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Vom Adel

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VOM ADEL. BRUCHSTÜCK EHRE UND S C H A N D E , RUHM UND NACHRUHM

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Page 1: Vom Adel
Page 2: Vom Adel

V O M A D E L .

B R U C H S T Ü C K

E H R E U N D S C H A N D E ,

RUHM UWD NACHRUHM

/»i»urri!\ > .»»*"

PRÄSIDENTEN vov KGTZEBUE. /

rmUfi dtinti mm d Grdtnkm J„nrr Almen M

L E I P Z I G ,

Page 3: Vom Adel

Erklärung des Titelkupfers.

D e r Adel unter dem Bilde eines alten Eich-liaums. Ein Haufe ungezogener Butan hat der Göttinn der Frejheit ihren Hur entwandt, und ihn mit einer Schallen - Kajipe geschmückt. Ein anderer Haufe legt die Axt an den alten ehrwürdigen Stamm. Ihn deckt Btirhenia in den Wolken mir ihrem Schilde, auf welchem der Russische Adler schwebt, unter seineu Flügeln die französischen Lilien.

Page 4: Vom Adel

E I N L E I T U N G .

Ein kleines Buch übergebe ich

dem Leser, doch ist es vielleicht

ein Wort zu seiner Zeit geredet.

Kanu denn nur ein dickes Buch

Aufsehn erregen und Nutzen stif

ten? Die dicken Menschen und die

dicken Bücher haben nicht immer

viel Verstand. Der magere Vol

taire sagte auf drey Seiten mehr

Gutes, als der dicke Melchior Götz

in allen seinen polemischen Schrif

ten.

Page 5: Vom Adel

Ich wünsche mir eine Gattung

Leser die sonst wenig liest: Jüng

linge, welche froher Lebensgenuss

um ihre Zeit betrügt; Gcschaffts-

manner, welchen ein Roman keine

F.rhohlung gewahrt; Damen, wel

che mehr zu kennen wünschen als

die neusten Moden; juuge Krieger

auf der Wache ; müssige Höflin

ge im Vorzimmer. Für Gelehrte

schrieb ich nicht, ich bin kein Ge

lehrter.

Dieses kleine Buch ist Resultat

meiner Leetüre aus vielen grofsen

Büchern. Ich haue zusammenge

stellt, was hier und dort zerstreut,

am Wege oder in Winkeln lag.

Ich habe ein Scherflein dazu gege-

Page 6: Vom Adel

ben, Gold? oder Silber? oder Ku

pfer? das entscheide der Leser.

Dank habe ich verdient, wenn die

se Blätter ein wenig Salz und Kraft

enthalten; wenn sie treffen wo sie

treffen sollen; wenn sie beweisen,

dafs die Menschen nie und nirgends

einander gleich waren; dafs der

Dummkopf und der Feigherzige

gebohrnc Sklaven, der Weise und

Tapfere gebohrnc Edelleute sind;

wenn sie den jungen ahnenstolzen

Laffen erinnern: mir Tugend sey

der wahre Adel; doch auch den

Alles bespöttelnden Freyhcits- und

Gleichheits - Prediger überzeugen :

der alte Gescldechts-Adel sey kei

ne blofse Schimäre. Ist mein Ver-

Page 7: Vom Adel

dienst nur klein, ey nun, -mein gu

ter Wille ist grofs, und stiften die

se ßlütte? Iii» » l l d wieder ein we

nig Gutes, so bin ich belohnt.

Wenn heute ein Mahler aufträ

te, und die Menschen bittend warn

te : "zerstört doch nicht die Schö

n n e n Gemähide von Raphael, Cor-

"reggio und Michel Angclo! " man

würde ihm in die Zähue lachen,

und mit Kecht; denn nur ein Ra

sender könnte an jenen Meister

werken sich vergreifen. Aber zu

den Zeiten der Bilderstürmerey, als

man mit heiliger Wuth die Kirchen

ihrer Zierden beraubte, als man

die Götzen vernichten wollte, und

die Kunst vernichtete ; damals war

Page 8: Vom Adel

des Mahlers Warnung ein Wort zu

rechter Zeit gesprochen. So ist es

auch mit diesen Skizzen und Frag

menten über den Adel; nur im

umgekehrten Veihidtnifs. Hatte ich

noch vor hundert Jahren meine

Zeitgenossen ermahnt, den Adel in

Ehren zu halten, als Ahnen noch

Verdienste gabeu, und oft das ein

zige Verdienst waren; man würde

mich mit Recht einen Thoren ge

scholten haben. Aber in unsern

fieberhaften Zeiten, wo es Mode

wird am Daseyn Gottes zu zwei

feln ; wo man Empörung zu Hel-

denthaten stempelt; wo man es für

überflüssig halt, Gott und dem Kay-

ser zu geben was ihnen gebührt;

Page 9: Vom Adel

wo man den Adel herabzuwürdigen

glaubt, wenn man auf ihn schimpft;

wo die Gleichheit aller Stände der

Stecken - Esel ist auf welchem jun

ge Dichter reiten; heutzutage, mey-

ne ich, verdient Aufmunterung und

Dank der Mann, der es versucht

dem Volke zuzurufen: "ihr mögt

"immerhin die Bilder wegnehmen,

"dafs man sie nicht zu Götzen er-

"hebe, doch zerstört das Gute nicht

"mit dem Bösen ! Der Baum hat

"dürre Aste, wollt ihr drum ihn

"abhauen? Tragt er doch auch

"grüne saftige Zweige."

Ehe ich die Vcrtheidigung des

Adels übernehme, mufs der Leser

eine Reise um die Welt mit mir

Page 10: Vom Adel

machen. Eilig wollen wir bey je

dem Volke einkehren, seine Sitten

belauschen, uns unter seine Edlen

mischen, und ihre Rechte und Ge

wohnheiten mit zwey "Worten in

unser Tagebuch eintragen. Bey

den meisten verlohnt es nicht der

Mühe lange zu verweilen, doch

darf ich, meinem Zwecke treu, an

Keinem vorübergehn. Macht Euch

der erste Bogen Langeweile, so

werft darum das Buch nicht gleich

aus der Hand. Windet Euch mit

mir durch den verwoxTcnen Pfad

bis zu jenem Hügel; den wollen

wir erklettern, und das Land um

her überschauen. Findet ihr dann

auch keine prächtige Lustschlösser,

Page 11: Vom Adel

Gärten und Cascadm; so sollt ihr

doch, wenn mir die Musen ihre

Hülfe nicht versagen, ein anmutlii-

gcs Kornfeld, Wiesen und Bäume

erblicken.

Page 12: Vom Adel

E R S T E S K A P I T E L .

Skizze einer Geschichte des Adels unur allen Vülkerti des Erdbodens.

iclit die Farbe der Haut allein; nicht

die platte oder gebogene Nase; nicht das

lange gelbe Haar oder die krause schwarze

Wolle, unterscheiden Menschen von Men

schen. In diesem Winkel der Erde wohnt

Ehrlichkeit, in jenem nistet Falschheit;

in diesem leuchtet Aufklärung, in jenem

kriecht Fütsternifi; hier stempeln Klima

und Lebensari ein Helden - Volk , und dort

ein Volk entnervter Weichlinge; hier wächst

eine Republik, und dort blüht eine Monar

chie. Aber überall wohin dein Auge blickt,

auf dem festen Lande und den Inseln des

Weltmeers, unter der südlichen Zone and

Page 13: Vom Adel

am Nordpol, unter dem Scepter des Allein

herrschers und im Wirrwarr der Volksre-

gierimg, findest du ohne Verabredung, oline

Zwang, dieselbe Verfassung, dieselbe Ein

richtung; überall findest du Ad<-(. Ist das

nur Wüikung des Zufalls, oder Gesetz der

Natur? ja, sie wollte nicht, dafs in ihrem

weiten Reiche irgend ein Ding dem andern

gleichen sollte; physische oder lnoralischfi

TJngleicliheiicu sollten alle geschaffene We

sen trennen; sie sprach: kein sil/grimd,

sondern eine Stufenleiter scheid« die Gras

mücke vom Adler, und den Bauer vom

Fürsten!

Hinweg mit dem Vorhang hinter wel

chem Ja]iilmilderte schlummern ! der grofse

Erdball drehe sich langsam unter unsern

Klicken, und jedes Volk oder Völligen, ge

bildet oder ungebildet, halte stdl unter den

Augen des Forschers, Herrlicht-s YorrecliL

des menschlichen Verstandes, in jedem "Win

kel der Erde, von und zu allen Nationen

reden ZM dürfen, von allen gehört werden,

Page 14: Vom Adel

•je alle kennen, und von allen gekannt

»eyn.

Einige wilde Völker.

Die Eskimos und Grönltinder s agend "brav war der Vater, brav wird auch der "Solin seyn; und der Enkel wird Seehunde "fangen, oder Mcnschenschüdel ikolpiren, "eben so geschickt als sein Ahnherr," Drum ist das Recht, im Kriege und auf der Jagd Anführer zu s"yn, gewissermassen erblich unter ihnen. Mancher Grönländer prangt mit einer Stammtafel von zehn Ahnen, mit allen ihren Nebenästen, Schade nur dafs in Grönland keine hohe Stifter blühen!

Den Tu/iguscn gilt Mutli und Tapferkeit für Adel, und sie glauben fest, dafs diese Eigenschaften vom Vater auf den Sohn forterben. In Othaheite, und auf allen l u e sein des Südmeers, ist der Unterschied der Stande gekannt und geehrt. Die Einwohner der Sandrich-Iniein theUen sich in

Page 15: Vom Adel

Klassen. Die Erste derselben bilden die

Erees, oder Chefs der Di^tricte.

Die Abipouen in Paraguay schufen ei

nen kriegerischen Orden, welcher den per

sönlichen Adel verleiht, und mit grofsen

Feyerlichkeiten ertheilt wird. Unter diesen

ist die sonderbarste, dafs eine alte Frau die

Tugenden und Thateu des Einzuweihenden

in einer Lobrede preist. Gieng der Geist

des Cicero und Demosthenes über in die

alten Weiber von Paraguay ? — Der Ein-

geweyhte empfangt einen neuen Nahmen,

der sich mit der Sylbe Je endigt. Diese

Sylbe gebührt nur dem Adel. Also giebt

es mehrere Lancier, wo der Adel an Sylben

klebi. — Auch Weiber werden dann und

wann in diesen Orden aufgenommen, trotz

der Verachtung, mit welcher sonst die Ame

rikaner auf die bessere Hidfte der Men

schenkinder herabsehn.

Sklaven halten, kaufen und verkaufen,

ist das 'Vorrecht des afrikanischen Adels.

Das elende Negervolk in Issiny iat sei-

Page 16: Vom Adel

nem Adel (den Brembü oder Capcheran) sklavisch unterworfen. Gelang es Einem durch Fleifs und Arbeit, sich insgeheim einen kleinen Schatz zu sammeln, so trägt er ihn zu des Königs Füssen. Für eine Summe von acht Thalorn in Goldstaub, erklart ihn dann der König in Gegenwart aller Brembis, für ihren Bruder, Für einen Edelmann. — Der woliliWIste Adel in der Welt! — Der schwarze Monarch wendet sich darauf an das Meer, giefst eine Flasche Branntewein hinein, und verbietet ihm, dem neuen Edelmann zu schaden, oder seine Canots umzuwerfen. — Di» Thorbeiteii der Menschen gleichen sich überall und in allen Jahrhunderten. Der Doge von Vonedi» gebraucht einen Ring, Xerxes Ketten, und der König von Issiny eine Flasche Branntewein, um das Meer seinem Herrscherwillen gehorsam zu bannen. — Hat nun die See ihren Tribut verschluckt, so kniet der neue Edelmann vor dem Könige nieder, der seine Hände zusammenfügt, wieder

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trennt, und mit den Korten hinein bläst:

'lebe in Frieden!" oder: "ich gebe dir

"meinen Frieden! ' Dielen Spruch wieder-

hohlt die ganze Versamndung, und darauf

wird gesclunaust, — Die Sitte nach einer

Feyerlichkeit zu schmausen, ist so alt als

die Welt, und daheim unter jeder Zone,

i Die Negern in Guinea ehren den Adel,

wie ihre Brüder in Senegal. Sie kaufen

ihn, sie erringen Um durch Gunst oder krie

gerische Thaten. Der Neugeadelte wirft

sicli 7.w des Königs Füssen, best real Haupt

und Rücken mit Staub, wird ermahnt, sei

nen Stand durch keine nichtswürdige Hand

lung zu entehren, und erhält eine Trom

mel, sammt einigen kleinen elfenbeinernen

Trompeten. — Warum denn eben Trom

meln und Trompeten? Gerade so mögt ihr

fragen: warum denn eben Band und Slern?

überall in der Welt werden grofse Dinge

durch Kleinigkeiten bezeichnet. Wohl dem

Fürsten, der Gut und Blut der Seinigen

durch elfenbeinerne Trompetsn erkauftn

Page 18: Vom Adel

2*

_ Sklaven tragen den neuen Edel

mann auf ihren Schultern im Dorfe herum,

Trommeln und Trompeten erschallen; Wei

her tanzen und singen; es wird geschmaust.

Das Volk erhalt einen Ochsen, und so viel

Palniweiu als es saufen mag.

In Äthiopien sieht der Adel das gemeine

Volk nicht über die Achsel an. Im König

reiche Sennaar sind die Edlen Sklaven, und

Sklaverey ilir Stolz. Erzeigt man dort ei

nem Manne nicht dje gebührende Achtung,

so fragt er gleich: »oll man nicht wisse,

»dafs er ein Sklave sey?» In gewissen Ge

genden erkauft man den Adel, und mit ihm

das Recht zu handeln, durch einen Hund,

eine Ziege und einen Ochsen; Geschenke

welche die alten Edlen empfingen, und da

für in ihre Brüderschaft aufnehmen. Die

Ochsenkiipfe werden sodann als Zeichen

des Adels aufbewahrt. Es gieht also auch

in Afrika adaliche Ocltsenhöpfe.

Das Rocht zur Krone und der Adel,

werden in Loango, wie im alten I.ycieu,

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und aui' den mnldivischen Inseln, durch die

Mutter fortgepflanzt. In den Lyhischen

Wüsten verhüllen die Edlen den Kopf mit

einem schwarzen Tuch bis an die Augen,

und müssen also beym Essen, so oft sie

einen Bissen in den Mund stecken, das Ge

sicht auf- und geschwind wieder zudecken.

Die Ursache, die sie von dieser sonderba

ren Sitte angeben, ist noch sonderbarer: es

sey nendich dem Menschen eben sowold

eine Schande, die Speisen zu sich zu neh

men, als von sich 7,u geben. Im Grunde

lafst sieb nichts dagegen einwenden.

Nomadische Völker,

D i e Beduinen, das zahlreichste Hirtenvolk

des Erdbodens, halten sieb für edler, als

ihre Brüder, die Städtebewohner. Sie has

sen, wie die alten Teutschen, jeden Wohn

platz welchen Mauern umzingeln. Ihre

Schecbs und Emirs, der Adel der Bediünen,

leiten ihre Abkunft vom Stamme der Ä o -

Page 20: Vom Adel

raiuhicen, und didden keine Mifsbüud-

nisso.

Mahomets Nachkommen he i len She-riffs, in der Türkey Emirs. Minder edel als diese, werden selbst die mächtigsten Schechs geachtet. Am geebrtesten ist Ma-homets Geschlecht in Hedsjas, weil es dort am seltensten mit fremdem Blute sich mischte. Ein solcher Enkel des Propheten darf mit seinem grünen Turban in der Schlacht sich kühn ins feindliche Getümmel wagen, vorsätzlich wird kein Sclmerdt ihn treffen. Weder Schlofs noch Riegel verwahren sein Haus, denn selbst der Räuber gehl mit Ehrfurcht vorüber. Nicht Tod, nur Geuingnifs bestraft seine Verbrechen. Geringe Vergehen richtet kein Pascha oder Kadi, sondern das Oberliaupt seiner Familie. So ehrt die Nachwelt den Stifter ihrer Volksreligiou! Der Glaube kennt keine Miuelsirafse; er mordet oder er vergöttert.

Die TurUmannen kümmern sich wenig.v um den Adel; die Kurden aber schützen

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ihn wie die Araber. Ihre Agas vermählen

sich nur mit edlen Jungfrauen. Töchter

sind daher ein grofser Rcichihum; eine edle

schöne Tochter wird von dem Jüngling oft

mit fünfzig Beuteln (<i65oo Rtlilr.) erkauft.

Den Kurden gleichen die Bewohner

des Kauhasus; den Turhnwnnen alle Hir

tenvölker von tatarischer Abkunft, die ost

wärts vom kaspischen Meere umherziehn.

Unter den Kirgisen, Kamhalpachcn, Chi-

xvanern, gelten nur Reichthum, Macht und

Verdienst; unter den Mingrelicrn, Cirras-

siern und Georgiern gilt die Geburt, Das

Volk der Drusen hat seine Edlen, und die

Pflicht dieser Edlen ist, Herzen von Mar

morstein zu besitzen ; denn Niebuhr erzählt:

ein Drtisischer Edelmann werde ein Gegen

stand der Verachtung, wenn man, bey wel

cher Gelegenheit es auch sey, 'J'hränen in

seinen Augen erblicke.

Die Calmykeu haben ihre Fürsten und

Herren, ihren hohen und niederen Ad<L

1'aidsehi und Chans, auch SchwanenJ'ur-

Page 22: Vom Adel

siert, nennt der Dnlailanu drn Ersteren; den

Lezteren bilden die Snissama, oder Richter

and Oberhaupter. Ihr Adel und ihre Wür

den sind nicht erblich.

Mehr oder minder gesittete Völker.

Als die Spanier die eanarischen Bylande a\

entdeckten, fanden sie daselbst den streng

sten Unterschied der Stande. Nur mit ei

nem Werbe aus fürstlichem Geblüt durfte

der Konig von Teneriffa sich vermählen;

im Norhfali auch mit seiner Schwester. Kein

Edelmann heyratheto unter seinem Stande.

Doch nicht die Geburt allein schuf den

Edelmann. Der adelich gehohme Jüngling

tnufste noch überdiefs vor Priester und Zeu

gen beweisen können, dafs er auch adelich

gmm ba.be. Dann schnitt der Priester ihm

das Haar kurz um den Nacken weg, und

erklärte ihn für einen achten Edelmann und

Krieger. W o aber eine unedle That Seinen

Page 23: Vom Adel

Ruf befleckt«-, da ward das Haupt ilun kahl

geschoren, und er horte auf ein Edelmann

zu seyn, wed er kein etiler Mann war. —

Welch' eine schöne Aluien-l'iobe! wenn

der Jüngling hintreten und schwören kann:

ich habe keine Unschuld verführt, keinen

Freund im Zweykainpf ermordet; ich habe

kein Weib betrogen in der Liebe, und kei

nen Mann im Spiele; ich habe den Nah

men meiner Vorfahren ererbt, und ihre Tu

genden erworben.

Der inejricanuclie Adel war sehr zahl

reich, und ibeilte sich in verschiedene Klas

sen. Die Lehnsverfassung herrschte. Der

König ward gewählt; der Adel blieb sein

Vormund. Lange stemmte er sich mit aller

Macht gegen die Erblichkeit des Thrones;

endlich doch vergebens. Der lezle Kaiser

Montezuma war eüi Despot. — Nur die

edlen Mexicaner kleideten sich in Sdber,

Gold und feine Leinewaud; nur sie speisten

aus vergoldeten und gemahltea Gefäfsen;

nur sie durften Schuhe tragen. Die Nickt-

Page 24: Vom Adel

Etilen wickelten sich in grobes Zeug, afsen

aus irdenen Schusseln, und gierigen barfids.

Wichtiger alfl jene kleinlichen Auszeichnun

gen, war d u Vorrecht, Lehne zu besitzen,

den Konig zu wühlen, seine Leibwache und

seinen Rath zu bilden.

Der erste natürliche Gölterdienst des

Menschen ist der Dienst der Sonne. Seine

Helden oder seine WohhhÜter, nennt er

dann in staunender Einfalt GuUersöhnc,

Sonnenkinder. So war es in Peru, in Flo

rida, n M r den Natche: und den Einwoh

nern von Bogota. Die Edlen in Louisiana,

die sogenannten Natcliez, nennen alle übrige

MithaQuipi, zu deutsch Stinker. Ihr Adel

besteht aus 58o Sonnen. Der König tritt

jeden Morgen aus seiner Hütte, bietet der

Sonne seine Pfeife zu rauchen an, und

(chreibt ihr mit dem Finger den Weg vor.

den sie den Tag über nehmen soll.

In Japan hat der Adel sonderbare Vor

rechte. Nur er darf sich die Eingeweide

ausreissen, und die Ehre gebiete! ihm, diese

Page 25: Vom Adel

angenehme Execution selbst zu verrichten.

Wo nicht, so I i ' I i " 'hn iür Eaghaft, und

er stirbt eines hartem Todes durch Hen

kers Hand, Nicht Tür alle Schätze der Welt

würde ein Japanischer Edelmann eine Bür

gerliche heyrathen.

Der größte Mogul riinmt in seinen Staa

ten der Geburt keinen Vorzug ein. Der Sohn

' eines Omrah ist oft gemeiner Soldat. Nur

seine Leibwache bildet den Adel, sie ist in

diey Kompagnien getheill: die des goldenen,

die des tilOermm, und die des eisernen Streit-

hilbent. Man mufs darunter gedient haben,

itm Mi Würden im Staate zu gelangen.

Die Stämme der Malmen werden von

Häuptern regiert, welche den haken u4ilul

bilden, und selbst einer Königin gehorchen;

denn des Weibes Sanftimith Weib Ehrfurcht

und Liebe zu paaren; der Held unterwirft

sich gern dem Weihe, ungern dem Manne.

Doch ist die Königin der Malayen einge

schränkter, als die Könige von Mexico

Page 26: Vom Adel

Ja allen südlich asiatischen Reichen hat

Despotie da» Adel verschlungen. Nur in-

China leben zwey Geschlechter, deren Adel

die Kayser anerkennen, weil die Religion

sie adelte; das Geschlecht des Lao Kium,

Stifters der ältesten Volksreligion; Und die

Nachkommen des Confucius. Jenes Stam

mes Zweige blühen noch heute in der Pro

vinz. Kiam ii, werden als Lehrer des Ge

setzes verehrt, und haben den Hang der er

sten Mandarine. Man wallfahrtet EU ihnen,

man kauft von iiineu Weissagungen und

Amulete. Ähnliche Vorrechte hat Confu-

cius auf seine Enkel vererbt. Man nennt

sie Ching gin ti du eil, die Enkel des gros

sen Mannes. Wenn Einer von ihnen nach

Kiofeou in der Provinz Catiton, dem Ge

burtsort des Confucius, wallfahrtet, so hat

er das Recht, mit Genrange durch die Stra

fen von Peking zu ziehen. In Kiofeou ist

immer Einer aus der Familie Statthalter.

