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UZ UZ UZ UZ UZ unsere zeit Das Thema: Die verdrängte Schuld der Republik Oben: Am 17. August 1956 wird in Karlsruhe das Verbotsurteil gegen die KPD ausgesprochen. Überall in der Bundesrepublik kommt es zu Polizeiaktionen gegen Büros und Druckereien der KPD. Mitte: Festnahme von Herbert Mies am 8. Februar 1968 in Frankfurt. Die KPD hatte einen neuen Programmentwurf zur Diskussion stel- len wollen. Noch 1968 werden weitere Kommunisten vor Gericht gestellt. Linkes Foto: Von Anfang an wurden die Grund- und Menschenrechte der Kommunisten in der Bundesrepublik eingeschränkt. Fritz Rische und Walter Fisch kandidierten für die KPD und wurden während des Wahlkampfes inhaftiert. AKTUELL: Herausgeber: UZ - Zeitung der DKP Prinz-Georg-Str. 77, 4000 Düsseldorf Verantwortlich für den Inhalt: Günter Hänsel Druck: Plambeck & Co. Druck und Verlag GmbH. 4040 Neuss

uz verdrängte schuld - VVN-BdA · gegen den Kriegsverbrecher Hasso Ekkart von Manteuffel, der der erste Mili-tärberater von Adenauer war. Zu der Akti-on hatten SPD und KPD, Gewerkschaf-ter,

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    UZUZUZUZUZ unsere zeit

    Das Thema: Dieverdrängte Schuld

    der Republik

    Oben: Am 17. August 1956 wird in Karlsruhe das Verbotsurteil gegendie KPD ausgesprochen. Überall in der Bundesrepublik kommt es zuPolizeiaktionen gegen Büros und Druckereien der KPD.

    Mitte: Festnahme von Herbert Mies am 8. Februar 1968 in Frankfurt.Die KPD hatte einen neuen Programmentwurf zur Diskussion stel-len wollen. Noch 1968 werden weitere Kommunisten vor Gerichtgestellt.

    Linkes Foto: Von Anfang an wurden die Grund- und Menschenrechteder Kommunisten in der Bundesrepublik eingeschränkt. Fritz Rischeund Walter Fisch kandidierten für die KPD und wurden während desWahlkampfes inhaftiert.

    AKTUELL

    :

    Herausgeber: UZ - Zeitung der DKPPrinz-Georg-Str. 77, 4000 Düsseldorf

    Verantwortlich für den Inhalt: Günter HänselDruck: Plambeck & Co. Druck und Verlag GmbH. 4040 Neuss

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    Rekonstruktion(c) VVN/BdA NRW, 2008

    (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Nordrhein-Westfalen)Gathe 55, 42107 Wuppertal, Tel.: 0202/45 06 29, Fax: 0202/25 49 836, [email protected], www.nrw.vvn-bda.de

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    Die verdrängte Schuld in diesem unseren Lande

    Opfer des Kalten Kriegesbis zum heutigen Tag

    Am 20. Dezember 1961 im Landge-richt. Es ist Urteilverkündung, und zwarvor dem Schwurgericht im Fall desSS-Führers Ehrlinger und vor der Po-litischen Kammer im Fall des Betriebs-rates Krumm von den MannheimerMotorenwerken. Rechtsanwalt Dr.Amman berichtet darüber später: “Diebeiden Urteilsverkündungen fandenfast unmittelbar hintereinander statt, sodaß die Presseleute beide besuchenund miteinander vergleichen konnten.Ehrlinger bekam zwölf Jahre Ge-fängnis, das heißt umgerechnet für je-des von ihm hingemordete Leben etwadreieinhalb Tage Gefängnis. Krummerhielt fünf Monate Gefängnis, also fürjede Gedächtnisfahrt an die Stättensolcher Opfer zweieinhalb MonateGefängnis!“ Und außerdem verlorKrumm sein Betriebsratsmandat undseinen Arbeitsplatz. Er hatte Kollegen-fahrten zur Gedenkstätte Buchenwaldin der DDR organisiert. Ehrlinger hat-te Juden gemordet.

    Als diese Republik ihre nazistische Ver-gangenheit nicht bewältigte, da schufsie eine neue Vergangenheit, mit dersich die Heutigen genauso schwertun.Es wurden mindestens 500 000 Bür-ger von Straf- und Ermittlungsverfah-ren erfaßt. Es wurden Zigtausendeverfolgt für “Verbrechen”, die heute inder Helsinki-Schlußakte stehen, offi-zielle Praxis dieses Landes sind oderdie Haltung der Mehrheit seiner Bür-ger verkörpern: Atomrüstung verrin-gern zu wollen, Jugend- und Sportaus-tausch mit dem Osten zu pflegen, An-tifaschismus zur Grundlage dieses Lan-des zu machen, die DDR anzuerken-nen, die Nachkriegsgrenzen zu respek-tieren.

    Obgleich ihr Opfer half, wichtige poli-tische Veränderungen durchzusetzen,

    wurden die Strafen der politischen“Verbrecher” nie getilgt, wurde ihnennie Rehabilitierung, Wiederherstellungihrer Ehre oder Wiedergutmachungzuteil. Was sie politisch wollten, brachsich Bahn, aber die Bahnbrecher wer-den weiter wie welche behandelt, dieeigentlich den Zug zum Entgleisen brin-gen wollten.

    Diese unbewältigte Vergangenheit vonBundesdeutschland wurde gar zur un-bewältigten Gegenwart. Weil Teile desProgramms sozialdemokratischer Stu-denten Forderungen der DKP ähnlichseien und diese wiederum denen derverbotenen KPD gleichen, sollte diestellvertretende Vorsitzende der baye-rischen Jungsozialisten Beate Büttnernach Meinung der Landesregierungkeine Beamtin werden.

    Die Urteile in den Kommunisten-prozessen von Niedersachsen werdenheute am laufenden Band voneinanderabgeschrieben, und der Geist wird ih-nen mit dem Atem des Kalten Krie-ges eingehaucht. Alles “im Namen des

    Volkes”, das die Berufsverbotemehrheitlich nicht will.

    Auch die Strafenähneln sich

    Karl Schabrod sollte 1962 seine Wie-dergutmachung für im Nazireich er-littenes Unrecht zurückzahlen, als erverurteilt wurde. Der Lehrer UlrichFoltz soll jetzt bezogenes Gehalt zu-rückzahlen, nachdem er Berufsver-bot erhielt. Schabrod wurde für sei-ne Versuche, sich an Wahlen alsKandidat zu beteiligen, bestraft, dieKollegen der Post und der GEW, dieBerufsverbote erhielten, wurdenebenfalls bestraft für die Wahrneh-mung des Grundrechtes, sich anWahlen zu beteiligen. Drei MillionenMenschen wurden auf ihre Gesinnungüberprüft und mindestens 5500 De-monstranten nach Friedensblok-kaden verfolgt.

    Wenn es von den ersten Gefängnis-strafen für die Forderung nach Aner-

    Wir fordern ein Gesetz, in dem Bundestag und Bundesregie-rung bekunden:

    1. Die politische Strafjustiz der Vergangenheit war Unrecht,das wir bedauern. Die gesetzlichen Grundlagen, nach denenUnrechtsurteille gesprochen wurden, werden beseitigt. DieOpfer des Unrechts erhalten Wiedergutmachung. Sie habensich um unser Land verdient gemacht.

    2. Das KPD-Verbot wird annulliert. Es gibt kein “Lebensläng-lich” für diese Partei. Das Verbotsurteil war ein Fehlurteil undwird aufgehoben.

    3. Die Praxis der Berufsverbote und der Einschränkung desDemonstrationsrechtes der Friedens- und Arbeiterbewegungwird beendet. Den Opfern dieser Praxis wird Straffreiheit ge-währt. Sie erhalten ihre Rechte und Arbeitsplätze zurück.

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    kennung der DDR und der Oder-Nei-ße-Grenze bis zu den Ratifizierungender Ostverträge ein Vierteljahrhundertdauerte, so holt die politische Entwick-lung in jüngerer Zeit die reaktionärepolitische Strafjustiz weit schneller ein.Die Friedensbewegung blockierteRaketenstützpunkte, und ihre Anhän-ger werden dafür bestraft, während dieRaketen bereits demontiert werden.

    Dieser Irrsinn ist kein Ausrutscher derGeschichte des Kalten Krieges aufdem Parkett der Gegenwart. Er ist dieFortsetzung des Kalten Krieges unddamit der Kriegsvorbereitung in einerZeit, da ein heißer Krieg die Erde undalle Menschen verglühen würde. Des-halb darf beides nicht hingenommenwerden: die stillschweigendeVerletzungder Menschenrechte der politischenGefangenen und die Verweigerung ih-rer Rehabilitierung einerseits und dieFortsetzung der politischen Strafjustizmit den Mitteln der Berufsverbote undder “Nötigungs”- und Blockadeurteileandererseits. Deshalb darf vor allemnicht länger das KPD-Verbot hinge-nommen werden.

    Denn dies ist die Frage nach der Zu-kunft dieses Landes und seinerFriedensfähigkeit: “Solange der Anti-kommunismus das Trachten so vielerMenschen beherrscht, werden weitrei-chende Schritte zur Abrüstung nichtgelingen. Wenn wir unsere Bedrohungdurch Massenvernichtungswaffenüberwinden wollen, müssen wir zuerstden Antikommunismus überwinden.”(Dieter Lattmann, “Die Erben derZeitzeugen”, Fischer 1988)

    Aber dies ist auch die Frage nach derDemokratie in diesem Land, nach denRechten für seine arbeitende Bevölke-rung. Als die Duisburger KommunistenWilli Hendricks, Oskar Rothstein undOtto Henke noch 1968 zu hohen Ge-fängnisstrafen verurteilt wurden, dafand sich in einer der Anklageschriftender Absatz: “Die Aufzeichnungen desAngeschuldigten auf den ersten dreiSeiten beziehen sich auf die Lohn-

    situation im Baugewerbe und auf dieVermögensbildung“.

    Verdächtig:Das Grundgesetz

    „Diese Notizen können einem Funk-tionär der illegalen KPD als Agitati-onsmaterial für den Nachweis der‘Ausbeutung’ des Bauarbeiters die-nen. Hierfür spricht insbesondere dersich auf Seite 3 befindliche Vermerksomit aufgebrachter Anteil des Arbei-ters aufs Zwölffache erhöht. Durch dieNotiz auf Seite 4 bringt der Angeschul-digte zum Ausdruck, daß er sich dasGrundgesetz und eine Landes-verfassung von Nordrhein-Westfalenkaufen wollte. Nach den bestehendenErfahrungen erwerben Funktionäreder illegalen KPD diese Texte, um siebei ihrer Agitation im negativen Sinnezu verwenden.” Das Wort “Ausbeu-tung” und der beabsichtigte Kauf derVerfassung als Nachweis derVerfassungsfeindlichkeit!

    Bleibt nachzutragen, daß die drei Duis-burger Kommunisten verurteilt wur-den, weil sie die KPD-Organisationder Stadt geleitet haben sollen und da-bei insbesondere für die Herbeiführungeiner gewerkschaftlichen Demonstra-tion gegen die Veränderung der Ver-fassung mittels der Notstandsgesetzegesorgt hätten. Zwanzig Jahre späterwurde die Duisburger Arbeiterbewe-gung von CDU-Politikern pauschal kri-minalisiert, weil sie das Demonstrati-onsrecht auf Brücken und Straßenwahrgenommen hat, um die Arbeits-plätze in Rheinhausen zu verteidigen.

    1962 hat ein Düsseldorfer Gericht denehemaligen Fraktionsvorsitzenden derKPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen und langjährigen Häftling inder Nazizeit Karl Schabrod eine“untadelige Persönlichkeit” genannt,um ihn dann zu zwei Jahren Gefängnisund fünfjährigem Verlust des Wahlrech-tes und gleichlangem Berufsverbot zuverknacken. Karl Schabrod sagte vor

    dem Gericht: “Verfolgt wird nicht einestrafbare Handlung, sondern eine of-fene und ehrliche politische Haltung,die es gewagt hat, die Politik der Re-gierung zu kritisieren, weil sie vollerGefahr für unser Volk und den Frie-den ist. Die Entscheidung in diesemProzeß ist weittragend. Sie wird zumAusdruck bringen, ob die Bundesre-publik freie Meinung und freie Wah-len überhaupt jetzt und künftig zu ge-währen vermag. Vermag sie es nicht,dann steht das im Widerspruch zuGrundgesetz und Verfassung, und dieBehauptung, diese Bundesrepublik seiein Rechtsstaat, wird durch die Tatsa-che meiner Verurteilung widerlegt.”Karl Schabrods Frage nach demRechtsstaat Bundesrepublik ist bisheute unbeantwortet.

    Spätestens zum vierzigsten Jahrestagder Republik. Im Mai 1989 habenBundestag, Bundesregierung und Bun-despräsident die Chance, diese Fragezu beantworten.

    Ulrich Sander

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    + + xy ungelöst – Menschenrecht und Politische Haft + +

    Das Schicksal politischer Gefangener in derBundesrepublik

    Die nachstehenden Beispiele von Fällen der Menschenrechtsverletzungen und Schicksalen, politischer Ge-fangener in der Bundesrepublik sind eine unvollständige Sammlung. Alle Genannten sind heute in der DKP,der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung tätig.

