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Der falsche Prophet - die fünf Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Titelgeschichte Handelsblatt vom 16./17./18.1.2015) Nürnberg, 26.1.2015 Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete, liebe Frau Kolbe, vielen Dank für Ihre E-Mail vom 5.8.2014. Gerne komme ich Ihrem Wunsch nach, Sie auch nach Abschluss der Tätigkeit der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ des Deutschen Bundestages, die unter Ihrem Vorsitz stand, über meine Arbeit, über Neues von der Glücksforschung (Happiness Research) und der Psychologischen Ökonomie (Behavioral Economics) auf dem Laufenden zu halten. Die Wochenendausgabe des Handelsblatts vom 16./17./18.1. 2015 beschäftigt sich ausführlich mit Hans-Werner Sinn, dem Chef des Ifo-Instituts, und seinen Positionen. Der einleitende Artikel der Handelsblatt-Redaktion ist mit "Die Sinn-Frage" überschrieben und beginnt mit: "Hans-Werner Sinn ist der einflussreichste und wortgewaltigste Ökonom Deutschlands. Doch zunehmend manövriert sich der Chef des Ifo Instituts mit seinen 1

Web viewda es hier um die Befriedigung von existenziellen Grundbedürfnissen wie Essen, Wohnen, Kleidung, ... („not to believe a word of it“),

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Der falsche Prophet - die fnf Irrtmer des Hans-Werner Sinn (Titelgeschichte Handelsblatt vom 16./17./18.1.2015)

Nrnberg, 26.1.2015

Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete,

liebe Frau Kolbe,

vielen Dank fr Ihre E-Mail vom 5.8.2014.

Gerne komme ich Ihrem Wunsch nach, Sie auch nach Abschluss der Ttigkeit der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualitt - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft des Deutschen Bundestages, die unter Ihrem Vorsitz stand, ber meine Arbeit, ber Neues von der Glcksforschung (Happiness Research) und der Psychologischen konomie (Behavioral Economics) auf dem Laufenden zu halten.

Die Wochenendausgabe des Handelsblatts vom 16./17./18.1. 2015 beschftigt sich ausfhrlich mit Hans-Werner Sinn, dem Chef des Ifo-Instituts, und seinen Positionen. Der einleitende Artikel der Handelsblatt-Redaktion ist mit "Die Sinn-Frage" berschrieben und beginnt mit: "Hans-Werner Sinn ist der einflussreichste und wortgewaltigste konom Deutschlands. Doch zunehmend manvriert sich der Chef des Ifo Instituts mit seinen provokanten und nicht immer richtigen Thesen ins Abseits." (S.47).

Ich greife diesen Beitrag auf, weil sich an den Sinn`schen Positionen gut zeigen lsst, wie weit das neoklassische (homo-oeconomicus-) Denken noch unter Deutschlands konomen verbreitet ist, wenn es etwa um Ratschlge fr die Politik geht.

Ein hnliches Verhalten ("Glaube an die Neoklassik") ist beim Sachverstndigenrat Wirtschaft (SVR) zu beobachten. Eine grundstzliche Kritik am SVR findet sich in meinem berarbeiteten Working Paper "Zur Verwendung von "Subjektiven Indikatoren" (Erkenntnissen der interdisziplinren Glcksforschung) in der (Wirtschafts-) Politik - eine grundstzliche Kritik am Sachverstndigenrat Wirtschaft (SVR"), Nrnberg Januar 2015, das ganz aktuell in der Schriftenreihe der TH Nrnberg erschienen ist (http://www.th-nuernberg.de/fileadmin/Hochschulkommunikation/Publikationen/Sonderdrucke/58_Ruckriegel.pdf.).

Grundstzliche Kritik am neoklassischen (homo oeconomicus-) Denken bt auch Dennis Snower, der Prsident des Instituts fr Weltwirtschaft in Kiel: "Das fundamentale Problem dieses Ansatzes ist, dass der Homo oeconomicus falsch abbildet, wie sich Menschen verhalten." so Snower in seinem Beitrag "Besitz bedeutet nicht alles", der am 12.10.2014 in der Sddeutschen Zeitung erschienen ist (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zufriedenheit-durch-konsumgueter-besitz-bedeutet-nicht-alles-1.2167785).

