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Az.: 4 B 628/01
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
In der Verwaltungsrechtssache der Frau - Klägerin - - Berufungsklägerin - prozessbevollmächtigt:
gegen
den Landkreis Riesa-Großenhain vertreten durch den Landrat Herrmannstraße 30/34, 01558 Großenhain - Beklagter - - Berufungsbeklagter -
wegen einmaliger Zuwendung nach dem Vertriebenenzuwendungsgesetz
Rechtsanwälte
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hier: Berufung hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwal-tungsgericht Dr. Heitz als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgericht Göhler und den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2002 am 20. September 2002
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 11. April 2000 - 13 K 2651/97 - geändert. Der Bescheid des Landratsamts des Beklagten vom 6. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Dresden vom 25. August 1997 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin durch Bewilligungsbescheid die einmalige Zuwendung nach dem Vertriebenenzuwendungsgesetz zuzuerkennen und nach Bestandskraft des Bewilligungsbescheids an sie auszuzahlen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Zuerkennung der einmaligen Zuwendung nach dem
Vertriebenenzuwendungsgesetz - VertrZuwG - geltend.
Die am .1925 in /Schlesien geborene Klägerin floh im Januar 1945 vor der her-
anrückenden Roten Armee aus ihrem Heimatort. Dort hatte die Familie eine Landwirtschaft
betrieben. Die Klägerin wurde in /Kreis Großenhain ansässig. Dort heiratete sie am
1.10.1949 den in /Schlesien geborenen , der sich nach seiner Entlassung
aus der Kriegsgefangenschaft im Kreis Großenhain niedergelassen hatte. Im Sommer 1950
zog das Ehepaar nach /Kreis Großenhain. Dort wurde am .1951 der ge-
meinsame Sohn geboren.
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Am 12. Dezember 1963 wurde als Bodenreformeigentümer des 799 qm großen
Grundstücks FlSt.-Nr. in , nunmehr eingetragen im Grundbuch von
auf Blatt , eingetragen, das ihm aus dem Bodenfonds zugeteilt worden war. Aufgrund seines
im Februar 1964 gestellten Bauantrags erteilte ihm der Rat des Kreises Großenhain mit
Bescheid vom 22.4.1964 die Baugenehmigung für die Errichtung eines Wochenendheimes auf
dem Bodenreformgrundstück. Das im Dezember 1964 bezogene Haus wurde von der Familie
als Eigenheim, die Freifläche des Grundstücks wurde als Garten genutzt. Die Klägerin und
ihr Sohn wohnen dort bis heute.
Am .1975 verstarb , ohne ein Testament gemacht zu haben. Mit Schreiben des
Staatlichen Notariats Großenhain vom 1.8.1975 wurde die Klägerin aufgefordert, wegen des
Todesfalls im Notariat vorzusprechen. Weiter heißt es in diesem Schreiben, das Eigentum an
dem Grundbesitz des verstorbenen Ehemannes sei auf die Erben übergegangen, so dass eine
Berichtigung des unrichtig gewordenen Grundbuchs zu Gunsten der Erben notwendig sei.
Diese müssten dem Grundbuchamt einen Erbschein vorlegen. Nach den schriftlichen Angaben
der Klägerin wurde ihr bei der Vorsprache mitgeteilt, sie und ihr Sohn könnten das Bodenre-
formgrundstück in Ausübung des daran begründeten Nutzungsrechts weiterhin nutzen. In der
Folge wurde weder ein Erbschein erteilt noch wurde eine Entscheidung über die Neuzuteilung
des Bodenreformgrundstücks getroffen. Auch eine Änderung des Grundbuchs unterblieb.
Am 22.10.1991 erteilte das Kreisgericht Großenhain einen gemeinschaftlichen Erbschein, der
die Klägerin und ihren Sohn je zur Hälfte als Erben von ausweist. Am
27.10.1992 wurde der Bodenreformvermerk im Grundbuch gelöscht. Am 23.3.1993 wurden
die Klägerin und ihr Sohn als Miteigentümer des ehemaligen Bodenreformgrundstücks mit
hälftigen Anteilen im Grundbuch eingetragen.
