

vorliegenden Aufgabe) so klein, d a b die gemessenen Vo- lume, beziehungsweise Dichtigkeiten oder specifischen Ge- wichte, auch bei nicht genau correspoiidirenden Tempe- raturen doch in der Regel genugend genaherte Werthe darbieten, urn das Condensationsgeseta erkennen zu lassen. Mit anderen Worten:

Die Modificationen, welche durch W’arme - Dilatation oder Contraction wegen nicbt correspondirender Tempe- raturen den gemessenen Volumen anhaften konnen, sind in der Regel thatsachlich nicht grofs genug, urn die aiel gro fseren Modificationen, welche das Condensationsgeseta erheischt, zu verdeoken oder unkenntlich zu machen.

Es ist daher zunachst erforderlich , die Condensations- aerhaltnisse aufser Zweifel zu stellen; erst d a m konnen jene kleineren Modificationen, welche n i t W armedilatation zusammenhangen, naher untersucht werden.

Es bleibt nun zunachst zu erortern, in welcher Weise auf Grund der im Vorstehenden entwickelten theoretischen Anschaunngen die Constitutionsvolume abgelcitet werden. Es wird diel’s den Gegenstand meiner ndchstfolgenden Mittheilung ausmachen.

M a n n h e i m , im September 1872.

I V. tinters uchutigen iiter die Volumconstitutioa der fustete Korper; Ton H. 8 c la r 8 d e r.

VI. Methode.

208. D e n wesentlichsten und wichtigsten Anhalts- punktibei allen nachfolgenden Untersochungen wird immer die Regel vom Parallelosterismus bilden, welche ich als Regel I hier noch einmal voranstellen werde. Sie invol- virt gewissermafsen die Regel 11, die ich ihr anfuge. EN