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Aus dem
Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Ch. Jürgens
und der
Klinik für Unfallchirurgie der Universität zu Lübeck
Direktor: Prof. Dr. Ch. Jürgens
Vergleich zwischen winkelstabiler und
nicht winkelstabiler Plattenosteosynthese am proximalen
Humerus – eine biomechanische Studie
Inauguraldissertation
zur Erlangung der Doktorwürde
der Universität zu Lübeck
-Aus der Medizinischen Fakultät -
vorgelegt von
Julia Triebe
aus Duderstadt
Lübeck 2006
1. Berichterstatter/ Berichterstatterin: Priv.- Doz. Dr. med. Klaus Seide
2. Berichterstatter/ Berichterstatterin: Priv.- Doz. Dr. med. Wolfgang Eichler
Tag der mündlichen Prüfung: 28.01.2008
Zum Druck genehmigt. Lübeck, den 28.01.2008
gez. Prof. Dr. med. Werner Solbach
-Dekan der Medizinischen Fakultät-
In Dankbarkeit
meinen Eltern
gewidmet,
die mir auf meinem bisherigen
Lebensweg mit ihrer liebevollen Unterstützung
immer hilfreich zur Seite standen.
1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ..................................................................................................................... 3
2 Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität......... 5
3 Material und Methode ................................................................................................ 11
3.1 Präparate .............................................................................................................. 11
3.1.1 Probenaufbereitung...................................................................................... 11
3.1.2 Knochendichtemessung............................................................................... 12
3.2 Implantate ............................................................................................................ 13
3.2.1 Winkelstabile Implantate............................................................................. 13
3.2.2 Nicht winkelstabile Implantate.................................................................... 14
3.3 Versuchsaufbau ................................................................................................... 14
3.3.1 Implantatmontage ........................................................................................ 14
3.3.2 Testaufbau für die statische Testung ........................................................... 16
3.3.3 Testaufbau für die dynamische Testung...................................................... 18
3.4 Versuchsprotokoll und Auswertung .................................................................... 21
3.4.1 Statische Testung......................................................................................... 21
3.4.2 Dynamische Testung ................................................................................... 22
3.4.3 Statistische Analyse..................................................................................... 23
4 Ergebnisse................................................................................................................... 24
4.1 Statische Testungen ............................................................................................. 24
4.1.1 Steifigkeit .................................................................................................... 24
4.1.2 Versagen ...................................................................................................... 26
4.1.3 Versagensmechanismus............................................................................... 28
4.1.4 Einfluss der Knochendichte......................................................................... 32
4.2 Dynamische Testungen........................................................................................ 34
4.2.1 Dauerfestigkeit / Lastwechsel...................................................................... 34
4.2.2 Plastische Deformation................................................................................ 36
4.2.3 Versagensmechanismus............................................................................... 37
4.2.4 Einfluss der Knochendichte......................................................................... 39
5 Diskussion .................................................................................................................. 41
6 Zusammenfassung ...................................................................................................... 46
7 Literaturverzeichnis .................................................................................................... 48
Inhaltsverzeichnis
2
8 Danksagung ................................................................................................................ 53
9 Lebenslauf .................................................................................................................. 54
Inhaltsverzeichnis
3
1 Einleitung
Frakturen des proximalen Humerus gehören zu den häufigsten Knochenbrüchen und
zählen neben distalen Radiusfrakturen und hüftgelenksnahen Frakturen zu den typischen
Verletzungen des älteren Menschen.
Als begünstigender Faktor tritt vor allem die Osteoporose in den Vordergrund, wobei
Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Mit dem Alter nimmt die
Knochensubstanz ab, so dass bei älteren Menschen ein Sturz auf die ausgestreckte Hand,
ein sogenanntes Minimaltrauma, für eine proximale Humerusfraktur ausreichend sein
kann. Bei jüngeren Patienten ist aufgrund der besseren Knochenqualität dagegen ein
schwerer Verletzungsmechanismus mit höherer Energie erforderlich (Habermeyer, 2002).
Therapeutisch ist insbesondere eine rasche Übungsstabilität anzustreben, um
Folgeschäden, wie z.B. Einschränkungen des Bewegungsausmaßes zu vermeiden. Der
Großteil der proximalen Humerusfrakturen wird konservativ frühfunktionell therapiert.
Operativ hat sich bei komplizierten Brüchen neben dem minimalinvasiven Verfahren mit
Kirschner-Drähten und Zuggurtungen in der Vergangenheit die konventionelle
Plattenosteosynthese häufig als nützlich erwiesen. Allerdings war ein Folgeversagen
besonders bei osteoporotischer Knochensubstanz nicht selten, weshalb die
Übungsbehandlung trotz Operation oft zurückhaltend zu erfolgen hatte.
Erste Erfolg versprechende klinische Ergebnisse mit einem winkelstabilen System am
proximalen Humerus wurden von Wurm et al. beschrieben (Wurm et al., 1999). Es zeigte
sich, dass sich winkelstabile Konstruktionen besonders auch in problematischen Fällen mit
verringerter Knochenqualität durch Inaktivitäts- oder Altersosteoporose bewährten (Wurm
et. al., 1999). In der Regel konnte die frühe postoperative Übungsstabilität erreicht werden.
Durch die kleinere Dimensionierung der winkelstabilen Platten und einen
minimalinvasiven Zugang ergab sich zusätzlich eine geringere operative
Gewebeschädigung. Weitere klinische Studien mit winkelstabilen Implantaten ergaben
ebenfalls gute klinische Resultate und kamen zu der Schussfolgerung, dass die
winkelstabile Plattenosteosynthese bei Humeruskopffrakturen eine neue Dimension der
1. Einleitung
4
Frakturstabilisierung darstellt (Lungershausen et. al., 2003, Hente et. al., 2004, Lill et. al.,
2004).
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine biomechanische In-vitro-Studie an
humanen Knochenpräparaten.
Es wird die Hypothese untersucht, dass ein winkelstabiler Plattenfixateur interne eine
höhere Stabilität gewährleistet, als eine nicht winkelstabile Plattenosteosynthese mit
gleicher Platten- und Schraubengeometrie. Die Prüfungen sollten sowohl unter statischen
als auch unter dynamischen Belastungsbedingungen erfolgen.
2. Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
5
Abb. 1: Hauptfragmente der Humeruskopffraktur nach Codman (Abbildung aus
Habermeyer, 2002)
2 Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
4-5 % aller Frakturen des Menschen sind Oberarmfrakturen. Die Inzidenz der proximalen
Oberarmfrakturen in der Gesamtbevölkerung liegt bei 70/100.000 pro Jahr und steigt bei
Frauen über 70 Jahren auf ca. 400/100.000 pro Jahr an (Ruchholtz u Nast-Kolb, 2003). Im
Durchschnitt sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer, wobei die hintere
Luxationsfraktur eine Ausnahme darstellt, da sie überwiegend bei Männern vorkommt
(Habermeyer, 1997).
Codman (1934 zitiert nach Neer,
1970) unterschied erstmalig bei der
Frakturmorphologie vier Fragmente,
diese sind die Kopfkalotte, das
Tuberculum majus und minus
(getrennt durch den Sulcus
intertubercularis) sowie der
Humerusschaft (s. Abb. 1). Die
Kopfkalotte wird vom Collum
anatomicum vom Bereich der
Tubercula getrennt und das Collum
chirurgicum markiert infratubercular
den Übergang zum proximalen
Schaftbereich. Auf diese 4-
Fragmenteinteilung nach Codman gehen alle gängigen Frakturklassifikationen des
Humerus zurück. Am häufigsten heute angewandt ist die Klassifikation von Neer (Neer,
1970). Sie basiert auf der Unterteilung in die vier Fragmente, aber berücksichtigt den
Dislokationsgrad der einzelnen Fragmente. Als Dislokation gilt eine Verschiebung von
mehr als einen Zentimeter bzw. eine Abkippung der Kopfkalotte von mehr als 45°. Die
Prognose ist umso schlechter, je größer der Dislokationsgrad und die Anzahl der
Frakturfragmente ist. Entsprechend der Fragmente spricht man von Zwei-, Drei- oder
Vierfragmentfrakturen. Nach Neer ergibt sich eine Einteilung in sechs Frakturtypen (siehe
Abb. 2).
2. Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
6
Abb. 2: Frakturklassifikation nach Neer (Abbildung aus Habermeyer, 2002)
Die Klassifikation der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen, Schweiz) teilt
die Frakturen in drei Gruppen A, B, C (extrakapsulär, teilweise intrakapsulär, komplett
intrakapsulär) ein, wobei sie das zunehmende Nekroserisiko berücksichtigt. Insgesamt
unterscheidet dieser Klassifikationstyp 27 morphologisch definierte Untergruppen
unterschiedlichster Fraktursituationen. Aufgrund dieser Vielzahl von Untergruppen gelingt
eine genaue und identische Klassifikation der Fraktur unter verschiedenen Untersuchern
häufig nicht, so dass sie in der Praxis selten verwendet wird.
Eine weitere Klassifikation stellt die Einteilung nach Habermeyer (Habermeyer, 2002) dar.
Sie berücksichtigt die Vierfragment-Klassifikation nach Neer sowie die AO-Empfehlung,
die Höhe des Frakturverlaufs (Collum chirurgicum und Collum anatomicum) für die
2. Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
7
Beurteilung der Fraktur miteinzubeziehen. Die Klassifikation nach Habermeyer erfolgt
nach der Reposition.
Trotz der Unterschiede der einzelnen Klassifikationen bewerten sie alle die dislozierten 3-
und 4- Fragmentfrakturen als die therapeutisch anspruchsvollsten und prognostisch
ungünstigsten Frakturformen (Ruchholtz, Nast-Kolb, 2003).
Die Höhe des Bruchs, die Anzahl der Fragmente sowie deren Dislokation zählen zu den
Risikofaktoren eine Humeruskopfnekrose zu entwickeln, die prognostisch ungünstig ist.
Ebenso prognostisch entscheidend sind die individuellen Aspekte des Patienten wie zum
Beispiel das Alter und der Osteoporosegrad.
Frakturen vom so genannten niedrigen Neer-Typ und mit einer geringen Dislokation der
Fragmente, sog. Einfragmentfrakturen, können in 60-80 % der Fälle konservativ behandelt
werden. Hierbei erfolgt über 7-10 Tage eine Ruhigstellung im Gilchrist-Verband und
danach eine frühfunktionelle Bewegungstherapie, um einer Schultersteife und
Bewegungseinschränkungen frühzeitig vorzubeugen. Eine operative Therapie wird
notwendig bei dislozierten Fragmenten >1 cm bzw. 45°, bei Mehrfragmentfrakturen, bei
Abrissfrakturen des Tuberculum majus sowie bei nicht mehr durch Reposition zu
behebenden Fehlstellungen.
Bei der chirurgischen Therapie ist es das Ziel, eine anatomische Reposition sowie eine
stabile Fragmentretention für eine frühfunktionelle Nachbehandlung zu erreichen. Bei der
operativen Intervention stehen verschiedene Osteosynthesen zur Verfügung. Im Folgenden
sollen exemplarisch bisherige operative Möglichkeiten bei der proximalen Humerusfraktur
Erwähnung finden.
Kirschner-Drähte perkutan oder auch offen angebracht, werden bei der Zwei-Fragment-
Fraktur eingesetzt. Eine Drahtentfernung sollte aufgrund der Weichteilirritation möglichst
früh erfolgen. Insgesamt führt die Osteosynthese mit Kirschner-Drähten nicht selten zu
unbefriedigenden Ergebnissen, da es häufig zur Lockerung und Wanderung der Drähte
kommt.
2. Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
8
Zugschrauben werden bei isolierten Frakturen des Tuberculum majus eingesetzt.
Intramedulläre Implantate, wie zum Beispiel verriegelbare Nägel oder Spiralklingen,
werden bei höhergradigen Frakturtypen (3- / 4- Fragmentfrakturen) eingesetzt. Als weitere
Osteosynthesen stehen Zerklagen aus Draht, Großfragmentplatten oder kleiner
dimensionierte Platten zur Verfügung.
Bei alten Menschen mit komplizierten 3- und 4- Fragmentfrakturen, dazu einer
osteoporotischen Knochensubstanz und einem erhöhtem Risiko für eine avaskuläre
Humeruskopfnekrose wird auch die primäre Humeruskopfprothese als Therapie der Wahl
favorisiert (Ruchholtz, Nast-Kolb, 2003).
Erste winkelstabile Systeme wurden für die Wirbelsäule seit ca. 1985 eingesetzt. Für die
Osteosynthese wurden sie Anfang der 90er Jahre erstmals beschrieben (LISS, Pc-Fix,
Druckplattenfixateur). Winkelstabilität bezeichnet eine kraftschlüssige und formschlüssige
Verbindung zwischen einem Kraftträger, wie zum Beispiel einer Osteosyntheseplatte, und
einer Knochenschraube. Die Kontaktflächen beider Teile sind fest und bewegungsfrei
miteinander verbunden.
Abb. 3: Multidirektional winkelstabiles Implantat (Abbildung aus Wenzl, 2002)
Winkelstabile Implantatsysteme sind typischerweise charakterisiert durch ein Gewinde am
Schraubenkopf, welches in ein entsprechendes Gewinde im Schraubenloch eingedreht
wird. Ist dabei ein fester Winkel, z.B. 90° fest vorgegeben, so wird dieses als
unidirektionale Winkelstabilität bezeichnet. Bei der multidirektionalen Winkelstabilität ist
die Position von Knochenschraube und Kraftträger zueinander variabel (s. Abb. 3). Auf
diese Weise besteht eine wesentlich höhere Variabilität der Schraubenpositionierung und
Verblockung im Schraubenloch.
2. Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
9
In der vorliegenden Arbeit wurde ein Tifix® - System (Fa. LITOS, GmbH, Hamburg)
verwendet, das durch ein Gewinde im Schraubenkopf und eine Lippe im Schraubenloch
gekennzeichnet ist. Es ermöglicht die Umsetzung der oben beschriebenen
multidirektionalen Winkelstabilität. Der Schraubenkopf besteht aus härterem Titanmaterial
als das Plattenloch. Beim Eindrehen der Schraube in das Plattenloch kommt es durch eine
Materialumformung im Plattenloch zur stabilen Verblockung, welche die Winkelstabilität
gewährleistet (Wolter 1999).
Vielversprechende Ergebnisse durch den operativen Einsatz von winkelstabilen
Implantaten bei Problemfrakturen und gestörter Frakturheilung wurden mittlerweile für
nahezu alle Körperregionen in klinischen Studien beschrieben (z.B. Böhmer et al. 1999,
Faschingbauer et al. 1999, Gerlach et al. 1999, Jürgens et al. 1999, Kranz et al. 1999,
Wenzel et al. 1999, Wolter et al. 1999, Wurm et al. 1999). Ein klinisches Beispiel der
Anwendung eines winkelstabilen Implantats am proximalen Humerus zeigt Abb. 4 a-d.
2. Klinik der proximalen Humerusfrakturen und Grundlagen der Winkelstabilität
10
Abb. 4a: Proximale Humerusfraktur Abb. 4b: Proximale Humerusfraktur (Neer IV), präoperatives (Neer IV), präoperatives
Röntgenbild a.p. Röntgenbild seitlich
Abb. 4c: Proximale Humerusfraktur Abb. 4d: Proximale Humerusfraktur (Neer IV) nach Versorgung (Neer IV) nach Versorgung
mit einem winkelstabilen mit einem winkelstabilen Implantat (Tifix®) a.p. Implantat (Tifix®) seitlich
3. Material und Methode
11
3 Material und Methode
3.1 Präparate
3.1.1 Probenaufbereitung
Die biomechanischen Testungen erfolgten an insgesamt 12 paarigen humanen
Humeruskopf-Präparaten. Sieben Paare wurden für die statischen Untersuchungen und fünf
Humeruspaare für die dynamischen Versuchsreihen eingesetzt (vgl. Tab. 1).