Der Antrag der Klägerin vom 2.6.1994, ihr die einmalige Zuwendung in Höhe von 4.000 DM
nach dem Vertriebenenzuwendungsgesetz zuzuerkennen, wurde durch Bescheid des Landrats-
amts des Beklagten vom 6.11.1996 abgelehnt, ihr Widerspruch durch Widerspruchsbescheid
des Regierungspräsidiums Dresden vom 25.8.1997 zurückgewiesen. Zur Begründung ihrer
Entscheidungen führten die Behörden jeweils an, die Berechtigung der Klägerin sei gemäß § 2
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Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG ausgeschlossen, weil sie rechtsbeständig Bodenreformland
erhalten habe.
Die Klage hat das Verwaltungsgericht Dresden durch Urteil vom 11.4.2000 - 13 K 2651/97 -
abgewiesen. Auch das Verwaltungsgericht hat die Berechtigung der Klägerin wegen des
rechtsbeständigen Erhalts von Bodenreformland gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG
verneint. Es hat ausgeführt, dieser gesetzliche Ausschlusstatbestand finde seine
Rechtfertigung darin, dass Vertriebenen durch die Zuteilung von Bodenreformland die
Möglichkeit, sich eine neue Existenz zu schaffen, und damit eine wirtschaftlich werthaltige
Eingliederungshilfe gegeben worden sei. In den Genuss einer solchen Eingliederungshilfe sei
auch die Klägerin gekommen. Als Ehefrau eines Bodenreformeigentümers sei sie aufgrund
der ehelichen Lebensgemeinschaft in die Lage versetzt worden, das Bodenreformgrundstück
in gleichem Maße wie der Bodenreformeigentümer zu nutzen. Die Rechtsbeständigkeit des
Erwerbs ergebe sich aus der Eintragung der Klägerin als Miteigentümerin im Grundbuch. Da
es auf den Wert des Bodenreformlandes für das Eingreifen des gesetzlichen Ausschlusstat-
bestandes nicht ankomme, sei auch unerheblich, dass die Klägerin nur hälftige Miteigen-
tümerin geworden sei.
Die vom Senat durch Beschluss vom 27.9.2001 - 4 B 374/00 - zugelassene Berufung hat die
Klägerin wie folgt begründet: Es sei weder mit dem Wortlaut noch mit dem Zweck des
gesetzlichen Ausschlusstatbestandes „rechtsbeständiger Erhalt von Bodenreformland“ gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG zu vereinbaren, die wirtschaftliche Teilhabe an der
Nutzung des Landes oder den Erwerb im Wege der Erbfolge mit der Zuteilung aus dem
Bodenfonds durch staatliche Entscheidung gleichzusetzen. Nur die Zuteilung, nicht aber die
faktische Nutzung oder der Erwerb durch Erbfall stelle eine staatlich gewährte
Eingliederungshilfe zum Zwecke der Existenzgründung dar. Mit dem Bedeutungsgehalt, den
das Verwaltungsgericht und die Behörden angenommen hätten, verstoße der gesetzliche
Ausschlusstatbestand gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Gleichbehandlung.
Denn der erbrechtliche Erwerb anderer Vermögenswerte lasse den Anspruch auf die einmalige
Zuwendung unberührt. Im Falle der Klägerin werde ein Ausgleich für den Verlust des
landwirtschaftlichen Betriebs in Schlesien in der gesetzlich vorgesehenen Form der
einmaligen Zuwendung auch von Art. 14 Abs. 1 GG gefordert.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 11.4.2000 - 13 K 2651/97 - zu än-dern, den Bescheid des Landratsamts des Beklagten vom 6.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Dresden vom 25.8.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin durch Bewilligungsbescheid die einmalige Zuwendung nach dem Ver-triebenenzuwendungsgesetz zuzuerkennen und nach Bestandskraft des Bewilligungsbescheids an sie auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte führt zur Begründung aus: Die Klägerin habe Bodenreformland erhalten, weil
sie Miterbin ihres Ehemannes geworden sei. Das ihrem verstorbenen Ehemann zugeteilte
Bodenreformgrundstück sei nach dem Recht der DDR vererblich gewesen und demnach in
den Nachlass des Ehemannes gefallen. Die staatlichen Stellen der DDR hätten die
Rückführung in den Bodenfonds nicht angeordnet. Die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs der
Klägerin folge daraus, dass sie als Miterbin aufgrund des Gesetzes vom 6.3.1990 (GBl. DDR I
S. 134) sowie aufgrund von Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 EGBGB hälftige
Miteigentümerin des ihrem Ehemann zugeteilten Grundstücks ohne die sich aus dem
Bodenreformrecht ergebenden Beschränkungen geworden sei.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin folgende Angaben gemacht: Nach der Rück-
kehr aus der Kriegsgefangenschaft habe ihr Ehemann zunächst als Zimmermann in einer
Betonfabrik gearbeitet. Danach sei er Forstarbeiter gewesen. Aus diesem Grund hätten sie
„vom Forst“ eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus in erhalten. Dieses
Haus sei „vom Forst“ für Beschäftigte errichtet worden. Ihr Ehemann habe jedoch aus
gesundheitlichen Gründen als Forstarbeiter aufhören müssen. Er habe dann wieder in der
Betonfabrik gearbeitet. Daher hätten sie die Wohnung nicht behalten dürfen. Aufgrund ihrer
Bemühungen um Bauland sei ihrem Ehemann das Grundstück FlSt.-Nr. zugeteilt worden.
