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Handeln Informationen für Betriebsrte und Beschftigte Nr. 67 ! 19. Mai 2014 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich 12 Handel VGH-Urteil gegen Darmstadt: Verkaufsoffe- ner Palmsonntag 2013 war rechtswidrig Falsches Alibi Der Gesetzgeber muss das Anlassprinzip aufheben, so erklrte der sichtlich wütende Vertreter des Vereins Darmstadt Citymar- keting beim Hessi- schen Verwaltungsge- richtshof (VGH) am 15. Mai 2014 in Kassel, als sowohl er als auch der die Stadtverwaltung Darmstadt reprsentie- rende Leiter des Ord- nungsamtes merkten, dass ihre Erfolgschan- cen schwanden. Offenbar gehen die im Citymarketing e.V. zusammengeschlos- senen Darmstdter Einzelhndler davon aus, Recht müsse immer und ewig in ih- rem Sinne gelten und gesprochen wer- den. Diesen Wunsch erfüllten weder der Verlauf noch das Ergebnis des Beru- fungsverfahrens der Stadt Darmstadt ge- gen die Entscheidung des Verwaltungs- gerichts Darmstadt im letzten Jahr, das den aus Anlass des Ostermarktes am Palmsonntag, dem 24. Mrz 2013, ver- anstalteten verkaufsoffenen Sonntag für rechtswidrig eingestuft hatte. Bereits ein- gangs wies der Vorsitzende Richter des 8. VGH-Senats darauf hin, dass nicht ir- gendwelche Events, sondern nur ge- wichtige Veranstaltungen zum Anlass für das Erteilen einer Ausnahmegenehmi- gung einer sonntglichen Ladenffnung herangezogen werden dürften. Dabei spiele das Drumherum wie beispielsweise das Auftreten von Musik- bands oder eine Spielecke für Kinder keine besondere Rolle. Vielmehr müsse die Messe oder der Markt für sich, also eigenstndig, in der Lage sein, eine be- trchtliche Anzahl von Besuchern anzulo- cken. Nur dann knne von einem nach dem Hessischen Ladenff- nungsgesetz geforder- ten rechtmigen An- lass für einen verkaufs- offenen Sonntag die Rede sein. Etwas überrascht zeigten sich die Rich- ter, als sie erfuhren, dass der seit 2005 tra- ditionsreiche, für Darmstadt angeblich so enorm wichtige und im stdtischen Kulturprogramm einen festen Platz ein- nehmende Ostermarkt in diesem Jahr überhaupt nicht (mehr) stattfand. Die Ver- treter der Stadtverwaltung und des City- marketing e.V. gaben als Grund für die- se einzigartige kulturelle Lücke in Darmstadt an, das Veranstalten von Mo- bilittsausstellung und Ostermarkt in diesem Jahr htte sie überfordert, so dass sie sich fürs erste Event entschie- den htten. Jedoch wollte ausdrücklich keiner von beiden die Frage des Gerichts beantworten, ob der Ostermarkt denn in den nchsten Jahren überhaupt noch einmal stattfinde. Was dem im Auftrag der Allianz für den freien Sonntag für das Evangelische Dekanat Darmstadt-Stadt und ver.di kla- genden Leipziger Rechtsanwalt Dr. Fried- rich Kühn schon auffiel, entdeckten auch die VGH-Richter: Im Internet warb der Citymarketing e.V. fast gar nicht für den Ostermarkt, dafür aber um so über- schwnglicher für den verkaufsoffenen Sonntag. Der Vorsitzende Richter konn- te wohl deshalb nur feststellen: Das klingt nach Marketing und weniger nach Volksfest oder Jahrmarkt. Das Ein- kaufserlebnis stehe klar im Vordergrund, whrend der Ostermarkt nur Beiwerk darstelle. Offenbar htten selbst die Ver- anstalter gezweifelt, dass dieser für sich allein zugkrftig genug gewesen sei, um den Anforderungen des Hessischen Ladenffnungsgesetzes zu genügen. Sptestens an dieser Stelle kackte der Vertreter des Citymarketing e.V. ge- waltig ab: Der Internet-Auftritt gehre nicht ins Verfahren. Die Unterscheidung zwischen Haupt- und Beiwerk bei der Be- urteilung des Ostermarktes sei lebens- fremd. Das Grundrecht der Einzelhnd- ler auf Berufsfreiheit müsse gewahrt blei- ben. In anderen Bundeslndern wie Rheinland-Pfalz gbe es überhaupt kein Anlassprinzip für das Erteilen von Aus- nahmegenehmigungen für verkaufsoffe- ne Sonntage. Die Einzelhndler wüss- Vielleicht bald ein hessisches Zukunfts- modell: Absage des verkaufsoffenen Sonn- tags bei IKEA in Frankfurt am 11. April 2013