Hingegen nimmt sogar der Rang der kai

serlichen Prinzen in China mit jeder Gene-

Page 27: Vom Adel

3o

ration a b ; in der siebenten darf nur der

idteste Sohn noch einen gelben Gürtel tra

gen ; seine ßrüder aber gebären schon /.um

Pöbel. — Woher mag es kommen, dafs

Chiueser, Türken und Perser die Stifter

ihrer Religion noch im späten Enkel ehren?

indessen die Christen gleichgültig bleiben

gegen die Nachkömmlinge ihrer Volksleh

rer, und kaum wissen, wohin der Zufall sie

zerstreut hat? Ich weifs nur einen Grund

dafür: Luther schwang kein Schwerdt und

CaUin keine Lanze; ohne Lanze und

Schwerdt war unter den Europäern kein

Adel.

In Siam ist der Adel nicht erblich. Der

König ertbeilt ihn nach Gutdünken. Der

Neugeadelte vertauscht seinen Nahmen, und

erhalt eine goldene oder silberne Büchse,

um Betel daraus zu kauen. Wenn die Ele-

jthaineti des Königs von Siam ihren Lehr

meistern Ehre machen, das huifst, wenn sie

in allerley Künsten wohlerfahren sind, so

macht sie der König zu, Grafen, Marquis

Page 28: Vom Adel

3i

«. s. IT. Der vornehmste Elephant heilst

Fürst, hat ein eigenes Gebäude, und wird

von Staabsofficieren bedient. Wir lachen

darüber; aber was ist denn Lächerliches

dabey? etwa daß» die Elephanten vorher

etwas lernen müssen. Unter den Tunhiae- s

sern ist, wie Baron versichert, der Adel

blos Belohnung litterarischer Verdienste.

Die Hindus haben einen erblich kriege- 3

rischen, und einen höheren geistlichen

Adel in den Braminen, gleich den Priestern

des alten Egyptens und den Leviten der

Juden. Unter den Hindus scheidet eine

tiefe Kluft einen Stamm von dem andern.

Der Unglückliche aus der lezten, verworfe

nen Caste, der durch Zufall einen Edlen

berührt, wird von dem Edlen ungestraft er

mordet. Deshalb scbreyt er schon von

Ferne, um seine Gegenwart kund zu thun,

und jeder Schrey dieses Elenden ist eine

Klage vor dem Ricbterstuld der Menschheit.

In dem Übrigen westlichen Asien, und

im nordwestlichen Afrika herrschen Despo-

Page 29: Vom Adel

tcn. in Aiysiinien ist der Adel persönlich,

und erlischt mit der W ürde.

Hin Blick auf die P'unvelt, Griechen und Monier.

Theseus, Fürst der Athenienser, war der

Erste, welcher den Edelmann vom Bürger

unterschied, und nur jenen zu Priestern

oder Magistratspersoiien wählte. ' Das

nemliche tliat Solon der Gesetzgeber. Er

theilte die Staatsbürger in drey Klassen,

nach Maasgabe ihrer Wohlhabenheit, und

nur aus diesen besetzte er die öffentlichen

Ämter. Vermahlungen zwischen Bürgern

von Athen und fremden Dirnen, stempelte

er zu Milshiinduissen.

Obgleich die Griechen den Adel in der

heutigen Bedeutung des Worts nicht kann

ten, und nicht zuliessen; so hatten doch

alle griechische Staaten Edle, die sich ihrer

Almen rühmten, und sich ffohlgebohniP,

E:/ymif, nannten. Freylich war d^r griechi-

Page 30: Vom Adel

sehe Adel nicht so bestimmt in seinen Vorzügen als der beutige; er hob denjenigen nicht mit fremder Kraft empor, dem eigenes Verdienst keine Schwingen lieh. Aber die Geburt aus angesehenen Geschlechtern, erleichterte auch ihm die Mittel empor zu. klimmen, und baluite den Pfad der Ehre einem Alcibiades.

Den rümisihen Adel stiftete Romulus, als er seine Unterthanen in zwey Klassen theilte; die Senatoren, welche er Täter nannte, und den Rest des Volkes, die Plebejer. Nach und nach erlaubten sich die Abkömmlinge der Senatoren, die Palrider, ausschliessende Ansprüche auf alle Würden des Staats, und hüteten sich, die Töchter der Plebejer zu Weibern /,u nehmen. Die menschliche Eitelkeit lächelte, als ihr das Meisterstück gelang, auch die Liebe zu unterjochen. — Bey Volksversammlungen rief man jeden Patricier bey seinem Nahmen, und nannte dabey den Stammvater seines Geschlechts. Die Plebejer hingegen

Page 31: Vom Adel

wurden nur nach Corien, Centurien und

Tribus aufgerufen. Die Vertreibung der

Könige aus Rom, zog den Sturz der l'atri-

cier nach sich, Macht und Überlegenheit

hoben bald auch die Plebejer zu Senntoren,

Consuln und Dictatoren empor. Den Pa-

triciern blieb kein anderer Vorzug, als da*

Bewustseyn, gebeugte Spröfslinge eines al

ten edlen Stammes zu seyn; denn sie wa

ren die Enkel der ersten zweyhnndert Se

natoren, welche Itotnultis schuf, oder auch,

wie andere wollen, der hundert Senatoren,

welche Tarquiu der ältere jenen beyfügte.

Daher nannte man die Plebejer auch dann

noch, nls sie schon alle Würden des Staats

mit den Patricieru theilten, novi hontines,

neue Menschen. Die Welt war was sie

ist, und wird es bleiben.

Es gab noch eine andere Gattung von

Geburtsadel: der ingenuns, ein freyer Manu

von l'reyen Eltern gebohren, mit einem

Worte, das, was wir auch im Bürgerst:aide

von guter Familie zu nennen pflegen. Der

Page 32: Vom Adel

(Üllll)lil ein Sproi'sling aus einem allen Hanse. Kriegerische Verdienste, so hoch auch die kriegerischen Römer sie achteten, gaben nicht eigentlich den Adel. Der römische Ritter war kein Edelmann, obgleich man es Für eine Ehre hielt, ex equestri fa-milia abzustammen. Hingegen wurden die zu den Magistraturen Berufenen zum Adel gerechnet; euch sogar die Kinder und Enkel, deren Väter und Orol'sväter hintereinander eine jener Wörden bekleidet hatten. Daher die Redensart; der Adel pflanze sich fort auf die Nachkommen, patte et avo con-

Der römische Edelmann unterschied sich

durch keinen Titel, durch kein -von. Er

hatte das Recht goldene Hinge zu tragen,

und seine von Wachs verfertigte Brustbil

der an dem Orte seines Hauses aufzustel

len, der am meisten in die Augen fiel. Sie

wurden heilig aufbewahrt, und bey Leichen'

begängmssen vorgetragen. Auch dann, wann

der Jüngling auf öffentlichem Markte die

0 9

Page 33: Vom Adel

toga praetexta mit der toga virilis vertausch

te, welches im i7ten Jahre geschab, stan

den die Bilder seiner Vorfahre* uni ihn

her , und man erzählte dun ihre Thaten.

Heutzutage läfst jeder kleine Bürgermeister

sich mahlen im SammUnaiitel mit Herine-

Ünscltnanzen.

Unter den Kaisern gicng Alles drunter

und di über. Die Patricier waren ausge

storben, oder vermischt mit den Plebejern;

die hohen Staatsüinter, welche den Adel

verheben, unterdrückt, oder nach Willkühr

verschleudert; das Recht der Bilder und

Denkmäler nach und nach vernichtet. Die

Kaiser schufen neue adeliche Ämter: Co-

mes, Praefectus, Consul, Proconsul, u. s. w.

Nur allein die römischen Senatoren erhiel

ten'sich das Vorrecht, wieder Senatoren zu

zeugen; die Kinder der Illustres waren ge-

bobrue Senatoren, und hatten Sitz und Stim

me im Senat, sobald sie das gehörige Alter

erreicht hatten. Die Kinder der Ctarissimi

hingegen durften zwar auch den Sena tsver»

Page 34: Vom Adel

Sammlungen beYwohnen, Hatten tiber keine Stimme. Doch wäre« auch diese, sogar die Töchter, frey von allen Abgaben und Stra fen, welchen man die Plebejer unterwarf. Die Kinder der Decurionen, und die der alten verdienten Soldaien, Veteran! genannt, waren auch von öffentlichen Lasten befreyt, weil ihre Väter sie schon mit ihrem Blute hlWnh hatten, wurden aber nicht zum Adel gerechnet.

Lbrigens konnte nur ein Römischer Bürger den römischen Adel erringen. Fremdlinge, wenn sie auch römische Unterthaneu, und in ihrem Vaterlaude Edelleute waren, nannte man nur «Joint nohiles, das heifst: Edelleute bey sich zu Hause, aber nicht hier bey uns. Man kennt die grenzenlose Eitelkeit der Romer, die sich Herren der Welt träumten. Da aber der Forscher nach Wahrheit kein Vaterland kennt, und überall au Hause ist; so sollen jezt die übrigen .Nationen des älteren und neueren Europa. die stolzen Römer ablösen.

Page 35: Vom Adel

* * *

Europa ward in den ältesten Zeiten von

•Slaven und Cclten bewohnt. Eine Stelle

des Procop hat manchen Gelehrten verlei

tet zu glauben , die Slaven hallen keinen

Unterschied der Stande gekannt, und nicht

einmal ein Wort für Freyheit oder Knecht

schaft gehabt. Doch streitet dagegen die

älteste hekannie Verfassung aller einzelnen

slavischou Völker. Zwar gab es einst in

Russland democraiische Städte und demo-

cratiscbe Völker, nehmlich die sapmogi-

svlien und jaihsvhen Cosacken ; doch boyde

entstanden auf eine so besondere und ein

zige Art, dafs von ihnen kein Scblufs auf

die übrigen slaviscben Nationen gelten darf;

denn alle hatten Könige, Fürsten und erb

lichen Adel, wie die Titel Bojaren, JVoje-

woderi, Knesan, /Jospodare/i u. s. w. be

weisen.

Iiis in die Mitte des dreizehnten Jahr

hunderts gab es in Polen nur Edle oder

Freye und Leibeigene. Damals erhielten

Page 36: Vom Adel

«ich die Bürger von Cracau, und einiger anderen Stiidte, die Vorrechte des Adels, welche sie aber bald wieder verfuhren, weil sie nicht in Person in Felde zogen. Es gab zu allen Zeilen nur eine wch*am* Tugend, indessen die ührigen scläumnwrn. damals herrschte die Tapferkeit.

Eben so war es unter den Ungarn. u< Erst sjMier hin, und lange nach Einführung der christlichen Religion, erhielten Prälaten und Barone- Vorzüge in Ansehung des Ranges und des Homagii. Selbst die Würden der Magnalen, die grofsen fteichsämier, die Obergespanns eh alten u. s. w. waren nicht erblich, bis die Monarchen des osineiihi-schen Hauses zu Ende des sechszehnien Jahrhunderts erbliche Würden verliehen.

Der König von Ungarn kann selbst Leibeigene adeln, indem er iluten ein Schlots oder ein Dorf schenkt, oder auch nur ein Diplom ertheilt Doch werden die lezte-reu durch die Benennung Annalisten unterschieden, und müssen eine Taxe erlegen.

Page 37: Vom Adel

4o

von welcher die Gruterbesitzer frey sind.

Auch der Edelmann kann mit Erlaubnifs

des Königs einen Leibeigenen an Kindes

statt annehmen, und dadurch den Adel auf

ihn überpflanzen. Der Sohn eines Edel

mannes und einer leibeigenen Dirne ist ein

Edelmann; der Sohn eines Leibeigenen und

einer edlen Jungfrau bleibt ein Sklave.

Die Vorrechte des ungarischen Adels

gleichen denen des polnischen. Seine Gü

ter sind frey von allen Abgaben. Er steht

nur unter des Königs Gewalt. Auch die

sem darf er sich mit Recht widersetzen,

wenn die Grundgesetze seines Vaterlandes

angetastet werden. Nur Raub, ftothzue.hr.

und Mordbrenn erey, wenn er dabey ertappt

wird, können ihn, ohne gerichtliche Unter

suchung, zum Gefangenen machen.

»u, Fast eben so verhalt es sich mit dem

sklavonischen Adel. Doch verleiht nur der

Besitz adelicher Güter ihm die Reiclisstand-

schaft. Der verarmte sklavonische Edel

mann darf ein Handwerk treiben, oder

Page 38: Vom Adel

Bauergüter bearbeiten, ohne seinem Adel

Abbruch, zu ihun.

Leider ist es. nicht überall so, aber es tollte überall so seyn. I'leifs und Arbeitsamkeit adeln jeden Stand; der Müssiggän-ger, der Bettler, kann kein Edelmann seyn.

Der Adel in der Moldau und W!aUti- c. fhtr theilt sich in drey Klassen, nach den* höheren oder geringeren Ämtern, die von ihm selbst, oder von seinen Vorfahren bekleidet, und nach Lehnsgiitern, welche ererbt, oder im Kriege erworben worden.

Das kleine Land gen Pöghtxa in Dalma- T

den, welches dem Nahmen nach unter ve-Tietianischer Hoheit steht, ist von unzugänglichen Gebirgen eingeschlossen, zahlt nicht mehr als t.'iooo Einwohner, und unter diesen drey fiangordnungen. Die erste besteht aus zwanzig edlen ungarischen Geschlechtern, die sich wahrend der unglücklichen Türkenkriego in die dalmatischen Alpen buchteten. Aus ihnen wählt die zweyte Klasse, welche aus edlen bosnischen Fami-

Page 39: Vom Adel

lien besieht, den Großgraf. Die drille

Klasse, oder die nicht edlen, aber freyen

Männer wühlen aus der aweyten die klei

nen Grafen oder Dorfricliter.

Die Russen unterschieden sich von dem

Adel der übrigen slavischen Völker; sie

kannten alten und neuen, hohen und nie-

dern Adel. Keine Nation hat ihre Fami

lien nach richten sorgfältiger aufbewahrt, als

die russische; jedes vornehme Geschlecht

besizt seine Stammtafeln, und die sogenann

ten Jlosräd-Bücher sind HülfsquelUn der

russischen Geschichte. Man zog deu alten

Adel, die Rodoslownie Lind/, dem neuen

vor; Zaare und Großfürsten bestätigten die

Stammtafeln des Ersteren, und so entstan

den die Rodoslownie Knigi, Geschleihls-

bücher; die seltensten sind aus den Zeiten

des Zaar Iwan W'asilewitsch. Man dieilte

den Adel in K.:esen und Dworjänin,- doch

der leztere Nähme war ehemals der Titel

einer Ilofsbedienuiig, bis man nach und

nach ihn mit Edelmann, verwechselte. Den

Page 40: Vom Adel

Rang der Edlen bestimmte die gröfsere oder kleinere Anzahl verdienstvoller Männer, von welchen sie abstammten.

Alles in der Welt artet aus. Der edle Stolz, auf Verdienst der Vorfahren gegründet, ward endlich thörigter Alinenstolz. Der verdienstlose Jüngling von altem Adel, weigerte sich den Befehlen eines würdigen, aber ahnenlosen Greises zu gehorchen. Zaar Feodor Alexewitsch fand daher für gut, die Rosräd - ßiicher, das Spielwerk des Hochmuths der Grofsen, im Jahr iGfla nach Hofe bringen zu lassen, und der iate Januar war der Tag, an welchem sie säinmt-lich durch das Feuer vertilgt wurden. So jätete ein sorgfidtiger Gärtner das Unkraut, und die Pflanze des Verdienstes konnte wieder gedeyhen.

Peter der Große band endlich jeden Rang nur an die Würde , welche der Un terthan im Staate bekleidete. Er schuf unter seinen Dienern acht Klassen oder Rangstufen, welche alle die Vorzüge des ältesten

Page 41: Vom Adel

Ade).?, sogar den Nachkommen, mitlheilten.

Wer vor seiner Erbebung auf eine dieser

Stufen, Kinder erzeugt hatte, durfte wenig

stens für einen seiner Söhne um den Adel

nachsuchen. Peter der Grofse ward auch

Schöpfer des persönlichen Adels im Civil-

stände. Wenn Grofsvater, Vater und Sohn

Ämter verwaltet hatten, welche ihnen den

Rang eines Staahsof/iciers ertheilten; oder

wenn auch nur Vater und Sohn solche Äm

ter zwanzig Jahre lang mit Ruhm bekleide

ten ; so durften sie Anspruch machen auf

den erblichen Adel. So Öffnete seine Hand

den Tempel der Ehre auch dem Vnrdienst;

wo bisher nur Minder Zufall Pförtner ge

wesen war, und das Vorunheil Lorbeer

zweige ausgestreut hatte.

Unsere grofse Kaiserinn — deren Näh

me für meine schwache Feder zu erhaben

ist, und deren Lob aus dem Munde eines

glücklichen Unterthans wie Schmeichetey

klingen würde — hat dem Adel alle seine

Vorrechte bestätigt, und gröbere verliehen.

Page 42: Vom Adel

Sie h.it den russwehen Staat in eine Monar

chie verwandelt, den Adel dem Throne nä

her gehoben, und die Herzen durch Gnade

gefesselt. Sie ist durch Sanftmuth, was sie

durcli Gewalt seyn konnte. Ihr Herz ist

immer offen, wohlzuthun, und ihre Hand

hat verlernt zu strafen. Geben ist ihre

Freude, Unterthaneu Glück ihr Reichlhum.

Liebe und Ruhm sind im Streite, welche

von beyden ihren Triumphwagen ziehen

soll; aber Liebe ist stärker als Ruhm, und

der Segen glücklicher Menschen steigt

schneller zum Himmel empor, als das fttrflt

geschrey ihrer Krieger. —

Siehe da! ich wollte nicht loben, und

mein Herz hat mich hingerissen. Die Wahr

heit macht sich Luft, Nationen Dank läfst

sich nicht einkerkern. Millionen sprechen

durch meine Stimme! ich bin selbst grofs,

indem ich Katharinens Gröfse verkündige.

Ohne Unheil und Hecht darf jezt kein

Edelmann seiner Würde, seiner Ehre, sei

nes Lebens und Vermögens beraubt wer-

Page 43: Vom Adel

den; nur Meyneid, Verratn, Mord, Raub,

Fälschung u. s, w. liehen den Verlust des

Adels nach steh. Der Edelmann ist frey

von Leihesstrafen, er wird von seines Glei

chen gerichtet; er bildet in jeder Provinz

eine Ritterschaft, welche Versaniinhmgshäii-

ser, Archive, Siegel, Kassen, Secretaire,

Adelsbiicher halten, Vorstellungen und Be

schwerden überreichen darf. Die edle Dir

ne verliert ihren Adel durch kein Mifsbünd-

nifs, theilt solchen aber nicht ihren Kindern

mit. Der Adel darf mit seinen Produkten

im Grofsen handeln ; Fabriken und Florken

anlegen; die etwa auf seinen Gütern- sich

findenden Metallminen seihst benutzen. Iii

ist frey von personlichen Abgaben; auf sei

nen Gütern frey von Einr|iiartiorung. Wer

ein Adelsdiplom von der Kaiscrinn, oder

einem andern Monarchen aufweisen kann,

dessen Nähme gehört in den ersten Thr.il

der Geschlechtsbücher. Der zweyte ist für

den Kriegsadel. Dieser entspringt-aus der

Staabsoflicierswürde, welche der Eiuzu-

Page 44: Vom Adel

gehreihende, oder dessen Vorfahren bekleideten. Der drille ist für den Acht Klassen Adel Diesen erwirbt man durch eine Bedienung, welche zu den ersten acht Rang stufen gezählt wird. Der vierte ist für die fremden Gesehtechter, die sich in Russkind niedergelassen. Der fünfte für die Fürsten, Grafen, Freyherrn. Der sechste endlich füi den alten Adel, dessen Ursprung in Dunkelheit begraben hegt.

Die abwischen Völker wußten nichts von Grafen und Baronen; so sind auch in Bussland erst seit den Zeiten Peter des Grofsen diese Titel üblich geworden. — Alan hielt es für kein Mifsbümlnifs, wenn ein russischer Zaar sich mit der Tochter eines gemeinen Edelmanns vermählte. Auch gab es nicht fürstliche Familien, welche den fürstlichen gleich geschäht wurden, zum Beyspiel die Sche reineto ws, die Romanows, u. s. w.

Unter dem Zaar Alexe! Michailowitsch \

galt ein Gesetz, nach welchem ein Tatar*

Page 45: Vom Adel

oder Jude, der sich taufen lieht, die Rechte

eines eingehohrnen Edelmanns erhielr. Im

mer bestach die Religion die ZeitliclikeiC,

damit sie ihr Recruten für die Ewigkeit

liefere.

Slawen und Gilten, diese verschiedene

Menschengattnngen, trennen sieh auffallend

auch in Uiren Begriffen vom Adel. Die

Slaven kannten nur zwey Stünde; den Ed

len oder Frcyen, und den Sklaven. Die

Celten hatten Edle, Freye, Freygclassene

und Sklaven. Jener Adel war sich unter

einander gleich, oder doch nicht wesentlich

verschieden, und in Klassen abgesondert,

wie dieser. Jener bekümmerte »ich wenig

um die Reinigkeit des Adels, denn die Sla

ven adelten Personen, die nach den Be

griffen der Celten gar nicht adelslaltig

waren, z. B. Leibeigene. Nur die Geburt

gab unter den Celten den Adel, nur di>i

Geburt pflanzte ihn fort; nicht so unter

den Slaven, Auch behaupteten diese ihren

Adel bey uiancherley Handthierung, welche

Page 46: Vom Adel

jene als erniedrigend verwarfen. Endiii Ii

waren auch die Fürsien der Slaven einge

schränkter oder uneingeschränkter, ihr Adel

gebundener oder ungebundener, als unier

den übrigen nicht slavischon Europäern,

In Norden durfte einst jeder Freygebohr-

n-3 die Waffen tragen, bis Nicolaus iin Jahr

n 5 a dieses Recht in den Städten auf weni

ge Personen einschränkte, welche Tföpnnr

oder Jf'affendiener lüefsen, und dem Adel

seinen Ursprung gaben. Als im Jahr itjüS

Copenhagen in Gefahr stand, erobert zu

werden, mufsren alle Einwohner sich be

waffnen, uuil man bestimmte zum Lohn je

der ausgezeichneten Heldenthat den Adel.

Die Organisation des Adels unter den

crimmisehen Tatarn, vor Ankunft der Ge

nuesen, vor ihrer Abhängigkeit von der

Pforte, und vor Eroberung der Crimm durch

die Russen, beweist, dafs jenes Volk mit

den geistreichsten Europäern gleiches Ur

sprungs sey. Dem Chan folgte sein ältester

Sohn. Die Macht des Chans war durch

D

Page 47: Vom Adel

5o

den hohen Adel beschrankt. Diesen bilde

ten fünf alte Geschlechter; an der Spitze

eures Jeden stand ein Bey. Diese fünf

Bevs, und ein Sechster, welcher den nie-

dern Adel repräsentirte, machten den halft

des Chans, ohne dessen Einwilligung er

nichts Wiclüiges unternehmen durfte. Da»

vornehmste Geschlecht war das der Sc/iy-

rin, dessen Bey im Bange unmittelbar auf

den Chan folgte, denselben Hofstaat hielt,

den ganzen tatarischen Adel reprüsenlirte,

und dessen Häupter zusammen berief, wenn

der Chan Eingriffe tu seine Hechte wagte.