Der Vorbesitzer dieses Grundstücks sei weggezogen gewesen. An Einzelheiten der damaligen
Vorgänge könne sie sich nicht mehr erinnern. Jedoch sei von Anfang an klar gewesen, dass
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ihnen das Grundstück zur Verfügung gestellt worden sei, um darauf ein Wohnhaus zu
errichten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Senats und des Verwaltungsgerichts,
auf die dem Senat vorliegenden Behördenakten sowie auf die Niederschrift der mündlichen
Berufungsverhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf
Bewilligung der einmaligen Zuwendung nach dem Vertriebenenzuwendungsgesetz vom
27.9.1994 - VertrZuwG - (BGBl. I S. 2624), weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Gewährung dieser Zuwendung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 VertrZuwG in ihrer
Person erfüllt sind und kein gesetzlicher Auschlusstatbestand gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
VertrZuwG eingreift. Demnach ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts vom
11.4.2000 zu ändern; der ablehnende Bescheid des Landratsamts des Beklagten vom
6.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Dresden vom
25.8.1997 ist aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die beiden Zuwendungsvoraussetzungen gemäß § 2 Abs. 1
Satz 1 VertrZuwG nach dem festgestellten Sachverhalt gegeben sind: Zum einen ist die
Klägerin Vertriebene im Sinne von § 1 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -,
weil sie als deutsche Staatsangehörige ihren Wohnsitz in den ehemaligen deutschen
Ostgebieten, d.h. in einem Vertreibungsgebiet aufgrund ihrer Flucht vor den kriegerischen
Auseinandersetzungen und somit in Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten
Weltkrieges verloren hat. Zum anderen hat die Klägerin nach der Vertreibung ihren ständigen
Wohnsitz im Gebiet des Landkreises Großenhain, d.h. im Beitrittsgebiet genommen und ihn
dort bis zum 3.10.1990 ohne Unterbrechung beibehalten. Auch hat die Klägerin den gemäß §
4 Abs. 1 VertrZuwG erforderlichen Zuwendungsantrag form- und fristgerecht gestellt.
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Die Berechtigung der Klägerin ist nicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG ausge-
schlossen. Nach dieser Regelung sind von der Gewährung der einmaligen Zuwendung solche
Vertriebenen ausgenommen, die nach dem 8.5.1945 rechtsbeständig Bodenreformland
erhalten haben. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, durch die Zuteilung des
Bodenreformgrundstücks FlSt.-Nr. in an den Ehemann der Klägerin im Jahr
1963 habe auch die Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG Bodenreformland
erhalten, obwohl sie nicht Bodenreformeigentümerin dieses Grundstücks geworden sei. Denn
aufgrund der ehelichen Lebensgemeinschaft habe sie das zugeteilte Grundstück von Anfang
an in gleichem Maße wie ihr Ehemann genutzt. Im vorliegenden Verfahren kann dahingestellt
bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen die im Rahmen der ehelichen
Lebensgemeinschaft erfolgte Mitnutzung des einem Ehegatten zugeteilten
Bodenreformeigentums durch den anderen Ehegatten diesen wegen des Erhalts von
Bodenreformland gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG von der Gewährung der
einmaligen Zuwendung ausschließen kann. Denn ein auf eine solche Mitnutzung gestützter
Ausschluss kommt nur in Betracht, wenn bereits der Erwerb von Bodenreformeigentum durch
staatliche Zuteilungsentscheidung einen zuwendungsausschließenden Erhalt von
Bodenreformland i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VetrZuwG darstellt. Erfüllt die Zuteilung den
gesetzlichen Ausschlusstatbestand nicht, so muss dies auch für die Mitnutzung ohne
Eigentümerposition gelten.
