Vermessung des modernen Individuums

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  • 8/8/2019 Vermessung des modernen Individuums

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    Vermessung des modernen Individuums

    Schon faszinierend, ber alle Medien mitzukriegen, wie die paar Gretel & Hansel, die mit demHartz-IV-Regelsatz einem bunten Untervolk von einigen Millionen die Lebensbedingungenvorschreiben, sich bei der Begrndung desselben auffhren, als wten sie ganz genau, wie

    diese aussehen bzw. auszusehen htten. Diese vom Volk wirklich befugten Typen aus denEntscheidungsrngen des Gesellschaftsensembles, vom Einkommen her in der in Fragekommenden Hinsicht also bestimmt nicht der minderbemittelten Schicht angehrig, auch sonstvon Berufs wegen von hellem Verstand, wenn's darum geht, ber Einsicht in komplizierteZusammenhnge die Trag- und Kragenweite der Nation zu eruieren, tun so, als ob sie auchExperten des dem Menschen wrdigen, natrlich in so gezhlte wie gezahlte und zahlbare wieungezahlte Wertsachen umgerechneten Bedrfnisstandards sind.

    Erhlt das menschliche Bedrfnis diese Wertschtzung beigemessen, ist das Bedrfnis keinBedrfnis mehr, vielmehr ein Bedingungsdiktat des ihm allein zugemessenen Bedarfs, damiteben als Bedrfnis aus der Welt geschafft. Denn die Verordnung eines Bedrfnisses setzt dieAufhebung des Bedrfnisses bereits voraus. Ob und wie das betroffene Subjekt diesen Schrittmit- und nachvollzieht, gar akzeptiert, tut dem nichts zur Sache. Vom Prinzip her gilt dieser

    Zusammenhang von Bedrfnis und Bedarf fr alle Geldsubjekte der Gesellschaft. Und andereSubjekte als Geldsubjekte gibt es in der brgerlichen Gesellschaft nicht. Selbst Leute, die wederGeld noch Habe haben, sind zwangslufig in diesen & diesem Zusammenhang integriert.Allerdings bringt erst die ideelle Abstraktion die im Geldwesen notwendig angelegte praktischeTransformation der Subjekte in Objekte zum Vorschein und auf den Begriff.

    Nur mehr Objekte sind die Subjekte nmlich, weil ihnen in der ber Geld vermitteltenGesellschaftlichkeit der Status von Subjekten bereits abhanden gekommen sein mu, um alsObjekte des agierenden Geldsubjekts die verkehrsgerechte Anerkennung zu erfahren. Dasagierende Geldsubjekt wiederum mu dazu immer schon versachlichte Gestalt in der Wgbar-,Me- und Zhlbar- sowie Kommunizierbarkeit aufweisen. Diese Techniken der Vermessung desIndividuums zurren das Wohl der aus- bzw. noch gar nicht einrangierten Sozialschicht fest.Wiewohl die Verantwortlichen der politischen Klasse dabei auch und im Besonderen einepolitische Prvalenzentscheidung zu treffen haben, sind sie genauer die Experten desExpertentums. Denn erst ber den Umweg der Statistik entsteht das Durchschnittsindividuum,welches so und so viel Geld & Kultur bruchte, um ein angemessenes In-der-Existenz-seinhaben zu knnen.

    Niemand fragt sich, respektive stellt auch nur ansatzweise die Frage, wo denn da das Individuumbleibe. Denn, - und das ist dann auch schon der hinreichende Grund, warum die oben skizzierteArgumentation gengt: da im Durchschnittsindividuum das Individuum qua Durchschnitt sichaufhebt, ist dem kein Problem mehr, fr den das Individuum nichts notwendiger braucht als einebis auf den Cent ausgetftelte Geldsumme, um in einer verordneten Arbeits- undKulturzuweisung das hchst mgliche Glck in einer schicksals- und naturhaften Zeitspanneseines Lebens, vielleicht auch fr immer, erfllt zu bekommen. Damit ist das Individuum zwarnichts und nicht mehr mehr als ein in einer ausgedachten Zahlengre verortetes Objekt. Da

    jedoch die Wertschtzung des Individuums/1/ als eines Subjekts/2/ prinzipiell auf seiner

    Taxierung als Objekt hybrid-fiktiverLeistungserbringung beruht, hat diese Verkehrung vonSubjekt und Objekt schon ihre Logik und demgeme Richtigkeit.