Nach diesem folgten die Geschlechter Man-

Sur, Scilsihtid, Argtiin, und Barum. Sie

stammten wahrscheinlich ab von den ersten

Geführten des Dschinghis Chan. Den Hin

dern Adel verlieh die Gunst des Fürsten.

Man nannte ihn Mirza - Kapikuli, das

heilst, Fürsten - Sklaven. Vermahlungen

zwischen ihm und dem alten Adel waren

MilsbüudnLsse ; denn Fürsten - Gunst ist

stark wie die Liebe, aber Vorurthcil und

Page 48: Vom Adel

Macht der Zeit sind stark wie der Tod. —

Mar ein sehr amier tatarischer Edelmann

konnte sich cntsehliefsen, einen Hofdienst

anzunehmen. Die meisicn lebten aui dem

Lande vom Ertrag ihrer Güter.

In llochsehatttand und auf den Hebri-i

den waren die Cnirds oder Edle Eigen- j

ihuinsherren der Clans, Anführer im Kriege,

llicbter und Beschützer im Frieden, Stanim-

henen und Älteste, ihr Wille Gesetz, Erge

benheit gegen sie die gröfste Tugend, Un

treue an ihnen das schwerste Verbrechen.

Man schwur bey ihrer Rechicn; die ge

wöhnliche Losung war: »Gott sey mit un-

»serm Her rn!» oder: «Stets möge unser

»Herr obsiegen!» Sie kehrten mit ihrem

Gefolge ein wo sie wollten, und waren über

all willkommen. Sie labten von ihren Liin-

dereyen, empfingen einen Theil der Straf

gelder, bey dem Tode eines jeden Meyers

emPlerd, und zuweilen l'reywillige Beytrüge,

aus Liebe bewilligt, und mit Liebe emplan-

gen; denn die Cairds waren wahrhaß Edle,

D a

Page 49: Vom Adel

?ie betrachteten ihre Lehnsleute nicht als

Vnterthanen, nicht aU Leibeigene, sondern

als Brüder, Verwandte und Kriegskamera

den, nur stiefmütterlich vom Glücke behan

delt. Sie übten Freigebigkeit, Gastfreund

schaft und Vaterliebe an einem Jeden.

Stark wie Eisen war diefs schöne Band, bis

steigendes Bedürfmfs, Luxus und Pracht,

vor wenig Menschenaltem es auflösten.

Nie fand man auf der bewohnten Erde et

was Ähnliches, nie vielleicht wird man es

wieder Huden. Herren über ihrer L'nter-

thanen Güter und Leben, mifsbrauchten die

Cairds nie ihre Gewalt. Sie wurden nicht

gefürchtet, denn Liebe kennt keine Furcht.

Die Vasallen bauten das Feld ihres Herrn,

und hüteten seine Heerden; doch waren

sie mehr seine KÜKler und Brüder, führten

seinen Nahmen, afsen mit ihm aus einer

Schüssel, und tranken mit ihm aus einem

Becher. Seine Freude war die ihrige, sei

nen Kummer theilten sie. ' O verweile,

Freund der Menschheit, bey diesem schii-

Page 50: Vom Adel

nen Genuthtdel das Herz goniefsr, und die

Augen werden feucht. Sende mit mir den

frommen Wunsch zum Himmel: sollen und

können die Bewohner des Erdbodens ein

ander nicht gleich seyn ; o so gieb du , der

du uns alle schufst, uns Herren wie die

cnledonischen Cairds, oder Untcrthanen

wie ihre Clans in Bochtchottland und auf

den Hebriden.

Die Teutschen.

D i e erste Bekanntschaft mit den Tcutschcii

verdanken wir den Griechen-und Römern.

Der teutselte Adel ist so alt als die Kation.

Das Wort Adel kommt nicht her vom

schwedischen Worte Odel, (ein Erbgut)

sondern wahrscheinlich von Edel und Atta, aJ

welches leztere Wort die Natur selbst auf

die Zunge des Kindes legte, als es zum

Erstenmale Vater lallen wollte; oder auch

von Adal oder Athal, welches in »1er Spra- Sei

che der Angelsachsen, Longobarden und

Page 51: Vom Adel

Franken vortrefflich, ausgezeichnet bedeu-

trie. Z. B.: jtdalmuat, Edelmnth, Adal-

s.uli,, Edelknabe, Edeldiener.

Noch waren die Teutschen, was einst

alle Völker waren, Hillen, Jager und Räu-

ber, Viebheerden ihr Rciehthuin, Ackerbau

verachtet, nur von Knechten betrieben;

Fürsten und Heerführer wählte man für

einzelne Unternehmungen ; die Reichen und

Vornehmen wohnten wie die Annen in höl

zernen Hütten, afalll Habermufs und geron

nene Älilch wie die Annen, und ihre Söhne

wuchsen unter dem Vieh auf. Doch kann

ten sie auch damals schon den Adel, der

wahrscheinlich aus den Nachkommen der

ersten Stifter und Gesetzgeber jedes Volkes

entsprang. Aus ihm wühlte mau Könige,

Richter und Priester; aus ihm nahm mau

edle Jungfrauen als G eis sein; aus ihm ge

sellte man Jünglinge den Häuptern des Vol

kes zu, oder sandte sie aus auf Abentheuer,

um Ruhm zu gewinnen, wenn ihre eigene

Nation in Frieden lebte. Der Adel richtete

Page 52: Vom Adel

und schlichtete öffentliche Angelegenheiten

Ton geringer Bedeutung. Wichtigere legre

er dem Volke vor, und dann hatte er das

Recht, öffentlich zu reden. Dieses Be-hl

ist der Schlüssel zu den Herzen der Men- .

sehen.

Das salische Gesetz erwähnt zwar nicht s

o des Adels unier den Franken, doch die in D

der fränkischen Geschichte oft erwähnte leudes, optimales, und was den Titel \ ir inlustcr hekam, gehörte gewifs zum Adel. Aus den Formeln des Markulf erhellt, daß es kein persönlicher, sondern wahrer Ge-scldechtsadel war. Domino inlustri, et prae cunetis magnificentissimo, ac nobilitate pi o-sapiac decorato. L. 2. form. 5g.

Der Edelmann durfte ein Gefolge von

andern edlen oder freyen Kriegern um sich

sammeln. Er gab ihnen Streitrosse, Waf

fen, Nahrung und Kleidung. Stolz und

Würde, Ehrfurcht der Nation, Bewunderung

der Fremden, beruhten auf einem zahlrci-

Page 53: Vom Adel

eben und tapfern Gefolge. Von fremden

Fürsten und Völkern empfing ein solcher

Edelmann Gesandtschaften und kostbare Ge-*

schenke. Seme eigene Nation führlo ihm

fleywillig Vieh und Flüchte zu, gab ihm

mehr Ackerfeld, und einen grösseren An-

theil an der gewonnenen Deute. W o ein

Strom (liefst, da eilt ein jedes Büchlein

ihm zu.

Bald lernten die Teutschen den Acker

bau von den Hörnern, und bald entstanden

unbewegliche Erbgüter, denn jeder Freje

oder Edle, erhielt und behielt als sein Ei

genthum, was ihm sonst nur jährlich ange

wiesen worden war. So entsprang das häss

liche Geschöpf Leibeigenschaft, und der

Übergang in den Stand der Edlen wurde

schwerer. Denn unbewegliche Güter lies-

ii sich nicht so leicht erwerben, als be

wegliche. Frey und vielleicht auch Edel

blieben jedoch immer, die reich genug wa

ren, Sklaven für sich arbeiten z u lassen, in

dessen sie auf einem Streitrofs, gewappnet

Page 54: Vom Adel

und gerüstet, Mutige Fehden ausfocliten.

So trennte sich nach und nach der holte

Adel von dein niedern; aus jenem wählte

man die Herrscher der Nation. Ein solches

Geschlecht war z. B. einige Jahrhunderte

später das Geschlecht der Agilolßngen in -

Bayern, welches alle Vorrechte des Adels

vierfach genofs. Wer einen aus dieser Fa

milie ermordete, mufste ein vierfaches Wehr

geld erlegen.

Als die Teutschen anfiengen römische

Provinzen zu erobern, da wuchs die könig

liche Macht, da sank des Adels Anselm.

Zwar konnten die ersten fränkischen Kö

nige nicht eigenwillig neue Grundgeselze

schaffen, nicht neue Auflagen heben, nicht

l'reyheit, Gut und Leben rauben; aber doch

eigenwillig Krieg und Frieden schhessen;

Gesetze geben; Edle richten; über Freye

nach Wohlgefallen Richter und Ilauptleute

setzen; Herzöge über ganze Länder bestel

let l ; Güter verleihen ; Freye und sogar Leib

eigene, zu Grafen und Bischöfen machen;

Page 55: Vom Adel

unter ihr Hofgesinde aufnehmen, und selbst

dadurch adeln.

Zuwachs an Einkünften, grofse Dornst*

nen, verbunden mit allen jenen Vorrechten,

machten den König immer mächtiger und

den Adel immer abhängiger. Mit der Erb

lichkeit der königlichen Würde verschwand

endlich der Unterschied zwischen hohem

und niederm Adel. Unter den Carolingerti

durfte kein reicher Edelmann mehr ein Ge

folge von Freyen und Edlen unterhalten.

Doch erhielt der alte Adel sich das Vor

recht, nicht von Bedienten des Kaisers, son

dern vom Kaiser selbst gelichtet zu werden.

So sucht der Abgebrannte sich einen Win

kel im Schutt seines Hauses, ruht unter

den Trümmern, und träumt von ehemaliger

Herrlichkeit.

Der Werth des Edlen stieg jezt nur mit

seiner Würde im Staate. Der dienstlose

Edelmann und der Freye wurden mit dem

selben W'ehrgelde bezahlt. Glimpflicher als

die Franken behandelte Carl der Grofse die

Page 56: Vom Adel

5g

Sachsen. Sie wurden nur von gebohmenM.

Sachsen ans den edelsten Geschlechtern be

herrscht. Unter ihnen gnlt das Gesetz t

»Keiner soll über seinen Sund heyrathen.

»Ein Nichtedler ist des Todes, der mit e i - A J

Ei

»uor edlen Frau oder Jungfrau sich ver-

»mählt.» Cut , dafs Lanze und Schwerdt,

Krieg und Mord, unserer heutigen Empfind

samkeit den Weg zu den Herzen jener ei

sernen Männer versperrten. Liebe unter

Gesetze beugen, heifst der Natur Hohn

sprechen. Unter Weibern sollte gar kein

Unterschied der Stände Statt finden; Wie

kömmt es denn, dai's gerade die Weiber am

öftersten dem Ahnenstolz als einem Götzen

huldigen? Schönheit ist der älteste Adel in

der Natur! sechzehn Ahnen vertilgen kein

Sommerspröfsgen.

Hatte gleich der Adel unter den fränki

schen Königen von seiner Würde verlohren;

so wurde doch noch immer der Kopf des

Edlen zwey bis dreymal höher geschäzt, als

der lies Freyen; denn dieser bearbeitete

Page 57: Vom Adel

Go

stin Eibgut selbst, und jener liefe es bear

beiten. Sonderbare Verirrung des mensch

lichen Geistes! du lebst vom Selweh.se dei

ner Brüder, folglich bist du mehr wert Ii als

jene; sie wachen, du schläfst; sie arbeiten,

du spielst; sie hungern, du schwelgst; folg

lich bist du besser als sie. Der faule Edel

mann inufste indessen doch auch etwas

thun, wenn er nicht in seinem Fette erstik-

ken wollte, er gieng auf die Jagd, und so

wurde diese ein Vorrecht des Adels. Aber

nie erniedrigte er sich so rief, das Land

selbst zu bauen, und so einzig als schön ist

daher das Beyspiel in Müllers Schweizer-

Geschichte. Ein Sohn AJbrechts von Ost

reich bewunderte einen Alten am l'lluge,

seinen schönen Sohn, seine raschen Pferde;

und das Erstaunen des Prinzen wuchs, als

er am folgenden Tage eben diesen Alten

als Freyherni von Hegenau mit vielen Knech

ten nach Hole reiten sah.

Ein Degen au der Seite, ein Falke auf

der Hand, bezeichnete damals den AdeL

Page 58: Vom Adel

Selbst En der Kirche sal's der Vogel auf seines Herrn laust oder Schulter. Der Schatzmeister der Cathedrnle zu Nevers hatte das Recht, gestiefelt und Respornt, g,-degi;et und gejälkt im hohen Chor zu singen. Der Mann mufs eine drollige Figur gemacht haben. — In den ältesten Zeiten trugen die P< Edlen längere Haare und Barte. Nach und nach maal'sten nur Könige und Prinzen sich dieses Vorrecht an, bis Ludwig der Siehente si im dreyzehnten Jahrhundert aus frommen Eifer sicli Haar und P.art bescheeren liefs. Seine minder fromme Gemahlin Leonore fand ihn so ungestaltet, dafs sie sich von Stund' an von ihm trennte, und durch ihre Vermählung mit Heinrich von der Norman-die den Saamen der Zwietracht zwischen Engländern und Franzosen ausstreute, welcher drey Millionen Menschen das Leben gekostet hat — Bey den Taxoyern unterschei- tt, dei si, I, die königliche Wurde durch Hmre^ in Gestalt einer Krone geschnitten, und durch lange Dauinnägel, welche nur der König

Page 59: Vom Adel

g)

tragen darf. Die Prinzen vom Geblüts dür

fen wobt lange Nägel an den Fingern tra

gen, aber nicht am Daumen. — Im vier

zehnten Jahrhundert wunden lange Schuhe

dos Kennzeichen hoher Geburt. Worauf

fällt nicht die menschliche Thorheir, wenn

es darauf ankommt sich geltend zu machen!

und was auf der Welt ist so gering und

schlecht, das nicht die Eitelkeit einmal zum

Ehrenzeichen stempelte! So wird der Kno

chen am Arm des Bewohners der Pelew-In

seln zum Ritterorden, und die Excremente

des Dalai Lama sind Heiligthümer. Drum

lachet nicht, ich bitte euch! wenn ein ge

bratener Guckuck den sterbenden Bewohner

des Berges Bala, oder eine pissende Kuh

den Indianer zum Heiligen macht. C'est

tont comme ebez nous. Könige und Für

sten trugen Schuhe die drittehalb Fufs lang,

waren, Barone und Dynasten nur von zwey

Fufs, gemeine Edelleute von anderthalb

Fufs. Daher entstand die Redensart: »auf

»einem grolsen Fufse leben.»

Page 60: Vom Adel

Die Macht der fränkischen Könige er

losch in den Bürgerkriegen zwischen Lud

wig dem Frommen und seinen Üöhneiu

Der miterdrückte Adel hob sein Haupt em

por. Die streitenden Fürsten verschenkten

Alles was sie hatten, tun ihre Anhänger zu

besolden. So verarmten die lezten Caro-

linger an Macht und Heichlhum; nur drey

Städte bliebe« Jmen in Frankreich übrig.

Bisher gab es nur Lehenstriiger der Kro

ne, jezt Übertrugen auch grofse Vasallen

Lehne an kleinere. Die Würden der Her

zöge und Crafen wurden unter Carl dem

Kahlen erblich; in Teutschland etwas spä

ter. Koch Heinrich der Dritte sezte in der

Mitie des eiliien Jahrhunderts Herzöge ab,

und Otto der Grofse machte Herrmann ßi-

ling ziun Herzog in Sachsen, der mehr Tu

genden als Leibeigene bewfs, deim seine

ganze Habe bestand in sieben Hufen Lan

des. Die Kriegslehne wurden erst im Jahr

10J7 durch ein Gesetz Conrad des Zweylen

erblich.

Page 61: Vom Adel

Doch elie noch Alles diefs geschah,

überschwemmten im Qten und loten Jahr

hundert, Saracenon, Nonnänner, Wenden

und Ungarn alle Provinzen des ehemaligen

fränkischen Reichs, verheerten Städte und

Klöster, ermordeten Weiher und Kinder,

und was das Schwenk nicht frafs, ward in

die Sklavcrey geschleppt. Plözlich wuchs

in Frankreich und Teutcldand aus jeder

Bergspitze ein festes Scldols hervor; anfangs

nur erhaut den Barbaren zu trotzen, bald

«MO* den wehrlosen Nachbarn (ürchterli

eher als Norma'nner und Saracenen. Raub

und Plünderung auf den Laudstrafsen ward

nun Sitte, die Bande der Gesellschaft lösten

sich, die Menschen giengen auf Beule aus,

wie die Ranbtlüere ihrer Widder, es ent

stand Hobbes Krieg Aller wider Alle. In

Italien mufste man sogar den Hof-beamteu

und Reichsständen, wenn sie au3zogeu den

Reichstag zu besuchen, gebieten: sie soll

ten, was sie nöthig hätten, fein für einen

billigen Prelis kaufen, wie es vormals Sitte

Page 62: Vom Adel

b'5

gewesen. Heutzutage raubt kein Hofbcam-

ter mehr. — Ein Erzbischof von Cölln, der Vrr, Ohio

eine neue liurg erbaute, und einen Burg

vogt hineiuseztc, ward von diesem gefragt,

wovon er leben söffe? da zeigte ihm der

Bischof die vier Landstrafsen, und kehrte

ihru den Rücken. Die Urspergische Chro

nik sagt: das Land sey unter dem .Nahmen

der Ritter voller Räuber gewesen. Vermö

ge der sogenannten Treuga D<'i ward fcstge-

sezt, dafs man wenigstens einige Tage in

der Woche Ruhe haben solle. Der Schwa

che ward Vasall des Stärkeren; der I.aud-

mann crgrilf freywillig die Leibeigenschaft,

um nur nicht ganz von seinem väterlichen

Erbe verjagt zu werden. So gerieth fast

alles unbewegliche Eigee.thum in die Gewalt

des Adels. Fünf Sechstheile aller europäi

schen Nationen waren Sklaven, deren Gü

ter, Leben und Ehre allein von der Gnade

<les Edlen abhiengen. Der Adel machte die

Nation. Heere von vielen Tausenden be

standen aus Umter Edellcuten. Ihre Anzah le .

E ,

Page 63: Vom Adel

war damals mindestens dreymnl gröfser als

jezt. Der Sachsen - und Schwabenspiegel

theilt den teutschen Adel in sieben Fleer-

schdde. Der Erste gebührt den Kaisern

und Königen; der Zweyte den geistlichen

Fürsten; der Dritte den Layen - Fürsten;

der Vierte den Freyherren; der Fünfte den

Mittelfreyen, das heilst: dein lnndsässigen

Adel, fürstlichen Vasallen; der Sechste den

Dienstleuten, Adelschülken. Dem Sieben

ten ist das sachsische Landrecht sehr ab

hold, denn es sezt darin: Pfaff-n, Frauen,

Bauern, Kaufleute und alle die unehrlich

gebohren sind, und sagt von ihnen: «sie

»sollen Lehnrecht darben, denn ihnen fehlt

»die Adclheit;» so lautet das alte teutsche

Wort.

Als Herzöge und Grafen erblich wurden,

da bildeten sie den holten Adel. Ihnen

wurden gleich geachtet die alten Edlen,

die schon zu der Carolinger Zeiten unter

der unmittelbaren Gerichtsbarkeit des Kö

nigs standen, und durch das Faustrecht

Page 64: Vom Adel

selbst so mächtig geworden waren, dafs jene-

umsonst versuchten, diese zu unterjochen;

denn auch die Dynasten waren Laudesher

ren und zählten Edle unter ihre Vasallen.

Noch heute ist der semperfreye Reichsadel

keinem Fürsten unterworfen; er ist ein

Reichsstand und geniefst alle Rechte eines

solchen. Noch heule giebt es Familien un

ter demselben, welche Städte und Dörfer,

mit hohen und niedern Gerichtsbarkeiten,

Parochialrechten u. s. w. besitzen. Ich nen

ne z. B. die Nahmen Riedesel, Ingelheim,

Sickingen, Dalberg, Görz, Schulenburg,

u. a. m. Arme wehrlose Edelleute nahmen

Hofdienste. Doch war die Grenzlinie zwi

schen hohem und niederm Adel noch lacht

gezogen; Vermahlungen zwischen beyden

keine Mifsbündnisse. Gräfinnen heyralhe-

ten genuine Edelleute, und die Wittwe si.Fo«.

Ludwigs des Dicken vermählte sich mit ei

nem edlen Montmorency. Fürstenkinder

aber, mit Frauen vom gemeinen Adel er- Maw,

zeugt, waren nicht successionsfähig; ausser

£ 8

Page 65: Vom Adel

da wo die Gewalt jeden Gebuitsllecken

tilgte, denn die Gewalt ist der InbegrüT al

ler Rechte.

Minder mächt ige zahlten oft Mitglieder

des hohen Adels unter ihre Burg- und

Lehnsmänner. Fürsten wurden Bischöfen

und Äbten dienstpflichtig, und •verbanden

sich sogar gegen Städte, oder gemeine Edel-

leute, auf einen bestimmten Tag zum Ein-

lager zu reiten, wenn sie ihre Schulde»

nicht bezahlen würde». Das that sogar

Kaiser Carl der Vierte gegen die Bürger zu

Speyer; denn Schulder! nicht bezahlen, war

damals unadelich. Wir lächeln der from

men Einfalt unserer Ahnherren. Die Zei

ten andern sich, und mit ihnen die Sitten.

Von schimpflichen Strafen war der holte

Adel eben so wenig fr-ey als der niedere.

Man glaubte damals noch, die schlechte

Handlung schände mein als die Strafe selbst.

Kaiser Friedrich der Erste verurtheilte ei

nen Pfalzgrafen am Rhein zum Hundetra

gen, und einen Erzbischof von Mayuz

Page 66: Vom Adel

schürte vor eben dieser Besdiimpfung nur sein hohes Alter.

Alle Edle hiessen damals nobiles viri. Keine Rangordnung theilte den Adel in Klassen. Ein Herzog von Lüneburg, ein Landgraf von Cassel, nannten sich schlechtweg Edler Herr zu Lüneburg, Edler Herr ~ii Cassel. Die Grafen von der Lippe schreiben sich noch heutzutage Edle Herren von der Lippe. Oft findet man in den Urkunden des Mittelalters, die Nahmen regierender He*rren hinter den Nahmen gemeiner Edelleute, Ritter hinter Knappen. Ein Blick auf die heutige Welt. Die Rechte des Adels schrumpften zusammen, und seine Titel wuchsen. Wir sind Grafen ohne Land und Freyherren in der Dienstbarkeit; aber Gott bewahre! dafs wir unsern Nahmen hinter den eines ehrlichen Bürgers setzen sollten.