Zwar mag der Wortsinn des gesetzlichen Begriffs „Erhalt von Bodenreformland“ den Schluss
nahe legen, jede Zuteilung eines Bodenreformgrundstücks aus dem Bodenfonds führe zum
Zuwendungsausschluss gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VetrZuwG. Ein solches Verständnis
lässt sich jedoch weder mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung noch mit dem grundrechtli-
chen Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang bringen. Regelungszweck
und Gleichbehandlungsgebot erfordern, nur einen solchen Erwerb von Bodenreformeigentum
an Grundstücken durch Zuteilung aus dem Bodenfonds als zuwendungsausschließenden
„Erhalt von Bodenreformland“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG anzusehen,
durch die dem begünstigten Vertriebenen die Gelegenheit gegeben werden sollte, sich nach
der Vertreibung eine neue wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Die Zuteilung von
Bodenreformland muss erfolgt sein, um dem Bodenreformeigentümer (und seiner Familie)
eine Grundlage zur Erarbeitung des Lebensunterhalts zu verschaffen. Dagegen erfüllen
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Zuteilungen, mit denen andere Zwecke verfolgt wurden, den gesetzlichen
Ausschlusstatbestand „Erhalt von Bodenreformland“ gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt.
VertrZuwG nicht.
Der Zweck der Gewährung der einmaligen Zuwendung besteht darin, das Schicksal von Ver-
triebenen, die ihr Leben nach der Vertreibung im Beitrittsgebiet verbracht haben, zu würdigen
und die wirtschaftlichen Vertreibungsfolgen pauschal abzugelten. Dieser Zielsetzung liegt die
Erwägung zu Grunde, dass das Recht der DDR keine an das Vertreibungsschicksal
anknüpfenden Eingliederungsleistungen zur Unterstützung des Aufbaus einer neuen
Lebensgrundlage vorsah, wie sie Vertriebene mit Wohnsitz in der alten Bundesrepublik
aufgrund des Lastenausgleichsrechts erhielten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.2.1999, VIZ 1996,
335; zum Ganzen Holtz, in: Motsch u.a., Kommentar zum Entschädigungs- und Aus-
gleichsleistungsgesetz, Teil 5, Vorbemerkung zum VertrZuwG, RdNr. 6 ff.; § 1 VertrZuwG,
RdNr. 11 ff, 16,17 jeweils m.w.N.).
Ausgehend von diesem Zweck der Gewährung der einmaligen Zuwendung kann der Zweck
des Zuwendungsausschlusses wegen Erhalts von Bodenreformland gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1.
Alt. VertrZuwG nur darin gesehen werden, eine Besserstellung derjenigen Vertriebenen zu
vermeiden, bei denen der Erhalt von Bodenreformland als eine dem Lastenausgleich
gleichzusetzende Abgeltung des Vertreibungsschicksals angenommen werden kann. Die
Gewährung der einmaligen Zuwendung muss sich wegen des Erhalts von Bodenreformland
als zusätzliche Abgeltung darstellen. Eine solche Annahme ist nur gerechtfertigt, wenn die
Zuteilung von Bodenreformgrundstücken nach den konkreten Umständen als
Eingliederungshilfe anzusehen ist, die geeignet war, dem Begünstigten nach der Vertreibung
den Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz zu ermöglichen (vgl. Holtz, aaO, § 2
VertrZuwG, RdNr. 81, 83). Nach der gesetzgeberischen Wertung bedarf es einer
nachträglichen Abgeltung der Vertreibungsfolgen nicht, wenn sich die damalige Hilfe zur
Existenzgründung rechtsbeständig, d.h. dauerhaft zum Vorteil des Begünstigten auswirkt, weil
er über das - nunmehr von den Beschränkungen des Bodenreformrechts der DDR befreite -
ehemalige Bodenreformland als vollwertiges Grundstückseigentum verfügen kann (vgl. dazu
BGH, Urt. v. 17.12.1998, VIZ 1999, 157).
