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Unwillkiirliehe Bewegungen, unwillkiirlicheBeschleunigungen und Hemmungen, ihr Nachweis durch das Experiment, ihre graphische Aufzeichnung, ihre Bedeutung fiir die Diagnose, die Begutachtung, die Behandlung usw. Von Dr. J. Pfahl (Bonn). Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 13. April 1927.) ,,Als unwillkfirliche Bewegungen, als motorische Reizerscheinungen pflegen wir solche Bewegungen zu bezeichnen, die vollfiihrt werden, ohne dal~ eine Absicht besteht", so sagte F. Kramer im Lehrbuch der Neurologie yon Lewandowsl~y (S. 453). Er stellt die unwillktirlichen Bewegungen also auf eine Stufe mit motorischen Reizerscheinungen und sieht in ihnen StSrungen des Bewegungsapparates. -- Im all- gemeinen Sprachgebrauch, aber auch in der Wissenschaft wird der Begriff sonst durchweg weiter gefai~t: Als unwillkiirliche Bewegungen bezeichnet 1) man dort solche, die auch vom Gesunden ausgefiihrt werden, unter Beteiligung hSherer Zentren, in koordinierter Weise, zu bestimmten Zwecken, aber ohne Beteiligung des Bewuittseins und des Willens (aus dem Unterbewul]tsein heraus). Besonderes Interesse haben sie fiir den Kiinstler und den Nerven- arzt da, wo sie mit bestimmten Affekten verkniipft und geeignet sind, diesen Ausdruck zu verleihen. Tun sie das wirklich, sind sie nicht eingeiibt, wie Bewegungen konventioneller Art oder schauspielerischer Natur, dann daft man, nach der heute am weitesten verbreiteten An- schauung, wohl annehmen, dal~ sie, aus einem Gefiihle der Lust oder Unlust entspringend, ohne dal~ wir uns dessen bewuI~t sind, zu einem grol]en Teil dazu dienen, unsere Sinnesorgane bestimmten Sinnes- empfindungen besser zugi~ngig zu machen oder umgekehrt uns von ihnen abzuwenden, ihnen zu entfliehen, zum andern Teil dazu dienen, gewisse Absichten anzudeuten, gewisse Bewegungen und Handlungen vorzubereiten, zu unterstiitzen, zu versti~rken oder umgekehrt, sie ab- 1) Wie das im aUgemeinen Sprachgebrauch zu geschehen pflegt, babe ich im nachfolgenden durch Anfiihrungszeichen angedeutet. 16"

Unwillkürliche Bewegungen, unwillkürliche Beschleunigungen und Hemmungen, ihr Nachweis durch das Experiment, ihre graphische Aufzeichnung, ihre Bedeutung für die Diagnose, die Begutachtung,

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Unwillkiirliehe Bewegungen, unwillkiirliche Beschleunigungen und Hemmungen, ihr Nachweis durch das Experiment, ihre graphische Aufzeichnung, ihre Bedeutung fiir die Diagnose,

die Begutachtung, die Behandlung usw. Von

Dr. J. Pfahl (Bonn).

Mit 9 Textabbildungen.

(Eingegangen am 13. April 1927.)

,,Als unwillkfirliche Bewegungen, als motorische Reizerscheinungen pflegen wir solche Bewegungen zu bezeichnen, die vollfiihrt werden, ohne dal~ eine Absicht besteht", so sagte F. Kramer im Lehrbuch der Neurologie yon Lewandowsl~y (S. 453). Er stellt die unwillktirlichen Bewegungen also auf eine Stufe mit motorischen Reizerscheinungen und sieht in ihnen StSrungen des Bewegungsapparates. -- Im all- gemeinen Sprachgebrauch, aber auch in der Wissenschaft wird der Begriff sonst durchweg weiter gefai~t: Als unwillkiirliche Bewegungen bezeichnet 1) man dort solche, die auch vom Gesunden ausgefiihrt werden, unter Beteiligung hSherer Zentren, in koordinierter Weise, zu bestimmten Zwecken, aber ohne Beteiligung des Bewuittseins und des Willens (aus dem Unterbewul]tsein heraus).

Besonderes Interesse haben sie fiir den Kiinstler und den Nerven- arzt da, wo sie mit bestimmten Affekten verkniipft und geeignet sind, diesen Ausdruck zu verleihen. Tun sie das wirklich, sind sie nicht eingeiibt, wie Bewegungen konventioneller Art oder schauspielerischer Natur, dann daft man, nach der heute am weitesten verbreiteten An- schauung, wohl annehmen, dal~ sie, aus einem Gefiihle der Lust oder Unlust entspringend, ohne dal~ wir uns dessen bewuI~t sind, zu einem grol]en Teil dazu dienen, unsere Sinnesorgane bestimmten Sinnes- empfindungen besser zugi~ngig zu machen oder umgekehrt uns von ihnen abzuwenden, ihnen zu entfliehen, zum andern Teil dazu dienen, gewisse Absichten anzudeuten, gewisse Bewegungen und Handlungen vorzubereiten, zu unterstiitzen, zu versti~rken oder umgekehrt, sie ab-

1) Wie das im aUgemeinen Sprachgebrauch zu geschehen pflegt, babe ich im nachfolgenden durch Anfiihrungszeichen angedeutet.

16"

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zuschw~chen, zu regulieren [letzteres vor allem bei der Koordinationl)] : Wir ,,starren mit den Augen einen Gegenstand an" und ,,wir reiBen sie welt auf vor Erstaunen" (unwillkfirlich), um durch genaueres Be- trachten festzustellen, ob es wirklich das ist, was wir solange vergeblich erwartet haben, ob keine T~uschung vorliegt. Wir wenden umgekehrt unser Gesicht ,,mit Entrfistung" yon einer Person oder Sache zur Seite, wenn der Anblick Unlust, ])berdruB oder Ekel hervorruft. Wir halten unwillki~rlich unsere Ohren zu, wenn wir unangenehme Geriiusehe, Worte yon uns fernhalten wollen. Unwillki~rlich wendet dagegen der Hund seine Lauscher nach vorn, wenn er, durch ein leichtes Ger~usch aufmerksam gemacht, ,,auffangen" will. Er maeht schnelle, schnfiffelnde Atembewegungen durch die fiber den Boden streichende Nase, um schwache Gerfiche einzuziehen. Und wenn der Hahn auf Laute yon mir, die die NiChe eines Feindes oder Wettbewerbers imitieren sollen, die Augen weit aufreist, den Kopf hin und her dreht, sich reckt, ein Bein hebt, die Zehen krallt, dann bringt er dadurch zum Ausdruek, dab seine Aufmerksamkeit aufs hSchste gespannt ist, dab ,,er mit Augen und Ohren genau verfolgt", was um ihn vorgeht, und dab er gegebenenfalls bereit ist, sich sofort auf seinen Gegner zu stfirzen.