Knochendichte
(mg/ cm³)
Nummer Geschlecht Alter
(Jahren) linker OA rechter OA
1 m 71 8,9 9,0 2 w 73 5,4 7,7 3 w 63 10,9 14,5 4 w 88 22,3 13,3 5 m 81 23,2 27,8 6 m 78 23,8 22,6
7 w 89 7,0 14,7 8 m 57 8,9 8,4 9 w 74 12,7 19,7 10 w 84 4,2 16,0 11 w 89 7,1 14,6 12 m 76 16,4 16,3
Tab. 1: Daten der Präparate der statischen und dynamischen Versuchsreihen. (Nummer 1-7
für den statischen Versuch; Nummer 8-12 für dynamischen Versuch)
Die Knochenspender waren im Alter von 57-89 Jahren (Mittelwert: 76,92 Jahre)
verstorben. Fünf Präparate stammen von männlichen und sieben Präparate von weiblichen
Verstorbenen.
Von den isolierten Humeruspräparaten wurden die Weichteilstrukturen abpräpariert und
die Knochen bei -20° tiefgefroren. Die biomechanischen Eigenschaften der Präparate
3. Material und Methode
12
werden durch das Tiefgefrieren nicht verändert (Wenzl, 2002), so dass dieser Aspekt nicht
gesondert unter anderem bei der Dichtemessung berücksichtigt werden muss.
3.1.2 Knochendichtemessung
Es folgte die Messung der Knochendichte im Oberarmkopf durch quantitative
Computertomographie (Philips Tomoscan SR 7000). Als Referenzpräparat wurde ein
Messphantom der Firma Mindways (Mindways Software, Inc., Ca, USA) benutzt, das drei
Kammern mit verschiedenen Konzentrationen von Kaliumhydrogenphosphat enthielt (s.
Abb. 5).
Abb. 5: Mindways CT Phantom. Messung der Knochendichte.
Jeweils ein Humeruspaar wurde zusammen mit dem Messphantom gescannt. Als
Messregion wurde eine kreisförmige Fläche im größten Querschnitt des Humeruskopfes
ausgewählt, wobei ausschließlich im spongiösen Bereich gemessen wurde und darauf
geachtet wurde, den kortikalen Bereich auszulassen, aber dabei die Messfläche maximal
groß zu halten.
Es wurden die Hounsfieldeinheiten der Messregion im Humerus sowie der
Hydroxylapatitzylinder im Phantom bestimmt, woraus anschließend die Knochendichte der
Präparate in mg Hydoxylapatit/cm³ errechnet wurde.
3. Material und Methode
13
3.2 Implantate
3.2.1 Winkelstabile Implantate
Als winkelstabile Implantate wurden anatomisch geformte proximale
Humeruskopfsysteme (Tifix®) der Firma LITOS (Hamburg) eingesetzt. Die Tifix-Platten
sind im Bereich des Oberarmkopfes mit drei Schraubenlöchern in dreieckiger Anordnung
und im Bereich des Humerusschaftes in linearer Ausrichtung nach distal verlaufend mit
vier Löchern versehen (s. Abb. 6a + b).
Abb. 6a+b: links: Tifix-System für den Humerus mit multidirektional eingebrachten winkelstabilen Schrauben; rechts: Platten-Schrauben-Verbindung der nicht-winkelstabilen Montage.
Die Platten entsprechen den klinischen Gegebenheiten und gewährleisten eine angeformte
Fixation der Platte direkt am Oberarmknochen.
Die verwendeten 4-Loch-Tifix-Platten bestehen aus Reintitan Grad 1. Die Platten haben
eine Länge von 74 mm sowie eine Materialdicke von 3 mm. Die Montage erfolgte mit zum
System gehörenden winkelstabilen Maxi-Spongiosa-Schrauben mit einem
Außendurchmesser von 6,5 mm und einem Kerndurchmesser von 4,2 mm, welche
entsprechend den Vorschriften des Herstellers mit maximaler manueller Kraft angezogen
wurden. Der Schaft wurde mit zwei Kortikalisschrauben (5,5 mm Außendurchmesser, 4,2
mm Kerndurchmesser) befestigt.
3. Material und Methode
14
3.2.2 Nicht winkelstabile Implantate
Für die nicht-winkelstabile Montage wurden die gleichen Platten des Tifix-Systems
verwendet. Die Stabilisierung erfolgte jedoch mit speziell hergestellten Schrauben ohne
Gewinde am Kopf, die ansonsten aber mit den winkelstabilen Schrauben identisch waren.
Die Schrauben des nicht-winkelstabilen Systems wurden mittels eines
Drehmomentschraubendrehers in den Knochen eingebracht und die für eine feste
Verbindung aufgebrachten Drehmomente notiert. Es wurden Werte zwischen 20 Ncm und
120 Ncm (Median 60 Ncm) erreicht.
3.3 Versuchsaufbau
3.3.1 Implantatmontage
Sowohl die winkelstabilen als auch die nicht-winkelstabilen Platten wurden an der
lateralen Seite des proximalen Humerusknochens angebracht. Am Kopf wurden drei
Schrauben (Spongiosaschrauben, s.o.) parallel zueinander und senkrecht zur Platte
montiert. Die Länge der Schrauben wurde so gewählt, dass der Kontakt mit dem kortikalen
Knochen der gegenüberliegenden Seite gerade vermieden wurde. Ein Zurechtbiegen der
Platte war nicht erforderlich, so dass der Versuch standardisiert durchgeführt werden
konnte. Im Bereich des Humerusschaftes wurden zwei Kortikalisschrauben (s.o.) zur
Befestigung verwendet, die ebenfalls senkrecht zur Platte und parallel zueinander
ausgerichtet waren.
Nach der Montage des winkelstabilen und des nicht-winkelstabilen Platten-Schrauben-
Systems wurde mit einer Säge eine subkapitale Osteotomie durchgeführt, wobei ein
Bruchspalt von 10 mm simuliert wurde (s. Abb. 7).
3. Material und Methode
15
Abb. 7: Transversale subcapitale Osteotomie am humanen Humerusknochen.
Anschließend erfolgte die Durchtrennung des Humerus 8 cm unterhalb der unteren Kante
des Osteotomiespalts (im Bereich des mittleren Drittels des Humerusschaftes) (s. Abb. 8).
Abb. 8: Komplette winkelstabile (oben) und nicht-winkelstabile (unten) Montage für die statischen und dynamischen Versuchsreihen.
3. Material und Methode
16
Diese Versuchsvorbereitungen wurden bei den statischen und den dynamischen Testungen
in gleicher Weise getroffen. Aus hygienischen Gründen und dem längeren Zeitaufwand der
dynamischen Testungen wurden die Präparate für diese Versuche zusätzlich in
durchsichtige Folien gewickelt (s. Abb. 13).
3.3.2 Testaufbau für die statische Testung
Für die statischen Testungen stand die Zwick Materialprüfmaschine 1455 (Zwick GmbH,
Ulm) des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses in Hamburg zur Verfügung (s.
Abb. 9). Diese Maschine prüft bis zu 20 kN auf Zug und Druck bei wahlweise steigender,
ruhender oder schwellender Beanspruchung. Der Lastrahmen besteht aus drei horizontalen
Traversen und je zwei senkrechten Säulen und Kugelumlaufspindelantrieb. Die obere
Traverse ist mit den Spindeln und den Säulen fest verbunden. Die untere und die mittlere
Traverse sind in der Höhe verstellbar und können somit individuell auf die gegebenen
Versuchbedingungen eingestellt werden. Dabei läuft die mittlere Traverse auf den Säulen
durch die Spindeln.
Die Maschine stoppt aus Sicherheitsgründen beim Erreichen eines voreingestellten
Endpunktes, zum Beispiel bei einer bestimmten Einspannlänge oder einem Traversenweg,
automatisch ab. Die Traversengeschwindigkeit ist variabel von 0,2 bis 500 mm pro Minute
einstellbar. Die Aufzeichnung des gefahrenen Weges erfolgt über die zur Prüfmaschine
gehörende Software eines angeschlossenen Computers. Die Messergebnisse werden
automatisch über die Software in Form von Diagrammen dargestellt.
Zur Durchführung der Versuchsreihen wurden folgende Voreinstellungen gewählt:
• 5 N Vorkraft (Kraft, bevor die Aufzeichnung der Messdaten beginnt)
• 10 mm/min Anstell-Geschwindigkeit und
• 5 mm/min Prüfgeschwindigkeit, mit der sich die Fahrtraverse bewegt.
