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VERKEHRS- Zeitschrift für RECHT www.manz.at/zvr ZVR Redaktion Karl-Heinz Danzl, Christian Huber, Georg Kathrein, Gerhard Pürstl September 2010 09 Beiträge Schmerzengeldbemessung, vermindertes Schmerzempfinden und Schmerztherapie Ernst Karner £ 280 Die Salzburger FormelAnneliese Kodek, Wolfgang Ottlyk und Wolfgang Pfeffer £ 286 Die europaweite Umsetzung der 5. Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherungs-Richtlinie Verena Pronebner £ 293 Neues aus Brüssel und Luxemburg Othmar Thann £ 297 Gesetzgebung und Verwaltung Bundesrecht Gerhard Pürstl £ 298 Rechtsprechung Reiseveranstalterhaftung für unterbliebene Hurrikanwarnung Monika Hinteregger £ 300 Tierhalterhaftung bei plötzlicher Bewusstlosigkeit eines Pferdegespannführers Peter Schwarzenegger £ 307 Judikaturübersicht Verwaltung Nichtbekanntgabe des Lenkers, kein zwingender Schluss auf Lenkereigenschaft des Zulassungsbesitzers £ 308 Rückwirkende Entziehung der Lenkberechtigung, nicht zulässig £ 311 ISSN 0044-3662 P.b.b., Verlagspostamt 1010 Wien, Erscheinungsort Wien, 02Z032554 M 277 312 16. 9. Verkehrsrechts- tag 2010

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VERKEHRS-Zeitschrift für

RECHT

www.manz.at/zvr

ZVR

Redaktion Karl-Heinz Danzl, Christian Huber,Georg Kathrein, Gerhard Pürstl September 2010 09

Beiträge

Schmerzengeldbemessung,vermindertes Schmerzempfinden undSchmerztherapie Ernst Karner £ 280

Die „Salzburger Formel“Anneliese Kodek, Wolfgang Ottlyk und Wolfgang Pfeffer £ 286

Die europaweite Umsetzung der 5. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie Verena Pronebner £ 293

Neues aus Brüssel und Luxemburg Othmar Thann £ 297

Gesetzgebung und Verwaltung

Bundesrecht Gerhard Pürstl £ 298

Rechtsprechung

Reiseveranstalterhaftung fürunterbliebene HurrikanwarnungMonika Hinteregger £ 300

Tierhalterhaftung bei plötzlicher Bewusstlosigkeit einesPferdegespannführers Peter Schwarzenegger £ 307

Judikaturübersicht Verwaltung

Nichtbekanntgabe des Lenkers, kein zwingender Schlussauf Lenkereigenschaft des Zulassungsbesitzers £ 308

Rückwirkende Entziehung der Lenkberechtigung, nicht zulässig £ 311

ISSN 0044-3662 P.b.b., Verlagspostamt 1010 Wien, Erscheinungsort Wien, 02Z032554 M

277 – 312

16. 9.Verkehrsrechts-

tag 2010

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Die „Salzburger Formel“Aufgrund der technischen Entwicklungen im Fahrzeugbau, der Änderungen imKäuferverhalten und der Tendenzen in der Rechtsprechung hat sich gezeigt, dass diebisher in Österreich verwendeten Formeln zur Berechnung der merkantilen Wert-minderung bei Kfz-Schäden in vielen Fällen keine zufriedenstellenden Ergebnissemehr liefern. Aufgrund dieser Probleme und der Tatsache, dass Verbesserungen derbestehenden Formeln ohne tiefe Eingriffe in die dahinterstehenden „Philosophien“kaum möglich sind, wurde in einer Gruppe von unabhängigen Kfz-Gerichtssach-verständigen aus ganz Österreich ein völlig neuer Ansatz zur nachvollziehbarenQuantifizierung der merkantilen Wertminderung entwickelt, der fortan als „SalzburgerFormel“ bezeichnet wird.Von Anneliese Kodek, Wolfgang Ottlyk und Wolfgang Pfeffer

Inhaltsübersicht:

A. GrundlagenB. Erfordernisse für einen neuen BerechnungswegC. Die Entstehung der „Salzburger Formel“D. Arbeitsweise der „Salzburger Formel“E. Die merkantile Wertminderung bei MotorrädernF. Zusammenfassung

A. Grundlagen

Bei Beschädigung und anschließender Reparatur einesKfz kann grundsätzlich die Gefahr niemals ausgeschlos-sen werden, dass nicht sämtliche Gebrechen entdecktworden sind und/oder dass die Reparatur nicht ord-nungsgemäß erfolgt ist. Ein über den Umstand der Re-paratur des Fahrzeugs nach dessen Beschädigung infor-

ZVR 2010/131

§§ 1323, 1332ABGB

Fahrzeug-schaden;

merkantileWertminderung;

Wieder-beschaffungs-

wert;

Marktwert

ZVR[SCHADENERSATZRECHT]

286 Ü Anneliese Kodek, Wolfgang Ottlyk und Wolfgang Pfeffer Ü Die „Salzburger Formel“ ZVR [2010] 09

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mierter Käufer wird dieses Fahrzeug deshalb nur beiGewährung eines Preisabschlags gegenüber einem un-beschädigten (und ansonsten gleichwertigen) Fahrzeugerwerben.1) Aus dieser geringeren Wertschätzung amMarkt, also aus der „gefühlsmäßigen Abneigung“ desPublikums beim Kauf beschädigter, wenngleich wiederinstandgesetzter Sachen, resultiert somit eine Wertmin-derung des Fahrzeugs, nämlich die sog merkantileWertminderung (der merkantile Minderwert).2)

Bei der merkantilen Wertminderung handelt es sichnach stRsp um einen positiven Schaden, der neben denKosten der Behebung der technischen Wertminderung,also der Reparatur des Fahrzeugs, zu ersetzen ist.3) Nachälterer Rsp sollte die (fiktive) merkantile Wertminde-rung auch dann zu ersetzen sein, wenn die beschädigteSache nicht repariert wurde.4) Durch die auf die Ent-scheidung 2 Ob 13/845) zurückgehende „Kopernika-nische Wende im Schadensrecht“,6) seit der dem Ge-schädigten nur die tatsächlichen, nicht aber höherefiktive Reparaturkosten zuzusprechen sind, ist diese Ju-dikatur allerdings überholt; mangels Reparatur des be-schädigten Fahrzeugs steht dem Eigentümer also auchkeine fiktive merkantile Wertminderung zu.7)