Der bis zur h6chsten Wut Erregte, der seine Faust ballt oder mit dem FuB auf die Erde stampft, wird den, der die Wut hervorruft, gegebenenfalls mit der Faust zerschlagen oder mit dem FuB zertreten. Bewegungen dieser Art erfolgen sicher meist unwillkiLrlich, sie erfolgen zum groBen Teil im Affekt und haben, wie gesagt, besonders Interesse fiir den bildenden und darstellenden Kfinstler und ffir den Psychiater. In klassischer Form hat Lessing ihnen ja im Laokoon seine Aufmerk- samkeit gewidmet. Um sie genauer studieren und beurteilen zu kSnnen, bedarf es ffir den Kfinstler feinen Verst~ndnisses, ffir den Psychiater oft langer Beobaehtung. Fiir das kurzdauernde Experiment, die kfinstliche Erzeugung, sind sie daher wenig geeignet. Bei geeigneter Versuchsanordnung gelingt es aber doch auch, durch kfirzere Unter- suchungen und dutch das Experiment wenigstens einen Teil der Affekt- bewegungen auszulSsen (s. u.).

Ungleich mehr eignet sieh dazu eine Gruppe von Bewegungen, die wir kurz als ttilfsbewegungen bezeichnen kSnnen, die den Haupt- bewegungen vorausgehen, sie begleiten oder unmittelbar naehfolgen, und die den ausgesprochenen Zweck haben, deren Kraf t zu verst~rken. Eine yon ihnen ist im Lehrbuch der Physiologic von Landois-Rosemann, XVII. Aufl., S. 539 folgendermaBen geschildert : ,,Unwillkfirlich pflegen wir, wenn es sich darum handelt, die grSBte Kraftleistung eines Muskels zu vollbringen, diesen vorher in den Zustand mSglichster Dehnung zu

1) Vgl. hierzu das Buch: ,,Die Physiologie und Pathologie der Koordina- tion" von O. FSrster, Jena 1902.

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versetzen (,,Ausholen"), da von dieser aus der Muskel der grSltten Kraftentfaltung f/~hig ist."

Eine grol]e Kraftleistung, wie sie bier fiir das Zustandekommen der unwillkiirlichen Bewegung des Ausholens vorausgesetzt wird, liegt unter anderm darin, wenn jemand tin Glied mSgliehst schnell bewegen soll; und die unwillkiirliche Bewegung im entgegengesetzten Sinne bzw. die obenerwahnte Dehnung des betreffenden Agonisten wird bei dieser Aufforderung namentlich dann zustande kommen, wenn er vorher stark verkiirzt ist, und wenn die Aufforderung unerwartet oder doch im Kommandoton erfolgt. Darauf habe ich meine Versuche aufgebaut. Ich habe dabei besonders Bewegungen der Hand ausfiihren lassen und mit Hilfe eines Apparates aufgeschrieben, den ich schon seit l~ngerer Zeit zu anderen Zwecken benutzt habel):

Die distale Hklfte des Vorderarmes ist in eine leicht federnde Stahl- blechschiene yon U-f6rmigem Querschnitt eingedriickt (Abb. 1). Seine

~ K

Abb. 1.

radiale Seite ist nach oben gerichtet und frei. Die Schiene wird auf ein kraftiges Brett, dieses auf die Mittellinie eines Tisches yon gewShn- licher HShe am Kopfende angeschraubt. Das Handgelenk iiberragt eben den Tischrand. Die Mittelhand wird gleichfalls in eine Stahl- bleehschiene H yon entsprechender Weite und entsprechendem Durch- schnitt eingedriickt. Daumenballen und Finger sind frei. In der Ver- langerung der Radio-Ulnarachse des Handgelenkes ist eine leicht dreh- bare Aehse A (Kugellageraehse eines Fahrrades) befestigt, an diese Achse ein horizontal gestellter Hebel. Der Hebel ist dureh eine diinne Aluminiumschiene yon ~]-f6rmigem Quersehnitt auf 58 em verlkngert. An deren Vorderende ist durch !eichtes, genau gearbeitetes Scharnier- gelenk eine kleine konische Feder F yon Neusilber mit Platinspitze (Siemensfeder) befestigt. Fiihrt die Hand eine Volar- oder Dorsal- flexion yon einem Grad aus, so zeichnet diese Feder eine Kurve yon 1 cm H6he auf das Kymographium K.

Dadurch, daf~ die Bewegungen des freien Endes des Hebels (der Feder) etwa 4mal so grol sind, als die Bewegungen der Spitzen der

1) P/ahl, t3ber die reziproke Innervation. Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 188, It. 4/6. -- P/ahl, ~ber Elastizitatswirkungen unserer Muskeln. Zeitschr. f. Biol. 81.

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leicht gebeugten Finger und die Reibung der Kugellagerachse minimal ist, wird es erreicht, dab auch die kleinsten Bewegungen zum Vorschein kommen und dadurch, dal3 die Fiihrung der Achse sehr exakt ist, dab sie genau aufgeschrieben werden. Fall- und Pendelbewegungen sind bei der lotrechten Stellung der Drehungsachsen ausgeschlossen, Eigen- bewegungen des Schreibhebels nach Vorversuchen ebenfalls. Seine

~M

d r f y

1. 2. _ _ 3

b

7. 2. - - 3

Abb, 2,

Bewegungen sind identisch mit denen der Hand. Auf Umformung der bogenf6rmigen Linie in eine gerade konnte ich zur Vereinfachung des Apparates verzichten, da ich nur Bewegungen von geringem Umfango (Bewegungen bis zu 6 ~ aufgeschrieben habe.

Beim Schreiben der unteren Kurve in Abb. 2 (die beiden Kurven in Abb. 2 sind bei einer Trommelgeschwindigkeit yon 20 mm, alle iibrigen bei v = 10 mm aufgeschrieben), wurde die rechte Hand bei mittlerer Stellung und bei leicht gebeugten Fingern (gleichfalIs Mittelstellung)

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zuerst einige Male passiv im Umfange yon 4--5 ~ hin- und herbewegt. Dann bekam Versuchsperson die Instruktion, sie (mehrmals) in gleichem Umfange nach dem leise gesprochenen Vorkommando: 1, 2 und nach- folgender kurzer Pause auf das laut gesprochene Ausfiihrungskommando ,3" mit denkbar grSl~ter Geschwindigkeit nach der Beugeseite (?) und gleich danach langsam in die Ausgangsstellung zuriickzubewegen (~) (Bewegungen etwa in der HaItung und dem Umfange, wie die Hand sie beim Sehreiben eines deutschen t ausffihrt, bei der Volarflexion auch etwa vonder Geschwindigkeit, wie bei einem Schnellsehreibenden, bei der Dorsalflexion von wechselnder Geschwindigkeit, im Durchsehnitt erheblich langsamer). Verlangt und gewollt war also schnellste Velar- flexion im Umfange von 4--5 ~ dann langsame Dorsalflexion, kurze Pause, neue schnellste Volarflexion usw. Die letztere erfolgte, wie ver- langt, mit grSBter Gesehwindigkeit (a bis b). Auf sie folgt aber nicht sofort das langsame Rfickgehen in die Ausgangsstellung, sondern zuerst eine fast ebenso schnelle Dorsalflexion (b--c), halb so gro[] wie die Volarflexion und grSi~er und noch einige gleichfalls ziemlieh schnelle, an Umfang yon Bewegung zu Bewegung kleiner werdende Hin- und Herbewegungen.