    Jupp Angenfort, DüsseldorfEhemaliger Landtagsab-geordneter der KPD inNordrhein-Westfalen, zwi-schen 1953 und 1969 auspolitischen Gründen fünfJahre in Zuchthaus undUntersuchungshaft zuge-bracht - wegen „Vorberei-

    tung eines hochverräterischen Unterneh-mens”.“Es war im Jahre 1955, als ich, nach zwei-jähriger Untersuchungshaft vom Bundes-gerichtshof zu fünf Jahren Zuchthaus undfünf Jahren Ehrverlust verurteilt wurde,weil ich Leiter der antifaschistischen unddemokratischen Jugendorganisation FDJwar.” Mit dem Vorgehen gegen ihn soll-ten die Gegner der Regierungspolitik unddes Großkapitals eingeschüchtert wer-den, sagte Jupp. SS-Mörder erhieltenzehn Minuten Freiheitsentzug pro ermor-deten Menschen oder gingen straffreiaus, während Kommunisten, junge Arbei-ter und Studenten, die gegen Neonazis-mus und Notstandspraxis auftreten, hartverfolgt werden”, erklärte er, als er am 25.April 1969 als vorläufig letzter kommuni-stischer politischer Häftling endlich ent-lassen wurde”.

    Kurt Baumgarte, HannoverBereits während der Zeitdes Faschismus mehrals zehn Jahre im Zucht-haus und Gestapohaft.

    1965 mußte er erneut fürzwei Jahre hinter Gitter.

    Der Grund: „Ein Anklagepunkt in vielenFällen, auch in meiner Anklageschriftbeim Lüneburger Landgericht (März1966) war, daß das Eintreten für die Nor-malisierung der Beziehungen der Bun-desrepublik mit der DDR, daß das öffent-liche Fordern der Anerkennung der DDRund der Aufnahme zwischenstaatlicherBeziehungen, eine strafwürdige Hand-lung sei. Auf diese und ähnliche Faktenhinzuweisen, ist auch notwendig zur Auf-klärung über die Unehrlichkeit und Lü-genhaftigkeit führender BRD-Politiker, dieheute so schwülstig über „die Notwen-digkeit besserer Zusammenarbeit undBeziehungen mit der DDR reden.”

    Peter Baumöller, DüsseldorfIm Mai 1951 wurde achtMitgliedern der FDJ vordem Landgericht in Düs-seldorf der Prozeß wegenLandfriedensbruch ge-macht. Wir bekamen jevier oder fünf Monate Ge-

    fängnis für eine Widerstandsaktion 1950gegen den Kriegsverbrecher HassoEkkart von Manteuffel, der der erste Mili-tärberater von Adenauer war. Zu der Akti-on hatten SPD und KPD, Gewerkschaf-ter, Falken und FDJ aufgerufen. Manteuffelkonnte seine Rede an die ,Front-generation’ nicht halten und mußte sichmit einer Pressekonferenz begnügen.Später griff man uns acht aus mehrerenhundert Demonstranten heraus undmachte uns den Prozeß. Daß alle achtAngeklagten ausnahmslos FDJ-Mitglie-der waren, deutete darauf hin, daß es sichbei diesem politischen Verfahren um eineEinschüchterung der jungen Generationhandelte.”

    Liesel Buder, Ratingen:Zuchthaus Bochum,Frauenabteilung, am 14.Juni 1953: mit einemStrauß von 30 roten Nel-ken besucht der Duis-burger evangelischePfarrer Essen die dortseit dem 12. März einsit-

    zende Liesel Buder. Die Mutter von zweiKindern im Alter von vier und sieben Jah-ren muß ihren 30. Geburtstag im Zucht-haus verbringen. Sie ist engagiert in der“Ohne-uns”-Bewegung gegen die Einfüh-rung der allgemeinen Wehrpflicht und hatals Kommunistin unter den dort aktivenPazifisten viele Freunde gewonnen. Ver-teidigt wird sie in dem gegen sie einge-leiteten Verfahren wegen “Vorbereitungzum Hochverrat” u.a. von dem späterennordrhein-westfälischen JustizministerDieter Posser. Als Liesel Buder nach fünfMonaten Haftzeit schwer erkrankt, wirddie Haft unterbrochen. Erst 1958 wird dasVerfahren abgeschlossen. Das Gerichtverhängt neun Monate Gefängnis. Die er-littene Untersuchungshaft wird angerech-net, der Rest auf fünf Jahre Bewährungausgesetzt.

    Kurt Fritsch, Braunschweigwar Kreisvorsitzenderder FDJ, als er 1950 im“Antidemontageprozeß”zu drei Monaten Haftverurteilt wurde Nachdem Verbot der FDJ, imJuni 1951, wurde er bei

    einer Demonstration gegen dieses Ver-bot als “Rädelsführer” verhaftet undsechs Wochen eingesperrt.

    1954 wurde ihm wegen angeblicher il-legaler Tätigkeit erneut der Prozeß vorder Lüneburger Sonderkammer ge-macht. Eine Reihe Anklagepunkte muß-ten fallengelassen werden, und wegendes Bekenntnisses zur FDJ erhielt KurtFritsch 2 Monate Gefängnis, aber sie-ben Monate hat er vor dem Prozeß inUntersuchungshaft gesessen.

    Werner Cleslak, Wanne-Eickelwar Landesvorsitzenderder FDJ in Nordrhein-Westfalen. Wegen “Ge-heimbündelei undStaatsgefährdung” fünf-mal inhaftiert, insge-samt zweieinhalb JahreGefängnis.

    Gegen ihn wurde fünfmal zwischen 1952und 1967 die Hauptverhandlung ange-setzt, er wurde wiederholt monatelangin Untersuchungshaft gehalten, ohnedaß er rechtskräftig verurteilt wurde.Man versuchte, ihm mit der damaligenStaatsschutzgesetzgebung zu kom-men, einer Gesetzgebung, von der derCDU-Abgeordnete Dr. Hasler im Bun-destag gesagt hatte: “Es ist eine Waf-fe, die geschmiedet wurde, um im kal-ten Krieg zu bestehen.” Nur in Polizei-begleitung konnte W. C. an der Trauer-feier für seine Mutter teilnehmen. DieVereinigung der Verfolgten des Nazire-gimes (VVN) nahm Werner und seineMitkämpfer im September 1952 als Eh-renmitglieder auf.

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    Gerd Deumlich, Essenam 24. November 1954im Zuge einer Aktion derPolitischen Polizei ge-gen die Leitung der seit1951 illegalen FDJ zu-sammen mit seinerFrau und anderen Ge-nossen verhaftet. Zeitweise strenge Ein-zelhaft in Bonn. Der Untersuchungsrich-ter des Bundesgerichtshofes und der“Sicherungsgruppe Bonn” des Bundes-kriminalamtes führten die Ermittlungenwegen Staatsgefährdung, Rädelsführer-schaft, Geheimbündeiei. Nach längererErmittlungszeit wurden für einen Pro-zeß beim Landgericht Dortmund Fak-ten wie die Tätigkeit als Chefredakteurdes FDJ-Zentralorgans “JungesDeutschland” präsentiert. Das Urteil lau-tete zwei Jahre und drei Monate Ge-fängnis. Am 6. Juni 1956 kam G. D. frei,Nach dem KPD-Verbot wurde der Haft-befehl wegen “Verdachts der fortgesetz-ten Arbeit für die verbotene KPD” wie-der in Kraft gesetzt, er war bis 1968 inder “Fahndung”.

    Alfred Gecks, Düren:In zwei Verfahren verur-teilt: wegen einer unab-hängigen Kandidatur zuden Kommunalwahlen(Schabrod-Prozeß) vierWochen Haft; wegenHerausgabe der Zeitung“Rheinische Stimme” 28 Monate Ge-fängnis, davon 24 Monate in Einzelhaft(streng getrennt, Einzelspaziergang,kein Kirchgang). Davon wiederum elfMonate im Kölner “Klingelpütz” mit Kü-bel und Wasserkrug. „Danach wurde ichunter Polizeiaufsicht gestellt. MehrereJahre lang. mußte ich einmal wöchent-lich zur Polizei, dort meine Anwesen-heit vermelden und jeden Ortswechselvon mehr als 24 Stunden kundtun. Nachdem Ablauf der Polizeiaufsicht erhieltich vom Regierungspräsidenten dieförmliche Bestätigung: ‚Sie haben sichbewährt’“.

    Willi Gerns, Bremen:1955 zwei Jahre Gefäng-nis wegen Teilnahme amKampf der FDJ gegen dieRemilitarisierung. 1965ein halbes Jahr Gefäng-nis wegen Fortsetzungder Tätigkeit der KPD.

    (Konkrete Anklagepunkte: Leitung einesWarnstreiks bei den VereinigtenLeichtmetallwerken Hannover gegen dengeplanten Abbau der sozialen Kranken-versicherung als Vorsitzender der ge-

    werkschaftlichen Vertrauensleute sowieAufbau eines marxistischen Studien-zirkels. Das erste Verfahren fand unterVorsitz von Blutrichter Dr. Lenski statt,der für 13 elsässische Antifaschistendas Todesurteil gefordert hat. Die An-klageschrift wurde von OberstaatsanwaltDr.. Liebau zusammengestellt, dem dieMitwirkung an 62 Todesurteilen gegenAntifaschisten nachgewiesen werdenkann.

    Otto Hans, Hildesheim:Drucker von Beruf, we-gen seines Kampfes ge-gen die Wiederbewaff-nung und Hochrüstungder Bundesrepublik ins-gesamt dreieinhalb Jah-re in Haft. Nach früherenInhaftierungen wurde er am 13. Juni1964 auf einer öffentlichen Veranstal-tung festgenommen. In der Verhandlungim November 1965 wurde ihm beson-ders seine journalistische Tätigkeit zumVorwurf gemacht, er soll damit die Zie-le der KPD gefördert haben. Auf Veran-staltungen der niedersächsischenVolkshochschulen soll er, so berichte-ten die Spitzel, “staatsgefährdende Re-den” gehalten haben. In der Gewerk-schaftsjugend sei er nur tätig gewesen,um sie zu “unterwandern” und “kommu-nistisch zu infiltrieren”.

    Willi Hendricks, Duisburg:“Die erste Strafverfolgunggegen mich rührt ausden Jahren 1953/54. Zudieser Zeit war Ich 1.Kreissekretär in Bo-chum. Die Hauptver-handlung wegen ‘Hoch-

    verrat p. p.’ war auf den 13. März 1957festgesetzt. Sie konnte nicht stattfin-den, da ich abwesend war. Im Juni 1961wurde ich verhaftet; der Prozeß erfolg-te am 30. August 1961. Ich wurde zuvier Monaten Gefängnis verurteilt. Mei-ne zweite Verhaftung erfolgte im Janu-ar 1963; sie kam zustande durch ‘Aus-sagen’ ehemaliger Genossen vor derpolitischen Polizei. Mir wurde Staats-gefährdung, Rädelsführerschaft und Ge-heimbündelei vorgeworfen. Nach sechsWochen Haft wurde ich entlassen. Zu-sammen mit Oskar Rothstein und OttoHenke wurde ich im Juni wurde ich er-neut verhaftet und verbrachte wiederumvier Monate Einzelhaft im Untersu-chungsgefängnis Hamburg.

    1966 zum dritten Mal verhaftet. Wäh-rend des Prozeßverlaufes im März 1968haben wir uns im Wesentlichen auf denProgrammentwurf der KPD - der im Fe-bruar 1968 veröffentlicht wurde - bezo-gen. Insgesamt wurden wir zu 46 Mo-naten Gefängnis verurteilt: Otto Henkezu 21 Monaten, Oskar Rothstein zu 15Monaten, Willi Hendricks zu 10 Mona-ten.”

    Dr. Klaus Hübotter, Bremen:“Mitte 1953 wurde ichwegen meiner Zugehö-rigkeit zur FDJ in Kölnverhaftet und verbrachtezunächst acht MonateEinzelhaft im Untersu-chungsgefängnis Es-

    sen. 1955, nach Fertigstellung der An-klageschrift, 1956 wurde ich schließlichvom Oberlandesgericht Düsseldorf zu18 Monaten Gefängnis verurteilt. DieStraftat brauchte ich nicht anzutreten,weil mir ein Drittel der Strafe im Gnaden-wege’ unter Bewährungsauflagen erlas-sen wurde. Immerhin verhinderte dieeinmal ausgesprochene Strafe schondamals jede mögliche Beamtenlaufbahnund zwang mich, nach dem Staatsex-amen in einen ,freien Beruf’”.

    Gerd Humbach, Köln:“Am 7. Februar 1961 wur-de ich vom LandgerichtKöln zu neun MonatenGefängnis auf Bewäh-rung wegen ‘Staatsge-fährdung’ und ‘Geheim-bündelei’ verurteilt. Ich

    hatte meinem damaligen ArbeitgeberKlischeeaufträge für eine neue, fort-schrittliche Zeitung vermittelt. Diesewurde nach der zweiten Nummer ver-boten, die Herausgeber verhaftet. EinAnklagepunkt: Typisch kommunisti-sches Vokabular. z. B. ‘Frieden”. Ge-nau einen Monat später wurde ich wieHunderte andere in Nordrhein-Westfa-len, verhaftet, auch meine Frau wurdefestgenommen, die Kinder (13 und ein-einhalb Jahre) kamen vorübergehend insWaisenhaus. Man konnte mir zwarnicht nachweisen, illegale Zeitungen ge-druckt zu haben, aber das Urteil laute-te auf 14 Monate. Daran anschließendverbüßte ich die vorhergehende Strafe,die letzten sechs Wochen Bewährungunter Polizeiaufsicht erlassen.”

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    Manfred Kapluck, Essen:Acht Monate in Untersu-chungshaft und wieder-holt angeklagt. Die Ver-teidigung wurde behin-dert, zum Beispiel indemder Rechtsanwalt Dr.Kauf 1952 verhaftet undin die DDR abgeschoben wurde. 15 Jah-re (!) dauerte der Prozeß. Er begannwegen “Zusammenrottung” und endetemit dem Verdacht des Hochverrats. M.K. erklärte 1967 gemeinsam mit seinenGenossen S. Mayer und W. Cieslak:“Unsere Tätigkeit sei gegen die Regie-rung gerichtet gewesen. Zwar ist be-kannt, daß Adenauer von einer CDU-Fronde in Pension geschickt wurde undErhard seinen Sturz ebenfalls seiner ei-genen Partei verdankt gegen uns solldennoch strafrechtlich Vorgegangenwerden. ... Sollte es in diesem Prozeßdarum gehen, durch ein Urteil zu be-weisen, daß die Adenauer-Politik desJahres 1952 auch heute bindend ist?’