Der merkantile Minderwert stellt einen Vermögens-schaden dar, der schon dadurch eintritt, dass der Eigen-tümer beim Verkauf nicht jenen Preis erzielen kann,den er ohne den Unfall erreichen hätte können,8) undzwar unabhängig davon, ob er die beschädigte und an-schließend reparierte Sache tatsächlich verkauft oderaber weiterhin selbst benützt.9) Zu bemessen ist diemerkantile Wertminderung nach objektiven Gesichts-punkten;10) der Schädiger hat dem Geschädigten dieDifferenz zwischen dem Verkehrswert des Fahrzeugszum Zeitpunkt des Unfalls und dem Verkehrswert inrepariertem Zustand nach dem Unfall zu ersetzen.11)

Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwor-tet, was unter „Verkehrswert“ zu verstehen ist. Im Re-gelfall ist als Verkehrswert (Zeitwert, gemeiner Wert)der Einkaufswert, also der Wiederbeschaffungswert, zuvergüten.12) Dies wird damit begründet, dass der Ge-schädigte in die Lage versetzt werden soll, sich eine Sa-che wie die zerstörte zu beschaffen, weil dies dem Aus-gleichsgedanken entspricht.13) Liegt allerdings kein To-talschaden vor und lässt der Eigentümer die beschädigteSache reparieren, geht es gerade nicht darum, ihn in dieLage zu versetzen, sich ein gleichwertiges Fahrzeug an-zuschaffen. Vielmehr soll gewährleistet werden, dass erim Fall des Verkaufs der reparierten Sache nichtschlechter gestellt ist, also keinen geringeren Kaufpreiserzielt, als hätte er sie in unbeschädigtem Zustand ver-kauft. Für die Ermittlung der merkantilen Wertminde-rung kann deshalb grundsätzlich nicht der Wiederbe-schaffungswert maßgeblich sein, sondern nur jenerWert, den der Geschädigte bei einem Verkauf erzielt(hätte), also der – gegenüber dem Wiederbeschaffungs-wert geringere –Verkaufswert, weil der Geschädigte an-dernfalls ungerechtfertigt bereichert wäre.14)

Da es nicht darauf ankommt, ob das Fahrzeug tat-sächlich verkauft wurde und überdies ein beträchtlicherAnteil der Gebrauchtwagenverkäufe zwischen Privat-personen abgewickelt wird, wobei die bei solchen Ver-käufen erzielten Preise idR zwischen dem Händlerein-kaufs- und dem Händlerverkaufswert liegen, ist der Be-

messung der merkantilen Wertminderung auch nichtbloß der Händlereinkaufswert zugrunde zu legen; viel-mehr ist vom Marktwert, dh dem Mittelwert zwischendem Wiederbeschaffungswert (Händlerverkaufswert)und dem Händlereinkaufswert, auszugehen.15)

Eine Ausnahme vom oben Gesagten ist nur in jenen(vergleichsweise seltenen) Fällen zu machen, in denender Eigentümer eines beschädigten fabrikneuen Fahr-zeugs ein Fahrzeughändler ist, das beschädigte Fahr-zeug für ihn also eine Handelsware darstellt. Da näm-lich der Händler beim Weiterverkauf des Fahrzeugsdie merkantile Wertminderung auf dieser Basis berück-sichtigen, dh vom Kaufpreis abziehen muss und folglichin diesem Ausmaß eine Vermögenseinbuße erleidet, istes in diesem Fall ausnahmsweise geboten, die merkan-tile Wertminderung auf Basis des Wiederbeschaffungs-werts zu bemessen.

Die Quantifizierung der merkantilen Wertminde-rung obliegt ausschließlich dem Sachverständigen fürKfz-Bewertungen oder Kfz-Handel (Fachgruppen 17.11bzw 84.75). Der Sachverständige hat dem Gericht denMarktwert des betroffenen Fahrzeugs unmittelbar vordem Unfall und den Marktwert nach der erfolgten voll-ständigen Reparatur zu nennen, die Differenz zwischendiesen beiden Werten stellt die merkantile Wertminde-rung dar.

B. Erfordernisse für einen neuenBerechnungsweg

Ebenso wie in Deutschland hat sich die Judikatur zurmerkantilen Wertminderung auch in Österreich inso-fern gewandelt, als die ehemals hohen Erfordernissefür den Zuspruch sukzessive herabgesetzt werden.Wurden früher die von den beiden herkömmlichenFormeln (Versicherungsverband und Sacher-Wielke)rigide vorgegebenen Alters- und Laufleistungsgrenzensowie die Bedingungen bezüglich Vorschadenfreiheitund Besitzerzahl von der Judikatur mehr oder wenigerwiderspruchsfrei übernommen, so zeigt sich in denletzten Jahren eine deutliche Tendenz in Richtung Zu-spruch von merkantiler Wertminderung auch für älterebzw stärker gebrauchte Fahrzeuge als bisher. Immer öf-ter ist der Sachverständige in der Praxis gezwungen, dieVorschläge der Berechnungsformeln zu korrigieren, um

1) Ch. Huber, Der merkantile Minderwert – das Ausmaß des Ersatzesim österreichischen und deutschen Recht, ZVR 2006/14, 62 mwN.

2) Harrer in Schwimann, ABGB3 § 1323 Rz 21 mwN; Reischauer inRummel, ABGB3 § 1332 Rz 16 uva.

3) RIS-Justiz RS0031205.4) RIS-Justiz RS0030400.5) JBl 1985, 41 (Apathy).6) Ch. Huber, ZVR 2006/14, 62 (64).7) Ch. Huber, ZVR 2006/14, 62 (64).8) ZVR 1958/29.9) Apathy, Merkantile Wertminderung unter besonderer Berücksichti-

gung der Bagatellschäden, ZVR 1988, 289 (290) mwN aus der Rsp.10) ZVR 1960/86.11) Apathy, ZVR 1988, 289 (300 f) mwN; 2 Ob 73/89 ZVR 1990/49

mwN aus der Rsp.12) Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1332 Rz 8 mwN.13) Apathy, ZVR 1988, 289 (300) mwN.14) Apathy, ZVR 1988, 289 (300).15) Ch. Huber, Der merkantile Minderwert beim Kfz-Schaden – ein ver-

nachlässigbarer oder vernachlässigter Schadensposten? in FS Wel-ser (2004) 303 (331).

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auf marktgerechte Wertminderungsbeträge zu kom-men.