    Der Mensch in & an diesem Wert gemessen ist explizit nichts als eine quantitative Bestimmtheit,eine Nummer. Da er nichts als eine Nummer ist, ist seine Qualitt. Diese Qualitt als Wrdegehandelt macht einerseits den Hartz-IV-Menschen mit dem materiell Sorglosen gleich. Dieabstrakte formale Gleichheit ist jedoch auch prinzipielles Prinzip der menschlichen Wrde. DenSchutz dieser Gleichheit in Wrde lt sich das politische Gemeinwesen angetan sein. DieserSorgepflicht kommt das Gemeinwesen in der Ermglichung der Bedingungen der Existenz nach.

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    Nicht die vorausgesetzte Existenzselbst wird ermglicht. Ginge ja auch gar nicht, ist sie dochschlicht und ergreifend nichts als purer Ausdruck einer seienden, bis zum wie auch immereintretenden Tod uneinholbaren Tatsache. Vielmehr mssen der Existenz um der individuellenExistenz willen Bedingungen beigesellt werden, sie berhaupt erst ohne Gefahr fr Leib undLeben damit ermglichen. Dies der Kern der Existenzfrage, deren Auflsung nun je nach Stand inder Stufenleiter der sozialen Hierarchie ganz unterschiedlich ausfllt.

    Man mu sich die Hrte einer dem Verkehr der Individuen in Gegenstzen geschuldetenNotwendigkeit, so etwas wie ein Sozialindividuum durch Hoheitsakte erst zu kreieren, einmalbegrifflich vorgefhrt haben, ansonsten nie Klarheit ber Status- und Rangfragen individuellerDaseinsgestaltung gewonnen werden kann. Politik & konomie gewhren die Existenz desIndividuums in seiner Verrechnung. Absolutes Auspizium dieser Verrechnung ist das Geld. DasIndividuum wird in Geld gewogen. Diese Verrechnung handelt von der Grenze von Leben undTod des sozialen Individuums. Nicht, da es strbe, ist das Problem. Genau dieser, wrde dieExistenz nicht geldlich ermglicht, provozierte natrliche Tod des Individuums soll doch, zunchstwenigstens, verhindert, zumindest abgefedert bzw. hinausgeschoben, sprich: auf derLebenszeitleiste flexibilisiert werden. Allzu augenfllig darf die Aufhebung des Individuums nichtablaufen. Denn dessen reine Zerstrung wre augenscheinlich kontraproduktiv. Deshalb undnicht aus menschlichen Erwgungen heraus, gar einem erst einzulsenden Begriff & Wesen derMenschlichkeit, bedarf sie eines Rahmens und der Regeln./3/ Auch um, wiewohl nicht unbedingt

    angestrebt, bedingt jedoch in jedem Fall, dem volatilen Bedarf an Bevlkerungsarten von derQuelle her eine Perspektive zu verpassen. Auch in diesem der Gesamtheit/4/ der sozialen Sachedienlichen und den Individuen nur gerecht werdenden Anwendungsfalle ist die statistischeWissenschaft die rechnerische Bedingung der Mglichkeit einer Zivilisierung der Sitten. Nur einwechselseitig anerkanntes Umgangswesen ansonsten sich in ihrem brgerlichen Naturzustandenur gleichgltiger bis bekriegender Individuen gewhrleistet in Form von Recht und Ordnung dieStabilitt, die sie als Egoisten der Konkurrenz wirklich brauchen.

