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Verbandsarchive als Überlieferungsergänzung staatlicher Bestände am Beispiel des Grundbesitzerverbandes Deutschland e.V. vorgelegt von Dr. O. Richter (Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold) Marburg an der Lahn, 3. April 2002

Verbandsarchive als Überlieferungsergänzung staatlicher ... · wenigstens die gängige und zutreffende Definition von Carl Böhret aus dem 1991 erschiene- nen 'Verwaltungslexikon

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Verbandsarchive als Überlieferungsergänzung staatlicher Bestände am Beispiel des Grundbesitzerverbandes Deutschland e.V.

vorgelegt von Dr. O. Richter (Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold)

Marburg an der Lahn, 3. April 2002

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Inhalt 1. 1. Einleitung: Problem und Fragestellung S.1 1. 2. Geschichte der Verbände und Wirkungskraft im Staatswesen S.2 1.2.1. Die Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzervereine S.9 2.1. Früherer archivtheoretischer Stellenwert der Ergänzungsüberlieferung

und heutige Diskussion S.21

2.2. Überlegungen zur Praxis S.28 2.2.1. Zuständigkeit S.29 2.2.2. Koordination der Beschaffung S.32 2.2.3. Bewertung S.34 2.2.4. Verknüpfung mit staatlichen Beständen (Erschließung und Bereitstellung) S.34 3. Literatur S.36

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Zusammenfassung In Wahrnehmung des seit einigen Jahrzehnten beobachteten Problems rückgehender Aussa-gekraft staatlichen Archivguts thematisiert die vorliegende Untersuchung einen Lösungs-weg. Nach einer allgemeinen Einführung in die Entwicklung des deutschen Verbandswesens wird am Beispiel eines Verbändedepositums unter Hinzuziehung von Unterlagen des Bundes- und eines Landesarchivs gezeigt, wie staatliche und nichtstaatliche Stellen bei der Verwal-tungsarbeit aufeinander bezogen sind. Dabei wird deutlich, daß eine auch allein an der staat-lichen Überlieferung orientierte Überlieferungsergänzung die Qualität öffentlicher Archiv-bestände erhöhen kann. Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Überlieferungsergänzung in den vergangenen Jahren werden abschließend konkrete Überlegungen zur praktischen Umsetzung der Thema-tik dargelegt. Für ihre freundliche und hilfreiche Unterstützung vor Ort möchte ich Frau A. Neupert vom Bundesarchiv, Herrn Dr. A. Faust vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und Frau K. Tiemann sowie Herrn Dr. H. Conrad vom Westfälischen Archivamt Münster meinen Dank aus-sprechen.

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1.1. Einleitung: Problem und Fragestellung In seinem Eröffnungsvortrag zum 71. Deutschen Archivtag in Nürnberg im Oktober 2000 wies der Philosoph und frühere nordrhein-westfälische Ministerialbeamte Hermann Lübbe auf "Schwierigkeiten prinzipieller Art" der gegenwärtigen archivarischen Tätigkeit hin. An zwei der drei von Lübbe berührten Problemkreise ist hier anzuknüpfen. Einerseits die rück-gehende Bedeutung staatlicher Überlieferung im Verhältnis zur Wertigkeit nichtstaatlichen Schriftguts, worunter auch die von Lübbe im weiteren vorgebrachte Beobachtung fällt, daß die "effektiven politischen Entscheidungsprozesse" zunehmend weniger in Amtsakten er-scheinen, ja sich deren Schriftgutproduktion vielmehr "in Privathäusern, in Parteiarchiven oder auch in Verbandsbürokellern" wiederfindet. In diesem Zusammenhang gab auch Wolf-ram Werner 1992 in seinen Erörterungen über die Quantität und Qualität moderner Sachak-ten eine Bemerkung aus den Memoiren des früheren amerikanischen Außenministers Henry Kissinger wieder, der meinte, daß die offiziellen Akten nicht so einfach erkennen ließen, "welche Entscheidungen über 'vertrauliche Kanäle' gefallen sind, die den offiziellen Dienst-weg umgehen, oder was mündlich vereinbart wurde, ohne daß es je schriftlich protokolliert worden ist.'"

Andererseits sprach Lübbe den durch technischen Fortschritt bedingten Verlust von Kom-munikationszentren an. Das habe zur Folge, daß ebenso das Verwaltungshandeln an Zentra-lität respektive späterhin das Archivgut mindestens an konzentrierter Aussagekraft verliere, wenn der Niederschlag der Verwaltungstätigkeit nicht gar vor der potentiellen Umwidmung zu Archivgut bereits verloren gegangen oder aufgrund der Kommunikationsform, etwa Tele-fonaten, nicht mehr faßbar ist. Lübbe folgert: "Nie zuvor waren entsprechend die Integrati-onsleistungen, die die öffentlichen Archive in der Archivgutbildung zu erbringen hatten, größer als heute."1

Derartige Beobachtungen, und Lübbe konstatierte es in seinem Vortrag selbst, sind nicht neu. So äußerte bereits auf der gleichen Veranstaltung 21 Jahre zuvor, der Düsseldorfer Lan-deshistoriker Peter Hüttenberger, daß die Unvollständigkeit der Überlieferung insbesondere daher resultiere, "daß in der modernen Gesellschaft die Entscheidungsmechanismen diffus geworden sind." Nicht allein der Staat stehe mehr im Mittelpunkt, sondern hinzu kämen "zahlreiche Einzelzentren von kompliziert zusammengesetzen Personengruppen". Bei-spielsweise fielen politische Maßgaben mitunter "zwischen den Parteien und Verbänden und werden häufig im Staat nur noch vollzogen und verwaltet."2 1 H. Lübbe, Die Zukunft der Vergangenheit, o.S. (vgl. dazu den Tagungsbericht von Dieter Degreif, Der 71. Deutsche Archivtag 2000 in Nürnberg, in: DArch 54 (2001) S.4-11, hier S.5f.); W. Werner, Quantität und Qua-lität moderner Sachakten, Sp.40. - Hermann Lübbe ist Professor emeritus für Philosophie und Politische Theo-rie der Universität Zürich und war 1966-1970 Staatssekretär für Hochschulangelegenheiten im Kultusministeri-um Düsseldorf. Munzinger-Archiv [2001], 43/01. 2 P. Hüttenberger, Gegenwärtige Forschungsansätze der Zeitgeschichte, Sp.33. 3 P. Dohms, Bürgerbewegungen nach 1945, bes. S.196f./ 204; ders., Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, bes. S.47f./ 51f.; W. Schöntag, Nichtstaatliches Archivgut. 4 R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.54f.

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Ähnlichen Überlegungen widmeten sich neuerdings - insbesondere mit Blick auf verfestigte institutionelle Strukturen des Archivwesens sowie eine tendenziell etatistische Denkweise der Archivare - Peter Dohms, oder auch Wilfried Schöntag, letzterer in teilweiser Kritik frü-herer Ansätze dieser Richtung und unter Beachtung aktueller wirtschaftlicher Maßgaben, die den öffentlichen Archiven auferlegt sind und zukünftig wohl vermehrt auferlegt werden.3

Vor diesem Hintergrund ist im folgenden konkret am Beispiel einer Verbandsregistratur nach der Leistung von Überlieferungsergänzung zu fragen, die zu einer Lösung, zumindest Entspannung der angesprochenen Problematik beitragen kann. Dabei sollen die Überlegun-gen auf das dargestellte Kernproblem der partiellen Ausdünnung staatlicher Überlieferung beschränkt werden. Es soll also hier nicht eine mögliche gesamtgesellschaftliche Perspektive aus der Sicht des Archivs heraus eröffnet werden, was sicher weitaus allgemeiner anzulegen wäre und eine Diskussion des archivarischen Berufsbildes einschließen müßte. 1.2. Geschichte der Verbände und Wirkungskraft im Staatswesen Kann an dieser Stelle nicht die bislang in der Verbandsforschung ergebnislose Diskussion eines scharfen Verbandsbegriffs nachgezeichnet werden,4 so soll der Orientierung halber wenigstens die gängige und zutreffende Definition von Carl Böhret aus dem 1991 erschiene-nen 'Verwaltungslexikon' angeführt werden. Danach handelt es sich um "Vereinigungen von natürlichen oder juristischen Personen sowie von Mitgliedsorganisationen (Spitzenverbän-de), die ideelle und/ oder materielle Interessen ihrer Mitglieder organisieren und auf be-stimmte Dauer vertreten, ohne selbst staatliche Machtpositionen zu erstreben." Böhret fügt an, daß die in dieser Form organisierten Interessen "das herausragende Kennzeichen der plu-ralistischen Gesellschaft" seien, womit er einer grundsätzlich positiven Bewertung der Ver-bände im gesellschaftlichen und staatlichen Umfeld Ausdruck verleiht.5 Diese Perspektive auf die Verbändetätigkeit hat sich in der soziologischen und politologi-schen Literatur erst in den vergangenen vier Jahrzehnten herausgebildet, und damit vielleicht eine erhöhte Aufmerksamkeit der historischen Forschung wie auch für archivfachliche Über-legungen bereitet. Die frühere Forschung betonte in Orientierung an einem vorwiegend he-gelianisch geprägten Staatsverständnis eher einen nachteiligen Einfluß der Verbände auf das Staatsleben ("Herrschaft der Verbände"), wohingegen neuere Untersuchungen in Rezeption der angelsächsischen Pluralismustheorien Verbände als "konstitutiven und funktionsnotwen-digen Bestandteil" des demokratischen Staates ebenso wie Steuer-, Justizbehörden und Par-teien begreifen und somit einen neutraleren oder gar positiv würdigenden Blick auf diesen Gegenstand zulassen.6 Entsprechend sind diese Ansätze allesamt zwischen die beiden Pole

5 C. Böhret, Art. Verbände, S.845. 6 Beispielsweise sei für die ältere Forschung genannt: T. Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, der allerdings im Unterschied zu anderen konservativen Pluralismuskritikern wie Carl Schmitt den Verbänden nicht allge-mein die Existenzberechtigung bestreitet. Wertfrei hatte sich Max Weber mit der Begrifflichkeit auseinander-gesetzt, der ein Verbandshandeln dann "politisch orientiert" qualifizierte, wenn "es die Beeinflussung der Lei-

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"Mitgliederinteressen" und "Gemeinwohl" einzuordnen, um einen 1992 von Renate Mayntz herausgebenen Titel zur Verbändeforschung aufzugreifen.7

Die erwähnte Begriffsunschärfe dürfte freilich auch mit der Vielfalt der Verbandstypen, zu denen nicht zuletzt auch der Staat als Tarifpartei im öffentlichen Dienst zählt,8 des weiteren der beinahe quantitativen Unüberschaubarkeit auf Bundes- und Landes-, vor allem Kommu-nalebene zusammenhängen.9

Die Bedeutung der Verbände für die Bundes- respektive Landesverwaltung soll im folgen-den durch den Blick auf ihre Entstehungsgeschichte in Deutschland in Grundzügen heraus-gearbeitet werden. Vor diesem Hintergrund ist am Beispiel des Grundbesitzerverbandes im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den ersten anderthalb Jahr-zehnten nach 1945 bzw. 1947/ 49 diese Einflußnahme auf die staatliche Verwaltung auf Bundes- und Landesebene konkret und exemplarisch darzustellen. Ursprünge oder gewissermaßen Vorläufer der Verbände in den Ständen des Alten Reiches zu sehen, wie Theodor Eschenburg es tat,10 verzerrt m.E. stärker die historische Einordnung als sie verständlich zu machen. Handelte es sich doch bei den Ständen einesteils um quasi ver-fassungsrechtlich festgeschriebene Kräfte neben der fürstlichen Herrschaft in der damaligen Staatsform, so andernteils wohl um Interessenvertretungen, aber nicht im Sinne bestimmter, eingeschränkter Bereiche, sondern prinzipiell durchaus auf die gesamte gesellschaftliche

tung eines politischen Verbandes, insbesondere die Appropriation oder Expropriation oder Neuverteilung oder Zuweisung von Regierungsgewalten bezweckt." (Ders., Wirtschaft und Gesellschaft, Erster Halbband, S.39). Ein neueres Beispiel jener kritisch-abwertenden Richtung ist Rüdiger Altmann, Abschied vom Staat, Frankfurt a.Main 1998. - Zum Perspektivwechsel und allgemein einer positiven Würdigung: C. Böhret, Art. Verbände, S.847, ders., Institutionalisierte Einflußwege der Verbände in der Weimarer Republik, S.216, E. Grande, Ver-bände und Verbändeforschung in Deutschland, S.15, R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.69 und J. Weber, Gefährdung der parlamentarischen Demokratie durch Verbände?, S.169 (Zit.). 7 Dies. (Hg.), Verbände zwischen Mitgliederinteressen und Gemeinwohl, Gütersloh 1992; G. Schulz, Über Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland, S.27. 8 Vgl. zu verschiedenen Typisierungskategorien, so z.B. nach inhaltlichen Kriterien oder nach Organisationsbe-reichen: H. Harnoß, Parlamentarische Demokratie und Verbände in der Bundesrepublik Deutschland, S.71; C. Böhret, Art. Verbände, S.846; R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.57 bzw. ausführlich K. v.Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, S.64-93. 9 Vgl. C. Böhret, Art. Verbände, S.845f.; R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.61; J. We-ber, Gefährdung der parlamentarischen Demokratie durch Verbände?, S.169. Zur Quantität auf Bundes- und speziell Landesebene vgl. R. Kleinfeld/ Frank Löbler, Verbände in Nordrhein-Westfalen. Eine Vorstudie zu Theorie und Empirie von Verbänden in der Landespolitik, Hagen 1993. - Auf Beschluß des Bundestages vom 21.9. 1972 müssen sich die in Bonn wirkenden Interessenverbände und ihre Repräsentanten beim Bundestags-präsidenten registrieren lassen. Die Liste wird im Bundesanzeiger mit jeweiliger Angabe des Verbandszwecks und der Mitgliederzahl publiziert. 1977 z.B. trugen sich rund 700 Verbände ein, allerdings wurde für dasselbe Jahr die Anzahl der auf Bundesebene agierenden Verbände auf ca. 20.000 geschätzt (H. Kremendahl, Pluralis-mustheorie in Deutschland, S.245). Die jüngste Liste vom 31.3. 2001 führt 1732 Verbände auf (Bekanntma-chung der öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern). Ein Pendant auf Landesebene gibt es für Nordrhein-Westfalen nicht (Mitteilung per e-mail von Olaf Wiese (Landtagsmitarbei-ter NRW) v. 20.2. 2002). Bemerkenswert ist schließlich, daß Ende der 1990er Jahre die Hälfte des bundesweit tätigen Verbände ihren Sitz bedingt durch die bislang hier befindliche Bundeshauptstadt in Nordrhein-Westfalen hatte. J. Weber, Dimension und Bedeutung der Verbände in Deutschland, S.30. 10 T. Eschenburg, Das Jahrhundert der Verbände, S.13.

