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Sonderdruck aus: Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 53 Varia neolithica V Mobilität, Migration und Kommunikation in Europa während des Neolithikums und der Bronzezeit Beiträge der Sitzungen der Arbeitsgemeinschaften Neolithikum und Bronzezeit während der Jahrestagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung e. V. in Xanten, 6. – 8. Juni 2006 Herausgegeben von Alexandra Krenn-Leeb, Hans-Jürgen Beier, Erich Claßen Frank Falkenstein und Stefan Schwenzer BEIER & BERAN. ARCHÄOLOGISCHE FACHLITERATUR LANGENWEISSBACH 2009

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Sonderdruck aus:

Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 53

Varia neolithica V

Mobilität, Migration und

Kommunikation in Europa während des

Neolithikums und der Bronzezeit

Beiträge der Sitzungen der Arbeitsgemeinschaften

Neolithikum und Bronzezeit während der Jahrestagung

des West- und Süddeutschen Verbandes für

Altertumsforschung e. V. in Xanten, 6. – 8. Juni 2006

Herausgegeben von

Alexandra Krenn-Leeb, Hans-Jürgen Beier, Erich Claßen Frank Falkenstein und Stefan Schwenzer

BEIER & BERAN. ARCHÄOLOGISCHE FACHLITERATUR LANGENWEISSBACH 2009

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Es ist nicht gestattet, diese Arbeit ohne Zustimmung von Verlag, Autoren und Herausgebern ganz oder aus-zugsweise nachzudrucken, zu kopieren, in andere Sprachen zu übertragen oder auf sonst irgendeine Art zu vervielfältigen. Gleiches gilt auch für die fototechnische oder elektronische Speicherung. Bezüglich Fotoko-pien verweisen wir nachdrücklich auf §§ 53, 54 UrhG.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Bibliographische Information Der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Impressum

Verlag: Beier & Beran. Archäologische Fachliteratur

Thomas-Müntzer-Str. 103, Weißbach, D-08134 Langenweißbach Tel. 037603 / 3688. Fax 3690

Internet: www.beier-beran.de, Email [email protected] Redaktion: Hans-Jürgen Beier (Langenweißbach), Erich Claßen (Ingolstadt), Frank Falkenstein

(Würzburg), Alexandra Krenn-Leeb (Wien) und Stefan Schwenzer, Berlin Satz/Layout: Hans-Jürgen Beier, Langenweißbach Druck: Verlag Herstellung: Buchbinderei Reinhardt

Weidenweg 17, 06120 Halle/Sa. Preis: 35,00 EUR Vertrieb: Verlag

oder jede andere Buchhandlung online unter www.archaeologie-und-buecher.de

C: Copyright und V. i. S. d. P. für den Inhalt liegen bei den jeweiligen Autoren ISBN 978-3-941171-27-05 hergestellt in der Bundesrepublik Deutschland / printed in Germany

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Inhalt

Vorwort

1 – 2

Hans-Jürgen Beier Überlegungen „Wandern oder nicht Wandern – das ist hier die Frage“. Einige theoretische Über-legungen zur Möglichkeit des Nachweises eines archäologischen Wunschtraumes

3 – 5

Stefan Schwenzer Kommunikationskonzepte in der prähistorischen Archäologie

7 – 19

Peter J. Suter & Albert Hafner Lenk, Schnidejoch. Funde aus dem Eis – ein vor- und frühgeschichtlicher Passübergang im Berner Oberland, Schweiz

21 – 30

Roland Prien Variationen eines Themas: Die Ausbreitung der ältesten linienbandkeramischen Kultur in Mittel-europa als Beispiel für eine neolithische Wanderungsbewegung

31 – 37

Valeska Becker Idole des südosteuropäischen Frühneolithikums und der Linienbandkeramik. Wanderung einer Glaubensvorstellung

39 – 48

Joanna Pyzel Migration und Kontakte in der Bandkeramik Kujawiens

49 – 52

Corinna Knipper & T. Douglas Price Individuelle Mobilität in der Linearbandkeramik: Strontiumisotopenanalysen vom Gräberfeld Stuttgart-Mühlhausen „Viesenhäuser Hof“

53 – 63

Ute Seidel Michelsberger Erdwerke im Raum Heilbronn – Kultort oder Fluchtburg?

65 – 72

Jonas Beran Trichterbecherkultur und donauländische Restgruppen. Populationsdynamik zwischen nord-deutscher Tiefebene und Mittelgebirgszone im Lichte neuer paläogenetischer Untersuchungen

73 – 87

Renata Zych The Funnel Beaker Culture Settlement of the Sandomierz Valley

89 – 94

Thomas Link Das Ende der spätneolithischen Tellsiedlungen im Karpatenbecken – der Beginn einer mobile-ren Lebensweise?