I. Zur Kritik an der Sinn`schen Position - eine Einfhrung

Doch zurck zu Hans-Werner Sinn. Das Handelsblatt schreibt: "Die Schrfe seines Urteils und seiner Argumentation beruht letztlich darauf, dass Sinn wie kaum ein zweiter konom die klassische Wirtschaftstheorie eingesogen hat. Sinn wei zwar, dass Menschen sich anders verhalten, als es die Neoklassik zugrunde legt, und nicht leben wie ein "Homo oeconomicus". Aber er hlt unbeirrt an seinem theoretischen Instrumentarium fest und zieht seine folgenreiche Schlsse daraus." (S. 52).

In seinem Interview mit dem Handelsblatt sagt Sinn (S. 58): "Ich will Rationalitt in die ffentliche Diskussion bringen. ... Seit ich im Ifo bin, sehe ich es als meine Aufgabe an, die Argumente der volkswirtschaftlichen Theorie fr die allgemeine Bevlkerung so in Worte zu kleiden, dass sie verstanden werden. Das ist auch ein guter Test fr die Theorie selbst, denn wie Paul Samuelson, der wichtigste Nachkriegskonom gesagt hat, taugt eine konomische Theorie nur etwas, wenn es mglich ist, sie einem normalen Menschen verstndlich zu machen."

Da stellt sich allerdings die Frage, was es bedeutet, "Rationalitt in die ffentliche Diskussion zu bringen." Aus Sicht der Wirtschaftspolitik kann Rationalitt doch wohl nur bedeuten, dass es zu Empfehlungen und Ratschlge kommt, die auf dem tatschlichen Verhaltens der Menschen basieren und nicht auf einer realittsfernen Annahme ber ihr Verhalten. In letzterem Fall werden die Manahmen kaum zu gewnschten Erfolg fhren. Rational sind danach Vorschlge , die das tatschliche Verhaltens der Menschen bercksichtigen, da sie nur dann eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit haben, nicht aber Vorschlge, fr deren Erfolg Voraussetzung ist, dass sich die Menschen gem der homo oeconomicus-Annahme verhalten. Letztere sind fr die (Wirtschafts-) Politik wenig zielfhrend.[footnoteRef:1] [1: Siehe hierzu etwa Friedrich Heinemann/ Michael Frg/ Eva Jonas S/ Eva Traut-Mattausch , Psychologische Restriktionen wirtschaftspolitischer Reformen,Perspektiven der Wirtschaftspolitik9 (2008), S. 383-404.]

In ihrer Rede zur Erffnung der 5. Lindauer Tagung der Nobelpreistrger fr Wirtschaftswissenschaften im August 2014 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Neoklassik unter Verweis auf die Erkenntnisse Verhaltenskonomie massiv kritisiert. Die Bundesregierung lsst sich deshalb auch vom Behavioral Insights Institute der britischen Regierung beraten. Zielrichtung dieser Beratung ist die Orientierung der Politik der Regierung an der Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens (insbes. gemessen an der Zufriedenheit mit dem Leben) der Menschen, wofr die Erkenntnisse der interdisziplinren Glcksforschung zentral sind. Bei der Umsetzung der Politik wird allerdings das tatschlich beobachtbare Verhalten der Menschen zugrunde gelegt, nicht ein angenommenes sowie dies in der Neoklassik der Fall sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat explizit eine Einbeziehung der Erkenntnisse der Verhaltenskonomik gefordert: "Das heit auch, wir sind uns gewiss, dass der Homo oeconomicus weit mehr ist als nur ein Wesen mit konomischen Daten, sondern dass Einflsse der Verhaltenskonomie und vieles andere in eine fr die Gesellschaft brauchbare Theorie einfliet."

Die OECD schreibt im Zusammenhang mit ihrer Studie "OECD, Regulatory Policy and Behavioural Economics", Paris 2014:

The use of behavioural economics by governments to regulate is a growing trend globally. There is an increase in the application of the inductive scientific method to the study of economic activity that is helping OECD countriesto shape regulatory policies based on the actual, and not assumed, behaviour of people.Most notably the United States and United Kingdom have been introducing behaviourally informed policies."[footnoteRef:2] [2: OECD Homepage zu dieser Studie. ]

Ein gutes Beispiel fr das Rationalittsverstndnis von Hans-Werner Sinn ist die Stellungnahme, die er bei der mndlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zu der Rechtmigkeit von Kufen von Staatsanleihen im Juni 2013 abgegeben hat.

