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Als ich vor nunmehr fast 10 Jahren mit Blick auf die Århus-Kon- vention und die ihr folgenden europäischen Rechtsakte die Erwar- tung geäußert habe, diese Regelungen würden zu einer zumindest teilweisen „Reanimation des Verfahrensrechts“ führen, 1 hatte ich nicht erwartet, dass die Erholung des Patienten so lange dauern würde und so viel Nachdrucks bedürfte. Abgeschlossen ist dieser Prozess auch jetzt nicht. Es zeichnen sich aber mittlerweile recht konsolidierte Konturen ab, auf deren Grundlage der Versuch einer Systematisierung unternommen wer- den kann: Zunächst werden kurz die Grundsätze des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts hinsichtlich des Umgangs mit Verfah- rensfehlern und den prozeduralen Ansatz des europäischen Um- weltrechts einander gegenübergestellt werden (1.). Anschließend wird sich der Beitrag Typen von Verfahrensfehlern und ihrer Re- levanz zuwenden (2.), bevor unter verschiedenen Aspekten die Berechtigung zur gerichtlichen Geltendmachung von Verfahrens- fehlern untersucht wird (3.). Zum Schluss werden noch knappe Überlegungen zur selbstständigen Klagbarkeit von Verfahrensfeh- lern angeschlossen (4.). 1. Clash of cultures? Das europäische Umweltrecht und die Gewichtung des Verwaltungsverfahrens in Deutschland Wenn man über Fehler im Verwaltungsverfahren spricht, so ist zunächst klarzustellen, dass es sehr unterschiedliche Ty- pen von Verwaltungsverfahren gibt. 2 Verwaltungsverfahren in einem weiteren Sinne sind beispielsweise auch solche Ver- fahren, die zum Erlass von Rechtsverordnungen und Sat- zungen führen. 3 Ähnliches gilt für von öffentlichen Stel- len durchgeführte Verfahren, die wie das Vergabeverfahren grundsätzlich privatrechtlich geordnet sind. 4 Um diese Ver- fahren soll es jedoch im vorliegenden Beitrag nicht gehen. Der Fokus wird vielmehr auf Verfahren liegen, die dem Ver- fahrensbegriff des § 9 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) unterfallen und durch das Verwaltungsverfahrensgesetz so- wie das besondere Umweltverfahrensrecht geordnet sind. In einer legalistischen Verwaltungskultur 5 wie der deut- schen konkretisiert sich auch der vielbeschworene Ver- fahrensgedanke 6 zuvörderst in das Handeln der Verwal- tung programmierenden Normen – seien es solche mit der Qualität eines materiellen Gesetzes, seien es solche auf der Ebene von Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsverfah- rensrecht ist in erster Linie Handlungsrecht der Verwal- tung. 7 Es soll der Verwaltung dasjenige an Handlungsop- tionen bereitstellen, das sie benötigt, um ihre Aufgaben in einem rechtsstaatlichen Maßstäben genügenden Verfahren erfüllen zu können. 8 Von dieser Handlungsperspektive ist die Kontrollpers- pektive zu unterscheiden. 9 Der Umstand, dass eine Vor- schrift nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, ändert nichts an ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Eine Annahme, Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow, Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung, Speyer, Deutschland dass die Verwaltung einer verwaltungsgerichtlichen Über- prüfung nicht zugängliche Normen in praxi nicht beach- tet, würde jeder empirischen Grundlage entbehren. Es lässt sich daher durchaus als immanente Systemlogik einer lega- listischen Verwaltungskultur ansehen, dass der Verwaltung ein Vertrauen auf ihre Verfahrensrechtstreue entgegenge- bracht wird. Gleichzeitig ist damit ein Verständnis verbunden, dass das Verwaltungsverfahrensrecht grundsätzlich „Hausrecht“ der Verwaltung ist. Für Verwaltungsexterne wird es erst dann relevant, wenn seine unzutreffende Anwendung den Inhalt der Sachentscheidung beeinflusst oder – ausnahmsweise – ein subjektives öffentliches Recht auf eine bestimmte Ver- fahrenshandlung besteht. Dies führt zu einem Auseinanderlaufen der Bewertung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrens- recht: Während es mittlerweile als Allgemeinplatz gelten DOI: 10.1007/s10357-014-2622-7 Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht* Jan Ziekow © Springer-Verlag 2014 NuR (2014) 36: 229–235 229 123 *) Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser am 7. Februar 2014 im Rahmen der Fachtagung des Forschungszen- trums Umweltrecht e. V. in Berlin gehalten hat. 1) Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, 263 ff. 2) Vgl. Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 8. Aufl., München 2014, § 1, Rdnr. 30 f.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., München 2013, Einführung I Rdnr. 1; Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren in: Hoffmann-Riem/Schmidt- Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 2012, § 28, Rdnr. 161 ff.; Gurlit, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 227, 248 ff.; Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, 5. Aufl., Baden-Baden 2013, Rdnr. 47 ff. 3) Verwaltungsverfahren im materiellen Sinne, vgl. Ziekow/Siegel, Das Vergabeverfahren als Verwaltungsverfahren, ZfBR 2004, 30, 31; vgl. auch Kopp/Ramsauer (Fn. 2), § 1, Rdnr. 5–21. 4) Verwaltungsverfahren im formellen Sinne, vgl. Ziekow/Siegel (Fn. 3), ZfBR 2004, 30, 31. 5) Zu den verschiedenen Verwaltungskulturen vgl. König, Verwal- tungskultur – typologisch betrachtet in: König/Kuhlmann/Rei- chard/Sommermann/Ziekow (Hrsg.), Grundmuster der Verwal- tungskultur, Baden-Baden 2014, S. 13 ff. 6) Laubinger, Der Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht in: Kö- nig/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwal- tungsgerichtsbarkeit, Berlin 2000, S. 47 ff.; Schoch, Der Verfah- rensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 1992, 21 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts in: Lerche/Schmitt Glaeser/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren als staats- und verwaltungs- rechtliche Kategorie, Heidelberg 1984, S. 1 ff. 7) Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151, 156. 8) Schuppert, Verwaltungswissenschaft als Steuerungswissenschaft in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 1993, S. 65, 96 f. 9) Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwal- tungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 2012, § 42, Rdnr. 28; Wahl (Fn. 7), VVDStRL 41 (1983), 151, 156; Ziekow/ Siegel (Fn. 3), ZfBR 2004, 30, 31.

Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht

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Page 1: Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht

Als ich vor nunmehr fast 10 Jahren mit Blick auf die Århus-Kon-vention und die ihr folgenden europäischen Rechtsakte die Erwar-tung geäußert habe, diese Regelungen würden zu einer zumindest teilweisen „Reanimation des Verfahrensrechts“ führen, 1 hatte ich nicht erwartet, dass die Erholung des Patienten so lange dauern würde und so viel Nachdrucks bedürfte.

Abgeschlossen ist dieser Prozess auch jetzt nicht. Es zeichnen sich aber mittlerweile recht konsolidierte Konturen ab, auf deren Grundlage der Versuch einer Systematisierung unternommen wer-den kann: Zunächst werden kurz die Grundsätze des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts hinsichtlich des Umgangs mit Verfah-rensfehlern und den prozeduralen Ansatz des europäischen Um-weltrechts einander gegenübergestellt werden (1.). Anschließend wird sich der Beitrag Typen von Verfahrensfehlern und ihrer Re-levanz zuwenden (2.), bevor unter verschiedenen Aspekten die Berechtigung zur gerichtlichen Geltendmachung von Verfahrens-fehlern untersucht wird (3.). Zum Schluss werden noch knappe Überlegungen zur selbstständigen Klagbarkeit von Verfahrensfeh-lern angeschlossen (4.).