So soll nach bisher hM16) eine merkantile Wertmin-derung eines beschädigten Fahrzeugs unter anderemnur bei Erstbesitz, einer Fahrleistung von bis zu 60.000bis 70.000 km und einem Alter des Fahrzeugs von biszu viereinhalb Jahren gebühren. Demgegenüber hatim Jahr 2008 das OLG Innsbruck17) dem Eigentümer ei-nes bis zum Unfall im Wesentlichen vorschadensfreienFahrzeugs, das vor dem Unfall einen Wiederbeschaf-fungswert von E 11.090,– hatte und für dessen Repara-tur aufgrund des Unfalls Kosten von E 9.121,– aufzu-wenden waren, eine merkantile Wertminderung vonE 200,– zuerkannt, obwohl dieses Fahrzeug zum Un-fallszeitpunkt bereits rund fünfeinhalb Jahre alt warund einen Kilometerstand von 70.000 aufwies, undüberdies der Kläger nicht der Erstbesitzer war, sondernes bereits zwei Vorbesitzer gegeben hatte; das OLGInnsbruck setzte sich also über das Vorliegen von sogardrei „k.-o.“-Kriterien iS der zitierten Lehrmeinung hin-weg.18) Auch nach der Versicherungsverbandsformelwäre in diesem Fall keine merkantile Wertminderungeingetreten.

Das vom OLG Innsbruck in Abweichung davon er-zielte Ergebnis entsprach der Realität dennoch mehrals das ansonsten verwendete Computerprogramm(Sacher-Wielke-Formel), das für sich eine empirischeAbstützung beansprucht.19) Diese Entwicklung derRsp ist deshalb durchaus zu begrüßen, da sie die Reali-tät des Käuferverhaltens am Gebrauchtwagenmarktrichtig widerspiegelt. Es geht dabei nicht darum, dieWertminderungsbeträge absolut zu erhöhen, sondernim Hinblick auf das tatsächliche Käuferverhalten einebessere, marktkongruente Quantifizierung anzustreben.Es ist ein Faktum, dass der durchschnittliche Kaufinte-ressent auch bei älteren Fahrzeugen mit höheren Ta-choständen bzw mehr als einem Vorbesitzer zum unbe-schädigten Fahrzeug greifen und nur unter Gewährungeines gewissen Nachlasses das vorbeschädigte, abervollkommen instandgesetzte Fahrzeug vorziehen wird.Erst bei Erreichen eines bestimmten „Verschleißzu-stands“ tritt dieser Schatten in den Hintergrund.

Der Trend zu höheren Wertminderungsgrenzen be-stätigt sich auch in der deutschen Judikatur, wo die jah-relang gebräuchlichen Grenzwerte für den Eintritt einermerkantilen Wertminderung bei einem Alter von fünfJahren bzw einer Laufleistung von 100.000 km in zahl-reichen Urteilen schrittweise nach oben verlagert wer-den. Aktuell werden in der deutschen Rsp bereits Gren-zen von ca 150.000 km und 12 bis 15 Jahren beobach-tet.20) In einem jüngeren Urteil des Landgerichts Berlinwurde ein merkantiler Minderwert sogar bei einem un-fallbeschädigten Fahrzeug mit einer Laufleistung vonüber 183.000 km zugebilligt, das nicht nur keinen Vor-schaden aufwies, sondern auch „scheckheftgepflegt“und überdurchschnittlich gut gepflegt war und lediglicheinen Voreigentümer gehabt hatte.21)

Die Notwendigkeit einer Änderung der Wertminde-rungsgrenzen wird auch durch eine umfassende empi-rische Studie von Dipl.-Ing. (FH) Achim Ebner an derFachhochschule Deggendorf bestätigt.22) In dieser Stu-die wurden neun optimal reparierte ältere Unfallfahr-zeuge herangezogen, die Schäden wurden mittels Fotos

dokumentiert. Bei den Fahrzeugen handelte es sichdurchwegs um Fahrzeuge deutscher und japanischerMarken der Mittel- und Kompaktklasse, mit einem Al-ter von fünf bis zehn Jahren und einem Tachostand von77.000 bis 225.000 km. Alle Fahrzeuge wurden schwerbeschädigt und danach wieder fachgerecht repariert.

Im Zuge der Untersuchung wurde eine Umfrage beiHändlern, bei Sachverständigen und bei privaten Fahr-zeugkäufern durchgeführt, wobei die Fahrzeuge den je-weiligen Personengruppen samt Daten und Fotos ge-zeigt wurden. Die einzelnen Personen mussten dieHöhe des erwarteten Preisnachlasses aufgrund des re-parierten Vorschadens gegenüber einem unbeschädig-ten gleichen Fahrzeug aus ihrer Sicht angeben. Die Um-frage führte zu dem interessanten Ergebnis, dass dieFahrzeughändler und die Privaten deutlich höhereWertminderungsbeträge angaben als die Sachverstän-digen, die offenbar durch die stark einschränkendenVorgaben ihrer Berechnungsformeln die Wertminde-rung niedriger schätzten. Jedenfalls wurde von allenPersonen bei den gezeigten Fahrzeugen trotz des relativhohen Alters und der hohen Laufleistungen der Eintritteiner merkantilen Wertminderung bejaht.

Während die Rsp auch in Österreich diesen Ent-wicklungen am realen Fahrzeugmarkt zumindest an-satzweise Rechnung trägt, wurden die beiden bisherverwendeten Wertminderungsformeln in dieser Hin-sicht kaum angepasst, sie sehen nach wie vor Alters-und Kilometergrenzen vor, ab deren Überschreitungeine merkantile Wertminderung nicht mehr vorge-schlagen wird, außerdem werden in diesen Algorith-men weiterhin sehr enge Vorschadens- und Besitzer-grenzen angewendet.

Die Formel des Österreichischen Versicherungs-verbands wurde etwa im Jahr 1979 vom Sachverstän-digen Herbert Schedl in Anlehnung an die deutscheFormel nach Halbgewachs entwickelt.23) Die dieser For-mel zugrunde liegenden Marktfaktoren stammen ausden Jahren 1974 bzw 1979 und wurden bisher nichtverändert bzw nicht an die aktuellen Marktverhältnisseangepasst, weshalb die errechneten Wertminderungs-beträge aus heutiger Sicht in vielen Fällen tendenzielletwas zu nieder sind. Bei Überschreitung eines Altersvon drei Jahren sieht die Versicherungsverbandsformelkeine merkantile Wertminderung mehr vor, was so-wohl aus rechtlicher als auch aus sachverständiger Sichtnicht mehr zutreffend ist. Ein weiteres Problem dieserBerechnungsmethode ist die Anknüpfung am Händler-einkaufswert. Wie bereits ausgeführt wurde, kommt esbei der merkantilen Wertminderung zu keinem tat-sächlichen Verkauf an einen Händler, weshalb derMarktwert die zutreffende Bemessungsgrundlage dar-stellt. Ein anderer Nachteil bei der Versicherungsver-bandsformel liegt darin, dass keine Korrekturen vorge-

16) Fucik/Hartl/Schlosser/Wielke, Handbuch des Verkehrsunfallrechts II2Rz 288 ff.