95 –101

Agatha Reingruber Mobilität an der Unteren Donau in der Kupferzeit: Pietrele im Netz des Warenverkehrs

103 – 111

Daniela Kern Überlegungen zu Mobilität und Migration im Endneolithikum Ostösterreichs am Beispiel des Unteren Traisentales

113 – 119

Eric Drenth & Eric Lohof Mobilität während des Endneolithikums und der Bronzezeit. Eine allgemeine Übersicht für die Niederlande

121 – 132

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Tobias Kienlin Anmerkungen zu Gesellschaft und Metallhandwerk der Frühbronzezeit

133 – 146

Stijn Arnoldussen Dutch Bronze Age residential mobility: a commentary on the ‘wandering farmstead’ model

147 – 159

David Fontijn Mittelbronzezeitliche Kriegergräber und Waffendeponierungen in Nordbelgien und den Niederlanden

161 – 169

Immo Heske Kultpersonal in einer fremden Welt. Deponierungen mit gegossenen Bronzebecken an der Peripherie der Nordischen Bronzezeit

171 – 179

Marianne Mödlinger Herstellung und Verwendung bronzezeitlicher Schwerter in Österreich

181 – 188

Claudia Pankau Das Wagengrab von Königsbronn, Kr. Heidenheim – Spätbronzezeitliche Verkehrs- und Kom-munikationswege in Süddeutschland

189 – 195

Barbara Horjes Alltagskulturen und Eliten zwischen Karpatenbecken und Ägäis. Verschiedene Kommunikati-onsmodelle?

197 – 207

Julia Katharina Koch Zwischen Diplomatie und Abenteuer? Möglichkeiten der Auswertung mediterraner Schriftquellen des 2. Jt. v.Chr. aus der Sicht der mitteleuropäischen Archäologie

209 – 216

Tobias Mühlenbruch Die Burg von Tiryns im Rahmen postpalatialer mykenischer Mobilität

217 – 225

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Das Ende der spätneolithischen Tellsiedlungen im Karpatenbecken – der Beginn einer mobileren Lebensweise?

von Thomas Link

Um die Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. spielt sich im Karpatenbecken ein tief greifender kultureller Wandel ab: der Übergang vom Spätneolithikum zur frühen Kupferzeit bzw. zum frühen Äneolithikum (Abb. 1). Neben dem Auf-blühen der Kupfermetallurgie kommt es zu grundlegenden Veränderungen der Siedlungsweisen und Bestattungssit-ten. Die für das mittlere und späte Neolithikum des südöst-lichen Karpatenbeckens charakteristischen Tellsiedlungen verschwinden; die äneolithischen Siedlungen sind deutlich kleiner und weniger ortskonstant. Auch die kupferzeitlichen Häuser sind kleiner und insgesamt leichter konstruiert als die massiven Bauten des Neolithikums. Während aus dem Spätneolithikum vor allem Siedlungsbestattungen bekannt sind, treten in der frühen Kupferzeit große, von den Sied-lungen getrennte Gräberfelder auf, deren Beigabenaus-stattung Anhaltspunkte für eine soziale Differenzierung der Gesellschaft erkennen lässt (Bognár-Kutzián 1972, 150–158; 212; 219–220; Lichter 2001, 209–223; 267–293). Andererseits lassen sich auch eindeutige Kontinuitäten zwischen Spätneolithikum und Frühkupferzeit feststellen, am deutlichsten in der bruchlosen Entwicklung der Kera-mik. Es stellt sich somit die Frage, ob die siedlungs- und kulturgeschichtlichen Veränderungen, die am Übergang vom Spätneolithikum zum frühen Äneolithikum zum Ende der Tellsiedlungen führen, als relativ schneller Umbruch oder als allmählicher Wandel zu verstehen sind.

Tellsiedlungen verbreiten sich, ausgehend von Vorder-asien, ab der zweiten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. auch in Südosteuropa (Schier 2005, 10 Abb. 2). Seine nordwestliche Verbreitungsgrenze erreicht das Tellphäno-men gegen Ende des 6. Jahrtausends v. Chr. im südöstli-chen Karpatenbecken. Dort existieren Tells lediglich in einem Zeitraum von weniger als einem Jahrtausend; be-reits in der Mitte des 5. Jahrtausends brechen sie wieder ab. Erst in der Frühbronzezeit, etwa 2000 Jahre später, bilden sich erneut Siedlungshügel (Gogâltan 2002). Inner-halb des Karpatenbeckens ist die Verbreitung der neolithi-schen Tells auf die Tiefebenenlandschaften östlich der Theiß und südlich der Drau beschränkt. Wegen ihrer

Mehrschichtigkeit wurden Tells in ihrem gesamten Verbrei-tungsgebiet zur bestimmenden Grundlage der relativen Chronologie, durch die forschungsgeschichtliche Fixierung auf die Siedlungshügel und eine entsprechende Vernach-lässigung der ebenfalls existierenden Flachsiedlungen wird das archäologische Bild vieler Regionen Südosteuropas und des Karpatenbeckens allerdings übermäßig durch Tells geprägt.