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Breite bezogen. Stände kümmerten sich um fürstliche Heiratspläne, Finanzaufwendungen wie Steuerbelastungen der Untertanenschaft. Ein Vergleich zu Parteien läge hier näher. Stattdessen ist die Entstehung der Verbände eher in agrarischen Interessenvertretungen in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts zu suchen, als sich im Alten Reich philanthropische und wissenschaftliche Gesellschaften bildeten, die sich am Physiokratismus englischer und französischer Vorbilder orientierten und die ländliche Bevölkerung über technischen Fort-schritt in der Landbewirtschaftung aufzuklären suchten.11 Bestimmter zeichnet sich die Herausbildung von Verbänden in den Umbrüchen ab, die die Entwicklung der agrarischen zur industriellen Gesellschaft seit dem frühen 19.Jahrhundert begleiteten. Besonders während der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts kam es zu festerer Organisation von Interessen einzelner Bereiche der Industrie, der Landwirtschaft wie des Handels, die politisch im öffentlichen Raum artikuliert wurden, etwa in der Nationalver-sammlung 1848/49. So bildete sich 1848 durch die Initiative von Ernst v.Bülow-Cummerow der - im Namen sein partikulares Interesse geradezu entschuldigend und in ein allgemeines überführend - 'Verein zur Wahrung der Interessen des Grundbesitzes und zur Aufrechterhal-tung des Wohlstandes aller Klassen des Volkes'. Er konstituierte sich aus landwirtschaftli-chen Vereinigungen, Ritterschaften und Landschaften mehrerer preußischer Provinzen.12 Oder in den preußischen Westprovinzen: Dort wurde 1858 der 'Zentralverein zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Aktiengesellschaften in Rheinland-Westfalen' eingerichtet, der sich vornehmlich gegen die staatliche Besteuerungspolitik wandte und drei Jahre später, nach Erreichen seines hauptsächlichen Interesses, nämlich des Wegfalls der Aktiensteuer, bereits wieder auflöste. Ebenfalls 1858 wurde der 'Rheinisch-westfälische Handels- und Ge-werbeverein' in Düsseldorf und der 'Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberberg-amtsbezirk Dortmund' gegründet, sechs Jahre zuvor der 'Zollvereinsländische Eisenhütten-verein', alle drei "bedeutende Interessenverbände von Bestand".13 Nicht viel später, um 1870 und bis 1900 andauernd, setzte im Deutschen Reich die eigentli-che Gründungszeit der Verbände ein, ein Vorgang, der in allen europäischen Verfassungs-staaten zu beobachten ist. Zentral für die Entwicklung in Deutschland war 1879 der Über-gang zum Schutzzoll als "erste[r] Schritt zum Interventionsstaat", eine Entscheidung, zu der im übrigen auch die Einflußnahme der aufkommenden Verbände geführt hatte. Ohne staatli-chen Interventionismus war bislang kein Wirtschaftssektor gesetzgeberisch anderen vorge-zogen worden. Seit der Schutzzollpolitik differenzierten sich die Interessen mehr und mehr aus. Begünstigung eines Bereichs bedeutete die Rücksetzung eines oder mehrerer anderer. Infolge der staatlichen Umverteilung des Nationaleinkommens "ergaben sich Konflikte, jede Gruppe versuchte, ihren Anteil zu sichern, indem sie sich organisierte und politischen Ein-fluß geltend machte." Fortan nahm der staatliche Regelungsbedarf, nahmen sozialpolitische Maßnahmen stetig zu, ablesbar an der Steigerung der staatlichen Ausgaben. Die Verwaltun-

11 G. Schulz, Über Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland, S.34. 12 T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.2, S.576; R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorpo-ratismus", S.93; G. Schulz, Über Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland, S.35. 13 F. Zunkel, Das Wachsen der unternehmerischen Verbände in Rheinland-Westfalen, S.66f..

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gen benötigten zunehmend Sachinformationen, die entsprechend von den in Verbänden or-ganisierten Interessenvertretungen zur Verfügung gestellt werden konnten. Die Anzahl der Verbände spiegelt diese Entwicklung wider: 1870 bestanden in Handel und Industrie nur zwölf Branchenverbände, 1908 waren es allein auf dem Gebiet der Industrie 500 Verbände und 1.200 Zweigvereine. Auch der Organisationsgrad stieg: 1876 wurde der erste reichsum-fassende Verband, der 'Centralverband Deutscher Industrieller' im Zusammenhang mit der Unterstützung der Schutzzollpolitik initiiert, in dem der 'Verein zur Wahrung der gemeinsa-men wirtschaftlichen Interessen im Rheinland und Westfalen', der sog. Langnam-Verein, zu den führenden Vertretern zählte. Der Zusammenschluß pflegte sehr gute Beziehungen zu den Regierungen und "wurde bei Gesetzentwürfen wie selbstverständlich gehört" und ebenso bei Verordnungen und Begutachtungen involviert.14

Eine vergleichbar einflußreiche Interessenvertretung auf Reichsebene stellt der 1893 ge-gründete 'Bund der Landwirte' dar, der sich insbesondere für die Begünstigung der Tarife landwirtschaftlicher Produkte, für eine Besteuerung von Warenhäusern, des weiteren gegen die Erbschaftssteuer wie überhaupt gegen das im Entstehen begriffene Bürgerliche Gesetz-buch aussprach. In letzterem sah man einen "Ausfluß allzu liberaler Gesinnung". Auch die Arbeiterfrage stand zur Debatte, freilich hinsichtlich der spezifischen Problemlage der Land-arbeiter, also der Abwanderung in die Städte mit der Folge von Arbeitermangel auf dem Lande, zumal im Osten.15 Der Bund wurde schließlich "zum erfolgreichsten Interessenverband des Kaiserreiches", ja zu einer "Massen- und Großorganisation" mit im Jahr 1894 rund 200.000, 1913 dann um 330.000 Mitgliedern. Führend waren adlige Großgrundbesitzer, die Masse der Mitglieder aber war bäuerlich, überwiegend Kleinbauern. Der Verband verfügte bereits 1903 über eine differenzierte Organisationsstruktur mit einer Zentralverwaltung in Berlin, die 27 Oberbeam-te und 112 Bürobeamte beschäftigte, also einige Personen mehr, als das damalige Reichsamt des Innern. 1904 zählte man im Wochendurchnitt 85.000 Ein- und Ausgänge. Ein Zeitungs-archiv, eine Abteilung für Statistik wie ein Wahlkampfbüro waren vorhanden, von wo zahl-reiche Versammlungen mit besoldeten Rednern organisiert wurden.16 Am Beispiel des Bundes sind bereits zwei wesentliche Elemente der Verbändestruktur in-nerhalb des staatlichen Rahmens zu erkennen, nämlich die untereinander bestehende Kon-

14 T. Eschenburg, Das Jahrhundert der Verbände, S.7f.; J. Weber, Gefährdung der parlamentarischen Demokra-tie durch Verbände?, S.178; ders., Dimension und Bedeutung der Verbände in Deutschland, S.35; T. Nipper-dey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.2, S.577f./ 580f.. (Zit. S.577, 580f.) 15 G. Schulz, Über Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland, S.44f. (Zit. S.45). Vgl. zum 'Bund der Landwirte' auch T. Eschenburg, Das Jahrhundert der Verbände, S.25f.. - Mit ähnlichen Interessen wie im angeführten Beispiel der Landarbeiterfrage suchte beispielsweise die Gewerkschaft 'Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft' 1951 über die Person des Staatssekretärs Theodor Sonnemann auf das Bundesministerium für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft einzuwirken. Der Hauptvorstand der Organisation bat, "die Verab-schiedung eines Bundes-Forst-Gesetzes im Bundestag mit allen Mitteln zu fördern", was "im Interesse der Volkswirtschaft ... unerläßlich" und gerade auch hinsichtlich des Umstandes zu begrüßen sei, "daß zur Zeit eine große Anzahl bestausgebildeter Forstfachkräfte ... stellungs- und arbeitslos" sind. Bundesarchiv Abt. B 116/161, unfol. (15.10. 1951) 16 T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.2, S.583f. (Zit. S.583); G. Schulz, Über Entstehung und Formen von Interessengruppen in Deutschland, S.46.

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kurrenz sowie die Einflußnahme auf Politiker respektive Verwaltungsstellen. Die Landwir-tevereinigung suchte Existenz und Einkünfte ihrer Klientel gegen den wirtschaftlichen Nie-dergang nicht nur durch staatliche Subventionen oder Schutzzölle zumindest aufrechtzuer-halten, sondern auch gegen die sich verstärkende industrielle Konkurrenz und den sich aus-weitenden Dienstleistungssektor, die prosperierenden Städte zu verteidigen. Eine Gegenkraft entstand ihr in dem 1909 gegründeten 'Hansa-Bund für Gewerbe, Handel und Industrie', der sich laut einer offiziellen Verlautbarung dafür einsetzte, daß "'der unheilvolle Einfluß jener einseitig agrardemagogischen Richtung gebrochen werde'". Aus solchem Kräftespiel resu-liert dann in der Forschung das positive Urteil über die Rolle der Verbände innerhalb des Staates, wenn nämlich festgestellt wird, daß sich die einzelnen begrenzten Interessen im Wi-derstreit gegeneinander ausgleichen, sich gegenseitig kontrollieren und so am Ende zu einer für die Allgemeinheit wünschenswerten Selbstregulierung beitragen werde.17

Des weiteren bemühte sich der 'Bund der Landwirte' um direkten personellen Einfluß bei Wahlen. Offen trat man an Kandidaten heran und befragte sie zu den Zielen der Verbandspo-litik, um die Kandidaten zu unterstützen, die gar eine schriftliche Verpflichtung abgaben. 1898 hatten sich in dieser Form von 397 Reichstagsabgeordneten 118 für den Bund erklärt. Eine Folge war, daß die deutsch-konservative Partei in das Fahrwasser des Bundes geriet, es selbst dem Bund gelang, das Profil der Partei zu verändern: sie "wurde populistisch-radikaler und auch nationalistischer und antisemitisch." Auch beeinflußte man grundlegende politi-sche Entscheidungen, etwa als im Zuge der abgelehnten Bülowschen Finanzreform 1909 der Kanzler stürzte, was ein "gemeinsame[s] Werk von Bund und Partei" war, ebenso wie schon 1894 einflußreich auf den Sturz Caprivis eingewirkt wurde. Deshalb dürften alles in allem die indirekten Auswirkungen dieser Interessenvertretung auf die deutsche Politik wichtiger gewesen sein als ihre Einzelerfolge. Die Landwirtschaft wurde politisch zusammengefügt und deutlich nach rechts orientiert.18

Der Erste Weltkrieg stellte sodann einen Einschnitt in die Entwicklung dar. Durch die Kriegswirtschaft wurde eine Zusammenarbeit zwischen Staat, den Verbänden des Kapitals und den Gewerkschaften vereinbart. Industrieverbände übernahmen teils staatliche Funktio-nen. Die Gewerkschaften wurden für ihr gesamtgesellschaftliches Eintreten von Staat und Unternehmerverbänden offiziell anerkannt, was sich über 1918 hinaus im sog. "liberalen Korporatismus" fortsetzte, der den unternehmerischen und gewerkschaftlichen Spitzenver-bänden von Seiten des Staates fortan ungestörte Handlungsräume beließ.19

17 T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.2, S.585/ 590 (Zit. S.590); T. Eschenburg, Das Jahrhun-dert der Verbände, S.126; C. Böhret, Art. Verbände, S.847. - Ausführlich zur Situation der Konkurrenz der Verbände untereinander: J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutsch-land, S.205-213. 18 T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.2, S.586-588. 19 R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.96 (Zit.); T. Eschenburg, Das Jahrhundert der Verbände, S.32. Vgl. dazu E. Zipfel, Die Akten der Kriegsgesellschaften im Reichsarchiv. Zipfel konstatiert, daß diese in staatlichem Besitz befindlichen Akten besonders aufschlußreich "Einblick in Aufbau, Ziele und Maßnahmen der Privatwirtschaft in ganz anderem Umfange" bieten, "als es sonst Akten von Behörden ermög-lichen". Ebd., S.53.

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Zu Beginn der Weimarer Republik bildeten sich die heute noch im wesentlichen bestehenden Strukturen im Verhältnis der Verbände zum Staatswesen heraus. Die Form des lobbying ent-stand, der unmittelbare Kontakt zwischen Verbändevertretern und Abgeordneten. Regelun-gen des Reichstagspräsidenten bestimmten den Zugang der Interessenvertreter zum Reichs-tagsgebäude und entwickelten Umgangsformen, die sich bis heute kaum verändert haben.20 In diesem Sinne erbat beispielsweise 1950 der erste Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände, Prof. E. Schuster, vom Direktor des Deutschen Bundestages Trossmann eine grüne Dauerkarte für das Betreten des Deutschen Bundestages. Er begründe-te dies, indem er darauf verwies, daß er in seiner Funktion "als volkswirtschaftlicher Berater und als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzer-Verbände .. sehr häufig, fast regelmäßig jede Woche, mit Abgeordneten und Vorsitzenden von Ausschüssen zu ver-handeln" habe.21 Der Lobbyismus der 1920er Jahre fand in der Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) der Reichsministerien eine Regelung. Es wurde jene Praxis festgeschrieben, die sich in den vo-rangegangenen Jahren entwickelt hatte. § 27 der GGO der Reichsministerien, Teil II, legte die "'Beteiligung der Fachkreise'" fest, wonach u.a. dieselben "bei der Vorbereitung von Ge-setzen und wichtigen Verordnungen ... rechtzeitig heranzuziehen" waren. Weiterhin galt die Geheimhaltung von Gesetzentwürfen der Ministerien nach den §§ 27 und 29 der GGO aus-drücklich nicht für die Beteiligung von Verbänden und v.a. bestimmte § 11, daß Verbändea-bordnungen "in der Regel nur vom federführenden Fachminister unter vorheriger Angabe des Verhandlungsgegenstandes empfangen werden sollten". Der Reichskanzler sollte nur ausnahmsweise mit derartigen Delegationen ins Gespräch treten, womit man einem starkem und ausdifferenzierten Einfluß vorbauen wollte. Jedenfalls ist in den Verordnungen erkenn-bar, daß auf höchster Verwaltungsebene die Verbändeeinwirkung zumindest teilweise als problematisch gesehen wurde und die Einflußnahme auf Bürokratie und Regierung geregelt, quasi als "Teil der Verfassungsordnung" akzeptiert, und in das funktionierende Staatswesen eingebunden wurde, was auch gegenwärtig kaum anders geschieht.22 Aus diesem Verständ-nis heraus erklärte Ministerpräsident Otto Braun 1922 im preußischen Landtag, "daß es im Einklang mit der parlamentarischen Demokratie stehe, wenn bei der Vorbereitung der Geset-ze auch Interessenvertretungen beteiligt werden".23

20 C. Böhret, Institutionalisierte Einflußwege der Verbände in der Weimarer Republik, S.220f.. 21 W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.67f.; WA Münster, Bestand AG Grund-besitzerverbände, Nr.200, 27.9. 1950 (Zit.). 22 C. Böhret, Institutionalisierte Einflußwege der Verbände in der Weimarer Republik, S.218. - Vgl. zur dies-bezüglichen gegenwärtigen Regelung auf Bundes- bzw. Landesebene (NRW): Verfassungsrechtliche Grund-lage nach Art. 2 (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 3 (Gleichheitsgrundsatz), Art. 9 (Vereinigungs- und Koa-litionsfreiheit), Art. 5 (Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit) und Art. 17 (Petitionsrecht) GG, mittelbar auch Art. 8 GG (vgl. H. Harnoß, Parlamentarische Demokratie und Verbände in der Bundesrepublik Deutsch-land, S.77; C. Böhret, Art. Verbände, S.846). Entsprechende Regelungen der Geschäftsordnung auf Bundes-ebene: § 47, Abs. 3 (Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachkreisen und Verbänden) der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien [2000] (Moderner Staat - Moderne Verwaltung, S.44f.) und auf Landesebene Nordrhein-Westfalens: § 84, Abs.1-2/ 5 (Beteiligung außerhalb der Landesregie-rung stehender Stellen an Gesetzentwürfen). Gemeinsame Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen (GGO) vom 22.1. 1991. 23 C. Böhret, Institutionalisierte Einflußwege der Verbände in der Weimarer Republik, S.220.