1. Clash of cultures? Das europäische Umweltrecht und die Gewichtung des Verwaltungsverfahrens in Deutschland

Wenn man über Fehler im Verwaltungsverfahren spricht, so ist zunächst klarzustellen, dass es sehr unterschiedliche Ty-pen von Verwaltungsverfahren gibt. 2 Verwaltungsverfahren in einem weiteren Sinne sind beispielsweise auch solche Ver-fahren, die zum Erlass von Rechtsverordnungen und Sat-zungen führen. 3 Ähnliches gilt für von öffentlichen Stel-len durchgeführte Verfahren, die wie das Vergabeverfahren grundsätzlich privatrechtlich geordnet sind. 4 Um diese Ver-fahren soll es jedoch im vorliegenden Beitrag nicht gehen. Der Fokus wird vielmehr auf Verfahren liegen, die dem Ver-fahrensbegriff des § 9 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) unterfallen und durch das Verwaltungsverfahrensgesetz so-wie das besondere Umweltverfahrensrecht geordnet sind.

In einer legalistischen Verwaltungskultur 5 wie der deut-schen konkretisiert sich auch der vielbeschworene Ver-fahrensgedanke 6 zuvörderst in das Handeln der Verwal-tung programmierenden Normen – seien es solche mit der Qualität eines materiellen Gesetzes, seien es solche auf der Ebene von Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsverfah-rensrecht ist in erster Linie Handlungsrecht der Verwal-tung. 7 Es soll der Verwaltung dasjenige an Handlungsop-tionen bereitstellen, das sie benötigt, um ihre Aufgaben in einem rechtsstaatlichen Maßstäben genügenden Verfahren erfüllen zu können. 8

Von dieser Handlungsperspektive ist die Kontrollpers-pektive zu unterscheiden. 9 Der Umstand, dass eine Vor-schrift nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, ändert nichts an ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Eine Annahme,

Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow, Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung, Speyer, Deutschland

dass die Verwaltung einer verwaltungsgerichtlichen Über-prüfung nicht zugängliche Normen in praxi nicht beach-tet, würde jeder empirischen Grundlage entbehren. Es lässt sich daher durchaus als immanente Systemlogik einer lega-listischen Verwaltungskultur ansehen, dass der Verwaltung ein Vertrauen auf ihre Verfahrensrechtstreue entgegenge-bracht wird.

Gleichzeitig ist damit ein Verständnis verbunden, dass das Verwaltungsverfahrensrecht grundsätzlich „Hausrecht“ der Verwaltung ist. Für Verwaltungsexterne wird es erst dann relevant, wenn seine unzutreffende Anwendung den Inhalt der Sachentscheidung beeinflusst oder – ausnahmsweise – ein subjektives öffentliches Recht auf eine bestimmte Ver-fahrenshandlung besteht.

Dies führt zu einem Auseinanderlaufen der Bewertung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrens-recht: Während es mittlerweile als Allgemeinplatz gelten

DOI: 10.1007/s10357-014-2622-7

Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht*Jan Ziekow

© Springer-Verlag 2014

NuR (2014) 36: 229–235 229

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*) Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser am 7. Februar 2014 im Rahmen der Fachtagung des For schungs zen-trums Umweltrecht e. V. in Berlin gehalten hat.

1) Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, 263 ff.

2) Vgl. Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 8. Aufl., München 2014, § 1, Rdnr. 30 f.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., München 2013, Einführung I Rdnr. 1; Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 2012, § 28, Rdnr.  161 ff.; Gurlit, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 227, 248 ff.; Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, 5. Aufl., Baden-Baden 2013, Rdnr. 47 ff.

3) Verwaltungsverfahren im materiellen Sinne, vgl. Ziekow/Siegel, Das Vergabeverfahren als Verwaltungsverfahren, ZfBR 2004, 30, 31; vgl. auch Kopp/Ramsauer (Fn. 2), § 1, Rdnr. 5–21.

4) Verwaltungsverfahren im formellen Sinne, vgl. Ziekow/Siegel (Fn. 3), ZfBR 2004, 30, 31.

5) Zu den verschiedenen Verwaltungskulturen vgl. König, Verwal-tungskultur – typologisch betrachtet in: König/Kuhlmann/Rei-chard/Sommermann/Ziekow (Hrsg.), Grundmuster der Verwal-tungskultur, Baden-Baden 2014, S. 13 ff.

6) Laubinger, Der Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht in: Kö-nig/Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwal-tungsgerichtsbarkeit, Berlin 2000, S.  47 ff.; Schoch, Der Verfah-rensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 1992, 21 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren als staats- und verwaltungs-rechtliche Kategorie, Heidelberg 1984, S. 1 ff.

7) Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151, 156.

8) Schuppert, Verwaltungswissenschaft als Steuerungswissenschaft in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 1993, S. 65, 96 f.

9) Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwal-tungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 2012, § 42, Rdnr. 28; Wahl (Fn.  7), VVDStRL 41 (1983), 151, 156; Ziekow/Siegel (Fn.  3), ZfBR 2004, 30, 31.

Page 2: Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht

kann, dass die Governanceleistung des Verwaltungsverfah-rens weit darüber hinausgeht, lediglich Verwirklichungs-modus des materiellen Rechts zu sein, 10 bleibt dem Ver-waltungsverfahrensrecht weiterhin nur eine nachgeordnete Bedeutung gegenüber dem materiellen Recht. Die un-heilige Allianz aus §§ 44 a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und 46 VwVfG führt dazu, dass ein Verfahrens-rechtsverstoß grundsätzlich während des Verwaltungsver-fahrens keiner gerichtlichen Überprüfung zugeführt wer-den kann, sondern eine Geltendmachung nur im Rahmen des Angriffs auf die später ergehende Sachentscheidung er-folgen kann. Die damit gegebene Verheißung, dass zu die-sem späteren Zeitpunkt dann aber Verfahrensfehler sank-tioniert werden, bleibt in einem beträchtlichen Umfang unerfüllt. Nach der Lesart der Rechtsprechung verhindert § 46 VwVfG nicht nur bei gebundenen Entscheidungen, sondern auch für Verwaltungsakte mit Entscheidungsspiel-raum eine Aufhebung wegen eines Verfahrensfehlers, es sei denn, es besteht die konkrete Möglichkeit, dass die ange-griffene behördliche Entscheidung ohne den Verfahrens-fehler anders ausgefallen wäre. 11 Selbst wenn diese Hürde im Einzelfall übersprungen wird, bedeutet dies allerdings noch nicht, dass der Verfahrensfehler auch wirklich sankti-oniert wird. Denn nach § 113 Abs. 1 VwGO reicht die bloß objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nichts aus. Vielmehr muss ein Rechtswidrigkeitszusammenhang der-gestalt bestehen, dass die Verletzung des Klägers in seinen subjektiven Rechten durch die Rechtswidrigkeit des Ver-waltungsakts hervorgerufen wird. Dies setzt – abgesehen von den Konstellationen, dass eine Beachtung der Verfah-rensvorschrift „Änderungspotenzial“ für die Sachentschei-dung hätte und dadurch materiell-subjektive Rechte des Klägers betroffen sind 12 – voraus, dass die verletzte Ver-fahrensvorschrift zumindest auch dem Schutz des Klägers dienen soll, was für Verfahrensvorschriften nur in Ausnah-mefällen gilt. 13

Dass das europäische Recht und insbesondere das euro-päische Umweltrecht die Bedeutung des Verfahrensrechts anders gewichtet, ist bekannt. Darauf, dass das europäische Recht und dessen indirekter Vollzug den zentralen Impuls für eine Prozeduralisierung im Sinne einer Akzentuierung des Verfahrensgedankens setzen, ist verschiedentlich hin-gewiesen worden. 14 Gleichzeitig ist aber zu Recht vor ei-ner Überakzentuierung von Unterschieden in den Verfah-renskonzeptionen des deutschen und europäischen Rechts gewarnt und darauf hingewiesen worden, dass Friktionen in erster Linie durch Überakzentuierungen der Ergebnis-orientierung und der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im deutschen Recht entstehen können. 15 Es geht mithin vor allem um die Relevanz von Verfahrensfehlern und die Voraussetzungen für deren gerichtliche Geltend-machung.

