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Ursula Mattheuer-Neustädt. Aus Skizzenbüchern 1947-1997

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Die Skizze steht am Beginn des Prozesses der Bildfindung. In ihr wird ein Moment, ein oft flüchtiger, Eindruck festgehalten, ein plötzlicher Einfall, das Ergebnis einer Begegnung. Sie ist so auch Materialsammlung, ein Fundus. Etwas fällt mir auf, weckt mein Interesse. Ob es mehr wird, vielleicht ein Auslöser einer komplexen Bildidee, oder ob es Skizze bleibt, das steht im Moment seiner Entdeckung und Fixierung nicht fest. In diesem Büchlein sind solche gesammelten Momentaufnahmen vereint.

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Claudia Rodegast (Hg.)

UrsUla MattheUer-NeUstädtaus skizzenbüchern

1947–1997

editorial

Welche Bedeutung, man kann auch sagen »Funktion«, haben Skizzen im Werk einer Zeich-nerin? Für die Zeichnen das wichtigste, das gültige Ausdruckmittel ist, neben den druck- grafischen Techniken, die ja letztlich auch von der Zeichnung ausgehen?Zeichnen ist älter als Malen, es beginnt schon mit den in Stein geritzten Darstellungen von Mensch und Tier, die in den Höhlen der Urzeit gefunden wurden. Und es behielt als Bildmittel seine Bedeutung neben der Malerei und immer wieder gab und gibt es Künstler, die sich auf dieses Medium, auf das, was mit zeichnerischen Mitteln machbar ist, beschränken: Auf die Möglichkeiten zwischen Schwarz und Weiß, auf die Intensivierung dieser Mittel, eine Sensibi-lisierung der ästhetischen Reize im Reichtum der Strukturen, der Nuancierung von Tonwerten, der Spannung zwischen reiner Linie und Fläche.Denken wir an große Grafiker, wie Käte Kollwitz, Otto Pankok, an die mittelalterlichen Holz-schnitte und Radierungen, an Bildhauer wie Barlach, der auch ein bedeutendes grafisches Werk schuf, Karl Friedrich Claus, der in seinen Zeichnungen, von Schriftzeichen ausgehend, reizvolle grafische Gespinste entstehen lies.Kehren wir zurück zu unserer Frage: Wie kann man ein vollendetes zeichnerisches Werk von der Skizze unterscheiden? Zumal heute, wo sich auf das Skizzenhafte bei vielen bildenden Künstlern, falls sie überhaupt zeichnen, nicht nur dieses Medium reduziert? Selbst bei mir, die ich »Bilder« zeichne, ist nicht immer klar zu definiren, was eine Zeichnung und was eine Skizze ist. Denn, wie gesagt, die Zeichnung ist mein Bildmittel par excellence und oftmals entwickelt sich aus einer ursprünglichen Skizze ein »Bild«. Besser als der Be-griff »Zeichnung« greift heute der häufig gebräuchlichere »Arbeiten auf Papier«. Er fasst diese unterschiedlich weit ausgeführten Zeichnungen zusammen, umfasst aber auch nicht alle Mög-lichkeiten. So zeichne ich z.B. auf große Tafeln, die wie Malgründe grundiert sind, in For-maten von 125 x 100 cm Größe. Oft gehen solchen Bildern jedoch Skizzen voraus. Skizzen, in denen ich Eindrücke, Stimmungen – Erlebnisse festgehalten habe. Wobei ich eigentlich keine Skizzenbücher in Jahrgängen aneinanderreihe, wie ich sie als Reproduktionen z.B. von Adolf Menzel, von Werner Tübke kenne. Gewiss, es gibt auch bei mir Skizzenbücher, aber sie sind meist nur halb gefüllt, nicht vom gleichen Format, und meine Skizzen sind meist lose Blätter.

Wir zeichneten ja beide, Wolfgang Mattheuer und ich, eigentlich überall. Wolfgangs Vater, der Buchbinder war, fertigte für uns nach altem Vorbild kleine Mappen, die immer wieder mit Pa-pier oder Kartonblättern aufgefüllt werden konnten. Sie begleiteten uns auf jedem Spaziergang, jeder Wanderung, auf jeder Reise.Zeichnen, wie jede bildkünstlerische Äußerung, ist als Vorgang eine Einheit von Seherlebnis und Reflexion, die sich als zweidimensionales Bild realisiert. Die Skizze steht am Beginn dieses Prozesses der Bildfindung. In ihr wird ein Moment, ein oft flüchtiger Eindruck festgehalten, ein plötzlicher Einfall, das Ergebnis einer Begegnung. Sie ist so auch Materialsammlung, ein Fundus. Etwas fällt mir auf, weckt mein Interesse. Ob es mehr wird, vielleicht ein Auslöser einer komplexen Bildidee, oder ob es Skizze bleibt, das steht im Moment seiner Entdeckung und Fixierung nicht fest. In diesem Büchlein sind solche gesammelten Momentaufnahmen vereint. Ohne inneren Zusammenhang, nach keinem Prinzip geordnet, aber vielleicht gerade durch ihre Zufälligkeit, die sich manchmal zu einem bedeutungsvollen, ästhetisch nach Voll-endung suchenden Bild entwickelt, wichtig für das Gesamtwerk.