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HandelnInformationen

für Betriebsräte und BeschäftigteNr. 67 ! 19. Mai 2014

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaftver.di Bezirk Südhessen

Fachbereich 12 Handel

VGH-Urteil gegen Darmstadt: Verkaufsoffe-ner Palmsonntag 2013 war rechtswidrig

FalschesAlibi

�Der Gesetzgebermuss das Anlassprinzipaufheben�, so erklärteder sichtlich wütendeVertreter des Vereins�Darmstadt Citymar-keting� beim Hessi-schen Verwaltungsge-richtshof (VGH) am 15.Mai 2014 in Kassel, alssowohl er als auch derdie StadtverwaltungDarmstadt repräsentie-rende Leiter des Ord-nungsamtes merkten,dass ihre Erfolgschan-cen schwanden. Offenbar gehen die imCitymarketing e.V. zusammengeschlos-senen Darmstädter Einzelhändler davonaus, Recht müsse immer und ewig in ih-rem Sinne gelten und gesprochen wer-den.

Diesen Wunsch erfüllten weder derVerlauf noch das Ergebnis des Beru-fungsverfahrens der Stadt Darmstadt ge-gen die Entscheidung des Verwaltungs-gerichts Darmstadt im letzten Jahr, dasden aus Anlass des �Ostermarktes� amPalmsonntag, dem 24. März 2013, ver-anstalteten verkaufsoffenen Sonntag fürrechtswidrig eingestuft hatte. Bereits ein-gangs wies der Vorsitzende Richter des8. VGH-Senats darauf hin, dass nicht ir-gendwelche �Events�, sondern nur �ge-wichtige� Veranstaltungen zum Anlass fürdas Erteilen einer Ausnahmegenehmi-gung einer sonntäglichen Ladenöffnungherangezogen werden dürften.

Dabei spiele das Drumherum � wiebeispielsweise das Auftreten von Musik-bands oder eine Spielecke für Kinder �keine besondere Rolle. Vielmehr müssedie Messe oder der Markt für sich, also

eigenständig, in derLage sein, eine be-trächtliche Anzahl vonBesuchern anzulo-cken. Nur dann könnevon einem nach demHessischen Ladenöff-nungsgesetz geforder-ten rechtmäßigen An-lass für einen verkaufs-offenen Sonntag dieRede sein.

Etwas überraschtzeigten sich die Rich-ter, als sie erfuhren,dass der seit 2005 �tra-

ditionsreiche�, für Darmstadt angeblichso enorm wichtige und im städtischenKulturprogramm einen festen Platz ein-nehmende �Ostermarkt� in diesem Jahrüberhaupt nicht (mehr) stattfand. Die Ver-treter der Stadtverwaltung und des City-marketing e.V. gaben als Grund für die-se einzigartige kulturelle �Lücke� in

Darmstadt an, das Veranstalten von �Mo-bilitätsausstellung� und �Ostermarkt� indiesem Jahr hätte sie überfordert, sodass sie sich fürs erste �Event� entschie-den hätten. Jedoch wollte ausdrücklichkeiner von beiden die Frage des Gerichtsbeantworten, ob der �Ostermarkt� dennin den nächsten Jahren überhaupt nocheinmal stattfinde.