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Daneben wurde in institutioneller Hinsicht zu Beginn der Weimarer Republik der bis 1933 bestehende sog. Reichswirtschaftsrat geschaffen. Sein Zweck lag in der Sammlung der Wirt-schaftsinteressen und deren Abstimmung mit anderen gesellschaftlichen Kräften, so daß die Ministerien teils von vorbereitenden Maßnahmen dieser Art entlastet werden sollten. Das Vorhaben scheiterte aber wohl an der angesprochenen Struktur konkurrierender Verbände. Die Verbändeinteressen ließen sich nicht auf eine Richtung festlegen. Von Verbändeseite wurde das Angebot kaum angenommen.24

Das soweit entstandene Verhältnis des Staates zu den Verbänden erfuhr während der natio-nalsozialistischen Herrschaft eine völlige Umgestaltung. Ebenso wie die meisten gesell-schaftlichen Bereiche wurden Verbände und Gewerkschaften gleichgeschaltet und in von Partei bzw. Staat gelenkte Korporationen integriert. Aus den Gewerkschaften wurde die 'Deutsche Arbeitsfront', das Gewerbe wurde in Gauwirtschaftskammern sowie Fachgruppen mit Mitgliedszwang zusammengefaßt. Entsprechend der Abkehr von einer pluralistisch kon-zipierten Gesellschaftsordnung vermochten diese Zusammenschlüsse keinerlei Mitwirkung an der Wirtschafts- und Sozialpolitik entfalten, sondern sanken zunehmend zu lediglich staatlichen Organen herab.25 In Korrelation zur politischen Entwicklung stellte sich nach 1945 auf dem Gebiet der späte-ren Bundesrepublik ein Neuaufleben des Verbandswesens ein, zunächst nach den Vorstel-lungen der alliierten Siegermächte. Weitgehend wurden die Verhältnisse zur Zeit der Wei-marer Republik wiederhergestellt, was zu einer viergliedrigen Form von Interessenvertretun-gen führte. Neben den Industrie-, Handels- oder Landwirtschaftskammern, den freien beruf-lichen und landwirtschaftlichen Interessenverbänden bildeten sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften.26 Indem sich nach der Einrichtung der Länder, dann des westlichen Bun-desstaates die staatlichen Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft verstärkten, nahmen paral-lel die Bemühungen der organisierten Verbände zu, auf staatliche Verwaltung, Regierung und Parlament Einwirkung auszuüben. Somit gilt die Beobachtung, daß die Verbände "einen wesentlichen Bestandteil im politisch-administrativen Entscheidungsprozeß ausmachen" (R. G. Heinze) seither umso mehr.27

1.2.1. Die Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände Am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände oder -vereine soll nun das strukturelle Zusammenspiel von staatlicher Verwaltung, Parteipolitik und Verbändeinteres-sen anhand konkreter Ereignisse auf Bundes- und Landesebene in den ersten Nachkriegsjah- 24 Ebd., S.221. 25 R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.97; P. Molt, Verbände - von der ständischen zur demokratischen Industriegesellschaft, S.56f.. 26 P. Molt, Verbände - von der ständischen zur demokratischen Industriegesellschaft, S.57.

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ren aufgezeigt werden. Exkursorisch sei zuvor einleitend ein Blick auf das Profil der Ar-beitsgemeinschaft geworfen. Ende Juni 2001 übergab die Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzervereine e.V. ihre Altre-gistratur, rund 90 Umzugskisten mit Liegeakten und Stehordnern an das Westfälische Archi-vamt in Münster. Dies war die erste Übergabe von Schriftgut des Verbandes an ein Archiv. In einem Depositalvertrag wurden das Eigentumsrecht des Leihgebers sowie Benutzungs-modalitäten, die sich in wesentlichen Zügen nach der Hausordnung des Archivamts richten, festgehalten, auch die Option vermerkt, zukünftig aus der Registratur ausgesondertes Schriftgut zur Übernahme und Ergänzung des Bestandes anzubieten. Der Vertrag wurde auf mindestens fünf, höchstens jedoch 29 Jahre terminiert.28 Erschlossen waren die Unterlagen bislang nur durch ein unvollständiges Aktenverzeichnis. Zur Zeit verzeichnet Frau Tiemann vom Archivamt den Bestand. Laut der Satzung des Verbandes sieht der heute in der Bundeshauptstadt ansässige Verein seinen Zweck in der "einheitliche[n] Vertretung, Wahrung und Pflege der Gesamtinteressen der in ihm zusammengeschlossenen Grundbesitzerverbände auf Bundesebene." Im Bundes-dachverband vereinigt sind derzeit zwölf Landesverbände, deren Zuständigkeit sich aber nicht in jedem Fall, wie etwa in Nordrhein-Westfalen, auf ein Bundesland erstreckt, so im Falle der Arbeitsgemeinschaft in Sachsen und Thüringen. Weiterhin angebunden sind der 'Arbeitskreis für Steuerfragen' und die 'Aktionsgemeinschaft Privates Denkmaleigentum'.29 Der Dachverband wiederum ist Mitglied der Gemeinschaft der Europäischen Grundbesitzer-verbände, der in Brüssel angesiedelten 'European Landowners Organisation'.30 Organe sind Mitgliederversammlung und Vorstand, letzterer aus einem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter und weiteren Mitgliedern bestehend. Zur allgemeinen Geschäftsführung "wird von dem Vorsitzenden ein Geschäftsführer durch Dienstvertrag angestellt."31

Die im Internet verfügbare Selbstdarstellung des Verbandes gibt nähere Auskunft über die in der Satzung angesprochenen Vereinsziele. Der Auftrag der Verbände bestehe in der Vertre-tung der "gemeinschaftlichen, mit dem Eigentum an Grund und Boden zusammenhängenden Interessen .. gegenüber den Regierungen, den gesetzgebenden Körperschaften, den politi-schen Parteien sowie den Behörden." Absicht sei dabei "die Erhaltung des Eigentums und die Abwehr von Angriffen auf das Eigentum", weshalb man sich "laufend mit dem Span-nungsverhältnis zwischen Eigentumsgarantie und Sozialpflichtigkeit des Eigentums ausein-ander[setzt]." "Größte Aufmerksamkeit", wie es heißt, widmen die Verbände "der Abgren-zung der entschädigungslosen Sozialbindung von der entschädigungspflichtigen Enteig- 27 Ebd., S.58; R.G. Heinze, Verbändepolitik und "Neokorporatismus", S.102; T. Eschenburg, Das Jahrhundert der Verbände, S.109. 28 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Depositalvertrag vom 30.6. 2001 in Geschäftsunterlagen, o. Nr.. 29 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Satzung in Geschäftsunterlagen, o. Nr.; www.grund-besitzerverbaende.de/inhalt4a.htm. 30 C. Frh. v.Ketteler-Harkotten, Rückblick auf 21 Jahre Vorsitz, S.16; www.grundbesitzerverbaende.de/inhalt5.htm.

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nung". Um "Entscheidungen auf breiter Basis vorzubereiten" arbeite man mit anderen Inte-ressenvertretungen zusammen, v.a. mit dem Deutschen Bauernverband, der Arbeitsgemein-schaft der Waldbesitzerverbände und dem Zentralverband Haus und Grund. Neben der Bera-tung von über 50.000 Mitgliedern würden die Verbände v.a. in "Gespräche[n] mit verant-wortlichen Politikern, leitenden Beamten und Vertretern der Wissenschaft" aktiv, "sei es in Berlin, Bonn, Karlsruhe, Brüssel oder Straßburg." Man pflege "Verbindungen zu den jewei-ligen Regierungen, insbesondere zu den Landwirtschafts-, Umwelt- und Innenministerien" sowie "Kontakte zu einflußreichen Vertretern politischer Parteien" im Bund und den Län-dern ebenso wie zu "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens" und der Presse.32

Dieses Aufgabenprofil ist demzufolge auch an der Verbandsregistratur abzulesen, die im Kern neben dem angeführten "Lobbyismus" in die Bereiche Bodenreform, Städtebauförde-rung, Kulturgut- und Umweltschutz zu untergliedern ist. Der Bereich der Bodenreform gab dann auch den Anstoß zur Verbandgründung. Auf 40 Jahre Verbandsgeschichte zurückblickend, erinnerte sich Walter v.Bennigsen 1996 in einer Festveranstaltung, bei welcher u.a. der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert und der Präsident des Bauernverbandes Constantin Frh. v.Heereman Reden hiel-ten,33 an die Monate nach Kriegsende. "Vom Osten geschürt und von den 3 anderen Besat-zungsmächten akzeptiert" sei versucht worden, den "größere[n] Grundbesitz [zu] entmach-te[n]".34 Dahinter stand der Versuch einer durchgreifenden gesellschaftlichen Neuordnung, die außer von den Besatzungsmächten von SPD, KPD, Zentrumspartei und auch dem linken Flügel der CDU mitgetragen wurde. Unter dem Schlagwort '"'Sozialismus der Nachkriegs-jahre'" sollten drei Gebiete parallel umzustrukturiert werden: Die Kohleindustrie sollte sozia-lisiert, die wirtschaftspolitischen Interessenvertretungen umgestaltet sowie eine Bodenreform durchgeführt werden. Der Eingriff in die Besitzverhältnisse von Grund und Boden war stär-ker umstritten als derjenige in die Kohleindustrie, handelte es sich doch hierbei um "sehr alte Eigentumsverhältnisse, vor allen Dingen aber um die Enteignung einer gerade in Westfalen immer noch einflußreichen sozialen Schicht, dem Adel." Anlaß waren insbesondere die am Rande des Ruhrgebietes wachsenden Industrieansiedlungen, die für Produktionsstätten und Wohnanlagen Land erforderten, das der Großgrundbesitz, wenn überhaupt, nur unter hohen Preisen abtreten wollte. Zudem wurde bevölkerungspolitisch ein umfangreiches Siedlungs-programm erforderlich, das ausgebomten wie geflohenen Menschen neue Wohnstätten be-reitstellen sollte.35

31 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Satzung in Geschäftsunterlagen, o. Nr.. 32 www.grundbesitzerverbaende.de/inhalt5.htm; ebd., inhalt1.htm. - Vgl. über die Selbstdarstellung hinaus www.grundbesitzerverbaende.de allgemein zur Information der Mitglieder mittels ausgesuchter aktueller Pres-semitteilungen, Veranstaltungshinweisen, Ansprechpartnern sowie Verweisen zu sachnahen weiteren Interes-senvertretungen und Organisationen. 33 Nebenbei sei bemerkt, daß Clemens Frh. v.Ketteler-Harkotten, den man anläßlich der Feierstunde für 21 Jahre Vorsitz ehrte, in seiner Ansprache dem Bundesminister "auch für das offene Ohr, das Sie immer für unse-re Anliegen hatten", dankte. C. Frh. v.Ketteler-Harkotten, Rückblick auf 21 Jahre Vorsitz, S.16. 34 W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.65. 35 P. Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S.409f./ 418. W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.70 führt an, daß die Reform das Ziel hatte, die Ernährung der Bevölkerung besser sicherzu-stellen.

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"Zunächst wurde bekannt", so v.Bennigsen rückblickend, "daß keiner mehr als 100 ha - Wald eingeschlossen - besitzen dürfe." Darauf reagierten die Großgrundbesitzer schnell, auch über Westfalen hinaus: Noch 1945 konstituierten sich in mehreren Gebieten Deutsch-lands Grundbesitzervereine, die sich Ende 1946 - laut v.Bennigsen, "ob verboten oder nicht" - in Frankfurt am Main zum Dachverband der Arbeitsgemeinschaft zusammenschlossen. Erster Vorsitzender wurde Udo Fürst zu Löwenstein, Geschäftsführer der bereits erwähnte Prof. E. Schuster. Für die später im Land Nordrhein-Westfalen tätige Arbeitsgemeinschaft übernahmen damals die beiden promovierten Juristen Friedrich Karl Gf. v.Westphalen aus Fürstenberg (geb. 1898) den Vorsitz sowie sein Vetter Friedrich Ferdinand Gf. v.Westphalen (geb. 1897) aus Meschede die Geschäftsführung.36

Im Juni 1947 gewannen die Bemühungen um eine Bodenreform deutliche Konturen. Die britische Militärregierung forderte den Zonenbeirat auf, diesbezügliche Vorschläge einzu-bringen. Dem folgte die Verordnung Nr. 103 der Militärregierung vom 4.9. 1947, die den Ländern drei Monate Zeit für den Erlaß von Reformgesetzen einräumte. Dahinter war klar das Motiv zu erkennen, die politische und wirtschaftliche Macht der Großgrundbesitzer ein-zudämmen sowie das Land, vielleicht noch auf der Linie des Morgenthauplans, neben den oben beschriebenen Absichten, in Richtung auf ein Kleinbauerntum zu agrarisieren.37

Der "Kampf" (v.Bennigsen) um die Bodenreform begann: Als die Großgrundbesitzer von den ersten gesetzlichen Bestimmungen erfuhren, gelang es v.Bennigsen "durch die Ver-wandtschaft mit dem damaligen stellvertretenden englischen Militär-Gouverneur" in Berlin von einer Sekretärin, die bei der russischen Militärregierung arbeitete, den Entwurf der Ver-ordnung bereits im August 1946 zu erhalten. "Durch die rechtzeitige Kenntnis dieser VO haben wir viele Grundbesitzer veranlassen können, ihren Besitz an Kinder oder Verwandte aufzuteilen."38 Die Besitzverschiebungen führten dazu, "daß sie jede Bodenreform auszu-höhlen drohten" (P. Hüttenberger).39

Das alliierte Vorgehen entsprach jedoch auch nicht ganz den Vorstellungen der deutschen Seite. Der zuständige und seit Januar 1947 im Amt befindliche nordrhein-westfälische Mi-nister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Heinrich Lübke, begrüßte zwar eine Bo-denreform, verfolgte aber wohl nicht primär ein politisches Ziel gegen den grundbesitzenden Adel, sondern sah darin ein Mittel zur Linderung der bestehenden sozialen Notlage.40

36 W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.65/ 67f.; Genealogisches Handbuch des Adels, Gräfliche Häuser, Bd.XII, S.513/ 515. 37 P. Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S.419f.. 38 W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.71. 39 P. Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S.422. 40 H. Romeyk, Kleine Verwaltungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, S.235 (ebd., S.233-262 allgemein zur Ge-schichte, Organisation und personellen Besetzung des Ministeriums); P. Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S.419f..