    Elfriede Kautz, Hannover, und Ger-trud Schröter, Celle:

    am 4.Novem-ber 1961in Lüne-burg zuje einemJahr Ge-

    fängnis verurteilt. Sie hatten mit dernicht verbotenen Zentralen Arbeitsge-meinschaft “Frohe Ferien für alle Kin-der” Reisen von Kindern aus der Bun-desrepublik in Ferienlager der DDR ver-mittelt. Das Gericht sah dies als gegendie verfassungsmäßige Ordnung derBundesrepublik und gegen das KPD-Verbot gerichtet an und unterstellte “lan-desverräterische Beziehungen”. E. K.und G. Sch. mußten die Strafe absit-zen. E. K. dazu zur UZ: “Mit Begeiste-rung fuhren jedes Jahr rund 1000 Kin-der aus Niedersachsen in die DDR. Rie-sengroß dann die Enttäuschung.” An-kläger gegen die Frauen war der bluti-ge Nazijurist Ottersbach. Man erwarte-te ein “Gnadengesuch”, das die Frauenablehnten. Zum Strafantritt in Vechtabegleiteten sie zwei große Busse vollFreundinnen und Eltern der Kinder. Un-sere beiden Männer brachten gemein-sam mehrere offene Briefe heraus mitder Bitte, sich für uns einzusetzen. Gro-ßer Erfolg, Aufsehen und Solidarität -bis auch sie eine Anklage dafür beka-men. Endlich entlassen, setzten wirFrauen uns in einem offenen Brief fürunsere Männer ein. Mit vollem Erfolg -Anklage niedergeschlagen.”

    Clemens Kralenhorst, Bottrop:“Von 1946 bis 1961 warich Betriebsratsvorsit-zender der Zeche Rhein-baben, von 1946 bis1950 Gesamtbetriebs-ratsvorsitzender derBergbau-Gesellschaft

    Hibernia. Auf der Schachtanlage wurdeich von 90 Prozent der Belegschaft ge-wählt. Ich stand dauernd unter Beob-achtung durch die politische Polizei K14, Hausdurchsuchungen waren bei mirkeine Seltenheit, obwohl ich als gewähl-ter Abgeordneter im Stadtparlament dieBürger vertrat. Im April 1961 stellten 15CDU-Abgeordnete im Bundestag die An-frage an die Adenauer-Regierung, wiees möglich sei, daß ein Kommunist alsBetriebsratsvorsitzender in einembundeseigenen Betrieb tätig sein könn-te. Kurz darauf wurde ich fristlos ent-lassen. 1964 wurde ich in Dortmund zueinem halben Jahr Gefängnis verurteilt.Man, warf mir vor, die verbotene KPDweitergeführt zu haben.”

    Edeltraut Kubilk, Bochum:18 Monate inhaftiert. Die übliche Ver-fahrensweise, ihr das letzte Drittel derStrafe zur Bewährung zu erlassen, wur-de verweigert. Zwar sei ihr “gute Füh-rung” zu bescheinigen, aber “die Erwar-tung künftigen Wohlverhaltens ist umso weniger gegeben, als es sich bei derVerurteilten um eine besonders fanati-sche Kommunistin handelt” (Gerichts-beschluß vom 7. März 1963). E. K.wurde weiterhin von ihrem kleinen Töch-terchen getrennt, auch ihr Mann war inHaft.

    Winfried Lierenfeld Hilden:“Im Januar 1963 wurdeich als Mitherausgeberder ‘Sporttribüne’ vorläu-fig festgenommen. Dererste ‘Sporttribünen-prozeß wegen Staatsge-fährdung’ und ‘landesver-

    räterischer Beziehungen’ fand im No-vember 1964 statt. Das Wiederaufnah-meverfahren begann Im Frühjahr 1966.Am 6. Mai 1966 wurde ich zu vier Mo-naten Gefängnis mit Bewährung verur-teilt. Das Urteil wurde In der Beratungvom Bundesgerichtshof aufgehoben.Wenn man heute, da Sportbeziehungenmit der DDR selbstverständlich sind denLeuten erzählt, daß man vor 22 Jahrendafür noch zu Gefängnisstrafen verur-teilt werden, konnte, so will dies kaumnoch jemand glauben.”

    Werner Maletz, Essen:In einem Grundsatzurteil hat der Bun-desgerichtshof gegen ihn verhängte achtMonate Gefängnis bestätigt. w. M. hat-te geholfen, große Jugendforen durch-zuführen, die in Essen Hunderte Ju-gendliche mit Professoren, DFU-Funk-tionären und Journalisten zusammen-führten. Themen: “Gefahren der Atom-rüstung”, “Konföderation beider deut-schen Staaten”, “Totale Abrüstung”, “Ko-existenz”, “Unbewältigte Vergangen-heit”, “Wiederzulassung der KPD” (lt.“Neue Juristische Wochenschrift” 1965,S. 1444). Diese Themen seien den “po-litischen Zielen” Maletz’ dienstbar ge-macht worden und hätten die KPD un-terstützt. Belastend wurden sein kom-munistischer Vater und seine Reisen indie DDR angerechnet.

    Hans-Joachim Mandel, Dortmund:Verfolgt und verurteilt u.a. wegen Staatsgefähr-dung, Geheimbündelei,RädeIsführerschaft imZusammenhang mitdem FDJ-Verbot (1955:16 Monate) und dem

    KPD-Verbot (1962: 18 Monate). Meh-rere Jahre illegal und auf der Fahn-dungsliste. In den Urteilsbegründungenwurde mehrmals als besonders verwerf-lich auf die Unterstützung der Forderungnach Anerkennung der DDR und derKPD hingewiesen. Ermittlungsverfahrenwegen Reisen in die DDR. Bei Haus-durchsuchungen wurden mehrfach auchBücher von Karl Marx (z. B. “Lohnar-beit und Kapital”) als staatsgefährdendbeschlagnahmt.

    Sepp Mayer, Frankfurt:“Wegen meiner aktivenTätigkeit in der FreienDeutschen Jugend(FDJ) wurde ich im März1952 erstmals verhaftet.Von 1952 bis 1963 27Monate in Untersu-chungshaft, zumeist Einzelhaft. Ange-klagt wurde ich wegen Geheimbünde-lei, Landfriedensbruch und wegen Ver-stoß gegen den Gummiparagraphen 81a (Blitzgesetz Staatsgefährdung). Umdie Haft fortsetzen zu können, wurdebei einem Prozeß im Oktober 1952 dieAnklage auf “Vorbereitung zum Hoch-verrat” erweitert. Der Prozeß endeteohne Urteil bei Fortsetzung der Haft.Erst im Jahre 1967, nach der Abschaf-fung des sogenannten Blitzgesetzes,wurde die Strafverfolgung gegen michausgesetzt.”

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    Franz Melchsner, Bottrop:1954 wegen “Fortfüh-rung der FDJ-Arbeit undHochverrat” verhaftetund zu 18 Monaten Haftverurteilt. Der politischeHäftling erkrankt an Lun-gentuberkulose. Nach

    der Entlassung ist der junge Vater von1956 bis 1960 fast ständig im Kranken-haus und in Heilstätten. Inzwischen warauch seine Partei, die KPD, verbotenworden. Ein Schreiben von FranzMeichsner am 6. Februar 1956 - alsowährend der Haft - an die Anstalts-leitung: “In der Nacht vom 4. zum 5.Februar ist hier in der Zelle mein Mit-häftling K. Jungmann verstorben. Ichbitte: 1. seine Leiche noch einmal se-hen zu dürfen, 2. um die Genehmigung,an der Beerdigung tellzunehmen.” Ant-wort -von Oberstaatsanwalt Dr. Schnei-der: 1. gestattet, 2. abgelehnt. - Der Todeines politischen Häftlings ist keine sobedeutende Sache, daß eine Teilnah-me gerechtfertigt erscheint.

    Willi Meyer-Buer, Bremen:Ehemaliger Bürger-schaftsabgeordneter,wurde 1963 zu acht Mo-naten Gefängnis auf Be-währung verurteilt wegenKandidatur zur Bundes-tagswahl. In dem Pro-zeß ging es um die Wahlkampfthemen:Friedensvertrag, Rüstungsstopp, gegenatomare Bewaffnung. Dazu lagen dem.Gericht umfangreiche von der Kripo er-stellte Dossiers vor. Das war typisch fürdie damalige Politik der Bundesregie-rung. Forderungen von Kommunisten,die später in. das Programm der Bun-desregierung aufgenommen wurden,dienten zur Kriminalisierung. Im Prozeßsagte Senator Dr. Bortskeller als Zeu-ge aus: “Man könnte sagen, wäre Mey-er-Buer nicht Kommunist, dann wäre ereine Zierde der Demokratie”.

    Fritz Rieche, Düsseldorf:Metallarbeiter und Jour-nalist, dreieinhalb JahreUntersuchungshaft undGefängnis. Schon vonder Nazijustiz war er ver-folgt worden. Er war Ab-geordneter der KPD im

    bizonalen Wirtschaftsrat und im erstenDeutschen Bundestag und wurde un-geachtet seines Mandats verhaftet, alser im Krankenhaus seiner todkrankenFrau einen Besuch abstattete. An ihrerBeerdigung konnte er nur unter starkerPoilzeibewachung teilnehmen. FritzRische war Mitglied des Sekretariatsdes KPD-Parteivorstandes und Prozeß-vertreter des Parteivorstands der KPDim Verbotsprozeß gegen die KPD. Zuden Verhandlungen wurde er in Polizei-begleitung aus dem Gefängnis vorge-führt. Auch dadurch wurde der Willkür-charakter des KPD-Prozesses sichtbar.Vom Bundesgerichtshof wurde er 1956,kurz vor dem KPD-Verbot, wegen “Vor-bereitung zum Hochverrat” als Mit-verfasserdes Programms der nationalen Wieder-vereinigung Deutschlands verurteilt.

    Oskar Rothstein, Duisburg“Mit den Genossen Wil-li Hendricks und OttoHenke wurde ich am 14.Juni 1965 auf offenerStraße in Duisburg-Hochfeld von Beamtendes K 14 verhaftet.

    Wir wurden beschuldigt, Rädelsführereiner “verfassungswidrigen, verbotenenPartei” zu sein. Meine Wohnung wurdezweimal durchsucht, Broschüren, No-tizen und andere Gegenstände be-schlagnahmt. Dreieinhalb Monate (vom14. Juni bis 29. September 1965) wur-de ich in Untersuchungshaft in der Haft-anstalt in Dinslaken festgehalten. Am5. März 1968 wurde vor der 4. GroßenStrafkammer in Düsseldorf der Prozeßgegen Otto Henke, Willi Hendricks undmich eröffnet. Daß wir unsere hohe Stra-fen nicht anzutreten brauchten, ist dendamaligen Anstrengungen demokrati-scher Kräfte zu danken.’

    Karlheinz Schlagintweit, Wolfsburg:“Ich wurde durch die po-litische Sonderstraf-kammer Lüneburg zuinsgesamt zwei JahrenGefängnis verurteilt. Invier Verfahren warf manmir Hoch- und Landes-verrat, Rädelsführerschaft und illegaleZugehörigkeit zur FDJ, Mitgliedschaftund Weiterführung der illegalen KPD vor.Einer meiner Ankläger in diesen Pro-zessen war Staatsanwalt Ottersbach,der als Kriegsverbrecher in Polen ge-sucht wurde. Richter waren unter an-deren Landgerichtsrat Lenski, der schonam Volksgerichtshof tätig gewesen seinsoll. Oder Landgerichtsrat Roth, vor-mals Kriegsgerichtsrat in der damaligenTschechei. Haftbefehle wurden in Wolfs-burg ausgestellt vom AmtsgerichtsratHachmeister, ein ehemaliger SS-Offi-zier und SS-Richter.”

    Hans Schneider, München:am 17. Juli 1955 verhaf-tet während einer Bera-tung einer gemeinsa-men Delegation von Ver-tretern der NationalenFront der DDR und desWestdeutschen Arbeits-ausschusses der Nationalen Front zurVier-Mächte-Konferenz in Genf. Die da-maligen Forderungen der Delegation,der aus der Bundesrepublik außer H.Sch. ein Sozialdemokrat, ein Pfarrer undein Betriebsrat angehörten, waren: Einwiedervereinigtes Deutschland durchfreie Wahlen, keine Armee, die in Pakt-systeme integriert ist, keine Atomwaf-fen auf deutschem Boden, Abzug derBesatzungstruppen. Nach 15 MonatenU-Haft Anklage beim Bundesgerichts-hof wegen Rädelsführerschaft in einerverfassungsfeindlichen Organisation,die den Bestand der Ordnung der Bun-desrepublik gefährde und Landfriedens-bruchs. Urteil: Eineinhalb Jahre Haftund zwei Jahre Verlust der bürgerlichenEhrenrechte.

