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| TREFFPUNKT FORSCHUNG Chem. Unserer Zeit, 2005, 39, 6 – 7 www.chiuz.de © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 7 Diatomeen, auch Kieselalgen genannt, sind bekannt für die erstaunlich viel- fältigen und subtilen Muster ihrer aus Silikat aufgebauten Schalen, die nach Art einer Pralinenschachtel aus einem flachen Boden und einem darüber greifenden Deckel bestehen. Beide Schalenteile der mikroskopisch klei- nen Einzeller sind mit feinsten Poren ausgestattet, deren Anordnung in Spitzen-artigen Mustern genetisch de- terminiert ist. Dieses Phänomen der Biomineralisation erweckt den Neid der Nanotechnologen, die auch gerne imstande wären, unter milden Syn- thesebedingungen ebenso subtile, programmierbare, und gleichzeitig widerstandsfähige Nanostrukturen zu erzeugen. Die Erforschung der genauen bio- chemischen Mechanismen erwies sich als außerordentlich schwierig [1], und an biomimetische Prozesse in techni- schem Maßstab ist im Moment noch nicht zu denken. Allerdings könnte man ja vielleicht von den bereits exi- stierenden, natürlichen Nano-Schach- teln ausgehen,und diese chemisch mo- difizieren. Forscher in den USA haben jetzt demonstriert, dass diese Vorge- hensweise tatsächlich gut funktioniert. Die Arbeitsgruppe von Chad Mir- kin an der Northwestern University in Evanston (US-Bundesstaat Illinois) züchteten zwei verschiedene Arten von Kieselalgen (Synedra und Navi- cula) und präparierten deren Scha- len, indem sie das gesamte organisch Material in einem starken Säurebad wegätzten. Um die verbleibenden anorganischen Skelette chemischen Modifikationen zugänglich zu ma- chen, setzten die Forscher sie mit einem üblichen Aminosilan-Reagenz um.An die nun vorliegenden freien Amin-Funktionen kuppelten sie DNA- Oligonucleotide. An diese konnten sie natürlich beliebige andere Agen- tien anhängen, vorausgesetzt sie kom- men mit dem entsprechenden, kom- plementären DNA-Strang. Um die er- folgreiche und flächendeckende Mo- ZUM SELBERBAUEN: DAS RASTERTUNNELMIKROSKOP | Auf der Seite http://sxm4.uni-muenster.de/stm-de/ finden sich Informationen über den Bau und die Funktionsweise eines Rastertunnelmikroskops. Dass sich diese Anleitung auch für den Nachbau in der Schule eignet, hat ein Praxistest an zwei Münsteraner Schulen gezeigt (http://www.quarks.de/nano/ 003.htm). Die Materialkosten dieser Schulversion liegen bei rund 500 Euro. Die in den frühen 80ern von Binnig und Rohrer entwickelte Rastertunnelmikroskopie (engl.: Scanning-Tunneling- Microscopy, STM) erlaubt die Untersuchung von molekula- ren und sogar atomaren Strukturen. Sie ist die einzige Technik mit derartig hoher Auflösung, die in Luft und so- gar unter Flüssigkeiten funktioniert. Das Tunnelmikroskop besteht im Wesentlichen aus einer feinen, elektrisch leitenden Spitze, die in extrem kleinem Abstand über die Probenoberfläche geführt wird. Durch eine angelegte Spannung fließt zwischen Probe und Spitze ein Strom, dessen Variation Informationen über die innere Struktur der Oberfläche und ihr Höhenrelief gibt. Ein Com- puter setzt die einzelnen Messpunkte der rasterförmigen Abtastung zu einer detaillierten Karte der Probenober- fläche zusammen. Die Tunnelmikroskopie ist heute eine der Standardtechniken der Nanowissenschaften, mit ihr werden nicht nur Proben auf atomarer Ebene untersucht, sondern auch Strukturen Atom für Atom konstruiert. NATURSTOFFE | Vergoldete Kieselalgen difizierung der Diatomeenschalen im Elektronenmikroskop besser sichtbar zu machen, entschieden sie sich zunächst für DNA-gekoppelte Gold- Nanoteilchen.Tatsächlich konnten sie nicht nur eine, sondern nach und nach bis zu sieben Gold-Schichten auf das anorganische Substrat auf- bringen und elektronenmikrosko- pisch nachweisen. Da das ganze Verfahren mit bei- den Arten gleichermaßen problemlos abläuft, hoffen die Forscher, dass es sich verallgemeinern lässt. Unter den Tausenden von Diatomeen-Arten der Natur gibt es eine reiche Auswahl an Nanomustern.Wenn sich an jede von ihnen über die Amino-Funktionalisie- rung viele verschiedene (bio)chemi- sche Funktionen (zum Beispiel auch Antikörper, Enzyme, molekulare Sen- soren ... ) anbinden lassen, gibt es na- hezu unendlich viele Möglichkeiten, darunter mit Sicherheit auch viele, die sich in der Nanotechnologie als nützlich erweisen werden. [1] D. Volkmer, Chem. unserer Zeit 1999, 33, 6-19 [2] N. L. Rosi et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 5500. Michael Groß