17) ZVR 2008/242, 502 (Ch. Huber).18) Ch. Huber in (zust) Entscheidungsbesprechung, ZVR 2008/242,

503 (504).19) Ch. Huber, ZVR 2008/242.20) BGH, NJW 2005, 277.21) LG Berlin 25. 6. 2009, 41 S 15/09 DS 2010, 80.22) Ebner/Plöchinger, Die merkantile Wertminderung.23) Schedl, Wertminderung und deren Berechnung, ZVR 1981, 321.

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288 Ü Anneliese Kodek, Wolfgang Ottlyk und Wolfgang Pfeffer Ü Die „Salzburger Formel“ ZVR [2010] 09

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nommen werden können. Weder die Anzahl der Besit-zer bzw die Nutzungsart noch die Vorschäden gehen indie Berechnung mit ein, auch die Schadenschwere unddie Laufleistung können nicht differenziert erfasstwerden. Allfällige informative Empfehlungen des Versi-cherungsverbands zu den Korrekturen der Rechener-gebnisse werden im Regelfall nicht nachvollziehbardokumentiert und geben häufig Anlass zu Streitfällen.Immer wieder kann bei der Anwendung der Versiche-rungsverbandsformel beobachtet werden, dass bei derEingabe von den Reparaturkosten Abzüge vorgenom-men werden, was eine nicht zutreffende Absenkungder Wertminderung zur Folge haben kann. Keine kla-ren Vorgaben gibt es in dieser Formel auch hinsichtlichder Beurteilung von Taxis, Firmenfahrzeugen udgl, wo-raus starke Abweichungen bei den einzelnen Schätzun-gen resultieren können.

Die Sacher-Wielke-Formel wurde von den Sach-verständigen Ing. Fritz Sacher und Dr. Bernhard WielkeAnfang der 1980er-Jahre entwickelt. In der Praxis zeig-ten sich bereits seit Jahren deutlich zu hohe Wertmin-derungsbeträge bei Schäden an sehr jungen Fahrzeu-gen, mit hohen Lackierkosten und hohen Jahresabwer-tungen. Das Anknüpfen an der Jahresabwertung als Be-rechnungsbasis führt zu dem Paradoxon, dass dieerrechneten Wertminderungsbeträge bei wertstabilenFahrzeugen niedriger sind als bei Fahrzeugen, die ei-nem starken Wertverlust unterliegen, was allerdingsin der Verkaufspraxis gerade umgekehrt ist. Bei einemschwer vorbeschädigten, wertbeständigen Mercedes C200 CDI wird der Verkäufer im Vergleich zu einemgleich schwer vorbeschädigten Kia Opirus 3,8 V6 einendeutlich höheren Nachlass gegenüber einem unbeschä-digten Vergleichswagen gewähren müssen, um jeweilsdas vorbeschädigte Fahrzeug verkaufen zu können, ob-wohl beide Fahrzeuge den gleichen Neupreis aufweisen.Das durchschnittliche Käuferpublikum für den wertbe-ständigen Mercedes wird beim Kauf betragsmäßig ei-nen deutlich höheren Nachlass für die reparierten Be-schädigungen verlangen, als jenes für den billigen Kia.In der Praxis ist daher der Rabatt für den Mercedesmit Sicherheit größer als jener für den Kia und nichtumgekehrt. Die schlechtere Marktgängigkeit des KiaOpirus kann hier nicht als Argumentation für einen hö-heren Wertminderungsbetrag herangezogen werden,da diese ebenso wie die voraussichtliche längere Stand-zeit bereits im richtig geschätzten, deutlich niedrigerenMarktwert berücksichtigt ist. Die merkantile Wertmin-derung kann nicht zur Korrektur eines zu hoch ge-schätzten Verkehrswerts missbraucht werden. Da derMarktwert des Mercedes deutlich höher ist als der desKia, muss logischerweise auch die merkantile Wertmin-derung für den Mercedes größer sein. Hier stecktein fundamentales Problem im Berechnungsansatzder Sacher-Wielke-Formel.

Die in der Formel nach Sacher-Wielke festgelegteAltersgrenze von viereinhalb Jahren ist ebenso wie dieLaufleistungsgrenze von 60.000–70.000 km zu rigide,auch ältere, beliebte bzw gepflegte Fahrzeuge könnennatürlich eine merkantile Wertminderung über dieseGrenzen hinaus erleiden; diese Fälle können in der For-mel nicht berücksichtigt werden. Auch die Anknüpfungam Wiederbeschaffungswert erscheint problematisch,

da es eben im Regelfall zu keiner Wiederbeschaffungbei einem Händler kommt und daher der Marktwertals Bemessungsgrundlage zutreffend ist.

Eine weitere Schwäche der Sacher-Wielke-Formelbesteht aus heutiger Sicht darin, dass bei der Ermitt-lung der Wiederbeschaffungswerte entweder auf Lis-tenwerte der Fa EurotaxGlass῾s bzw auf die dahinterstehenden Abwertungskurven zurückgegriffen wird,die die Marktwerte aber in vielen Fällen zu ungenauerrechnen. Neben den viel zu kleinen Stichproben (oft-mals liegt nach Eurotax für ein Modell kein einzigerVerkaufsfall im Beobachtungszeitraum vor) liegt einwesentlicher Grund dafür in fixen Vorgaben für dieSoll-Laufleistungen, die bei den einzelnen Fahrzeugenvon der Realität sehr stark abweichen können, was sichmittels Marktanalysen statistisch gesichert zeigen lässt.Durch die mit 1. 1. 2010 erfolgte Umstellung von denHubraumklassen auf kilowatt- und segmentabhängigeEinstufungen wurde dieses Problem sogar noch ver-größert. Beispielsweise wird bei diesem neuen Systembei einem drei Jahre alten Audi A6 2,0 TDi mit103 kW die gleiche Soll-Laufleistung angenommenwie bei einem Hyundai Sonata 2,0 CRDi mit der glei-chen Motorleistung, obwohl in der Realität die durch-schnittliche Laufleistung beim Audi nach drei Jahrenca 76.400 km und beim Hyundai Sonata nur ca19.500 km beträgt, was einen Unterschied von 392%bedeutet.24) Der Audi wird nach Eurotax viel zu starkab- und der Hyundai deutlich zu stark aufgewertet.Der Anwender hat in der Sacher-Wielke-Formel keineMöglichkeit, die richtige Durchschnitts-Soll-Laufleis-tung zu erfassen.