3. Material und Methode
17
Abb. 9: Materialprüfmaschine Zwick für die statische Versuchsreihe.
Für die Befestigung des Humerusknochens war eine spezielle Vorrichtung in der
Testmaschine nötig. Das distale Ende des Knochens wurde auf einer Kugel gelagert, der
Oberarmkopf erhielt zur Lagerung eine halbmondförmige Kappe, die dem Durchmesser
des Oberarmkopfes entsprach (s. Abb. 10).
3. Material und Methode
18
Abb. 10: Verankerung des Humerusknochens in die Zwick-Materialprüfmaschine.
Die Versuchspräparate wurden mit einem Vorschub von 5 mm/min ansteigende axiale
Belastung belastet. Die Versuche wurden gestoppt, sobald Abweichungen der Druck-Weg-
Kurven von der Linearität aufgezeichnet wurden.
3.3.3 Testaufbau für die dynamische Testung
Bei der dynamischen Testung wurde wie bei der statischen Belastung die Platten-
Schrauben-Konstruktion am distalen Ende durch eine Kugel und am proximalen Ende
durch eine halbmondförmige Kappe in der Versuchsmaschine gelagert.
Als Prüfmaschine für die dynamischen Tests wurde ein computergesteuertes
pneumatisches Belastungssystem (modifiziertes PneuSys II, Sincotec, Clausthal-Zellerfeld)
verwendet (s. Abb. 11). Der Einsatz dieses Prüfsystems ist für Kräfte bis 2500 N möglich.
Die Prüffrequenzen sind vom Versuchsaufbau und den individuellen Einstellungen
abhängig und können bis zu 100 Hz betragen. Über eine zum System dazugehörige
Software werden kontinuierlich Kraft und Deformation registriert und am Monitor
dargestellt (s. Abb. 12).
3. Material und Methode
19
Es wurden folgende Versuchsparameter eingestellt:
• 1 N Vorbelastung (zur stabilen Verankerung des Knochens in der Maschine)
• 80 N maximale Belastung
• 5 Belastungsdurchgänge pro Sekunde (Frequenz)
Nach 1 Million Durchgängen (Lastwechseln) wurde automatisch gestoppt. Bei der
schwellenden Belastung wurden kontinuierlich Druck-Weg-Kurven aufgezeichnet und alle
2000 Durchgänge gespeichert. Bei einer winkelstabilen Montage wurde über circa 72
Stunden dynamisch belastet, bei den nicht-winkelstabilen Konstruktionen aufgrund von
mechanischem Versagens individuell kürzer.
Abb. 11: Gesamtaufbau des pneumatischen Belastungssystems (modifiziertes Sincotec PneuSys II) für die dynamische Belastung.
3. Material und Methode
20
Abb. 12: Monitor des pneumatischen Belastungssystems. Aufzeichnung der Weg-Belastungs-
Kurven.
Abb. 13: Montage der Konstruktionen in der Testmaschine für die dynamischen Testungen.
3. Material und Methode
21
3.4 Versuchsprotokoll und Auswertung
3.4.1 Statische Testung
Im statischen Versuch unter axialer Belastung wurden mittels der speziellen Software
kontinuierlich Kraft-Weg-Diagramme aufgezeichnet. Auf der Abszisse (x-Achse) wurde
der Weg in mm bzw. die Deformation unter der Belastung aufgetragen, während auf der
Ordinate (y-Achse) die Kraft (Belastung) in Newton (N) aufgezeichnet wurde. Es
entstanden Belastungs-Deformationskurven (s. Abb. 14).
Ausgewertet wurden die Steifigkeit und das Versagen. Die Steifigkeit ist definiert als die
Steigung einer Kraft-Weg-Kurve im linearen Bereich unterhalb der Elastizitätsgrenze. Im
linearen Bereich der Kraft-Weg-Kurve ist die Steifigkeit konstant.
Abb. 14: Typische Belastungs-Deformationskurve bei statischer Belastung.
Bei Belastung kommt es zu einer Verformung der Platten-Schrauben-Verbindung am
Knochen. Wenn bei Wegnahme der äußeren Kraft die Platten-Schrauben-Verbindung am
Knochen wieder in ihre alte Form findet, so nennt man dies elastische Verformung.
Belastung [N]
Elastizitätsgrenze
Elastischer Bereich
Belastungsende
Maximale Belastbarkeit
delta X [mm]
Plastischer Bereich
delta F [N]
Deformation [mm]
3. Material und Methode
22
Kommt es allerdings zu einer dauerhaften Verformung, so bezeichnet man dieses
Phänomen als plastische Verformung. Hierbei wurde die Elastizitätsgrenze überschritten,
die den Übergang von elastischer zur plastischen Verformung kennzeichnet. Bei weiterer
kontinuierlicher Belastung kommt es schließlich zum Bruchpunkt, bei dem das Konstrukt
der Belastung nicht mehr standhalten kann und bricht oder ausreißt.
Entscheidend für die Auswertung der Experimente war der lineare Bereich der Kraft-Weg-
Kurve, der die Steifigkeit charakterisiert sowie die Elastizitätsgrenze (Abweichung um 0,2
mm von der linearen Kurve) als Kriterium für das Versagen.
3.4.2 Dynamische Testung
Bei der dynamischen Testung wurden mittels einer speziellen Software kontinuierlich
Datenprotokolle (s. Abb. 15) geschrieben und der zurückgelegte Weg (in mm), die auf den
Knochen einwirkende Kraft (in Newton) und der Belastungsverlauf aufgezeichnet. Bei
Lockerung oder Zusammenbruch der Konstruktionen wurden die Versuche vorzeitig
abgebrochen, ansonsten wurden 1 Million Lastwechsel gefahren. Ausgewertet wurden die
erreichte Zahl der Lastwechsel und die maximale Deformation (Weg der Testmaschine)
vor dem Ende des Versuchs. Nach Entnahme der Versuchsproben aus der Testmaschine
wurde das Ausmaß der Verformungen in den Schraubenlöchern des Knochens qualitativ
erfasst.
3. Material und Methode
23
Abb. 15: Original-Protokoll des Versuches Nr. 2 unter dynamischer Belastung.
3.4.3 Statistische Analyse
Für den Vergleich der winkelstabilen und nicht-winkelstabilen Kollektive wurde bei allen
Versuchsreihen der Wilcoxon Test für verbundene Stichproben durchgeführt.
Ebenfalls betrachtet wurde die Korrelation zwischen mechanischen Parametern und der
Knochendichte. Dafür wurde der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman
herangezogen.
Beide Tests wurden mit dem Statistik Programm SAS (SAS Institute, Carie, USA)
durchgeführt.
4. Ergebnisse
24
4 Ergebnisse
4.1 Statische Testungen
4.1.1 Steifigkeit
Die Kraft-Weg-Kurven (bzw. Belastungs-Deformationskurven) der winkelstabilen und
nicht-winkelstabilen Montagen zeigten im unteren Lastbereich unter langsam ansteigender
statischer axialer Belastung eine lineare elastische Deformation (s. Abb. 16).
Abb. 16: Versuch Nummer 2 als Beispiel für original registrierte Belastungs-Deformations-
kurven. Vergleich von winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Konstruktion unter axialer Belastung.
4. Ergebnisse
25
Winkelstabil Nicht-winkelstabil
Versuch
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Steifigkeit
(N/mm)
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Steifigkeit
(N/mm)
1 8,9 94,0 9,0 66,0
2 5,4 77,0 7,7 24,0 3 22,3 80,0 13,3 39,0 4 14,5 91,0 10,9 47,0 5 27,8 81,0 23,2 80,0 6 22,6 77,0 23,8 32,0 7 14,7 70,0 7,0 46,0 Median 14,7 80,0 10,9 46,0
Mittelwert 16,6 81,4 13,6 47,7 Maximum 27,8 94,0 23,8 80,0 Minimum 5,4 70,0 7,0 24,0 Standardabweichung 8,0 8,4 7,1 19,4 Quartil 1 11,7 77,0 8,4 35,5 Quartil 3 22,5 86,0 18,3 56,5
Tab. 2: Ergebnisse der statischen Versuchreihe unter steigender axialer Belastung. Erreichte
Steifigkeit in N/mm bei winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Montage
(Wilcoxontest p=0,009).