2. Verfahrensfehler und ihre Relevanz

2.1. Typisierung

Die in umweltrechtlichen Verwaltungsverfahren denk-baren Verfahrensfehler unterscheiden sich kategorial zu-nächst kaum von Fehlern in anderen Verwaltungsverfah-ren. Grundsätzlich begründet jede unrichtige Anwendung einer verfahrensrechtlichen Norm, sei es eine solche des allgemeinen, sei es des bereichsspezifischen Verfahrens-rechts, 16 einen Verfahrensfehler. 17 Differenzierungen lassen sich entlang verschiedener Aspekte entwickeln:

– Die Unterscheidung zwischen absoluten und relati-ven Verfahrensfehlern betrifft die Anwendbarkeit des § 46 VwVfG. Vom Ausschluss des Aufhebungsrechts durch diese Vorschrift sind solche Verfahrensfehler ausgenommen, die als Verstöße gegen absolute Ver-fahrensrechte zu charakterisieren sind. 18 Für die An-nahme eines absoluten Verfahrensrechts muss sich aus

dem Regelungsgehalt der Verfahrensvorschrift erge-ben, dass die Regelung des Verwaltungsverfahrens mit einer eigenen Schutzfunktion zugunsten Einzel-ner ausgestattet ist, und zwar in der Weise, dass der Begünstigte unter Berufung allein auf einen ihn be-treffenden Verfahrensmangel, d. h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die Aufhe-bung einer behördlichen Entscheidung soll durchset-zen können. 19 Die Verletzung grundrechtsrelevanter Verfahrensvorschriften allein, etwa derjenigen über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach der AtVfV, ge-nügt nicht stets schon zur Annahme eines absoluten Verfahrensfehlers. 20 Ein solcher absoluter Verfahrens-fehler führt auch in Umweltverwaltungsverfahren zur Aufhebung der Sachentscheidung, was durch den von dem absoluten Verfahrensrecht Geschützten – aber auch nur durch diesen – durchgesetzt werden kann. Relative Verfahrensfehler sind hingegen solche, deren Relevanz von ihrem Einfluss auf die Sachentscheidung im Sinne von § 46 VwVfG abhängt.

– Unterhalb der Ebene der absoluten Verfahrensfehler lässt sich weiter danach differenzieren, ob der Fehler zur Nichtigkeit der Sachentscheidung führt bzw. die sachliche Zuständigkeit oder die Verbandszuständig-keit betrifft oder ob es sich um einen anderen Feh-ler handelt. Auf die erste Gruppe von Fehlern ist § 46 VwVfG nicht anwendbar.

– Eine weitere Unterscheidung betrifft die Frage, inwie-weit für einen Verfahrensfehler eine spezialgesetzliche

Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht

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230 NuR (2014) 36: 229–235

10) Dazu Ziekow, Governance des Verwaltungsverfahrens als Aufgabe des Verwaltungsverfahrensrechts in: Hill/Sommermann/Stel-kens/Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bi-lanz und Perspektiven, Berlin 2011, S. 95 ff. m. w. N.

11) Ständige Rspr., vgl. nur BVerwG, Urt. v. 31. 7. 2012 – 4  A 7001.11, NVwZ 2013, 297, 299; Urt. v. 24. 11. 2011 – 9 A 23.10, NVwZ 2012, 557, 558; Beschl. v. 6. 5. 2008 – 9 B 64.07, NVwZ 2008, 795; Urt. v. 25. 1. 1996 – 4 C 5.95, NVwZ 1996, 788, 791; Beschl. v. 12. 7. 1993 – 7 B 114.92, NVwZ-RR 1994, 14, 15; Urt. v. 30. 5. 1984 – 4 C 58.81, NVwZ 1984, 718, 721; VGH Mann-heim, Urt. v. 15. 12. 2011 – 5 S 2100/11, ZUR 2012, 312, 317; OVG Münster, Urt. v. 30. 4. 2010 – 20 D 119/07.AK, BeckRS 2010, 50691; OVG Berlin, Urt. v. 27. 3. 2009 – OVG 2 B 9.08, BeckRS 2009, 32529; OVG Lüneburg, Urt. v. 6. 6. 2007 – 7 LC 98/06, NJOZ 2007, 5536, 5553.

12) Hufen/Siegel (Fn. 2), Rdnr. 882 ff.13) Decker in: Posser/Wolff (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommen-

tar VwGO, München Stand: 1. 10. 2013, § 113 Rdnr.  20; Wolff in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 3. Aufl., Baden-Baden 2010, § 113, Rdnr. 40.

14) Vgl. nur Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 278, 317; Kahl, 35 Jahre Verwaltungsver-fahrensgesetz – 35  Jahre Europäisierung des Verwaltungsver-fahrensrechts, NVwZ 2011, 449, 451; Quabeck (Fn. 10), S. 103; Grünewald, Die Betonung des Verfahrensgedankens im deut-schen Verwaltungsrecht durch das Gemeinschaftsrecht, Frank-furt a. M./Berlin u. a. 2010, S. 154 ff.

15) Hufen/Siegel (Fn. 2), Rdnr. 26.16) Zur Unterscheidung Ziekow, Allgemeines und bereichsspezi-

fisches Verwaltungsverfahrensrecht in: Geis/Umbach (Hrsg.), Planung – Steuerung – Kontrolle. FS Bartlsperger, Berlin 2006, S. 247 ff.

17) Vgl. nur Hufen/Siegel (Fn. 2), Rdnr. 801.18) Zur Bedeutung des § 46 im Kontext des Schutzes von Verfah-

rensrechten Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Ver-waltungsverfahren, NVwZ 2012, 461, 463.

19) BVerwG, Urt. v. 19. 11. 1965 – IV C 184.65, BVerw GE 22, 342; Urt. v. 20. 10. 1972 – IV C 107.67, 41, 58, 64 f.; Urt. v. 14. 12. 1973  – IV C 50.71, BVerw GE 44, 235, 239 f.; Urt. v. 7. 7. 1978 – 4  C 79/76, BVerw GE 56, 110, 137; Urt. v. 16. 12. 1988  – 4  C 40.86, BVerw GE 81, 95, 106; Urt. v. 22. 2. 1980 – 4 C 24.77, NJW 1981, 239, 240; Urt. v. 9. 3. 1990 – 7 C 23.89, NVwZ 1990, 967.

20) BVerfG, Beschl. v. 22. 3. 2000 – 1 BvR 1370/93, NVwZ-RR 2000, 487, 488.

Page 3: Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht

Fehlerfolgenregelung wie § 4 UmwRG vorliegt oder die allgemeine Bestimmung des § 46 VwVfG gilt.

– Hiermit zusammen hängt die Abgrenzung zwischen Verfahrensfehlern, deren Beurteilung allein natio-nalem Recht unterliegt, von solchen, die EU-rechtlich unterlegte Umweltverwaltungsverfahren betreffen.

– Schließlich kann noch nach der Phase des Rechts-schutzes differenziert werden zwischen Verfahrens-fehlern, die nach dem Regelfall des § 44 a S. 1 VwGO nur zusammen mit der Sachentscheidung angegriffen werden können, und Verfahrensfehlern, die gemäß § 44 a S. 2 VwGO ausnahmsweise schon während des noch laufenden Verwaltungsverfahrens gerügt werden können.

Die folgenden Ausführungen werden sich aus Platzgrün-den auf die umweltrechtlich besonders relevanten Konstel-lationen konzentrieren. Dies betrifft derzeit Verstöße gegen Umweltverfahrensrecht, für deren Beurteilung EU-recht-liche Regelungen eine Rolle spielen. Abgedeckt werden damit gleichzeitig die spezialgesetzlichen Abweichungen von der allgemeinen Norm des § 46 VwVfG.