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Zur Durchführung der Reform wurde das zwischen 1949-1958 bestehende Landessiedlung-samt eingerichtet, das enteignete Grundstücke verwalten und für Siedlungen bereitzustellen hatte.41 Umsetzungsprobleme der Reform entstanden für das Ministerium aber nicht nur infolge der Abstimmung mit der Militär- und der Bundesverwaltung sowie des Widerstandes der Grundbesitzer, sondern auch durch Gegenkräfte in der eigenen Fraktion Lübkes. Und das dürfte nicht zum geringsten auf Einflußnahmen der Grundbesitzer zurückgehen. Der Abge-ordnete Müller, Vorsitzender des Ernährungsausschusses und Vertreter der Landwirtschafts-verbände im Landtag "erwies sich hierbei als Vorkämpfer." Zuvor bereits hatte er einen ei-genen Entwurf zur Bodenreform bei der britischen Kontrollkommission unterbreitet, der beinhaltete, daß die Landverpachtung eine gleichwertige Alternative zur Landabgabe sein sollte. Müller "entwickelte sich .. im Laufe der Zeit zu .. [Lübkes] entschiedenem Kontrahenten." Auf diese Weise wurde bis Jahresende 1947 der Bodenreform "die politische, vor allem anti-aristokratische Spitze genommen." Wenige Tage bevor das Gesetz schließlich im Landtag am 16.5. 1949 verabschiedet wurde, äußerte Lübke vor dem Landtag resigniert: "Wenn man ein Gesetz wie dieses von allen Seiten verurteilt sieht, sollte man es endlich in die Wolfs-schlucht werfen."42

Nun hatte die Bodenreform "weder in der ersten Legislaturperiode noch danach große Aus-wirkungen." Lediglich in geringem Umfang wurde Land zu Siedlungszwecken enteignet. Die alten Besitzverhältnisse jedenfalls blieben weitgehend unverändert.43 Dennoch hielt sich die Diskussion um die Bodenreform und deren Modalitäten auch in den folgenden Jahren, auf die anhand einiger Quellenbeispiele bezogen auf den Kontakt zwischen Verband, Politik und Verwaltung, aufgeteilt nach Bundes- und Landesebene, nun punktuell einzugehen ist. Nach Ansicht v.Bennigsens ist die Frage auch gegenwärtig noch aktuell. So resümierte er in seinem angeführten Rückblick auf die Verbandsgeschichte: "Zusammenfassend muß leider festgestellt werden, daß die Bedrohung des freiheitlichen Eigentums keineswegs nachgelas-sen hat."44

Für die Bundesebene, wo für die vorliegende Betrachtung die Bestände B 116 (Bundesmi-nisterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) und B 141 (Bundesministerium für Justiz) herangezogen wurden,45 liegt zunächst für das Jahr 1953 ein Schreiben vor, das zeigt, wie der nordrhein-westfälische Grundbesitzerverband nach der Berufung Heinrich Lübkes zum Bundesernährungsminister in typischer Verbandsmanier bemüht war, den persönlichen Kontakt aufrechtzuerhalten. Friedrich Gf. v.Westphalen, gemeint ist wohl der Vorsitzende

41 Vgl. zur Institution: H. Romeyk, Kleine Verwaltungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, S.255f. und die Be-stände: HStAD, BR 1056-1057 und 1184. 42 Gesetz über die Durchführung der Bodenreform und Siedlung in NRW vom 16.5. 1949. Dazu Durchfüh-rungsverordnung vom 8.8. 1949 (GVBl. NW. 1949, S.84 und GVBl. NW. 1950, S.223); P. Hüttenberger, Nord-rhein-Westfalen, S.424/ 428f. Zit.). 43 P. Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S.430. 44 W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.74. 45 Vgl. die Beständeübersicht Bundesarchiv Koblenz, Abt. B, Bestände 1945ff., hier S.146ff. und S.209ff..

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des Verbandes, gratulierte Lübke und verwies nach seinen Worten auf ihre "weitgehende Übereinstimmung in vielen Fragen der Siedlungspolitik". Für die Zusammenarbeit hoffe er "zuversichtlich den gleichen Geist verständnisvollen Vertrauens zu finden", sowie, "dass die Betreuung forstpolitischer Belange bei Ihnen und Ihrem Ministerium auch in Zukunft gleichartige Förderung finden möge, wie es auch im Lande Nordrhein-Westfalen mit grossen Erfolg der Fall war."46 Daß diese Worte nicht so recht aus dem Herzen gesprochen sein dürften, macht neben den allgemein bekannten politischen Grundhaltungen47 ein Blick in verbandsinterne Aufzeich-nungen über den Politiker deutlich. Beispielsweise teilte Dr. iur. Robert v.Schalburg, Rechtsanwalt in Bonn und bis in die 1970er Jahre juristischer Vertreter und einer der Tat-kräftigsten des Verbandes, im Januar 1954 dem Fürsten zu Oettingen-Wallerstein frei mit, daß Lübke "ein Mann [sei], dessen Haltung weitgehend von gewissen gesellschaftlichen Minderwertigkeitsgefühlen beeinflußt wird. Darin liegt wohl auch der Grund, weswegen er den Herrn des größeren Grundbesitzes gegenüber eine sehr deutliche Reserve wahrt." Der Minister sei "völlig unempfänglich für gesellschaftliche Formen und jeden persönlichen Charme" und nehme "offenbar Erklärungen seines Verhandlungspartners sehr subjektiv auf[]", urteilte v.Schalburg.48 Eine ähnliche Überzeugung dürfte damals in der Leitung des Bauernverbandes geherrscht haben. Diese den Grundbesitzern nahestehende Vereinigung wirkte 1953 klar gegen eine Berufung Lübkes zum Bundesminister und wollte dessen Wiederernennung 1957 "mit allen Mitteln" verhindern.49

Bundesminister Lübke bemühte sich nur wenige Tage nach v.Westphalens Gratulation um eine Aussprache mit den Grundbesitzerverbänden. Lübke wollte ihrem Vertreter Günter Gf. v.d.Schulenburg "seine Auffassungen über grundsätzliche Fragen des Agrar- und Boden-rechtes darlegen .. und zwar im Zusammenhang mit den gesetzgeberischen Aufgaben, die vor uns liegen."50 Ein üblicher Vorgang im Verhältnis von Verwaltungen und Amtsinhabern gegenüber Verbänden: Sowohl die Bürokratie wie nicht selten der Bundeskanzler ergreifen die Initiative und kontaktieren Verbände, einfach um auf deren Informationen und speziellen Sachverstand zurückgreifen zu können und um abzuschätzen, "wie geplante Maßnahmen voraussichtlich wirken, und wie sie von den betroffenen Kreisen aufgenommen werden."51

46 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.200, 21.10. 1953. 47 Heinrich Lübke war bereits 1923 in Berlin "im kleinbäuerlichen Organisations- und Siedlungswesen tätig" und wurde noch vor 1933 "zu einem erfolgreichen Agrar- und Siedlungsexperten, die die großbäuerlichen Inte-ressenvertreter als 'Bodenreformer' und 'roten Lübke' bekämpften." R. Morsey, Art. Heinrich Lübke, S.442f.. 48 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.227, 30.1. 1954. 49 Hingegen traten Interessengruppen aus Handel und Industrie, Gewerkschaften und Verbrauchenverbände für Lübke ein - gleichfalls ein Fall des Ausgleichs von Verbändeinteressen. T. Eschenburg, Das Jahrhundert der Verbände, S.109. Dazu auch: K. v.Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, S.184. 50 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.200, 28.10. 1953. 51 J. Weber, Gefährdung der parlamentarischen Demokratie durch Verbände?, S.185 (Zit.); ders., Dimension und Bedeutung der Verbände in Deutschland, S.27; C. Böhret, Art. Verbände, S.847. "Untersuchungen haben gezeigt, daß für die Ministerialverwaltung auf Bundesebene die Verbände mit 31% den zweiten Platz hinter dem Regierungsbereich selbst (37%) unter den genannten wichtigsten Informationsquellen einnehmen." Um-gekehrt ist natürlich die Ministerialbürokratie für die Verbände eine sehr wichtige Informationsquelle (J. We-ber, Gefährdung der parlamentarischen Demokratie durch Verbände?, S.187). Dazu auch K. v.Beyme, Interes-

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Neben der Einflußnahme auf den jeweiligen Minister sind seine Mitarbeiter und Berater ge-suchte Gesprächspartner. Im Juli 1954 nutzte Friedrich Gf. v.Westphalen einen Vortrag des Staatssekretärs Theodor Sonnemann aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium zu einer Unterredung über das Bodenreformentschädigungsgesetz. Man wurde sich einig, daß ein allgemeines Entschädigungsgesetz erforderlich sei. Nach Aufzeichnungen v.Westphalens teilte Sonnemann mit, daß wohl im Herbst die deutschten Streitkräfte weitere Flug- und Hee-resübungsplätze benötigten, was ein allgemeines Entschädigungsgesetz dringend erfordere. Und: "Es sei ein Unsinn zuvor ein Bodenreform-Entschädigungsgesetz einzubringen", doch "Minister Lübke sei gegenteiliger Ansicht". Ein Referent habe "ein verhältnismäßig sehr günstiges [!] Bodenreform-Entschädigungsgesetz in Vorbereitung gehabt", so Sonnemann weiter, "sei aber jetzt völlig verprellt, da ihm der Minister gesagt habe, er wolle keine Ge-schenke an den Großgrundbesitz." Ebenso hätten sich "die Spannungen zwischen Hermes und Lübke .. sehr verstärkt". Schließlich empfahl der Regierungsvertreter, mit einem Bun-destagsabgeordneten, der Vorsitzender des zuständigen Arbeitskreises der CDU/ CSU ist, deshalb "in Fühlung zu treten". V.Westphalen konnte nach dem Gespräch "mit Genugtuung fest[stellen], daß Sonnemann absolut als unser Freund anzusehen ist."52

Ein knappes Jahr darauf war man auf Verbandsseite mit der politischen Linie des Bundesmi-nisters in dieser Frage gleichfalls nicht zufrieden. Friedrich Gf. v.Westphalen wandte sich an Robert v.Schalburg und klagte: "Viel Kopfzerbrechen machen mir die Ausführungen Lüb-kes". Lübke habe "gesagt, dass dem Wunsch verschiedener Kreise und auch unseren Wün-schen entsprechend die Entschädigungsfrage in der Bodenreform gemeinsam und gleichartig wie die Entschädigung aller übrigen Landinanspruchnahmen erledigt werden soll und dass Entschädigungen nach Landesgesetzen, die diesen Grundsätzen widersprechen, nachträglich berichtigt würden. Ich frage mich vergeblich, was Lübke zu dieser äusserst konkreten Zusa-ge veranlasst hat." Weiter regte v.Westphalen an, "ob es nicht richtig wäre der Äusserung Lübkes durch Besprechung mit den zuständigen Sachbearbeitern sachlich nachzugehen um festzustellen, ob nicht vielleicht in der hier geschilderten Weise ein Pferdefuss zu finden ist."53

Die verbandsinterne Meinungsbildung ist anhand der Registraturunterlagen gut nachzu-zeichnen. So stellte in der vorliegenden Thematik beispielsweise eine Geschäftsführerbe- sengruppen in der Demokratie, S.249: Es besteht Interesse der Beamten an der Beratung durch Verbände, "weil sie [sc. die Beamten, O.R.] die Grenzen ihrer eigenen Kompetenz in der Regel erkannt haben. Sie sind meist Juristen, aber keine wissenschaftlich ausgebildeten Sachexperten, auch wenn sie sich nach ihrem Studium in ein bestimmtes Gebiet eingearbeitet haben." Speziell zur Kontaktaufnahme seitens des Bundeskanzlers und der Bundesregierung an die Verbände: J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S.249-253. 52 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.227, 3.7. 1954. V.Westphalen wird mit seiner Ein-schätzung nicht Unrecht gehabt haben: Sonnemann, der bis 1961 als Staatssekretär in diesem Ministerium amtierte, besaß "immer ein besonders gutes Verhältnis zum Deutschen Bauernverband". Er war vor seiner politischen Karriere Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landvolkverbandes und wurde nach Beendi-gung seiner Staatstätigkeit Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes. J. Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S.264. 53 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.227, 21.5. 1955.

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sprechung, also auf der Organisationsebene des Bundesverbandes im Mai 1958 fest, daß Einigkeit darüber bestehe, "weiterhin kompromißlos eine ersatzlose Aufhebung der Boden-reformgesetze im Rahmen des Bundessiedlungsgesetzes zu fordern". Man wollte weiter mit dem Bundesministerium verhandeln. Außerdem möge "die vom Bundesernährungsministe-rium erbetene Denkschrift zur Bodenreform mit aller gebotenen Sorgfalt erstellt werden". Grundlage sollten die statistischen Angaben sein, die in einem Rundschreiben der Arbeits-gemeinschaft an ihre Mitglieder kurz zuvor erbeten worden waren.54 Häufig fertigten auch renommierte Juristen im Auftrag des Verbandes Gutachten und Stel-lungnahmen an, einige hielten - wie im übrigen auch Politiker - Referate vor Mitgliederver-sammlungen. Etwa Prof. Dr. Walter Jellinek aus Heidelberg, der schon im Herbst 1946 für den Schleswig-Holsteinischen Grundbesitzerverband zu den Bodenreformplänen "ein Gut-achten über dieses Gesetz erstattet[e], das erhebliche rechtliche Bedenken anmeldete".55 Der Heidelberger Staatsrechtslehrer Professor Klaus Vogel und Walter Leisner aus Erlangen, der der Arbeitsgemeinschaft besonders nahe stand, waren für den Verband tätig.56 Und auch hochrangige Vertreter aus Politik besuchten und referierten vor dem Verband, beispielsweise Otto Gf. Lambsdorff ("Eigentum in Land und Forstwirtschaft - verantwortungsvoll nutzen") oder Franz-Josef Strauß, der sich allerdings vertreten lassen mußte.57

Einige Monate nach jener Geschäftsführerbesprechung trafen der Markgraf von Baden und v.Schalburg mit Lübke in Wien zusammen, wiederum auf Anregung Lübkes. Der Minister machte zunächst deutlich, daß er gerne bereit wäre, sich mit dem Grundbesitzerverband "über die Ausgestaltung des Erbpachtrechtes abzustimmen", woraufhin die Verbändevertre-ter sich ablehnend äußerten und auf nachteilige Entwicklungen verwiesen, die sie z.B. in Mecklenburg sahen. Dort sei "im Laufe der Jahre das Erbpachtrecht der Pächter zu einem starken Nutzeigentum geworden, während sich das Obereigentum des Eigentümers zu einem nudum jus verdünnt hat". Bald wurde das Gespräch seitens des Markgrafen und v.Schalburgs "auf die Bodenreform gelenkt" und auf die nach ihrer Ansicht für den Grund-besitz besonders in Nordrhein-Westfalen nachteilige Lage verwiesen. Darauf meinte der Minister unter Berücksichtigung der übergreifenden bundespolitischen Entwicklung, "daß es seines Erachtens nach der Entwicklung der letzten Zeit am richtigsten sei, das heikle Prob-lem der Bodenreform im Bundessiedlungsgesetz überhaupt nicht anzusprechen, sondern die Gesetze, die praktisch bedeutungslos geworden seien, auslaufen zu lassen." Die Verbände-vertreter antworteten, "daß aber .. auch in Nordrhein-Westfalen [sc. mit dem Bemühen um eine Bodenreform, O.R.] Schluß gemacht werden müsse, denn dort könne von einer Bedeu-tungslosigkeit der Bodenreformgesetze noch nicht die Rede sein". Lübke "versprach, sich über die Situation in Nordrhein-Westfalen orientieren zu lassen und gab wiederholt seiner

54 Ebd., Nr.57, 12.5. 1958. 55 Es gelang auch diesem Verband letztlich, "durch Angebote der Zweitbesitzungen das Gesetz nicht zur Durchführung zu bringen." W. v.Bennigsen, Die Verantwortung des größeren Grundbesitzes, S.71. 56 Vgl. WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.306/ 501/ 586/ 665/ 711. 57 Ebd., Nr.525/ 527.