  • 9

    Lilo Schneider, München:“In “Wissen und Tat”,dem theoretischen Or-gan des Parteivorstandsder KPD, habe ich inNummer 2/3/1953 einenArtikel veröffentlicht “Ei-nige Lehren für die Arbei-terschaft Westdeutschlands aus LeninsWerk “Zwei Taktiken der Sozialdemo-kratie in der demokratischen Revoluti-on”. In diesem theoretischen Beitrag derKPD ging es unter anderem auch umZitate aus dem Programm der nationa-len Wiedervereinigung Deutschlands’, indem über ,den Sturz des Adenauer-Re-gimes’ geschrieben worden war. Ich er-hielt schon im Dezember 1954 die An-klageschrift wegen Vorbereitung eineshochverräterischen Unternehmens’, alseinziges Beweismittel’ diente der obenerwähnte Artikel. Ich kam ins sogenann-te ,Fahndungsbuch’, wurde polizeilichgesucht. Der Prozeß wurde - nach sie-ben Jahren - am 12. Juni 1961 auf An-ordnung des Generalstaatsanwalts vordem Oberlandesgericht in Düsseldorfdurchgeführt. Das Urteil: 1 Jahr Gefäng-nis wegen Vorbereitung zum Hochver-rat.”

    Josef (Menne) Schröder (69), Bo-chum:Wurde zu einem Jahrund acht Monaten (in derRevision um fünf Mona-te reduziert) wegen Ge-heimbündelei in verfas-sungswidriger Absicht”verurteilt. Außerdem wur-de ihm das Wahlrecht und die Wähl-barkeit für drei Jahre entzogen. Anlaß:Am 12. Mai 1960 nahmen die ,Vertrau-ensleute des Hochofenbereichs beimBochumer Verein einstimmig eine Ent-schließung an die Pariser Konferenz dervier Großmächte an, in der gefordertwurde: Das deutsche Volk in ganzDeutschland, einschließlich Berlin, sollin freier Selbstbestimmung in einemVolksentscheid darüber bestimmen, obdie atomare Aufrüstung fortgesetzt odereingestellt wird und ob es einen Frie-densvertrag für das ganze Deutschlandwünscht.” Diese Entschließung war fürdie Werksleitung eine ParteipolitischeTätigkeit für die verbotene KPD” undGrund für fristlose Entlassung.

    Dr. Robert Steigerwald, Eschborn:Von 1953 bis 1960 ins-gesamt fünf Jahre Ge-fängnis. Verurteilt nachzweijähriger (!) Untersu-chungshaft im Juni 1956- also noch vor demKPD-Verbot - als “Rä-

    delsführer einer verfassungsfeindlichenVereinigung”. Als “Rädelsführer”, weil erim Auftrag der - legalen! - KPD in die-ser wirkte; “verfassungsfeindlich” warsie, weil sie zur Volksbefragung gegendie Remilitarisierung aufgerufen hatte.Diese Volksbefragung wurde als Ver-such hingestellt, die verfassungsmäßi-ge Ordnung der Bundesrepublik umstür-zen zu wollen. Die Anklage erfolgtegleich vor dem Bundesgerichtshof, sodaß es keine Berufungs- oder Revisions-instanz gab - im Unterschied zu jenenwenigen Nazimördern, denen der Pro-zeß gemacht wurde.

    Horst Wilhelms, Krefeld:1954 Verhaftung wegenMitgliedschaft in derFDJ und wegen Staats-gefährdung. Verurteilt zuvier Monaten Gefängnis.1957 erneut verhaftet,diesmal wegen Weiter-

    führung der verbotenen KPD. Drei Wo-chen Untersuchungshaft in Krefeld, einProzeß fand nie statt. 1965: Verhaftung.Diesmal wegen Organisierung eines“Gesamtdeutschen Arbeiterjugend-treffens” in Oberhausen. Damit im Zu-sammenhang Vorwurf der Agententätig-keit, der später fallengelassen wurde.Zahlreiche Verhaftungen am Arbeits-platz und Hausdurchsuchungen. Diedafür zuständigen Beamten der politi-schen Polizei in Krefeld übten solcheTätigkeiten bereits seit 1933 aus - biszu ihrer Pensionierung Ende dersechziger Jahre.

    Herbert Wils, Hagen:,Am 21. Dezember 1953und am 14. Januar 1957verhaftet und wegen “ille-galer FDJ-Arbeit” und“Unterwanderung der Ge-werkschaften” zu 13 Mo-naten und 18 Monaten

    Gefängnis, Polizeiaufsicht und Aberken-nung der bürgerlichen Ehrenrechte unddes Wahlrechts für drei Jahre verurteilt.Am 27. November 1961 mit seiner FrauIngrid und einem Genossen der KPD-Betriebsgruppe Wittmann in Hagen er-neut verhaftet und mit Hilfe anonymer“Zeugen vom Hörensagen” angeklagt.Wegen Verstoßes gegen das KPD-

    Verbotsurteil und Herstellung und Ver-trieb von Betriebszeitungen der KPD zu30.Monaten Gefängnis und Polizeiauf-sicht für fünf Jahre sowie Verlust derbürgerlichen Ehrenrechte und desWahlrechts ebenfalls für fünf Jahre ver-urteilt. Nach einer weltweitenSolidaritätskampagne durch einen Gna-denakt am 1. Dezember 1964 aus derHaft entlassen. Haftzeit einschließlichU-Haft 64 1/2 Monate.

    Hans Winski, Bochum:“Im Jahr 1960 bin ich mitvielen meiner politischenFreunde beim Bochu-mer Verein (heuteKrupp) entlassen wor-den - wegen angeblicherTätigkeit für die KPD.

    Während meiner Haftzeit wurde meineFrau aus der Wohnung geschmissen.Nach meiner Entlassung war es schwerfür mich, Arbeit zu finden, landete aberschließlich bei einer kleinen Firma undkonnte so meine Familie ernähren. Dochdas Glück, dauerte nicht lange. Die po-litische Polizei K 14 verhaftete mich ausdem Betrieb heraus, vorher wurde un-sere Wohnung auf den Kopf gestellt.Wegen Flucht- und Verdunklungsgefahrkam ich zunächst vier Monate in Unter-suchungshaft. Im Herbst 1961 dann dasUrteil: elf Monate Gefängnis wegenStaatsgefährdung.”

    Werner Blumenthal, HemeAm 15. April 1954 wurde ich verhaftet.Meine journalistische Tätigkeit für die“Freie Welt”, Zeitung der Gesellschaftfür deutsch-sowjetische Freundschaft,wurde als “Agententätigkeit” bezeich-net. Am 3. Juni, genau an meinem Ge-burtstag, wurde ich wieder entlassen,ohne daß es zur Anklageerhebung kam.Eine Entschädigung dafür, daß ich un-rechtmäßig verhaftet, meine Frau mitden Kindern alleingelassen worden war,gab es nicht. “Mangels Beweisen” hatman die Sache niedergeschlagen. ImApril 61 wurde ich wegen “Staatsgefähr-dung” und ähnlicher “Delikte” zu achtMonaten Gefängnis verurteilt - auf Be-währung.

  • 10

    Fritz Besnecker, SingenIch wurde am 13. Fe-bruar 1953 wegenStaatsgefährdung undRädelsführerschaft inder seit 1951 illegalenFDJ in Freiburg verhaf-tet. Am 15. Mai 1953 wurde ich vomLandgericht Freiburg zu vier MonatenGefängnisstrafe verurteilt.Am 22. Mai 1954 wurde ich erneut we-gen meiner Aktivität in der FDJ verhaf-tet. Der Haftbefehl zu dieser zweitenVerhaftung wurde von dem Nazirichterbeim Freislerschen Volksgerichtshof Dr.Steinke ausgestellt. Ich wurde nie vorGericht gestellt, sondern nach 13 Mo-naten Untersuchungshaft entlassen.Am 2. April 1968 wurde ich beim Ver-teilen des Programmentwurfs der KPDfestgenommen, und ein Ermittlungsver-fahren wurde eingeleitet. Am 24. Juli1968 wurde dieses durch die Staatsan-waltschaft Karlsruhe mit der Begrün-dung eingestellt: “Der Inhalt der verteil-ten Broschüre ist nicht gegen die frei-heitliche demokratische Grundordnungoder den Gedanken der Völkerverstän-digung gerichtet.”

    Ernst Duschinski, Kielich wurde am 13.2.1960am GrenzübergangBüchen verhaftet, wegenangeblichen verfas-sungsfeindlichen Nach-richtendienstes. Am 19.August 1960 wurde ich abgeurteilt, we-gen Staatsgefährdung, wegen Verbin-dungen mit Kollegen und Freunden desFDGB und Verstoß gegen das KPD-Verbot. Der Prozeß dauerte von 9-21Uhr, auf dem Niveau einer schlechtenStraßendiskussion, der Staatsanwaltbullerte und beantragte 2 Jahre Gefäng-nis ohne Anrechnung der U-Haft, so daßich bis in das Jahr 1962 eingeknastetworden wäre. Das Gericht kam mit 20Monaten aus, das war damals inSchleswig-Holstein der Rekord. Alszwei Drittel herum waren, ließ man michnicht raus mit der Begründung, “fana-tisch überzeugter Kommunist, NKFD-Angehöriger, Überläufer, sowjetischer,Antifa-Schüler, der nach Strafentlas-sung erneut gesetzesbrecherisch tätigwürde”, zu sein. Erst nach meiner Be-schwerde, die ich gesalzen schrieb,wurde ich am 12.8.1961 aus dem Ge-fängnis Neumünster entlassen.

    Kurt Erlebach, HamburgAm 18. Februar 1955wurde ich vom Landge-richt Hamburg wegenHerausgabe des Flug-blattes “Nur ein Justiz-skandal?” zu zwei Mo-naten Gefängnis verurteilt. Im Flugblattwurde die Remilitarisierungspolitik derBonner Regierung und die Willkürjustizim Hochverratsverfahren gegen die Mit-glieder des Hauptausschusses für dieVolksbefragung scharf verurteilt.

    Am 14. September, 1962 wurde ich zuacht Monaten Gefängnis verurteilt, weilich im Wahlkreis Harburg zur Bundes-tagswahl 1961 kandidieren wollte. In denWahlveranstaltungen forderte ich Ein-stellung der Hochrüstung, Verhinderungder Notstandsgesetze, Verständigungmit der DDR. Mit der fadenscheinigenBegründung, durch die Wahlagitationhätte ich eine verfassungsfeindliche Or-ganisation, nämlich die verbotene KPD,gefördert, und damit gegen das Verbots-urteil gegen die KPD vom 17. August1956 verstoßen, wurde das Urteil be-gründet. In beiden Verfahren wurden dieStrafen zur Bewährung ausgesetzt.

    Robert Konze, GelsenkirchenDer KokereiarbeiterRobert Konze lernte inder Adenauerzeit zwei-mal die bundesdeut-schen Gefängnissevon innen kennen. ImJahre 1956 wurde er wegen seiner Mit-gliedschaft in der damals bereits ille-galen FDJ zu einer Gefängnisstrafe von16 Monaten verurteilt.

    Im Jahre 1962 erhielt er eine Gefäng-nisstrafe von sieben Monaten. Der lä-cherlich anmutende Grund: Anfang 1962war Robert Konze aus Berlin eineDruckschrift mit dem Titel “Die ge-schichtliche Aufgabe der DeutschenDemokratischen Republik und die Zu-kunft Deutschlands”. zugeschickt wor-den. Konze schickte sie unter anderemAbsender an die Adresse eines Man-nes weiter, den er beim Ostermarschkennengelernt hatte. In der Urteilsbe-gründung heißt es dazu unter anderem:“Durch die Verwendung einer falschenAbsenderangabe hat der Angeklagteeine Urkundenfälschung begangen.”Damit wurde deutlich, daß Konzes Vor-sichtsmaßnahme durchaus gerechtfer-tigt war: Dieser Brief ist nämlich von denKontrollorganen geöffnet worden.

    Rudi und Edeltraud Kublik, BochumRudi und EdeltraudKublik, zwei BochumerKommunisten, wurdenwegen ihres Eintretensfür die illegale KPD mitGefängnis bestraft. RudiKublik wurde am 26. Oktober 1961 mitsechs weiteren Bochumern am Arbeits-platz verhaftet. Seine Wohnung wurdedurchsucht. Sechs Monate später wur-de seine Frau Edeltraud im Gefängnisverhaftet, wo sie ihren Mann nichts Bö-ses ahnend besuchte. Im September1962 wurde den beiden der Prozeß ge-macht. Rudi war zu diesem Zeitpunktbereits 10 Monate, seine Frau sechsMonate in Untersuchungshaft. Ihre drei-jährige Tochter Vera war während die-ser Zeit von ihren Eltern getrennt. Rudiund Edeltraud wurden der “Staatsgefähr-dung” für schuldig befunden und zu 14bzw. 16 Monaten Gefängnis verurteilt.Die Untersuchungshaft wurde den bei-den angerechnet, was dazu führte, daßRudi sofort freigelassen wurde, währendseine Frau im Gefängnis blieb.

    Jupp Mallmann, NeukirchenAm 2. November 1953wurde ich in meiner Woh-nung verhaftet und nachDüsseldorf ins Polizeiprä-sidium gebracht.

    Die Anklageschrift warf mir “Vorberei-tung zum Hochverrat” vor.

    Ich war KPD-Mitglied und trat mit vie-len anderen für Verhandlungen mit derDDR ein. Unsere Forderung: “Ost undWest an einen Tisch” paßte den Kal-ten Kriegern nicht. Ich wurde der “Vor-bereitung zum Hochverrat” beschuldigt.13 1/2 Monate saß ich in Hamm inUntersuchungshaft. Fünf Monate durf-te mich meine Frau nicht besuchen,bekam ich weder Zeitungen noch Bü-cher.

    Ich blieb 13 1/2 Monate in Einzelhaft,mußte mich danach jeden zweiten Tagin Neukirchen bei der Kripo melden unddurfte den Ort Neukirchen nur mit Ge-nehmigung der Polizei verlassen. Dannwurde die Meldepflicht auf zweimal inder Woche festgelegt. Zwei Jahre wur-de diese Justizwillkür gegen mich auf-rechterhalten.