Vergoldete Kieselalgen

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Chem. Unserer Zeit, 2005, 39, 6 – 7 www.chiuz.de © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 7

Diatomeen, auch Kieselalgen genannt,sind bekannt für die erstaunlich viel-fältigen und subtilen Muster ihrer ausSilikat aufgebauten Schalen, die nachArt einer Pralinenschachtel aus einemflachen Boden und einem darübergreifenden Deckel bestehen. BeideSchalenteile der mikroskopisch klei-nen Einzeller sind mit feinsten Porenausgestattet, deren Anordnung inSpitzen-artigen Mustern genetisch de-terminiert ist. Dieses Phänomen derBiomineralisation erweckt den Neidder Nanotechnologen, die auch gerneimstande wären, unter milden Syn-thesebedingungen ebenso subtile,programmierbare, und gleichzeitigwiderstandsfähige Nanostrukturen zuerzeugen.

Die Erforschung der genauen bio-chemischen Mechanismen erwies sichals außerordentlich schwierig [1],undan biomimetische Prozesse in techni-schem Maßstab ist im Moment nochnicht zu denken. Allerdings könnteman ja vielleicht von den bereits exi-

stierenden, natürlichen Nano-Schach-teln ausgehen,und diese chemisch mo-difizieren. Forscher in den USA habenjetzt demonstriert, dass diese Vorge-hensweise tatsächlich gut funktioniert.

Die Arbeitsgruppe von Chad Mir-kin an der Northwestern Universityin Evanston (US-Bundesstaat Illinois)züchteten zwei verschiedene Artenvon Kieselalgen (Synedra und Navi-cula) und präparierten deren Scha-len, indem sie das gesamte organischMaterial in einem starken Säurebadwegätzten. Um die verbleibenden anorganischen Skelette chemischenModifikationen zugänglich zu ma-chen, setzten die Forscher sie mit einem üblichen Aminosilan-Reagenzum.An die nun vorliegenden freienAmin-Funktionen kuppelten sie DNA-Oligonucleotide.An diese konntensie natürlich beliebige andere Agen-tien anhängen, vorausgesetzt sie kom-men mit dem entsprechenden, kom-plementären DNA-Strang. Um die er-folgreiche und flächendeckende Mo-

Z U M S E L B E R BAU E N : DA S R A S T E R T U N N E L M I K ROS KO P |Auf der Seite http://sxm4.uni-muenster.de/stm-de/ finden sich Informationen über den Bau und die Funktionsweise eines Rastertunnelmikroskops. Dass sich diese Anleitung auch für den Nachbau in der Schule eignet, hat ein Praxistest an zwei Münsteraner Schulen gezeigt (http://www.quarks.de/nano/ 003.htm). Die Materialkosten dieser Schulversion liegen bei rund 500 Euro.

Die in den frühen 80ern von Binnig und Rohrer entwickelteRastertunnelmikroskopie (engl.: Scanning-Tunneling-Microscopy, STM) erlaubt die Untersuchung von molekula-ren und sogar atomaren Strukturen. Sie ist die einzigeTechnik mit derartig hoher Auflösung, die in Luft und so-gar unter Flüssigkeiten funktioniert.

Das Tunnelmikroskop besteht im Wesentlichen aus einerfeinen, elektrisch leitenden Spitze, die in extrem kleinemAbstand über die Probenoberfläche geführt wird. Durch eine angelegte Spannung fließt zwischen Probe und Spitzeein Strom, dessen Variation Informationen über die innereStruktur der Oberfläche und ihr Höhenrelief gibt. Ein Com-puter setzt die einzelnen Messpunkte der rasterförmigenAbtastung zu einer detaillierten Karte der Probenober-fläche zusammen. Die Tunnelmikroskopie ist heute eineder Standardtechniken der Nanowissenschaften, mit ihrwerden nicht nur Proben auf atomarer Ebene untersucht,sondern auch Strukturen Atom für Atom konstruiert.

N AT U R S TO F F E |Vergoldete Kieselalgen

difizierung der Diatomeenschalen imElektronenmikroskop besser sichtbarzu machen, entschieden sie sichzunächst für DNA-gekoppelte Gold-Nanoteilchen.Tatsächlich konnten sie nicht nur eine, sondern nach undnach bis zu sieben Gold-Schichtenauf das anorganische Substrat auf-bringen und elektronenmikrosko-pisch nachweisen.

Da das ganze Verfahren mit bei-den Arten gleichermaßen problemlosabläuft, hoffen die Forscher, dass essich verallgemeinern lässt. Unter denTausenden von Diatomeen-Arten derNatur gibt es eine reiche Auswahl anNanomustern.Wenn sich an jede vonihnen über die Amino-Funktionalisie-rung viele verschiedene (bio)chemi-sche Funktionen (zum Beispiel auchAntikörper, Enzyme, molekulare Sen-soren ... ) anbinden lassen, gibt es na-hezu unendlich viele Möglichkeiten,darunter mit Sicherheit auch viele,die sich in der Nanotechnologie alsnützlich erweisen werden.

[1] D. Volkmer, Chem. unserer Zeit 11999999, 33, 6-19

[2] N. L. Rosi et al., Angew. Chem. Int. Ed. 22000044,43, 5500.

Michael Groß