Baro bedeutete in den ältesten Zeiten sc einen Mann, unter den Carolincem einen Herrn. Die Normanner brachten das Wort

Page 67: Vom Adel

nadi Frankreich, von da es nach England,

Italien und Teutschland ühergieng, Bar

heilst so viel als purus, idoneus; daher die

Itcdensarten: l/aares Geld, mannbar. Merk

würdig ist, dals dieses Wort auch unter

den Grimmischen Tatarn eine Klasse von

Edclleuten bezeichnet. Freyherr ist weit

jünger als Baro, und nicht gleichbedeutend

mit Dynast.

Als im zehnten Jahrhundert auch die

Lehne für Hof- und andere Dienste erblich

wurden, da theilte sich der niedere Adel in

den J'reyen und dienstpflichtigen Adel. Der

leztere nehudich diente am Hofe eines Für

sten als Marschall, Kämmerer, Truchsess,

n. s. w. und trug dafür Fürstengüter zu Le

hen. Auch fromme Fürsten sogar wurden

Dienstleute der Klöster und Stifter, Knech

te der Knechte Gottes, welche sich zu Her

ren aller Herren des Erdbodens aufwarfen.

'- Die Grafen von Hapshurg und Kirchberg,

waren vormals Dicnstmünuer des Ahls von

St. Gallen.

Page 68: Vom Adel

Diese Di.-ristinnnmchnfe des niedern

Adels war, beym Licht besehn, eine An

von Leibeigenschaft. Er durfte sich nur

mit Frauen oder Jungfrauen vermählen, die

seinem Herrn gleichfalls dienst|itlichtig wa

ren. Wollte er seine Töchter an Grafen

verheyrathen, so mufsteii sie vorher von

ihrem Herrn, oder gar vom Kaiser, freyge-

snrochen werden. Wer ein Kn'egslehii he-

safs, konnte sich in jedem Augenblicke frey

machen, indem eres zurückgab; cinDienst-

h-hn alier konnte man nicht so eigenwillig

zurückgeben. So wurden nach und nach

dienstpflichtige Geschlechter für weniger

edel als freye gehalten. Da aber goldene

Fesseln jede Sklaverey erträglich machen,

so bewarb der Adel sich dennoch mit Eifer

um eibliche Ilolamter, denn die damit ver

knüpften Vonheile waren grofs. Audi liti

ar, jene Einschränkungen ausgenommen,

nichts dadurch an seiner Ehre. Er ward

nach wie vor bey Turnieren und zur Rit-

tenvürde zugelassen; er war des Fürsten

Page 69: Vom Adel

gehöhnter Rath, half Bischöfe wählen, ward

oft als Schiedsrichter zwischen streuenden

Fürsten erkohren, und »chlofs sogar Bünd

nisse mit dem Landesherrn. Den Bischof

von Münster nahinen einst seine eigene

Dienstin Ünn er gefangen. In einer Urkunde

des fünfzehnten Jahrhunderts geloben zwey

Leibeigene eines Herrn von Ilheden, unter

dem Siegel ihres Herrn, den Bischof von

Halberstadt, die Herzöge von Braunschweig

und die Grafen von Wernigerode nicht zu

r- befehden. Den Herzögen von Pommern er-

theilteder Kaiser im Jahr ÖJ7 die Erlaubnifs,

Erbämter zu schaffen, mit der ungewöhnli

chen Bedingung: dafs diese Hofdienste den

Adel nicht schwächen, sondern erhöhen

sollten.

' Doch ein groTser Thcil des niedern

Adels schämte sich der Hofdiensie, ver

pflichtete sich ine einem Fürsten, und nahm

den Titel sempeifrey an. Solche semper-

freye Geschlechter waren es, welche sich

in Preussen, Pommern, und hier bey uns

Page 70: Vom Adel

in fjefland nieder«essen. Adeliche Redner, and Freiheiten waren und sind zum Theil folgende: Kein Edelmann durfte vor einem Unterrichter erscheinen. Er war frey von bürgerlichen Lasten und Abgaben, Frolm-tliensten, Steuern und Schätzungen. Heutzutage mufs er Prinzen - Reisegelder, Fräu-leinsteuer, Schlofsbau, Römermonate» Brandschatzung, Zoll und Accise, Eiurjuariirung u. s. W- tragen. Er durfte sich in der Kleidung auszeichnen durch Gold, Perlen, Scharlach, Sammt und Hermelinfutter. Er bette überall den Rang vor dem Nichtadelichen. • Er konnte, und kann noch, dem leztern verbieten, ein dem seinigen ähnliches Wappen zu führen. Er war und ist frey vom Biirgereide. Ihm gebührt die Jurisdiction auf seinen Gütern. Sein Ehrenwort galt als Beweis und Notariatsbekraftiginig. Wohl ihm! wenn er dieses schöne Recht nie mifs-hrauchte. Er durfte sich im Zweykampf herumbalgen, denn in den salischeu, fränkischen, sächsischen und schwäbischen Rech-

Page 71: Vom Adel

teil war es ihm ausch ü< [dich erlaubt. Er durfte bey Verbrechen von keinem Büttel angerührt, noch in uuterirrdischc Gefängnisse gesperrt, noch auf che Folter gespannt, noch auf die Galeeren geschmiedet, noch mit einer schimpflichen Todesstrafe belegt werden. Kaiser Joseph der Zweyte kehrte sich wenig an diese Vorrechte. Ein Bösewicht hört auf ein Edelmann zu seyn. So dachte er, und liefs den adelichen Bösewicht geissehi und SclüTfe ziehn. Mich dünkt, er hatte Recht. Schlosser meyiit, man sehe heutzutage nur noch einige Ruinen von der Schiedsmauer, welche ehemals den Adel vom Bürgerstande trennte, nehmlich in Ritterorden, Stiftern, Siaatsämtern, bey den Armeen, und im Hofcivkel. Wenn das Ruinen sind, so niufs man gestehen, dafs sie denen von Fahnyra gleichen.

Lebensart und Sitten bildeten bald die Edlen zu einer Menschenklasse, die sich nicht blos durch Rang und Reichthum, sondern auch durch körperliche Schönheit und

Page 72: Vom Adel

Starke, wie durch Geistesgröfse auszeichne

te. Die schweren Helme und Panzer; die

Lanzen, Schlachtschwerdter und Streitäxte,

deren behende Führung den Enkeln ein

Wunder scheint; die ununterbrochenen Lei

bes - und Waffen Übungen; der Genufs ein

facher, aber reichlicher Nahrung; die Woh

nung auf luftigen und gesunden Itergschlös-

sern; Krieg, Jagd und Ritterspiel; und mehr

als Alles das: Bcwufstseyn der Unabhän

gigkeit, erzeugten eine schöne kraftvolle

Menschengatlung an Leib und Seele.

Schon im zwölften Jahre zog der Mar

schall von Boucicaut in den Krieg. Ein

ungeheurer Flammlander schlug ihm die

Streitaxt aus der Hand, mit den Worten:

va teter, va enfant! (Geh Kind, und sauge

an der Mutter Brust.) Der bellende Knabe

stiefs ihm den Dolch zwischen die Rippen,

und antwortete : les enfans de ton pays se

jouent-ils ä tel jeu ? (Spielen die Kinder

in deinem Lande auch solche Spiele?) Sei

ne ritterlichen Thaten erwarben ihm schon

Page 73: Vom Adel

im 2iften Jahre die Marschalls würde} und

von seiner übermenschlichen Starke erzählt

man Wunderdinge.

In der Regel wurde aber der junge Edel

mann erst im ailten Jahre mündig, der

Nii'hteille schon im i/|teti, weil zum Feld

han kein höheres Alter erforderlich schien;

denn der mütterlichen Erde den Unterhalt

abgewinnen, heifst mit einem Freunde freund

lich handeln und wandeln, al«T der Ehre

mufs man ihre Lorbeerzweige abtrotzen.

Gegen das Ende des eilften Jahrhunderts

stieg ein Meteor am Horizonte herauf, und

leuchtete über ganz Europa. Der Ritteror

den entsprang. Man nennt Gottfried von

Preuilly als dessen Erfinder. Mit ihm wan

delte Hand in Hand ein schönes verschwi-

stertes Paar, eine bisher nie gekannte Rit

tertugend und Ritterehre. Die Crenzmauer

zwischen hohem und niederm Adel sank in

Trümmern, selbst der Iskhledle konnte

durch Tapferkeit die Ritterwürde erringen.

Fürstensöhne wurden Pagen und Knappen

Page 74: Vom Adel

berühmter Ritter, Bediente ihrer Herren.

Selbst Kaisers ohne, die noch nicht zu Rit

tern geschlagen worden, hiessen nur Jun

ker, die Ritler alieiu waren Herren, und

ihre Weiber Frauen, doniinne, Dames, Mes-

danies, alle übrigen nannte man Demoisel-

les. Von dem Ritter erwartete man zwie

fache Starke. Bey der Belagerung von Dün-

le -Roi im Jahr 1411 inufste ein Ritter acht

Faschinen tragen, und ein Knappe nur vier.

Schwerer war die Rüstung des Ritters als

die des Knappen. Jener focht nicht gegen

diesen, wohl aber konnte er mit Königen

im Turniere kämpfen, und sogar Könige zu

Rittern schlagen, wie Bayard mit Franz dem

Ersten rhat; ja es gab einst einen Kaiser,

Otto den Ersten, der die Ehre seiner einzi

gen Tochter durch den Zweykampf eines

Ritters bewähren liefs. Nur Ritter trugen

goldene Zierrathen und Kostbarkeiten, wa

ren frey von allen Zöllen, genossen Vorzü

ge vor Gericht, wurden zu Gesandtschaften

gebraucht, und durften, ohne Rücksicht auf

Page 75: Vom Adel

ihre Geburt, Anspruch machen auf Verbindungen mit dan ersten Häusern. Turnier-Könige, Herolde und Waffen - ParaCIauf erinnerten den jungen Flitter, der zuni Erstenmal ün Turnicr erschien, an die Thülen seiner Ahnherren. »Gedenke wessen »Sohn du bist!« riefen sie ihm zu: »und »schlage nicht aus der Art.» Der edle Jüngb'ng nahm weder Wappen, noch Feldlosung, noch Wahlspruch an; trug eine Decke über seinem Schild, damit sein Geschlechtswappen nicht sichtbar werde, bis Schwerdt oder Lanze die Decke zerhauen oder zerrissen haben würde. Oft liefs er auch den Schild ganz, weifs; Tapferkeit und Tugend mahlten ihm ein Sinnbild darauf. Die Turniergesetze lauteten fromm und einfällig also:

Wer ketzerischen Glauben hat .

Verachtet Kaiserlich Maniiai.

Wer Frauen jchiindt, schwächt eine Meid,

Wer Siegel fiilscht und schwört Meine: :

Wer »einen Herren lifst ta Koth,

Page 76: Vom Adel

Wer seiner Bctigenowin Riebt den Todt. Wer bestichlt Kirchen, Wmwen undWaysen, Wer uiiabgesagl tliut kriegen und reisen. Wer neu Zoll, Meut und Bescliwerd aufriebt. Wer olino Elie sizt, oder Elie bricht. Wer Fürkfluf. Wuclier, Wechsel ireibt. Wer nicht in edlen Stummen bleibt Jlii Heyrathen, oder »ein Geschlecht Niehl von vier Stammen edel brächt. Das irynd die xwülf Turnier - Stück Die der Kaiser ordnet mit Glück.

Icli wette, dafs naeli diesen Gesetzen wenig Edle im heiligen römischen Reiche turnier-fähig sind.

Ein Ritter mufste übfirdiefs andächtig Messe hören; den christlichen Glauben, Wittwen und Waysen beschützen; in keinem ungerechten Kriege dienen; keinen übermässigen Sold begehren; jeden Unschuldigen durch Zwcykampf befreyen; dem Kaiser gehorchen; das Teutsche Reich bey Ehren erhalten, und überhaupt vor Gort und Menschen ein untadeliches Leben führen. Schöne Pflichten! wie gern verzeiht

Page 77: Vom Adel

tili

man dem, der sie zu erfüllen vermogte, ein wenig Rauhheit der Sitten.

So wie die schwere Rüstrittg und die Lauts den Ritter vom Knappen unterschieden, so d?r Degen den Edlen vom Nicht-edlen. Sogar auf Reisen durfte der leztere sich nur mit einem langen Messer bewaffnen, und als Friedrich der Erste reisenden Kaufleuicn erlaubte, einen Degen bey sich zu führen, durften sie ihn doch nicht an ihre Hüften, sondern nur an den Sattelknopf hangen. Den Pferden, meynte man, könne man eher einen solchen Vorzug gestatten.

Digression. Warum ist das Schwerdt eine adeliche

Waffe? warum der Stock, eine verächtliche Wehr? Metall wird im Schoofse der Erde erzeugt, und Holz wächst über die Erdu hervor; warum ist jenes edler als dieses ? Das salische Gesetz, die Gesetze der Frisen und Longobarden, belegen denjenigen, welcher SiQcksehlüge ausdieilte, mit einer weit

Page 78: Vom Adel

m kleineren Strafe, als denjenigen, welcher

eine noch so geringe blutige Wunde ver

•ezte. Es gab Geldbufsen für einen, für

zwey, für drey Stockschläge. Heutzutage

gilt es gleich, ob man Einen odert hundert

Streiche empfangen hat. Karl der Grofse

verordnete den Zwey kämpf mit Stocken,

dessen sich in der folge nur Knechte be

dienten.

Die Ehre gebahr nach und nach ein Un

ding und lieh ihm einen Nahmen, für wel

chen der Ternsche noch heute kein Wort

hat: Point d homieur. Dieser Punct, oder tr

die Beobachtung alles dessen, woran die

Menschen den Begriff von Ehre geknüpft

haben, ist dem mathematischen Funde

gleich, der weder Holte, Dicke noch Lange

hat, sondern blos in der Einbildung besteht,

aber doch dazu dient, Himmel und Erde

auszumessen. Das Point d'honneur ist eine

Schimäre, diese Schimäre hält aber den im

Zaum, der sonst keine Gesetze kennt, und

für den auch der Zaum der Religion ein

F

Page 79: Vom Adel

blofser Zwirnsfaden ist, Der Ankläger trat

vor Gericht, fiter Beklagte sprach: jener habe

gelogen, der Richter gebot Zwey kämpf.

Daher die Sitte sich zu schlagen, so oft

man Lägen gestraft wurde. Wer sein

Wort gab, auf dem Kampfplätze zu erschei

nen) konnte es nicht zurückziehen; daher

die Heiligkeit des Ehrenworts. Die Ed

len schlugen sich mit Schwerdtern, die Nicht

edlen mit Stöcken; daher die Verachtung

welche den Stock traf; denn wer ei HÖH

Stockschlag empfangen hatte, war wie ein

Nichtedler behandelt worden. Bey den Rö

mern schändeten Stockschläge nicht, und

jener edle Grieche sprach: schlage mich,

aber höre l

Nur die Nichtedlen kämpften mit eat-

blöfstem Gesicht. Schläge in das Gesicht

konnten daher nur Nichtedle treffen, und

so wurde, eine Ohrfeige Schande.

Es ist interessant nachzuspüren, wie die

Meynungen der Menschen oft im dürren

Page 80: Vom Adel

fiplde Wurzel gefaffil, und. zu stanmügen

Bäumen herangewachsen sind.

Fortsetzung des abgebrochenen Kapitels.

Durch die Kreuzzüge wurden viele edle

Geschlechter ganz ausgerottet, viele ertchöpft

und viele zu Grunde gerichtet. Eine wohl-

iliiitige Folge davon war, dafs die Leibeigen

schaft erträglicher wurde, denn die Edlen

blieben nicht mehr mächtig genug, ihre Ln-

terthaneu zu drücken. So ist jedes Übel

in der Welt mit Gutem gepaart; so wird

oft Thorbeit die Mutter von Menschritgliick;

so tbeilt ein Blitz die schwüle drückende

Luft, und die Pflanzen wachsen.

Die Stünde übernahmen die Schulden 1

dar Fürsten, die Unterthanen der Stünde '

mufsten Steuern zaldeu, ued wurden dage

gen von den Fürsten geschüzt. Das Grund

stück war ein Eigeutbiun dessen, der es be

arbeitete. Allgemeine Leibeigenschaft dau

erte in Teutschland kaum ein einziges Jahr

hundert, in andern Ländern etwas länger.

Page 81: Vom Adel

"DJ« Knechtschaft," so spricht Meinen in

seinem historiseften Magazin, "war immer

"unter den edelsten Völkern der Erde nur

"ein vorübergehender Unnatürlicher Zu-

"stand, eine ha r t dauernde Krankheit."

Mit der Wiedergeburt des Standes der

Frejcn sank die Macht der Edlen, noch

mehr mit der Vervielfältigung und dein

Wachithum der Stiidte. Schon zu Anfang

des dreyzehnten Jahrhunderts zogen viele

edle Geschlechter in reiche und mächtige

Stvi'dte. Dort genossen sie Schutz und nah

men Theil an einträglichen Würden und

Lehnen. Der Kahme Bürger ward seihst

Fürsten ein Ehrennahme. Freylich zwangen

über/uütlüge Städte auch manchen armen

Edelmann, sich wider seineu Willen unter

ihren Schutz zu begeben, und schon im

Jahr ia5t klagten Fürsten und Herren auf

dein Ueichsmge zn Worms, vor Heinrich

dem Siebenten, laut den Lbermuth der

Städte an. Doch Klagen schaden nur dem

Schwachen, den Gewaltigen mufs mau durch

Page 82: Vom Adel

Gepult bekämpfen. Der Adel schickte sich

in die Zeit, verband sich näher mit den

Bürgern, führte sie an im Kriege und rich

tete sie im Frieden. Kaiser Heinrich der

Vogler sezte den neunten Mann aus der

Landritterschaft in die Städte, um sie gegen

die Einfalle der Hunnen zu schützen.

Bis gegen das Ende des fünfzehnten

Jahrhunderts ward der städtische Adel dem

Landadel gleich geachtet. Damals aber

beschlofs der Landadel zu Heilbroun, kei

nen städtischen Edelmann bey Turnieren '

zuzulassen, wenn er nicht vorher dem Bür

gerrecht entsagt habe. Von dieser Zeit an

sanken die Patricier, und erlangten nie wie

der gleiches Ansehn mit den edlen Güter

besitzern. "Woher dieser Hafs? diese Un

gerechtigkeit? Der Keim der Zwietracht lag

in Ungleichheit der Sitten und getheiltem

Interesse. Der Stadtadr.l beschüzte Handel

und Wandel, der Landadel zerstörte ihn.

Jener trieb seltener ritterliche Übungen, lief»

sich oft zu Gewerben herab, die man bisher

Page 83: Vom Adel

m

für unedel hielt, und vermählte sich mit

reichen bürgerlichen Dirnen. Auf einem

Turnier zu Onolzbach 1485 sezte der Adel

fest: ein Edler solle nicht von dem Tur

nier zurückgewiesen werden, weil er eines

Bürgers Tochter geheyrathet, doch müsse

ihm diese, zum Aufkommen seines Stam

mes, wenigstens 4 n °o Gulden Heyrathsgut

zugebracht haben. Jedes Jahrhundert wiefs

dem Reichthum einen Platz im Tempel der

Ehre an. Üb er durch die grofse Pforte

eingieng, oder durch eine iSebenthür schlüpf

t e , das gilt gleich; genug er war darinn,

er ist darinn, und wird darinn bleiben so

lange die Welt steht.

Dal < Ii- • fionori'S, Censtis anliiiiins; pauper nbifjiic \ncet.

Ovid. Lib. i. Fast.

Auch die Härte, mit welcher die Städte

einen adelichen Räuber zu strafen pflegten,

der in ihre Gewalt gerieth, erbitterte den

Adel immer mehr und mehr. Mit Zähne

knirschen sali er den eisernen Käfigt, in

Page 84: Vom Adel

welchem die Quedlinburger einen benach

barten Grafen eingesperrt liieiten. Der Adel

verband sich gegen die Städte, welche sei

ne Schlösser niederrissen und ihn zu vertil

gen suchten, wenn sie konnten. So ent

stand der berühmte Löwenbund, der Bund

der alten Minne, u. s. w. Jene Bündnisse

zu den Zeiten des Faustrechts, deren Ge

genstand iheils Schutz gegen Gewalt, theils

Handhabung von Hecht und Billigkeit war,

bahnten der Unmittelbarkeit des Adels den.

Weg. So entsprang der Bund der W'ette-

rnuischen Reichsstädte im Jahr i553 ; so

der Bund der Städte am Rhein; so die

grofse Einigung des fränkischen Adels im

Jahr 1404. Wer vorher die einzelne Ruthe

knicken konnte, versuchte nun umsonst das

Reisigbündel zu zerbrechen. Sehet da den

Ursprung der U ei chsr itterschaft sajnmt ihren

Cantons!

Bald lieng man auch an, Bürgerliche,

nicht blos um kriegerische» Thaten, sondern

um jeder öffentlichen 'Fugend willen, in

Page 85: Vom Adel

N

den Adelsland zu erheben. Schon Heinrich

der Sechste soll im Jahr njj8 hey einem

Turnier zn Nürnberg, acht und dreyfeig Fa

milien auf einmal geadelt liaben. Andere

glauben, die ältesten Beispiele solcher Stan-

deserhöluingen nur erst unter der Regierung

Karls des Vierten zu finden. Adebsbriefe ka

men im i4ten Jahrhundert auf. Kaiser

Wenccslaus der Thor, adelte Kramer und

allerley Gesindel. Auch seinein Nachfolger

Sigismund war Alles um Geld feil. Unter

dem Kaiser Ferdinand adelte man sogar ei

nen Schornsteinfeger in Breslau. Seit einem

halben Jahrhundert verstellt man auch die

Kunst, die Gebeine in der Gruft zu adeln.

Als im i^ten und i5ten Jahrhundert die

römischen Hechte in Teutschland Wurzel

schlugen, und rechtskundige Miinner den

F'ürsten unentbehrlich wurden, da öffnete

sich dem Verdienst eine neue Laufbahn.

Um eine Richterstelle ruhmwilrdig zu ver

walten, ward jezt mehr erfordert, als Erfah

rung, Biedersinn und gesunder Mensehen-

Page 86: Vom Adel

verstand. Die Doctoren der Rechte erlang- T. s

ten den Adel, wurden sogar in SlÜ'tern auf

genommen, und oft den Rittern vorgezogen.

Kaiser Sigismund pflegte /u sagen: er kön

ne in einem Tage hundert Ritter schlagen,

aber in seinem ganzen Leben nicht einen

Doctor machen. Sie nannten sich gelehrte

Kr/egsmärtner. Daher die artige gereimte

Redensart: arte et marte, htteris et armis.

Sie beriefen sich ferner auf verschiedene

Gesetzstelien, welche ich dem Leser schen

ke ; auf verschiedene Verordnungen der

Kaiser Constäntin, Ilonorius und Theodo-

sius; und endlich auf eine gewisse Glosse

über ein gewisses Gesetz, welche sagt: "die

"Wissenschaften führen den Adel mit sich."

Ob nun gleich diese Glosse da etwas so

vernünftiges sagt, als eine Glosse sonst sel

ten zu sagen pflegt; so sind doch heutzu

tage die Doctoren der Rechte nur Bürgerli

che, trotz aller vermoderten Kaiser, Gesetze

und Glossen.