  • 11

    Ernst Marschewski, Dortmund

    Am 6. Mai 1954 wurdeich von der GroßenStrafkammer des Land-gerichts Dortmund we-gen Mitarbeit in der FDJund “Staatsgefährdung”zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.

    Ich wurde im Gerichtsaal verhaftet undzunächst in Dortmund inhaftiert. DerStaatsanwalt Arnold hätte mich lieberzwei Jahre im Zuchthaus gesehen.

    Wie demokratisch die Gerichte in derAdenauer-Zeit gehandelt und Rechtgesprochen haben, kann man auch ausfolgendem sehen: Im Gerichtssaal wur-den während der Verhandlung erhebli-che Verfahrensfehler begangen.

    So wurde ein Zeuge erst nach seinerAussage über sein Recht zur Aussa-geverweigerung belehrt. Auch stand eineVerurteilung schon während der Ver-handlung fest. Als dem VorsitzendenRichter eine Antwort von mir nicht paß-te, rief er: “Dafür bekommen sie einenMonat extra.”

    Reinhard Neubauer, Göttingen

    Prozeß vor der 4. Großen Ferien-kammer des Landgerichts Nürnberg am13. August 1963. Anlässe: Gemein-schaftliche Teilnahme an den Arbeiter-jugend-Kongressen 1961 in Rostock,1962 in Leipzig. Teilnahme an den 3.Arbeiterfestspielen der DDR 1962 inMagdeburg/Stendhal. Teilnahme amNationalkongreß der Nationalen Frontder DDR, Berlin 1962.

    Vorwürfe: Landesverrat, Staatsgefähr-dung, landesverräterischer Nachrichten-dienst, Fortführung der Tätigkeit derverbotenen KPD.

    Urteil:

    1.: Beteiligung an den Gerichtskostenmit DM 100,-; 2.: Verbot, das Territori-um der DDR für mindestens 5 Jahre zubetreten; 3.: Lesen des Buches “DieRevolution entläßt ihre Kinder” vonWolfgang Leonhardt.

    Folgen des Prozesses: Sofortige Ent-lassung (ohne Begründung) aus demWehrdienst.

    Hinweis: Zum damaligen Zeitpunkt warich Mitglied der DGB-Jugend und derDFU in Göttingen.

    Oskar Neumann, München

    Den deutschen Faschis-mus und Militarismushatte ich im “3. Reich”gründlich kennenge-lernt. Deswegen arbeite-te ich in der Führung desHauptausschusses für die Volksbefra-gung im Jahr 1951 mit. Was lag damalsnäher als eine Volksabstimmung überdie Remilitarisierung? Daß der Haupt-ausschuß die Bekundung des erwiese-nen antimilitärischen Mehrheitswillensder bundesdeutschen Bevölkerung er-möglichte, fälschten die Herrschendenum zu dem bis dahin “schwersten An-griff auf die freiheitlich-demokratischeGrundordnung”. Der Musterprozeß wur-de gegen Karl Dickel, Emil Bechtle undmich wegen “Vorbereitung zum Hoch-verrat” 1954 vor dem Bundesgerichts-hof durchgeführt. Selbst der Zusammen-bruch der “Hochverrat”-Konstruktionbewahrte uns nicht vor hohen Strafen -gegen mich drei Jahre Gefängnis, fünfJahre Verlust des passiven Wahlrechts,Aberkennung von Ansprüchen aus Wi-derstand und Verfolgung, von den Ge-richtskosten ganz zu schweigen.

    Bruno Orzykowski, Hannover

    Als es am zweiten Weih-nachtstag bei BrunoOrzykowski klingelte,“wusste ich, das kannnicht der Milchmannsein. Der LüneburgerStaatsanwalt Ottersbach (ein ehemali-ger Nazijurist am Kattowitzer Sonder-gericht) ließ mich im Gefängnis Han-nover sechs Monate in Einzelhaftschmoren, bis ich dann im Juni 1955 inLüneburg vor Gericht kam.” Vorgewor-fen wurden dem FDJ-Funktionär“Rädelsführerschaft”, die Unterstützungstrafbarer Handlungen, also Arbeit inder illegalen FDJ, Geheimbündelei undseine Tätigkeit als verantwortlicher Re-dakteur der in Hannover erscheinendenkommunistischen Tageszeitung “DieWahrheit”. Das Lüneburger Landgerichtentsprach in seinem Urteil dem Antragder Staatsanwaltschaft: 18 Monate ohneBewährung. Einige Jahre nach seinerEntlassung - er hatte sich in der Zwi-schenzeit von der KPD getrennt - tratBruno Orzykowski der SPD bei undwurde Abgeordneter im niedersächsi-schen Landtag.

    Irma Rössig, Düsseldorf

    Verhaftet wurde ich am29. September 1954frühmorgens um 6 Uhrin meiner damaligenWohnung in Düssel-dorf. Ich lebte dort ge-meinsam mit meiner ‘Mutter. AlsVerhaftungsgrund wurde mir genannt,ich sei leitende Funktionärin der FDJ,und es bestünde bei mir Verdunklungs-und Fluchtgefahr.

    Die Wohnungsdurchsuchung bei derVerhaftung: Sämtliche vorhandenenSchubladen wurden aus den Schränkengerissen, die Inhalte auf den Fußbodengekippt, und selbstverständlich wurdedieses Chaos unaufgeräumt meiner ver-störten Mutter hinterlassen, denn ichwurde ja “abgeführt”.

    Am 1. März 1955 fand die Hauptver-handlung vor dem Landgericht Düssel-dorf gegen mich statt. Ich wurde zuneun Monaten Gefängnis verurteilt.

    Als besondere Demütigung empfandich, daß ich zu den Vernehmungen insLandgericht Düsseldorf wie eineSchwerverbrecherin mit Knebelkettevorgeführt wurde.

    Helmut Rössig, Düsseldorf

    Am 3. Oktober 1953wurde ich in Lübeckauf offener Straße ver-haftet und ins Land-gerichtsgefängnis Lü-neburg überführt. Am31. Dezember 1955 war ich nach 27Monaten wieder “frei”.Es war die Zeit, als das Adenauer-Re-gime den Kalten Krieg eskalierte, dieWiederbewaffnung der Bundesrepublikdurchsetzte, BRD-Kommunisten zuHunderten wieder die Gefängnisse voninnen kennenlernten und der demokra-tische Widerstand gegen Remilitarisie-rung durch hunderttausend und mehrErmittlungsverfahren gebrochen werdensollte.Das Urteil gegen mich lautete: zweiJahre wegen “Staatsgefährdung, Ge-heimbündelei, Rädelsführerschaft undMitgliedschaft in der FDJ”.Es wurden 27 Monate daraus, weil dieSonderstrafkammer Lüneburg auf An-trag des wegen seiner Todesurteile amNazi-Sondergericht Posen berüchtigtenStaatsanwalts Ottersbach einen Teil derU-Haft nicht auf die Haftstrafe anrech-nete.

  • 12

    Wilhelm Ruppert, Reinheim

    Am 11. Dezember1957 drangen zweiKriminalbeamte ausDarmstadt in unsereWohnung ein, führteneine Hausdurchsu-chung durch und teilten meiner Frau mit,daß ich am selben Tag verhaftet wor-den sei. Vorgeworfen wurde mir Arbeitfür die illegale KPD. Von der 2. GroßenStrafkammer des Landgerichts Nürn-berg/Fürth wurde ich beschuldigt, denorganisierten Aufbau der verbotenenKPD in Nordbayern betrieben zu haben.Es ging also um “Staatsgefährdung”.Mit dem Urteil vom 24. Mai 1958 wurdeich schließlich zu einer Gefängnisstra-fe von zehn Monaten - bei Anrechnungder Untersuchungshaft - verurteilt.

    Erich Schreier, RöthenbachDas erste Mal kam ichdrei Monate ins Ge-fängnis, weil ich eineErklärung der KPD-Bundestagsfraktion ver-teilte. 1950 wurde ichzu zehn Tagen, Gefängnis wegen ruhe-störenden Lärms verurteilt, weil ich miteiner Gruppe FDJler auf der Straße einLied gesungen hatte. Wieder mußte ichsechs Tage in den Knast, weil ich am1. Mai 1951 ein Transparent mit einerantimilitaristischen Aufschrift trug. 1955gab es wegen Betätigung für die verbo-tene FDJ gleich zehn Monate Gefäng-nis. Am 1. März 1962 erhielt ich 19Monate Gefängnis, weil ich angeblichgegen das Verbot der KPD “verstoßen”habe. Gleichzeitig entzog man mir denFührerschein, man gab mir keinen Rei-sepaß. Mir wurde die Fähigkeit zurBekleidung öffentlicher Ämter sowie,das Wahl- und Stimmrecht und derWählbarkeit für drei Jahre aberkannt.Ich lernte dabei die Gefängnisse Ham-burg, Wolfenbüttel, Gifhorn, Braun-schweig, Hannover, Hamm, Gütersloh,Bochum, Kleve, Dortmund und Werlkennen.

    Gertrud Schröter, Celle

    Gertrud Schröter aus Celle war währenddes KPD-Verbotes in der “Frohe-Feri-en-Aktion” tätig. Auch damals stelltedie DDR Kinderferienplätze zur Verfü-gung, die von Kindern aus sozial schwa-chen Familien genutzt wurden. DieseTätigkeit führte zu Anfeindungen seitensder Rechten, sie wurde als “kommuni-stische Propaganda” bezeichnet. Die-se kinderfeindliche Kampagne gipfeltein der Anklageerhebung gegen vier nie-dersächsische Mitglieder der Arbeitsge-meinschaft im Jahre 1961, unter ihnenGertrud Schröter. Im September 1961begann der Prozeß. Die vier Angeklag-ten wurden von Dieter Posser verteidigt,bis vor kurzem Finanzminister von Nord-rhein-Westfalen. Gertrud Schröter er-hielt ein Jahr Gefängnis sowie fünf Jah-re Aberkennung des aktiven und passi-ven Wahlrechts. Die Berufung beimBundesgerichtshof wurde abgelehnt,obwohl in der Urteilsbegründung wört-lich stand: “Die Verurteilten haben vielGutes getan.”

    Jupp Utzerath, Kerpen

    Nach über einem Jahrtäglicher Hausdurchsu-chungen wurde ich am13. September 1954verhaftet. Nach drei Mo-naten Untersuchungs-haft - in der Einzelzelle - folgte dannEnde November 1954 der Prozeß. Waswar der Grund? Das Eintreten für dieWiedervereinigung Deutschlands, fürdie Anerkennung der Deutschen Demo-kratischen Republik und für die Aner-kennung der Grenzen der anderen so-zialistischen Länder. Verurteilt wurde ichzu 21 Monaten Gefängnis - beantragtwaren ein Jahr Zuchthaus -, Aberken-nung meines Mandats als Stadtverord-neter sowie fünf Jahre Verlust der bür-gerlichen Ehrenrechte. In der Strafan-stalt wurde ich wie ein Verbrecher be-handelt: Ich hatte bis zu meiner Ent-lassung Einzelhaft. Ein besondererAspekt beim Prozeß war, daß einer derBeisitzenden Richter ein Dr. Mittelbachwar, der den Haftbefehl gegen den Ge-nossen Ernst Thälmann ausgestellthatte. Also Kontinuität der politischenJustiz gegen Andersdenkende.

    Ingrid Wils, Hagen

    Am 27. 11. 1961 wurdeich, damals 27 Jahrealt, zusammen mit mei-nem Mann Herbert ver-haftet. Mir wurde vorge-worfen, illegale Be-triebszeitungen der KPD hergestellt undverbreitet zu haben. Ich wurde verurteiltwegen Staatsgefährdung und als Rä-delsführerin dar KPD zu neun MonatenGefängnis, von denen ich die Hälfteabsitzen mußte. Der Rest “auf Bewäh-rung”. Bis dahin ein Fall wie viele.

    Unser Problem war jedoch, daß wir zumZeitpunkt der Verhaftung zwei kleineSöhne im Alter von 1 1/2 und drei Jah-ren hatten, die plötzlich ohne Elternwaren. Verwandte und Genossen nah-men sie auf. Als ich nach fünf MonatenHaft nach Hause kam, kannte michmein Jüngster nicht mehr und sagte“Tante” zu mir.

    Die nach meiner Haftentlassung auftre-tenden Probleme mussten wir weiterohne Vater lösen, der ja erst nach dreiJahren Haft entlassen wurde.

  • 13

    Echo auf UZ-Initiative:

    Das Unrecht endlich wieder gutmachen“Aber mehr als einer, der aus dem Wi-derstand kam, aus dem Konzentrati-onslager, fand sich nach wenigen Jah-ren in einem Gefängnis der Bundesre-publik wieder - weil ihm unheilvoll er-schien, was sich da wieder entwickel-te, weil sein Widerstand gegen dieWiederaufrüstung wieder auf politi-sche Richter stieß. Noch sind Zeitzeu-gen unter uns, die davon berichtenkönnen. Aber wer fragt sie?” (DieterLattmann “Die Erben der Zeitzeugen.Wider die Vertreibung der Geschichte”,Fischer 1988)

    Die UZ hat sie gefragt. Einige habenwir am 12. August in der UZ vorgestellt.Opfer des Kalten Krieges bis zum heu-tigen Tag nannten wir sie, denn niewurden ihre Vorstrafen getilgt, ihreVerfolgungen wiedergutgemacht, de-nen sie ausgesetzt waren: weil sie fürden Grundsatz kämpften, daß vondeutschem Boden nie wieder Kriegausgehen darf. Und bis heute bestehtdas KPD-Verbot fort, das Hunderttau-sende Untersuchungsverfahren mittausenden Urteilen gegen Bürger nachsich zog, die von ihren GrundrechtenGebrauch machten.