Die Bewegung b--c fiihrt Vp. zweifellos unwillkfirlich aus, weil sie aus der Erfahrung weiit, dait die Hand ohne sie bei der sehnellen ttaupt- bewegung a--b weir fiber die gegebene Grenze hinausschiel~en wiirde (infolge der Beharrung). Isserlin hat solche Bewegungen in einer l~ngeren Arbeit (Kr/~p. Arch. 6) als Riicksto[~bewegungen beschrieben.

Die dieser unwillkiirlichen (aber notwendigen) Hemmung folgenden ni~chsten 3--4 Hin- und Herbewegungen kommen zum Teil wohl auf ~hnliche Weise, zum Teil aber (nach ihrer Form, der Form der Gipfel- punktkurve und der Gleichm~ti~igkeit der Zeitdauer) zweifellos auch durch Elastizit/~tskri~fte zustande. Und nun erst folgt nach diesen unwillkiirlichen Hin- und Herbewegungen die gewollte langsame Riick- w~rtsbewegung d--e (mit den bekannten kleinen Stufen). Die wird nach einiger Zeit gleichfalls unwillkfirlich beschleunigt (e--f) durch das zwischendurch leise gesprochene Vorkommando: 1, 21). I)anach folgt die Pause f--g. Jetzt ist Vp. ,,schlagfertig", wie es in der Um- gangssprache heil~t. Sie wartet gespannt auf das Hauptkommando, macht w~hrend der gewiinschten Ruhepause mit der Hand einige leichte Hin- und Herbewegungen, die dem Auge ohne die Vergr6Berung gar nicht bemerkbar sind und ffihrt sofort nach dem Ausffihrungs- kommando 3! kurz vor der Hauptbewegung, der gewollten raschen

1) Fiir die Bestimmung der Zeitmomente, in denen das Vorkommando (1, 2) und das ttauptkommando (3) ausgesprochen wurde, stand keine absolut genaue MeBvorrichtung, sondern nur die Sch~tzung zur Verfiigung, die aber wohl im wesentlichen zutreffend ist.

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Volarflexion, nochmals unwillkiirlich eine Dorsalflexion aus, die wieder schneller und ausgiebiger erfolgt (g--a) als die einzelnen Stufen der langsamen Dorsalflexion; sie holt damit unwillkiirlich noch einmal aus zum gewollten, raschen Schlage.

Wir sehen, kurz zusammengefal~t, hier an der Kurve, in der eine sog. ,,einfache Hin- und Herbewegung der Hand" in vergr61~ertem MaBstabe wiedergeben wird, sehr deutlich, da{] schon diese viel kom- plizierter verl~uft, als es dem blol~en Auge erscheint, sehen deutlich, wie Vp. bei der wfllkiirlichen Hauptbewegung dutch eine vorhergehende unwillki~rliche Hil]sbewegung eine H6chstleistung in quantitativer Be- ziehung, die gr6flte Geschwindigkeit zu erzielen sucht, wie sie dutch eine zweite, unwillki~rliche nach/olgende rasche Bewegung, die hemmend wirkt, in qualitativer Hinsicht das H6chste, die gr6flte Genauigkeit im Um/ange der Hauptbewegung, erreichen will. Wir sehen weiter, wie durch einen schwachen Antrieb von auBen (das Vorkommando 1, 2) eine Bewegung, die die Vp. langsam ausfiihren will und zun~chst auch langsam aus- fiihrt, unwillkiirlich beschleunigt wird und wie in der gewiinschten Ruhepause ,,die gespannte Erwartung" noch Zitterbewegungen der Hand (Intentionszittern) ausl6st. Die Hilfsbewegungen des Ausholens sind sicher schon zum Teil ererbt (phylogenetisch) und die Brems- bewegung des Rtickschlages durch lange Eigenerfahrung erworben (ontogenetisch), so dal~ es ~uBerst schwierig sein wird, sie willkfirlich zu unterdriicken. Wiirden wir sie bei jemandem finden, der einmal an einer Radialisl~hmung gelitten hat und behauptet, auch jetzt die Hand nur nach der Volarseite, aber nicht nach der Dorsalseite hin bewegen zu k6nnen, so hatten wir darin ein Beweisstiick, da~ diese Angabe unzu- treffend ist. Und wenn das Zittern in der Ruhepause f--g erheblich starker ist, als bier, auch wohl noch einen Anhalt dafiir, da[~ wires mit einem nerv6sen Menschen, nicht mit einem Simulanten, zu tun haben.

Beim Schreiben der oberen Kurve (Abb. 2) hat Vp. den Auftrag, in dem Augenblick, wo die auf dem Kymographionpapier vorgezeich- nete, zu seiner L~ngsrichtung querverlaufende gerade Linie, die durch ein auf der Welle schleifendes Papierstiick verdeckt ist, zum Vorschein kommt, sofort mit der gr613ten Geschwindigkeit eine Volarflexion der Hand im Umfange von 2--3 ~ auszufiihrenl). (Die Schreibfeder des Schreibhebels befindet sich in dem gegebenen Augenblick genau 1 cm vonder Linie entfernt.) In der Kurve holt sie zu alien 3 Bewegungen unwillkfirlich aus, aber bei alien im verschiedenen Umfange und mit verschiedener Geschwindigkeit, am schnellsten und weitesten bei der mittleren Bewegung, bei der sie am schnellsten reagiert, am langsamsten

1) Sog. Reaktions-Bewegungen dieser Art werden namentlich im Sport und im modernen Verkehrsleben allenthalben verlangt.

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bei der dritten, wo die Reaktion etwa 0,25 Sek. sp~ter eintrit t (die Trommelgesehwindigkeit betrug bei den beiden letzten Versuchen 20 mm in der Sekunde).