Page 87: Vom Adel

Was endlich die ilhormacht des Landes-

lierni auf immer gründete; was den Adel

und die Stüdto in gleichem Grade nieder

drückte; war der Eatia[friede, oder die Ab

schaffung des Faustrecht5, die Einführung

des Feuergewehrs und die Errichtung sie-

scMou« bi : i - Heere. Das ganze Kriegswesen

nahm einen andern Gang. Die italienischen

Condottieri, die teutschen und französisehen

grofsen Banden, wurden meist von Aben-

iheurcrn aus allen Stünden angeführt. Die

Infanterie begann wichtiger zu werden,

durch den Gebrauch, welchen man von den

Schweizern machte. Der Adel war nur al

lein zur schweren Reitcrey geübt, wobey

mit minder Gefahr mehr Ehre zu erwerben

war. Die Erfindung d"S Schiefspulvers ver

ursachte, dafs diese Reitcrey nur eine Ne

benrolle zu spielen bekam. Diese Revolu

tion zerstörte den ganzen Plan der adeli

chen Erziehung. Sie machte auch den Tur-

nieren ein Ende, und so konnte der einzel

ne Ritter sich ausser dem Kriege dem

Page 88: Vom Adel

Volke nicht mehr darstellen und Ehrfurcht

abzwingen. Helme und I'an;er schü/nm

nicht mehr. W allen üb im gen, und mit il n

körporbchc Vorzüge verschwanden. Auf

klärung, Thätigkeit und Wohlluthcnheit der

ftiehlcdlen wuchsen. Der Edelmann ward

Unterthan so gut -ds der Bürger und Bauer.

Die Erziehung seiner Söhne und Enkel wur

de vernachlässigt, ihr Körper weichlicher,

ihr Geist schwächer. Der Glaube an Fort

pflanzung erblicher Tugenden erlosch. Man

stiftete politische Bündnisse, man heyrathete

ohne Liebe, man zeugte Kinder ohne Liebe.

Mit jedem Jahrhundert ward die Stammta

fel gröfser, und der Seelenadel kleiner.

Doch die Keime haben nur geschlum

mert. Unterdrückung weckt Verdienste.

Vormals gerechte Vorwürfe entkräftet der

heutige Adel durch Streben nach höherer

Vollkommenheit. Der Ahnenstolz klettert

nicht mehr auf dürren Felsen umher; die

Tugend hat ihm die Hand gereicht, und ihn

in die fruchtbaren Gefdde des Verdienstes

Page 89: Vom Adel

geleitet. Ich könnte große Kähmen nen

nen, aber die Bescheidenheit gebietet mir

Schweigen, und unverdächtiger Ruhm ist

nur für die Todten.

Der französische Adel.

Unte r den Galliern, spricht Cäsar, giebt es

nur zwey Klassen von Menschen, die Drui

den und die Eulen; alle übrige sind Skla-

DIOIRR- ven. Mit den römischen Wallen kam auch

DT«.ab*der römische Adi;l nach Gallien, und nistete DMI»»

üb<-r Jm sich ein, bis die Franken ihn verjagten. So

KUCO mischten sich die gallischen Ritter mit den Adel, hat

Morles- Hörnern, die Römer mit den Franken, und

d t - 6 die Franken mit beyden. Die Abkömmlin

ge dieser drey Nationen bilden den heuti

gen französischen Adel. Seine Geschichte

gleicht der des Teutschen. Ich will ein

Wort reden von seinen vormaligen, und

heutigen Rechten und Befugnissen.

i«no,u». Frank, frey, edel, adelich, waren vor-

q . a u . mals gleiclibedeutende Worte. Chevalier

Page 90: Vom Adel

bannerct (Panierherm) nannte man den

Edlen, der reich genug war, fünfzig besol

dete Kriegsknechte um seine Fahne zu sam

meln. Die Bachehers dienten unter der

Fahne eines andern Ritters, weil sie zu arm

waren, um selbst das Panier aufzustecken.

Die Schildknappen hiessen Ecuyers.

Der Edle diente nur zuRofs, drum durfte

auch nur er allein Sporen tragen. Die Rit

ter hatten deren von Gold, die Knappen

von Silber. Daher das Sprichwort: vilain

ne sait ce rpie valent eperons, (der ge

meine Mann versteht die Sporen nicht zu

schätzen.)

Der adeliche Kriegsgefangene bekam

doppelte Portionen. Afs und trank er mehr

als der bürgerliche ? ich weifs es nicht. An

den Unadehchen ergieng das Aufgebot sich

zu stellen, nur Tages zuvor; an den Edel

mann vierzehn Tage früher. Kam es dem

lezteren saurer an, Weib und Kind zu ver

lassen? ich weifs es nicht.

Page 91: Vom Adel

Nur der Edle besafs Lehne, nur er durfte

auf der Jagd faullenzeu. Die Edelfrau, die

einen Sohn gebahr, hörte von diesem Au

genblicke au auf, Besitzerin ihrer Guter zu

seyn; sie wurde nur Verwalterin derselben

im Nahmen des Sohnes; sie durfte nicht

veräussern, noch verpfänden, noch verschen

ken. Nur einen kleinen Theil, weniger als

ein Fünftel, konnte sie vermachen. Der

Edelmann hingegen, beerbt oder unbeerbt,

blieb Herr eines Drittels seiner Güter. Das

war auch eine von den Ungerechtigkeiten,

deren wir so manche an den Weibern be-

gelui, ohne einen Grund dafür zu haben.

Der junge Edle, der ein Weib nahm,

oder zum Bitter geschlagen wurde, erhielt

sogleich ein Drittel der Güter seines Vaters

und seiner Mutter. Ansprüche au sein Erb-

tbeil wurden erst in einem Jahre und ei

nem Tage gültig. Der Minderjährige

konnte gar nicht getii htlich belangt werden.

Der Edle schlug sich nur zu Pferde,

auch gegen den Nichtedlctt, wenn der lea ;

Page 92: Vom Adel

tere Angreifer war. Hatte aber der Edle

den Nichtedlen gelodert, so begann der

Zweykampf zu Fuß. Ist es ehrenvoller, sicli

zu Fufs oder zu Pferde den Hals zu bre

chen ? ich weifs es nicht.

Wenn der Herr, wegen Verbrechen sei

nes Vasallen, dessen bewegliche Güter ein

zog, so hatte der Vasall, weiui er ein Edel

mann war, das Recht zurückzubehalten sein

bestes Pferd, den Streithengst seines Knap

pen, zwey Sättel, ein Lastpferd, sein bestes

W'amms, Bette, Gürtel, Bing, Brust-und Bu-

scjiscldeyer seines Weibes, und eines ihrer

Kleider. Die Edelfrau, welche ohne Zu

stimmung des Lehnsherrn ihre Tochter ver

mählte, verlohr ihre bewegliche Güter; doch

liefs man auch ihr ein Alltagskleid, Ge

schmeide, Bette, Wagen, Pferde, und einen

Paradegaul, wenn sie einen hatte.

So lange der Edle selbst zu Felde zog,

war er*frey von Kriegssteuer, Auch nach

her gab er sein Vermögen nur nach Will-

Page 93: Vom Adel

kühr an, und man glaubte ihm, wie det

Geistlichkeit, auf sein blofses Wort.

Die Vornehmsten unter dem Adel Iiielien

einen Maal's - und Münxherrn. Einige mach

ten sogar Anspruch auf das Hecht, Fische

•und andern Mundvorrath für die Stadt Pa

ris, -wenn sie über ihren Grund und Boden

gingen, anzuhalten und verzollen zu lassen.

Nur der Edle durfte Sdbcrzeug über die

Grenze von Frankreich bringen, doch blos

zu eigenem Gebrauch.

Strenger hülste der Edle, wenn von Geld

strafen die Rede w T . Verbrechen koste

ten ihm Ehre und Ilepons cn Cour. Der

Nichtedle litt Leibesstrafen. In der Provinz

Daüpliine durfte man im Mause eines Edlen

seine Haabe nicht mit Arrest belegen. Auf

der Universität Angers zahlten die Nicht-

edlen eine jahrliche Abgabe von zwanzig

Sous; der Edle gab nach Willkühr, so viel

oder so wenig er Lust hatte. In dem Flek-

ken Carcassone steuerte er gar nichts zu

den Abgaben dieses Fleckens. Nur um

Page 94: Vom Adel

todeswürdiger Verbrechen willen tonnte er in Champagne mit der Tortur belegt werden.

Bey Verthedling von Präbeuden, Benefizen und dergleichen, hat der Edle das Vorrecht, die Zeit seines Studirens abzukürzen. Lernt er schneller? oder braucht er weniger zu leinen, als der Nichteüle? ich Weift es nicht. Sonderbar bleibt es immer, dal's der Edelmann mit gutem Fug und Recht doppelle Portionen speist, und mir halb so viel lernt, als der Nichtedle. Ein Gesetz Ludwigs des Zwölften, und verschiedene andere Verordnungen, überheben ihn vieler Mühe und Arbeit, Auch cvlauU das Lateransche Coueihum den Edelleuten und Gelelirten, mehrere Würden in derselben Kirche, mit Dispensation des Papstes zu besitzen.

Der Adel ist Steuer frey und entbunden von allen Zwangsgerechligkeiten und Frohn-diensten. Er trägt allein den Degen und ziert sein Wappen mit Helm oder Krone. Er ist Vormund seiner Kinder; sein Erbe,

Page 95: Vom Adel

selbst das bürgerliche, wird nach adebcheu

Rechten getliedt. l~iit<|uaitirung tragt er

nur im höchsten Nothiiill. Die edle Jung

frau, welche sich mit einem Nichtedlen ver

mählt, tritt nach dessen Tode wieder in

ihre adeiicheii Rechte.

Der adeliche Verbrecher wird nicht ge-

gcisselt. Seine Todesstrafe ist Enthauptung.

Nur Hochverrat!!, Raub, Meyneid und Zeu

genbestechung machen ihn des Adels ver

lustig. In peinlichen lallen hat der Adel

seine eigene Gerichtsbarkeit, und kann ver

langen, von der Grand-Chambre gerichtet

zu werden.

Da das Gesetz der Ehre, welches die

Natur dem wahrhaft Edlen in das Hera

schrieb, kräftiger winkt, als alle Zwangs

und Strafgesetze; so kann der französische

Edelmann seilten adelichen Schuldner vor

das Tribunal du Point d hon neu r laden, wel

ches bey dem Doyen der Marschälle von

Frankreich gehalten wird. Auch in Teutsch

land kannte man vormals ein sogenanntes

Page 96: Vom Adel

Ehrengeri.ht oder Ehrentafel; es war ge

bräuchlich in Preussen, Schlesien, Lausitz,

Böhmen, Ostreich, Wolfenhüttel, u. s. W.

unil wurde gehalten in Ehrensachen, oder

in Fallen, wo man den adelichen Stand ei

ner Person bezweifelte. Der beleidigte Theil

niufste das Gericht vom Laudesherrn erbit

ten. Zwölf Edelleute aus zwölf verschiede

nen Geschlechtern, deren keines des Be

klagten oder Klägers Wappen führte, also

mit keinem von ihnen verwandt war, safsen

zu Gericht, und wäldten unter sich einen

Ehren marschall. Schön war der Gedanke,

die Waage der Gerechtigkeit der Göttin der

Ehre in die Hand zu geben. Jene richtet

mit verbundenen Augen nach dem Cvttmt,

diese mit wachsamen Blicken nach dem lei

sen inneren Gefühl. Olt heilst die Gerech

tigkeit gut, was die Ehre verwirft; und die

se reiist oft den Lorheerzweig von der Stirn,

wenn jeno die Palrae des Friedens reicht.

Alan wird mir hier eine kleine Abschwei

fung vcrzeilien. Catharina die Grofse schuf

Page 97: Vom Adel

lOU

für ein ganzes Volk, was Frankreich und Teutschland nur der gebildeten Menschenklasse ungemessen glaubten. I c n r e d e von dem Gewissen.tgeri,ht; einem der schönsten Zweige in Cathannens Lorbeei kröne. Jede Provinz wählt den Edelsten ihrer Männer zum Gewissensrichter. Jhin sind Bey sitzer zugegeben. Allgemeine Menschenliebe, Achtung Für seine Brüder, Erleichterung der Menschheit sind seine schönen Gesetze. Jeder Unterthan kann in jeder Sache, zu jeder Zeit sich an ihn wenden; kann seine erste Klage an ihn geh »gen lassen, oder auch eine bereits vor andern Gerichten anhängig gemachte Sache, plözlich abbrechen and vor seinen Richterstuhl ziehen. Vor sein Forum gehört Alles und Nichts; denn müder Gewissenhafte stellt sich, der Gewissenlose darf ihn vorübergehn wie sein eigenes Gewissen. Aber die öffentliche Meynung brandmarkt denjenigen, der sich weigert, dem Gewissensrichter Rede zu stehn, und mir sind nur wenige dergleichen Falle be-

Page 98: Vom Adel

könnt. Wer sich seinem Ausspruch unterwirft, der kann nur an Gott appeliiren. Seihst jeder andere Richter, vom höchsten Tribunal bis zur niedrigsten Instanz herab, kann in Sachen, wo das Sunimum jus ihm vielleicht Summa injuria scheint, die Entscheidung verschieben, und mit Bewilligung hej'der Partheyen die geschlossenen Acten an das Gcn-issensgerieht senden, um von der Einigkeit zu heischen, was vielleicht das strenge Recht versagte. Wer weder Hochverrath, noch Mord, noch Raub begieng, und doch drey Tage gefangen safs, ohne verhört zu seyn; den befreyt das Gevws-sensgericlit auf der Stelle, und sein menschenfreundlicher Befehl mufs vollzogen werden, ohne eine Stunde zu sJiumen. *)

*> Der VriF.Mcr, Weher selb.u die Ehre bat, Ptüident •in« jti>j>cl!iitionsiiur*nz tu seya, (Ulf am Erfahrung veuicheto, dafs das Gew/itocmgericht mehr all einmal, *ar Zufri.denbeit teyder Parthejen, Streitsache., go-«AtlcWt tfatt, wo bey einem Unheil nach sirengem Recht ihm cki Heu 6eblotei haben «anie.

Page 99: Vom Adel

HeyJ Catharinen, Menschen/reunttmn l ich vermag ihr keinen schöneren Titel zu geben. Sie würkte durch diesen erhabenes Gedanken auF die Bildung aller ihre* Bürger, "Wenn die Zeil einst Alles was ich schrieb zu Staub zermalmt hat, o so verwahre d u , Muse der Geschichte! dieses einzige Blatt, auf welchem Cathurinens Nähme steht! Nenne dann mit dem ihrigen Bach den Nahmen des Edlen, den sein Vaterland zum Gewissensrichter wühlte: nenne den Nahmen Kurse/, und umwinde ihn mit einer Bürgerkrone.

Nach dieser Abschweifung, welche jeder Leser von Gefühl mir gewifs verzeihen wird, kehre ich zurück zu der Geschichte des französischen Adels. Er theilt sich, wie der teutsche, in hohen und niederen, in alten und neuen. Fürsten, Grafen, Marquis, Barons und Ritter bilden seine verschiedenen Klassen. Nur der wird zum alten Adel gerechnet, der seinen Adel seit dem Jahr i55o erweisen kann. Die Erklärung

Page 100: Vom Adel

vom fiten Febrti.tr 16G1 behandelt alle übrige als Bürgerliche, die nicht einmal steuer-frey sind. Ein behelmtes Wappen beweifst heutzutage nichts mehr. Jeder Narr MEt statt der Schellenkappe einen offenen Hehn auf sein Wappen. Der alte Adel wird Noblesse de nom et d'armes ( Nahmen - und Waffen-Adel) genannt, von der nlten Sitte, die A/i/irnc/i der Edlen im Heere laut auszurufen, und nach blutigen Schlachten ihre fVaffen als Siegeszeichen auf/.uthürmen. Der ßailly und Seueschall in Orleans, Mou-Kns und Blois, darf nur aus dem Nahmen-iind Waffen - Adel gewählt werden. Der sogenannte Turnier - Adel ist nicht mehr im Gebrauch seit i55o, als das lezte Turnier König Heinrich dem Zweyten das Leben kostete.

Vor Zeiten gab es vier Wege den Adel zu erlangen; durch die Wallen; durrh Lr-hm-guter; durch hohe Würden und Ämter: durch ein Diplom. Der Soldat ist heutzutage nicht mehr Edelmann;- nur gewisse

Page 101: Vom Adel

Grade, ujlii inii Dienstjahre adeln ihn. So

ei theilte auch dio Kaiserin - Könjginn von

Ungarn im Jahr 1757 jedem Ülficier den

Adel, der dreyfsig Jahre lang in ihrem Heere

untadelliaft gedient hatte. An den Besitz

von Lehiisgütern und Würden ist der Adel

ebenfalls nicht mehr unbedingt geknüpft.

Doch wenn Vater und Sohn adeliche Äm

ter verwaltet haben, so ist der Enkel ein

gebohrner Edelmann.

Der Adel geht verlohren durch Actes

de derogeance; (ungeziemende Handlungen)

dergleichen sind: mechanische Künste; Be

nutzung fremder PacLtgürer j Handel und

Wandel; erniedrigende Handthietuugen und

Ämter, von Schergen, Büttel u. s. w. Der

Handel zur See, und im Grol'sen, thut dem

Adel keinen Abbruch. Der Edelmann in

Bretagne, welcher Handlung treiben will,

erklärt förmlich, dafs er seinen Adel auf

eine Zeitlang schlafen lassen wolle. Ha

ben Vater und Großvater ihren Adel aut

diese Weise schlafen lassen, so kann der

Page 102: Vom Adel

Enkel ihn ohne Umstände wieder erneuern. Geschieht das aber nicht, so bedarf der Urenkel ein neues Diplom. Vormals ward der Adel durch den Hilterschlag ortheilt. Seit den Zeiten Franz des Ersien geschah es seltener. Doch findet man noch Beyspielc unter Ludwig dem Vierzehnten in den Jahren i6G?. und 1G76.

Hur der König kann in seinem Reiche adeln. Vormals mifsbra lichten dieses Recht Herzöge und Grafen, Bischöfe und Erzbi-schöfe, ja sogar Statthalter der Provinzen. Franz der Erste verlieh das Vorrecht zu adeln der Universiiiit Toulouse.

Die Geistlichkeit geniefst adeliche Vorrechte, wird aber darum nicht zum Adel gezäldt. Die ehrwürdigen Herreu der Diö-cesen von Autun und Langres machen zwar würcklicJi Anspruch darauf; denn was ist in der Welt, worauf ein Geistlicher nicht irgend einmal Anspruch gemacht hätte?

Das Schöpfenamt (Echevin) ist gleich den Decurionen der alten Römer, an man-

Page 103: Vom Adel

dien Orten mit dem Adel verbanden. Kail

der Fünfte adelte im Jahr i3yt alle Bürger

von Ptris. Heinrich der Zweyfe schränkte

diese Freigebigkeit im Jahr 1.I77 auf den

Prevöt der Kaufleute, und die vier Schöpfen

ein. Gloekenailet ist der des Maire und ver

schiedener Municipalbeamten. Man nennt

ihn so, weil die Versammlungen z.ur Wahl

solcher Beamten, durch Glocken angekün

digt werden.

Verschiedepe Amter und Warden adeln

ihren Besitzer sammt allen seinen Nachkom

men. Dergleichen sind: der Siegelbewah

rer, der Staatssecretür, der Staatsrath, der

Requetenmeister, die Parlamentsräthe von

Paris, Dauphin«';, Besanron, Dombcs n. s. w.

Es gilt gleichviel, ob der Adel durch krie-

gerische Thaten, oder bürgerhche Tugen

den errungen worden. Ehemals verband

man beydes. Das salischc Gesetz verordnet

ausdrücklich: »der Ritter solle sein Schild

»nicht ablegen, indem er Recht spreche.»

Woher der unbillige Vorzug, den in man-

Page 104: Vom Adel

chen Ländern, der Soldat vor dem Ricluer

geniefst? Er wagt sein Leben! höre ich alle

MartissÖhne rufen. Auch der Richter thut

dasselbe, nur nicht auf eine so glänzende

Weise. Jenen tödtet ein Seh werdt streich

auf der Stelle, und diesen foltert ein lang

samer Tod, der bey der nächtlichen Lampe

ihn beschleicht, wenn er für Bürgerglück,

wacht und arheitet. Mudi und Tapferkeit

Bedarf man nur im Kriege, Gerechtigkeit

aber in Krieg und Frieden; im Frieden, um

dem Kriege vorzubeugen; im Kriege, um

den Frieden zurück zu führen. Hohe bür

gerliche Amter *gauen daher nicht blos den

Adel, sondern auch die Ritterwürde, und

Froissart spricht von Rittern des Recfits.

Der Adel, der sich blos von der Mutter

herschreibt, wird Kunkeladel genannt. Er

war vormahls häufiger. Unter Ludwig dem

Heiligen konnte der Sohn einer adelichen

Mutter und eines unadelichen Vaters Lehne

besitzen. Charles de Montaigu, Crandmaitre

de France unter Karl dem Sechsten, war

Page 105: Vom Adel

nur Edelmann durch «eine Mutter. Karl

der Siebente adelte Jean d'Eguise, Bischof

von Troyes, seinen Vater, seine Mutter, alle

ihre Nachkommen, und erth eilte auch den

vreiblichcn das Recht, den Adel fortzupflan

zen. Wenn es wahr ist, dafs der Fürst den

nützlichen Bürger auch deshalb adelt, damit

er in seiner lezien Stunde mit dem frohen

Gedanken aus der Welt scheide, dafs er

allen seinen Kindern sauer errungene Vor

züge lünterlaTst; so finde ich es billig, dafs

der Adel in seiner ganzen Kraft auch auf

die Töchter forterbe, denn ein guter Vater

liebt seine Töchter eben so sein als seine

Sohne.

In Champagne genossen alle Weiber das

Vorrecht, den Adel ihrer Nachkommenschaft

railzutheilen. Man erzahlt, im Jahr 841 sey

der gröfste TheU des Adels jener Provinz

in einer Schlacht getödtet worden. Um

nun diesen Verlust zu ersetzen, habe man

den Weibern gestattet, sich mit Bürgerlichen

zu vermählen, und diese durch das Ge-

Page 106: Vom Adel

log

schenk ihrer Hand zu adeln. Andere su

chen den Ursprung dieser Gewohnheit in

noch - entfernteren Zeiten, als vielleicht die

freyen Weiber von Champagne Sklaven, eh-

lichten, ohne dafs die Freyheit ihrer Kin

der dadurch gefährdet wurde. Aber das

Gewohnheitsrecht von Meaux sagt ausdrück

lich : la verge nnnoblit, le venire nffranchit.

Doch gleichviel wie diefs Recht entsprun

gen sey, genug es galt; nicht allein in

Champagne, sondern auch in Meaux, Sens,

Artois und St. Michel. Der wahre Ade!

wollte jedoch den Kunkeladel nie anerken

nen. Es entstand im Jahr täoQ unter Lud

wig dem Dreizehnten ein Procefs darüber;

bevde Thcilc schrieben sich müde, alle ihre

Schreibereyen wurden bey Seite gelegt, und

die Sache blieb unentschieden. Jedoch er

kannte ein Arret noch im Jahr iy85 den

Söhnen einer Edelfrau in Champagne und ei

nes imadebchen Vaters, adeliche Rechte zu.