Ein anderes Problem liegt darin, dass die Sonderaus-stattungen in die Berechnung nach den Abwertungs-kurven praktisch unreduziert mit eingehen, was dazuführt, dass die Wiederbeschaffungswerte bei sehr gutausgestatteten Fahrzeugen manchmal deutlich zu hochsind. Es wurde hier offenbar keine Rücksicht auf dieeinschlägigen Empfehlungen von Danner, als Erfinderder Abwertungskurven in den 1960er-Jahren genom-men, wonach die Sonderausstattungen im Regelfallstärker abwerten als das Grundfahrzeug.25) Vor einneues Problem wird die Sacher-Wielke-Formel durchdie zunehmende Verwendung von lackierten Anbautei-len im Automobilbau gestellt. Da der Algorithmus zueinem Zeitpunkt entwickelt wurde, als die damals ver-wendeten Kunstharzlacke zu großen Problemen führ-ten und es noch keine lackierten Stoßstangen gab, ent-stand durch die technische Weiterentwicklung die Pro-blematik, dass beim Abzug des nicht wertminderungs-relevanten Anteils der Lackierkosten bei kleinerenSchäden, bei denen beispielsweise nur die vordere Stoß-stange und ein Kotflügel betroffen sind, zu niedrigeWertminderungsbeträge resultieren können. Heute be-steht bis zu einem Drittel der Pkw-Lackfläche ausKunststoff-Anbauteilen, dieser Anteil wird aus Ge-wichtsgründen noch weiter steigen. Die Formel nachSacher-Wielke wurde von dieser Entwicklung überholt,es fehlt bislang eine quantitative Anpassung. Die Fahr-

24) Die angeführten Kilometerwerte wurden mit dem Autopreisspiegelermittelt (www.autopreisspiegel.at).

25) Grimm/Kriha ua, Bewertung7 (1999).

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zeuglackierung stellt durch die moderne Lackiertechnikdie geringsten Probleme bei einer Fahrzeugreparaturdar; insgesamt werden die Lackierkosten in Hinkunftkeinen geeigneten Parameter für die Bemessung dermerkantilen Wertminderung mehr bieten können.Schließlich sieht die Sacher-Wielke-Formel – ebensowie die Versicherungsverbandsformel – keine Möglich-keiten vor, die Nutzungsart und die Einsatzbedingun-gen zu berücksichtigen.

Bisher wurde in Österreich vorwiegend die Versiche-rungsverbandsformel verwendet, sie kam schätzungs-weise in ca 90% aller Wertminderungsfälle zum Einsatz.Die Sacher-Wielke-Formel konnte sich österreichweitnicht durchsetzen, sie wurde vorwiegend in den östlichenBundesländern in Gerichtsverfahren angewendet. In deraußergerichtlichen Schadensregulierung und in denwest-lichen Bundesländern wurde die Formel nach Sacher-Wielke kaumverwendet, ihre Einsatzhäufigkeit kannüberalle gerichtlichen und außergerichtlichen Wertminde-rungsfälle mit maximal 10% geschätzt werden.

C. Die Entstehung der „Salzburger Formel“

Ausgangspunkt der Bemühungen zur Entwicklung ei-ner neuen Berechnungsmethode waren einige Urteilezur merkantilen Wertminderung im Sprengel desOLG Innsbruck, in denen eine merkantile Wertminde-rung zugesprochen wurde, obwohl die von den ansässi-gen Sachverständigen angewandten herkömmlichenBerechnungsformeln zu keinem Wertminderungsbe-trag führten, was für die Sachverständigen dieses Spren-gels einen überaus unbefriedigenden Zustand darstellte.Ähnliche Fälle konnten auch in Salzburg und in derSteiermark beobachtet werden.

Im Zuge der Zusammenarbeit von Pfeffer undOttlykbei der Entwicklung des Computerprogramms „Kfz-Bewertung 2.1“ wurde unter Beiziehung der Sachver-ständigen Ludwig Gwercher und Hermann Knabl ausTirol, Hans Matthiß aus München, Peter Semmelrockaus Salzburg, Hans Josef Kern aus Oberösterreich,Wer-ner Tober aus Niederösterreich sowie Karl Pfeiffer undMartin Freitag aus Wien ein völlig neuer Ansatz zur Er-mittlung der merkantilen Wertminderung entwickelt.Die Zwischenergebnisse wurden bei einer Sitzung inKirchberg in Tirol am 4. 9. 2009 unter Einbindungvon Juristen und Versicherungsvertretern diskutiert.Aufgrund der Unterstützung durch die SalzburgerSV-Union und der geographischen Mitte des Entwick-lungsteams wurde der neue Ansatz „Salzburger Formel“benannt. Korrespondierend dazu wurde der Algorith-mus der Fachwelt erstmals im Zuge des Frühjahrs-seminars der Kfz-SV-Union der unabhängigen allge-mein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sach-verständigen für das Kfz-Wesen Österreichs am17. 4. 2010 in Anif bei Salzburg präsentiert. Die Berech-nungsformel ist samt den dahinterstehenden Algorith-men urheberrechtlich geschützt.

D. Arbeitsweise der „Salzburger Formel“

Oberstes Ziel bei der Entwicklung der „Salzburger For-mel“ war es, das reale Käuferverhalten von vorbeschä-digten, aber wiederinstandgesetzten Kraftfahrzeugen in

einem einfachen, nachvollziehbaren mathematischenAnsatz bestmöglich abzubilden.