In letzter Zeit hat Wachholder auf Grund graphischer Aufzeich- nungen auf die zuerst angeffihrten Bewegungen hingewiesen. Er nennt sie Vorschlagsbewegungenl). Ein derartiger ,,Vorschlag" ist, wie er sagt, zwar bei schnellsten Bewegungen mit vielfachen Nachbewegungen recht haufig zu beobachten, keineswegs jedoch immer. ,,Bei miii~ig schnellen Bewegungen mit einfachem Riickschlag ist er nur selten und bei ausgesprochenen langsamen Bewegungen nur ganz ausnahmsweise vorhanden." --

Seine Untersuchungsergebnisse stimmen im wesentliehen mit den meinen iiberein. Ich wiirde aber noch weiter gehen und sagen: bei schnellsten Bewegungen land ich sie dann, wenn die Ausgangsstellung hierfiir ungiinstig ist, d .h . wenn Ursprungsstelle und Ansatzstelle des Muskels nieht schon weit voneinander entfernt sind, immer und auch bei langsamen Bewegungen fand ich sie dann, wenn die Ausgangs- stellung sehr ungfinstig ist, z .B. , wenn die Hand aktiv oder passiv schon ziemlich stark nach der Volarseite zu gebeugt ist, und nun nach dem gedehnt gesprochenen Ankiindigungskommando: 1, 2 auf das gleichfalls gedehnt gesprochene Hauptkommando 3, 4 die Hand bis zum ~tul~ersten gebeugt werden soll, eigentlich regelm~l~ig. Dal~ diese Vorschlagsbewegungen bei schnellsten Bewegungen sehr haufig (bzw. immer) und bei langsamen Bewegungen nur ganz ausnahmsweise vor- handen sind, wie W. sagt, ist auch leicht versti~ndlich. Im ersteren Falls ist sie, wenn Ursprungsstelle und Ansatzstelle nicht schon weit voneinander entfernt sind, zur Erzielung der hSchsten Geschwindigkeit ja auch notwendig, bei den langsamen Bewegungen, wenn die Aus- gangsstellung nicht gerade ganz ungiinstig ist, dagegen nicht. -- Die Vorschlagsbewegung, das sog. Ausholen zur Bewegung, hat darum be- sonderes Interesse fiir uns, weft wir die Bedingungen ffir ihr Zustande- kommen mOglichst gfinstig, mSglichst einfach und in den verschiedenen Versuchen mSglichst gleich gestalten kSnnen. Wir sind darum imstande, sie leicht durch das Experiment auszulOsen und festzulegen, einfach zu deuten, bei Gesunden und Kranken oder bei dem gleichen Kranken zu verschiedenen Zeiten des Krankheitsverlaufes zu vergleichen und darauf unsere Schlfisse aufzubauen.

Der Zweck des Ausholens, die Ansatzpunkte des Agonisten weit voneinander zu entfernen, um diesem im gegebenen Augenblicke eine um so kr~ftigere Zusammenziehung zu ermSglichen, wird in den meisten

1) Wachholder, Beitr~ge zur Physiologie der willkiirlichen Bewegungen. I. Mitt. Der Verlauf und die Koordination einfacher willkiirlicher Einzelbewegun- gen. Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. ~09, H. 2/3, S. 231. 1925.

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F~llen, insbesondere bei den sog. eingelenkigen Muskeln, wohl erreicht dureh die Anspannung und direkte Wirkung der eigentlichen Anta- gonisten, die aufhSren oder doeh wenigstens erheblieh nachlassen muB, wenn die Kontraktion der Agonisten und die Hauptbewegung beginnt. Bei den sog. mehrgelenkigen Muskeln kann die Dehnung aber aueh noch durch andere Muskeln zustande kommen. Nehmen wir das be- kannteste Beispiel, den FaustschluB: die Ansatzstellen der langen Fingerbeuger kSnnen nieht nur durch die Anspannung der Finger- strecker voneinander entfernt werden, sondern auch durch die An- spannung der Dorsalflexoren der Hand, deren groBe Bedeutung darin liegt, dab sie nicht, wie dies bei den eigentlichen Antagonisten, den langen Fingerstreckern, der Fall ist, mit Beginn des Faustschlusses aussetzen muB, sondern dab sie w~hrend der Beugung der Finger fort~ dauern kann. Sie ist wohl die bekannteste und wichtigste Hilfsstellung bei einer unserer h~ufigsten Dauerkontraktionen, beim kr~ftigen Faust- sehluB. Sie erfolgt dazu so ausgiebig, und ist yon so langer Dauer, dab wir sie auch ohne graphische Aufzeiehnung sofort erkennen, wenn wir nur unsere Aufmerksamkeit darauf richten: jeder Kiinstler kennt sie und bringt sie im gegebenen Falle zum Ausdruck, und sie erfolgt so instinktiv und automatisch, ist so stabil, wie Bechterew sagt, ist wahr- scheinlieh aueh sehon phylogenetiseher Natur, dal~ wir sie nur durch besondere Willensanspannung verhindern kSnnen. F~llt die aktive Dorsalflexion bei raschem FaustschluB aus, dann k(innen wir wohl mit grSBter Wahrseheinlichkeit annehmen, dab sie die Folge yon organischen Ver~tnderungen ist. (Am ausgesprochensten macht sich alas bei der Radialisl~hmung bemerkbar.)

Die Bewegung des Ausholens sehen wir in einfacher und kompli- zierter Form bei vielen kr~ftigen und ausgiebigen Bewegungen des Menschen und des Tieres auf Schritt und Tritt: der Schmied holt mit dem Hammer aus zu kr~ftigem Schlage, der Reiter mit der Lanze zum wuehr Stol~e; die Katze duckt sich zum Sprung; der Vogel, der sich, wie die Amsel, dureh hiipfende Bewegungen auf dem Boden fortbewegt, li~Bt sich vor jeder Sprungbewegung etwas hinunter. Es wird dadurch auf direktem Wege eine kraftige Zusammenziehung der Agonisten und damit eine kr~ftigere und schnellere Hauptbewegung ermSglicht.

Die unwillkiirlichen Bewegungen yore Charakter der oben geschil- derten, insbesondere die Bewegung des Ausholens und andere sog. Hilfsbewegungen kSnnen, wie wir sahen, den Effekt der Hauptbewegung erheblich steigern. Umgekehrt kann es da, wo es darauf ankommt, eine HSehstleistung in qualitativer Beziehung zu erzielen, wo ein Glied in einer genau bestimmten Richtung, in genau bestimmten Grenzen und mit genau bestimmter Geschwindigkeit bewegt werden soll, im

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und Hemmungen, ihr Nachweis dureh das Experiment usw. 251

Verlauf der Bewegung oft zu unwillkiirlichen Bewegungen kommen, damit die Riehtung der Bewegung ge~ndert, ihre Kraft und Gesehwin- digkeit herabgesetzt oder beschleunigt, ihr Umfang eingesehrankt oder vergrOBert wird.