Das bekannteste Bey spiel eines solchen

Adels von mütterlicher Seite, ist die Nach-

Page 107: Vom Adel

komraenschaft des IfÜdgeus von Orleans,

Jeanue d'Are, welche Karl der Siebente aus

Erkemitlichkcit für ihre wichtigen Dienste,

Staunt allen ihren Verwandten adelte, und

ihr den Nahmen du Lys gab. Auch die

Töchter pflanzten den Adel auf ihre bür

gerlichen Gatten fort, bis Heinrich II, Hein

rich IV und Ludwig XIII dieses Vonecht

auf die männliche Linie einschränkten. Ähn

liche Hechte genossen, nach dem Zcugnils

des Justus Lipsius, die Töchter sieben edler

Familien in Löwen.

Es giebt noch eine sonderbare Gattung

von Adel in Frankreich, der Glasadel. Eine

alte Sage nehiulieh behauptet, nur Edelleute

dürften Glas blasen, Gewifs ist es, dafs in

den meisten Glasfabriken Edelleute diese

Arbeit verrichten, und kernen Hin gerlichen

neben sich leiden. ludessen giebt das

noch keinen Deweis für den Adel, obgleich

la Fioque selbst es zu glauben scheint. Im

Gegeiuheil baten unter Philipp dem Schö

nen und seinen Nachfolgern verschiedene

Page 108: Vom Adel

Edelleute tun Dispensation, Glasfabrilten anzulegen. Wozu das, wenn es dem Adel nicht Abbruch [hüte? oder wenn es ihn gar verliehe? Kaiser Theodosius befreyte die Clasfabrikaiiten von vielen öffentlichen Lasten; aber er tliat es nur, um diese nützliche Kunst aufzumuntern.

Nachdem die Kreuzziige einen grofsen Theo des Adels weggerafft halten, fand Philipp der Kühne für gut, viele bürgerliche Familien in den Adelsland zu erljeben, und dadurch das ßeyspiel seines Vorgängers Philipp des Schönen nachzuahmen, welcher zuerst im Jahr tayo Ravul l'orfevre (das hiefs : den Silbcrbewahrer, Silbcrkimi-merer seines Hauses) durch ein Diplom adelte. D'Hozier in der Histoire d'Amanze, führt zwar schon ein solche-; Diplom vom Jahr 1008 an, aber die Ächiheit desselben ist sehr verdächtig. Andere wollen, den ersten Adelsbiief habe Philipp der Erste im Jahre logf» ertheilt, an Eudes, den Mähe, genannt Chalo S. Mais.

Page 109: Vom Adel

Nach und nach bediente mau sich die

ses Mittels als einer Finanzoperation. Kar)

IX machte zu verschiedenen Zeiten zwey

und vierzig Edelleute für Geld. Heinrich

III schuf tausend auf einmal, und Ludwig

XIV achthundert, zweyhundert, und hun

dert zu gleicher Zeit. Man hatte einen

Vorrath von Adelsbriefen für ausgezeichne

te Verdienste, in welchen nicht einmal der

Nähme ausgefüllt war; gleich einer Geld

anweisung : »dieser Adel wird dem über-

»bringer dieses ausgezahlt.» Reiche und

woldhabende Leute wurden gezwungen, sich

adeln zu lassen. Richard Graind'orge, ein

berühnuer Ochsenhändler aus dem Lande

Auge in der Normandie, mufste im Jahr

i ,̂ 77 wider seinen Willen einen Adelsbrief

mit jo,ooo Livres bezahlen. So rauhte der

Fürst sich selbst das schone Recht, durch

Ehre zu belohnen; denn was ein Ochsen

händler kaufen kann, und kaufest muß, ist

keine Ehre. Heinrich der IV. widerrief im

Jahr söoH allen Adel, der für Geld eriheilt

Page 110: Vom Adel

«i5

worden. Er widerrief aber auch diesen Wi

derruf 1606. Ludwig XIII und XIV erkann

t en den bezahlten Adel für ungültig. Das

hiefs mit dürren Worten: unsere Vorfahren

haben mit falscher W aare gehandelt. Ein

Kaufmann, welchen der Kauler auf solchem

Betrug ertappt, mufs wenigstens das Geld

zurückgeben; nicht also die gekrönten Kauf

leute. Sie vergessen, dals der Nachfolger,

wenn man Vertrauen zu ihm haben soll,

halten mufs was der Vorfahr versprach; sie

vergessen, dafs, obgleich es rühmlich ist,

keinen erkauften Adel zu dulden, man doch

ein wolderworbenes Recht nicht eigenwillig

vernichten kann. Der Fürst hat nun einmal

diese Münze für Gold gestempelt; soll sie

nicht mehr gelten, so wechsle er sie ein;

und ist seine Schatzkammer nicht reich genug

dazu, so lasse er sie noch langer aus einer

Hand in die andere laufen. Ein ächter Ken

ner wird ach doch nicht damit besudeln.

Um der Vorrechte des Adels vollkom

men tlieühaftig zu werden, mufs das Diplom

H

Page 111: Vom Adel

in der Chamorc des Comptes und in der

Cour des aide» registrirt worden seyiu

Man gelit bey der Almenprobe selten

über acht Ahnen; nur die Teutschen und

Niederländer wollen mit sechszelm belogen

seyn.

Hier steht mit wenig Finselstrh hen ein

Bild des vormaligen französischen Adels.

Wie der Knaben Mutlrwille diefs schöne

Gebäude in uusern Tagen zertrümmert hat,

das weifs Jedermann. Aber auch seine flui-

neu sind noch ehrwürdig. Eingedenk ihier

schönen Pflicht, der Treue gegen ihren

Monarchen, kehren die Edlen von Frank

reich mit blutenden Herzen dem väterlichen

Heerd den Rücken, und fliehen ein Land,

wo die Frey hei t sich in Bürgerblut berauscht.

Der Reicbllium, den sie mit sich nahmen,

war die Ehre. Vergessen mögen sie ihre

Ahnen, vergessen die Verdienste ihrer Vor

fahren; sie bedürfen deren nicht länger, sie

sind geadelt dun h sieh seihst.

Page 112: Vom Adel

Bruchstücke aus der Geschichte des

• übrigen europäischen Adels,

D a Ursprung, Fortpflanzung und Sitten

des Adels, unter den übt igen eurojWuschen

Nationen sich gleichen; so werde ich den

Leser nicht durch Wiederholungen ermü

den, sondern nur abweichende Thatsachen

ausheben.

In Spanien ist der Adel zalilmich und v

arm. Mancher Ritter geht hinter dem Pflu

ge. Aber er steckt ein paar Hahnenfedern

auf den Hut, hat Mantel und Degen neben

sich liegen, und läfst den Plhig sofort ste

hen, schwingt llugs den Mantel über die

Schulter, fafst den Degen unter den Arm,

streicht den Stutzbart, und thut als ob er

wie ein Cavalier auf dem Felde spaziere,

wenn ein Reisender vorhergeht. Mau un

terschied vormals daselbst Panieradel und

Kesseladel. Der Erstere ward so genannt,

weil er seine Vasallen unter dem Panier

versammelte. Der leztere, die ricos hom-

Page 113: Vom Adel

:

I

bres (reiche Männer) ersezten, wie es von

jeluW Sitte war, Tugend und Tapferkeit

durch Geld. Sie fütterten diejenigen, wel

che mit ihnen in den Krieg zogen, aus

grofsen Kesseln, daher die Benennung Kes-

seladel. In Castdien, Leon, Arragonien,

Portugal!, Navarra, und andern spanischen

Staaten, tragen viele grofse Häuser Paniere

oder Kessel in ihren Wappen, als Zeichen

eines alten glänzenden Ursprungs. Der

hohe spanische Adel theilt sich heutzutage

in Grafen, Markgrafen, Herzöge und Gran

des. Sie werden Titulados genannt. Der

niedere Adel besteht aus Cavalleros und

G„i[- Hidalgos. In Spanien, wo sonst eben nicht

Vatfc.' V ' G ^ Gutes geschieht, hat man vor Kurzem

•MUH. einen Versuch gemacht, die Zigeuner, und

andere umherstreifende Müssiggänger zu gu

ten Bürgern umzuschalten. Eine Familie,

die drey Menschenalter hindurch einen nütz

lichen Nahrungszweig betrieben, darf An

spruch auf Belohnung, Elire, und sogar auf

den Adel inachen.

Page 114: Vom Adel

i i 7

* * Iii der Republik Genua trtheih man

auch den Adel par aggregation, das heilst: man nimmt Familien in den Adel auf, sie werden demselben gleichsam eingeimpft. Diese Gewohnheit begann im Jahr 1^28. Man zahlte In Genua nur acht und zwanzig alte Häuser; aber vier hundert zwey uud dreyfsig, welche diesen zugesellt worden.

Auch in Floren: that man dasselbe nach Vernichtung der Republik. Die Aufgenommenen wechselten Kähmen und Wappen. In Neapel herrscht seit dem Jahr i3oo diese Sitte, gleichwie in Mantna und ganz Italien. Das Haus Gonzaga hat mehrere Familien sich eingeimpft. Lucan erzaldt dasselbe vom Adel von Ragusa. Er nennt als Beyspiele die Grafen von lilageay und Cathasa.

* *• DJC Doctoren der Rechte werden auch

in Italien dem Adel gleich geschürt. In

Page 115: Vom Adel

u S

Moyland mufs sogar ein solcher schon Edelmann seyn, um Anspruch auf den Doctor-Imt machen zu dürfen. So erzählt Paul de Morigia.

In Florenz unterscheidet man den Seidenadel und den Wolleuadcl. Der Erste ist angesehener als der Lezte. Verinutlilich entsprang diese Benennung von den verschiedenen Kleidertrachten ; 0*00X1 die Klage : das Kleid macht den. Mann, ist sehr alt.

In Biscaya, Chiary in Piemont, und an einigen Orten des venetianischeu Freystaais, giebt es Lacaladel; das heifsl : solcher, der auf dem Orte haftet, wo man gebohren wurde. Als ob nicht jede Handbreit Erde gleich edel wäre. Man kann in Tempeln sündigen, und in Häusern der Freude edle Tha-ten tbun.

In den Gebirgen von Piemont und in der Grafschaft Nizza siehet man die Uber-

Page 116: Vom Adel

reste grober adehcher Familien, die gegen

wärtig blofse Bauern sind, aber sich viel auf

ihr vornehmes Haus, und wohlodelgebohr-

nes Blut einbilden. Ein Reisender, der bey

einem solchen adelichen Bauer übernachtete,

hurte einen Vater seinen Sohn fragen: »Rit-

» te r ! hast du die Schweine gefüttert?».

* *

Die Schweizer schätzen nur denjenigen

Adel, welcher schon vor Veränderung ihrer

Regiei iingsforra exislirte. Oder eigentlicher

zu reden: die Alpemepublicaner schätzen

den Adel gar nicht.

Auch die Italiener und Spanier fodern

nur acht Almen. In dem (irden du Crois-

sant, welchen Benö, König von Sicilien und

Herzog von Anjou, im Jahr 1448 stiftete,

wird die Aluieuprobe gleichfalls nur auf acht

festgesezl.

I l *

Der portugiesische Adel ist nicht erb

lich. Der König verleyht die Titel Graf,

Page 117: Vom Adel

Marrjuis, Herzog, auf eben die Art wie in

England der lUtterstond ertheüt wird. Auch

dort werden diese Klassen, wie in Spanien,

Tittdados genannt. Oft ist der Vater beti

telt, und der Solin nicht; oft umgekehrt.

Die Edlen von Portngall sind stolz, und die

Weiber, wie gewöhnlich, am stolzesien.

En. i« Emanuel de Farca^ ein portugiesischer

Schriftsteller, sagt: der Adel dünkt sicli Gott

gleich; die Frauen lassen sich von ihren

Miidgen nur kniend bedienen, und eben so

müssen auch andere gemeine Leute zu ih

nen reden. Es bleibt ein moralisches Pro

blem, warum die Weiber immer stolzer sind

rds die Manner. Wenn wir Herren Marcus

Herz glauben, so sondert sich der Nerven

saft in ihren Köpfen schneller ab, und sie

sind leichter zum Schwindel geneigt. Män

nerstolz ist unerträglich und verdient einen

Blick der Verachtung; Weiberstolz ist lii-

cherÜch, und verdient die Ruthe.

Page 118: Vom Adel

Der •venetianische Adel ist gröfstentheiU <

arm, oft so arm, dafs er im fünften Stock

werk, zur Mietae wolint, seine Lebensmittel

selbst ein!..:: .: und zubereilet. Er lebt al

lein vom Verkauf seiner Wabistimme, die

der Ärmste gleich dem Reichsten im Senate

giebt, und die sein kostbarster, Vorrecht ist.

Mit dieser Aimuth paaren sich Ilochmuth

und Insolenz. Er schäzt sich Fürsten gleich,

und blickt herab auf die ältesten Famihru

des festen Landes. Er darf nie körperlich

angetastet werden. Er speyt zum Zeichen*

seiner Hoheit im Schauspiel dem Volke aus

den Logen auf die Köpfe. — Zuwcdeii öft-

net der Senat das goldene Buch, wie er j

solches noch im Jahr 1775 gethan. Dieses

Buch heilst vermuthlich so, weil es Gold

einbringt; denn man schreibt die Nahmen

der neuen Edlen hinein, und das ist eine

Finanzoperation. Im le/ten Türkenkriege

war der Preifs 10,000 Zechinen. Damals

liefs mancher reiche Kaufmann sich zum

Page 119: Vom Adel

•aa

Nobile umschaffen. Das leztemal aber vcr

langte man blos Mitglieder aus dem Adel

des festen Landes. Die Bedingungen waren:

vier Almen: 10,000 veneiianische Ducaten

Einkünfte; und ein beständiger Aufenthalt

in der Stadt Venedig. Der lezlere Punct

schreckte viele ab. Wehe dem Staat, der

Ehra •verkaufen mufs, um seinen Schatz zu

füllen! Rein Hiilfsmiltcl wird leichter er

schöpft als die Ehre.

Der forentinisehe Ad.-l war zu den Zei

ten der ersten Medicis reich, denn er han

delte; j'ezt ist er arm, denn er schämt sich

des Gewerbes, welches der grofse Gosmus

trieb. Der Handel in Livorno würde ihm

grofse Vortheile darbieten; aber er associirt

sich lieber mit Krämern in Florenz, uud ist

so herablassend, den Wein selbst in I'allä-

sten Flaschenweisc zu verkaufen. Er macht

wenig Aufwand, und dennoch steht seine

Ausgabe in keinem Verhältnife mit seiner

Einnahme.

Page 120: Vom Adel

1*3

* V" Der neapolitanische Adel besizt itinf

Versamwliingsliallcn, und theilt sicli daher

in fünf Höfa oder Seggi. Jede Halle fiihri

ihre eigene Devise und Panier, zu jeder

zählt sich eine gewisse Anzahl adelicher

Geschlechter. Diese wählen ihren Kyndi-

cus, welcher sie zusanunenherufl, über ihren

Statuten wacht, die Befehle des Staatsraths

empfängt, sie in den Hufen registriren lafst

und Gegenvorstellungen macht, welche ge

wöhnlich nichts fruchten. Denn in Neapel

gilt nur Ein Gesetz, des Königs Wille.

Luxus und Mangel paaren sich unter dem

neapolitanischen Adel. Man läfst vier Läu

fer vor sich hertreten, sich von vierzig Be

dienten aufwarten, man hält fünfzig Pferde

auf dem Stalle, und der Haushofmeister

weifs oft nicht was er seinem Herrn zu Mit

tag vorsetzen soll. Von Zeit zu Zeit wer

den sogenannte Ricevimenti gegeben, wo

drey bis vierhundert Personen zusammen

kommen, und sich an Biscuit satt essen. —

Page 121: Vom Adel

Nur im Mittelstände findet man dort, wie

überall, ächte Tugend, wahres Glück.

* Der Katholische Allel hat grofse Vorzü

ge vor dem Protestantischen. Dieser schämt

sich seiner geistlichen Würden; aus jenem

werden Churfürsten und Fürsten gewählt.

Die Kirchenverbesserung hat also dein teut-

sehen Adel grolsen Schaden zugefügt, und

überhaupt die Menschen nicht um ein Ffaar

gebessert, weil sie nuu und nimmermehr zu

bessern sind. An Gottes Schöpfung mei

stern, ist eine undankbare Mühe. Vollkom

menheit Legt vielleicht im Keim des Men

schen; wohl u i i i , wenn sie hieniedeu Frucht

anscztl aber reife Fruchte sind nicht für

diese W e l t

In England gab es vormals Edle, Freye

und Sklaven. Thons nannte man die Er-

steren; Cocrles die Zweyten, deren manche

Ackerbau trieben; und Villains die Lezle

ren . deren Stand am zahlreichsten war.

Page 122: Vom Adel

is 5

Wilhelm der Eroberer führte das Lehnrecht

ein, und schuf zwo Gattungen von Baronen,

deren erste Klasse unmittelbar unter dem

König Stand, die zweyte aber ihre Güter

von den grofsen Baronen zu Lehn trug. Im

Gefolge der Lehnsverfassung erschienen wie

gewöhnlich tausend Md'sbrüiiche. Die Ba

rone wurden den Fürsten furchtbar; das

Volk bestand aus Bettlern und Sklaven; die

Städte wurden von dem beherrscht, in des

sen Gebiete sie lagen; Verachtung drückte

den Handel, Künste und Wissenschaften

schlummerten, die Edlen schmausten, krieg

ten und zogen "auf die Jagd. Die grofse«

Barone hatten einen Hof, Hofämter, Mar

schälle, Kaminerherren, drückten hier das

Volk, rieben sich dort an den Fürsten, und

wurden von bcyden gehafst. Die Ndrmün-

ner brachten in England die Zunahmen auf,

und zu Richards des Ersten Zeiten kamen

die Wappen in Gebrauch. Geadelt ward

auch der freye Landmann, der fünf Hufen

Landes erworben hatte, eine Kapelle, eine

Page 123: Vom Adel

Halle, eine Küche und eine Glocke besals.

Jezt theilt sich der hohe englische Adel üi

fünf Klassen: Baron, f'iscount, (Vicomte)

Eail, (Graf) Marauis, Duke, (Herzog). Sie

führen alle den Titel Lord, und der älte

ste Sohn hat Sitz und Stimme im Oberhäu

te. Der niedere Adel heifst Gentry, ein

Glied desselben ein Gentleman; doch wird

heutzutage jeder rechtliche Mann Gentle

man genannt. Die Stufen des lüedern Adels

sind Baronet, K night, (Ritter) Esnuire.

Der Titel der Ersteren ist erblich. Ritter

schafft der König. Esquire darf sich ein

Jeder nennen, der 5oo Pfund Sterling jähr

licher Einkünfte aus seinen Landgütern

zieht. * * *

Noch leben unter den* ukrainischen

Adel einige alte Geschlechter, von den Zei

ten her, ehe das Land unter polnische Herr

schaft gerieth. Ihrer sind wenige. Der

polnische und russische Adel hat sich un

ter sie gemischt. — Der Hettmanii der

Page 124: Vom Adel

i z 7

Cosacfceii mufste Soldat und von guter Ge

burt seyn. Ohne Einwilligung des hohen

Adels, der neun Starscliinen- durfte er nichts

unternehmen. Verbrecher dieser Starsclünen

konnte nur der Zaar bestrafen.

Der dänische Adel hatte ehemals grofse

Vorrechte, welche nach Einführung der sou-

venünen Regierung erloschen sind. Der

neue Adel wurde dem alten gleich gesezt;

Ämter, Würden und Titel, durch eine Rang

tabelle von neun Klassen bestimmt, vcrlcy-

hen des Adels Vorrechte. Seit 1C71 schuf

mau in Dannemark Gralen und Freyherreu.

* *

Der schwedische Adel ist der erste

Reichsstand. Grafen und Freyherren, wel

che man in Schweden seit i^Gi kennt, ge-

niessen keine Vorzüge vor dem übrigen

Adel. Der König ertlieilt den Adel nur

sparsam, weil ausgezeichnetes Verdienst

überall nur sparsam gefunden wird. Im

Jahr 1755 enthielt die Reichsmatrikel 06

Page 125: Vom Adel

So habe ich denn ans der Geschiebte

aller Länder und Nationen erwiesen, dafs

überall, in jedem Winkel der bewohnten

Erde, der Mensch den Unterschied der

Stände kennt und ehrt. Wer drang ihm

diese Uberzeugung auf? wer war sein Lehr

meister, Wenn es die Natur nicht war? Ein

allgemeines r>oruriheil hört auf ein f'rtr-

urlheil zu seyn, und wenn die ganze. IVelt

Unrecht hat, so hat i'ermutklich die gan

ze IVelt Recht. — Jezt wilLich versuchen

zu entwickeln, wie diese Begriffe entstehen

konnten und mufsten; wie sie nach den

Gesetzen der Natur entstehen sollten, und

wie sie mit der Vernunft sich paaren.

gräfliche, 2̂ 7 freyhoniiche, ig5/, Ritter-und

adeliche Geschlechter, wovon aher viele er

loschen, oder im Reiche nicht mehr ansäs

sig sind.

Page 126: Vom Adel

tag

Z W E Y T E S K A P I T E L .

Vorzüge und Gebrechen der Seile pflanzen lieh

t'\>rt wie die des Körpers.

F o r t « creantur fort ihn» et bonit,

Est in juveiicii, eil in eijuis iinriun

Virlus, nec imberÜIcm leroces

Progei te Iii Ii t n'[liilae ttilumbatn.

S t a r k e werden nur von Starken gebehren,

Adler brüten keine Tauben aus. Der Esel

pflanzt seine Trägheit fort, und der Fuchs

seine List; der Löwe seine Stärke, und der

Mensch seinen Adel. Der philosophis< he W

Arzt Weikard erzäidt, es habe nicht allein

ganze 1.1111 d ien mit vier und sechs Fingern,

oder Horngewächsen, sondern auch ganze

Familien von Selbstmördern oder Dumm

köpfen gegeben. ' W e n n , ' " sprach Supio

vom Metellns, "wenn seine Mutter noch

I . "

Page 127: Vom Adel

i3o

"die fünfte Frucht gebühren sollte, so ist "es Sicherheit ein Esel."

Können Eigenheiten des Körpers, wie

Finger und Hörner; können Erscheinungen

der Seele, wie Selbstmord und Dummheit,

in ganzen Geschlechtern .sich fortpflanzen;

warum nicht auch Seelengröfse? Seelen

adel? Der Mensch hält sich berechtigt, von

dummen Eltern einen dummen Sohn zu er

warten; warum nicht auch von edlen El

tern einen edlen Solln?