    Dieter Lattmann schrieb über jene Zeit-zeugen, die bereits unter Hitler gelit-ten hatten und denen später dann Tau-sende Mitglieder der Freien DeutschenJugend a ls Mi tkämpfer und Mi t -betroffene zur Seite standen: “Sie blie-ben Außenseiter im Inneren, sahen wieandere, die unter Hitlers Regime mit-gewählt hatten und mitverdienten, wie-der aufstiegen in Wirtschaft und Poli-tik, Justiz und Kirchen.” Ja, lange bliebihr Kampf der Kampf einer Minderheit.Doch er half zu verändern, Mehrhei-ten zu schaffen. Wofür sie in der Ade-nauer-Zeit und bis Ende der sechzigerJahre in die Gefängnisse gingen, muß-te von Regierungen der letzten zwan-zig Jahre in reale Politik umgesetztwerden.

    Kurt Bachmann stellte dazu beim 20.Jahrestag der Neukonstituierung derDKP fest: “Vergangenes muß mit demGefühl der historischen Verantwortungund auf der Grundlage der historischenWahrheit bewertet werden”, sagteMichail Gorbatschow.

    Über 20 Jahre z. B. haben wir Kommu-nisten der Bundesrepublik für die An-erkennung der Nachkriegsrealitäten -der Nachkriegsverhältnisse wie derNachkriegsgrenzen -, ganz besondersintensiv für die Anerkennung derOder-Neiße-Grenze wie der DDR ge-kämpft. ... Wofür wir Kommunisten sehrlange kämpften, wurde in den 70er Jah-ren völkerrechtliche Realität.”

    Realität ist aber auch, daß den Vor-kämpfern jener Friedenspolitik bis heu-te die Rehabilitierung versagt blieb,daß die Grundlage der gegen sie ge-richteten Gerichtsurteile, das FDJ- unddas KPD-Verbot, weiterbestehen. Un-ser Leser Hans Steen aus Lübeck hateinen individuellen Versuch gestartet,den dunklen Punkt der Geschichte derBundesrepublik, das KPD-Verbot auf-zuhellen. Er richtete Fragen an denBundeskanzler und das Bundesverfas-sungsgericht. Nachdem er die Antwortdes Bundeskanzleramtes (“über dieFrage der Verfassungswidrigkeit unddamit das Verbot einer Partei entschei-det das Bundesverfassungsgericht. Esist nicht Sache der Bundesregierung,diese Verbote aufzuheben”), dem Bun-desverfassungsgericht vorgehaltenhatte, schrieb das Gericht am 23. Sep-tember 1988 zurück: “Außerhalb eineszulässigen Verfassungsbeschwerde-Verfahrens hat das Bundesverfas-sungsgericht keine Möglichkeit, aufAntrag des einzelnen Bürgers tätig zuwerden; insbesondere ist keine Zustän-digkeit des Bundesverfassungsge-richts für die Wiederzulassung oder dieAufhebung des Verbots der von Ihnengenannten Partei gegeben.”

    Der Bundeskanzler verweist auf dasBundesverfassungsgericht, und dasBundesverfassungsgericht erklärt sichebenfalls unzuständig! Jeder lebens-länglich Verurteilte hat die Chance,nach 15 Jahren von Strafe befreit zuwerden. Aber das KPD-Verbot sollnach Meinung der Herrschenden nichtnur lebenslang, sondern gar viele Le-ben lang gelten und das Schicksalheutiger und künftiger Generationenmittels der Beschädigung ihrer politi-schen Rechte Überdunkeln.

    Die Initiative der UZ gegen dieses Un-recht, die wir am 12. August unter demTitel “Die verdrängte Schuld der Re-publik” eingeleitet haben, hat ein viel-fältiges Echo gefunden. Nicht nur un-ser Leser Hans Steen wurde tätig,zahlreiche Leser haben uns geschrie-ben und die Forderungen der UZ (sie-he Kasten) unterstützt. Andere Lese-rinnen und Leser schilderten das Un-recht, das ihnen widerfuhr und bisheute nicht wiedergutgemacht ist.(Siehe nebenstehende Beispiele).

    Oskar Neumann aus München ergänz-te seinen Bericht mit den Worten:“Nach solchen Erfahrungen ist mannatürlich sensibel für die Drohung derbayerischen Staatsregierung mit 14tä-gigem Unterbindungsgewahrsam”, fürdie Kriminalisierung von Blockierernund das Herumtrampeln auf den Men-schenrechten durch Berufsverbieter;für das Gerichtsurteil in Sachen CS-Gas, das in internationalen Kriegenverboten, gegen Demonstranten inWackersdorf aber erlaubt sein soll; fürdie “Blut-und-Boden”-Töne gegenAsylbewerber und Ausländer. In derTat: Da werden alte Defizite unserer Ge-sellschaft spürbar. Ihre Heilung erfor-dert um so mehr den Widerstand derDemokraten.”

    Wir haben vorgeschlagen, nachste-hende Forderungen an Bundestag undBundesregierung zu richten. Wir wol-len als Zeitung dafür unseren Kampfverstärken. Deshalb bitten wir unsereLeserinnen und Leser, diese Forderun-gen zu unterstützen und uns dazu ihreMeinung zu schreiben.

    Wir bitten zugleich alle, die als politi-sche Gefangene in der Bundesrepublikdiskriminiert wurden, mit uns in denDialog zu treten, um eine gemeinsameInitiative im Sinne der drei Forderun-gen vorzubereiten. Wir möchten dazueine UZ-Gesprächsrunde am 16. No-vember in Düsseldorf veranstalten undbitten alle, die näheres darüber wissenmöchten, uns anzuschreiben.

    Ulrich Sander

  • 14

    Alles was “im Sinne der verbotenen KPD”ausgelegt werden konnte, wurde bestraft

    Erfahrungen von Rechtsanwalt Bock, Verteidiger In Strafverfahren wegen des KPD-Verbots

    Am 17. August 1956 verkündete das Bundesverfassungsgerichtauf Antrag der Adenauer-Regierung sein Verbotsurteil gegendie Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). In der Folge-zeit kam es zu zahlreichen Strafverfahren wegen verbotenerTätigkeit für die illegale KPD. Die UZ sprach mit Dr. HeinrichBock, Rechtsanwalt in Köln, der von Frühjahr 1959 an als Ver-teidiger von Kommunisten vor den drei dafür zuständigen politi-schen Strafkammern in Nordrhein-Westfalen, Köln, Düsseldorfund Dortmund, auftrat.

    UZ Welchen Umfang hatten diepolitischen Strafverfolgungenin der Bundesrepublik?

    Rechtsanwalt Bock: Hierzukann ich aus eigenem Wissennicht mit Zahlen dienen. Ichverweise auf Untersuchungenzu diesem Thema. Oft läßt sichdie Zahl nur schätzen. Verurteiltwurden nach einer Aufstellungbei von Brüneck, Politische Ju-stiz in der BundesrepublikDeutschland 1949 bis 1968, von1951 bis 1983 rund 6 300 Perso-nen. Eingeleitet wurden nachdemselben Buch in den Jahren1960 bis 1966 rund 27 000 Er-mittlungsverfahren.

    UZ Wofür wurden diese Leuteverfolgt was waren ihre Ver-brechen?

    Rechtsanwalt Bock: DerGrundvorwurf war, gegen dasVerbotsurteil des Bundesver-fassungsgerichts über die KPDvom 17. August 1956 verstoßenzu haben. Darauf stand Gefäng-nisstrafe Von mindestens sechsMonaten. Wer aber geglaubthatte, das richte sich nur gegenorganisatorische Tätigkeit, alsoZusammenhalt der verbotenenPartei durch Treffen, Beratun-gen und Aktionen, wurde baldeines Schlimmeren belehrt. Diepolitische Strafjustiz sah auchin anderen Dingen einen Ver-stoß gegen das Verbotsurteil.Für sie gab es einen einheitli-chen kommunistischen Block,zu dem neben der KPD auch dieSED, politisch nahestehendeOrganisationen wie FDGB, FDJ,aber auch der Deutsche Turn-und Sportbund der DDR oder,der Städte- und Gemeindetagder DDR gehörten. Auch deren

    Tätigkeit auf dem Gebiet derBundesrepublik wurde als(strafbare) Tätigkeit gegen dasKPD-Verbot gewertet und ent-sprechend verfolgt. Das galtnicht nur für Kontakte vonBRD-Bürgern mit der DDR, son-dern auch für die Tätigkeit vonDDR-Bürgern, die offiziell sichhier um Kontakte zum Beispielmit Sportorganisationen oderStädten in der Bundesrepublikbemühten. Als strafbar wurdeauch publizistische Tätigkeitangesehen, wenn dabei politi-sche Positionen vertreten wur-den, die denen der KPD, SEDoder DDR-Regierung entspra-chen. Denn auch das galt als“Sicheingliedern” in die verbo-tene kommunistische politischeTätigkeit. Gleiches geschah mitKommunisten, die sich - ohneihre politische Einstellung zuverbergen - als unabhängigeEinzelkandidaten bei politi-schen Wahlen bewarben. Auchsie hatten sich in die kommuni-stische Gesamtarbeit eingeglie-dert. Der Nachweis dieser Ein-gliederung, geschah dadurch,daß die verbotene Partei solcheBewerbungen begrüßt hatte.Erst recht traf das gleicheSchicksal Kommunisten, diesich zur Landtagswahl in Nord-rhein-Westfalen 1958 zu einerWählergemeinschaft und 1961sogar zu einer ‘“Kommunisti-schen Wählergemeinschaft”zusammengeschlossen hatten.Auch sie wurden wegen Versto-ßes gegen das, KPD-Verbotverurteilt.Zu dieser. Basis der Verurteilun-gen (Verstoß gegen das Partei-verbot), die eine Mindeststrafevon 6 Monaten garantierte, tra-ten andere Bestimmungen, inder Regel mindestens die soge-

    nannte Geheimbündelei. Zwardrohte diese Vorschrift (§ 128StGB) nur verhältnismäßig nied-rige Strafen an (bis zu sechsMonaten für einfache Mitglie-der, bis zu einem Jahr für leiten-de), aber es gab noch einen1951 neu geschaffenen § 94StGB über staatsgefährdendeAbsicht. Lag diese vor - unddas wurde bei Kommunistenfast als selbstverständlich an-gesehen dann erhöhten sich fürdie dort genannten Delikte -darunter auch die Geheimbün-delei, aber auch Hausfriedens-bruch, Beleidigung u. a. - dieHöchststrafen auf fünf JahreGefängnis oder fünf JahreZuchthaus.

    UZ Kann man sagen: Die da-maligen Angeklagten wurdenverurteilt für Meinungen, dieheute die Mehrheit der Bevöl-kerung teilt?

    Rechtsanwalt Bock: Ja, das istgrundsätzlich richtig. Man darfaber nicht übersehen, daß dieÖffentlichkeit damals für solcheMeinungen weniger aufge-schlossen war. Die kontinuier-liche antikommunistischeBewußtseinsarbeit hatte ihreWirkung getan. Es kam in denProzessen weit weniger auf denInhalt einer politischen Aussa-ge an als darauf, daß gleichzei-tig auch die illegale KPD, dieSED und so weiter das publizi-stisch vertraten. Es galt derSatz. “Argumente erledigensich durch. ihre Herkunft.”

    UZ Wie begründeten Staatsor-gane, insbesondere Gerichte,diese Verletzungen von Grund-und Menschenrechten?

    Rechtsanwalt Bock: Zunächsteinmal damit, es seien. keineVerletzungen des Grundgeset-zes, sondern dienten seinemSchutz. Man verwies auf dasEnde der Weimarer Republik, diesic nicht genügend gegen ihreFeinde gewehrt habe. Mit demTaschenspielertrick der Tota-litarismustheorie wurde rot

    gleich braun gesetzt, und weildie Weimarer Republik die brau-nen Feinde der Demokratiekaum bekämpft hätte, müsseman jetzt die einzig gefährlichenkommunistischen Feinde derDemokratie um so entschiede-ner bekämpfen. Daß man dazuauch die Fachleute des NS-Re-gimes heranzog, war höchstensein Schönheitsfehler, wenn esüberhaupt bekannt wurde. Im-merhin gab es damals einen Prä-sidenten des Bundesamts fürVerfassungsschutz, Schrüb-bers, der in der Hitlerzeit alsStaatsanwalt in politischen Ver-fahren an Sondergerichten mit-gewirkt hatte.

    UZ Kann man davon sprechen,daß die heutigen Berufsverbo-te und die Urteile gegenBlockierer aus der Friedensbe-wegung späte Reste der Justizdes Kalten Krieges sind?

    Rechtsanwalt Bock: Ich binnicht ganz dieser Meinung. DerKalte Krieg hatte auch seine(kalten) Kriegsgesetze und -gerichte. Sie galten für Tatenund Verhaltensweisen, diesonst nie Gegenstand der Straf-justiz geworden wären. Deshalbkann man die Berufsverbote-praxis zu Resterscheinungendes Kalten Kriegen zählen, sollsie doch der Aufrechterhaltungder Disziplin gegen einen Feinddienen, der uns unablässig be-drohe.Anders steht es mit den Urtei-len gegen Blockierer aus derFriedensbewegung. Hier ver-handeln nicht politische Straf-kammern auf der Grundlage po-litischer Ausnahmegesetze,sondern allgemeine Gerichte aufder Grundlage allgemeinerStrafgesetze (hier: des Nöti-gungsparagraphen). Daß esdabei überwiegend zu Verurtei-lungen gekommen ist, ist eineandere Frage. Es dürfte mit derGrundeinstellung unserer Justizzusammenhängen, für die Ruheund Ordnung allemal Vorrangvor demokratischen Meinungs-äußerungen haben.