Er schreibt: Bevor zu den Begrndungen der EZB im Einzelnen Stellung genommen wird, ist es notwendig, sich die fundamentale Bedeutung von Zinsspreizungen in der Marktwirtschaft klar zu machen. Diese Spreizungen sind notwendig, um die unterschiedlichen Risiken der Investitionen adquat im Zins abzubilden und die effektiven Zinsen im Sinne einer mathematischen Zinserwartung gleich zu machen. Eingriffe in die freie Preisbildung sind deshalb grundstzlich schdlich fr die Effizienz wirtschaftlicher Prozesse.[footnoteRef:3] [3: Hans-Werner Sinn, Verantwortung der Staaten und Notenbanken in der Eurokrise, Gutachten im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, Zweiter Senat, Sitzung 11. und 12. Juni 2013, S. 52 und 55. ]

Sinn argumentiert mit der neoklassischen Effizienzmarkttheorie.

Zwar hat die Argumentation von Hans-Werner Sinn groen Eindruck auf die Richter des Bundesverfassungsgerichts gemacht, was auch in der schriftlichen Fassung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2014 zum Ausdruck kam (kritisch hierzu Karlheinz Ruckriegel, Bundesverfassungsgericht versus EZB/Eurosystem - zur Frage der Effizienz von Finanzmrkten, Nrnberg , Mrz 2014 - https://www.th-nuernberg.de/fileadmin/Hochschulkommunikation/Publikationen/Sonderdrucke/56_Ruckriegel.pdf).

Wenig Eindruck hingegen hat diese Argumentation auf der Grundlage der Effizienzmarkttheorie allerdings beim Generalanwalt des EuGH, Pedro Cruz Villaion, gemacht. In seinem Gutachten zum anhngigen Verfahren beim EuGH (das Bundesverfassungsgericht hat den Fall an den EuGH weiterverwiesen), schreibt er, dass die Gerichte ein erhebliches Ma an Zurckhaltung vorzunehmen haben, "da ihnen die Spezialisierung und Erfahrung fehlen, die die EZB auf diesem Gebiet besitzt."[footnoteRef:4] [4: Handelsblatt vom 15.1.2015, Punktsieg am grnen Tisch, S. 30. ]

Der Glaube an die Neoklassik, der bei vielen deutschen konomen noch verbreitet ist, steht im krassen Gegensatz zum Umbruch, in dem sich die Wirtschaftswissenschaften, insbesondere die Volkswirtschaftslehre derzeit weltweit befindet. Lieb gewonnene Annahmen stellen sich im Lichte neuerer interdisziplinrer Erkenntnisse als haltlos heraus.

Dem neoliberalen Paradigma liegt die Neoklassik (die neoklassisches Theorie) zugrunde, die letztlich im Wesentlichen auf der a priori Annahme des homo oeconomicus fut.[footnoteRef:5] [5: Zur geschichtlichen Abfolge der und realwirtschaftlichen Wirkung von Paradigmen in der Volkswirtschaftslehre siehe etwa Karlheinz Ruckriegel, Zur Verwendung von "Subjektiven Indikatoren" (Erkenntnissen der interdisziplinren Glcksforschung) in der (Wirtschafts-) Politik - eine grundstzliche Kritik am Sachverstndigenrat Wirtschaft (SVR), Schriftenreihe der TH Nrnberg, Nrnberg Januar 2015. Im Folgenden werden die Begriffe neoklassisches bzw. neoliberales Paradigma synonym verwendet. ]

In unserem neuen Buch "Gesundes Fhren mit Erkenntnissen der Glcksforschung" (http://shop.haufe.de/gesundes-fuehren-mit-erkenntnissen-der-gluecksforschung) geht es in meinem Teil zunchst deshalb auch darum, zu zeigen, was einerseits "haltlose Annahmen" sind und was andererseits der Stand der aktuellen Erkenntnisse der interdisziplinren Forschung in den Wirtschaftswissenschaften ist