    Da das Individium, von dem bei Hartz gehandelt wird, als Prozentvariable eines Durchschnittsder Einkommensstatistik den mit einer Geldsumme bezifferten Prgestempel aufgedrckt erhlt,verdankt sich nicht nur dem Prinzip der Gleichheit der Individuen, eine Begrifflichkeit, die dasGesetz allerdings gar nicht kennt, sind ihm Menschen doch grundstzlich Personen, ist zudemnoch dem Prozecharakter eines dynamischen Gemeinwesens entsprechend als skularisierte

    Gnadenhandlung zu begreifen. Die Gleichheit lebtnmlich vom Widerspruch der Ungleichheit alsconditio sine qua non ihrer selbst, ansonsten gar kein Sinn, sie zu konstatieren. Gleichheitwiderspricht dem Individuum, in dem Einmaligkeit konnotiert ist. Ob die Freiheit ebenfalls,dahingestellt, nur sei angefgt: brgerliche Freiheit nicht, da Freiheit in einemBedingungsverhltnis zur Gleichheit steht, selbst nur Verhltnisweise der Bettigung derkommunikativen Kompetenz einer Person ist, die individuelle Note nur scheinbar umfat, da eoipso sie als Ausdrucksform der Persnlichkeit gewhrt wird und gefragt ist. Dies der Witz dessen,was -verkehrtermaen- als Individualitt transportiert wird./5/

    Da einem Hartz-Individuum nur als abstrakte Ausgabe seiner eigenen Persnlichkeit Gleichheitwiderfhrt, ist nicht weiter auszufhren. Denn das Individium wird auf ein Minimum seinerExistenz festgelegt. Dies gebhrt ihm aber gerade als Gleichem unter sozial verschieden bzw.gegenstzlich strukturierten Gleichen. Gleichheit ist Form-, Verhltnis- und dann Rechtsprinzip.

    Die Persontrger sind gleich. Die Sozialtrger sind verschieden. Solange sozialeAngelegenheiten die Sache von Personen sind, sind sie denn auch vereinbar, ob institutionalisiertoder nicht. Auch die soziale Verschiedenheit macht nur auf Basis der Gleichheit ihren Sinn.Selbst der sozialkonomische Antagonismus ist deshalb Gegenstand der Kampf-, Verhandlungs-,Konsens- und Kompromimasse, solange Persontrger als Gleiche unter Gleichen sich an ihmdelektieren, nicht per se also Ausgangspunkt umstrzlerischer Taten.

    Es gibt keine Tierrasse, in der solch grausamer Sozialzusammenhang in den Instinktenprogrammiert ist. Denn Leben, berleben und Tod sind dort handlungsteleologisch nichtunterschieden. Existenzermittlungen mathematisierter Natur sind ausschlielich sozialstaatlichen

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    Kriterium seiner Zulssigkeit geknpft. Auch wenn ich das Nivellierungsniveau der Alimentierungmit erweitertem Waren- und Gterkorb anhebe, bleibt die Verpreislichung Basis. Natrlich ist dieForderung nach Besserstellung der Sozialexistenzen dabei begrens- und untersttzenswert.Diese Forderung vom Ro der Einsicht in den Gang der brgerlichen Dinge, den manirgendwann einmal kippen wolle, geringzuschtzen, zeugt nur von Weltfremdheit, hnlich derIdiotie, einen Kampf um Arbeitspltze deshalb abzulehnen, weil der Arbeitsplatz einekapitalistische Einrichtung sei. Im brigen demonstriert diese Haltung von Bruchspezialisten,mehr ist sie Gott sei Dank nicht, vor allem, was fr eine Verachtung jener Leute, die fr denantikapitalistischen Zweck beworben werden, bereits der gehandelten Theorie immanent ist.

    [Die Anmerkungen spter. Weiteres ebenso.]

    Clara/Koza/Kozel

    Sommer 2010