Was dem im Auftrag der �Allianz fürden freien Sonntag� für das EvangelischeDekanat Darmstadt-Stadt und ver.di kla-genden Leipziger Rechtsanwalt Dr. Fried-rich Kühn schon auffiel, entdeckten auchdie VGH-Richter: Im Internet warb derCitymarketing e.V. fast gar nicht für den�Ostermarkt�, dafür aber um so über-schwänglicher für den verkaufsoffenenSonntag. Der Vorsitzende Richter konn-te wohl deshalb nur feststellen: �Dasklingt nach Marketing und weniger nachVolksfest oder Jahrmarkt.� Das �Ein-kaufserlebnis� stehe klar im Vordergrund,während der �Ostermarkt� nur �Beiwerk�darstelle. Offenbar hätten selbst die Ver-anstalter gezweifelt, dass dieser �für sichallein zugkräftig� genug gewesen sei, umden Anforderungen des HessischenLadenöffnungsgesetzes zu genügen.

Spätestens an dieser Stelle �kackte�der Vertreter des Citymarketing e.V. ge-waltig ab: Der Internet-Auftritt gehörenicht ins Verfahren. Die Unterscheidung

zwischen Haupt- und Beiwerk bei der Be-urteilung des �Ostermarktes� sei �lebens-fremd�. Das Grundrecht der Einzelhänd-ler auf Berufsfreiheit müsse gewahrt blei-ben. In anderen Bundesländern wieRheinland-Pfalz gäbe es überhaupt kein�Anlassprinzip� für das Erteilen von Aus-nahmegenehmigungen für verkaufsoffe-ne Sonntage. Die Einzelhändler wüss-

Vielleicht bald ein hessisches �Zukunfts-modell�: Absage des verkaufsoffenen Sonn-tags bei IKEA in Frankfurt am 11. April 2013

Handeln - Informationen von ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte ! Nr. 67 ! 19. Mai 2014 Seite 2

ten durch die kurzfristigen Urteile in Eil-verfahren der Gegner einer sonntäglichenLadenöffnung erst 48 Stunden vor demverkaufsoffenen Sonntag, ob er stattfin-den könne.

Der aufgebrachte Befürworter desSonntagsshoppings musste sich vomVGH-Richter anhören, die Gerichte könn-ten vor allem deshalb nur so kurz vor derVeranstaltung entscheiden, weil bei-spielsweise der Genehmigungsantragdes Citymarketing e.V. für den verkaufs-offenen Sonntag am 24. März 2013 erstzwölf Tage vorher gestellt und die Stadt-verwaltung die so genannte �Allgemein-verfügung� für diese Veranstaltung erstam 16. März veröffentlicht habe. Dadurchseien den Kritikern nur eine sehr kurzeWiderspruchsfrist und den Gerichten le-diglich wenige Tage für ihre Urteile in denEilverfahren verblieben. Niemand hinde-re die Veranstalter daran, die geplantenverkaufsoffenen Sonntage schon viel frü-her zu beantragen, damit ausreichendZeit für eine gerichtliche Auseinanderset-zung bestehe.

Darüber hinaus wies RechtsanwaltDr. Friedrich Kühn darauf hin, die obers-ten Verwaltungsgerichte in Bayern undSachsen hätten die dortigen Regelungenfür verkaufsoffene Sonntage ohne �An-lassprinzip� als verfassungswidrig ange-sehen, so dass in einem aktuell laufen-den Verfahren vor dem Oberverwaltungs-gericht Rheinland-Pfalz dies ebenfalls sogesehen werden könne. Außerdemmachte er auf das Urteil des Bundesver-fassungsgerichts von 2009 aufmerksam.Dieses habe ausdrücklich dargelegt, derSonntagsschutz werde um so wichtiger,je länger die Läden an Werktagen offen-gehalten werden dürften. Gerade in Hes-sen könnten sich die Einzelhändler nichtbeklagen, bestehe hier doch von Mon-tag 0 Uhr bis Samstag 24 Uhr die Er-laubnis zur Öffnung der Geschäfte. Dochgehe es um etwas anderes: Der �Oster-markt� habe seit seinem Bestehen nie-mals ohne verkaufsoffenen Sonntag statt-gefunden, so dass von dessen �eigen-ständiger� Bedeutung nicht ausgegangenwerden könne. Auch am 24. März 2013seien die Besucher vorrangig nicht für den�Ostermarkt� in die Darmstädter Innen-stadt gekommen, sondern fürs angebo-tene Shopping.