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Ansicht Ausdruck, das Bodenreformproblem aus dem Bundessiedlungsgesetz herauszulas-sen."58

Offenbar nur wenige Tage nach seinem Wiener Gespräch kamen bei Staatssekretär Sonne-mann u.a. v.Schalburg und Frh. v.Palombini, der das Treffen vermittelt hatte, in der Boden-reformfrage erneut zusammen. Man resümierte abschließend, daß "einige Aussicht darauf [bestehe], daß auch Minister Lübke für diesen Gedanken [sc. einer ersatzlosen Aufhebung der Bodenreformgesetze, O.R.] zu gewinnen sein wird." Denn Lübke stünde "unter dem sehr günstigen Eindruck eines Gespräches, das er in Wien mit S. K. H. dem Markgrafen geführt hat". Falls Lübke diese Linie vertreten würde, rechne man mit keinen starken Widerständen im Kabinett, doch sei eben noch offen, wie sich dann der Bundestag verhalten wird.59 Wie sich im vorherigen zeigte suchte die Arbeitsgemeinschaft, genauer der Landesverband Kontakt und Einflußnahme auch auf Länderebene. Das daraus entstehende staatliche Schriftgut wird, soweit es zu Archivgut wurde, entsprechend der Zuständigkeit für die obers-ten Landesbehörden und Landesoberbehörden überwiegend in der Abteilung III (Ministeri-alarchiv) des Düsseldorfer Hauptstaatsarchives aufbewahrt.60 Im Juli 1953 übersandte Bundesminister Lübke an seinen früheren Mitarbeiter im Nord-rhein-Westfälischen Ernährungsministerium Dr. Norbert Thienel einen vordem zwischen beiden besprochenen Entwurf eines Schreibens an die Landwirtschaftsverbände. Lübke teilte mit, daß er gerade Gelegenheit hatte, "mit dem Grafen Westfalen die Formulierung zu be-sprechen" und daraufhin "mit ihm vereinbart [hat], einige Änderungen vorzunehmen". So ließ er "auf Anregung vom Grafen" den Satz "'Wie ich annehmen, darf, wird die rechtliche Bedeutung der Verordnung 103 nunmehr von allen Seiten richtig erkannt'" streichen. Lübke "hatte den Eindruck, man fürchtete auf der anderen Seite eine ungünstige Einwirkung auf den Verlauf des Prozesses."61 Auch Regierungsrat Thienel stand derzeit in Kontakt mit dem Grafen v.Westphalen. Wenige Wochen zuvor, im Mai 1953 wies er ihn auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts in der Bodenreformfrage hin. Seines Erachtens werde es der Graf "schwer haben, sich mit diesem Urteil auseinanderzusetzen." Um zu einem rechtlichen Ergebnis zu gelangen, "würde ich es aber begrüßen, wenn Sie einen Weg fänden."62

58 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.57, 16.9. 1958. 59 Ebd., Nr.58, undat., wohl um Sept. 1958. 60 Die Bestände des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, S.12/ 15. - Für den Bereich Bodenreform im betrachteten Zeitraum kommen hier v.a. in Betracht: BR 1056,1057 (Landessiedlungsamt; Abt. II: Rheinisches Behördenar-chiv); NW 23, 57, 266 (Innenministerium; Abt. III: Ministerialarchiv), NW 411 (Finanzministerium; Abt. III: Ministerialarchiv), NW 124, 132, 268, 354, 454 (heute: Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirt-schaft, früher Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; Abt. III: Ministerialarchiv). 61 Thienel wurde Ende der 1960er Jahre Ministerialdirigent und Staatssekretär (Die Bestände des Hauptstaats-archivs Düsseldorf, S.570). - HStAD, RWN 217 (Nachlaß N. Thienel), Nr.2, fol.31. Ebd., fol.32-33 eine Kopie des genannten Schreibens an die Landwirtschaftsverbände vom 6.7. 1953, welches auch überliefert ist in ebd., NW 57 (Innenministerium), Nr.196d, fol.166-67. 62 Ebd., RWN 217 (Nachlaß N. Thienel), Nr.1, fol.42.

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Auf die Zusammenarbeit der Landwirtschaftsverbände zur Novellierung des Bodenreform-gesetzes bezieht sich eine Mitteilung von Friedrich Gf. v.Westphalen an v.Schalburg vom September 1954. Der Graf schrieb, man wolle nun "einen Vorstoß" in dieser Angelegenheit unternehmen. Bereits zuvor "hatten wir mit den massgeblichen Herren des Ministeriums sowie mit Minister Dr. Peters persönlich vertrauliche Aussprachen in dieser Sache und es besteht an dieser Stelle die Geneigtheit, in ungefähr dem vorgeschlagenen Sinne an eine No-vellierung heranzugehen."63 Im folgenden Jahr wandte sich der Graf in derselben Sache an v.Schalburg und rief eingangs in Erinnerung, daß der Verband "seit langem mit dem Ernäh-rungsministerium, aber auch mit politischen Stellen des Landes Verhandlungen" führt, "um eine Änderung der praktischen Handhabung der Entschädigung zu erreichen." Nun bestün-den mit dem Ernährungsministerium keine Meinungsverschiedenheiten mehr, doch: "Die Schwierigkeiten liegen beim Finanzministerium." Über die seitens des Verbandes "zu ergrei-fenden taktischen Massnahmen" sei jetzt eingehend beraten worden, wobei es hauptsächlich darauf ankomme, "immer im Einvernehmen mit den Landwirtschaftsverbänden des Landes" vorzugehen, denn "gerade hierin ist unsere Stärke gelegen." V.Westphalen schlug eine Wie-deraufnahme der Gespräche mit dem Ministerium vor. Diese sollten allerdings nicht unter der Prämisse geführt werden, daß "mangels Regelung der Vorbehaltsklausel kein Siedlungs-land mehr zur Verfügung gestellt wird." Von einer solchen "Kraftprobe" sei Abstand zu nehmen, da "dies gerade jene Kreise, die uns in der Regierung behilflich sein wollen, in die schwierigste Lage bringen würde." Abschließend führte der Graf das Beispiel Hessens an, das sich für die Arbeitsgemeinschaft scheinbar unter positiven Vorzeichen entwickle. Als er kürzlich in Paris war habe er "im Louvre eine Unterredung mit Minister Hacker", dem hessi-schen Landwirtschaftsminister, geführt. Dieser "erklärte, die Bodenreform in Hessen liqui-dieren zu wollen".64

Noch drei Jahre später wurde weiter um das Gesetz bzw. dessen Ausführung gerungen. Mitte Oktober 1958 suchten der Vorsitzende und der Geschäftsführer des Grundbesitzerverbandes Nordrhein-Westfalens, Friedrich Karl Gf. und Friedrich Ferdinand Gf. v.Westphalen das Ge-spräch mit dem neu ernannten Ernährungsminister Gustav Niermann über die Frage der Ab-lösung von Nachforderungsvorbehalten in den Bodenreformabgabeverträgen. Teilnehmer einer Besprechung, der in dieser Thematik eine andere im April 1957 vorgangangen war, waren des weiteren Staatssekretär Tillmann, Ministerialdirigent Klosterkemper und Ministe-rialrat Weiland. Laut dem vom Ministerium aufgezeichneten Protokoll fragte Friedrich Karl Gf. v.Westphalen zu Beginn der Unterredung, inwieweit "weitere Landabgaben Abgabe-pflichtiger gewünscht und zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden sollen". Die Ministerialvertreter bedeuteten den Grafen, daß "die weitere Bewilligung von Haus-haltsmitteln für die Ablösung der Nachforderungsvorbehalte sicher im Landtag zu Schwie-rigkeiten führen würde, wenn keine weiteren Landabgaben zustande kämen". Es wurde die Schwierigkeit erörtert, daß Abgabepflichtige bislang nichts abgegeben haben und dazu wohl 63 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr.539, 9.9. 1954. - Dr. Johannes Peters war zwischen 1953 und 1956 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Nordrhein-Westfalens. H. Romeyk, Kleine Verwaltungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, S.235.

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auch zukünftig nicht bereit seien. In diesem Punkt wolle sich die Arbeitsgemeinschaft "be-mühen, wiewohl die Erfolgsaussichten nicht groß sind." Von den Verbändevertretern wurde gefragt, "ob nicht das gegenwärtige umstrittene Bodenreformrecht durch ein neues Gesetz aufgehoben und ersetzt werden sollte", woraufhin sich im Laufe der Diskussion beide Seiten einigten, "daß man dies auf Landesebene jedenfalls solange nicht anstreben sollte, als Aus-sicht besteht, daß der Bund mit seiner Gesetzgebung eine entsprechende Lösung herbei-führt." Abschließend bat Friedrich Karl Gf. v.Westphalen für den Fall, daß dem Ministerium der Entwurf eines Bundessiedlungsgesetzes zugehe, dieses "mit ihm zu besprechen", bevor das Ministerium dazu Stellung nehmen werde. "Dies wurde ihm zugesagt."65

1961 führten die Verhandlungen zwischen Verband und Minister zu konkreten Vorhaben. Laut eines Schreibens Friedrich Gf. v.Westphalens an v.Schalburg einigte man sich mit Mi-nister Niermann dahingehend, daß er "nach selbstverständlich vorher geführten politischen Verhandlungen den Antrag auf Aufhebung der Bodenreformgesetze dem Landtag vorlegen wird", sofern die Großgrundbesitzer Land zwecks Verkauf für Nebenerwerbssiedlungen an-bieten. Dabei hat der Verband "die verbindliche Zusage" erhalten, "daß diese Verträge auf Wunsch annuliert werden, wenn die Aufhebung der Bodenreformgesetze wider Erwarten nicht erfolgt." Diese Information möge v.Schalburg diskret behandeln, denn es "bedarf wohl keines besonderen Hinweises, daß in dem jetzigen Entwicklungsstadium die Kenntnis des Sachverhalts über den Kreis der Betroffenen nicht hinausgetragen werden darf."66

Schließlich sei noch auf einen weiteren Bereich Bezug genommen, der die Einflußnahme der Verbände auf politische und administrielle Entscheidungen wesentlich prägt, nämlich das Führen von Musterprozessen. Bei der nordrhein-westfälischen Bodenreform kam diesbezüg-lich dem sog. Hamker-Prozeß ein hoher Stellenwert zu. In den Jahren 1952 bis 1958 prozes-sierte der Landwirt Walter Hamker aus Blomberg in Lippe gegen das Land Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Kläger bestritt die Verein-barkeit des nordrhein-westfälischen Bodenreformgesetzes von 1949 mit dem Grundgesetz. Für den Landwirt erstellte der bekannte Heidelberger Verfassungsrechtler und -historiker Prof. Dr. Ernst Forsthoff, der in diesen Jahren auch für die Arbeitsgemeinschaft tätig war,67 ein Rechtsgutachten. Darüber hinaus besaß der Klagende die juristische und politische Un-terstützung des Grundbesitzerverbandes. Das wird beispielsweise 1956 deutlich, als ein Ver-bandsvertreter in der Sache Hamker an v.Schalburg schrieb, daß die Verhandlungen in Düs-seldorf "vor den Parlaments- und Ministerferien nicht zum Endergebnis gebracht werden konnten". Mit dem neuen Ernährungsminister sei jedoch über eine Wiederaufnahme der Be-sprechungen im folgenden September Einverständnis hergestellt worden. In diesem Zusam-

64 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr. 539, 13.10. 1955. Siehe zu Gustav Hacker, Landwirt-schaftsminister Hessen 1955-1967: Munzinger-Archiv [1979], 43/79. 65 HStAD, NW 132, Nr.157, fol.141. - Niermann war zwischen 1958-66 Minister für Ernährung, Landwirt-schaft und Forsten in Nordrhein-Westfalen. H. Romeyk, Kleine Verwaltungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, S.235. 66 WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr. 539, 13.3. 1961. 67 Vgl. ebd., Nr. 195. Forsthoff erarbeitete z.B. ein Gutachten zur staatsrechtlichen Situation der Ost-Bodenreform für den Fall einer Wiedervereinigung der deutschen Staaten.

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menhang begegnet wiederum der erwähnte Regierungsrat Dr. Thienel, der u.a. 1952 laut Kabinettsbeschluß die Landesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesver-fassungsgericht vertreten sollte. Für den Landwirt und damit die Arbeitsgemeinschaft verlief der Prozeß erfolglos. Hamker zog die Beschwerde im Oktober 1958 zurück.68

2.1. Früherer archivtheoretischer Stellenwert der Ergänzungsüberlieferung und die heutige Diskussion Perspektivwechsel: Bis hierher sollte - nach der einleitenden Entwicklung der Fragestellung und Darlegung der Problemlage - am Tätigwerden der Arbeitsgemeinschaft auf Bundes- und Landesebene anschaulich vorgeführt werden, daß Vorgänge auf diesen Verwaltungsebenen eng mit den von Verbänden ausgehenden Einflußnahmen verknüpft sind. Dies gilt nicht nur etwa hinsichtlich ab und an erforderlicher Reaktionen, sondern generell für die Orientierung des zukünftigen verwaltungsmäßigen und politischen Handelns. Festzuhalten ist, daß das Schriftgut von Verbänden zur Ergänzung staatlicher Überlieferungsbildung sinnvoll und in vielen Fällen wohl auch als eine notwendige Komplettierung zu bezeichnen ist. Das gilt so-wohl bezüglich der Absicherung eines ausreichenden Informationshintergrundes als auch zwecks einer möglichst lückenlosen Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns, liegt doch - unter Wahrung der jeweiligen Sachverhalte - "die spezifische Besonderheit des archi-varischen Berufs .. darin, Handlungs- und Entscheidungszusammenhänge durchschaubar zu machen".69 Wie stellte sich bisher und stellt sich gegenwärtig die Diskussion in der Archiv-wissenschaft dazu dar? Bernhard Vollmer legte 1934 die Bemühungen des Düsseldorfer Staatsarchivs um die Ar-chivierung nichtstaatlicher Unterlagen im Bereich der Rheinprovinz und Westfalens seit den 1820er Jahren dar. Er tat dies jedoch ohne eine theoretische Reflexion, wie sie etwa bei Lüb-be und Hüttenberger hervortritt, sondern einzig aus der Intention, Verluste wichtigen Schriftguts zu vermeiden. Vollmers Interesse galt vorwiegend - offensichtlich aus einer kon-kurrierenden Situation heraus, die nicht zuletzt durch fehlende Gesetzgebung bedingt gewe-sen sein dürfte - der kommunalen Ebene, wenngleich er neben Kirchenarchiven auch Privat- und Genossenschaftsarchive thematisierte.70 Denselben Ansatz verfolgten mit Perspektive auf das gesamte Reich zu Anfang des 20.Jahrhunderts schon Armin Tille und P. Zimmermann. Zimmermann vertrat die Ansicht, die Archivare mögen "nicht nur von den amtlichen Stellen, sondern auch aus Privatbesitz das

68 HStAD, NW 57, Nr.196 a-d, hier insbesondere Nr.196c, fol.141 (Thienel) und Nr.196d, fol.194 (Rücknahme der Klage); ebd., RWN 217 (Nachlaß N. Thienel), Nr.2; WA Münster, Bestand AG Grundbesitzerverbände, Nr. 184 (Zit.). 69 A. Menne-Haritz, Das Provenienzprinzip - ein Bewertungssurrogat?, Sp.230; dies., Schlüsselbegriffe, S.63f.. 70 Vgl. B. Vollmer, Die Fürsorge für die nichtstaatlichen Archive.