Das kann schon im Experiment dadurch notwendig werden, dab wir durch falsche Innervation das Glied naeh der falschen Seite hinbewegten, dab die Kraft, die wir aufboten, zu groB oder zu klein war, weil es uns an der notwendigen Erfahrung und l~bung fehlt. Und bei Bewegungen im gew6hnliehen Leben wird es noch viel 6fters notwendig dadurch, dab wir im Laufe der Bewegungen zu andern Entsehlfissen und anderen Absichten kommen, notwendig, weil im Laufe der Bewegung bzw. tiandlung uns Hindernisse und Gefahren entgegentreten, die vorher nieht vorhanden waren, oder yon uns fibersehen wurden etc. Gesiehts- eindrficke, Gelenkempfindungen, Sehmerzempfindungen, Empfindungen des Vestibularis usw. k6nnen uns dariiber unterriehten und uns, ohne dab wir uns dessert bewuBt werden, veranlassen, hemmend oder besehleu- nigend in die andere Bewegung einzugreifen. Und die Affekte der ge- spannten Aufmerksamkeit, der Sorge, der Angst, des Sehreeks, die damit unter Umst~nden verbunden sind, bewirken, dab die Hemmung zu stark einsetzt, dab es infolgedessen zu unzweckm/~Biger Verlangsamung, zum vorzeitigen Halten oder gar zu Rfiekw/irtsbewegungen kommt. Auf diese Weise kommt es besonders bei rhythmisehen Hin- und Herbewegungen, die sich in bestimmten Grenzen vollziehen sollen, namentlich bei der sog. Bewegungsumkehr zu einem lebha/ten Weehselspiel der hemmenden und antreibenden Kr~i/te, wodurch das Glied in Form von Zitterbewegungen und dhnlichen Erscheinungen rasch hin- und herbewegt wird. Viel ausgespro- chener noeh linden wir sie bei manchen Erkrankungen, insbesondere bei nerv6sen Erkrankungen. In Abb. 3 sehen wir die Bewegungen der rechten Hand eines Schwachsinnigen. Er ist aufgefordert, die Hand nach dem Takte eines vor seinen Augen schwingenden Sekunden- pendels in angegebenen Grenzen gleichmi~Big und ruhig hin und her zu bewegen. Zu seiner Instruktion fiihre ich die Bewegungen seiner Hand zuerst einigemal durch die meinige aus. Dem Wunseh, dies in der gleichen Form aktiv fortzusetzen, kommt er zuni~chst nieht nach. Er fiihrt die erste Bewegung (Volarflexion ~ a--b) zuni~ehst mit sehr groBer Geschwindigkeit aus. Er ffihlt oder sieht, dab er dabei weir fiber das gesteckte Ziel schieBen werde und hemmt die Bewegung der Hand auf der H6he der Geschwindigkeit dureh eine unwillkiirliehe Gegenbewegung. Diese hemmende Bewegung geht aber gleichfalts nicht ohne weiteres in die von ibm verlangte Streckung fiber, sondern wird, weil auch sie wieder mit zu groBer Kraft einsetzt, gleichfalls durch eine unwillkfirliche Bewegung in der anderen Richtung unterbrochen. Dieser Vorgang wiederholt sich dann in sehw/~eherer Form noeh einige-

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mal, und darauf verl~uft die Dorsalflexion (c--d) und ihre Nachbewe- gungen in gleicher Weise.

Die Kraft, die K. aufbietet, um Bewegungen in dem verlangten und gewollten Umfange und Tempo auszufiihren, ist viel zu groin; die unwillkiirlichen Hemmungen und Gegenbewegungen, die dadurch ausgel(~st werden, ebenfalls. Auf diese Weise kommt es zu groBer Kraftverschwendung, die aber dem ganzen Wesen des K. entspricht: er ist auch sonst verschwenderisch, gro$tuerisch, eitel, hat ein manieriertes und geziertes Wesen. Er ffihrt, wie er sagt, alle Bewegungen ,,mit Schwung" aus: er ,,schwingt" sich aufs Rad und l~uft ,,mit Schwung"

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Abb . 3.

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Sehlittschuh, er f~llt dabei nur selten hin; dann geschieht das aber ebenfalls ,,mit Schwung". Er windet sieh danach nicht auf, sondern er ,,schwingt sieh in die H6he". Die Kurve in Abb. 3 gibt diese Art der Bewegung in ihrem ersten Teil in typischer Weise wieder.

K. ist aber der Beeinflussung noch immer zugangig: Schon meine Worte : ,,nur ruhig" w~hrend der 4. Dorsalflexion (e--f) geniigen, seine Bewegungen sofort bedeutend ruhiger zu gestalten. Ganz fMlt der Streit zwischen Agonisten und Antagonisten zwar aueh jetzt nicht fort; abet er tritt jetzt nur noch in einer St~trke zutage, wie wir ihn unter diesen Versuchsbedingungen auch beim Gesunden h~ufig linden (s. 2. Teil der Kurve).

Bei K. fiihrt ein dauernd bestehender Affektzustand (seine Eitel- keit und Manieriertheit) spontan resp. endogen dazu, dab er in vielem

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und Hemmungen, ihr Naehweis dutch das Experiment usw. 253

zu hastig ist, dal~ er u. a. auch die Versuchsbewegungen zu hastig aus- ffihrt, daI~ er infolgedessen hier unwillkfirlich hemmend eingreifen mul~ und damit viel Kraf t verschwendet.

])as gleiche kommt bei einem NervSsen, Reizbaren, durch einen Antrieb yon aul~en (exogen) zustande. Auch er ftihrt, als williger und folgsamer, die Bewegungen auf den kurzen kommandoi~hnlichen Schlag des Metronoms viel zu hastig (s. Kurve a, Abb. 4), dagegen mit viel

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Abb. 4.

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mehr Ruhe aus, als ein Pendel ihm das gleiche Tempo (Sekunden- tempo) fiir seine Bewegungen angibt. (s. Kurve b, Abb. 4) Kurve a, Abb. 4, zeigt, dab er ,,willig" (zu willig) ist. Im Rahmen des fibrigen Krankheitsbildes k6nnen wir daraus unter Umst~nden ersehen, dal~ ftir ihn, den Reizbaren, eine Arbeit am besten ist, bei der er yon aul~en wenig gest6rt wird, dal~ er ,,nicht gehetzt wird".

Die beiden Kurven in Abb. 5 zeigen uns in ~hnlicher Weise, wie unwillkfirliche Bewegungen dieser Art dutch beruhigendes Zusprechen sofort erheblich gebessert werden k6nnen. L. hat 1917 einen Kopfschul~ erlitten. Er leidet immer noch an allgemeiner Nervosit~t: er regt sich

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254 J. Pfahl: Unwillkiirliche Bewegungen, Beschleunigungen

leicht auf, wie e r sagt, schon wenn er schreiben soll. Hier bei unsern Versuchen rut er es namentlich beim Schreiben yon solchen Kurven, bei denen er genau zusehen mul3. Kurve a in Abb. 5, bei der er der Sehreibfeder des Apparates bzw. den Bewegungen der Hand genau mit dem Auge folgt, zeigt als Ausdruck dieser Erregbarkeit wieder die bekannten unwillkiirlichen Hemmungen, Verlangsamungen und Riickw~rtsbewegungen, die aueh sofort wieder erheblieh nachlassen, nachdem ich ihn aufforderte, nicht so scharf auf die Feder zu sehen, und beruhigend auf ihn eingesproehen babe. Kurve b ist sofort naeh dieser beruhigenden Zuspraehe gesehrieben und verl~uft erheblich ruhiger.