Was ist die Seele? o wer weifs das? —

Trenne die Eisenerde von ihrem Phlogiston,

und der Magnet zieht das Eisen nicht mehr

an. Trenne die Bestandtheile des Kürners,

und der Mensch denkt nicht mehr. Ein

aufgetriebener Darm löscht der Seele gött

liches Licht aus. Aber die Seele sey im

merhin ein Geist oder die feinste Materie;

so wird und mufs doch jeder Zweifler zu

geben, dafs jenes denkende Wesen, wel

ches moralische Handlungen bestimmt, durch

Page 128: Vom Adel

die vollkommnere oder unvollkommnero ("Or

ganisation des Körpers, bald eingeschränkt,

nnd bidd mit frcyerer Wirksamkeit ausge

rüstet wird. W e m aber verdanken wir

Stiirke oder Schwache, Schönheit oder Häfs-

lichkeit des Körpers? — misern Ellern.

Warum sollte es denn gleichgültig seyn, ob

ein Edler oder Unedler mir seine Organi

sation mitthedte? Der Sohn erbt von sei

nern Vater die Hypochondrie, eine Krank

heit der Seele; warum denn nicht auch den

Edelniulh, eine Gesundheit der Seele?

Wenn die Tugend, mit Plutarch zu re

den, nur eine lange Gewohnheit ist; warum

sollte ein ganzes Geschlecht sich nicht eben

so leicht an Ausübung der Tugend gewöh

nen können, als ein einzelner Mann? Der

junge Edle wird gebohren; die Grundsatze

der Ehre in seiner Familie lebten schon vor

Ulm, alles was ihn umringt, schärft ihre Ge

setze ilmi ein, und er wird unwillkiihilich

ein Mann von Ehre, so wie in jenen Lan

dern, wo man nichts als schöne Formen um

I 3

Page 129: Vom Adel

lieh sieht, lauter schönt; Menschen heran

wachsen.

Wenn Homer in der Odyssee, und Eu-

ripides in den Herakliden Wähnen: nur we

nige Söhne würden den Vätern äluilich;

wenn Demosthenes es gar für ein Gesetz

des Schicksals hält, dafs immer die besten

Menschen die schlechtesten Kinder Unter-

Hessen; so höre ich nur den Dichter und

den Redner sprechen; ich halte mich an

die Erfahrung, und rufe mit Lessing aus:

wer übertreibt, sagt nichts! Wozu überhaupt

mit fremden Waffen kämpfen ? wir sind ge-

bohren um selbst zu denken.

Aristoteles — ich zittere, da ich es wa

ge, seinem Anselm zu widersprechen, und

schliefse mich furchtsam an den Plutarch,

der ihm sein Recht an den Fragmenten

über den Adel streitig macht — Aristoteles

spricht freylich wahr, wenn er sagt: die Tu

gend der Menschen n.it welchen wir leben,

sey mehr werth, als die Tugend ihrer ge

storbenen Voreltern. Aber wenn nun die

Page 130: Vom Adel

Tugend der Zeitgenossen nur in der Tugend

ihrer Vorfahren keimen konnte, wie die Ce

der im Saamenkorn der Ceder — und hier

stelle ich einen Greifs als meinen Gewährs

mann auf, vor dem seihst Aristoteles die

Kniee beugen mufs, die Erfahrung — war

um sollen wir, wenn wir im Schatten des

jungen Baumes sitzen, den Mann nicht eh

ren, der die erste Ceder pflanzte, wenn

gleich sie schon längst verdorrt wäre? —

Aristoteles hat das seihst gefühlt, als er bald

darauf den Begriff des "Wortes tVohlgeuoh-

ren erklärte. "Hatte, spricht er, der Erste

"eines Geschlechts vorzüglichen Werth, so

"wird er mehrere hervorbringen, welche ihm

"gleich sind; denn wie der Ursprung, so

"auch gewöhnlich das daher Entsprungene."

Gerade das ist auch meine Behauptung, und

so höre ich wieder auf xa zittern, denn ich

habe die Ehre mit dem Aristoteles eiuerley

Meymmg z u s e y n .

Doch mit Stolz und Freude berufe ich

mich auch noch auf den Lieblings - und

Page 131: Vom Adel

Modephilosophen unser* Jahrhunderts| auf

Kant, wenn er von den verschiedenen Men-

BchenMCen spricht. Was blos zu den Va

rietäten gehört, und also nicht an sieh seihst

erblich ist, kann doch durch Ehen, die im

mer in denselben Familien bleiben, dasjeni

ge mit der Zeit hervorbringen, was ich den

Famiheiuchlag nenne, wo sich etwas Cha-

racteristisches endlich so tief in die Zeu-

gungskraft einwurzelt, dafs es einer Spielart

nahe kömmt, und sich wie diese perpetuirt.

Mau will dieses an dem alten Adel von Ve

nedig, vornehmlich den Damen desselben

bemerkt haben. Zum wenigsten sind in

Otaheite die adehcheu Frauen insgesammt

gröfseren Wuchses als die gemeinen. Auf

die Möglichkeit, durch sorgfältige Aussonde

rung der ausartenden Geburten von den

einschlagenden, endheh einen dauerhaften

Familienschlag zu errichten, beruhte die

Meynung des Herrn von Maujiertuis: einen

von Natur edlen Schlag Menschen in irgend

einer Provinz zu ziehen, worinn Verstand,

Page 132: Vom Adel

Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit erblich

waren.

Wenn die Natur überhaupt edle und

unedle Menschenracen schuf; warum nicht

auch edle und unedle Familien? Anierica-

ner und Neger, die Völker des südlichen

und östlichen Asiens, erkennen den höheren

Adel der Europäer; sie bringen ihm ihre

Weiber und Töchter, sie wünschen Zweige

dieses edlen Stammes auf den ihrigen ge

pfropft zu sehn, und halten sich geehrt

durch das, was sie in der Wuth der Eifer

sucht unter ihrem eigenen Volke mit dein

Tode bestrafen. Die Europäer sind erha- Um

bcii über die Creolen, die Mulatten über

die Mestizen, die ursprünglichen Indianer

über die Zambis, die Freynegeru und alte

Negersklaven über ihre africanischen Brü

der. Was von der Gattung gilt, das gilt

auch von Einzelnen. Die Natur schuf edle

Völker, die Natur schuf edle Geschlechter.

Man mische Grönländer unter Europäer, so

verliert sich der Volksadd; man vermähle

Page 133: Vom Adel

i5G

Götz von Berlichingen mit der Tochter

Itüdgerodts, so verliert sich der Geschleckt*

a.iel. Als im dreizehnten Jahrhundert der

Adel so zahlreich war, dafs der teutsche

Boden ihn nicht ernähren konnte, da wan

derten viele Edle aus in fremde Dienste,

seihst bis nach Cnnstautinopel zum griechi

schen Kaiser. Viele giengen nach Ungarn,

bildeten des Königs Leibwache, wurden

Fürsten gleich geachtet, auch Principe* ge

nannt. Otto von Freysingen behauptet! die

bis dahin hiilsliche ungarische Nation, sey

durch Vermischung mit den teutschen Ed

len selbst veredelt worden. Hätte man ih

nen Grönländer geschickt, es wäre nicht ge

schehen. "Blut und Stamm sind gemein,

"etlet oder erlaucht." So sprachen die al

ten Dänen. Die Frucht Wird dem Stamme

entsprechen, der Sohn dem edlen Vater

gleichen. Seelenadel druckt sich der Ge

stalt auf, sichtbar in Söhnen und Enkeln.

In Hirtentracht nahte Regner der holden

V i nihil.iL aber kaum erblickte die Jungfrau

Page 134: Vom Adel

die erhabene Gestalt, das feurige Auge, als

sie ausrief: "du bist nicht was du scheinst!

"dein Auge voiriith den König"ohn." Saxo

Grammaticus erzählt der Beyspiele mehrere,

zum Thea lach erhöhe, wo Geschlechtsadel

blos aus der Gestalt erkannt wurde, selbst

dann wenn er in Lumpen gehüllt erschien.

Es ist mit uns gerade wie mit edlen 1

Hunden odor Pferden. Die Stammtafeln

arabischer Pferde reichen oft bis in das

drey zehnte Jahrhundert hinauf. Nur in Ge

genwart obrigkeitlicher Personen werden die

edelsten Stuten l>elegt, und die Mutter wirft

in Gegenwart von Zeugen. Solche adeliche

Pferdegeschlechter zeichnen sich nicht blos

durch Schönheit, sondern auch durch Sanft

mut!], Geselligkeit, Verstand und Duldsam

keit aus. Fast eben so ist es mit den Pfer

den in Paraguay. Es gilt Überhaupt gleich

viel, ob der Forscher nach Wahrheit seine

Beobachtungen an Menschen oder an Thie-

ren anstellt; die Resultate bleiben die

selben.

Page 135: Vom Adel

Freylich ist auch die Erziehung des jun

gen Edlen von der des JN icluedlen sehr ver

schieden, und würkl auf Geist und Körper;

wer leugnet das? Aencas Sylvins schildert

die jungen leutschen Edlen Eolgendergestaltl

sie lernen elier reiten als reden. Kalte und

Uitze sind ihre Gefälnten, Arbeit ihr Freund.

Die Wallen tragen sin so leicht, als audere

Menschen Anne und Heine tragen. Die

Kretenser machten wenig Unterschied zwi

schen Knechten und Freyen, doch waren

die erstercu aus ihren Gymnasien ausge-

adJuiii schlossen; und die Tugendschule, welche

Xenophon den Persern andichtet, scheint

blos für ihren Adel bestimmt gewesen zu

seyn. Doch wäre der ein blinder Nachbe

ter des Helvctius, der behaupten wollte, die

Erziehung könne einen Ileiostrat zum So-

<. rat es umschatten. An den Körjter wird

das Uiibegrrilliche, das wir Seele nennen,

lest gebunden. Kränkelt jener, so kränkelt

diese; und ist jeuer gesund und stark, so

hat die Tugend freyen Spielraum in dieser.

Page 136: Vom Adel

Immer ist ein Bösewicht krank, wenn wir

es gleich nicht aussei lieh gewahr werden;

immer liegt der Saame aller Laster in einer

fehlerltaften Organisation des Körpers. Die

sen gaben Vater und Mutter. Wie viel

oder wie wenig Vater oder Multer dazu

herleyhen, beruht auf unbekannteit Gesetzen

der Natur. Sind aber beyde edel, so wird

gewifslich auch der Sohn edel geholtren

seyn, und der Erziehung hegt es alsdann

ob, ihn edel nmzubildeti.

Page 137: Vom Adel

i4o

D R I T T E S K A P I T E L .

Fon der Ehrfurcht vor altem Adel.

M i t einer Mischung von Erstaunen und

Ehrfurcht stehen wir vor den Ruinen eines

alten Fe Isen schloss es , weil sie dem Strom

der Zeit Jahrhunderte lang widerstanden.

Mit eben diesem Gefühl betrachten wir ei

nen alten Eichbaum; wie mancher müde

Pdger lagerte sich seit Jahrhunderten in

seinem Schatten! Der Stamm ist vielleicht

zur Hälfte abgestorben, aber er treibt noch

immer neue Zweige. Und sollten wir um

der dürren Reiser willen, die hin und wie

der zwischen den grünen Asten sich unnülz

brüsten, den ganzen Baum verachten? —

Ein solcher Eichbaum ist der edle Men-

schenstamm, der im grauen Nebel der Vor

zeit aufschofs, jedem Sturm und Ungewitter

widerstand, vielleicht von manchem Blitz

getroffen, doch nie zerschmettert wurde.

Page 138: Vom Adel

•4' Wer mag ein heimliches, unbegreifliches

Gefühl der Ehrfurcht ihm versagen? Neuer

Adel ist das Werk des Fürsten, aller Adel

nur das Werk der Zeit. Jener gebiert öf

ter Talente, dieser Öfter Seelengröfse.

Schlosser mevnt, es sey doch sonderbar, 5 1 , 1 1 n

dafs die heutige Welt die Vorwelt vieler

Jahrhunderte fragen müsse, wen sie ehren

und achten soll? dafs der Stempel den die

Vorwelt aufdrückte, durch zwanzig Genera

tionen seinen Charakter nicht allein nicht

verlieren, sondern ihn immer noch tiefer

eindrücken sollte; die neue Welt aber so

gar das Recht solche Stempel aufzudrücken,

verlohren habe. Ich verkenne hier den

sonst so feinen Beobachter. In allen Din

gen gilt der Stempel der Vorwelt mehr als

der der heutigen. Religionen werden ehr

würdig durch Alterthum. Die Schriftsteller

der Römer und Griechen behaupten den

Bang über die unsrigen oft nur deshalb,

weil sie zweytausend Jahre alter sind. Das

Recht der Vorwelt, den Stempel der Ehre

Page 139: Vom Adel

aufzudrücken, wird nach Jahrhunderte» das

Unsrige seyn. "Worüber beklagen wir uns?

Auch versagt kein achter Edelmann dein

durch Verdienst Neugeadelren seine Ach

tung. Warum sollten die Pyramiden von

Memphis die Meisterwerke der neueren Bau

kunst herabwürdigen? warum das bemooste

Felsstück dem florentinischen Marmor Holto

sprechen, weil er erst neuerlich gehauen

worden? W i e schön ist jener Adel, sagt

Plutarch, der durch Tugend entsprungen,

von den Vorfahren auf uns herabgeleitet

wird, und dir Andenken in uns erneuert.

Plutarch war der Lieblingsschriftsteller des

Homme de la nature et de la verite'. Der

Philosoph Chrysippus führt einen alten Denk-

Spruch au:

Wer rühmt seines Vaters sich

als unwürdige Sübne ?

den er folgendergestalt verdreht:

Wer rühmt seines Vaters sich

sonst als würdige Süline ?

Dionysodor von Trözene tadelt ihn darüber.

Page 140: Vom Adel

Mich dünkt, beydea ist wahr. Der Thor

hüllt sich in das Verdienst seiner Voreltern;

aber auch dem Weisen, dem, wie Pind.ir

singt, seiner Väter hoher Geist angeerbt

wurde, macht es Freude, bey den Denkmä

lern seiner Ahnherren zu verweden. Stok

ist edel; aber es giebt Hochmüthige ohne

Stolz und Stolze ohne Hochmuth.

Das Andenken der Tapferkeit, die um 2

die Scheiteln unserer Ahnen immer grüne

Lorbeern wand, ist eine stete Erinnerung,

wir sollen nichts thun, das ihrer umverth

sey; wir sollen glauben so grofs seyn zu

können als sie. Die Tugenden der Vorvä

ter nachzuahmen, und ihre schönen Tags?

wieder herzubringen, mufs man sich seines

Herkommens um der Pflichten willen erin

nern, die es auflegt; man mufs sich seiner

Ahnen erinnern, weil sie Beyspiele für uns

sind ; man mufs jene Thaten in Bildern auf

führen ; sie durch jeden Reiz der Beredsam

keit und Dichtkunst erhöhen; nie glauben,

ihr Ruhm, sey ein Erbtheil das wir ruhig

Page 141: Vom Adel

geniefsen könne»; nie dein albernen Wahn

Kaum geben, alles müsse vor einem grofsen

Nahmen weiclien. Alsdann leben die Väter

unter ihren Enkeln wieder auf, dann win

ken uns die Schatten der Erschlagenen auf

das Scldachtleld lüu, dann beseelen sich die

öden Trümmer und die alten Trophäen.

Durch diese angenehme Schwämterey lodert

statt der Eitelkeit kleiner Seelen, die Sehn

sucht nach grofsen Tliaten in allen Herzen

empor, ein neuer Eifer für den Staat, und

die wahre Liebe der vaterländischen Tugend.

Die Kinder der Hunnen gerieiheu in eine

Art von Raserey, wenn man ihnen die gros

sen Tliaten ihrer Vorfahren erzählte, und

ihre Väter weinten, dafs sie nicht mehr hof

fen durften ihren Kindern gleich zu seyn.

Iiier ein Wort über den nuäiliCeii Ah-

neinloh. Grofse Männer haben seiner ge

spottet, und kleine Männer, deren Gewissen

nicht frey davon ist, mögen diesen Spoll

hier wieder lesen. Frey lieh soll der Pflau

menbaum, der doch nur huzlichte gelbe

Page 142: Vom Adel

Pfläumgen trägt, sich nicht brüsten, weil er

aus einem Apticoscnkern entsprungen ist,

der einst aus Epirua gebracht wurde.

Das ist eine wassersüchtige Ehre, die

blos vom Stolz der Geburt aufschwillt. Das

Wort Ehre wird auf jedem Grabe gemifs-

handelt, ist ein lügendes Siegeszeichen je

der Graft, und eben so oft stumm, wo Ver

gessenheit das Gras würklich ehreuwertlier

Gebeine ist.

Die sich mit Bildern und Stammtafeln

brüsten, sind freylich bekannte Menschen,

aber drinn nicht immer edle Menschen.

Würklich ist der Adel etwas grofses,

wenn er sich auf eigene Verdienste, oder

auch auf ausnehmende Verdienste der Vor

eltern gründet. Aber läppisch ist der dar

auf sich beziehende Stolz, wenn man ent

weder schlechterdings auf seine Titel und

Wappen, oder so sehr auf die Verdienste

seiner Voreltern stolz ist, dafs man es für

überflüssig halt selbst Verdienste zu erwer

ben. Eine adeliche Geburt wirkt in gna'di-

K

Page 143: Vom Adel

146

gen Herren von kleinem Verstand nichts als

ITinjl—lh Für Edelleute, welche die Ehre

haben von Helden abzustammen, und das

Unglück ihnen in ulleni onähnllch zu seyn,

schickt sich eine edle Selbbtschäizung eben

so wenig, als der Stolz auf das vOJnehme

in seinen Adeni wallende Blut für einen

Junker, der kein ganzes Paar Hosen hat.

Je iic cnj.. «oufi'rii c|u na fat üont la mol

N'a rien poiir i'apptyir (ju'une vaine BoUwM, So paro in sol cm nie "t du incrilii .1

El me 1 iij.ii' 1111 lionuL'ur, r[ui 110 rimt ; as du Ini.

So süigt Boileau. Und wie manchen Dich

ter, Redner und Weltweiten konnte ich noch

plündern, wenn mir daran läge, meine Re-

Iesenheit anstauneu zu lassen. Doch einen

Teutschen mufs ich noch anführen, und

zwar einen teutschen Edlen.

Mir I1.1t n w h nie die gwwnloie Ehrsucht

Den kk'iui'ii Si.il/. auf Almen eingeprägt.

So dichtet der Freyherr von Gemmingeii.

Lud welcher brave Edelmann dachte n i c h t

wie er! wenn er es gleich nicht so schon

Page 144: Vom Adel

zu sagen weil*. Die ganze Welt ist nur

Eine grofse Familie. Der Bauer ist ver

wandt mit den Hapsburgern, und der Bett

ler mit den Weifen. Ein vor Ratten und Hfcl*««

Mausen bewahrter Stammbaum ist kein Ver- Ä n i

dienst; spricht ein teutscher Graf, und ich

liebe ihn drum. Ein schaandiaftes Lachein

glänzt auf der Wange des wahrhaft Edlen,

wenn er die sonderbare Etymologie des Wor

tes Ahnen in einer Glosse des Sachsenspie

gels liest; "Das Wort Ahnen," heilst es

dort, "ist aus dem Latein gezogen, von dem

"Wörtlein anus, welches heUset, der Hin-

"dere an dem Menschen."

Die Könige von Sparta hielten Köche

und Trompeter, welche ihre Amter auf ihre

Kinder vererbten, diese mogten das Kochen

und Trompeten verstehen oder nicht. So

lächerlich ist Ahnenadel ohne Ahnentu~

gend, Nur mit dem Unterschiede: dafs un

würdig ererbter Adel lausend Unglückliche

machen kann; da es hingegen eben nicht

viel zu sagen hatte, wenn auch dem König

K n

Page 145: Vom Adel

viui Sparta beym Trompeten rinmal die

Ohren weh thaten, oder seine schwarze Sup

pe angebrannt war. Auch tauscht der Ruhm

der Vorfahren nur allzuoft. Das rohe Al-

terthum hatte einen andern Maafsstab der

Gröfse; oft gebrach es auch den Geschicht

schreibern an eigenem Seelenadel, um frem

de Thaten nach Verdienst würdigen zu kön

nen. Der Held Alexander ist heutzutage

nur ein gekrönter Räuber. Mancher wurde

vor seineu Ahnen laufen, wenn er plözlich

in ihrer Mitte stünde. Werft einen Bück

auf dio rohen Menschen des vierzehnten

und fünfzehnten Jahrhunderts, wie sie nur

von Turnieren und Fehden träumen; wie

sie in Gottes Nahmen ausziehn, arme Han

delsleute auf der Strafse niederzuwerfen und

zu berauben; wie sie in dieser Stunde mor

den, und in der andern sich besaufcn; wie

sie an einem elenden Volkslicde sich er

götzen, und über die faden Schwanke eines

Hofnarren lachen; wie sie ihre Rache an

den Meistbietenden verhandeln, und dieser

Page 146: Vom Adel

dann auf seinem ßergschlofs lauert, den un

befangenen Reisenden niederwirft, oder eine

Ritterzehrung von ihm heischt; wie der De-

fehdungen kein Ende ist, und sogar Küchen

jungen ihren gnädigen Herren die Fehde an

kündigen. Freylich wuchs auch W'eitzen

unter jenem Unkraut, und Heldeuthateu

keimten zwischen Raub und Mord. Der

Segen beschützter Witt wen und Waysen

drang öfter zum Himmel empor, als das

Hülfsgeschrey geplünderter Wehrloser.

Höre mich, edler Jüngling meines Vol

kes ! Ehre deine Vorfahren durch Thaten!

Vergifs deines Ranges wenn die Menschheit

spricht! Gedenke deiner Ahnen wenn die

Ehre ruft! Sey nicht stolz auf die Geister

der Helden! sey ihr Stolz wenn sie auf

dich herabblicken 1 Herrsche sanft über den,

den nur Gehorchen beglückt! sey der Bru

der dessen, den Gleichheit glücklicher macht!

Liebe den Redlichen im Kittel! Ehre den

Weisen in der Hütte! Sey selbst redlich und

weise, damit sie dich wieder lieben und

Page 147: Vom Adel

ehren. Dein Herz sey reich wie deine Ge

hurt! dein Herz sey ede! wie dein Ge

schlecht! Dann tritt kühn vor deinen Stamm

baum und sprich: "Hier lebten grofse und

"gute Menschen! ich hin auch Einer."

Page 148: Vom Adel

V I E R T E S K A P I T E L .

Von alten Geschlechtern.

U n g e r n raube ich manchem Thoren eine

glückliche Täuschung. Ich gedenke dabey

einer vortrefflichen, eben so edlen als ade-

liehen Frau. die mir einst fein und wahr

schrieb: "eine Täuschung die mich be-

"glückt, ist mir lieber, als eine Wahrheit

"die mich elend macht."

Es giebt Geschlechter, welche die alten

Porzier, Fabier, Centidier, zu ihren Ahn

herren machen, oder ihre Stammtafeln bis

zu den Zeiten Karls des Giofsen hinauf füh

ren, das heilst, sie ergötzen sich an Fabeln.