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Material, das für die Geschichte seines Archivsprengels von Wichtigkeit ist, her-an[]ziehen".71

Ebenfalls hinsichtlich des Reichs, allerdings in den Jahren nach dessen Ende 1918, griffen die Archivare am Reichsarchiv Ernst Müsebeck und Helmuth Rogge diese Fragestellung auf. Rogge interessierte sich besonders für Nachlässe, gerade von Staatsbeamten. Sie "ergänzen unmittelbar und als Ganzes die Staatsakten, ja sie enthalten vielfach selbst solche. Daher finden sie neben [sc. den staatlichen, O.R.] Registraturen ihren natürlichen Platz."72 Beide Archivare schlugen ganz bewußt diesen Weg ein: Man wollte sich nicht auf die den Archi-ven aus der Abgabepflicht zukommenden Unterlagen beschränken, teils aus Wissen um den partiellen Aussagewert dieser Überlieferung, teils auch in Adaption "kulturgeschichtliche[r] wie -psychologische[r] Vorstellungen". Insofern forderten sie allgemein für das Reichsar-chiv, die behördliche Überlieferung "durch Nachlässe, Archive von politischen Parteien und Verbänden und durch zeitgeschichtliche Sammlungen zu ergänzen."73

Ähnliche Aussagen fielen auch nach 1945. Mitte der 1950er Jahre sah Heinrich Otto Meisner die Aufgabe, Überlieferungslücken zu schließen, nicht allein auf anderweitige staatliche, auf Doppelüberlieferung beschränkt.74 Auch Georg Wilhelm Sante erkannte damals das ein-gangs dargelegte Problem. Er klagte über die verminderte Aktenqualität im Zuge der expan-dierenden Verwaltung und des "Einbruch[s] der Technik" in dieselbe. Noch ganz in etatisti-scher geprägter Diktion und Skepsis gegenüber partikularer Interessenvertretung gab er zu: "Denn andere als staatliche Potenzen sind hochgekommen, die den Staat durchsetzen, bis-weilen sogar zersetzen und ersetzen: die großen, vor allem die wirtschaftlichen Verbände, die Gewerkschaften, die Parteien." Deshalb sollten Staats- wie Stadtarchive "auch die Archi-valien dieser Provenienzen ... zu erwerben trachten." Skeptisch allerdings war Sante bezüg-lich der Umsetzung dieses Vorhabens. Diesem Aspekt widmete er im Unterschied zu den Vorgenannten einige Überlegungen. Private Schriftgutproduzenten würden wohl nur ungern mit staatlichen Archiven kooperieren, weshalb nur hier und da Ablieferungen, zumal "gerin-geren Wertes" zu erwarten seien.75

Weiter trat das Thema in den 1960er Jahren hervor, zumal seit dem Deutschen Archivtag in Aachen 1965 bis in die erste Hälfte der 1970er Jahre, auch bedingt durch die kurzzeitig aber intensiv aufgekommene Diskussion um die gesellschaftliche Funktion der Archive. Nach dem Vorgang des Bundesarchivs in den 1950er Jahren wurden z.B. 1964 im Hauptstaatsar-chiv Stuttgart, 1970 im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, 1978 im Bayerischen Hauptstaatsar-chiv München, dann auch im Hauptstaatsarchiv Hannover und Landeshauptarchiv Koblenz 71 A. Tille, Pflege und Inventarisation nichtstaatlicher Archive; P. Zimmermann, Was sollen Archive sam-meln?, Sp.466. 72 H. Rogge, Zeitgeschichtliche Sammlungen als Aufgabe moderner Archive (1932) Sp.173. - 1927 betone Rogge, daß das Reichsarchiv politische, militärische wie wirtschaftliche Nachlässe archiviere, ebenso "andere fremde Bestandteile". Ders., Nachlässe und private Archive im Reichsarchiv, Sp.54. Ebd., Sp.57-61 ein Ver-zeichnis dieser Archivaliengruppen. 73 H.-S. Brather, Registraturgut. Archivgut. Sammlungen, S.159. 74 H. O. Meisner, Archive, Bibliotheken, Literaturarchive, S.171f..

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Abteilungen für nichtstaatliches Archivgut eingerichtet, teils verbunden mit der Übernahme weiterer Aufgaben.76 Carl Haase stellte 1973 fest, das Schriftgut von Vereinen, Verbänden, Parteien, Wirtschaft und Wissenschaft enthalte vielfach das Wesentliche und erhelle "'die informellen Struktu-ren', die hinter den formellen und sichtbaren Strukturen liegen". Folglich sei diese Überliefe-rung "genau so wichtig" wie die staatliche, zu deren Ergänzung sie diene.77 Vielleicht ein wenig übertrieben schrieb Hans Booms, Haase habe "die Sorgepflicht staatlicher Archive für das nichtstaatliche Schriftgut ... von Verbänden, Vereinigungen, Parteien" begründet. Was Haase in jedem Fall anzurechnen ist, ist daß er in dieser Frage die Überlieferungslage insge-samt ins Auge faßte, also von der Eingrenzung auf die je eigene Institution löste.78

Booms nun setzte sich im Rahmen seiner Forderung einer auf die gesamte Breite gesell-schaftlicher Erscheinungen bezogenen Überlieferungsbildung - ein Ansatz, der beachtlich-erweise bereits bei Johannes Papritz zu finden ist79 - natürlich auch mit dieser, allerdings in der vorliegenden Untersuchung auf die staatliche Überlieferungsbildung verengten Frage-stellung auseinander. Er nahm die Rolle der Interessengruppen gegenüber Verwaltung und Politik ebenso klar wie vordem z.B. schon Müsebeck und Rogge wahr, doch freilich weniger einseitig als Sante, indem er "gruppenegoistische[] Verbandskräfte" als Garanten der "rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung" versteht. Ja, Booms fragte gar, "ob nicht in derart pluralistisch gebauten Staaten, wo neben den Regierungs- und Verwaltungsorganen, Parteien und Verbände zu verfassungsmäßig funktionellen Elementen des staatlichen Lebens gewor-den, ob nicht dort deren öffentliche Manifestationen zu sammeln, den staatlichen Archiven zur gleichen Pflicht geworden sein müßte wie die Übernahme behördlichen Schriftguts?". Charakteristisch für Booms Ansatz ist seine Einschränkung auf veröffentlichte Meinungen und Drucksachen bei der Ergänzungsüberlieferung. Demnach schätzt er für den Überliefe-rungswert wohl die Funktion, über die öffentliche Meinung Regierung und Verwaltung zu beeinflussen, wesentlich höher ein, als etwa die Aussagekraft, die aus den Akten z.B. über Gespräche und Gutachten zu ermitteln ist. Allerdings nennt Booms Kriterien, die für die Beurteilung nichtstaatlicher Überlieferung wichtig sind: Das jeweilige Druckvermögen der Organisation auf staatliche Amtsträger oder die Fähigkeit, eigenen Funktionären staatliche Ämter zu verschaffen. Wie bei modernen Akten überhaupt sei das "Kriterium für die Ar-chivwürdigkeit ... primär die Institution."80

75 Vgl. G.W. Sante, Behörden - Akten - Archive, bes. S.91/ 94. 76 P. Dohms, Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.43f.. Vgl. ebd., S.44 zur Aufgabenstruktur und Organisation der in Düsseldorf gebildeten sog. Dokumentationsabteilung. 77 C. Haase, Kassation - eine Überlebensfrage für die Archive, Sp.398 (Zit.). 78 H. Booms, Grenzen und Gliederungen zeitgeschichtlicher Dokumentationen in staatlichen Archiven, Sp.40; R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.57. 79 Papritz stellte 1951 - vielleicht ein wenig unglücklich formuliert - fest, daß es Aufgabe der staatlichen Ar-chive sei, "über die Aufbewahrung staatlichen Archivguts hinweg zu einer 'totalen Dokumentation' vorzusto-ßen". J. Papritz, Die Dokumentationsaufgaben der Archive, in: Nachrichten für Dokumentation 2 (1951) S.88ff. (nach H. Booms, Grenzen und Gliederungen zeitgeschichtlicher Dokumentationen in staatlichen Archiven, Sp.35). 80 H. Booms, Grenzen und Gliederungen zeitgeschichtlicher Dokumentationen in staatlichen Archiven, Sp.39-41. - Auf der Linie der erwähnten Einschränkung auf veröffentlichte Stellungnahmen forderte Booms in seinem

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Selbst in der archivfachlichen Diskussion der späten 1970er Jahre in der DDR blieb die Thematik nicht unberührt, obschon hier infolge der im Vergleich zur BRD grundsätzlich anderen Staats- und Gesellschaftsstruktur die Problemlage im Grunde nicht existieren dürfte. Würden "'Dokumentationslücken'" festgestellt, so Reinhard Kluge, sollte die Übernahme von Beständen solcher Registraturbildner erwogen werden, die ansonsten nicht verpflichtet sind, ihr Schriftgut an die staatlichen Archive abzugeben. Darunter fiele beispielsweise auch Schriftgut von Privatpersonen.81

Betrachtet man die gegenwärtige Diskussion über die Ergänzungsüberlieferung, in die oben die Ansätze von Lübbe und mit zeitlichem Abstand auch von Hüttenberger einführten, so ist diese zunächst vor dem Hintergrund der seit 1989 in Bund und Ländern erlassenen Archiv-gesetze zu sehen. Damit erhielten die Archive neben der Verpflichtung, das Archivgut des jeweiligen Trägers zu sichern und zur Nutzung bereitzustellen auch eine Festschreibung der Möglichkeit, nichtstaatliches Archivgut aufzubewahren. Das wird im betont regelungskargen Bundesarchivgesetz im Unterschied zum Landesarchivgesetz Nordrhein-Westfalens (Ar-chivGNW) ungünstigerweise nicht angesprochen, was andererseits aber auch nicht den Um-kehrschluß zuläßt.82 Wie andere Landesarchivgesetze ist das nordrhein-westfälische in diesem Zusammenhang aussagefreudiger. Nach § 1 Abs. 1 ArchivGNW haben die staatlichen Archive auch die Auf-gabe, das von ihnen verwahrte Archivgut "zu ergänzen", woraus m.E. in Verbindung mit der 'kann-Bestimmung' ebd. Abs. 2 ("die staatlichen Archive können auch Archivgut anderer Herkunft übernehmen, an dessen Verwahrung, Erschließung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht") in Verbindung mit ebd. § 2 Abs. 3 und § 4 Abs. 5 durchaus gefolgert werden darf, daß zumindest die Pflicht einer Prüfung besteht, ob an einer Archivierung nichtstaatlichen Schriftguts im Einzelfall ein sog. öffentliches Interesse besteht. Und dies dürfte der Fall sein, wenn es in enger Beziehung zu staatlichen, nach § 1 Abs. 1 ArchivGNW als archivwürdig bewerteten Unterlagen entstanden ist. Dabei ist insbesondere § 2 Abs. 2 ArchivGNW einschlägig, das die Kompentenz der Entscheidung über den 'bleibenden Wert' und damit die Archivwürdigkeit allein dem staatlichen Archiv zuspricht.83

Auf dieser rechtlichen Basis, je nach Bundesland ein wenig anders konnotiert, stand die Dis-kussion und der Auftrag der Archive im vergangenen Jahrzehnt. Die - obschon nicht häufi-gen - Stellungnahmen zur Frage der Ergänzungsüberlieferung betrafen seltener das 'ob', son-dern eher das 'wie'. Prinzipielle Distanz gegenüber solcherlei Bestrebungen ist aus der in der neueren Bewertungsdiskussion, mit der die vorliegende Problemstellung nur mittelbar zu tun

(archivtheoretisch) einflußreichen Aufsatz "Gesellschaftsordnung und Überlieferungsbildung", daß eine "Par-teien- und Verbandsdrucksachensammlung" in jedem staatlichen Archiv einzurichten sei. Ebd., S.34. 81 R. Kluge, Das Dokumentationsprofil, S.101. 82 Siehe Bundesarchivgesetz vom 6.1. 1988 (Bundesgesetzbl. I S.62), zuletzt geändert am 13.3. 1992, Bundes-gesetzbl. I S.506. Dazu auch H. Günther, Zur Übernahme fremden Archivguts durch staatliche Archive, S.47. 83 ArchivGNW vom 16.5. 1989 (Gesetz- und Verordnungsbl. für das Land Nordrhein-Westfalen, Nr.26 vom 13.6. 1989, S.302-305). - Vgl. allgemein H. Günther, Zur Übernahme fremden Archivguts durch staatliche Archive, S.47-64.

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hat,84 vielzitierten Aussage Bodo Uhls zu entnehmen. "Wir sollten uns in aller Bescheiden-heit nur die Aufgabe stellen, die Tätigkeit der verschiedenen Registraturbildner unserer je-weiligen Archivträger in den wesentlichen Zügen zu dokumentieren ...", so Uhl schon 1990. Daß gerade in Zweifel gezogen werden kann, ob die "wesentlichen Züge" staatlicher Schriftgutproduzenten dann überhaupt noch erkennbar sind, hat das Vorstehende gezeigt. Nicht unbeachtet sollte jedoch bleiben, daß sich Uhls zugespitzte Äußerung wohl quasi nachträglich gegen die fast zwanzig Jahre früheren Booms'schen Forderungen richtete und möglicherweise in einer Diskussion für den hier vertretenen, eng am staatlichen Schriftgut orientierten Ansatz einer Ergänzung relativ offen wäre.85 Wie gesehen, ist genau diese Ver-mutung für die Überlegungen von Wolfram Werner zu behaupten, der gleichfalls wie Uhl prinzipiell von der staatlichen Überlieferung ausgehen will ("staatliche Archive sind zu-nächst einmal für bestimmte Behörden zuständig"), aber eben nicht in Gefahr steht, dort ste-henzubleiben.86

Auch steht dem Einbezug privater Überlieferung nicht die Aufforderung Wilfried Schöntags im Wege, der Staat möge "gemäß dem Subsidiaritätsprinzip ... nur solche Aufgaben wahr-nehmen, bei denen ein wichtiges öffentliches Interesse besteht, das durch andere nicht oder nicht in dem gewünschten Ausmaß gewährleistet werden kann." Generell für die Landesar-chivdirektion Baden-Württemberg sprechend bejaht er die Möglichkeit der Ergänzungsüber-lieferung, ja privates Schriftgut könne gar nach seinen Worten "für Forscher in den kom-menden Jahrzehnten von größerer Bedeutung als das klassische öffentliche Archivgut" sein. Er sieht jedoch auch unzweideutig deren Grenzen: "eine breite gesellschaftliche relevante Überlieferung" könne so ihren Weg nicht in das staatliche Archivwesen finden.87 Schöntag spricht damit die Entscheidung zwischen Aufnahme nichtstaatlichen Schriftguts in das staat-liche Archiv oder alternativ dessen von staatlicher Seite angebotenen Betreuung in der Obhut des Registraturbildners oder einer anderen nichtstaatlichen Organisation an, worauf unten zurückzukommen sein wird. Prononcierter als Schöntag nimmt Norbert Reimann zur Ergänzungsüberlieferung Stellung. Er betont, daß dieses Schriftgut "hervorragend dazu beitragen [kann], Entscheidungswege und Hintergründe aufzuhellen", was mit dem heutigen amtlichen Verwaltungsschriftgut oft unmöglich sei und hob den wichtigen Aspekt hervor, daß eine derartige Überlieferungsbil-dung "daher auch im Interesse der Verwaltung unerläßlich [ist]".88 84 Denn es geht bei dieser Frage der Schriftgutbewertung weder primär um eine Orientierung an Inhalten oder an Strukturen (vgl. A. Menne-Haritz, Das Provenienzprinzip - ein Bewertungssurrogat?, Sp.231), sondern es soll im Grunde als Vorstufe vor die Beantwortung dieser m.E. gelegentlich einseitig, weil zu allgemein gefaß-ten und auf diese Weise zugespitzten Perspektive die archivarische Wahrnehmung erweitert, ja Problembe-wußtsein vertieft werden. Erst daraufhin stellt sich die Frage von Bewertungskriterien, für das staatliche nicht anders stellt als das nichtstaatliche Schriftgut; Registraturen funktionieren ja stets vergleichbar und ihr (Sekun-där-)Wert steht je im nachhinein zur Diskussion. 85 B. Uhl, Der Wandel in der archivischen Bewertungsdiskussion, Sp.536. 86 W. Werner, Quantität und Qualität moderner Sachakten [1992], Sp.45. 87 W. Schöntag, Der Auswertungsauftrag an die Archive [1994], Sp.37 (Zit. "gemäß dem ...); ders., Nichtstaat-liches Archivgut [1997] (Zit. "eine breite ...", S.26 und "für Forscher ..." S.28) 88 N. Reimann, Anforderungen an die archivische Bewertung von Öffentlichkeit und Verwaltung [1994], S.184.