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Ein solches Verständnis des gesetzlichen Ausschlusstatbestandes „Erhalt von Bodenreform-
land“ entspricht auch der Zielsetzung, die mit der Bildung und Verteilung von Bodenreform-
grundstücken im Zuge der sog. demokratischen Bodenreform verfolgt wurde. Dadurch sollten
durch „Liquidierung des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzes“ existenzfähige selbständige
Bauernwirtschaften u.a. auch für Flüchtlinge und Umsiedler geschaffen werden (vgl. z.B. Art.
1 der Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform des Landes Sachsen vom
10.9.1945 - BRVO -, abgedruckt in den amtlichen Nachrichten der Landesverwaltung Sachsen
von 1945, S. 27). Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein Bodenfonds gebildet, in den ent-
schädigungslos enteigneter sowie dem Staat gehörender landwirtschaftlicher Grundbesitz
überführt wurde. Aus diesem Bodenfonds wurde Angehörigen der genannten Gruppen Land
als Bodenreformeigentum zugeteilt (vgl. Art. 2, Art. 4 BRVO). Das Bodenreformeigentum
verpflichtete den Begünstigten zur Bewirtschaftung. Rechtsgeschäftliche Verfügungen jeder
Art waren nach dem Bodenreformrecht der DDR ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urt. v.
25.2.1994, VIZ 1994, 236; BGH, Urt. v. 17.12.1998, aaO). Im Zuge der Bodenreform erhiel-
ten auch 91.155 Vertriebene Land zum Aufbau einer neuen Existenz (Holtz, aaO, § 2
VertrZuwG, RdNr. 69).
Das dargelegte einschränkende Verständnis des gesetzlichen Begriffs „Erhalt von Bodenre-
formland“ ist auch erforderlich, um den gesetzlichen Ausschlusstatbestand gemäß § 2 Abs. 1
Satz 2 1. Alt. VertrZuwG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren zu können (vgl. zur sog. verfas-
sungskonformen Auslegung Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 4. Aufl., Art. 20, RdNr. 23b
m.w.N.). Ein Zuwendungsausschluss von dauerhaft im Beitrittsgebiet wohnhaften Vertriebe-
nen, denen Bodenreformland nicht zum Zweck des Aufbaus einer wirtschaftlichen Existenz in
Form einer hierfür geeigneten „selbständigen Bauernwirtschaft“, sondern aus einem anderen
Grund zugeteilt wurde, würde diese Personen ohne hinreichende sachliche Rechtfertigung und
damit gleichheitswidrig benachteiligen. Für diese Beurteilung ist ausschlaggebend, dass der
Bundesgesetzgeber für die Würdigung und Abgeltung des Vertreibungsschicksals völlige Ein-
heitlichkeit vorgesehen hat: Jedem Mitglied der durch § 2 Abs. 1 Satz 1 VertrZuwG bestimm-
ten Gruppe ist ein Betrag von 4.000 DM zugebilligt worden. Demnach hat sich der Bundesge-
setzgeber dafür entschieden, den individuellen Besonderheiten des einzelnen Vertreibungs-
schicksals keinerlei Bedeutung beizumessen. Es kommt weder darauf an, welche Schäden der
Vertriebene durch die Vertreibung erlitten hat noch wie sich sein persönliches Schicksal nach
dem Ende der Vertreibung gestaltet hat. Sowohl materielle Verluste aufgrund der Vertreibung
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als auch materielle Vorteile nach der Vertreibung sind unerheblich. Diese Grundentscheidung
für eine pauschale Gleichstellung aller dauerhaft im Beitrittsgebiet ansässigen Vertriebenen ist
zwar bereits wegen der sehr weit gehenden Gestaltungsfreiheit des Bundesgesetzgebers im
Kriegsfolgenrecht nicht zu beanstanden (BVerfG, Urt. v. 23.4.1991, BVerfGE 84, 90, 125;
BVerwG, Beschl. v. 13.2.1996, aa0). Die Grundentscheidung hat jedoch zur Folge, dass jede
Ausnahme unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung besonderer Begründung und
Rechtfertigung bedarf. Denn bei einem Regelungssystem der umfassenden Vereinheitlichung
ist die Möglichkeit eines gleichheitswidrigen Systembruchs durch Ausnahmen besonders groß