Die winkelstabile Platten-Schrauben-Verbindung zeigte unter axialer Belastung eine
mediane Steifigkeit von 80 N/mm. Die nicht-winkelstabile Konstruktion zeigte im
Vergleich dazu eine mediane Steifigkeit von 46 N/mm. Dies bedeutet eine 74 % höhere
Steifigkeit (s. Abb. 17) für die winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindungen gegenüber
der nicht-winkelstabilen Verbindung (p=0,009) (vgl. Tab. 2).
4. Ergebnisse
26
0
20
40
60
80
100
1 2 3 4 5 6 7
Versuch
Ste
ifig
keit
(N
/mm
)Winkelstabil Nicht-winkelstabil
Abb. 17: Steifigkeit der Versuche unter statischer axialer Belastung.
4.1.2 Versagen
Unter zunehmender Belastung zeigte sich eine Abflachung der Kurven, entsprechend einer
plastischen Verformung. Der Übergang vom elastischen zum plastischen Verhalten wurde
als Versagenskriterium gewählt (Elastizitätsgrenze). Bei der Bestimmung der
Elastizitätsgrenze ergaben sich ähnliche Unterschiede zwischen dem nichtwinkelstabilen
und dem winkelstabilen Kollektiv wie bei der Steifigkeit. Die winkelstabile
Plattenverbindung zeigte eine 64 % höhere Elastizitätsgrenze (92 N vs. 56 N) (s. Abb. 18)
gegenüber der nicht-winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindung (vgl. Tab. 3).
4. Ergebnisse
27
Winkelstabil Nicht-winkelstabil
Versuch
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Elastizitäts-
grenze
(N)
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Elastizitäts-
grenze
(N)
1 8,9 175,0 9,0 82,0 2 5,4 83,0 7,7 36,0 3 22,3 92,0 13,3 75,0 4 14,5 90,0 10,9 56,0
5 27,8 88,0 23,2 72,0 6 22,6 102,0 23,8 36,0 7 14,7 95,0 7,0 37,0 Median 14,7 92,0 10,9 56,0 Mittelwert 16,6 103,6 13,6 56,3 Maximum 27,8 175,0 23,8 82,0 Minimum 5,4 83,0 7,0 36,0
Standardabweichung 8,0 32,0 7,1 20,2 Quartil 1 11,7 77,0 8,4 36,5 Quartil 3 22,5 98,5 18,3 73,5
Tab. 3: Ergebnisse der Elastizitätsgrenze (N) bei winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Konstruktion unter statischer axialer Belastung (Wilcoxon-Test p=0,016).
0
40
80
120
160
200
1 2 3 4 5 6 7
Versuch
Ver
sage
n (N
)
Winkelstabil Nicht-winkelstabil
Abb. 18: Versagen ( Elastizitätsgrenze) der Versuche unter statischer axialer Belastung.
4. Ergebnisse
28
0
20
40
60
80
100
Nicht-winkelstabilePlatten-Schrauben-
Konstruktion
Winkelstabile Platten-Schrauben-
Konstruktion
Ver
sage
n (N
)
Abb. 19: Mediane Elastizitätsgrenze bei nicht-winkelstabiler und winkelstabiler Schraubenkonstruktion.
Es ergab sich ein Medianwert von 92 N (Minimum 83 N, Maximum 175 N) bei der
winkelstabilen Konstruktion gegenüber der nicht-winkelstabilen Konstruktion mit einem
Medianwert von 56 N (Minimum 36 N, Maximum 82N) (s. Abb. 19). Der Wilcoxontest
zeigte für die gemessenen Unterschiede eine statische Signifikanz (p=0,009) (s. Tab.3).
4.1.3 Versagensmechanismus
Nach der Entnahme der Versuchsproben aus der Testmaschine wurde ein Unterschied der
gegeneinander getesteten Konstruktionen (winkelstabil vs. nicht-winkelstabil) festgestellt.
Während die winkelstabilen Implantate stabil in den Platten-Schrauben-Verbindungen
verharrten und nur vereinzelt sich als Ganzes geringfügig in ihren Schraubenlöchern
bewegten, hatten sich die nicht-winkelstabilen Implantate zwischen Platte und Schrauben
so weit gelockert, dass sie teilweise schon bei der Entnahme aus der Versuchmaschine
auseinander fielen bzw. die Schrauben leicht aus dem Knochen und der Konstruktion
gezogen werden konnten (s. Abb. 20-21).
4. Ergebnisse
29
Abb. 20: Bei der nicht-winkelstabilen Konstruktion war eine Lockerung der Konstruktion sichtbar. Unter manueller Krafteinwirkung (Druck und Zug) zeigte sich eine
deutliche Instabilität der Konstruktion.
4. Ergebnisse
30
Abb. 21: Bei der winkelstabilen Platten-Schrauben-Konstruktion zeigte sich keine Lockerung der Schrauben. Unter maximaler manueller Krafteinwirkung (Druck und Zug)
zeigte sich keine Bewegung in der Konstruktion.
Unter axialer Belastung in der statischen Testmaschine konnte bei der nicht-winkelstabilen
Verbindung beobachtet werden, dass die Platte unter den kranialen Schrauben in den
Knochen gedrückt wurde. Der Humeruskopf kippte in einer Art klinischer
Varusdislokation ab. Bei der winkelstabilen Montage kippte die Konstruktion am
Humeruskopf unter Biegung der Platte ab und die Verbindung zwischen Implantat,
Knochen und Schrauben blieb unverändert starr (s. Abb.22-24).
4. Ergebnisse
31
Abb. 22: Statische Belastung nicht-winkelstabiler Platten-Schrauben-Konstruktion.
Abb. 23: Statische Belastung winkelstabiler Platten-Schrauben-Konstruktion.
4. Ergebnisse
32
Abb. 24: Versagen unter axialer Belastung bei einer nicht-winkelstabilen Platten-Schrauben-
Verbindung.
4.1.4 Einfluss der Knochendichte
Für die Knochenmineraldichte wurden Werte zwischen 5,4 mg/cm³ und 27,8 mg/cm³ (s.
Tab. 1) gemessen. Die Unterschiede bei der gemessenen Knochendichte haben keinen
systematischen Einfluss auf die Ergebnisse der untersuchten Proben. Dies kann zum
Beispiel durch den Vergleich der Versuche Nr. 2 und Nr. 6 gezeigt werden. Die Proben des
Versuches Nr. 6 zeigten bei hoher gemessenen Knochendichte (23,8; 22,6) eine 102 N/ 36
N= 2,8-fach höhere Stabilität verglichen mit den Proben des Versuches Nr. 2 mit geringer
Knochenmineraldichte (5,4; 7,7), die eine 83 N/ 36 N= 2,3-fach höhere Stabilität
aufwiesen.
Die gemessene Knochendichte der Präparate zeigte keinen Einfluss auf die
Versagensergebnisse bei winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Plattenkonstruktion. Der
nicht-parametrischen Spearman Korrelationskoeffizient rs zwischen Dichte und Versagen
wurde im winkelstabilen Kollektiv mit rs=0,00 (p=1,0), im nicht-winkelstabilen Kollektiv
mit rs=0,04 (p=0,94) (s. Abb. 25) sowie zwischen Knochendichte und Steifigkeit im
4. Ergebnisse
33
winkelstabilen Kollektiv mit rs=0,02 (p=0,97), im nicht-winkelstabilen Kollektiv mit
rs=0,18 (p=0,70) bestimmt (s. Abb. 26).
020406080
100120140160180200
0 5 10 15 20 25 30
Knochendichte (mg/cm³)
Ver
sage
n (N
)
nicht winkelstabil winkelstabil
Abb. 25: Relation zwischen Knochendichte und Versagen.
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
0 5 10 15 20 25 30
Knochendichte (mg/cm³)
Ste
ifig
keit
(N
/mm
)
nicht winkelstabil winkelstabil
Abb. 26: Relation zwischen Knochendichte und Steifigkeit.
4. Ergebnisse
34
4.2 Dynamische Testungen
4.2.1 Dauerfestigkeit / Lastwechsel
Bei den dynamischen Versuchen wurden deutlich höhere Werte (erreichte Lastwechsel) für
die winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindungen erreicht (s. Tab. 4).