Im Folgenden sollen zunächst einige grundlegende Überlegungen zu den für die Bildung von Siedlungshügeln ausschlaggebenden Faktoren dargelegt werden. Weiterhin ist zu klären, inwiefern das Verschwinden der Tells einen zeitlich begrenzten Horizont darstellt. Durch die Gegen-überstellung neolithischer und äneolithischer Bau- und Siedlungsformen werden im Anschluss die mit dem Ver-schwinden der neolithischen Tells einhergehenden Verän-derungen konkretisiert. Auf dieser Grundlage soll schließ-lich diskutiert werden, welche siedlungs- und kulturge-schichtlichen Hintergründe und Prozesse das Phänomen erklären könnten und ob in diesem Zusammenhang Migra-tionen oder veränderte Mobilitätsmuster eine Rolle spielen.

Um die Frage des Verschwindens der Tells am Beginn

der Kupferzeit und allgemein die Bedeutung der Tells für die siedlungsgeschichtliche Entwicklung bewerten zu kön-nen, müssen zunächst die Voraussetzungen für ihre Ent-stehung und die Unterschiede zwischen Tell- und Flach-siedlungen untersucht werden. Unabdingbar für die Ent-stehung eines Siedlungshügels ist die Verwendung von Baumaterialien, die akkumulationsfähig, d. h. unter den jeweiligen Umweltbedingungen erhaltungsfähig und erosi-onsbeständig sind. Vor allem Lehm begünstigt die Schichtbildung, insbesondere in verziegeltem Zustand. In den klassischen neolithischen Siedelgebieten ist er ein reichlich verfügbarer und leicht zugänglicher Baustoff und wird in großen Massen verbaut. Die Akkumulationsfähig-keit des Lehmmaterials hängt von den Umweltbedingun-gen ab, trocken-warmes Klima begünstigt das Schicht-wachstum. Die Bildung von Siedlungshügeln scheint damit

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Abb. 1: Chronologie und regionale Gliederung der mittelneolithischen bis mitteläneolithischen Kulturgruppen im Karpaten-becken. (Grafik Th. Link). in direkter Abhängigkeit von Umwelt- und Klimafaktoren zu stehen (Rosenstock 2005, 229–232). Gerade im Karpa-tenbecken sind jedoch häufig zeitgleich nebeneinander existierende Tell- und Flachsiedlungen mit weitgehend identischer Architektur zu beobachten – eine lehmreiche Bauweise allein führt also auch unter günstigen Umwelt-bedingungen nicht zwangsläufig zur Entstehung eines Tells. Gegen eine rein umwelt- und klimadeterminierte Erklärung des Tellphänomens spricht außerdem die schar-fe Grenze der Tellverbreitung im Karpatenbecken (Abb. 2). Die Umweltunterschiede zwischen der nordwestlichen und südöstlichen Tiefebene des Karpatenbeckens sind unzwei-felhaft geringer als jene zwischen Karpatenbecken und Vorderasien; dennoch verläuft die Grenze der Tellverbrei-tung inmitten der Tiefebene. Umweltgegebenheiten und Bauweise sind somit zwar Voraussetzungen für die Schichtbildung, für die Erklärung des Tellphänomens müs-sen aber noch andere Faktoren eine ausschlaggebende Rolle spielen.

Die Akkumulation größerer Mengen von Bauschutt wird durch eine hohe Bebauungsdichte erleichtert. Während manche Tells eine sehr enge Gruppierung der Häuser aufweisen, ist sie bei anderen jedoch kaum dichter als bei vielen zeitgleichen Flachsiedlungen (Chapman 1989, 45). Auch die Bebauungsdichte ist also ein zwar begünstigen-des, aber nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Tellentstehung. Entscheidend ist vielmehr die Bebauung desselben, relativ kleinen Platzes über mehrere Sied-lungsphasen hinweg. Der Schutt der älteren Bebauung