Hierzu stellte der Vertreter des City-marketing e.V. den Beweisantrag, derVGH möge die Standbetreiber des letzt-jährigen �Ostermarktes� befragen, dass�zahllose�, später konkretisierte er es auf�Hunderte� Besucher sich ihnen gegen-über geäußert hätten, sie seien nur we-gen des �Ostermarktes� nach Darmstadt

gekommen. Diesen wie weitere hilfloseAnträge lehnte das Gericht ab, weil siezur Entscheidungsfindung nichts Neuesoder Wesentliches beitrügen. Zudemsage die Meinungsäußerung Einzelnernichts über die Motivation der Gesamt-zahl der Besucher aus.

Der 8. Senat des VGH erklärte diesonntägliche Ladenöffnung am 24. März2013 für rechtswidrig, da der angebliche�Ostermarkt� dafür �kein hinreichenderAnlass, sondern eine Alibiveranstaltung�

Was hält der Einzelhandel vom VGH-Urteil?

Rechtssicherheit und DemokratieDie Meinungsäußerung des Vertreters desCitymarketing e.V. in der Verhandlung desHessischen Verwaltungsgerichtshofs zumverkaufsoffenen Sonntag: �Der Gesetzge-ber muss das Anlassprinzip aufheben�,wird offenbar auch von der Vereinsvorsit-zenden Birgit Schäven, Geschäftsführerindes Kaufhofs Darmstadt, geteilt. Sie ver-langt laut �Darmstädter Echo� vom 16. Mai2014 �eine Änderung desHessischen Ladenöffnungs-gesetzes�, wodurch den Ge-meinden �freigestellt wer-den� solle, �an welchen vierSonntagen geöffnet werdenkann � ohne einen Anlassnennen zu müssen�. Be-gründet wird diese anma-ßende Forderung mit angeb-lich fehlender Rechtssicher-heit.

Ist es nicht aber geradediese Rechtssicherheit, wel-che im konkreten Fall des�Ostermarktes� durch dieEntscheidung des Verwal-tungsgerichts Darmstadtund in der Berufungsver-handlung jetzt auch vom Hes-sischen Verwaltungsge-richtshof hergestellt wurde?Oder gehen die Einzelhänd-ler wie ihr Darmstädter Ver-ein davon aus, die Gerichte hätten bloßjuristisch nachzuvollziehen, was sie auswirtschaftlichen Gründen vorgeben (wol-len)? Soll es so �rechtssicherer� laufen:Eine Stadtverwaltung setzt willkürlich undohne nennenswerte Berücksichtigung bis-heriger Gerichtsentscheidungen einen ver-kaufsoffenen Sonntag fest. Die darüber ent-scheidenden Gerichte sprechen Urteile,die den Betreibern der Veranstaltung miss-fallen. Deshalb soll das Gesetz im Sinnedes Einzelhandels so geändert werden,

dass es rechtswidrige Veranstaltungendieser Art künftig nicht mehr geben kann.

Was wäre das für eine �Rechtssicher-heit�? Wohl deshalb verwies der Vertreterdes Citymarketing e.V. im VGH-Verfah-ren nicht nur auf das Grundrecht derBerufsfreiheit, sondern auch auf Artikel 14Absatz 1 des Grundgesetzes, der Eigen-tum schützt. Dabei �vergaß� er zu erwäh-

nen, dass dort auch steht,dessen �Schranken� könnengesetzlich festgelegt werden. Mehr noch: Absatz 2 ver-pflichtet das �Eigentum�, esmüsse �dem Wohle der All-gemeinheit dienen�. Wennnicht, so könne es geradezu diesem Zweck enteignetwerden (Artikel 14 Absatz 3).Über die Grenzen des unge-hemmten Einsatzes vonEinzelhändler-�Eigentum�hat der Hessische VGH ent-schieden: VerkaufsoffeneSonntage sind rechtswidrig,wenn sie die Vorgaben desgeltenden Hessischen La-denöffnungsgesetzes unddie hierzu auf Bundes- wieLandesebene ergangenenhöchstrichterlichen Ent-scheidungen nicht einhalten.Wer dies immer wieder

missachtet oder grundsätzlich ablehnt,wird zwar (noch) nicht gleich �enteignet�,aber der muss sich fragen lassen, wie esum sein Demokratieverständnis bestelltist. Alle am Sonntagsschutz Interessier-ten werden darauf bedacht sein, dass dasjüngst von der Hessischen Landesregie-rung bis 2019 verlängerte Ladenöffnungs-gesetz nicht durch politischen Druck desEinzelhandels und ihrer kommunalenHandlanger vorzeitig oder überhaupt ver-schlechtert wird.