Entsprechend dieser Eingrenzung wird im Folgenden des Weiteren zwischen Fehlern, die die Umweltverträg-lichkeitsprüfung betreffen, und anderen Verfahrensfehlern unterschieden.

2.2. UVP-Fehler

§ 4 Abs. 1 UmwRG in der derzeit gültigen Fassung enthält einen Ausschluss der Anwendung des § 46 VwVfG bei Vor-liegen bestimmter Fehler bei der Umweltverträglichkeits-prüfung. Erfasst sind die Nichtdurchführung

– einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung sowie

– einer erforderlichen Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit,

sofern sie nicht nachgeholt worden sind. Bei Vorliegen dieser Fehler kann die Aufhebung der insoweit verfah-rensfehlerhaften Sachentscheidung verlangt werden. Glei-ches gilt, wenn eine Einzelfallvorprüfung zwar durchge-führt wurde, jedoch nicht den Anforderungen des § 3 a S. 4 UVPG genügt.

Bekanntermaßen hat das BVerwG in seinem A 281-Ur-teil eine Erstreckung dieser die Fehlerbeachtlichkeit ohne Durchführung einer Kausalitätsprüfung anordnenden Vorschrift auf die zwar durchgeführte, jedoch fehlerhaft durchgeführte UVP abgelehnt. 21 Das BVerwG sah keine Notwendigkeit zu einer Korrektur der vom nationalen Ge-setzgeber getroffenen Entscheidung auf Grund von Erfor-dernissen des Unionsrechts. Dies gelte sowohl für die An-forderungen des Art.  10a (heute: Art.  11) UVP-RL 22 als auch für das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip. Letzte-res versteht das Gericht offenbar dahingehend, dass zumin-dest unwesentliche Verfahrensfehler nicht beachtlich sein müssen. Dementsprechend stellte es ausdrücklich fest, dass im entschiedenen Fall nur unwesentliche Fehler der UVP vorlagen. 23

2.2.1. Die Beachtlichkeit von UVP-Fehlern nach dem Altrip-Urteil des EuGH

Soweit es die Nichtbeachtlichkeit von Fehlern der UVP be-trifft, folgte der EuGH dem in seinem Altrip-Urteil vom 7. 11. 2013 24 nicht. Es ist nicht ganz überraschend, dass der Gerichtshof es als dem durch Art. 11 UVP-RL geforderten weiten Zugang zu Gerichten zuwiderlaufend ansieht, dass § 4 UmwRG den Fall der fehlerhaften UVP nicht erfasst. 25 Ausdrücklich fordert der EuGH, dass ein Rechtsbehelf ge-gen die Sachentscheidung grundsätzlich auf jeden Verfah-rensfehler im Bereich der UVP-RL gestützt werden kön-nen muss. 26

Allerdings – und dies darf nicht übersehen werden – fordert der Gerichtshof keineswegs das uneingeschränkte

Durchschlagen von UVP-Fehlern in dem Sinne, dass ein solcher Fehler immer zur Aufhebung der Sachentscheidung führen muss. Das nationale Recht kann vielmehr bestim-men, dass eine Rechtsverletzung gemäß Art.  11 Abs.  1 lit. b UVP-RL und damit eine Sanktionierung des Ver-fahrensfehlers ausscheidet, wenn dieser sich nicht auf den Inhalt der Entscheidung auswirken kann. Das Grundkon-strukt des § 46 VwVfG, die Forderung nach einer Feh-lerkausalität, ist also unionsrechtlich grundsätzlich zuläs-sig. Allerdings gibt der EuGH eine Umkehrung der durch die deutsche Rechtsprechung überwiegend vorgenomme-nen Auslegung des § 46 VwVfG vor: Nach der Lesart der Verwaltungsgerichte ist § 46 VwVfG nur dann nicht an-wendbar, d. h. kann ein Verfahrensfehler nur dann erfolg-reich für einen Angriff auf die Sachentscheidung führen, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die ange-griffene Sachentscheidung ohne den Verfahrensfehler an-ders ausgefallen wäre. 27 Ist eine solche Möglichkeit nicht feststellbar, so greift § 46 VwVfG ein. Für die Anwen-dung des Kausalitätserfordernisses bei UVP-Fehlern ver-langt der EuGH hingegen, dass nachweislich – ohne dass dem Rechtsbehelfsführer damit eine Beweislast (auch keine materielle) auferlegt werden darf – feststeht, „dass die angegriffene Entscheidung ohne den … Verfahrens-fehler nicht anders ausgefallen wäre“ 28. Als Kriterien für die dabei anzustellende Beurteilung nennt der Gerichts-hof den Grad der Schwere des betreffenden Fehlers und die Prüfung, ob der betroffenen Öffentlichkeit eine der von der UVP-RL geschaffenen Verfahrensgarantien ge-nommen wurde. 29

In der Sache liegen also das Altrip-Urteil des EuGH und das A 281-Urteil des BVerwG nicht weit auseinander. Die der bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu-grunde liegende Konstellation von UVP-Verfahrensfeh-lern, dass die Bekanntmachung der Auslegung der Plan-unterlagen keinen Hinweis auf die UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens und die nach § 6 UVPG vorgelegten Unterla-gen enthielt, wäre wohl auch nach den vom EuGH for-mulierten Maßstäben als für die Sachentscheidung nicht relevant einzustufen. Denn nach den Feststellungen des BVerwG war aus der Bekanntmachung eindeutig ersicht-lich, dass sich die mit der Bekanntmachung angestoßene Öffentlichkeitsbeteiligung auch auf die Beteiligung im Rahmen einer UVP erstreckte. 30 Die durch die UVP-RL gewährten Garantien wurden daher durch den Fehler nicht geschmälert.

Im Übrigen dürfte Zurückhaltung hinsichtlich der Ab-grenzung der definitiv nicht kausalen UVP-Fehler zu emp-

NuR (2014) 36: 229–235 231Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht

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21) BVerwG, Urt. v. 24. 11. 2011 – 9  A 23.10, NVwZ 2012, 557 Rdnr. 17 f.

22) BVerwG, Urt. v. 24. 11. 2011 – 9  A 23.10, NVwZ 2012, 557 Rdnr. 18. Zustimmend Porsch, Verwaltungsgerichtlicher Rechts-schutz im Umweltrecht, NVwZ 2013, 1393, 1395. Ablehnend Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umwelt-recht, NVwZ 2014, 1, 3; siehe bereits Kment, Europarechtswid-rigkeit des § 4 I UmRG?, NVwZ 2012, 481, 482 zur EuGH- Vorlage.

23) BVerwG, Urt. v. 24. 11. 2011 – 9  A 23.10, NVwZ 2012, 557 Rdnr. 18.

24) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878 – Ge-meinde Altrip.

25) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878, Rdnr. 36 ff. – Gemeinde Altrip.

26) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878, Rdnr. 48 – Gemeinde Altrip.

27) Siehe oben Fn. 11.28) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878, Rdnr. 53 –

Gemeinde Altrip (Hervorhebung durch den Verf.).29) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878, Rdnr. 54 –

Gemeinde Altrip.30) BVerwG, Urt. v. 24. 11. 2011 – 9  A 23.10, NVwZ 2012, 557,

Rdnr. 18.

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fehlen sein. Insbesondere wird man nicht davon ausge-hen können, dass nur eine Missachtung der sich explizit auf eine Beteiligung der Öffentlichkeit beziehenden Vor-schriften der Art. 6 Abs. 2 ff., Art. 7 Abs. 3 und 5, Art. 8, 9 und 11 UVP-RL einen kausalen Verfahrensfehler begrün-den kann.