wird dabei nicht abgetragen, sondern am selben Ort über-baut, wodurch es zu sukzessiver Überdeckung und Schichtwachstum kommt. Flachsiedlungen zeigen dage-gen, auch bei längerer, kontinuierlicher Belegungsdauer eines Platzes, stärkere räumliche Fluktuationen innerhalb eines größeren Areals. Ausschlaggebend für die Bildung eines Siedlungshügels ist also neben der Verwendung von unter den gegebenen Umweltbedingungen akkumulations-fähigen Baumaterialien und einer gewissen Bebauungs-dichte vor allem die kleinräumige Ortskonstanz. Die Be-deutung der Ortskonstanz zeigt sich auch darin, dass bei einigen Tells zeitgleiche einschichtige Siedlungsareale in unmittelbarer Umgebung belegt sind (z. B. Polgár-Czısz-halom: Raczky 2000, 411) – während der Tell dicht und dauerhaft besiedelt ist, finden im äußeren Bereich bei identischer Bauweise stärkere räumliche Fluktuationen statt, weshalb es dort nicht zu Schichtwachstum kommen kann.

Als kleinere Hügel können auch Überlagerungen meh-rerer Flachsiedlungen am selben Ort in Erscheinung treten, deren einzelne Schichten nicht Teil einer kontinuierlichen Siedlungsentwicklung sind. Solche mehr oder weniger zufällig entstandenen Stratigraphien mit Tells gleichzuset-zen sollte vermieden werden. Neben der bloßen Existenz mehrerer Siedlungsschichten muss ein zusätzliches Defini-tionselement für Tells daher die Kontinuität der Siedlung über zwei oder mehr Schichten bzw. Bauphasen hinweg sein. Aus diesem Grund dürfen auch die auf verschiede-nen Tells vorhandenen kupferzeitlichen Schichten nicht als

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Beleg für die Existenz äneolithischer Tellsiedlungen miss-verstanden werden – in der Regel sind sie durch einen Hiatus vom neolithischen Schichtpaket getrennt und selbst nur von kurzer Dauer.

Die terminologische Trennung zwischen Tell- und Flachsiedlungen bzw. einschichtigen Siedlungen steht in der Realität einem fließenden Übergang zwischen beiden Gattungen gegenüber. Die definitorische Grauzone nimmt gerade im Karpatenbecken einen bedeutenden Anteil ein. Insbesondere in der ungarischen Forschung etablierte sich deshalb der Begriff der „tellartigen Siedlung“ für Fundorte, die durch „lockere Bebauung, eine relativ kleine Zahl von Siedlungsebenen und eine Stärke der Kulturschichten von 1 bis 2,5 m“ (Kalicz/Raczky 1990, 16; ähnlich Meier-Arendt 1991, 78) gekennzeichnet sind; „echte“ Tells besitzen eine größere Schichtmächtigkeit.

Ferner muss sich die Beurteilung eines Fundorts selbstverständlich auf seinen neolithischen bzw. äneolithi-schen Zustand beziehen und nicht auf sein heutiges Aus-sehen. Bei vielen der eindeutig als Hügel in der modernen Landschaft erkennbaren Fundorte stammt ein Großteil des Schichtwachstums aus nachneolithischer Zeit. So entfallen beispielsweise in Gomolava von ca. 6 m gesamter Schichtmächtigkeit lediglich ca. 1,5–2 m mit nur zwei bis drei Bauhorizonten auf das Neolithikum (Petrović 1984, 14, Abb. 3) – das neolithische Erscheinungsbild des Fundorts unterschied sich demnach deutlich vom heutigen.

Das Ende der Tells scheint auf den ersten Blick einen

im ganzen Karpatenbecken einheitlichen Horizont zu mar-kieren. Eine detaillierte chronologische Auswertung zeigt jedoch ein differenzierteres Bild (Link 2006, 43–52). Die Synchronisierung der einzelnen Fundorte belegt, dass nicht alle Tellsiedlungen gleichzeitig abbrechen (Abb. 2). Zur Vereinheitlichung der komplexen und vielfältigen regi-onalen Chronologiesysteme empfiehlt sich die Horizont-gliederung H. Parzingers (1993). Das Belegungsende einiger Fundorte schon zu dem frühen Zeitpunkt von Hori-zont 6 (Vinča C1) ist wohl noch durch normale Fluktuatio-nen zu erklären, die nicht zu einer tief greifenden Verände-rung der Siedlungsstruktur führen; es entstehen nach wie vor neue Siedlungen, die das Verschwinden anderer aus-gleichen. Ab Horizont 7 (Vinča C2/D1) nimmt die Zahl ab-brechender Tells dagegen zu. Keine der neolithischen Tellsiedlungen übersteht schließlich Horizont 8a (Vinča D2, Proto-Tiszapolgár). Zwar tritt mit Horizont 8a somit eine deutliche zeitliche Grenze in Erscheinung, die siedlungs-geschichtliche Umstrukturierung, die zum Verschwinden der Tellsiedlungen führt, scheint aber bereits in Horizont 7 einzusetzen. Bei einigen Fundorten fehlen bereits Baube-funde aus der Zeit von Horizont 8a weitgehend, obwohl entsprechende Funde durchaus noch vorhanden sind. Die zu tellartigem Schichtwachstum führenden Faktoren sind hier offenbar bereits nicht mehr oder nur noch in geringe-rem Maße gegeben, während an anderen zeitgleichen Fundorten die Tellentwicklung nach wie vor andauert. Das