In der Fahrzeugverkaufspraxis wird das Misstrauenbei Unfallschäden im Regelfall als Rabatt berücksichtigt,über Jahresabwertungen wird bei Verkäufen überhauptnicht gesprochen oder verhandelt. Beobachtet man dastatsächliche Käuferverhalten, so zeigt sich, dass einemdurchschnittlich misstrauischen Kaufinteressenten beisehr jungen Fahrzeugen in der Praxis ein maximalerNachlass vom Marktwert (gemeiner Wert) von ca 15–16% aufgrund des stärksten Vorschadens (schwere Ha-varie mit Rahmenbetroffenheit) gegenüber einem ver-gleichbaren vorschadenfreien Fahrzeug gewährt werdenmuss, um ihn zum Kauf zu bewegen. Höhere Abzügewerden, ausgehend von einem richtig bemessenenMarktwert, in der Handelspraxis kaum beobachtet,was mit der stark gestiegenen Reparatur- und Lackier-qualität (ISO-Zertifizierung) sowie mit den erfolgrei-chen Korrosionsschutztechnologien der letzten Jahrezusammenhängt. Dieser maximale Nachlass hat sichauch in zahlreichen Gesprächen mit Fahrzeugverkäu-fern empirisch bestätigt. Bei der „Salzburger Formel“wird daher praxisbezogen im schwersten, aber noch re-parierbaren Beschädigungsfall bei ganz jungen Fahrzeu-gen einmaximaler Nachlass auf denMarktwert von 16%festgesetzt, der der merkantilen Wertminderung ent-spricht. Abhängig vom Alter und von der Laufleistungwird dieser Prozentsatz über einen Alters- und einenLaufleistungsfaktor sukzessive reduziert. Der Markt-wert wird deshalb als Wertgrundlage herangezogen, daes bei der merkantilen Wertminderung zu keinem tat-sächlichen Verkauf kommt, vielmehr ist es das Ziel,den Vermögensverlust des Geschädigten durch den zu-rückbleibenden „Schatten“ abzugelten. Nur in jenen sel-tenen Fällen, in denen ein Fahrzeughändler Geschädig-ter ist und das betroffene Fahrzeug für ihn eine Handels-ware darstellt, ist zur Bemessung der Wiederbeschaf-fungswert heranzuziehen, dieser Sonderfall wurde inder „Salzburger Formel“ entsprechend berücksichtigt.

Da der Zugrundelegung des richtigen Marktwertsbei der Quantifizierung der merkantilen Wertminde-rung eine zentrale Bedeutung zukommt, wird bei seinerErmittlung die Methode der automatischen Marktana-lyse mit dem Autopreisspiegel26) empfohlen. Dabeihandelt es sich um eine Suchmaschine, die im Internetangebotene gleichartige Fahrzeuge erfasst und darausden repräsentativen Wiederbeschaffungswert bzw denMarktwert ableitet. Der Tachostand wird bei dieser Be-wertungsmethode auf die tatsächlich empirisch ermit-telte Laufleistung hin korrigiert, so dass es zu keinenFehlabweichungen durch irgendwelche angenomme-nen falschen Soll-Laufleistungen kommt. Da für dieAuswertung nur jene Fahrzeuge mit den letztnotiertenPreisen herangezogen werden, die die Internet-Börsenbereits verlassen haben, werden Wunschpreise nichtberücksichtigt. Zudem werden Ausreißer über eigeneKontrollmechanismen ausgeschieden und es wird einhandelsüblicher Endrabatt von 5% berücksichtigt. DieErgebnisse weisen gegenüber herkömmlichen Bewer-tungssystemen mit Abwertungskurven (zB Eurotax)

26) www.autopreisspiegel.at

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290 Ü Anneliese Kodek, Wolfgang Ottlyk und Wolfgang Pfeffer Ü Die „Salzburger Formel“ ZVR [2010] 09

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eine bisher unerreichte Datenqualität auf, mit dem Sys-tem können über 80% aller Gebrauchtwagenverkäufeausgewertet werden, die Ergebnisse sind extrem mark-konform, weshalb sie als Datengrundlage für die Be-messung der merkantilen Wertminderung ausgezeich-net geeignet sind. Der mit dem Autopreisspiegel ermit-telte Wiederbeschaffungswert muss eingegeben werden,davon wird der Marktwert als 90%-Anteil automatischberechnet und geht so als Bemessungsgrundlage in die„Salzburger Formel“ ein.

Weiters wird ein Schadensfaktor berücksichtigt,der – abhängig von den beschädigten wertminderungs-relevanten Baugruppen – zwischen 1 und 0 liegt. BeiSchwerstschäden beträgt dieser Faktor 1; wenn tragendeTeile mit verformt sind, wird der Schadensfaktor auf 0,8gesetzt. Sind keine tragenden Karosserieteile betroffen,beträgt der Schadensfaktor 0,6. Erfolgt nur der Ersatzvon geschraubten Karosserieteilen ohne Rückverfor-mungsarbeiten, dann beträgt der Faktor 0,4. Bei Schä-den nur an der Lackoberfläche beträgt der Schadensfak-tor 0,2. Bei Schäden an lackierten Anbauteilen (zB Stoß-stangen, Außenspiegel) entsteht keine merkantile Wert-minderung, in diesem Fall ist der Schadensfaktor 0. Alsweiterer wertminderungsrelevanter Faktor wird dieFahrzeugnutzung berücksichtigt. Es wird zwischenprivater und betrieblicher Nutzung unterschieden, da-rüber hinaus wird der Einsatz als Mietwagen, die öffent-liche Nutzung sowie die Verwendung als Taxi mit ent-sprechenden Nutzungsfaktoren zwischen 0,4 und 1 be-rücksichtigt. Bei seltenen Sammlerfahrzeugen habenKäufer hinsichtlich des Fahrzeugzustands eine beson-ders hohe Erwartungshaltung. In diesen Fällen (zB beiSportwagen der Marken Ferrari, Porsche, Lamborghinietc) kann der Anwender den Wertminderungsbetrag ineinem Bereich von 10 bis 50% erhöhen.

Da es in der Praxis innerhalb der einzelnen Nut-zungsklassen unterschiedliche Einsatzzwecke gibt, kön-nen auch die Einsatzbedingungen als zusätzlicherEinflussfaktor für die merkantile Wertminderung be-rücksichtigt werden, falls diese bekannt sind. Bei einerschonenden Verwendung wird der Einsatzfaktor auf1,1 gesetzt, bei normalem Einsatz beträgt er 1, beischlechteren Einsatzbedingungen (zB nur Kurzstrecke)erfolgt eine Reduktion dieses Faktors bis auf 0,8.