gewesen sei. Denn die meisten Besu-cher der Darmstädter Innenstadt hättenan diesem Tag über den Hintergrund desMarktes nichts erfahren, da die Werbungsich fast ausschließlich auf den verkaufs-offenen Sonntag bezogen habe. Sobalddas Urteil des VGH schriftlich vorliegt,wird die �Allianz für den freien Sonntag�prüfen, welche grundsätzliche Bedeu-tung die Entscheidung für ihr weiteresEngagement im Sinne des Sonntags-schutzes hat.

Thesenzur Debatte

Offensive Tarifpolitik

Tarifflucht -gezielt vorbeugen &

abwehren!

Fachbereichs-übergreifende

Zusammenarbeitin ver.di ...

... braucht Verständigung über wichtigegewerkschafts- und sozialpolitische Fra-gen. Dazu hat der ver.di-Bezirk Südhes-sen zwei Thesenpapiere herausgegeben,die jetzt als Broschüre erhältlich sind.Im ihrem Vorwort schreibt die südhes-sische ver.di-Geschäftsführerin KarinHarder: Die Tarifpolitik bleibt trotz einerzunehmenden Erosion tarifvertraglicherRegelungen das entscheidende �Spiel-bein� jeder Gewerkschaft, die nicht wieein �ADAC� bloß als �gelber Engel� denBeschäftigten, Erwerbslosen und Rent-nern in Notlagen helfen will, sondernauch die Arbeitsbedingungen und dieBezahlung von Arbeitsleistung nachhal-tig mitgestalten möchte. Deshalb ist dieDiskussion über Ziele, Methoden undAktionen tarifpolitischen Engagements,aber auch über die notwendige Abwehrder Angriffe von Arbeitgebern und Re-gierungen auf tarifpolitische Errungen-schaften besonders wichtig. Denn Tarif-verträge bestehen nicht per se, sie müs-sen erkämpft und verteidigt werden, auchwenn sie heute noch hier und dort Lü-cken, Ungereimtes oder gar Wider-sprüchliches aufweisen. Wie die betrieb-liche Mitbestimmung sind Tarifverträgewesentliche Gestaltungselemente einerdemokratischen Gesellschaft. Die vor-gelegten Thesen sollen diese Debatteanstoßen und beeinflussen. Sie sindnicht der �Weisheit letzter Schluss� undwollen dies auch nicht sein.

Sittenwidriger Lohn bei Zero

Nachgezahlt!Ab Frühjahr 2013 arbeitete SarahY. (Name geändert) als gelernteund bereits langjährig tätige Ver-käuferin in der Darmstädter Filia-le der Zero Textilhandel GmbH &Co. KG. In einem tarifgebundenenUnternehmen des Einzelhandelshätte ihr Lohn bei 13,79 Euro ge-legen. Doch Zero gestand ihr füreine Arbeitszeit von monatlich150 Stunden ein Gehalt von le-

diglich brutto 1.220 Euro, also 8,13 Euroje Stunde zu (Näheres siehe �Handeln�Nr. 63 vom 27. Januar 2014).

Sarah Y. klagte mit ver.di gegen die-sen sittenwidrigen Lohn, der 41 Prozentunter dem ortsüblichen Tarifgehalt lag. Inder Güteverhandlung vor dem Arbeitsge-richt Darmstadt am 3. April 2014 behaup-tete der Vertreter des Unternehmens, den

Tarifvertrag für den hessischen Einzelhan-del �nicht gekannt� zu haben. Auch habeer von der Ausbildung seiner Verkäuferin�nichts gewusst� � so aufmerksam wer-den in der Personalabteilung also dieBewerbungsunterlagen gelesen.