Ende der neolithischen Tells erfolgt demnach nicht in ei-nem überregional gleichzeitigen, eng begrenzten Horizont, sondern ist das Resultat eines Prozesses mit einer gewis-sen zeitlichen Tiefe, der bereits während Horizont 7 ein-setzt und erst in Horizont 8b/c (Tiszapolgár) abgeschlos-sen ist. Die tatsächliche Dauer dieses Prozesses ist auf-grund der geringen Zahl der verfügbaren absolutchronolo-gischen Daten bislang schwer zu bestimmen; als grobe Annäherung kann ein Zeitraum von mindestens einem, wahrscheinlich eher zwei Jahrhunderten veranschlagt werden (Link 2006, 41).

Nach dem Abbruch der neolithischen Besiedlung ist bei verschiedenen Hügeln das Einsetzen von Bodenbildungs-prozessen zu beobachten. Bestes Beispiel hierfür ist Go-molava: Der so genannte „Äneolithische Humus“ repräsen-tiert dort bei einer Schichtdicke von nur ca. 60–80 cm ei-nen Zeitraum von rund 2.000 Jahren (Brukner 1988, 27). In Anbetracht dieser zeitlichen Tiefe kann trotz der Überregi-onalität des Phänomens keinesfalls von einem „Horizont des äneolithischen Humus“ die Rede sein.

Die Architektur des Spätneolithikums ist im Karpaten-

becken durch Häuser in Lehm-Flechtwerk-Bauweise ge-kennzeichnet (Lichter 1993, 35–76). Neben den lehmver-putzten Wänden bestehen auch die Böden in der Regel aus einem dicken Lehmestrich, der oft auf hölzerne Substruktionen aufgebracht wird. Die massive, lehmreiche Bauweise ermöglicht Schichtakkumulation; viele Häuser sind außerdem verbrannt, wodurch besonders masserei-che Schuttschichten entstehen. Die Form der neolithischen Häuser ist zumeist rechteckig bei einer Länge von 5–15 m, gelegentlich kommen auch größere Bauten vor. Oft ist eine Unterteilung des Innenraums in mehrere Räume nachvoll-ziehbar. In den meisten Häusern finden sich Öfen bzw. Herdstellen, Vorratsgefäße, Lehmplattformen und ähnliche feste Installationen. Die Dachkonstruktion stützt sich auf Innenpfosten in variierender Anzahl und Anordnung. Aus einigen Fundorten liegen Hinweise auf die Existenz zwei-stöckiger Gebäude vor (z. B. Berretyóújfalu-Herpály: Ka-licz/Raczky 1990, 126–127; Uivar: Gerling/Rehfeld/Woidich 2005, 38–39).

Die Häuser der frühen Kupferzeit unterscheiden sich deutlich von den neolithischen Bauten. Sie sind kleiner, in der Regel nur noch einräumig und generell leichter kon-struiert (Bognár-Kutzián 1972, 164–171). Durch die leichte-re Bauweise entsteht weniger Bauschutt, es kann nicht zu einer Schichtakkumulation in größerem Umfang kommen. Weitere wichtige Veränderungen betreffen Siedlungsgröße und Bebauungsdichte: Die äneolithischen Siedlungen sind insgesamt kleiner, die Häuser lockerer angeordnet. Die für die Bildung von Tells erforderlichen bautechnischen und strukturellen Faktoren sind somit im Vergleich zum Neo-lithikum nur schwach ausgeprägt. Vor allem aber ist die für die neolithischen Tells bezeichnende kleinräumige Orts-konstanz bei den kupferzeitlichen Siedlungen ganz offen-sichtlich nicht gegeben.