  • 15

    Politische Straf- und Gesinnungsjustiz In der Bundesrepublik

    Eine halbe Million Betroffene“In der Zeit von 1950 bis 1955 wurden gegen Jugendliche, vorallem Jugendliche in der FDJ, wegen ihres Kampfes gegen dieRemilitarisierung 35 000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, 6429 Jugendliche wurden verhaftet und in 425 Prozessen zu 1012Jahren Gefängnis verurteilt. 15 000 Jugendliche wurden im glei-chen Zeitraum wegen ihrer Teilnahme an Kundgebungen, De-monstrationen und sonstigen Veranstaltungen gegen die Remi-litarisierung vorübergehend inhaftiert. Von 1952 bis 1954 wur-den mehr als 8 000 politische Strafverfahren durchgeführt.”(Otto Schönfeldt, Intendant a. D., Mitglied des Arbeitsausschussesdes Zentralen Arbeitskreises für die Aufhebung des KPD-Verbots.)

    Bis 1963 waren über 200 000 Er-mittlungsverfahren, verbundenmit polizeilichen Haussuchun-gen, Beschlagnahmungen, Ver-nehmungen, Verhaftungen, Ent-

    lassungen aus Betrieben undBehörden durchgeführt wor-den. Schon früher hatte Dr.Ammann mitgeteilt, daß sichdiese Verfahren nicht nur gegen

    einzelne, sondern oft gegenmehrere Personen richteten,wodurch auch die Familienan-gehörigen, Arbeitskollegen undNachbarn in Mitleidenschaftgezogen wurden, so daß, nachden Worten von Dr. Ammann,“mindestens aber eine halbeMillion überschreitende Zahlvon Menschen unmittelbaroder mittelbar in strafrechtlichepolitische Verfolgungsmaßnah-men einbezogen und damit ver-ängstigt, eingeschüchtert undunter Druck gesetzt” wurde.(Berichte vom Initiativaus-schuß der Verteidiger in poli-tischen Strafsachen und für dieAmnestie 1961 und 1963, aus.KPD-Verbot - Ursachen undFolgen, Frankfurt, VMB, o. J.S. 33/34)

    Diese Verfolgungsmaßnahmenwurden immer weiter fortge-setzt. Selbst das amtliche “Sta-tistische Jahrbuch” der Bun-desrepublik gibt für die Jahre1964 und 1965 eine Gesamtzahlvon 16 850 Verfahren gegenKommunisten und andere De-mokraten und Linkskräfte an.Von da an hat die Bundesregie-rung verfügt, daß keine amtli-chen Zahlen mehr hierüber ver-öffentlicht werden dürfen.

    Berufsverbote

    Mit dem sogenannten “Radika-lenerlaß” der Länderregie-rungschefs und des Bundes-kanzlers vom 28. Januar 1972hat eine neue Welle der syste-matischen Verfolgung vonKommunisten und anderen fort-schrittlichen Demokraten einge-

    setzt. Mehr als drei MillionenMenschen wurden seitdem aufihre politische Gesinnung über-prüft, über 10 000 Berufs-verbotsverfahren wurden, ein-geleitet. In etwa 1 000 “Fällen”wurden Berufsverbote voll-streckt, davon noch 1987 etwa20. (Nach Veröffentlichungendes Arbeitsausschusses der In-itiative “Weg mit den Beruft-verboten”.)

    Blockadeaktionen vorMilitäranlagen

    Eine beispiellose Prozeßwelle istnoch immer gegen die Friedens-bewegung im Gange. Am 30.November 1984 schreibt “DieZeit: .”Mindestens 5 500 Demon-stranten sind in der Bundesre-publik seit der ersten ge-waltfreien Blockade in Groß-engstingen im Jahre 1981 straf-rechtlich verfolgt worden. Alleinwegen der Aktionswoche derFriedensbewegung vom 13. bis19. Oktober (1983) registriertedas Bundesinnenministerium 3000 Ermittlungsverfahren!”Doch die Aktionen der Friedens-bewegung gingen weiter - undleider auch die Strafverfahren we-gen “verwerflicher Nötigung”.Inzwischen werden bereits Auf-rufe zu Friedensaktionen straf-rechtlich verfolgt. Dutzende De-monstranten, darunter ehemali-ge KZ-Häftlinge, Pastoren undStudenten, mußten teilweisemehrwöchige Haftstrafen wegenihres Friedensengagements ver-büßen. Allein beim AmtsgerichtSchwäbisch Gmünd waren rund3 000 Verfahren anhängig.

    Die Not der politisch Verfolgten

    Über die Folgen der Inhaftierungen auch In anderen Fällenin ihrer Stadt sagte Hannelore Nowak auf einem Kongreßgegen das KPD-Verbot im Jahre 1967:

    “Als man meinen Mann im Jahre 1961 verhaftete, wurden mitihm noch 30 andere Männer allein in Bochum in U-Haft genom-men. Bei etwa 60 Familien wurden Haussuchungen durchgeführt.30 Frauen standen plötzlich allein, zum Teil mit minderjährigenKindern. Nicht genug, daß die Männer verhaftet waren, die Er-nährer der Familien. Es folgten Entlassungen von der Arbeitsstel-le. Vielen Familien wurden die Werkswohnungen gekündigt.”

    Frau Nowak führte dann aus, vor welch schwierigen Problemesich die Frauen in der Familie und gegenüber ihren Nachbarn ge-stellt sahen, denen die Situation kaum begreiflich zu machen war.Noch schwerer hätten es die Kinder in der Schule gegenüber denLehrern und Mitschülern gehabt.

    Auf die schweren wirtschaftlichen Folgen und die Not der Betrof-fenen eingehend, schilderte Frau Nowak die rigorosen Maßnah-men, die Zwangsräumungsbefehle, Zwangsräumungen der Woh-nungen der verfolgten Familien, der Gerichtsvollzieher und oftmehrmaligen hohen Vollstreckungskosten. Frauen mit mehrerenKindern gerieten in Not und seien auf die Fürsorgeunterstützungangewiesen gewesen. Sie selbst habe ein sechzehn Monate altesKind in Pflege genommen, deren Mutter beim Besuch ihres Man-nes im Gefängnis aus politischen Gründen verhaftet worden sei.

  • 16

    Richter: Karl Schabrod!Schabrod tritt zwei Schritte vor

    Chor: Seht nur, wie er da stehtund sich immer noch regt.Seht ihn euch genau an,den Volksverräter und KZ-Muselman.Seht nur, wie er da immer noch steht.Zeigt’s ihm, wie es einem ergeht,der nichts dazugelernt hat.

    Richter: Es widerstrebt mir, dem Angeklagten seine Vorstrafen aus na-tionalsozialistischer Zeit vorzurechnen. Ich möchte ihn nicht als einschlägigVorbestraften einstufen, aber genannt werden muß es hier: Der Ange-klagte - 1924 in jugendlichem Alter in die KPD eingetreten - hatte in denJahren 1933 bis 1945 ganze vier Monate in Freiheit verbracht, die übrigeZeit verbüßte er Haftstrafen in Zuchthäusern und Konzentrationslagern.Wegen “Hochverrat” verhängte das Oberlandesgericht Dortmund 1934lebenslänglich Zuchthaus, nachdem der Staatsanwalt zuvor die Todes-strafe beantragt hatte.

    Schabrod: Nach dem Krieg war 13 Jahre Ruhe,erst 1958 stand ich wieder vor Gericht.Diesmal wegen “Staatsgefährdung”.Insgesamt dreimal,13 Monate Gefängnis.

    Sprecher: Bis 1954 war Schabrod Abgeordneter des Landtages vonNordrhein-Westfalen und bis zum Verbot der KPD 1956 Ratsherr derStadt Düsseldorf. Danach versuchte er, als “Unabhängiger” bei den Land-tagswahlen zu kandidieren; als ihm das verboten wurde, gründete er die“Kommunistische Wählergemeinschaft”. Gleichzeitig gab er die Halb-monatszeitschrift “Die freie Meinung” heraus. Die Strafkammer begrün-dete Schabrods Verurteilung mit dem Hinweis, er sei im Auftrag derverbotenen KPD tätig gewesen. Die Strafkammer hatte indessen die Her-ausgabe der Zeitschrift nur in Verbindung mit seiner Kandidatur als straf-bare Handlung gewertet. Vor und nach seiner Verurteilung ließen, dieBehörden die “Freie Meinung” unbehelligt weitererscheinen. Erst 1960erließ der Düsseldorfer Polizeipräsident eine Verbotsverfügung, die aufEinspruch Schabrods 1964 vor dein Verwaltungsgericht Düsseldorf zurVerhandlung kam und aufgehoben wurde.

    Schabrod: Das war für mich aber kein Triumph, denn seit vier Jahrengab es die “Freie Meinung” nicht mehr. Außerdem wurde ich dazu verur-teilt, meinen Beruf als Journalist nicht mehr auszuüben; die bürgerlichenEhrenrechte wurden mir aberkannt. Ende 1967 Kam die Gerichtskosten-rechnung: 2 590,30 Mark, die ich binnen 14 Tagen zahlen sollte.

    Faktenmitteiler Zuvor war ihm seine KZ-Rente (gesundheitliche Schä-den aus 143 Monaten KZ und Zuchthaus) entzogen und gleichzeitig dasRecht aberkannt worden, politisch Verfolgter des NS-Regimes gewesenzu sein. Damit verlor er jeden Anspruch auf Wiedergutmachungs-leistungen; zum Beispiel Heilbehandlung, Ausbildungsbeihilfe für seineTochter und Ersatz für den erlittenen Berufsschaden von 1933 bis 45 inHöhe von ca. 80 000 Mark.

    Staatsanwalt: Kurt Baumgarte, Ahlen bei HannoverKurt Baumgarte tritt vor

    Chor: Auch dieser unverbesserliche Kommunist glaubt noch, daß erunschuldig ist. (Cha Cha Cha) Hat auch schon 10 Jahre in Haft ver-bracht, das hat ihn keinen Deut klüger gemacht.

    Staatsanwalt: Die neuerliche Verhaftung dieses gefährlichenGewohnheitstäters verlief unter allen nur möglichen Sicherheitsvorkeh-rungen. Eine Straße wurde abgesperrt, ein Aufgebot von 11 Polizeifahr-zeugen machte ein Entkommen unmöglich.

    2 Verfassungsschützer treten hervor

    1. Verfassungsschützer: Kurz vor Mitternacht stellten wir ihn aufoffener Straße. Er hatte vermutlich einen Genossen aus seiner KZ-Zeitaufgesucht und befand sich auf dem Heimweg. Wir haben mit mehrerenBeamten den Baumgarte geschnappt und ihm den Mund zugehalten. Undda er seine Beine steif machte, als wir ihn ins Auto schaffen wollten,habe ich ihm in die Kniekehlen geschlagen, damit wir ihn besser hinein-kriegten.

    Eine weibliche Angeklagte tritt seitlich aus der Reihe heraus mit Ge-sicht zum Publikum, 2 Verfassungsschützer nehmen sie in die Mittemit dem Rücken zum Publikum.

    Richter: Eine anschließende Haussuchung bei der Frau des Beschul-digten, die sehr sorgfältig bis 2 Uhr nachts durchgeführt wurde, er-brachte kein brauchbares Beweismaterial. Auch eine Leibesvisitationverlief bei Emma Baumgarte ergebnislos, obwohl man die Frau ihre Klei-der ablegen ließ.

    2. Verfassungsschützer: Ihr Mann ist ein Verbrecher!

    1. Verfassungsschützer: Wenn er jetzt hier wäre, würde ich ihmwelche in die Fresse schlagen.

    Sprecher: Baumgarte verbringt zehn Monate in U-Haft.

    Richter: Da nach dieser Zeit die erforderlichen Beweise noch nichtvollständig erbracht waren, wurde Baumgarte vorübergehend auf frei-en Fuß gesetzt.

    Baumgarte: Ich mußte 10 000 Mark Kaution aufbringen.Ich mußte mich täglich auf der zuständigen Polizeistelle meiden.Ich mußte mich innerhalb der Gemeinde Ahlenaufhalten - in einem Raum von einigen hundert Metern im Umkreis.

    Faktenmitteiler: Die IV. Strafkammer des Lüneburger Landgerichts ver-urteilte Baumgarte zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis auf Grundvon anonymen Zeugenaussagen.

    Staatsanwalt: Das Gesuch des Inhaftierten auf bedingte Freilassungnach zwei Dritteln der Strafe wird hiermit abgelehnt. Begründung: Eskann nicht erwartet werden, daß der Verurteilte in Zukunft ein gesetz-mäßiges Leben führt. Die Hauptverhandlung hat gezeigt, daß Baumgarteein engagierter Parteigänger der verbotenen KPD ist, der sich seit dem14. Lebensjahr aktiv für die KPD betätigt hat - lediglich unterbrochendurch die Inhaftierung in Zuchthäusern und Konzentrationslagern von1936 bis 45. Das Verbot der KPD hat den Verurteilten, der nun ein Mannim reifen Alter ist, nicht davon abgehalten, in der illegalen Partei mitzuwir-ken. Eine bedingte Entlassung kommt hiernach nicht in Betracht.

  • 17

    Faktenmitteiler: Aufgrund einer weltweiten Protestaktion kommt Baum-garte nach 18monatiger Inhaftierung vorzeitig frei. Die Körperschaden-rente wird ihm gestrichen; er unterliegt wöchentlicher polizeilicher Mel-depflicht. Auslands- und DDR-Reisen bedürfen vorheriger Anmeldungund Genehmigung.

    Richter: Werner Müller. Hannover

    Werner, Müller tritt zwei Schritte, vor.