Ursula Mattheuer-Neustädt

Biografie Ursula Mattheuer-Neustädt

Zeichnerin, Grafikerin und Autoringeboren 1926 in Plauen i. V.lebt und arbeitet in Leipzig

Ursula Mattheuer-Neustädt musste nach erzwungenem Abbruch des Schulbesuches 1943 bis zum Kriegsende zusammen mit polnischen und russischen Zwangsarbeitern in der Rüstungs-industrie arbeiten. Ursache war die halbjüdische Herkunft ihres Vaters. Danach war sie zunächst bei der Trümmerbeseitigung in ihrer Heimatstadt Plauen und als Apothekenhelferin tätig.1946 bewirbt sie sich an der Bauhochschule Weimar zum Architekturstudium und wird bei Professor Henselmann immatrikuliert. Sie absolviert dazu ein Praktikum als Bautischler und Zimmermann. Noch im gleichen Jahr wechselte sie an die Kunstgewerbeschule Leipzig, wo sie ihrem spätern Lebensgefährten Wolfgang Mattheuer begegnet. Beide studieren ab 1948 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig bei den Professoren Egon Pruggmay-er, Elisabeth Voigt, Max Schwimmer und Walter Arnold.Von 1950–1952 ist Ursula Mattheuer-Neustädt außerdem Gasthörerin an der Universität Leipzig bei Ernst Bloch, Hans Mayer und Johannes Jahn. Seit dem Abschluss ihres Studiums 1952 ist sie freiberuflich als Zeichnerin und Illustratorin tätig.Von 1960–1964 lehrt sie an der Abendakademie der HGB in Leipzig. Für ihre Buchge-staltungen erhält sie 1958, 1961, 1965 und 1973 die Auszeichnung »Schönste Bücher«. 1965 werden ihr zwei Silbermedaillen der Internationalen Buchkunstausstellung in Leipzig (IBA) für Lithografien zu Brechts Mutter Courage und für die Beteiligung am Shakespeare-Wett-bewerb verliehen. Am Deutschen Theater in Ostberlin übernimmt sie 1969 in Friedo Solters Inszenierung »Der Nachbar des Herrn Pansa« die Gestaltung der Kostüme. Die Stadt Leipzig verleiht Ursula Mattheuer-Neustädt 1972 für ihr künstlerisches Schaffen den Kunstpreis der Stadt Leipzig. 1976 reist sie gemeinsam mit Wolfgang Mattheuer u. a. nach Mexiko und in die USA. Hier, wie auf zahlreichen anderen Reisen – auch ins heimatliche Vogtland, findet sie immer wie-der Anregungen für ihre Landschaftszeichnungen, die sie oft mit Kugelschreiber in eine ganz

eigene Bildsprache umsetzt. In der Zeit von 1970–1979 entstehen u. a. 14 großformatige Dichterporträts, so von Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist und Christian Morgenstern, die für Ursula Mattheuer-Neustädts Œuvre von herausragender Bedeutung sind. Zu diesen Dichterbildnissen entstehen auch eigene Texte und Gedichte. Außerdem veröffentlicht sie kunsttheoretische Essays.1989 beteiligen sich Ursula Mattheuer-Neustädt und Wolfgang Mattheuer an den Montags-demonstrationen in Leipzig. Nach dem Tod ihres Mannes gründet sie 2006 die Ursula Matt-heuer-Neustädt und Wolfgang Mattheuer-Stiftung in Leipzig.Ursula Mattheuer-Neustädts Werke befinden sich in zahlreichen Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen.

Ausstellungen u. a.:In den Museen Leipzig, Gera, Altenburg, Schwerin, Dresden2006 Galerie Malzhaus, Plauen i. V., Galerie Schwind, Frankfurt/Main und Leipzig, Kunst halle Vogtland e. V.2007 Ursula Mattheuer-Neustädt/Wolfgang Mattheuer, Kunst Haus Apolda Avantgarde 2010 Ursula Mattheuer-Neustädt/Wolfgang Mattheuer, Kunstverein Schloss Wiligrad

Literatur: Ursula Mattheuer-Neustädt, Bilder als Botschaft – Die Botschaft der Bilder, Leipzig 1997 Dies., Stimmen, Zeichnungen und Gedichte, Frankfurt/Main, Stuttgart 1999Dies., 56 Jahre. Bernhard Heisig zum 80. Geburtstag, in: Marginalien, Zeitschrift für Buch-kunst und Bibliophilie, Heft 178/2, Wiesbaden 2005Dies., Heinz Schönemann, Claudia Rodegast, Hartmut Koch (Hg.), Meine Sonnen heißen: Trotz alledem! Erinnerungen an Wolfgang Mattheuer, Leipzig 2007Dies., Claudia Rodegast (Hg.) Ursula Mattheuer-Neustädt und Wolfgang Mattheuer. Das Bild der Poeten, Leipzig, 2010

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