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Abb. 2: Verbreitung der neolithischen Siedlungshügel; Kartierung und Anteile der jeweils jüngsten Besiedlungsphasen. (Grafik Th. Link; Horizontgliederung nach Parzinger 1993)

Während die voll ausgeprägte Tiszapolgár-Kultur keine

Tells mehr kennt, sind einige neolithische Hügel noch bis in die Proto-Tiszapolgár-Phase (Horizont 8a) besiedelt, andere brechen zu dieser Zeit bereits ab. In Vésztı-Bikeri (Parkinson et al. 2002–2004; Parkinson 2004) sind noch aus der frühen Phase der Tiszapolgár-Kultur große und massive Häuser belegt. Sogar eine kürzere ortskonstante Entwicklung mit zwei bis vier überlagernden Bauphasen ist zu vermuten. Der Fundort zeigt damit insgesamt einen überraschend „neolithischen Charakter“, der von einer umgebenden Grabenanlage noch unterstrichen wird. Die beobachteten Veränderungen in Architektur und Sied-lungsweise treten also nicht abrupt auf, sondern entwickeln sich bruchlos – ebenso wie die Keramik – in einer Über-gangsphase zwischen Spätneolithikum und Frühkupferzeit.

Daten über räumliche Siedlungsstrukturen liegen im Karpatenbecken bislang leider nur aus wenigen Regionen vor. Einen exemplarischen Einblick in die siedlungsge-schichtlichen Abläufe gibt eine regionale Untersuchung des Körös-Gebiets von A. Sherratt (1983, 20–36 bes. Abb. 8–12). Für die frühneolithische Körös-Kultur ist ein ver-streutes Siedlungsmuster mit lang gestreckten Siedlungs-arealen an den höher gelegenen Terrassenrändern cha-rakteristisch. In der Alföld-Linienbandkeramik verändert sich das Bild nur wenig, in der Szakálhát-Kultur setzt da-gegen eine Siedlungskonzentration ein. Die Zahl der Fundorte sinkt drastisch, gleichzeitig werden einige Sied-lungen sehr viel größer. Seinen Höhepunkt erreicht der Konzentrationsprozess in der Theiß-Kultur. Einige Orte entwickeln sich zu Tells, andere dagegen zu ausgedehn-

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ten Flachsiedlungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zent-rale Positionen innerhalb des Siedlungssystems einneh-men und über längere Zeit am selben Platz bestehen. Ähnliche Konzentrationsprozesse spielen sich während des Spätneolithikums auch in Transdanubien ab; dort entstehen aber keine Tells, sondern große Flachsiedlun-gen mit Grabenanlagen. Der Prozess der Siedlungskon-zentration führt also nicht zwangsläufig zur Bildung von Tells. Hier muss ein weiterer Faktor eine Rolle spielen: Tells zeichnen sich durch kleinräumige Ortskonstanz aus, während für Flachsiedlungen stärkere Fluktuationen der Hausstellen innerhalb des Siedlungsareals charakteristisch sind. Der Faktor Ortskonstanz trennt somit nicht in erster Linie das neolithische und kupferzeitliche Siedlungssystem, sondern vielmehr die Fundorttypen Tellsiedung und Flach-siedlung. Ein unterschiedlicher Grad an kleinräumiger Ortskonstanz erklärt nicht nur das Verschwinden der Tells in der Frühkupferzeit, sondern auch das Nebeneinander von Tell- und Flachsiedlungen im Neolithikum.

In der frühkupferzeitlichen Tiszapolgár-Kultur kehrt sich der spätneolithische Konzentrationsprozess schließlich um. Es entsteht wieder ein sehr viel diffuseres Bild mit kleinen und locker verstreuten Siedlungen, die außerdem deutlich häufiger verlegt werden (Parkinson et al. 2002–04, 102–104; Parkinson et al. 2004, 58). Da jedoch bereits während des Neolithikums neben den Tells stärker fluktuierende Netze von Flachsiedlungen existierten, ist dies keine prin-zipielle Neuerung. Der wesentliche Unterschied besteht im Verschwinden der Zentralorte und in der Homogenisierung oder „Denukleierung“ des Siedlungsgefüges. Ein relativ einheitliches System kleinerer Siedlungen mit stärkerer räumlicher Dynamik löst das spätneolithische Prinzip der ortskonstanten zentralen Dörfer ab.

Das Ende der Tells ist also vor dem Hintergrund eines

tief greifenden Wandels der Bauweise, der siedlungsinter-nen Organisation und des regionalen Siedlungsgefüges zu verstehen. Für eine kulturhistorische Interpretation des Phänomens bieten sich verschiedene Ansatzpunkte (Link 2006, 65–86); im Folgenden soll vor allem erörtert werden, welche Rolle Migration und Mobilität hierbei spielen kön-nen.