Winkelstabil Nicht-winkelstabil
Versuch
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Erreichte
Lastwechsel
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Erreichte
Lastwechsel
1 8,4 >1000000 8,9 96501 2 19,7 >1000000 12,7 500000 3 4,2 >1000000 16,0 425002
4 14,6 >1000000 7,1 412109 5 16,4 >1000000 16,3 384504 Median 14,6 1000000 12,7 412109 Mittelwert 12,7 1000000 12,2 363623 Maximum 19,7 1000000 16,3 500000
Minimum 4,2 1000000 7,1 96501 Standardabweichung 6,3 0 4,1 155328 Quartil 1 8,4 1000000 10,9 296843 Quartil 3 16,4 1000000 13,6 434082
Tab. 4: Erreichte Lastwechsel unter dynamischer Belastung bei der winkelstabilen und nicht-
winkelstabilen Platten-Schrauben-Konstruktion.
Bei der nicht-winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindung ergab sich unter dynamischer
Belastung ein Medianwert von 412109 erreichten Lastwechseln (Minimum 96.501,
Maximum 500.000). Die winkelstabile Osteosynthese erreichte dagegen durchgängig 1
Million Lastwechsel, wobei der Versuch beim Erreichen dieses Ergebnisses abgebrochen
wurde. Bei der winkelstabilen Montage kam es zu keiner Lockerung der Konstruktionen,
während es bei der nicht-winkelstabilen Montage frühzeitig zu Lockerungen der Schrauben
kam, so dass alle diese Versuchsreihen aufgrund des mechanischen Versagens vorzeitig
abgebrochen werden mussten. Die winkelstabilen Konstruktionen wiesen eine wesentlich
höhere Dauerfestigkeit als die nicht-winkelstabilen Konstruktionen auf.
4. Ergebnisse
35
0
400000
800000
1200000
1 2 3 4 5
Versuch
Las
twec
hsel
Nicht-winkelstabil Winkelstabil
Abb. 27: Erreichte Lastwechsel der winkelstabilen gegenüber der nicht-winkelstabilen
Platten-Schrauben-Verbindung unter dynamischer Belastung.
Die Platten-Schrauben-Verbindung mit winkelstabiler Montage zeigte bei den
dynamischen Belastungsversuchen eine – mindestens – 2,4-fach höhere Stabilität, als die
nicht-winkelstabile Konstruktion. Dieses Ergebnis zeigt deutlich die wesentlich höhere
Belastbarkeit der winkelstabilen Montagen (s. Abb. 27).
Abb. 28: Verlaufskurven der nicht-winkelstabilen (links) und winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindung (rechts) unter dynamischer Belastung (Versuch Nr. 2). Bei
der nicht-winkelstabilen Konstruktion zeigte sich schon früh im Verlauf ein Absinken der Kurve bei zunehmender Lastwechselzahl. Dargestellt sind die Kurven
für die ersten 100.000 Zyklen.
4. Ergebnisse
36
4.2.2 Plastische Deformation
Die maximalen Deformationen (Weg der Testmaschine vor dem Ende des Versuchs)
wurden mit dem paarigen Wilcoxon-Test verglichen und es ergab sich eine statistische
Signifikanz (p=0,024).
Winkelstabil Nicht-winkelstabil
Versuch
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Deformation
(mm)
Knochen-
dichte
(mg/cm³)
Deformation
(mm)
1 8,9 0,3 8,4 1,0 2 12,7 0,3 19,7 1,0 3 16,0 0,1 4,2 1,2 4 7,1 0,3 14,6 1,0
5 16,3 0,2 16,4 2,0 Median 12,7 0,3 14,6 1,0 Mittelwert 12,2 0,24 12,7 1,24 Maximum 16,3 0,3 19,7 2,0 Minimum 7,1 0,1 4,2 1,0
Mittelwert 12,2 0,24 12,7 1,24 Standardabweichung 4,1 0,09 6,3 0,43 Quartil 1 10,9 0,2 8,4 1,0 Quartil 3 13,6 0,3 16,4 1,2
Tab. 5: Ergebnisse der gemessenen Deformation in mm nach dynamischer Belastung
(p=0,024).
Es zeigte sich, dass es bei der nicht-winkelstabilen Konstruktion zu wesentlich höheren
Deformationen kam (s. Abb. 28, 29), als bei der winkelstabilen Konstruktion (Median
0,3mm bei winkelstabiler Montage vs. 1,0mm bei nicht-winkelstabiler Konstruktion) (s.
Tab. 5).
4. Ergebnisse
37
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
1 2 3 4 5
Versuch
Def
orm
atio
n (m
m)
Nicht-winkelstabil Winkelstabil
Abb. 29: Maximale Deformation (Weg der Testmaschine vor dem Ende des Versuchs) bei
winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Montage unter dynamischer Belastung.
4.2.3 Versagensmechanismus
Nachdem die Knochen aus der Versuchmaschine entfernt wurden und so die Vorlast von
10 N aufgehoben wurde, fiel die Konstruktion aller nicht-winkelstabilen Implantate
auseinander. Die Platten-Schrauben-Konstruktion am Knochen zeigte keinerlei Stabilität
mehr. Es zeigte sich schon makroskopisch eine Lockerung der Schrauben. Die Schrauben
waren wie bei der statischen Belastung, nur hier in wesentlich größerer Ausprägung,
teilweise so weit gelockert, dass sie ohne Kraft aus dem Knochen herausgenommen
werden konnten. Bei den winkelstabilen Konstruktionen war die Montage nach 1 Million
Lastwechseln und nach Entnahme aus der Testmaschine stabil.
Nach dem Entfernen der Implantate zeigten die Schraubenlöcher der nicht-winkelstabilen
Platten-Schrauben-Verbindung eine ovale Deformation. Die Schrauben hatten sich durch
die Spongiosa gearbeitet und den Knochen unterhalb der Schraube zusammengedrückt (s.
Abb. 30).
4. Ergebnisse
38
Abb. 30: Darstellung der Schraubenlöcher nach dynamischer Belastung bei nicht-
winkelstabiler (links) und winkelstabiler Platten-Schrauben-Verbindung (rechts).
Bei der winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindung konnte nach Entfernen des
Osteosynthesematerials keine offensichtlichen Deformierungen im Knochen beobachtet
werden. Die Schrauben behielten auch nach dem Belastungszyklus von 1 Million
Lastwechseln ihre stabile Verankerung im Knochen bei und ließen lediglich
Minimalbewegungen zu.
Bei der seitlichen Betrachtung der Platten-Schrauben-Konstruktionen nach Belastung
konnte zwischen winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Osteosynthese ein Unterschied
festgestellt werden. Bei der winkelstabilen Montage zeigte sich nach der dynamischen
Belastung eine Verformung im Sinne einer minimalen Abflachung der Platte (s. Abb. 31a).
Die Schrauben verharrten hier fest in ihrer Position. Bei der nicht-winkelstabilen Montage
dagegen kam es nicht zu Verformungen der Osteosyntheseplatte. Allerdings waren hier,
wie schon erwähnt, die Schrauben gelockert und bewegten sich in ihren Schraubenlöchern
(s. Abb. 31b).
4. Ergebnisse
39
Abb. 31a: Winkelstabile Montage nach dynamischer Belastung.
Abb. 31b: Nicht-winkelstabile Montage nach dynamischer Belastung.
4.2.4 Einfluss der Knochendichte
Wie bei den statischen Versuchen (vgl. Kapitel 4.1.4) zeigte sich kein Zusammenhang
zwischen der Knochendichte und dem Versagen (s. Abb. 32). Der nicht-parametrische
Spearman Korrelationskoeffizient rs zwischen Dichte und Versagen wurde im nicht-
winkelstabilen Kollektiv mit rs=0,1 (p=0,87) bestimmt. Da bei dem winkelstabilen
Kollektiv in allen Fällen die Zyklen bei 1 Mio Lastwechsel abgebrochen wurden, war es
hier nicht sinnvoll, den Spearman Korrelationskoeffizient zu bestimmen. Der nicht-
parametrischen Spearman Korrelationskoeffizient rs zwischen Dichte und Deformation
wurde im nicht-winkelstabilen Kollektiv mit rs=-0,11 (p=0,86) und im winkelstabilen
Kollektiv mit rs=-0,78 (p=0,12) bestimmt (s. Abb. 33). Der Wert von -0,78 entspricht
einer Tendenz im Sinn einer geringeren Deformation bei festerem Knochen.