S~mtliche Kurven in Abb. 6 sind auf folgende Weise entstanden: Die Hand, meist die rechte, befand sich in Mittelstellung, die Finger ebenfalls (leichte Beugestellung =- Ruhestellung). Beim Schreiben der

Abb. 5.

Kurve h war die Feder dem Rand der Trommel auf 2 mm gen~hert. Vp. hatte den Auftrag, darauf zu achten, da$ dieser Abstand bei- behalten bliebe. Beim Schreiben der Kurven e, l, m, o stand die Feder beim Anfang des Versuches bei stillstehender Trommel in der Mitte zwischen den beiden vorgezeichneten Parallelen. (Abst. 4 bzw. 6 ram.) Vp. soll darauf achten, dab die Feder bei laufender Trommel diese Stellung beibeh~lt. Bei allen iibrigen Versuchen waren die Versuchs- personen instruiert, die Hand ruhig in der Schiene liegen zu lassen, gar nicht darauf zu achten, sondern in die Ferne zu sehen, und wurden aul~erdem noch durch die Unterhaltung abgelenkt. Bei Kurve ] war ich selbst Versuchsperson und Versuehsleiter zugleich. Die Kurve zeigt kleine, wellenfSrmige Bewegungen. Die sind ganz im Anfang etwas ungleichm~Big und unregelm~Big, was dadurch zustande kommt, dab ich mit der linken Hand die Trommel in Lauf setze. Im grSl~eren Teil der Kurve sehen wir in Abst~nden von etwa 1 cm eine st~rkere Welle. Hier wird die rechte Hand durch den Stol~ des in die Hand fliel~enden

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und Hemmungen, ihr ~aehweis durch das Experiment usw.

+

2 5 5

b - - ~ J 0 0

f ~ . . . . .

A b b . 6.

Blutstromes zuerst in Dorsalflexion ~ geworfen, kehrt durch die Elastiziti~t in die Ausgangsstellung zuriick und macht noch einige feine Nachbewegungen. In Kurve g kommen bei einer anderen Versuchs-

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person ~hnliche Erscheinungen an der linken Hand zustande, die, dementsprechend, hier aber mit einer st~rkeren Bewegung nach oben beginnen. In beiden Fi~llen sieht die Vp. in die Ferne. Beim Sehreiben der Kurven h, l, m ist, wie oben gesagt, die Aufmerksamkeit starker angespannt. Jetzt heben sich die Pulswellen nieht mehr deutlich yon den anderen Bewegungen ab, oder doch nicht mehr dauernd. Es kommt zu mehr anhaltenden, feinen Zitterbewegungen, die wir in dieser St~rke bei Anspannung der Aufmerksamkeit aber auch beim Normalen linden. In Kurve i und k treten zu den Zitterbewegungen noch einige sti~rkere Bewegungen hinzu, die naeh den Angaben der gleichen Vp. dadurch entstanden sind, dab ihre Hand nicht ganz bequem lag.

Bei einer anderen Vp. (einem Sehwaehsinnigen), deren Puls sehwaeh ist, verl~uft bei abgelenkter Aufmerksamkeit die Kurve a zuni~ehst fast v611ig gerade und glatt. Als ich dies lobend anerkenne mit den Worten ,,sehr sch6n" (-~), macht die Hand einige kleine Hin- und Herbewegungen, beruhigt sich dann aber wieder. (In der Original- kurve sind die Kurven b und c die unmittelbare Fortsetzung der Kurve a.) Nach etwa 3 Sek. 15st in Kurve b ein Hustensto• yon mir (.) eine leichte Dorsalflexion der Hand ~ mit nachfolgender Volar- flexion aus, dem Auge sicher nur bei sehi~rfster Beobaehtung bemerkbar. Die ebenfalls dureh einen HustenstoI3 (..) ausgel6ste zweite Dorsal- flexion ist so schwach, dal3 sie selbst bei der starken Vergr6Berung mittels des Apparates nur eben zu sehen ist. Als ich dann ca. 10 Sek. sp~ter hinter seinem Riicken kr~ftig in die Hi~nde klatsche, wird die Schreckbewegung wieder sehr deutlich, kr~ftiger noeh, als bei dem ersten Hustensto[3. Auffallend ist jedoch, dal3 as bier im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Schreekwirkungen zu einer kurzen Volar- flexion ~ kommt. In Kurve d ist die Hand derselben Vp. unruhig. Sic gab an, yon einigen vorhergegangenen Versuchen miide zu sein.

Eine andauernde Unruhe sehen wir bei dem nervSsen W. in Kurve n aueh dann, als er bei ruhiger Lage der Hand in die Ferne sieht. Die Bewegungen sind zeitweise fast yon der Regelm~Bigkeit der Stimm- gabelsehwingungen, an Sti~rke jedoeh sehr wechselnd und an der Hand ohne die Vergr6~erung kaum zu erkennen. Sie werden zu lebhafterem, auch ohne die Vergr613erung gut erkennbarem Zittern, als W. darauf achten soll, dal3 die Fader des Schreibhebels die Mitre zwischen dan beiden Parallelen einh~lt. (Kurve o.)

Das fiihrt zu einer sti~rkeren Anspannung der Aufmerksamkeit, diese zu einer starkeren Spannung der Volar- und Dorsalflexoren, und dadurch zu dem oben erw~hnten Zittern.

In dieser Starke auftretend, zeigen sie uns im ersteren Falle schon einen leichteren Affekt, die (dureh den Versuch) gespannte Aufmerksam- keit, im zweiten einen stdrkeren Affekt, die Unruhe und Sorge an.

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Bei einem hysterischen Patienten steigert sich die Unruhe und Sorge zur Angst, als er sieht, wit die Feder sich weiter vom Trommelrande entfernt, als gewiinscht wird; er ,,schiel~t in seiner Angst" jetzt fiber den Trommelrand hinaus und ,,f~hrt im Entsetzen dariiber wieder viel zu weit zuriick". Der gleiche Vorgang wiederholt sich in schw~- cherer und st~rkerer Form dann noch 5fters. (Die betr. Kurve steht mir zur Zeit nieht zur Vefftigung.)

Haben w i r e s hier mit solchen Kranken zu tun, denen wir eine passende Besch~ftigung anweisen sollen, dann werden wir dem ersten keine Arbeit geben, bei der seine Aufmerksamkeit dauernd in Anspruch genommen ist, den zweiten nicht auf einen gef~hrlichen und ver- antwortungsvollen Posten stellen.

In Kurve e soll t in reizbarer Kopfsehul~verletzter (ohne Herd- symptome) darauf achten, dal~ die Feder in der Mitte zwischen den beiden Parallelen ruhig stehen bleibt. Er ist bei dem Versuch unwillig und verdrie•lich: ,,Davon werden meine Nerven auch nicht gesund", sagt er. Seine Hand zittert zun~chst ziemlich stark; das Zittern wurde aber sofort geringer, als ich eine kleine Pause (I]) machte und ihm beruhigend zuredete, und war nur noch minimal, als ich ihn aufforderte, gar nicht auf die Hand, sondern nur noch in die Ferne zu sehen.