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Insbesondere haben Jürgen Weber und auch Peter Dohms in den letzten Jahren nachdrück-lich auf den Überlieferungswert nichtstaatlichen Schriftguts hingewiesen, wobei Dohms im Sinne Reimanns neben der Funktion der Lückenergänzung auf die eines Korrektivs hinwies, das der "Möglichkeit einer Verfälschung des Geschehens" vorbeuge.89 Jüngst ging hierauf auch Robert Kretzschmar im Zusammenhang mit dem baden-württembergischen Projekt einer 'Überlieferungsbildung im Verbund' ein. Wohl angestoßen durch die Forderung, die staatlichen - möglichst unter Einbezug der kommunalen - Archive sollten sich bei der Bewertung abstimmen, nahm man auch die Möglichkeit der Ergänzungs-überlieferung wahr. Kretzschmar forderte als Standard der Überlieferungsbildung die Analy-se und Berücksichtigung von Beziehungen zu anderem Schriftgut, als dem des unmittelbar betreuten Bildners. Es reiche eben nicht aus, "sich bei der Bewertung ganz auf das Registra-turgut seiner anerbietungspflichtigen Stellen [zu beschränken] ... und jedwede Überlieferung außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs dem freien Spiel der Kräfte oder dem Kolle-gen Zufall [zu überlassen]". Er glaubt, daß dieses Problem in der Bewertungsdiskussion der vergangenen Jahre anfangs vernachlässigt wurde, womit er wohl die Zeit bis Mitte der 1990er Jahre skizziert, bis der 66. Deutsche Archivtag 1995 in Hamburg in einer Sektion die 'Gefährdete Überlieferung gesellschaftlicher Gruppen' thematisierte.90 Über den baden-württembergische Ansatz hinaus, der dem seit 1991 durchgeführten nieder-ländischen PIVOT-Projekt nahesteht, bei welchem versucht wird, "die Überlieferung einer staatlichen Verwaltung insgesamt in den Blick zu nehmen",91 stellen die in diesem Bundes-land seit 1996 ausgearbeiteten "Richtlinien für die Sammlungstätigkeit" erstmals auf Lan-desebene eine Konkretisierung praktischer Überlegungen zur Ergänzungsüberlieferung dar.92 Nach der Beschreibung von rechtlichen Voraussetzungen und Begrifflichkeiten wird die infragekommende Tätigkeit staatlicher Stellen, dabei insbesondere auch die Abgrenzung gegenüber solchen archivwürdigen privaten Unterlagen dargelegt, die wegen ihrer relativen

89 Vgl. P. Dohms, Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut [1998] (Zit. S.41) und J. Weber, Dimensi-on und Bedeutung der Verbände in Deutschland [1998]. 90 Allgemein R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation? (Zit. "sich bei ..." S.60f.); ders., Die "neue archivische Bewertungsdiskussion" und ihre Fußnoten [1999], S.32. Ders. zuletzt [2001] hierzu in: Archiv-übergreifende Bewertung, S.290. Vgl. Archive und Gesellschaft, Referate des 66. Deutschen Archivtags, 25.-29. September 1995 in Hamburg, veranstaltet vom Verein deutscher Archivare, Siegburg 1996 (=Der Archivar, Mitteilungsbl. für deutsches Archivwesen, hg. vom Nordrhein-Westfälischen Hauptsstaatsarchiv, Beibd. 1). 91 R. Kretzschmar, Die "neue archivische Bewertungsdiskussion" und ihre Fußnoten, S.38. - Zum PIVOT-Projekt vgl. R. Hol, Die Zergliederung der Handlungsträger. Nur sehr eingeschränkt in die Richtung einer Er-gänzungsüberlieferung geht der zur Zeit diskutierte amerikanische Ansatz der sog. Documentation Strategy, der es für "notwendig erachtet, die Schaffung fehlender Belege für bestimmte Funktionen zu veranlassen." Defizite der staatlichen Überlieferung sollen dabei eher durch dokumentarisches Vorgehen beseitigt werden, indem etwa Archivare nichtstaatliches Schriftgut sammeln oder "in Bereichen, die keinen schriftlichen Niederschlag finden ... selbst Unterlagen schaffen oder deren Produktion anregen." (M. Meyer-Gebel, Die "Documentation Strategy" in den USA, S.153). Dabei ginge freilich die Intention des auch in der vorliegenden Arbeit dargestell-ten Ansatzes verloren, über die inhaltliche Aussagekraft auch die mit ihr stets verbundenen Aussagen über den Entstehungsvorgang zu bewahren, und letzteren v.a. nicht durch das Bewußtsein möglicher späterer Archivie-rung beeinflussen zu lassen, d.h. Primär- und Sekundärzweck unterscheidbar zu halten. 92 www.lad-bw.de/lad/risam.htm (Stand: Febr. 2002); R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.65. - Für den Bund wie für das Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt eine vergleichbare schriftliche Orien-tierung nicht vor. Auskunft Frau Neupert (Bundesarchiv Koblenz) und Herr Dr. Faust (HStAD).

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Ferne zur Tätigkeit staatlicher Stellen nicht übernommen werden sollten. Personelle und sachliche Ressourcen bestimmen verbunden mit der Pflicht, den gesetzlichen Aufgaben nachzukommen, die Aktivität in diesem Bereich. Nachdrücklich wird ferner die Kostenseite angesprochen, und, wie bei Schöntag bereits angeklungen, eine Archivierung im staatlichen Bereich nur dann als sinnvoll erachtet, wenn nichtstaatliche Stellen nicht eingebunden wer-den können. Möglichst sei eine finanzielle Beteiligung des Eigentümers auszuhandeln. Wei-terhin wird die territoriale Zuständigkeit der verschiedenen Staatsarchive ("Standortprinzip") als Regelfall beschrieben, nur vorarchivische Überlieferungen könnten abweichend archi-viert werden, und abschließend die Möglichkeit in Betracht gezogen, Archivalien, die nicht übernommen werden können, zumindest in Teilen zu verfilmen oder Kopien der Findmittel zu erwerben. Blickt man jedoch über die angeführten Äußerungen und Ansätze der theoretischen Reflexi-on hinaus auf die Archivlandschaft in Bund und Ländern, scheint Peter Dohms' skeptisches Urteil von 1997 begründet. Dohms hält dafür, daß die Träger der staatlichen wie auch kom-munalen Archive sich der Bedeutung des nichtstaatlichen Überlieferungsbereichs weitge-hend nicht bewußt geworden sind und entsprechend keinen angemessenen Handlungsbedarf erkannt haben. So sei beklagenswert, "daß in Anbetracht der Bedeutung des Verbändewe-sens in der Bundesrepublik insgesamt wenig geschehen ist."93

2.2. Überlegungen zur Praxis Die baden-württembergischen Richtlinien reflektieren wesentliche Überlegungen, die mit einer allgemeinen praktischen Umsetzung theoretischer Maßgaben zur Ergänzungsüberliefe-rung verbunden sind, wenngleich der ein oder andere Punkt m.E. einen veränderten Stellen-wert erhalten sollte.94 Was die Richtlinien jedoch nicht leisten, sind Überlegungen zu konkreteren Handlungen für den Einbezug nichtstaatlicher Überlieferung in staatliche Archive, was nun auf Basis des Vorhergesagten in groben Zügen vorgelegt werden soll. Dabei gilt es allerdings, obschon am Beispiel des Grundbesitzerverbandes orientiert, zwecks Übertragbarkeit nicht allzu detaillierte Vorschläge zu machen sowie lediglich ein grobes, in vier Punkte zusammengefaßtes Raster für die Landesebene vorzulegen und vor dem Hinter-grund bisheriger in der Literatur greifbarer Erfahrungen zu diskutieren. Derartige Überle-gungen müssen immer offen sein, da - im Unterschied beispielsweise zu restaurativen Ar-chivarbeiten - Unwägbarkeiten der externen Stelle, also die jeweiligen individuellen Vorstel-lungen des Schriftgutgebers zu berücksichtigen sind. Eine Rücksichtnahme auf diese Interes-sen und Sensibilität im Umgang entscheidet über das Zustandekommen der Ergänzungsüber-lieferung, handelt es sich doch rechtlich zunächst um Privateigentum und dabei nicht selten 93 P. Dohms, Bürgerbewegungen nach 1945, S.196; ders., Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.47 (Zit.). 94 Vgl. unten z.B. zur Frage der Subsidiarität.

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um Schriftgut, daß z.T. auch persönliche Umstände betrifft und bei der Entstehung nicht zu späterer Veröffentlichung bestimmt war. Eine Evaluierung einer solchen Überlieferungsergänzung, dürfte kaum zu anderen Ergebnis-sen führen, wie bei dem baden-württembergischen Ansatz der Überlieferungsbildung im Verbund, bei welchem die Benutzungsqualität angestiegen ist.95

2.2.1. Zuständigkeit Grundsätzlich wird entsprechend der staatlichen Sphäre bei der Frage der Zuständigkeit der Archivsprengel ausschlaggebend sein. Die Abgabe eines Schriftgutbildners, der ausschließ-lich oder vorwiegend auf Bundesebene wirkte - was für die Registratur der Arbeitsgemein-schaft insgesamt zutrifft - sollte idealerweise im Bundesarchiv ihren Aufbewahrungsort fin-den. Handelt es sich lediglich um eine eigenständige, organisch gewachsene Registratur ei-nes Landesverbandes der Grundbesitzervereinigung, so wäre dasjenige Staatsarchiv die ge-eignetste Archivierungsstelle, die für das zentrale Schriftgut eine Verbindung zur Überliefe-rung (Stichwort Sachgemeinschaft) des zuständigen Ministeriums herstellen kann. Am Bei-spiel des isolierten nordrhein-westfälischen Grundbesitzervereins wäre also im Hinblick auf die Bodenreform das Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv als diejenige für die Überlieferung der Ministerien in Nordrhein-Westfalen zuständige Institution gefragt. Über das Sprengelprinzip hinaus sollten Ausnahmeregelungen wie etwa bei vorarchivischen Sammlungen möglich sein.96

Die Frage der Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen verschiedenen Archiven muß aufgrund der Perspektive der vorliegenden Untersuchung eine etwas andere Antwort erhal-ten, als sie vergleichsweise bei Überlegungen zu Verbändeüberlieferungen gegeben wäre, die nicht in unmittelbarer Beziehung zu staatlichen Überlieferungen stehen und insofern als eigenständiger zu bezeichnen sind. Dies wäre beispielsweise bei einem wissenschaftlichen Verein der Fall, der zwar auf Landesebene tätig ist, aber keinen Einfluß auf die Landesver- 95 Vgl. R. Kretzschmar, Gespräche in der Behörde, Autopsie am Regal, Abstimmung in den Gremien, o.S.. 96 Vgl. Richtlinien für die Sammlungstätigkeit in den baden-württembergischen Staatsarchiven. - Wilhelm Janssen sprach mit Bezug auf die berührten Abgleichungen der Beständebildung von "fruchtbare[r] Prinzipien-losigkeit", die "durchaus positive Effekte auslösen kann" (P. Dohms, Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.50). Die Beobachtung ist sicher der archivischen Realität geschuldet und zumindest in einzelnen Fällen begründet. Doch dürften sich die zu begrüßenden Folgen auf Bestände beziehen, die möglicherweise bedingt durch das Desinteresse eines Archivs gerade noch den Weg in ein anderes fanden und auf diesem Wege erhalten wurden. Oder auf die generelle Skepsis, daß eine zu stark festgelegte und archivübergreifend organi-sierte Überlieferungsbildung vergleichsweise konforme Überlieferungen entstehen läßt. Kaum Vorteile dürften sich für die Benutzerfreundlichkeit ergeben. Insgesamt und langfristig scheint deshalb eine archivübergreifende Absprache erfolgversprechender, die u.a. in erwähntem Fall auch durch nachträgliche sog. Bestandsbereinigun-gen erreicht werden könnte. Beispielsweise gab das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf in den 1990er Jahren nicht-staatliche Bestände an das Bundesarchiv in Koblenz ab. Vgl. P. Dohms, ebd..

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waltung und -politik zu nehmen versucht. Sollte das Schriftgut eines solchen Vereins als archivwürdig angesehen werden, könnte z.B. ein Landesarchiv die Archivierung überneh-men, das aufgrund seines Profils - etwa infolge der Aufbewahrung ähnlicher Vereine und Verbände - oder auch seiner Kapazitäten besonders geeignet ist. Andererseits würde mit Blick auf den hier betrachteten Fall dem jeweiligen Profil eines Archivs der Vorrang vor Überlegungen zur Sprengelzugehörigkeit einzuräumen sein, wenn eine sprengelübergreifen-de Tätigkeit des Schriftgutbildners vorliegt. Eine solche besteht z.B. bei der Überlieferung des Grundbesitzerverbandes Rheinland-Pfalz/ Saarland.97

An die Überlegungen zur territorialen Zuständigkeit knüpfen zugleich bereits Überlegungen der Beschaffungsstrategie an. Es gilt, prospektiv tätig zu werden, Ausschau nach nichtstaat-lichem Schriftgut zu halten, das im Zusammenhang mit der entstehenden staatlichen Überlie-ferung erwächst. Aus allen Verbänden sind die auszuwählen, die in Kontakt mit staatlichen Stellen arbeiten. Kriterium der Auswahl sollte der abzuschätzende Grad des Einflusses auf Vorgänge im staatlichen Bereich sein. Die Erstellung einer Prioritätenliste98 ist m.E. schwie-rig, da der Einfluß entweder als relevant oder eben nicht zu bewerten ist, und davon lediglich der Umfang der Übernahme, nicht aber das 'ob' abhängen sollte. Auch ist zu beachten, daß Einfluß nicht immer mit der Möglichkeit gleichzusetzen ist, Druck auf staatliche Stellen aus-zuüben, pressure-group zu sein. Einflußnahme ist - wie oben gezeigt - ja im wesentlichen über Beidseitigkeit definiert, also eher über ein "Modell des Tausches" zwischen Staat und Verband.99

Zur Auswahl der infragekommenden Verbände und Erstellung einer entsprechenden Liste ist der archivarische Blick in Politik und Gesellschaft gefordert.100 Aktuelle politische Entwick-lungen sind zu verfolgen, über das übliche Informationsangebot hinaus etwa durch Landtags-,101 und Verbandspublikationen sowie auf Bundesebene nicht zuletzt durch die Auswertung der Lobby-Liste. Hilfreich dürfte im Landesarchiv deshalb auch die Zusammenarbeit mit dem für die staatliche Überlieferung zuständigen Dezernat sein, wo Überlegungen zu einer 97 www.grundbesitzerverbaende.de/inhalt4a.htm. 98 Siehe R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.55/ 68. 99 Vgl. J. Weber, Dimension und Bedeutung der Verbände in Deutschland, S.36. 100 Zur Forderung politischer, gesellschaftlicher und kultureller Aufmerksamkeit des Archivars beispielsweise: P. Dohms, Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.51f.; W. Schöntag, Nichtstaatliches Archivgut, S.29; R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.62. - Dohms hält eine Planung der Verbändear-chivierung mit Listen 'vom grünen Tisch' aus für nicht praktikabel (P. Dohms, Staatliche Archive, S.48), wo-hingegen sich Kretzschmar diesbezüglich optimistischer äußert. Er schlug jüngst vor, daß die staatlichen Ar-chive die "relevanten Registraturen" nichtstaatlicher Träger erfassen und sich dabei koordinieren möchten. So hat die Archivverwaltung Baden-Württemberg für Einrichtungen des Öffentlichen Rechts eine Liste erstellt. "In gleicher Weise und mit derselben Zielsetzung ist eine Erfassung der landesweit tätigen Verbände und Vereine und ihrer Unterlagen in Baden-Württemberg geplant." R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.64f.. 101 Um ein zeitnahes Beispiel anzuführen: Siehe Landtag intern, Nr.2 vom 5.3. 2002, S.11: "Anhörung im Ver-kehrsausschuss: Dringende Ortsumgehungen vorzufinanzieren wird von Spitzenverbänden abgelehnt", S.12: "Mittelstandsgesetz und Außenwirtschafts-Portal: Der Regierungsentwurf eines Mittelstandsgesetzes NRW werde in der nächsten Kabinettssitzung beraten und dann den Wirtschaftsverbänden zur Anhörung zugeleitet", oder S.16: Expertengespräch im Ausschuss für Innere Verwaltung und Verwaltungsstrukturreform zum Büro-kratieabbau: Beteiligung verschiedener Verbändevertreter, z.B. des Städte- und Gemeindebundes NRW, des Bundes der Steuerzahler NRW und der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände.