Dass sich auch de lege lata die vom EuGH vorgegebene Prüfung durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 46 VwVfG sicherstellen lässt, ist eindeutig. 31 Ob der Ge-setzgeber sich allerdings hierauf zurückziehen und eine Ergänzung des § 4 UmwRG um den Fall der fehlerhaften UVP unterlassen kann, dürfte zweifelhaft sein. Denn der Gerichtshof hat die fehlende Aufnahme dieses Falls in den nationalen Umsetzungsakt des § 4 UmwRG ausdrücklich als unionsrechtswidrig bezeichnet. 32

2.2.2. Konsequenzen für Einzelfallvorprüfung und vollständig fehlende UVP

Es sei sicherheitshalber darauf hingewiesen, dass sich aus dem Altrip-Urteil des EuGH keine Möglichkeit des deut-schen Gesetzgebers ergeben dürfte, den einschränkungs-losen Ausschluss der in § 46 VwVfG geforderten Fehler-kausalität durch § 4 UmwRG nunmehr für die Fälle der unterbliebenen UVP bzw. Einzelfallvorprüfung zurück zu drängen. Denn das vollständige Fehlen einer UVP ne-giert die durch die UVP-RL statuierten Verfahrensgaran-tien vollständig. Für das Fehlen einer Vorprüfung gilt Ent-sprechendes, zeitigt doch das Unterlassen das Ergebnis, dass eine UVP auch dann nicht durchgeführt werden wird, wenn die Behörde nach § 3 c UVPG an und für sich zu dem Ergebnis der Notwendigkeit der Durchführung einer UVP kommen müsste.

In einer ersten Bewertung des Altrip-Urteils ist angeregt worden, anlässlich einer Novellierung auch die Beschrän-kung der gerichtlichen Überprüfung einer Einzelfallvor-prüfung durch §§ 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG, 3a S. 4 UVPG auf den gesetzgeberischen Prüfstand zu stellen. 33 Ansatz-punkte für diese Forderung könnten die Feststellungen des Gerichtshofs sein, dass die „Gründe …, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können“, „in keiner Weise … beschränkt“ sind, und dass der unionsrechtlich vorgegebene weite Zugang zu Gerich-ten nicht übermäßig erschwert werden darf. 34

Im Ergebnis dürften allerdings die besseren Gründe da-für sprechen, dass das Altrip-Urteil die genannten deut-schen Vorschriften nicht in Frage stellt. Wie dargestellt hat es der EuGH gerade für zulässig erklärt, dass nationa-les Recht die gerichtliche Überprüfbarkeit von Sachent-scheidungen für solche UVP-Fehler einschränkt, die nach-weislich ohne Einfluss auf die Sachentscheidung sind. Nach § 3 a S. 4 UVPG ist die behördliche Entscheidung, dass eine UVP unterbleiben soll, nur darauf zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3 c UVPG durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollzieh-bar ist. Nach der Gesetzesbegründung ist damit eine zwei-stufige Prüfung gefordert, nämlich erstens die Überprü-fung, ob das Verfahren der Vorprüfung den Vorgaben des § 3 c UVPG entspricht, und zweitens die gerichtliche Fest-stellung, ob die behördliche Beurteilung nachvollziehbar ist. 35 In dieser Auslegung sind §§ 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG, 3a S. 4 UVPG mit den Anforderungen des Altrip-Urteils ver-einbar. Verfahrensfehler bei der zur Feststellung der Nicht-durchführung einer UVP führenden Vorprüfung sind da-nach grundsätzlich beachtlich. Der in der Rechtsprechung teilweise zu findenden Reduzierung der gerichtlichen Überprüfung darauf, ob überhaupt eine Einzelfallvorprü-fung durchgeführt worden ist, 36 wird man nicht beitreten können.

2.2.3. Heilung von Verfahrensfehlern

Schließlich bleibt noch kurz zu der in § 4 Abs.  1 S.  3 UmwRG unberührt gelassenen Möglichkeit der Heilung

von Verfahrensfehlern Stellung zu nehmen. An der grund-sätzlichen Zulässigkeit der Möglichkeit der Fehlerheilung am Maßstab des Unionsrechts hat sich nichts geändert. 37 Hinsichtlich der Durchführung wird man nach der Art des Fehlers unterscheiden müssen:

– Ist eine Vorprüfung – und damit auch eine UVP – vollständig unterblieben, so kann die Vorprüfung nachgeholt werden. Führt sie zu dem Ergebnis, dass eine UVP nicht durchzuführen ist, ist die Fehlerhei-lung beendet. 38 Andernfalls ist eine UVP durchzufüh-ren, was der folgenden Konstellation entspricht.

– Bei einer vollständig fehlenden UVP muss das zu der Sachentscheidung führende Verwaltungsverfahren in der Regel vollständig neu aufgerollt werden, soweit nicht bereits Verfahrenshandlungen vorgenommen werden, die ohne Bezug zur UVP sind und deshalb weiterhin verwertet werden können. 39

– Relevante Verfahrensfehler bei der Durchführung einer Einzelfallvorprüfung oder UVP werden da-durch geheilt, dass das Verfahren bis zu dem Fehler gleichsam „zurückgedreht“ wird, sofern keine Hei-lung durch isolierte Nachholung der Verfahrenshand-lung nach § 45 VwVfG möglich ist. Allerdings wird man auch in den Fällen des § 45 VwVfG zu beachten haben, dass die UVP ein ganzheitlicher Vorgang ist, dem nicht nachträglich einzelne wesentliche Elemente hinzugefügt werden können. Bei Anlegung der Maß-stäbe der Altrip-Entscheidung wird man eine Heilung durch Nachholung einzelner Verfahrensschritte ohne erneute Durchführung der UVP ab diesem Schritt nur dann für zulässig halten können, wenn hierdurch die betreffende Verfahrensanforderung nicht entwer-tet wird. 40 Auch wenn der Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 9 UVPG erfasst , 41 wird man in Anbetracht des Stellen-werts dieses Verfahrenselements für das unionsrecht-liche Konzept der UVP eine Heilung durch isolierte Nachholung nicht für zulässig halten können. 42

Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht

123

232 NuR (2014) 36: 229–235

31) Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des ( Umwelt-) Rechtsschutzes, NVwZ 2014, 11, 15 f.; Stüer/Stüer, Anmerkung zu EuGH (2. Kammer), Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12 – Gemeinde Altrip, DVBl. 2013, 1597, 1603.

32) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878, Rdnr. 37 – Gemeinde Altrip.

33) Siehe Stüer/Stüer (Fn. 31), DVBl. 2013, 1597, 1604: „wackelt … erheblich“.

34) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878, Rdnr. 36, 46 – Gemeinde Altrip.

35) BR-Drs. 551/06 S. 43 f.36) So etwa OVG Hamburg, Beschl. v. 24. 2. 2010 – 5 Bs 24/10,

ZUR 2010, 434, 435. 37) Siehe bereits Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Sys-

tem des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, 259, 265; ebenso etwa Gärditz (Fn. 22), NVwZ 2014, 1, 8.

38) BVerwG, Urt. v. 20. 8. 2008 – 4 C 11.07, NVwZ 2008, 1349, 1350 f.; Ziekow (Fn.  38), NVwZ 2007, 259, 265. Zur Fehler-behebung im ergänzenden Verfahren vgl. BVerwG, Urt. v. 20. 12. 2011 – 9 A 31.10, NVwZ 2012, 575, 579.

39) OVG Berlin, Beschl. v. 27. 11. 2009 – 11 S 49.09, BeckRS 2009, 41964; Gurlit, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungs-recht, VVDStRL 70 (2011), S. 227, 262; Ziekow (Fn. 38), NVwZ 2007, 259, 265; Kment, Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG – Rechtsschutz des Vor-habenträgers, anerkannter Vereinigungen und Dritter, NVwZ 2007, 274, 277.

40) In diese Richtung bereits Greim (Fn. 10), S. 183 f.41) Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2013, § 45, Rdnr. 11.42) Vgl. Greim (Fn. 10), S. 184; Grünewald (Fn. 14), S. 194; Schwerdt-

feger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, Tübingen 2010, S.  256 f.; Müller, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht der Europäischen Union und ihre Einwirkungen auf das deutsche Verwaltungsrecht am Beispiel des Immissionsschutzrechts, Baden-Baden 2010, S. 110 f.