Da die Richterin ihm zu verstehengab, sein Vortrag erscheine wenig glaub-würdig, wollte der Zero-Vertreter den Per-

sonalrabatt von 50 Prozent �auf alles� als�Bestandteil des Gehalts� im Wert von100 Euro monatlich verstanden wissen.Außerdem habe Sarah Y. gewusst, �wassie tat, als sie das Arbeitsverhältnis ein-ging�. Aber Zero sei großzügig, weil beider Geltendmachung von 6.435,30 Euroteilweise schon die Ausschlussfrist über-schritten gewesen sei, und biete ihr �au-ßergerichtlich� die Hälfte der Forderungals Nachzahlung an.

Darauf ging Sarah Y. nicht ein. Denndie Richterin äußerte Zweifel, ob bei ei-ner sittenwidrigen Vergütung die Aus-schlussfrist tatsächlich haltbar sei. Dar-über hinaus könne der Personalrabatt aufden Lohn kaum �angerechnet� werden,weil er von Beschäftigten wohl nur be-darfsabhängig ausgeschöpft werde. Undbei den ziemlich teuren Zero-�Klamotten�

in aller Regel nur, weil das Un-ternehmen keine anderen als�Dienstkleidung� dulde, wieSarah Y. ergänzte.

Also sollte ein Kammerter-min beim Arbeitsgericht für Klar-heit sorgen. Doch diesenscheute Zero offenbar. Dennwenige Tage vor der Verhand-lung flatterte am 9. Mai 2014ein Schreiben ihres Prozess-vertreters bei ver.di ein, das Un-

ternehmen habe �sich unter Zurückstel-lung aller Bedenken dazu entschlossen,die Forderung ... zu erfüllen�. Weiter hießes: �Zu diesem Zweck füge ich in der An-lage die Lohn-/Gehaltsabrechnung für dieHauptforderung in Höhe von � 6.435,30und den sich hieraus ergebenden Netto-betrag ebenso bei wie die Abrechnung derZinsansprüche.�

Hennes & Mauritz

Arbeitszeit aufgestocktBei Hennes & Mauritz (H&M) arbeitenzahlreiche Teilzeitbeschäftigte mit tarifver-tragswidrigen so genannten�Flex�-Arbeitsverträgen, dasheißt ohne genaue Vereinba-rung der wöchentlich zu leisten-den Arbeitsstunden. Hier hatsich bei nicht wenigen bewährt,die tatsächlichen Arbeitszeitenanhand der Stechkarten festzuhalten, umnach § 8 Ziffer 7 des Manteltarifvertrages

ihren Durchschnitt in vier von zwölf Mona-ten zu ermitteln. Denn liegt dieser 20 Pro-

zent über der vereinbarten Ar-beitszeit, dann besteht einRechtsanspruch auf deren Auf-stockung. Manche Beschäftig-te bei H&M in Südhessen hatjetzt einen Arbeitsvertrag miteiner deutlich höheren und end-

lich festen wöchentlichen Arbeitszeit. Dasbringt mehr Geld und Sicherheit.

Handeln - Informationen von ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte ! Nr. 67 ! 19. Mai 2014 Seite 3

Herausgeberin:Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich 12 Handel

Rheinstraße 50 ! 64283 Darmstadt ! Telefon 06151/ 39 08 37 ! Telefax 01805 / 837 343 286 38E-Mail: [email protected]

Verantwortlich: Horst Gobrecht ! Telefon 0160 / 901 606 36 ! E-Mail: [email protected]/Illustrationen: Katja Deusser, Karin Harder und andere

Handeln - Informationen von ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte ! Nr. 67 ! 19. Mai 2014 Seite 4