Kann man erwarten, dal~ bei einem Untersuchten das Zittern durch die Erregung zustande kommt oder gar simuliert wird, dann ist es zweekm~ig, seine Aufmerksamkeit zuerst abzulenken. Erhalten wir dabei eine ruhige Kurve und naehher, wenn seine Aufmerksamkeit starker in Anspruch genommen wird, ein st~rkeres Zittern, dann ge- lingt es hier oft, unter Hinweis auf die ruhige Haltung, das Zittern zu beseitigen.

In der oben zitierten Arbeit sagt Isserlin, dal~ nur schnelle Be- wegungen einen ,,Riickstol~" haben, langsame (S. 34 u. 187) dagegen nicht. Dal~ dies im wesentlichen zutrifft, sehen wir in pr~gnanter Weise auch in den Kurven in Abb. 7. Hier war die Versuchsanordnung folgende: Auf dem Flur neben meinem Untersuchungszimmer tickt eine elektrische Hausuhr im Sekundentempo, abwechselnd mit lautem und leisem Schlag, im Zimmer gut hSrbar. In diesem Tempo soll Vp. regelm~ige Volar- und Dorsalflexionen der Hand ausfiihren.

In der oberen Kurve erfolgt die Volarflexion, in der zweiten die Dorsalflexion auf den lauten Schlag, und zwar erfolgt sit hier auf das kommandoartige desselben jedesmal mit der gr6flten Geschwindigkeit. Das fiihrt notwendigerweise zu dem hemmenden ,,RfickstoB" mit den oben schon beschriebenen Nachbewegungen. Auf den leisen Schlag erfolgt die weitere Bewegung immer langsam, l~Bt aber auch deutlich noch weitere Verlangsamungen und Stufen, andeutungsweise auch schon eine leichte Rfickw~rtsbewegung, nicht dagegen einen deutlichen

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 10~t. 17

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,,Rfickstol~" erkennen. (Unter Hinblick auf ein schwingendes Sekunden- pendel ffihrt die gleiche Vp. beide Bewegungen ziemlich gleichmi~l~ig aus (s. die untere Kurve in Abb. 7.)

Einen ausgesprochenen ,,Rficksto8" sehen wir dagegen auch bei einer langsamen Bewegung, bei der folgenden Versuchsanordnung: Vp. soll wieder darauf achten, dal~ die Feder die ruhige Lage in Mittel-

Abb. 7.

stellung beibehi~lt. Sie wird schon dadurch etwas beunruhigt, was an der Kurve (Abb. 8, untere Kurve) in der wiederholt beschriebenen Weise deutlieh zu erkennen ist. Als sich infolge dieser Unruhe durch eine langsame Dorsalflexion gegen ihren Willen die Feder der unteren Grenze hi,bert, wird sie im Schreck dariiber durch einen kurzen Rfieksto6 sehnell nach der entgegengesetzten Seite bewegt. Durch einen zweiten ,,Stol~" wird die Sehnelligkeit dieser Bewegung noch erh6ht, so da$ die Feeler jetzt nach der anderen Seite ,,fiber das Ziel hinaus schieSt"

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und dadurch selbstverst~ndlieh die bekannte RiickstoSbewegung aus- 16st. Fi~nden wir die erste rasche Bewegung bei einem Kranken, der nach seiner Angabe an einer Lahmung bzw. Schwache der Volarflexoren leidet, die zweite bei einem, der angeblich die Dorsalflexoren nur mit geringer Kraf t anspannen kann, dann h~ttten wir darin den Beweis, dal~ die Schwi~ehe psychogener Natur ist. Der Untersuehte, der die Entstehung der Kurve selbst erlebt und auch ihre Bedeutung leicht ver- stehen kann, wird, wenn er ein Simulant ist, zu der Erkenntnis kommen, da~ er sein Geheimnis verraten hat, wenn er ein J~ngstlicher ist, seine Angst verlieren. Der Augenschein fiberzeugt besser als die Zusprache.

In der oberen Kurve in Abb. 8 soll die Hand auch zuni~chst ruhig, die Feder in der Mitte zwischen den beiden horizontal verlaufenden Linien bleiben und macht auch bier nur ganz kleine Hin- und Her-

" ~ " ~ K.sieht id.Ferne

Abb. 8.

bewegungen. Von dem Augenblick, wo die Linien gerade ansteigen, soll Vp. die rechte Hand durch eine langsame Volarflexion so bewegen, da~ die Feder auch jetzt in der Mitre zwischen beiden Linien bleibt, also gleichfalls eine glatte, gerade, ansteigende Linie zeiehnet. Diese Aufgabe kann auch vom Gesunden nicht vollkommen gel6st werden (ich will an dieser Stelle nicht nigher darauf eingehen). Sie erfordert schon zu einer halbwegs befriedigenden L6sung eine grol~e Ruhe und Sieherheit, eine feine Koordination. Und der Unruhige (K.) wird dadurch noch starker beunruhigt. In dem Augenblick, wo er sieht, dal~ er seine Hand zu langsam bewegt, da$ er infolgedessen der unteren Grenze zu nahe kommt oder sie sogar iiberschreitet, fiihrt er , ,entsetzt" nach oben zurtick, bewegt sie jetzt bei a und b noch welter nach oben als es sein soll, und greift, dadureh veranlal~t, gleich wieder hemmend mit einer Riickstoftbewegung ein. Beide Bewegungen, die sehnelle Be- wegung nach oben und nach unten, k6nnen als Reaktionsbewegungen aufgefaltt werden, die ausgel6st werden dureh Gesichtseindriieke, noch ehe Vp. sich deren bewul~t wird.

I7"

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Wahrscheinlich wird auch ein Untersuchter mit einer psychogenen Radialisparese beide ausfiihren, w~hrend e rda , wo er die Hand langsam und bewu[3t nach der Dorsalseite zu bewegen soll, diese Bewegung aussetzen wird. Unsere Vp. bewegt sie auch nach dieser Richtung, allerdings gleichfalls in sehr mangelhafter Weise.

Zeichnet unser Apparat unter den wiederholt geschilderten Versuchs- bedingungen trotz der Vergr6[3erung eine glatte Linie au/, oder heben sich die Pulswellen deutlich yon dieser Linie ab, dann haben wit dariu ein ziemlich sicheres Zeichen, daft Vp. zur Zeit die Hand ganz der Wir- kung der Schwere iiberldflt, daft sie ,,v6Uig ruhig und gelassen" ist. Sie verliert ihre Ruhe, wie wir wiederholt sahen, durch beunruhigende psychische Einfliisse und macht unwillkiirlich feinste Bewegungen.