Die Schadenschwere wird durch das Verhältniszwischen gewerblichen Reparaturkosten und Wieder-beschaffungswert berücksichtigt. Abhängig von diesemVerhältnis wird ein Schadenschwerefaktor in einem Be-reich von 0,3 bis 1 definiert. Anders als bei der Bemes-sungsgrundlage ist hier die Heranziehung des Wieder-beschaffungswerts zulässig, da in diesem Fall nur eineVerhältniszahl, als Maß für die Schadensschwere, gebil-det wird. Von den Reparaturkosten dürfen bei der Ein-gabe keine Abzüge vorgenommen werden, die Proble-matik der lackierten Anbauteile wird bereits mit demSchadensfaktor und mit der Grundauslegung derFormel implizit entsprechend berücksichtigt. Wenndie Brutto-Reparaturkosten E 150,– nicht übersteigen,liegt ein Bagatellschaden vor, hier tritt keine merkantileWertminderung ein, vom Programm wird dies entspre-chend berücksichtigt. Die Reparaturkosten sind für dieBemessung der Schadensschwere ausgezeichnet geeig-net, durch die Standardisierung und Qualitätssicherung

sind die Reparaturwege bei einer fachgerechten In-standsetzung von Fahrzeugen heute klar vorgegeben.Durch neue Fügetechniken wie dem Kleben und Nietentritt das Problem auf, dass optische Reparaturspurenverbleiben können, obwohl die Reparatur fachmän-nisch und ordnungsgemäß durchgeführt wurde, da-durch kann es zu einer gewissen Erhöhung der merkan-tilen Wertminderung kommen. Diese Fälle können inder „Salzburger Formel“ durch die Berücksichtigung ei-nes eigenen Fügetechnikfaktors, der abhängig vomAusmaß und von der Lage der optischen Störung zwi-schen 1 und 1,3 variiert werden kann, berücksichtigtwerden.

Abbildung 1: Eingabemaske der „Salzburger Formel“

Voraussetzung für den Eintritt der berechneten vol-len merkantilen Wertminderung ist eine Vorschaden-freiheit und ein Erstbesitz des Kfz im Unfallzeitpunkt.Im Falle eines Zweitbesitzes wird der berechnete Wert-minderungsbetrag vom Programm halbiert. Liegenzwei Vorbesitzer vor, so wird ein Drittel des Wertmin-derungsbetrags berücksichtigt, bei mehr als zwei Vorei-gentümern (also ab dem dritten Eigentümer) wird vomAlgorithmus keine merkantile Wertminderung mehrvorgeschlagen. In der Praxis treten manchmal Fälle auf,bei denen es sich um ein Neufahrzeug ohne Besitzerhandelt, auch diese Fahrzeuge können berücksichtigtwerden, der Wertminderungsbetrag wird in diesenFällen gegenüber dem Erstbesitz um 5% geringfügigerhöht.

Wenn kein Vorschaden vorliegt, dann erfolgt keineReduktion des errechneten Wertminderungsbetrags.Wenn ein Vorschaden mit unbekanntem Ausmaß vor-liegt, wird der errechnete Wertminderungsbetrag hal-biert. Wenn der Vorschaden bekannt ist, dann kanndie darauf entfallende Wertminderung eingegeben wer-den, das Programm zieht diesen Wert ab und es resul-tiert die angemessene Wertminderungsdifferenz auf-grund des aktuellen Schadens.

Für den Eintritt einer merkantilen Wertminderungwerden im Programm keine fixen Alters- oder Laufleis-tungsgrenzen vorgegeben. Entsprechend dem realenKäuferverhalten wird lediglich eine marktgerechte Ver-schleißgrenze vorgegeben. Unterschreitet der Quo-tient zwischen Wiederbeschaffungswert und Neupreisden Faktor von 0,4, so tritt die Frage von Vorschädengegenüber anderen Kriterien im Regelfall in den Hin-

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tergrund, weshalb hier von der „Salzburger Formel“keine merkantile Wertminderung mehr vorgeschlagenwird. Durch die Berücksichtigung der Verschleißgrenzemüssen keine fixen Alters- oder Kilometergrenzen fest-gelegt werden. Die vorgegebene Verschleißgrenze von40% kann vom Anwender in einem Bereich von 35–45% variiert werden, die genaue Festlegung der Ver-schleißgrenze obliegt dem Sachverständigen.

Die merkantile Wertminderung bei PKW nach der„Salzburger Formel“ berechnet sich schließlich als Pro-dukt aus einem 16%-Anteil am Marktwert, dem Scha-densfaktor, dem Nutzungsfaktor, dem Schadenschwe-refaktor, dem Fügetechnikfaktor, dem Einsatzfaktor,dem Altersfaktor und dem Laufleistungsfaktor.

Der berechnete Wertminderungsbetrag ist lediglichals Vorschlag für den Anwender zu verstehen. Der An-wender muss diesen Wert prüfen und aufgrund seinerFachkunde gegebenenfalls verändern. Mit dem Ankli-cken der Rubrik „Korrektur des Rechenwerts“ kannder Betrag im Ergebnisfeld verändert werden. Damitdie Berechnung nachvollziehbar bleibt, muss gleichzei-tig eine Begründung für die Veränderung angegebenwerden, die im Ausdruck aufscheint.

Welche Formel zur Ermittlung der merkantilenWertminderung herangezogen wird, liegt letztlich imVerantwortungs- und Entscheidungsbereich des Sach-verständigen. Obwohl die beiden bisher in Österreichverwendeten Berechnungsmethoden in früheren Jahrensicherlich ihre Berechtigung hatten und in vielen Fällenzu angemessenen Wertminderungsbeträgen führten, istdie neue „Salzburger Formel“ aus heutiger wissen-schaftlicher Sicht sowohl der Versicherungsverbands-formel als auch der Formel nach Sacher-Wielke weitüberlegen, ihre Anwendung ist daher sowohl aus recht-lichen als auch aus kfz-technischen Überlegungen sehrzu empfehlen.

E. Die merkantile Wertminderungbei Motorrädern

Die für den Pkw-Bereich entwickelte „Salzburger For-mel“ wurde unter Mitwirkung des Motorrad-Spezialis-ten-Sachverständigen Martin Freitag auf die speziellenAnforderungen für den Motorradbereich adaptiert, siewird daher als Freitag-Pfeffer-Formel bezeichnet.Auch bei Motorrädern wird in der Verkaufspraxis dasMisstrauen bei Unfallschäden im Regelfall als Rabattberücksichtigt. In Abbildung der realen Marktverhält-nisse wird bei sehr jungen Motorrädern von einem ma-ximalen Nachlass vom Marktwert zum Unfallzeitpunktvon 10% aufgrund des stärksten Vorschadens (schwereHavarie mit Rahmenbetroffenheit) ausgegangen. Ab-hängig vom Alter und von der Laufleistung wird dieserProzentsatz über einen Alters- und einen Laufleis-tungsfaktor sukzessive reduziert.