4. Ergebnisse
40
0
200000
400000
600000
800000
1000000
1200000
0 5 10 15 20 25
Knochendichte (mg/cm³)
Err
eich
te L
astw
echs
el
nicht winkelstabil winkelstabil
Abb. 32: Relation zwischen Knochendichte und erreichten Lastwechseln.
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
0 5 10 15 20 25
Knochendichte (mg/cm³)
Def
orm
atio
n (m
m)
nicht winkelstabil winkelstabil
Abb. 33: Relation zwischen Knochendichte und Deformation.
5. Diskussion
41
5 Diskussion
Forderungen, die an ein optimales Implantat gestellt werden, sind vor allem
die optimal mögliche anatomische Reposition und eine übungsstabile
Frakturstabilisierung.
Neben dem Risiko einer avaskulären Kopfnekrose ist das Hauptproblem bei
der Bruchstabilisierung des proximalen Humerus die Verankerung und
Stabilisierung der Schrauben in der osteoporotischen Knochensubstanz von
älteren Patienten (Lill, 2003). Die typische Komplikation ist eine sekundäre
Varus-Dislokation des Oberarmkopfes mit Implantatlockerung (Hessmann u
Rommens, 2001).
Lill et al, 2003 untersuchten in einer In-vitro-Studie verschiedene winkelstabile und nicht-
winkelstabile Implantate unter axialer und dynamischer Varus-Belastung. Verglichen
wurden die Humerus-T-Platte (HTP), die Cross-Screw-Osteosynthese (CSO), der
proximale Humerusnagel (UHN) mit Spiralklinge, der Synclaw Proximal Humerus Nail
(Synclaw PHN) und eine winkelstabile Humerusplatte (LPHP). Es stellte sich heraus, dass
sehr starre Implantate (HTP, UHN) bei statischen Tests unter axialer Belastung die
Stabilsten waren, sie jedoch unter dynamischer Belastung eine Lockerung der Schrauben
zeigten. Die relativ kleine, anatomisch geformte winkelstabile Humerusplatte (LPHP)
stellte die beste Methode für die Verankerung der Schrauben im osteoporotischen
Knochenmaterial dar. Als vielversprechend wurde auch eine Kombination einer
winkelstabilen Verriegelungsschrauben-Implantat-Verbindung mit einem antegraden
Marknagelsystem bewertet (Mathews u Lobenhoffer, 2004).
Es kann somit aus der Literatur gefolgert werden, dass winkelstabile Implantate bei
Frakturen im Bereich des Humeruskopfes biomechanisch vorteilhaft sind. Diese bisherigen
Studien vergleichen jedoch nicht, wie es in dieser Arbeit erfolgte, winkelstabile und nicht-
winkelstabile Implantate gleicher Form und Größe miteinander. Seide et al. (1999)
verglichen an Kunststoffprobekörpern mit unterschiedlichen Materialdichten winkelstabile
5. Diskussion
42
und nicht-winkelstabile Platten mit ansonsten identischen Eigenschaften. U.a. ergab sich
bei einer Simulation eines gelenknahen spongiösen Knochens durch ein
Schaumstoffpräparat (Polyurethanschaumstück) für die winkelstabile Konstruktion eine 5-
fach-höhere Festigkeit. Dabei zeigten sich prinzipiell unterschiedliche Versagensmuster.
Die winkelstabile Osteosynthese zeigte ein Versagen durch paralleles Herausbrechen der
gesamten Platten-Schrauben-Konstruktion, während die nicht winkelstabile durch ein
Herauswandern einzelner Schrauben und ein Einbrechen der Platte in den Knochen
versagte. Die vorliegende Arbeit bestätigte diese an Modellen gewonnenen Erkenntnisse
am humanen Präparat.
In der vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, dass bei allen Versuchen in der
winkelstabilen Gruppe gegenüber der nicht-winkelstabilen Gruppe eine höhere Stabilität
erreicht werden konnte. Durchgängig erzielte die favorisierte Gruppe der winkelstabilen
Implantate höhere Messergebnisse. Unter statischer Belastung ergab sich für die
winkelstabile Platten-Schrauben-Konstruktion eine 74 % erhöhte Steifigkeit und eine 64 %
erhöhte Festigkeit im Vergleich zur nicht-winkelstabilen Gruppe. Unter dynamischer
Belastung versagte die Osteosynthese der nicht-winkelstabilen Gruppe unabhängig von der
Knochenqualität, bei im Median 412.000 Lastwechseln, während die winkelstabile
Osteosynthese unabhängig von der Knochenqualität durchgängig über 1 Million
Lastwechsel standhielt. D. h. die Anwendung der winkelstabilen Osteosynthese ist nicht
nur bei osteoporotischem Knochen, sondern auch bei guter Knochenqualität zu empfehlen.
Die Studie unter dynamischer Belastung zeigte ein typisches Versagensmuster in der nicht-
winkelstabilen Gruppe, eine in Lastrichtung ausgerichtete kontinuierlich zunehmende
Längsdeformierung der Schraubenlöcher. Wiederholte axiale Belastung führte durch
sukzessive Kompression der Spongiosa unterhalb der Schrauben zu einer plastischen
Deformierung des Knochens. In der winkelstabilen Gruppe war dieser Effekt lediglich
minimal ausgeprägt und die Schrauben verblieben nach der Belastung von über 1 Million
Lastwechseln in einer festen Verbindung mit dem Knochen, d.h. die Funktion der
Schrauben-Knochen-Verbindung war unverändert gegeben.
Bei Betrachtung der statisch belasteten Konstruktionen zeigte sich als
Versagensmechanismus ein Lockern der Schrauben sowie eine Impression des Knochens
in der nicht winkelstabilen Gruppe, während sich eine (leichte) Deformierung der Platten
5. Diskussion
43
in der winkelstabilen Gruppe ergab. Diese Deformierung könnte für ein noch nicht
optimales Verhältnis zwischen der Dimensionierung der Platte und der Knochen-
Schrauben-Verankerung sprechen. Bei einer dicker ausgelegten Platte könnte der Vorteil
der Winkelstabilität somit größer als in den Versuchen bestimmt sein.
Die Ergebnisse sind mit den unterschiedlichen Funktionsprinzipien (Seide et al 1999,
Seebeck et al. 1999) winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Systeme zu erklären. Bei der
nicht-winkelstabilen Konstruktion wird die Platte durch axiale Vorspannung der Schrauben
an den Knochen gepresst. Es erfolgt hier eine auf kleine Flächen konzentrierte
Lastübertragung quer auf die Schraube und zwischen Platte und Knochen. Zusätzlich
wirken Ausziehkräfte auf die Schrauben. Entsprechend wird als Versagensmechanismus
die Impression des Knochens unter der Platte und das Herauswandern der Schrauben bei
den statischen Versuchen und die Längsausweitung des plattennahen Schraubenloches
unter dynamischer Belastung beobachtet. Bei der winkelstabilen Platten-Schrauben-
Verbindung wird dies nicht beobachtet, da es im Sinne eines einseitig eingespannten
Balkens zu einer gleichmäßigen verteilten Lastübertragung vom Knochen auf die Schraube
und über die winkelstabile Verbindung auf den Längsträger, d.h. die Platte, kommt (vgl.
Abb. 34). Ein Anpressen der Platte an den Knochen ist prinzipiell nicht erforderlich (Seide
et al. 1999), kann jedoch theoretisch die Gesamtstabilität durch die Abstützung zusätzlich
erhöhen und z.B. ggf. das beobachtete Verbiegen der Platte verhindern.
a a
Nicht-winkelstabil Winkelstabil
Fixiertes Platten- Schrauben Interface
Rotierendes Platten-Schrauben-Interface
Last Last
c
b a
a
5. Diskussion
44
Abb. 34: Prinzip winkelstabiler und nicht-winkelstabiler Lastübertragung. Die Pfeile stellen die Belastung des Knochens über die Kontaktflächen mit der Schraube (a), der
Platte (b) und in den Gewindegängen der Schrauben (c) dar.