Migration hat in der Archäologie als Erklärungsansatz für kulturellen Wandel eine lange Tradition. So wurden und werden auch die Veränderungen am Beginn der Kupferzeit immer wieder durch die Einwanderung neuer Bevölke-rungsteile, insbesondere aus dem Osten, erklärt. Ausge-prägtestes Beispiel hierfür ist wohl die Steppeneinwande-rer-These von M. Gimbutas (1991, 350–401; 1994). Ihrer Ansicht nach ist das Ende der „alteuropäischen Zivilisation“, als die sie das südosteuropäische Neolithikum bezeichnet, auf das Eindringen kriegerischer Nomaden aus den süd-ost- und osteuropäischen Steppen zurückzuführen, in denen sie die frühesten Indoeuropäer identifizieren zu können glaubt. Die erste von insgesamt drei kupferzeitli-chen Einwanderungswellen soll das Ende des Spätneo-

lithikums und damit auch der Tellsiedlungen verursacht haben. Während sie die alteuropäische Zivilisation für „peaceful, sedentary, matrifocal, matrilineal, and sex egali-tarian“ hält, seien die Einwanderer „warlike, patriarchal, and hierarchical“, weshalb „the gentle agriculturalists [...] were easy prey to the warlike Kurgan horsemen who swarmed down upon them“ (Gimbutas 1991, 352). Die Eindringlinge hätten der vollsesshaften Lebensweise des Neolithikums nur „pastoral [...] seasonal, transient settle-ments of semi-subterranean houses“ entgegenzusetzen (ebd.). Neben diesem dogmatischen Extrembeispiel eines Migrationsmodells existieren zahlreiche moderatere, glaubwürdigere Ansätze anderer Autoren, die ebenfalls die Einwanderung neuer Kulturträger aus dem Osten als Grund für die Veränderungen am Ende des Spätneolithi-kums anführen (z. B. Tasić 1991; Todorova 1995, 90–91). Auch sie werden als Erklärung aber zunehmend unbefrie-digender. Die Verlängerung der Chronologie durch Radio-karbondaten und die sich zusehends schließenden Lücken im Forschungsstand lassen früher vermeintlich abrupte Kulturbrüche immer mehr als länger dauernde und kontinu-ierlich verlaufende Entwicklungen erscheinen. Auch die Tellsiedlungen brechen nicht in einem gleichzeitigen Hori-zont am Ende des Neolithikums ab. Der Übergang zur Kupferzeit ist trotz des unverkennbaren kulturellen Wan-dels fließend. Der These einer Einwanderung aus dem Osten ist außerdem entgegen zu halten, dass die Tellkultu-ren Südostrumäniens und Bulgariens über das Ende der Tells im Karpatenbecken hinaus fortbestehen (Parzinger 1993, 300–302; Todorova 1995). Wären in dieser Region die Ursprungs- oder Durchzugsgebiete einer Migration von Bevölkerungsgruppen zu suchen, deren Siedlungsweise keine Tells kennt, müssten die dortigen Siedlungshügel dagegen bereits entsprechend früher enden. Das Ende der neolithischen Tellsiedlungen im Karpatenbecken muss somit durch überwiegend autochthone Veränderungen erklärt werden.

Ein Grund für die geringere Ortskonstanz und die Zu-

nahme von räumlichen Fluktuationen und Verlagerungen der Siedlungsplätze am Beginn der Kupferzeit scheint die Entwicklung zu stärker pastoral oder transhumant gepräg-ten Subsistenzstrategien zu sein (Sherratt 1981; Green-field 1999). Für diese neue Wirtschaftweise wäre eine erhöhte Mobilität erforderlich, die auch eine erhöhte interne Dynamik des Siedlungssystems mit sich bringen und hier-durch archäologisch fassbar würde. Die stärkeren Sied-lungsfluktuationen und die Dezentralisierung des Sied-lungssystems in der frühen Kupferzeit könnten demnach indirekte Hinweise auf eine veränderte Wirtschaftsweise mit stärkeren pastoralen und transhumanten Elementen sein. Als auslösender oder begünstigender Faktor können in diesem Zusammenhang auch klimatische Veränderun-gen eine Rolle gespielt haben. Entsprechende archäozoo-logische und paläoökologische Daten sind im Karpatenbe-cken bislang allerdings nur spärlich vorhanden, so dass diese Interpretationsansätze vorerst hypothetisch bleiben.