Page 5: Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht

2.3. Andere Verstöße gegen Umweltverfahrensrecht

Es bleibt die Frage, ob auch für andere Verstöße gegen Um-weltverfahrensrecht als UVP-Fehler ein besonderes Fehler-folgenregime besteht. § 4 UmwRG lässt insoweit keinen In-terpretationsspielraum, zählt er doch die ihm unterfallenden Verfahrensfehler unter Beschränkung auf UVP- und Vor-prüfungsfehler abschließend auf. Die unionsrechtliche Vor-schrift des Art.  11 UVP-RL ist demgegenüber etwas an-ders gefasst. Sie spricht in Abs. 1 davon, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu Gericht haben müssen, „um die materiellrechtliche und verfahrensrecht-liche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmun-gen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten“. Bei grammatischer Auslegung wird sich nicht ar-gumentieren lassen, es könne nur um UVP-Fehler gehen, weil nur für diese die Bestimmungen der UVP-RL über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten würden. Denn der letzte Satzteil bezieht sich darauf, dass die angegriffene Entschei-dung den genannten Bestimmungen unterfallen muss, und nicht auf die „verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit“.

Klar dürfte sein, dass es für Verstöße gegen Verfahrensvor-schriften außerhalb des Umweltrechts, die allein im nationa-len Recht verankert sind, beim nationalen Fehlerfolgenre-gime bleibt. Ebenso klar ist aber auch, dass die Anforderungen der Altrip-Entscheidung zur Fehlerkausalität auch für andere Verfahrensverstöße als UVP-Fehlern gelten müssen, soweit es sich um EU-rechtlich unterlegtes Umweltverfahrensrecht handelt. 43 Dies macht bereits Art. 25 Abs. 1 Industrieemis-sions-RL deutlich, der für Verfahrensfehler außerhalb des UVP-Rechts bei den Art.  24 der RL unterfallenden Ent-scheidungen dieselben Regelungen zur Überprüfbarkeit in verfahrensrechtlicher Hinsicht trifft wie Art. 11 UVP-RL.

Auf die in Zukunft mit prognostizierbarer Sicherheit große Bedeutung erlangende Frage, inwieweit Art. 9 Abs. 3 der Århus-Konvention in der dieser Norm vom EuGH in der Entscheidung „slowakischer Braunbär“ zugemessenen ausle-gungsleitenden Bedeutung 44 zu einer erweiterten Fehlerbe-achtlichkeit von Verstößen gegen weiteres Umweltverfah-rensrecht führt, kann hier nicht eingegangen werden. 45

3. Anforderungen an die gerichtliche Geltendmachung von Verfahrensfehlern

Mit der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Fehlerkausalität gegenüber § 46 VwVfG ist allerdings noch nicht darüber entschieden, unter welchen Vorausset-zungen Verfahrensfehler erfolgreich gerichtlich geltend ge-macht werden können. Zwar ist das Problem im Gefolge der Trianel-Entscheidung des EuGH 46 insofern entschärft worden, als die unselige Schutznormakzessorietät der Kla-gen von Umweltvereinigungen nach der früheren Fassung des UmwRG 47 durch die Novellierung des UmwRG 48 be-seitigt worden ist. Nach der neuen Fassung des § 2 UmwRG können die Vereinigungen Verfahrensfehler ohne Rück-sicht auf deren subjektiv-rechtlichen Gehalt rügen und diesbezüglich eine objektive Rechtskontrolle durch das Verwaltungsgericht in Gang setzen.

Für die Klagen von Privaten ist dies jedoch noch nicht ab-schließend geklärt (dazu unten 3.1.). Zudem harrt die Frage der Vereinbarkeit von nationalen Präklusionsregelungen mit dem EU-Recht der Beantwortung (dazu unten 3.2.).

3.1. Verstoß gegen objektives Verfahrensrecht und Schutznormtheorie

Soweit nicht eine Umweltvereinigung, sondern ein pri-vater Dritter eine behördliche, umweltrechtlich relevante Entscheidung mit der Begründung angreift, die Entschei-dung sei verfahrensfehlerhaft, enthält das UmwRG keine Regelung der Frage, ob für den Erfolg der Klage die Er-

füllung der Voraussetzungen der §§ 42 Abs. 2, 113 VwGO gegeben sein muss. Abgesehen von den Fällen der zu ei-ner Vollprüfung führenden enteignungsrechtlichen Be-troffenheit 49 und der genannten Konstellation des „Ände-rungspotenzials“ einer Beachtung der Verfahrensvorschrift (oben 1.) würde dies nach der geltenden Schutznormtheorie erfordern, dass die verletzte Verfahrensvorschrift zumin-dest auch den Interessen des Klägers zu dienen bestimmt ist. 50 Dies ist bei Vorschriften über das Verwaltungsverfah-ren nur selten der Fall 51 und insbesondere die Regelungen des Umweltverfahrensrechts stehen meist im Dienste von Allgemein- und nicht von Individualinteressen.

§ 4 UmwRG enthält hierzu keine Regelung. Zwar be-stimmt § 4 Abs. 3 UmwRG, dass § 4 Abs. 1 und 2 UmwRG auch für natürliche und juristische Personen gelten. Jedoch betrifft § 4 UmwRG nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Relevanz von Verfahrensfehlern in Abweichung von § 46 VwVfG und begründet keine eigenständige Rechtsbe-helfsbefugnis. Für andere Kläger als Umweltvereinigungen soll es vielmehr bei der Notwendigkeit bleiben, die Verlet-zung eigener Rechte zu rügen. 52

Für die unionsrechtliche Zulässigkeit dieser Betrachtung sprechen zunächst Art.  11 UVP-RL und Art.  25 Indus-trieemissions-RL, wonach die Mitgliedstaaten den Zu-gang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Ge-richt davon abhängig machen können, dass der Kläger eine Rechtsverletzung geltend machen kann. Die Kommission interpretiert in ihrer Stellungnahme vom 25. 4. 2013 zur Umsetzung von Art. 11 UVP-RL und Art. 25 Industrie-emissions-RL durch Deutschland diese Regelungen dahin gehend, dass sie nur die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs be-treffen. Hier hat der Mitgliedstaat die Möglichkeit, die Zu-lässigkeit an die Geltendmachung von subjektiven Rech-ten zu knüpfen. Ist diese Hürde aber einmal übersprungen und der Rechtsbehelf zulässig, so soll die Prüfung durch das Gericht nicht auf die Verletzung von Vorschriften be-schränkt sein, die Rechte einzelner begründen, sondern in einer objektiven Rechtskontrolle alle verfahrens- und ma-teriell-rechtlichen Vorschriften umfassen. 53 Nicht gefordert

NuR (2014) 36: 229–235 233Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht

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43) Siehe auch Gärditz (Fn. 22), NVwZ 2014, 1, 3.44) EuGH, Urt. v. 8. 3. 2011 – C-240/09, NuR 2011, 346 Rdnr. 50.45) Vgl. zu diesem Fragenkreis Gärditz (Fn. 22), NVwZ 2014, 1, 5 f.;

Kokott/Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellun-gen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, DVBl. 2014, 132, 135 f.

46) EuGH, Urt. v. 12. 5. 2011 – C-115/09, NuR 2011, 72.47) Dazu Ziekow (Fn. 38), NVwZ 2007, 259, 260 f.48) Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und

anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21. 1. 2013, BGBl. I 2013, 95; siehe auch Seibert, Verbandsklagen im Umweltrecht, NVwZ 2013, 1040 ff.

49) Dazu im Einzelnen Schütz, Rechtsschutz im Fachplanungsrecht in: Ziekow (Hrsg.), Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl., München 2014, § 8, Rdnr. 28 ff.