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prospektiven Bestandsbildung ebenfalls positiv auf die gegenwärtige Arbeit rückwirken könnten. Es wäre also, ähnlich wie bei dem Problem, das der Einzug der modernen Datenverarbeitung hervorruft, bereits frühzeitig, mitunter bei der Entstehung des Schriftguts an eine mögliche Archivierung zu denken. Es kann nicht erst nach einer Abgabe staatlicher Überlieferung überlegt werden, welche nichtstaatlichen Registraturbildner gut 30 Jahre zuvor eine archiv-würdige Gegenüberlieferung produziert haben könnten. Als vorteilhaft ist hierbei anzusehen, daß Verbände im Vergleich zu anderen Schriftgutproduzenten im nichtstaatlichen Bereich, z.B. den von Dohms thematisierten 'Neuen Sozialen Bewegungen',102 tendenziell langfristi-ger existieren und somit greifbarer und einfacher zu kontaktieren sind. Nicht zu vergessen ist, daß diese Überlegungen von anderen, zur Zeit immer bedeutsamer werdenden Rahmenbedingungen beeinflußt werden. Infolge der heutigen schlechten Finanz-lage der Archive, die in vielen Häusern zu einer deutlichen Personalreduzierung führte, sind insbesondere unter den Schlagworten 'schlanker Staat', neuerdings 'aktivierender Staat', nachteilige Auswirkungen auf den nichtstaatlichen Archivierungsbereich zu bemerken.103 Hinzu kommt, daß die Formulierungen der Archivgesetze der staatlichen Überlieferungsbil-dung vor der nichtstaatlichen indirekt eine höhere Wertigkeit zuzusprechen scheinen, indem die Aufgabendefinition stets zunächst auf staatliche Stellen bezogen wird und erst infolge, teils mit dem einleitenden Wort "auch" die Möglichkeit eröffnet wird, nichtstaatliches Schriftgut zu übernehmen.104

Gewissermaßen als Gegengewicht kann daran erinnert werden, daß den Archiven anderer-seits an gleicher Stelle die Kompetenz zugestanden und die Aufgabe gegeben wurde, für nicht näher bezeichnete Fragestellungen aussagekräftige Quellen bereitzuhalten. So ist das Bundesarchivgesetz nur so zu verstehen, daß das Archiv u.a. für die Aufbewahrung von Un-terlagen zu sorgen hat, die einen "bleibende[n] Wert für die Erforschung oder das Verständ-nis der deutschen Geschichte" haben.105 Deshalb ist es eine einseitige oder gar unzulässige Interpretation, wenn Einbußen an Ressourcen sich überproportional oder gar allein im nicht-staatlichen Bereich niederschlagen. Können in diesem Punkt Überlegungen einen Ausweg, zumindest Hilfestellung liefern, die von der Subsidiarität staatlicher Zuständigkeit ausgehen? Hinsichtlich der Breite der Ver-bändearchivierung ist dies weitgehend zu bejahen. Sicher ist es zutreffend, daß die staatli-chen Archive in der Vergangenheit wie auch zukünftig nicht die gesamte nichtstaatliche Überlieferung erfassen und zur Benutzung bereitstellen können. Deshalb neigt man aus staat-licher Warte statt zu Übernahmen in den eigenen Besitz nun eher zur "Vermittlung von ar- 102 P. Dohms, Bürgerbewegungen nach 1945, S.200. 103 Ders., Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.50f.. Im Bundesarchiv waren z.B. ehemals zwei Referenten für die Bereiche Nachlässe und Verbände zuständig (ebd.); heute wird der Bereich lediglich von einer Kollegin betreut. 104 Vgl. § 1 Abs. 1 und 2 ArchivGNW; § 2 Abs. 2 und 4 Landesarchivgesetz Baden-Württemberg. Eine das nichtstaatliche Archivgut vergleichsweise aufwertende Beschreibung zeigt das Hessische Archivgesetz, das solche Unterlagen ausdrücklich auch als öffentliches Archivgut bezeichnet (vgl. § 1 Abs. 3 HArchivG). Keine Erwähnung findet die die Möglichkeit einer Übernahme nichtstaatlichen Schriftguts im Bundesarchivgesetz.

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chivfachlichem Know-how" und sonstigen "Hilfestellungen bei der Entwicklung und Um-setzung von fachlichen und organisatorischen Lösungen".106 Dazu bieten sich verschiedene Organisationsmöglichkeiten an, insbesondere die Archivierung in Gemeinschaftseinrichtun-gen oder gebührenpflichtige Kooperationen. Es sollten aber auch skeptische Stimmen nicht überhört werden, wie diejenige Kretzschmars, der davor warnt, einseitig auf eine Eigenar-chivierung zu setzen und sich über die Kooperationsbereitschaft "allzu großen Illusionen [zu] machen."107

Ist also dieser Ansatz für die Verbändeüberlieferung insgesamt zu hinterfragen - daß es an-ders geht, zeigt die erfolgreiche Praxis in Schweizer Archiven108 -, so insbesondere für die hier vorgestellte Problematik, sollen doch nicht Verbände als ganze Registraturbildner auf-bewahrt werden, sondern nur Teile, die in engem Bezug zu staatlichem Archivgut stehen. In der staatlicherseits sicher besser zu garantierenden Vermeidung von möglichem Verlust, der Eröffnung fachgerecht betreuten und kontinuierlichen Zugangs, schließlich dem vergleichs-weise geringen Umfang bestehen gewichtige Argumente für eine Aufbewahrung nichtstaat-lichen Archivguts in öffentlichen Archiven. Nur dann, wenn diese Möglichkeit nicht gege-ben ist, etwa infolge der Weigerung des Schriftgutbildners, sollten Betreuungsangebote in-fragekommen, die allerdings in Nordrhein-Westfalen von seiten der beiden Landschaftsver-bände sinnvoller geleistet werden können, als aus den Staatsarchiven.109

2.2.2. Koordination der Beschaffung Im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf betrieb man in den 1970er und 1980er Jahren die Verbän-dearchivierung derart, "daß man schwerpunktmäßig bestimmte Bereiche vorübergehend stärker beackerte und sich hier durch persönliche Kontakte von Registratur zu Registratur vorarbeitete." Dies hatte den "Vorteil, in der ungeheuer großen Fülle der Organisationen schnell und gezielt zu wichtigeren Beständen vorzustoßen". Als Ergebnis wurden mehr als 140 Bestände von Verbänden und ähnlichen Organisationen archiviert. Vergleichbar hat man im hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden nach Fertigstellung des Neubaus 1987 "syste-matisch bestimmte Verbändegruppen angeschrieben und auf diese Weise etwa 50 Bestände zusammengetragen."110 Sind dies begrüßenswerte Beispiele systematischer Aquirierung, so stellen sie laut Dohms im allgemeinen lediglich Ausnahmen dar, vielmehr bliebe "das Archivierungsgeschäft im nicht-staatlichen Bereich meist dem Zufall überlassen". Nur vereinzelt nutze man persönlichen Kontakt und besondere Anlässe, "um bei potentiellen Nachlassern, Partei- und Verbands- 105 Vgl. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 ArchivGNW; § 3 Bundesarchivgesetz (Zit.). 106 W. Schöntag, Nichtstaatliches Archivgut, S.28f. (Zit. S.29). So auch Dohms, Bürgerbewegungen nach 1945, S.199f.. 107 W. Schöntag, Nichtstaatliches Archivgut, S.30; vgl. R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.62f./ 69 (Zit. S.63). 108 Z.B. das kostenlose Angebot des Staatsarchivs Luzern, Schriftgut von Verbänden, Firmen und Familien als Deposita oder als Schenkungen entgegenzunehmen. Staatsarchiv Luzern, Jahresbericht 2000, S.36. 109 Vgl. für den Landesteil Westfalen: N. Reimann, Das Westfälische Archivamt: Dienstleistung für die nicht-staatlichen Archive in Westfalen-Lippe, S.2-8. 110 P. Dohms, Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.48.

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funktionären vorstellig zu werden". Auch seien umfangreichere Anschreibeaktionen nicht die Regel. Dohms fragte 1973 für das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf bei rund 350 Ministern und Abgeordneten des Landes an, worauf er ungefähr 50 Nachlässe erhielt. Ebenso ging das Bundesarchiv in den 1980er Jahren auf mehr als 800 Organisationen zu, doch reagierten hier viele Verbände nicht "oder ließen gegenüber dem Bundesarchiv als staatlicher Dienststelle ein gewisses Mißtrauen erkennen."111 Derartige Einsichten können jedoch nicht grundsätzlich den Sinn solcher Bemühungen in-fragestellen. Vielmehr gilt es, gerade hinsichtlich der Erfahrungen des Bundesarchivs, ver-stärkt Überzeugungsarbeit zu leisten. Etwa indem nicht nur der Kontakt zu möglichst hoch-rangigen Verbändevertretern gesucht wird, sondern sie gruppenweise ins Archiv eingeladen werden und ihnen der Beitrag des nichtstaatlichen Archivguts an der gesamten Überlieferung vor Augen geführt wird. V.a. durch Vermittlung bisherig erfolgreicher Arbeiten sowohl des Archivs wie durch die Benutzer könnten Vorurteile ausgeräumt werden, zumal unter Darle-gung von frei zu vereinbarenden rechtlichen Möglichkeiten der Hinterlegung wie der Leihe, Verwahrung oder - weniger günstig - in Form einer Verfilmung sowie mittels Benutzungsbe-stimmungen insbesondere für personenbezogenes Schriftgut.112

Sind Kontakte erst einmal zustandegekommen und werden kontinuierlich gepflegt, wobei u.U. das Angebot einer Beratung durch das Archiv für Fragen bezüglich der laufenden wie der Altregistratur der Verbände verbindend wirken kann, ist spätestens bei Umzügen oder Einschnitten in die Verwaltungsarbeit verstärkte Aufmerksamkeit gefragt. 2.2.3. Bewertung Eine Bewertung seitens des Staatsarchivs sollte bei Übergaben in jedem Fall vorbehalten werden. Stets befinden sich Doppelüberlieferungen und Schriftgutteile in den Verbandsre-gistraturen, die als nicht überlieferungswürdig einzustufen oder nicht sinnvoll mit der staatli-chen Überlieferung abzugleichen sind.113 Die Bewertungskriterien werden im übrigen dieselben wie die an das staatliche Schriftgut angelegten sein, doch ist die Fragestellung zu verengen: Welche Unterlagen geben konzent-

111 Ebd., S.45/ 48. Zum Mißtrauen zwischen Funktionären und Verantwortlichen des nichtstaatlichen Bereichs gegenüber staatlichen Archivaren auch: Ders., Bürgerbewegungen nach 1945, S.196. 112 Vgl. Ders., Staatliche Archive und nichtstaatliches Archivgut, S.50: "die Hinterlegungs- oder Übereig-nungsverträge haben sich im wesentlichen bewährt". Vgl. zur rechtlichen Situation H. Günther, Zur Übernahme fremden Archivguts durch staatliche Archive, S.49f. und für das Bundesland § 4 Abs. 5 Satz 2 ArchivGNW. 113 Zu den Kassanda dürften im vorliegenden Fall z.B. Materialsammlungen (Drucksachen) des Grundbesit-zerverbandes zählen.

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riert Auskunft über inhaltlichen wie formal-verhandlungsmäßigen Austausch zwischen Exe-kutive bzw. Legislative mit der jeweiligen Verbändeagitation?114

Meist muß sich eine spätere Bewertung im nichtstaatlichen Bereich an den vorangehend ge-troffenen Bewertungsentscheidungen des staatlichen Bereichs orientieren. Doch steht zu erwarten, daß eine Rückwirkung auf die staatliche Überlieferungsbildung eintreten könnte, wenn im Zuge der oben angeregten prospektiven Absprachen zwischen Pflichtbereich und Ergänzungsbetreuung eine ungefähre Gleichzeitigkeit und damit Abstimmung der Bewer-tungsentscheidung möglich ist. Dies würde jedenfalls eine engere Zusammenarbeit, mögli-cherweise sogar überlegenswerte institutionelle Verschmelzung der für nichtstaatliches und Behördenschriftgut zuständigen Abteilungen erfordern, wie sie zur Zeit in Baden-Württemberg ansatzweise diskutiert wird.115

2.2.4. Verknüpfung mit staatlichen Beständen (Erschließung und Bereitstellung) Die Verbindung der archivischen Betreuung und Bearbeitung von freiwilligen und Pflichtbe-reichen der Staatsarchive wirft endlich die Frage einer archivfachlich sinnvollen und benut-zerfreundlichen Verknüpfung und Vermittlung der Bestände auf. Im weiteren Sinne kann man hierbei von der prinzipiellen Forderung ausgehen, daß "die zusammenhängenden Unter-lagen nicht auseinander gerissen .. und bei der Benutzung ihre Zusammenhänge deutlich werden [sollen]."116 Wenn es sich wie hier bei den Unterlagen des Landwirtschaftsministeriums und des Grund-besitzerverbandes auch nicht um Schriftgut einer Provenienz handelt, so sind beide Schrift-gutbildungen doch zumindest ausschnittweise aufeinander bezogen. Bei der Verzeichnung des nichtstaatlichen Archivguts ist im Rahmen der hier entwickelten Perspektive eine möglichst enge Anbindung an die Struktur der staatlichen Überlieferung anzustreben, freilich ohne Provenienzen zu Pertinenzen zu formieren. Eine abgestimmte Ti-telbildung, ggf. ergänzt durch 'enthält-Vermerke' könnte dem Benutzer Zusammenhänge leichter eröffnen. Verknüpfungen werden sich also auf gegenseitige Verweise beschränken. Auf Bestandsebe-ne wären Verweise in ein sachsystematisches Inventar einzufügen, unterhalb der Bestands-ebene in die Einleitungen der Findbücher aufzunehmen, ggf. auch in einen Index.

114 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Forderung Kretzschmars, allerdings unter Bezugnahme auf das baden-württembergische Archivgesetz. Da die Archivierung nichtstaatlicher Unterlagen vom 'öffentli-chen Interesse' abhängig ist, stelle sich die Frage nach einer konkreteren Ausgestaltung dieses Begriffs. Kretz-schmar fragt, ob das 'öffentliche Interesse' mit dem 'bleibenden Wert' gleichzusetzen ist und ruft die Archivare auf, verschiedene Wertigkeitsstufen des 'bleibenden Wertes' nichtstaatlicher Unterlagen zu diskutieren und zu definieren, was "durchaus auch in Relation zum staatlichen Schriftgut" geschehen soll. R. Kretzschmar, Histo-rische Gesamtdokumentation?, S.55f./ 68. 115 Vgl. R. Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation?, S.65/ 68. 116 A. Menne-Haritz, Archivwesen, S.2.

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In der modernen, EDV-gestützten Verzeichnung, wie z.B. MIDOSAonline ist darüber hinaus eine Einbindung weiterer Informationen möglich, die für den Betrachter auf Wunsch in ei-nem weiteren Fenster dargestellt werden.117

117 Ebd., S.46. - Hinsichtlich des internationalen Verzeichnungsstandards ISAAR(CPF) ist eine Verknüpfung - hier allerdings aus - über den dortigen Punkt 2.1.8. "Relationships" möglich, die eine Kurzinformation enthal-ten kann. Vgl. ISAAR(CPF), prepared by the Ad Hoc Commission on Descriptive Standards Paris, November 1995, Ottawa, 1996, S.9-11, hier S.11.

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