Auch die Hand eines Angeklagten (mit dem ich zu seiner Beruhigung schon einige Vorversuche gemacht babe) wird, in der Schiene befestigt, ruhig bleiben oder nur die durch den Pulsschlag bewirkten kleinsten Hin- und Herbewegungen ausftihren, wenn er nicht auf die Hand und den Apparat, sondern etwas in die Ferne schauend dort Bilder aus dem Alltagsleben auf einer ruhig laufenden Trommel erblickt. Sie wird ihre Ruhe verlieren, wenn ein Bild vom Tatort oder ein Bild der Person oder des Gegenstandes erscheint, die er gesch~digt haben soll, falls er sie kennt. Kennt er sie nicht, dann wird er auch dabei ruhig bleiben. Mit der Unruhe der Hand wird freilich noch nicht bewiesen, da~ er schuldig ist, sondern nur, daf~ er die Bilder kennt. Hat er das geleugnet, so h~tten wir darin ein starkes Verdachtsmoment auch fiir seine Schuld.

Von dem Nachweis solcher Verdacht erweckenden unwillkiirlichen Bewegungen sowohl wie vom Nachweis unwillkiirlicher Schwei~sekretion an den H~nden hat man besonders in Amerika unter Anwendung viel komplizierterer Apparate Gebrauch gemacht. Manches davon kann schon auf die yon mir beschriebene Weise nachgewiesen werden.

Im vorstehenden habe ich gezeigt, wie der Affekt direkt Bewegungen auslSst. Im folgenden sehen wir (wieder im Experiment), wie er den Ablauf anderer, gewollter Bewegungen beeinflul~t. Der Versuch ist schon in einer frfiheren Arbeit 1) geschildert, die Kurve allerdings mit einem ~tlteren Apparat aufgeschrieben, der aber im wesentlichen nach den gleichen Grundsi~tzen konstruiert war, wie der oben beschriebene. Vp. fiihrte zuerst rhythmische Volar- und Dorsalflexionen der r. Hand in bestimmten Grenzen aus. Ihr Auge folgte dabei der Feder, die an

1) j . P/ahl, Die genauere Untersuchung der verschiedensten Bewegungs- vorg~nge, namentlich der wiUkfirlichen Bewegungen mittels graphischer hIethoden. Klinik ffir psychische und nervSse Krankheiten. Herausgegeben yon Robert Sommer. IV. Bd, H. 2, S. 117.

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den vorgezeichneten Parallelen halten und umkehren soll. Die drei ersten Hin- und Herbewegungen erfolgten in der vorgeschriebenen Zeit, und zwar ziemlieh glatt und sicher (s. Abb. 9). Die leichten Hemmungen kurz vor der Bewegungsumkehr, die leicht erkenntlich sind, finden sich in dieser Starke aueh beim Normalen. Bei der vierten Dorsal- flexion lies ein Kollege, der mir assistierte, in dem Augenblick, der auf der Kurve mit -~ bezeichnet ist, wo die Kranke also sehon auf die untere Linie sehaute, hinter ihrem Rficken ein Buch auf den Tisch fallen. Vp. fuhr dabei zusammen, hielt mit der Bewegung fiber eine Sekunde an, war solange ,,starr vor Schreck" (h), ffihrte sie dann abet zu Ende und lieB sofort eine neue Hin- und Herbewegung folgen. Nun zeigt die Dorsalflexion zur gleichen Zeit wie die vorhergehende die gleiche Hemmung, ohne dab ein Schreckreiz erfolgt ware. Hier kam die Schreckwirkung schon allein durch den Anblick der Linie,

Abb. 9. (Verkl.)

offenbar auf assoziativem Wege, zustande. Die Verknfipfung war hier jedoch noch keine feste. Die 4 folgenden, in der Reproduktion fehlenden Bewegungen erfolgten wieder in der gewOhnlichen Weise. Ein zweiter Schreckreiz bei der fiinften folgenden Dorsalflexion ( + § hatte in der Hauptsache wieder die gleiche Wirkung wie der erste.

In den unwillktirlichen Hemmungen (und in unwillkiirlichen Be- wegungen), die wir, wie in dem zuletzt geschilderten Falle, auf assozia- tivem Wege auslSsen kSnnen, haben wir auch ein gutes Mittel zum Nachweis der Simulation im Gebiet der Sinnesempfindungen: Jemand, der behauptet, schwerhSrig zu sein, soil seine Hand langsam und gleich- maBig hin und her bewegen, aber mit der Bewegung einige Sekunden einhalten, wenn ieh ein Lichtsignal gebe. Das geschieht dann mehrere Male hintereinander mit dem gewfinschten Resultate. Darauf gebe ich gleichzeitig mit dem Lichtsignal einigemal ein Klingelsignal. Gebe ich das letztere dann allein, dann setzt der wirklich SehwerhSrige oder Taube die Bewegung ruhig fort, der Simulant halt aber auch auf das Klingelsignal allein. Das 15st jetzt auf assoziativem Wege das aus, was zuerst das Lichtsignal ausgelOst hat.

Des Nachweises yon Spannungsanderungen der Muskulatur durch Vorgange im Unterbewuf~tsein zum Nachweis der Simulation usw. hat

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namentlich L6wenstein (Bonn) sich bedient (unter Benutzung kom. plizierterer Vorrichtungen), ebenso Brunzlow [Miinsterl)].

Die in der vorstehenden Abhandlung geschilderten Versuche kSnnen bei der einfachen Bauar t des Apparates~) und seiner einfachen An. wendungsweise bei geeigneter Versuchsanordnung bei der gleichen Vp. alle in kurzer Zeit (etwa in 15--20 Min.) hintereinander angestellt werden und sind nach meinen langji~hrigen Erfahrungen (insbesondere bei Unfallverletzten und bei Kriegsverletzten) sehr wohl geeignet, in ihren Resultaten dem Neurologen und Psychiater ein gutes Hilfsmittel so- wohl fiir die Diagnose wie fiir die Begutachtung und Behandlung an die Hand zu geben.

1) 1,6wenstein, Experimentelle Hysterielehre. Bonn: Fr. Cohen 1922. Vgl. dazu Brunzlow, _i~rztl. Sachverst.-Zeit. 1924, Nr. 14--15.

~) Auch fiir Bewegungen der Finger, des Unterarms und des Unterschenkels habe ich einfachste Apparate nach den gleichen Grundsiitzen konstruiert. Ich bin geme bereit, Interessenten n~here Anweisungen fiir deren Bau und Gebrauch zu geben, falls dies gewtinscht wird und kann auch einen zuverl~ssigen Mechaniker empfehlen, der die Anfertigung iibernimmt. An Stelle der feinen Feder F kann auf gleiche Weise zum Schreiben auf berul]tem Papier natiirlich auch eine feine Nadel angebracht werden. Das Schreiben mittelst der Siemensfeder bzw. Tinte ist abet bedeutend bequemer, hat auch sonst noeh mancherlei Vorziige und kSnnte sicher mit dazu beitragen, die graphische Registrierung unserer Be- wegungen mehr in die Praxis einzufiihren.