Der Schadensfaktor liegt, abhängig von den maxi-mal beschädigten wertminderungsrelevanten Baugrup-pen, zwischen 0 und 1. Bei Schwerstschäden mit Rah-menbetroffenheit (Geometrieproblem) beträgt dieserFaktor 1. Wenn nur die Gabel bzw die Schwinge be-schädigt sind, wird der Schadensfaktor auf 0,8 gesetzt,der gleiche Faktor wird für Rahmenschäden mit opti-

scher Beeinträchtigung zugrunde gelegt. Sind nur Fel-gen, Bremsen bzw der Lenker betroffen, beträgt derSchadensfaktor 0,6. Liegen nur Schäden im Bereichdes Tanks bzw der Verkleidungen vor, dann beträgtder Schadensfaktor 0, wenn die Teile erneuert werden.Werden diese Teile repariert, dann wird der Schadens-faktor mit 0,4 festgesetzt. Bei sonstigen Schäden ent-steht aus technischer Sicht keine merkantile Wertmin-derung. Weiters kann die Reparaturart berücksichtigtwerden. Wenn die maximal betroffenen Bauteile nichterneuert, sondern instandgesetzt werden, erfolgt eineErhöhung des errechneten Wertminderungsbetragsum 20%. Im Falle eines Schwerstschadens kann daherbei einer Rahmenreparatur, falls diese technisch über-haupt möglich und zulässig ist, eine maximale Wert-minderung von 12% des Marktwerts eintreten.

Abbildung 2: Eingabemaske der Freitag-Pfeffer-Formel fürMotorräder

Die Korrekturen bzw Anpassungen bezüglich Vor-schäden, Besitzeranzahl, Nutzung, Einsatzbedingungenund Schadenschwere sind identisch mit den Algorith-men bei der „Salzburger Formel“.

Die Verschleißgrenze wird bei den Motorrädernmit 50% festgelegt, die Festsetzung von Alters- oder Ki-lometergrenzen entfällt. Wegen des üblichen Repara-turwegs durch Erneuerung mit werkslackierten Ersatz-teilen und aufgrund der kurzen Modellzyklen reagiertder Motorrad-Käufer etwas unempfindlicher als derPkw-Käufer, weshalb sowohl die Verschleißgrenze alsauch der Anteil vom Marktwert mit 10% bei den Mo-torrädern bewusst etwas restriktiver als bei den Pkw an-genommen wurde.

Die entwickelten Berechnungsalgorithmen der„Salzburger Formel“ und der Freitag-Pfeffer-Formelwurden mit Visual Basic programmiert und in die aktu-elle Software Kfz-Bewertung 2.127) integriert, Gleichesgilt für die Motorradformel nach Freitag-Pfeffer, die zu-sätzlich auch im Motorradmodul des „Autopreisspie-gels“ angewendet werden kann.

F. Zusammenfassung

Aufgrund der technischen Entwicklungen im Fahr-zeugbau, der Änderungen im Käuferverhalten und der

27) www.kfz-bewertung.at

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Tendenzen in der Rsp hat sich gezeigt, dass die bisher inÖsterreich verwendeten Formeln zur Berechnung dermerkantilen Wertminderung bei Kfz-Schäden nichtmehr zeitgemäß sind und in den letzten Jahren in vielenFällen keine zufriedenstellende Ergebnisse mehr liefer-ten. Bestätigt wird dies auch durch eine empirische Stu-die zur Höhe der merkantilen Wertminderung bei älte-ren Fahrzeugen. Aufgrund dieser Probleme und derTatsache, dass Verbesserungen der bestehenden For-

meln ohne tiefe Eingriffe in die dahinterstehenden„Philosophien“ kaum möglich sind, wurde in einerGruppe von namhaften unabhängigen Kfz-Gerichts-sachverständigen aus ganz Österreich eine völlig neueFormel zur nachvollziehbaren Quantifizierung dermerkantilen Wertminderung entwickelt, die fortan als„Salzburger Formel“ bezeichnet wird. Davon ausge-hend wurde speziell für Motorräder die neue Freitag-Pfeffer-Formel entwickelt.

Ü In KürzeDie „Salzburger Formel“ wurde von unabhängigen Ge-richtssachverständigen mit dem Ziel entwickelt, das realeKäuferverhalten von beschädigten Kraftfahrzeugen rech-nerisch bestmöglich abzubilden. Dabei wurde besondersauf die aktuellen technischen und rechtlichen Entwick-lungen der letzten Jahre Rücksicht genommen. Die einfa-che Struktur und die vielfachen Variationsparameter er-möglichen eine exakte Anpassung und eine exzellenteNachvollziehbarkeit der Schätzung auch in schwierigenFällen, wie zB bei Sportwägen oder Sammlerfahrzeugen.

Ü Zum ThemaÜber die Autoren:Dr. Anneliese Kodek ist Richterin des Landesgerichts für ZRSWien. Kontaktadresse: [email protected]

Wolfgang Ottlyk, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizier-ter Sachverständiger, 6020 Innsbruck.Kontaktadresse: E-Mail: [email protected]

Dr. Wolfgang Pfeffer, Allgemein beeideter und gerichtlichzertifizierter Sachverständiger, 1070 Wien.Kontakadresse: E-Mail: [email protected]

Von denselben Autoren erschienen:Pfeffer/Ottlyk, Die rechnergestützte Ermittlung von Kfz-Rest-werten und Ansprüchen aus Kfz-Gewährleistungen, ZVR 2008/

214; Pfeffer/Kodek, Der objektive Rest- und Minderwert vonbeschädigten Kraftfahrzeugen, RZ 2009, 254 ff.Literatur:Ch. Huber, Der merkantile Minderwert – das Ausmaß des Er-satzes im österreichischen und deutschen Recht, ZVR 2006,62; Ch. Huber, Der merkantile Minderwert beimKfz-Schaden – ein vernachlässigbarer oder vernachlässigterSchadensposten? in FS Welser (2004) 303; Apathy,MerkantileWertminderung unter besonderer Berücksichtigung derBagatellschäden, ZVR 1988, 289.Links:www.autopreisspiegel.atwww.kfz-bewertung.at

Ü Literatur-TippFucik/Hartl/Schlosser/Wielke,Handbuch des Verkehrsunfallrechts II2(2008)

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