Die höchste mineralische Knochendichte besteht im medialen und dorsalen Bereich des
Humeruskopfes, wohingegen im zentralen Bereich, im Bereich der Tubercula und Collum
chirurgicum die niedrigsten Dichtewerte gemessen wurden (Hepp et al., 2003). Implantate,
die im medialen und dorsalen Bereich des Humeruskopfes verankert werden,
gewährleisteten somit theoretisch eine optimale Fixation. Winkelstabile Implantate können
eine solche Lastübertragung im plattenfernen Knochen aufgrund ihrer festen
Rahmenstruktur gewährleisten.
Die Messergebnisse zeigten Limitierungen der Studie. Bei den untersuchten Präparaten
ergab sich bei der Verteilung der Knochendichte ein Problem. Wie erwartet, fand sich eine
interindividuelle Streuung. Es ergab sich jedoch auch eine intraindividuelle Varianz mit
Unterschieden zwischen dem rechten und linken Oberarm. Trotz durchgeführter
Randomisierung war der Mittelwert der gemessenen Knochendichten im winkelstabilen
Kollektiv relevant höher als im nichtwinkelstabilen. Das heißt, es ist trotz des
Versuchsdesigns als paarige Studie ein vorhandener systematischer Fehler in den
Vergleichen aufgrund der Streuung der Knochendichtewerte zu berücksichtigen.
In den Versuchen wurde als Frakturmodell eine Osteotomie vorgenommen, wodurch eine
komplexe Fraktur aus der Klinik auf die wesentlichen biomechanischen Gesichtspunkte
reduziert wurde. Der gewählte Frakturtyp, bei dem der Frakturspalt etwa auf Höhe des
Collum chirurgicum (annähernd Neer III) verlief, stellte sich als optimal für die
vorgenommenen Vergleiche heraus. Höher klassifizierte Neer-Frakturen mit multiplen
Fragmenten, die stabile Implantate insbesondere erfordern, wären schwierig in
standardisierter Form herzustellen gewesen, so dass das vereinfachte Modell gewählt
wurde. Allerdings kann angenommen werden, dass auch bei höhergradigen Frakturtypen
eine ähnliche Stabilisierungszunahme erreicht werden würde. Auf der anderen Seite wurde
durch das Heraussägen der Knochenscheibe von. 10 mm Dicke eine Fraktur nachgeahmt,
die bei Belastung kein Abstützen der Fragmente erlaubt und somit im Vergleich zur in der
Klinik auftretenden Belastung die Beanspruchung der Osteosynthese eher überschätzt.
5. Diskussion
45
Es wird geschlossen, dass durch die Anwendung der Winkelstabilität Steifigkeit und
Festigkeit bei Plattenosteosynthesen am proximalen Oberarm erhöht werden können. Die
Untersuchungen untermauern die klinische Erfahrung, dass hierdurch, insbesondere auch
in schwierigen Fällen, eine frühe Übungsstabilität und somit ein besseres schmerzfreies
Bewegungsausmaß und weniger bleibende Behinderung erreicht werden können. Auch ist
bekannt, dass durch eine hohe Stabilität der Osteosynthese am Humeruskopf eine
Revaskularisierung erfolgen kann (Wijgman et. Al., 2002) und so durch den Einsatz
winkelstabiler Implantate die Häufigkeit der Notwendigkeit einer Endoprothese
wahrscheinlich verringert werden kann.
6. Zusammenfassung
46
6 Zusammenfassung
Die proximale Humerusfraktur ist aus der Klinik und verschiedenen Untersuchungen als
Problemfraktur mit häufigen Komplikationen und Langzeitschädigungen bekannt.
In dieser Arbeit sollte das biomechanische Verhalten von winkelstabiler und nicht-
winkelstabiler Plattenosteosynthese am proximalen Humerus unter statischer und
dynamischer Belastung untersucht werden.
Insgesamt wurden 12 paarige Humeruspräparate verwendet, wobei nach Randomisierung
(rechts, links) sieben Paare statisch und fünf Humeruspaare dynamisch axial belastet
wurden. Aufgezeichnet und ausgewertet wurden Kraft-Weg-Diagramme sowie bei
dynamischer Belastung die maximal erreichte Lastwechselzahl.
Bei den Versuchsreihen mit statischer Belastung ergab sich eine 74 % höhere Steifigkeit
bei den winkelstabilen (Median 80 N/mm, Minimum 70 N/mm, Maximum 94 N/mm)
Platten-Schrauben-Verbindungen gegenüber der nicht-winkelstabilen Gruppe (Median: 46
N/mm, Minimum 24 N/mm, Maximum 80 N/mm). Als Versagenskriterium wurde die
Elastizitätsgrenze ausgewertet. Bei der winkelstabilen Montage (Median 92 N, Minimum
83 N, Maximum 175 N) ergab sich eine 64 % höhere Elastizitätsgrenze im Vergleich zur
nicht-winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindung (Median 56 N, Minimum 36 N,
Maximum 82 N).
Unter dynamischer axialer Belastung (80 N) erreichte die winkelstabile Osteosynthese
durchgängig 1 Million Lastwechsel (Begrenzung des Versuchs) ohne Lockerung der
Schrauben. Bei der nicht-winkelstabilen Platten-Schrauben-Verbindung ergaben sich im
Median 412.109 erreichte Lastwechsel (Minimum 96.501, Maximum 500.000) mit einer
Auslockerung der Schrauben aus dem Knochen.
Unabhängig von der Knochenqualität wurde in allen Versuchen bei der winkelstabilen
Gruppe gegenüber der nicht-winkelstabilen Konstruktion mit statistischer Signifikanz
höhere Werte für die Stabilität erzielt (Wilcoxon-Test, p
6. Zusammenfassung
47
Es wird geschlossen, dass durch die Anwendung von winkelstabilen Systemen Steifigkeit
und Festigkeit bei Plattenosteosynthesen am proximalen Oberarm wesentlich erhöht
werden können.
7. Literaturverzeichnis
48
7 Literaturverzeichnis
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8. Danksagung
53
8 Danksagung
Herrn Prof. Dr. Ch. Jürgens, Ärztlicher Direktor des Berufsgenossenschaftlichen
Unfallkrankenhauses Hamburg, danke ich für die Bereitstellung des Arbeitsplatzes und des
Themas der Arbeit.
Herrn Priv. Doz. Dr. K. Seide danke ich für die Ausformulierung und Präzisierung des
Themas sowie seine fortwährende Betreuung und Unterstützung bei der Erstellung der
Arbeit.
Die Versuche erfolgten in Kooperation mit dem Gerichtsmedizinischen Institut der
Universität Hamburg, Direktor Herr Prof. Dr. K. Püschel. Für die Unterstützung möchte
ich mich recht herzlich bedanken.
Besonderer Dank gilt Herrn Dipl. Ing. U. Schümann, Leiter des biomechanischen Labors
des BUK Hamburg, der mir mit kompetenter und freundlicher Unterstützung bei der
Planung und Durchführung der Versuche immer zur Seite stand.
Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Frau B. Kowald, die mir eine große
Unterstützung bei der Auswertung und Gestaltung der Arbeit gewesen ist.
Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei meinem Freund Philipp Heilmann, der mir
immer mit Rat und Tat zur Seite stand.
9. Lebenslauf
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9 Lebenslauf
Name, Vorname: Triebe, Julia
Geboren: am 09. April 1981 in Duderstadt,
als Tochter von Dr.med. Dr.med.dent.
Wolfgang Triebe und Eleonore Triebe,
geb. Eckermann
Familienstand: ledig
Staatsangehörigkeit: deutsch
Schulbildung
1987-1991 Grundschule Finkenburg Aurich
1999-2000 Integrierte Gesamtschule Aurich
Mai 2000 Abitur (IGS)
Dez. 2000-Apr.2001 Freiwilliges Soziales Jahr im Berufsgenossen-
schaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg (BUK)
Studium
April 2001 Immatrikulation an der Universität Hamburg,
Fachbereich Medizin
August 2003 Physikum
Oktober 2007 voraussichtliches Staatsexamen an der Universität
Hamburg
9. Lebenslauf
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