(vgl. zum Ganzen Starck, in: von Mangoldt/Klein, GG, 3. Aufl., Art. 3, RdNr. 33 mit
Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). So wirft der
Zuwendungsausschluss wegen rechtsbeständigen Erhalts von Bodenreformland unweigerlich
die Frage auf, warum dauerhafte Vermögenszuwendungen anderer Art ungeachtet von Zweck
und Höhe die Gewährung der einmaligen Zuwendung unberührt lassen. Daher stellt ein
Zuwendungsausschluss wegen Erhalts von Bodenreformland nur dann keinen Verstoß gegen
Art. 3 Abs. 1 GG dar, wenn dem Vetriebenen durch die Zuteilung eine Eingliederungsleistung
zugeflossen ist, die nach Art und Umfang die Gewährung der einmaligen Zuwendung als
ungerechtfertigten Vorteil gegenüber den anderen von § 2 Abs. 1 Satz 1 VertrZuwG erfassten
Vertriebenen erscheinen lässt. Dies kann nur angenommen werden, wenn die Zuteilung
Lastenausgleichscharakter hatte. Hierfür müssen dem Vertriebenen im Zuge der Bodenreform
Bodenreformgrundstücke zugeteilt worden sein, die geeignet waren, eine neue Existenz durch
den Aufbau einer sog. selbständigen Bauernwirtschaft zu begründen. Dagegen ist jedenfalls
die Zuteilung eines Bodenreformgrundstücks aus dem Bodenfonds, die zur Gründung einer
neuen Existenz ersichtlich keinen Beitrag leisten konnte, weil sie erst viele Jahre nach der
Vertreibung und dem Aufbau einer neuen Existenz erfolgte, nicht geeignet, die einmalige
Zuwendung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG auszuschließen.
Danach stellt sich die Zuteilung des Bodenreformgrundstücks FlSt.-Nr. in
an den Ehemann der Klägerin im Jahr 1963 nicht als zuwendungsausschließender Erhalt von
Bodenreformland im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VertrZuwG dar. Denn zum Zeitpunkt
der Zuteilung mehr als 18 Jahre nach Kriegsende hatte sich das Ehepaar längst eine
Existenz in der ehemaligen DDR aufgebaut. Aus den Angaben der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung, an deren Glaubhaftigkeit kein Zweifel besteht, erfolgte die Zuteilung des
Bodenreformgrundstücks an ihren Ehemann, um das Wohnungsproblem der Familie durch die
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Errichtung eines Eigenheims zu lösen. Denn die Familie musste aufgrund eines beruflichen
Wechsels des Ehemanns ihre bisherige Wohnung aufgeben, weil es sich dabei um eine Dienst-
wohnung handelte.
Erfüllt bereits die Zuteilung des Bodenreformgrundstücks FlSt.-Nr. in an den
Ehemann der Klägerin im Jahr 1963 den Ausschlusstatbestand gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 1. Alt.
VertrZuwG nicht, so kann auch der Erwerb dieses Grundstücks durch die Klägerin im Wege
der Erbfolge ihren Anspruch auf Gewährung der Zuwendung nicht ausschließen (vgl. zur
Vererblichkeit von Bodenreformeigentum BGH, Urt. v. 17.4.1998, aaO).
Die Fälligkeit des Zuwendungsanspruchs der Klägerin tritt gemäß § 3 Abs. 2 VertrZuwG mit
Bestandskraft des Bewilligungsbescheids ein. Dann kann die Klägerin die Auszahlung verlan-
gen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3
VwGO gegeben ist.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht, Ortenburg 9, 02625 Bautzen innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen. Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht einzureichen. In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar-gelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen An-
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trag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevoll-mächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
gez.: Heitz Göhler Meng
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 13 Abs. 2 GKG auf 2.045 Euro fest-
gesetzt.
Dieser Beschluss ist gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.
gez.: Heitz Göhler Meng