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Die in der Archäologie generell sehr beliebte starke Be-tonung der ökonomischen Sphäre und ökologisch-klimatischer Faktoren birgt jedoch auch die Gefahr einer allzu deterministischen Sichtweise prähistorischer Gesell-schaften (Link 2006, 65–86). Kulturwandel kann nicht auf die bloße Optimierung von Subsistenz- und Produktions-strategien, technologischen Fortschritt oder die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen reduziert werden. Auch die kleinräumige Ortskonstanz der Tellsiedlungen und die stärkere räumliche Dynamik der Flachsiedlungen sind statt als siedlungsökonomische Strategien vielleicht besser als kulturelle Konzepte zu verstehen. Als solche können sie sich nicht nur als Anpassung an veränderte äußere Bedin-gungen wandeln, sondern sind Bestandteile der kulturim-manenten Dynamik und damit stetigem internen Wandel unterworfen. Ein solcher Deutungsansatz muss zwangs-läufig hypothetisch bleiben; als Gegenentwurf zu den häu-figer vertretenen, auf Wirtschaft, Klima oder Migration fokussierten deterministischen Modellen kann er aber zur Bereicherung der Diskussion und Erweiterung des Blick-winkels beitragen.

Die Ortskonstanz der spätneolithischen Tells und das zentralisierte Siedlungssystem haben in dieser antideter-ministischen Sichtweise keine primär wirtschaftliche Funk-tion, ihr Ende ist nicht ökonomisch oder ökologisch deter-miniert. Durch die Konstanz der Zentralorte werden viel-mehr räumliche Fixpunkte geschaffen, die die Strukturie-rung und Wahrnehmung des Siedlungsraumes bzw. der Landschaft prägen (Chapman 1997). Ihre Kontinuität kann als bewusste Darstellung des Ortsbezuges und mithin als Konzept der kulturellen Selbstdefinition verstanden werden.

In der Kupferzeit ändert sich dieses Konzept: Ortskonstanz, Siedlungskonzentration und Kontinuität sind nicht mehr so wichtig für die kulturelle Selbstdefinition. Die Wahrnehmung und Strukturierung des Siedlungsraumes basiert nicht mehr auf großen zentralen Dörfern als räumli-chen Fixpunkten. Die höhere strukturelle Dynamik des äneolithischen Siedlungssystems löst die bewusste Konti-nuität der spätneolithischen Zentralorte ab und führt damit zum Ende der Tells.

Die nicht rein ökonomisch zu fassende Bedeutung der spätneolithischen Siedlungen zeigen auch die stets inner-halb der Siedlungen angelegten Gräber und das in den Häusern oft reichlich vorhandene mutmaßlich „kulti-sche“ Inventar (Figurinen, sog. „Altäre“ etc.). In der Kupfer-zeit kommen dagegen von den Siedlungen separierte Gräberfelder in Gebrauch, die über mehrere Generationen hinweg kontinuierlich belegt werden. Im Gegensatz zu den gleichzeitigen Siedlungen sind sie über längere Zeiträume hinweg platzgebunden. Das Prinzip der Ortskonstanz scheint von den neolithischen Zentralsiedlungen auf die kupferzeitlichen Gräberfelder überzugehen – möglicher-weise nehmen diese nun eine ähnlich kulturtragende Rolle als räumliche Fixpunkte ein (Chapman 1997, 41).

Rückschlüsse auf die tatsächliche, alltägliche Mobilität des Individuums sind zwar nicht möglich, jedoch spiegelt

das strukturell dynamischere äneolithische Siedlungssys-tem zumindest ein höheres Mobilitätspotential wider. Die neolithischen Tells erscheinen dagegen als sichtbarer Ausdruck von Kontinuität und Immobilität – zwar ebenfalls nicht der tatsächlichen Immobilität des Individuums, jedoch eines kulturell konstruierten und in den Zentralsiedlungen bewusst dargestellten Ideals der Ortsbindung.

Mit den grundlegend verschiedenen spätneolithischen und frühkupferzeitlichen Siedlungsstrukturen stehen sich also nicht in erster Linie zwei unterschiedlich funktionie-rende Wirtschaftssysteme gegenüber. Vielmehr wird ein tief greifender Wandel der kulturellen Raumstrukturierung fassbar. Für die Selbstdefinition der neolithischen Gemein-schaften ist offensichtlich der Bezug auf zentrale, durch die Kontinuität großer Siedlungen definierte räumliche Fix-punkte von Bedeutung. Im frühen Äneolithikum überneh-men diese Rolle kontinuierlich belegte Gräberfelder. Die Siedlungen sind dagegen nicht mehr an besondere Plätze gebunden, dynamischere und räumlich stärker fluktuieren-de Strukturen führen zum Ende der Tells. Die fehlende längerfristige Platzgebundenheit der äneolithischen Sied-lungen spiegelt eine größere potentielle Mobilität wider, die im deutlichen Kontrast zur Ortsbindung des Neolithikums steht. Die neolithischen Tellsiedlungen sind dagegen sichtbarer und bewusster Ausdruck einer auf ideeller Ebe-ne bedeutsamen Kontinuität und Immobilität.

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Anschrift

Thomas Link Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Universität Würzburg Residenzplatz 2, Tor A 97070 Würzburg [email protected]