50) BVerwG, Urt. v. 22. 2. 1980 – 4 C 24.77, NJW 1981, 239, 240; Sodan in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 3. Aufl., Baden-Baden 2010, § 42, Rdnr. 386 ff.

51) Sachs, Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Ver-waltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., München 2012, § 31, Rdnr. 61; Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfah-ren, NVwZ 2012, 461 (464); Kleesiek, Zur Problematik der unter-lassenen Umweltverträglichkeitsprüfung, Berlin 2010, S. 43.

52) BT-Drs. 16/2495, 8; BVerwG, Beschl. v. 27. 6. 2013 – 4 B 37.12, juris Rdnr. 10.

53) Mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Art. 258 des Ver-trags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gerichtet an die Bundesrepublik Deutschland wegen der Umsetzung des Artikels 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltver-träglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten und des Artikels 25 der Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen in deutsches Recht v. 25. 4. 2013, C(2013) 2173 final, S. 11.

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ist danach also, dass die Verfahrensvorschriften selbst sub-jektive Rechte, auf die die Klagebefugnis gestützt werden könnte, verleihen.

Dieses Modell ist dem deutschen Recht wohlbekannt, entspricht es doch exakt dem Verhältnis von Zulässig-keits- und Begründetheitsprüfung nach § 47 VwGO. 54 In der Tat formuliert auch das Altrip-Urteil des EuGH – wie auch schon zuvor das Trianel-Urteil –, dass die „Zulässig-keit von Rechtsbehelfen“ von der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abhängig gemacht werden kann und „die Gründe …, die zur Stützung eines entsprechenden Rechts-behelfs vorgebracht werden können“, nicht beschränkt sind. 55

Gleichwohl bleiben Zweifel, ob die unionsrechtlichen Vorschriften über den Gerichtszugang wirklich in dieser Weise interpretiert werden können. Es erschiene der an-gestrebten Effektivität der Durchsetzung des EU-Umwelt-rechts wenig dienlich, wenn der „Brotkorb“ der umfas-senden Begründetheitsprüfung durch das Erfordernis der Geltendmachung einer Schutznormverletzung auf der Zu-lässigkeitsstufe in unerreichbare Höhen gehängt würde. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof denn auch aus-drücklich darauf hingewiesen, dass die Befugnis der Mit-gliedstaaten, „die Rechte zu bestimmen, bei deren Verlet-zung ein Rechtsbehelf in Umweltsachen eingelegt werden“ kann, nur in den „durch Art.  10a der Richtlinie 85/337 gesteckten Grenzen“ besteht. Die Schutznormtheorie en-det dort, wo sie die „durch die Richtlinie … verliehenen Rechte … praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren würde“. 56

Dies heißt nichts anderes, als dass die Verfahrensvorschrif-ten der genannten beiden Richtlinien als Schutznormen auch im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO interpretiert werden müssen. Es liegt völlig in der Systemlogik des deutschen Systems des subjektiven Rechtsschutzes, wenn der EuGH die Frage der Fehlerkausalität (dazu oben 2.2.1.) unter der Überschrift der Befugnis der Mitgliedstaaten zur Knüp-fung des Zugangs zu Gericht an das Kriterium der Gel-tendmachung einer Rechtsverletzung behandelt. Denn die Richtlinien gewähren den Mitgliedern der betroffenen Öf-fentlichkeit „Garantien“ 57 bzw. räumen ihnen „Rechte“ 58 ein, so dass sie bereits für den „Zugang zu Gerichten  … grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen kön-nen“ 59 müssen. Keine übermäßige Erschwerung des Ge-richtszugangs liegt dabei vor, wenn die Entscheidung auch ohne den Verfahrensfehler dieselbe geblieben wäre – es sei denn, es handelt sich um einen der in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten Fehler.

Änderungen des deutschen Rechts werden durch diese Vorgaben nicht gefordert. 60 Systematisch ist diese Öffnung der Klagebefugnis für Verfahrensfehler unter Beschränkung durch den unionsrechtskonform ausgelegten § 46 VwVfG durchaus verarbeitbar. § 46 VwVfG ist in der Weise kon-zipiert, dass er den Anspruch des Betroffenen auf Aufhe-bung des Verwaltungsakts ausschließt. Die Anwendung der Vorschrift führt zur Unbegründetheit des Rechtsbehelfs, indem der Betroffene durch die (fortbestehende) Rechts-widrigkeit des Verwaltungsakts nicht in seinen Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO verletzt ist. 61 Hiermit ist es ohne Weiteres zu vereinbaren, dem Kläger in den Fällen der trotz Verfahrensfehlers feststellbar Bestand behaltenden Sachentscheidung bereits die Klagebefugnis abzusprechen.

3.2. Präklusion

Für die Beantwortung der Frage, inwieweit die Präklusi-onsvorschriften des deutschen Umweltverfahrensrechts im Kontext des Rechtsschutzes gegen Verfahrensfehler relevant sind, ist zunächst auf die zutreffende Auffassung des BVerwG hinzuweisen, dass es sich bei verfahrensbezogenem Vorbrin-gen um keine Einwendungen im Sinne der §§ 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG oder 10 Abs. 3 BImschG handelt und eine nicht er-

folgende Rüge von Verfahrensfehlern daher nicht zur Prä-klusion der Geltendmachung dieser Fehler führt. 62

Folgt man allerdings der dargestellten Auffassung der Kommission (oben 3.1.), dass die Rüge eines materiell-recht-lichen Fehlers erforderlich ist, um die Klage über die Hürde der Klagebefugnis zu heben und im Rahmen der Begründet-heitsprüfung eine Vollkontrolle auch auf Verfahrensfehler zu eröffnen, so schränkt die Möglichkeit der Präklusion mate-riell-rechtlichen Vorbringens zwangsläufig auch den unions-rechtlich gebotenen weiten Zugang zu Gerichten hinsicht-lich der Kontrolle der Einhaltung des Verfahrensrechts ein. Auf dieser Grundlage wird man durchaus der Bewertung der Kommission zustimmen können, dass die Präklusionsrege-lungen mit Art. 11 UVP-Richtlinie und Art. 25 Indu strie-emissions-RL unvereinbar sind. 63 In diese Richtung dürften auch die Äußerungen des EuGH in der Sache Djurgården-Lilla Värtan gedeutet werden können, den „Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit  … (müsse es) möglich sein  …, die … Genehmigung eines Projekts anzufechten, gleichviel, welche Rolle sie in dem Verfahren über den Genehmigungs-antrag vor dieser Stelle durch ihre Beteiligung an und ihre Äußerung in diesem Verfahren spielen konnten.“ 64

Anderes gilt auf der Grundlage der vorliegend vertrete-nen Auffassung, nach der die Verfahrensvorschriften der genannten Richtlinien grundsätzlich Schutznormen im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO sind (oben 3.1.). Denn durch diese Entkoppelung von materiell-rechtlichen Fehlern be-rührt die die Rüge von Verfahrensfehlern nicht erfassende Präklusion den Zugang zu den Gerichten nicht.

4. Selbstständige Klagbarkeit (§ 44 a VwGO)

Auch die neuere Rechtsprechung des EuGH hat nichts daran geändert, dass die durch § 44 a VwGO, der gemäß § 1 Abs.  1 S.  3 UmwRG unberührt bleibt, für den Re-gelfall vorgenommene Verweisung des Rechtsschutzes ge-gen Verfahrensfehler auf die Phase nach Erlass der Sach-entscheidung mit Unionsrecht vereinbar ist. Zwar sind an diesem Ergebnis unter dem Gesichtspunkt Zweifel formu-liert worden, dass immer dann, wenn das Unionsrecht ein subjektives Verfahrensrecht gewähre, das Effektivitätsgebot es zumindest nahelegt, dass eine Verletzung dieses Verfah-rensrechts nicht erst nach Erlass der Sachentscheidung ge-

Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht

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234 NuR (2014) 36: 229–235

54) Näher dazu etwa Ziekow in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 3. Aufl., Baden-Baden 2010, § 47, Rdnr. 37.

55) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878 Rdnr. 42, 36 – Gemeinde Altrip; entsprechend EuGH, Urt. v. 12. 5. 2011 – C-115/09, NJW 2011, 2779, 2780 = NuR 2011, 423.

56) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878 Rdnr. 46 – Gemeinde Altrip.

57) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878 Rdnr. 54 – Gemeinde Altrip.

58) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878 Rdnr. 46, 52 – Gemeinde Altrip.

59) EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 – C-72/12, NuR 2013, 878 Rdnr. 48 – Gemeinde Altrip.

60) Siehe bereits zur Frage der Schutznormtheorie Ziekow, Europa und der deutsche Verwaltungsprozess – Schlaglichter auf eine unendliche Geschichte, NVwZ 2010, 793, 794.

61) BVerwG, Urt. v. 3. 5. 1982 – 6 C 60.79, BVerw GE 65, 287, 289 f.; Ziekow (Fn. 42), § 46, Rdnr. 13.

62) BVerwG, Urt. v. 14. 7. 2011 – 9  A 14.10, NVwZ 2012, 180 Rdnr. 12; Ziekow (Fn. 42), § 73, Rdnr. 55 m. Nachw. auch zur Gegenansicht.

63) Mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Art. 258 des Ver-trags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gerichtet an die Bundesrepublik Deutschland wegen der Umsetzung des Artikels 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprü-fung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten und des Artikels 25 der Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen in deutsches Recht v. 25. 4. 2013, C(2013) 2173 final, S. 13 ff.

64) EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, NuR 2009, 773 Rdnr. 39 – Djurgår-den. Zur Bewertung Ziekow (Fn. 60), NVwZ 2010, 793, 795.

Page 7: Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht

richtlich beanstandet werden kann. 65 Und in der Tat sind nach der neueren Rechtsprechung des EuGH die Verfah-rensvorschriften von UVP-RL und Industrieemissions-RL als Schutznormen anzusehen. Doch fordert weder der Ef-fektivitätsgrundsatz noch das Gebot eines weiten Zugangs zu den Gerichten 66 eine Vorverlagerung des Rechtsschut-zes gegen Verfahrensfehler in die Phase des noch laufen-den Verwaltungsverfahrens. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 UVP-RL bzw. Art. 25 Abs. 2 Industrieemissions-RL steht es den Mitgliedstaaten frei, in welchem Verfahrensstadium sie den Rechtsschutz eröffnen wollen.

Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob es nicht zu-mindest partiell sinnvoll wäre, abweichend von § 44 a VwGO Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler auch schon während des laufenden Verwaltungsverfahrens zu eröff-nen. 67 Denn die durch die Richtlinien bzw. das UmwRG eröffnete Möglichkeit der Anfechtung der Sachentschei-dung allein wegen eines Verfahrensfehlers kann die Ver-wirklichung des betreffenden Vorhabens beträchtlich ver-zögern. Vor allem in den Konstellationen, in denen die UVP-Pflichtigkeit streitig ist, sei es in Auslegung gesetz-licher Vorgaben, sei es aufgrund einer Vorprüfung, könnte die Zulassung eines Zwischenstreits die sonst drohende Notwendigkeit einer „Zurückdrehung“ des Verfahrens (siehe oben 2.2.3.) verhindern.

5. Schlussbetrachtung

Bei vordergründiger Betrachtung sind die Auswirkungen der Altrip-Entscheidung des EuGH auf den Themen-

komplex „Rechtsschutz gegen Fehler in Umweltverwal-tungsverfahren“ überschaubar. Dass § 4 UmwRG bezüg-lich der Nichtberücksichtigung der fehlerhaften UVP zu kurz springt, ist oft genug angemahnt worden, so dass die Bestätigung aus Luxemburg zumindest nicht jeden überrascht. Auch die Korrektur bei der Handhabung der Fehlerkausalität im Rahmen des § 46 VwVfG ist nicht spektakulär.

Es ist allerdings davor zu warnen, nochmals die Reich-weite dessen, was das europäische Umweltrecht verlangt, unterschätzen zu wollen. Die Häufigkeit, mit der sich der deutsche Gesetzgeber durch Kommission und EuGH in diesem Bereich mahnen lassen muss, ist durchaus be-merkenswert. Bei näherer Betrachtung hat der EuGH durchaus stringente Vorstellungen, wie ein System des Rechtsschutzes bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht auszusehen hat. Dies ernst zu nehmen, ist ein kleiner Schritt für das deutsche Rechtssystem, aber ein großer Schritt für die Integration.

Das Problem der Verträglichkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Straßen- und Schienenwegen, Gewässern sowie Hochwasser-schutzanlagen mit Naturschutzbelangen stellt ein aktuelles Thema dar, das in vielerlei Hinsicht ungeklärte Fragen aufwirft. Denn die genannten Unterhaltungsobjekte befinden sich in der Regel in der freien Natur, häufig sogar in Schutzgebieten, wo sie als Lebens-räume für geschützte Tiere und Pflanzen dienen. Daher stehen derartige Maßnahmen nicht selten im Konflikt mit dem Natur-schutz, insbesondere, wenn diese die Erhaltungsziele von Natura 2000-Gebieten beeinträchtigen. Der Beitrag stellt typische Unter-haltungsmaßnahmen vor und analysiert deren rechtliche Zulässig-keit aus Sicht des europäischen Gebietsschutzrechts unter besonde-rer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH im sog. Papenburg-Urteil vom 14. 1. 2010 (C-226/08). Dabei wird ins-besondere das Verhältnis des Verschlechterungsverbotes zur Ver-träglichkeitsprüfung näher beleuchtet.

Dr. jur. Juliane Albrecht und Ref. jur. Moritz Gies, wissenschaftliche Mitarbeiter am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden, Deutschland

1. Einleitung

Unterhaltungsmaßnahmen sind in der Regel öffentliche Aufgaben, die im Interesse der Allgemeinheit wahrzuneh-men sind. Nach allgemeiner Definition betreffen diese die Instandhaltung und Instandsetzung von Anlagen. 2 Entspre-chende Maßnahmen können sich zum einen auf innerbe-triebliche Anlagen wie z. B. bestimmte Maschinen einer Betriebsstätte beziehen, betreffen zum anderen aber häu-

Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen und Gewässern in Natura 2000- Gebieten im Lichte der Rechtsprechung des EuGHJuliane Albrecht und Moritz Gies 1

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NuR (2014) 36: 235–246 235Albrecht/Gies, Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen

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65) In diese Richtung Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EU, 2. Aufl., Bonn 2011, Rdnr. 629; Schlacke in: Gärditz (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsord-nung, Köln 2013, § 1 UmwRG, Rdnr. 37.

66) Zur Unterscheidung dieser Grundsätze Ziekow (Fn. 62), NVwZ 2010, 793, 795 ff.

67) Siehe bereits Ziekow (Fn. 1), NVwZ 2005, 263, 266; zustimmend Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfah-rensfehlern: Neue Entwicklungen im Umweltrecht, DÖV 2006, 621, 629.

1) Bei dem Aufsatz handelt es sich um die überarbeitete und erwei-terte Version eines Vortrages, den die Erstautorin auf der gemeinsam durch das IÖR und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) veran-stalteten Fachtagung „Wiederkehrende Eingriffe und FFH-Verträg-lichkeit“ am 1. 3. 2012 in Dresden gehalten hat. Die Tagungsdo-kumentation (Albrecht/Bernotat/Gies/Schäfer/Strugale/Wachs/ Wende (Hrsg.): Wiederkehrende Eingriffe und FFH-Verträglichkeit. Dres-den, Leipzig: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und Bundesamt für Naturschutz, 57 S.) ist unter http://www2. ioer.de/download/ioer_de/Tagung_FFH_Unterhaltung.pdf ab-rufbar (Stand: 28. 1. 2014).

2) Vgl. DIN 31051.