    Richter: Sie stehen hier, weil Sie als Angestellter der “Arbeitsgemein-schaft Frohe Ferien für alle Kinder” Reisen von Kindern aus der Bundes-republik in Ferienlager der DDR vermittelt hab en. Das Gericht hat nun1962 die Organisation nachträglich für verfassungswidrig erklärt. Ichsehe mich daher gezwungen, das erforderliche Urteil: 10 Monate Ge-fängnis auszusprechen. Die Strafe wird jedoch zur Bewährung ausge-setzt, da die vorbildliche Führung des Angeklagten im 2. Weltkrieg alsSoldat strafmildernd anzurechnen war. (Unruhe) Der soldatische Ein-satz in Gesinnung und Opferbereitschaft trägt seinen Wert in sich selbst,und muß deshalb ohne Rücksicht darauf gewertet werden, welche Zie-le die politische Führung mit diesem Einsatz erstrebt.

    Beifallsbekundungen

    Einzelne aus dem Chor:Doch Müller ist ein Verräter,er dankt es ihnen nicht.Knapp drei Monate später

    wird er wieder erwischt.Er steht in Verdacht,das heißt, er hat gemacht‘n illegales hektographiertes Blatt,den Conti-Arbeiter,da war er Mitherausgeber und Verbreiter.Die Aktion war für Müller ‘ne Pleite,ihm standen dabei noch zur Seitezehn Arbeiter von Continental,die machten’s zum erstenmal.Die Richter gehörten zu den Schlappen,acht Täter gingen ihnen durch die Lappen.Obwohl die Ermittlungen über’n Jahr liefen,fanden sie keine Indizien.Die Beweisführung verlief im Sande,der Prozeß kam nie zustande.Alle: Doch - die Firma war konsequent,drum ihr auch unser Kompliment:die konnten ihre Unschuld noch so beteuern,die Firma tat sie allesamt feuern.Nur Müller war fürs Gericht interessant,er war ja dort auch schon bekannt -für ihn ein doppeltes Verhängnis:Bewährung verwirkt - zwei Jahre Gefängnis.

    * Das Theaterstück von Günter Wallraff wurde uraufgeführt am15. Juni 1968 in Recklinghausen, Ruhrfestspiele Junges Forum.Erschienen in der Edition Voltaire.

    KnastnotizenVon Willi Nowak

    Als Willi Nowak aus Bochum(Foto) im Frühjahr 68jährig starb,hinterließ er ein zeitgeschichtlichund literarisch einmaliges Doku-ment: ein Tagebuch eines politi-schen Gefangenen der Adenauer-Ära. Der Kommunist Willi Nowakhat insgesamt 28 Monate geses-sen und kam erst 1968 endgültigfrei. Die “Knastnotizen”, so nann-te sie der Autor, entstanden um dieJahreswende 1961/62. Hier einAuszug daraus.

    Das friedliche Haus liegt auf einemAusläufer der Ruhrberge, auf demHedberg. Von hier aus kann man in dasRuhrtal blicken. Bei klarem Wettersieht man den Langenberger Sender,und man hat das Panorama des Bergi-schen Landes vor sich. Einige Metervorm Hause bestellt ein Bauer seineFelder. Und wenn man ein paar hun-dert Meter läuft, ist man schon in ei-nem Wald. Nicht weit von der Stadt unddoch so ein ruhiges Plätzchen.

    Der Hausfrieden wird gebro-chen

    Am 24. November 1961 ändert sichdie Lage blitzartig. Morgens gegen 8.00Uhr klingelt es bei Nowaks. Willi, derspät nach Hause gekommen war, öff-nete die Tür. Zwei junge Herren kom-men die Treppe herauf. Beide stürmenvorwärts, schieben die Korridortüre aufund stoßen ihn zur Seite. Meine Güte,denkt er, das sind ja Räuber, die dichüberfallen wollen. Trotz seiner Angstnach dem ersten Schreck brüllt er ausLeibeskräften, um auch die Nachbarnzu alarmieren. “Was fällt Ihnen ein, in

    meine Wohnung einzudringen?” Erwollte sich gerade auf sie stürzen, alssie in ihre Tasche faßten und jeder eineBlechmarke hervorholte, wobei sie ko-misch, wie einstudiert, im Sprechchorsagten: “Polizei”. Man hatte den Ein-druck, daß sie anschließend prüfenwollten, ob ihnen ihre “Überraschung”vollauf gelungen sei.

    Sie war in der Tat gelungen. An ih-rem Benehmen konnte man merken,daß sie sich auf diese Weise schon an-derswo Einlaß in Wohnungen erzwun-gen hatten.

    Nun meinte einer, von ihnen mitsichtlich erzwungener Höflichkeit, obder vor ihnen Stehende “Herr Nowak”sei. Als Willi das bejahte, sagte der an-dere: “Wir möchten mit Ihnen spre-chen.” Er antwortete ihnen, daß er garkeine Lust habe, sich mit ihnen zu un-terhalten. Er wolle wissen, wie sie hei-ßen und wag sie wollen, damit er sieanzeigen könne wegen Hausfriedens-bruchs. “Wo ist ihr polizeilicher Aus-weis oder ein richterlicher Befehl?”Höhnisch,. lächelnd sagte einer von ih-nen: “Wir wissen schon, was wir tun

  • 18

    und kennen unsere Befugnisse und dieGesetze. Wir können auch unter An-wendung von Waffengewalt erzwin-gen, was wir hier durchzuführen haben.Unsere Namen nennen wir nicht, unddie Ausweise bekommen Sie auch nichtzu sehen.’

    Inzwischen waren Hannelore - nochim Morgenrock - und Willis Mutter; diein diesen Tagen zu Besuch da war, inden Korridor gekommen. Willis Gedan-ken überschlugen sich. Sollten das tat-sächlich Polizeibeamte sein, die zu ihmkamen wie Einbrecher, nur weil erKommunist ist? Machten die es schonwieder wie die Nazis?

    Er zwang sich zur Ruhe und fragte:“Sind Sie von K 14?” Worauf er diebelehrende Antwort erhielt: “So wie Siedas sagen, sagen es nur die Kommuni-sten. Daran können wir sie immer er-kennen. Wir sind von dem 14. K.” Al-les, was wir tun, ist gesetzlich. Wir wis-sen schon, was wir machen, wir habenErfahrung darin. Und wenn Sie sichnoch weiter so störrisch benehmen,dann werden Sie bald lecker ausse-hen.”

    Die Verhaftung der Mainelke

    Als. die beiden merkten, daß Willies ganz ernst meinte, denn er spielteschon mit dem Gedanken, sie wennmöglich durchs Fenster zu transportie-ren, zeigten sie ihm ihre Ausweise undnannten - wie gefordert - ihre Namen.Dabei erklärten sie, daß sie den Auf-trag hätten, ohne Durchsuchungsbefehleine Hausdurchsuchung durchzufüh-ren. Nun gab es keinen Zweifel mehr.Das waren Leute von der Kripo, dieihren Dienst versahen wie die Gesta-po.

    Nun wühlten die zwei in Schränken,Tischen, Betten und Kommoden, sie.schauten unter Teppiche, hinter Gardi-nen und Bilder. Sie beschlagnahmtenBücher, in denen z. B. 800 westdeut-sche Richter benannt sind, die anNazikriegs- und Sondergerichten Blut-urteile fällten. Darin sind auch elf heu-tige Bochumer Richter genannt. Sogarzwei rote Papiernelken, die sich Han-nelore und Willi an jedem 1. Mai an-stecken, wenn sie zur Maikundgebungdemonstrieren, wurden als staatsge-fährdend beschlagnahmt.

    Das Bundesverfassungsgericht hatdie KPD am 17. August 1956 verbotenund ihr jede Tätigkeit untersagt. Umauch den kleinsten Zweifel zu beseiti-gen, ob das Verbot nicht doch mit Hit-lers Verbot der KPD vergleichbar sei,haben Gerichte in der Bundesrepublikin Urteilen in den folgenden Jahren fest-gestellt: “...daß es in der Bundesrepu-blik Deutschland jedem freisteht, sichmit der kommunistischen Ideologie ver-traut zu machen und sich vielleicht so-gar von ihr überzeugen zu lassen. Ge-sinnung und Überzeugungen sind nichtstrafbar!” (Urteil der Strafkammer desLandgerichts Dortmund)

    Doch Willi hat schwerwiegendeGründe, an der Ernsthaftigkeit solcherUrteile zu zweifeln. Denn zu den letz-ten Bundestagswahlen wollten einigeehemalige Mitglieder der KPD, KarlSchabrod, Emil Sander, Albert Stasch,Max Heitland, Josef Schröder und Karl-Heinz Mahlhofer, im Ruhrgebiet kan-didieren. Sie hatten vor, ihre Meinungals Kommunisten den Wählern zu ak-tuellen Fragen zu unterbreiten. Sie be-gannen damit in aller Öffentlichkeit undhaben mit keinem Wort die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bun-desrepublik bekämpft.

    Man ließ sie erst gar nicht dazukommen, ihre kommunistische Ideolo-gie zu verbreiten, und zu versuchen,andere davon zu überzeugen. Sie wur-den kurzerhand eingesperrt mit der Be-gründung des Verdachts, die Tätigkeitder verbotenen KPD fortzusetzen. Esscheint, so dachte Willi, doch nicht ganzmit dem vielgepriesenen Urteil zu stim-men. Nun, das wird er jetzt gemeinsammit seinen Leidensgenossen prüfenkönnen.

    Im Polizeipräsidium

    Während Willi im Polizeipräsidiumnoch Überlegungen über diese und jeneDinge anstellt, kamen ihm zwei Män-ner entgegen. Den einen kannte er doch.Natürlich, es war ein Kollege vom Bo-chumer Verein. Das heißt, der war malauf dem Stahlwerk Bochumer Verein.Vor etwa eineinhalb Jahren, , als derBetriebsrat Schröder fristlos entlassenwurde, streikte die Hochofen-belegschaft, um seine Wiedereinstel-lung zu erzwingen. Selbst die Vorge-

    setzten waren wegen dieser Entlassungin hellster Empörung.

    Die Belegschaft streikte einmütig,weil sie diese Willkür der Direktion ver-hindern wollte. Doch die im Streik-kampf unerfahrene Belegschaft desHochofens wurde übertölpelt. IhreKampfkraft wurde gelähmt, indem manzwei weitere Kollegen, einen Vertrau-ensmann und einen Sprecher der Ver-trauensleute, ebenfalls fristlos entließ.Der Grund der Entlassung? Die Ver-trauensmänner des Hochofens hattenzu der damals geplanten Vierer-Gipfel-konferenz einstimmig eine Willenserklä-rung beschlossen und abgesandt, in dersie die vier Staatsmänner aufforderten,ein Abkommen über die allgemeine undtotale Abrüstung, insbesondere Überdie Vernichtung der Atomwaffen zuberaten , damit der Alpdruck des Krie-ges von der Menschheit genommenwürde.

    Das wurde von der Direktion alskommunistische Unterwühltätigkeit be-trachtet. Darum der Terror gegen dievon der Belegschaft gewählten Vertre-ter. Und der Sprecher der Hochofen-Vertrauensleute war derjenige, der daan Willi vorbeigeführt wurde und jetztwohl eingesperrt werden sollte.

    Willi kennt sehr viele Kollegen vomBochumer Verein, denn er hat dortMaschinenschlosser gelernt und warnach dem Kriege auch wieder auf demBochumer Verein beschäftigt.

    Vernehmung

    Nun kam K-14-Mann Münster undbegann mit der “Vernehmung”. Nach-dem die Personalien aufgenommenwaren, war die Vernehmung beendet.Denn Willi wußte, daß er weder bei derPolizei noch bei dem Untersuchungs-richter als Beschuldigter Aussagen zurSache zu machen braucht. Und selbstwenn er es “gemußt” hätte, er hätte esnicht getan.

    Münster erklärte jetzt, etwa gegen14.00 Uhr, was der angebliche Grundder Haussuchung gewesen sei. Näm-lich: Willi werde beschuldigt, Papier fürdie illegale Betriebszeitung der KPD fürden Bochumer Verein besorgt und be-schriebene Matritzen übergeben zuhaben. Fast sechs Stunden nachdem in

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    seiner Wohnung die Haussuchung ge-gen seinen Protest unter “Schutz” vonuniformierten Polizeibeamten ohne rich-terlichen Befehl durchgeführt wurde,erfährt er den angeblichen Grund.

    Willi mußte daran denken, daß dieverbotene KPD in Bochum vor einigerZeit ein gedrucktes Flugblatt herausge-geben hat. Darin wurden sensationelleEnthüllungen gemacht, daß der Ober-kommissar Kraiker, der immer noch imBochumer Polizeipräsidium Dienst tut,ein abgebrühter Nazi-Mörder sei.

    Als Kompanieführer einer Polizei-einsatztruppe im Osten hat er seinenLeuten gestattet, nach ihrem eintönigenDienst der dauernden Erschießungenzur Abwechslung auf andere Art zutöten. Mal wurden lebende Menschenin Latrinen geworfen, wo sie vor denAugen der gelangweilten Polizeitruppenmit dem Tode rangen, bis sie im Koterstickten.

    Willi Nowak notierte sich weiter:Zahnbürste, Zahnpasta, Seife undHandtuch durfte ich am Schluß dochnoch, mitnehmen. In diesem Raum binich schon oft gewesen. Damals, 1951,waren etwa 20 Kommunisten in Bo-chum eingesperrt, wir besuchten siehier. Allerdings saßen diese Genossennicht wegen Staatsgefährdung, sondernwegen Vergehen gegen die Besat-zungsmacht.

    Ich dachte daran, wieviele Kommu-nisten schon durch Bochums Gefäng-nis gegangen waren. Manche habensich böse Krankheiten geholt. AlfonsBiszewski und Franz Meichsner ausBottrop sind hier gesund ins Gefängnisgekommen. Als sie heraus kamen, wa-ren sie tuberkulosekrank.

    Der Nazi

    Karl Jungmann hat hinter diesenGefängnismauern so, gar sein Lebengelassen. Er hat des nachts wie wildan die Türe getrommelt und g