StaatsanwaltschaftDarmstadt

Ermittlungeneingestellt

Stadt Maintal: Keine Erklärung gegenüber Real

Einer lügt � warum wohl?�Wer lügt � und warum?�, so fragten derDGB Maintal und der Fachbereich Han-del der ver.di-Bezirke Frankfurt und Han-au in einer am 10. Mai 2014 an die Kun-den des Real-Marktes in Maintal verteil-

ten Information. Hierbei ginges um das Dementi des Er-sten Stadtrats Ralf Sacht-leber im �Maintaler Tages-anzeiger� vom 6. Mai 2014:�Wir haben gegenüber Realüberhaupt nichts erklärt�.Damit sollte wohl klarge-stellt werden, dass die StadtMaintal, anders als von Realbehauptet, das Unterneh-men nicht unter Druck ge-setzt habe. Über einen Be-

triebsrat von Real war ver.di unterrichtetworden, der Real-RegionalpersonalleiterReinhard Riffel habe ihn darauf hingewie-sen, die Stadtverwaltung Maintal wolleeinen möglichen Umbau des Marktesnicht mehr genehmigen, weil die fristlo-se Entlassung der Gewerkschafterin undBetriebsratsvorsitzenden Nina Skrijeljden Ruf von Real nachhaltig verschlech-tert hätte.

Träfe die Darstellung der Stadtverwal-tung zu, dann hätte ver.di mit ihrer Vermu-tung in einem Kunden-Flugblatt vom 23.April Recht behalten, die Behauptung vonReal könne �aus der Luft gegriffen� sein,um Druck auf die Beschäftigten im Main-taler Markt und ver.di auszuüben. Dennmit dem von Real wohl vorgeschobenen

�Gespräch mit der Stadtverwaltung� warder �Vorschlag� verbunden gewesen, biszum Verhandlungstermin über die Kün-digung der ehemaligen Betriebsratsvorsit-zenden am 10. Juni vor dem Arbeitsge-richt Offenbach jeden öffentlichen Pro-test und alle Aktionen vor dem Real-Markteinzustellen. Das könnte eine Antwortauf das Warum sein, wenn der Lügen-bold bei Real zu suchen wäre.

Die Protestaktion und Unterschriften-sammlung vor Real in Maintal am 10. Mai2014 werteten DGB und ver.di als schö-nen Erfolg. In einer Stunde unterzeich-

neten etwa 70 Kundinnen und Kundendie Erklärung gegen die Kündigung vonNina Skrijelj. Und mehr als 300 Flugblät-ter gingen weg wie �warme Semmel�. Diesund zahlreiche Gespräche zeigen, dassviele Kunden nicht bloß ungestört ihrenWochenendeinkauf machen wollen, son-

dern mit großem Interesse auch verfolgen,was bei �ihrem� Real-Markt mit dem Per-sonal geschieht. Für den Verhandlungs-termin der Kündigungsschutzklage vonNina Skrijelj am 10. Juni 2014 plant ver.divor dem Arbeitsgericht Offenbach eine So-lidaritätskundgebung für die ehemaligeBetriebsratsvorsitzende.

Solidarität mit Nina Skrijelj: Aktionstag vor Real Maintal am 10. Mai 2014

Real Darmstadt: Aktionstag am 21. Juni 2013

Mitmachen10. Juni 2014

8 Uhr, vor demArbeitsgericht Offenbach

Wie die Darmstädter Staatsanwaltschaftdem Gewerkschaftssekretär für den Han-del im ver.di-Bezirk Südhessen mitSchreiben vom 5. Mai 2014 mitteilte,wurde im Ermittlungsverfahren �wegendes Verdachts des Hausfriedensbruch�aufgrund der �Strafanzeige Real in Darm-stadt vom 26.06.2013� mit �Zustimmung

des Gerichts von der Verfolgung abgese-hen�. Hintergrund war offenbar der Be-such von Streikenden in der Tarifrundedes hessischen Einzelhandels im Darm-städter Real-Markt, den die Geschäfts-führung auch vergeblich für ein Hausver-bot gegen ver.di nutzen wollte.

Als Gründe für die Einstellung ihrerBemühungen nennt die Staatsanwalt-schaft beispielsweise, dass nach �dembisherigen Ergebnis der Ermittlungen� die�Schuld des Täters als gering anzuse-hen� sei. �Ein öffentliches Interesse, dasdie Strafverfolgung gebietet, liegt nichtvor�, so die behördliche Mitteilung. Eskönne nämlich �nicht ausgeschlossenwerden, dass beim Beschuldigten ein Irr-tum dahingehend vorlag, dass der Real-Markt Darmstadt sich im Arbeitskampf be-findet�. Aha!