Fast jedes teutsche Fürstenhaus denkt mau

zu ehren, indem man ihm die Karolinger

oder Wittekinde zu Ahnherren auf lügt.

Den Kaiser Uudoinh beschenkte man mit

einer Stammtafel aus der Auicüchen und

Perleonischen Familie; Anhalt sollte aus

Page 149: Vom Adel

• dem Ursinisrhen. Geschlechte a Iis lammen;

Hohenlohe aus dem Flaminischen; Hohen*

zollern aus dem Coltimnesisehen. Welche

Thor hei ten ! Unser Erdhall wälzt im mora

lischen wie im physischen Verstände sich

ewig im Kreise, und es ist kein ßube so

gering, dafs er nicht sicher hoffen dürfe,

nach einigen tausend Jahren der Stammva-

r-ter eines Fürsten zu seyn. In den mehr-

sten Stammbäumen ist der Erste des Ver

zeichnisses immer ein grolser Staatsmann

oder Officier vom ersten Range. Der ehr

liche Handwerker der ihn zeugte, und die

ganze Reihe seiner frugalen Vorfahren, die

Wurzeln dieses edlen Stammes, sind abge

hauen, und ihr dürft euch ja nicht einbil

den, dafs der edle Stifter dieser Familie

auch einen Vater gehabt.

Wäre die Welt auch nur noch ein Jüng

ling von sechs tausend Jahren, so hätte sie

doch wenigstens schon zweyhundert Gene

rationen aufzuweisen. Von diesen Zwey-

hunderten kennt auch das älteste Haus in

Page 150: Vom Adel

Europa — ich gebe, viel zu — nicht mehr

als Fünf und zwanzig. Aber die übrigen

hundert und hinl' und siebenzig haben doch

auch existirt? wer waren sie? Edle oder

Unedle? — Dio Ahnen, welche hinter der-.

Scheidewand des eilften und zwölften Jahr

hunderts verborgen sind, erblickt nur die

Eitelkeit durch ihre Brille. Und wer steht

dafür, dals auch die übrigen, deren Nahmen

uns bekannt wurden, mehr als den blofsen

Nahmen zu Fortpflanzung ihres Geschlechts

hergebehen haben? Als im Jahr 1719 zu

Dresden ein Turnier gehalten werden und

ein Jeder seine Ahnen beschwören sollte,

erklärte der bekannte drollige General von

Kiau: er könne das nur in Ansehung semer

Mutter tbun.

Nein die Zeiten sind nicht mehr, wo auf

einem FamiÜcngemUldde die Jungfrau Maria

zu dem vor ihr knienden Ritter spricht:

"Stehen sie auf, Herr Vetter, und bedecken

"sie sich." Die Zeiten sind nicht mehr,

wo man den Brief mit Ehrfurcht anstaunte,

Page 151: Vom Adel

durch welchen Pontius Pilatus einem Käm

merer Dalberg zu Worms, die Kreuzigung

. Christi notifizirt. Es gehört nicht zum W e

sen des Adels, dafs er wisse, wo die ersten

Windeln getrocknet wurden. Immer alle.

Piedlichkeit, immer neue Thaten, immer

junge Tugend, erheben das jüngste Ge

schlecht zum ältesten in Europa.

Schön ginn« der Stempel, ivcli-.hen die Geburt

Aus greisen Ahnen auf den Fnkel drückt ;

Doch schuiier plann er in dem Würdigen.

F.uripidtt Ilekuha.

Page 152: Vom Adel

F Ü N F T E S K A P I T E L .

Der ächte Adel.

Fromm, weise, klug und mild,

Gehöret in das .V! Iss. IiilU.

So singt der alte Reim, und Cicero nennt

den Adel eine anerkannte Tugend, weil

der erste Adel aus der Vermählung der

Hochachtung mit der Tugend entsprang.

Wer waren die ersten Edlen? Nenne

sie Muse in sanften und starken Tönen! es

waren die Wohlthäter der Menschheit! Die

Nahmen Hercules, Amphion und Orpheus

leben noch, und selbst die Fabeln, die man

ihnen nacherzählt, sind Beweise ihrer gros

sen Thaten. Theseus, Draco und Solon

bildeten die Athenienser, Lycurg und Mi

no« die Kretenser, Philolaus die Thebaner,

Apollo die Arcadier, Zoroaster die Bactria-

ner, Plato die Magnesier, Romulus und

Numa die Römer, Peter und Cadiarina die

Page 153: Vom Adel

Russen. Mögen immerhin Hunnen und ta

tarische Horden die Welt verheeren, Alexan-

drinische Bibhotheken verbiannt werden,

und Erdheben Länder verschütten; ihr Näh

me wird nie vertilgt, und drre Denkmäler

werden nie zerstört.

0 wie schön ist es , der Zeitgenossen

Glück schallen! o wie schön und grofs, mich

der Nachwelt Glück bereiten! Sie ist nicht

undankbar, sie vergilt mit Lieb' und Ruhm

die kleinste Wohlthat deren Einllufs fühl

bar blieb. In dem Dorfe Tschikinann, im

Werchotoxischen Gebirge, leben die Nach

kommen eines gewissen Babtnow, der im

Jahr 1705 eine neue bequeme Landstrafse

baute, und dadurch das allgemeine Wohl

beförderte. Ihn beschenkte Zaar Michael

Federowitsch mit einem Gnadenbriefe; ilin

ehren noch heute seine Enkel, und seine

Enkel sind in ihm geehrt. So leicht ist es,

die Nachwelt zu bestechen, wenn die Münze

eine Wohlthat ist; wenn man, statt Kirchen

und Klöster, Landstrafsen baut.

Page 154: Vom Adel

Darum wird auch der Weise und Tap

fere für edel geaclnet, wenn er gleich kein

Edelmann ist. Adel der Gesinnungen ver-

leyht frey lieh keinen Stammbaum. Auf je

dem Pfade der Tugend kann man edel seyn,

doch Glück, Verdienst, Zufall und Gunst

müssen sich der Tugend zugesellen, um

adelich zu werden.

Schon vor drey tausend Jahren hat Ho

mer in seiner Iliade den wahren Adel be

zeichnet. Warum, mein Freund — so spricht

dort Sarpedon zum Clauens: warum verehrt

man uns in Lycien als Götter: warum sind

wir Herren der fruchtbarsten Ländereyen ?

warum überhäuft man uns mit Ehrenbezeu

gungen bey öffentlichen Feyerllcbkeiten? —

Wir sollen den Gefahren trotzen; wir sol

len die Ersten seyn auf dein Schlachtfelde;

damit unsere Krieger von uns sagen mögen:

Solche Fürsten sind es werth, die Lycier zu

beherrschen.

Damals war Tapferkeit noch die einzige

geltende Münze, wofür man Ruhm und Ehre

Page 155: Vom Adel

*". <• noa ojici. null geneiii nul lcuiu, i«J iiigrnii, morn, rittuii|ue nululiUverunt.

*'•') Nobilit OH, nen cjui onjonliui long., jtm ipnipore

***») THUMS doen nun unguin« oiii,

Kon |ilui ficiam i« <|uim tibi riulica nai« Si s.i et igiiKiii iiuliciu et pairr.

Mirc.Ii> P.ll.o;-

eintauschen konnte; denn in der Jugend

eines Staates blühen die Waffen, im männ

lichen Alter die Wissenschaften, im tireisen-

alter Künste und Handel. Su ward mit dem

Wachsthum der Kultur, jede bürgerliche

gemeinnützige 'fügend nach ihrem wahren

Werth gewürdigt. Tugend ist der einzige

Adel', rief H o r n ) *) nur Tugend adelt!

sprach Apulejus; **) fiemde Tliaten sind

nicht unser Eigenthum! sang Ovid; ***)

nur der Edle ist adelich gebühren! schrieb

Euripides; «***) Tugend adelt herrlicher

ah das Blut der Könige der Franken!

dichtete Marcellus. ****•)

Page 156: Vom Adel

i5y

Ja! Tugend bedarf keines Ranges. Edles

Bewustseyn ist ihr Schild, eine schöne Tliat

ihr Helm. Wer Tragt nach Almen WO Frank

lin erscheint? wer fragt nach Titeln wo

Rousseau auftritt? wer fragt nach einem

Pergament wo alle Herzen reden? Leibnitz,

Wolff und Uallcr wurden zu Freyherren

erhoben, doch spricht man immer noch:

Leibnitz, Wolff und Haller, und erwähnt

ihrer Freyhcrrüchkeit nur selten. Es giebt

Menschen, welchen Titel Ehre leyhen; es

giebt andere, welche Titeln Ehre leyhen.

Ludwig XIV adelte Moliere, Moliere lachte

darüber. Sein Adel ist vergessen, seine

Lustfpiele leben noch. Lucas Cranach, Ru

bens, van Dyk, wer kennt nicht ihre Nah

men? ihr Adel hängt in den Bildersälen,

wer fragt nach ihren Diplomen? Jeavmin

war einer der besten Minister Heinrichs des

Vierten, obgleich die Spanier nicht begrei

fen konnten, wie man einen Menschen ohne

Adel zum Gesandten an ihrem Hole machen

könne. De qui etes-vous Iiis? fragte ihn

Page 157: Vom Adel

i6o

der König. Sire ! de nies Terms, antwortete

der Biedermann. Alberoiü trug als Knabe

grüne Waare zu Markte, und verwirrte als

Kardinal ganz Europa. Die Erreilerinn Pe

ter des Groden war ein liefländisches Bau-

enniidgen, und sein Freund verkaufte einst

Pasteten. Papst Adrian VI war eines nie-

-i'. derla'ndischon Fischers Sohn ; Iphicrar.es der

Sohn eines Schusters; Marius, der sieben

mal Consnl wurde, der Sohn eines Hand-

•« werkers. Salvidim, einst Hirte, ward Con-

sul. Numeriiis Quintius, einst Mauleseltrei-

ber, ward zu Clodius Zeiten Tribun des

Volkes. Basilius, ein Bettler, ward griechi

scher Kaiser, und regierte gerecht und

menschlich. Der Kanzler l'Hopital wurde

mitten in den Felsen von Auvergne in ei

nem Doifgen gebohren, das eben so unbe

kannt ist, als seine Familie. Papst Hadrian

IV, dem Kaiser Friedrich der Rothbart die

Füfse küfste, den Steigbügel lüelt, und sein

Pferd am Zaum neun römische Schritt weit

führte, war der Sohn eines englischen Bet-

Page 158: Vom Adel

telmönchs, und lauge Zeit selbst Bettl<<r.

Erzbischof "Willigis von Maynz, der durch

seine Weisheit die Fürsten des teutschen

Reichs nach Gefallen lenkte, war eines Fuhr

manns Sohn, daher auch noch das Rad im

Maynzer Wappen stammt. Der schwedische

Erzbischof Birger war der Sohn eines Koh

lenbrenners in Nordhalland ; Verdienst und

Rechtsehaffenheit hoben dm empor. Ich

könnte Bogen anfüllen mit den Nahmen de

rer, welche durch Kopf und Herz in den

Tempel des Ruhmes drangen. "Schweigt!"

sprach die Königinn Christina von Schwe

den, als man darüber murrte, dafs sie drn

Salvius, der von niedriger Geburt war, zum

Reichsrath von Schweden erhoben hatte:

"schweigt! eben das macht ihm Ehre."

Diese grofse Frau bestätigte dem Adel s

seine Rechte, und bediente sich in der FJr-

kunde des Ausdrucks: dafs zu den höch

sten Kriegsbedienungeu kein Varbyiding,

das" heilst,.kein Sclilochlgcbohnicr gelangen

solle. Als der neue Adel und angesehene

Page 159: Vom Adel

Bürger sich dadurch gekriinkt glaubten, er

klärte sie in einer besondern Verordnung

diesen Ausdruck so: Ein Varbyrding ist nur

der Miissiggünger und Lasterhafte. Tugend

und Vaterlandshebe geben Ansprüche auf

jede Ehrenstelle, man sey ein gebohmer

Edelmann, Bürger oder Bauer.

Was spornt mehr zu grofscn Thaten?

was schon errungen ist? oder was noch zu

erringen übrig blieb? Der Erste der den

Adel erwarb, war er nicht ein Bürgerlicher?

und der Enkel an seiner Stelle, hätte er ihn

erworben? Glück und Verdienst müssen

Hand in Hand gehen, das Glück Öffnet die

Schranken, das Verdienst giebt Muth hinein

zu treten. Alle, welche in entflohenen Jahr

hunderten dire Geschlechter adelten; alle,

welche in kommenden Jahrhunderten ihre

Geschlechter adeln werden, sind Beweise,

dafs das Schicksal nur Wenigen Glück und

Verdienst zu Gefährten leyht.

Kaiser Leo pflegte zu sagen: die Tha

ten, nicht die Geburt, machen' den Feld-

Page 160: Vom Adel

L a

lierrn; so wie das Gold nicht den Spiefs

macht, sondern die Schürfe der Spitze, wäre

sie auch nur von Eisen. Ein solches Wort

ist immer Lobes werth; es ist herrlich in

dem Munde eines Kaisers I Ihm gleichen die

Gesinnungen Friedrichs des gekrönten Welt-

weisen. Alle Geschöpfe, sprach er, welche

auf dem Erdball wimmeln, sind Kinder ei

nes Vaters, aus einem Blute entsprossen. —

Voulei - vom en effet paroilre au ü>jsns t i ' em,

Montrez-vous plus humains, plus Aonx, plus verlueux.

Le jiinl. '....|.,.. Je Sanssouci.

Es giebt ewige Wahrheiten, wahr in jedem

Jahrtausend, wahr unter jeder Zone, in je

dem Rang und Alter. Die Natur sagt sie

den Weisen aller Nationen in die Feder,

ohne Verabredung, ohne Forschen, ohne

Mühe. Eine solche ist der goldene Spruch:

"nur eine Sonne leuchtet! und nur eine

"Ehre! sie begrüfst die Tugend als ihre

' 'Mutter."

Page 161: Vom Adel

S E C H S T E S K A P I T E L .

Von. dts Adels Pflichten.

O es ist schwer 1 mit Montesquieu aus, ei

nen grofsen Nahmen behaupten. Die Tu

genden gewöhnlicher Menschen sind nicht

das Ziel, nach welchem man ringen, son

dern nur der Punct, von welchem man aus

gehen mufs.

Verbrechen eines Edlen sind Flecken

auf Goldstoff; man wird sie dort leichter

gewahr, als auf grober Wolle. Eine Warze

im Gesicht verunstaltet mehr als eine War

ze auf der Hand. Der Bürgerliche darf

Verdienste haben; der Edelmann mufs Ver

dienste haben. Den Bürgelliehen überstrah

len keine Ahnen, er darf unbekannt und

ungepriesen leben und sterben. Zeichnet

er sich dennoch aus, so machen ihm die

Edlen der Nation Platz unter sich, und sei

ne niedrige Herkunft gilt für ein Verdienst

Page 162: Vom Adel

mehr, denn sie war eiiio Schwierigkeit mehr.

Das Vaterland erwartete nichts von Ihm;

desto besser, wenn er das Vaterland durcli

Thaten überrascht.

Der Ruhm der Vorfahren hingegen ist

der Maasstab, mit welchem man den lidlen

niil'st. Erreicht er ihn, so hat er nur seine

I'Hiebt gethati; erreicht er ihn nicht, so

nennt ihn Friedrich der Grofse

d'un trouc fjuicux ime branclie jiourrie.

Dergleichen faule Zweige giebt es frey-

Uch viele. Daher die ewigen vorwürfe,

welche man dein Adel Über seine Unwis

senheit inacht. Sonderbar ist es, sagt Lord

Rivers, dafs fast alle tcutsc/ie Schriftsteller,

besonders die guten, Bürgerliche sind; da

hingegen über die Hallte der besten franzö

sischen und englischen Schriftsteller zum

\dei gehören.

Es läuft noch mancher rohe adeliche

Knabe herum, der die Pest für eine grofse

Plage lädt, weil dann nicht einmal ein Edel

mann seines Lebens sicher ist; der nichts

Page 163: Vom Adel

versieht als einen Gaul tu reiten, oder ei

nem riecruten den Rock auszuklopfen'; der

den reichen Mann in der Bihcl Herr von

titulirt, und den armen Lazarus schlechtweg

Monsieur Lazarus. Aber wenn es darauf

ankömmt, einen Bürger von Verdienst zu

beiiohnlacheln, o da ist er Meister! Diese

Brut mufs man in einer scharfen Lauge von

Satyre ersticken; diese Mißgeburten mufs

man unbarmherzig geissein; der bürgerliche

Witz muls ihnen Nasenstüber geben, so

lange bis sie begreifen, dafs der Edelmann

von Gott und Rechtswegen besser seyn mufs

als der Bürgerliche, und dafs er dann im

mer nur noch seine Pflicht gethan hat. Be-

sizt der Bürgerliche Muth, so sey der Edel

mann tapfer; besizt der Bürgerliche Kennt

nisse, so sey der Edelmann gelehrt. Immer

stehe er eine Stufe höher durch l~<r<h'cits{,

so gönnt man ihm auch die, auf welche die

Gehurt ihn stellte.

Drum leset und lernet! damit ihr nicht,

wie jener alte Officier, den Jacobus major

Page 164: Vom Adel

für einen Christwachtmeister haltet; damit

ihr die gothische Baukunst nicht in Gotha

sucht; damit ihr cremor tartari und crim-

mische Tatarn nicht für Eins haltet; damit

ihr den Buchhändler nicht anfahrt, der euch,

da ihr doch General seyd, nur eine S/iecial-

Oharte bringt; damit ihr euch nicht wun

dert, dafs man vor Troja kein Pulver und

kei ie Kanonen brauchte; damit ihr nicht

aufiahrt, wenn ihr auf der Wache steht,

weil das Aerpiinocüum passirt sey, ohne sich

im Thore anzugehen; — und was der Lä

cherl ichkeiieu mehr sind, welche man dem

Adel nacherzählt. Hieher gehört das merk

würdige Billet Friedrichs des Grofsen an ei

nen teutschen Grafen, der seines Sohnes

gräfliche Ansprüche dem König keck und

albern vortrug. Die Anecdote ist zu be

kannt, als dafs ich mir erlauben sollte, sie

zu wiederholen.

In Spanien soll es einmal einen Kanzler

gegeben haben, welcher verordnete, dafs

kein JustizcoUegium sich unterstehen solle,

Page 165: Vom Adel

einen Edelmann der Unwissenheit halber

abzuweisen. Spanien ist das Land des Aber

glaubens; es hat der HeiUgenbilder nicht

genug, drum macht es seine Edlen noch zu

Götzen. Doch es geschieht nichts OMUM

unter der Sonne, und zu allen Zeiten ha-

ben Unwürdige sich keck und unverschämt

dem bescheidenen Verdienst vorgedrängt.

Schon Salomo klagt: "Es ist ein Unglück

' das ich sah unter der Sonnen, nehiuhch

"Unverstand, der unter den Gewaltigen ge-

"mein ist, dafs ein Narr sizt in großer W ür-

' de, und die so reich au Verstand sind un-

"ten an sitzen. Ich sähe Knechte auf Ros

i e n , und Fürsten zu Fufs gehen, als ob

"sie Knechte wären."

Vormals hielt der beste Edelmann es für

eine Ehre, wenn er sich Doctor und Ritter

schreiben konnte, heutzutage halt er dieses

Pradicat dem Adel für verklein erheb. Es

gieng damit, wie mit allen Ehrenzeichen,

welche man verschwendet, sie werden ver

achtet. Als Pfalzgrafen anfiongen Bullen-

Page 166: Vom Adel

dcictoron zu scharfen, und diese B*hulisten

worden; da wollte kein fürstlicher Rath

mehr Doctor hcifsen. Das kleine v. ver

drängte das grobe D.

In den iiitesten und mittleren Zeiten StWiu

wurde die Erlernung der Singkunst, oder

irgend eines Instruments, den Edelmann be

schimpft haben. Auch die Damen gaben

sich nicht damit ab, und entsagten folglich

einem ihrer lieblichsten Reize. Eine süsse

Stimme, eine schöne Hand auf dem Kla

vier — wie manches Her?, ist schon da

durch gefesselt worden! Doch hatte auch

der unwissende Adel im lüten Jahr hunderte

reines Gefüld für die Dichtkunst behalten.

Schön und naiv ist der Nachruhm eines

Herrn von Westerburg in der Limburgischen

Chronick: "Was er sang, das sangen die

"Leute alle gern."

Belohnungen btteriirischer Verdienste wa- Schinne,

ren freylich vormals nicht so lockend, als

die der kriegerischen. Keüi Herold rief sie

aus, kein staunendes Volk beklatschte sie

Page 167: Vom Adel

an den Schranken, und der Dank der Da

men war selbst Für die gelehrtesten Männer

so selten, dafs man den Kids, welchen die

Königin Margareta von Schottland dem Chnr-

tier gab, Kr ein halbes Wunder hielt. Die

Zeiten haben sich geändert, wenn gleich

Mars die Musen scheel ansieht. Noch ein

drückender Vorwurf, welchen man dem

Adel macht, ist der; er schäme sich seiner

bürgerlichen Freunde; er reiche ihnen in

vertrauten Zirkein frey von allem Ahnen

stolz die Hand; in glänzenden Kreisen aber

ziehe er sich zurück. Das ist nicht fein!

wäre es auch nur Mangel an Muth, gegen

den Strom der Vorurtheile zu schwimmen.

Wer das Herz hatte einen bürgerlichen

Freund zu u-u/ifen, der mufs auch das Herz

haben ihn zu bekennen ; oder er hat über

all kein Herz. Oft aber auch macht das

Bewtustseyn des geringeren Standes den Bür

gerlichen mifstrauisch ; oft nimmt er lVohl-

stand für S/r/h. Man vergibst überhaupt

nur gar zu leicht, dafs der Stolz unter die

Page 168: Vom Adel

Erbsünden gehört, mit welchen die Natur

uns beschenkte, um bisweilen über uns zu

lachen; dafs der Stolz an der Wiege des

Bauern sich brüstet, wie an der Wiege des

Fürs ten sohnes. Der Edelmann sieht auf

den Bürger herab, der Bürger auf den Hand

werker, der Handwerker auf den Knecht,

der Knecht auf den Stalljungen, der Stall-

junge auf den Esel welchen er reitet. Adel-

stolz ist thöricht, Bauernstolz dumm, Bür

gerstolz hämisch. Stolz auf ererbten Reieh-

tltum ist noch weif lächerlicher nls Stolz

auf ererbten Adel. Ich wundere mich gar

nicht, dafs der Mensch sieh Täuschungen

iiherläfst, die ihm schmeicheln ; ich würde

mich wundem, wenn er es nicht thate. Er

glaubt, und wird ewig glauben, was sein In

teresse heischt. Folgt er zuweilen der Spur

der Wahrheit, sucht er Weisheit; so bildet

er sich gewifs ein, Wahrheit und Weisheit

werden sein Interesse befördern. Keine Al

bernheit ist so grofs, dafs sie nicht Vertbei-

diger fände, wenn Eigennutz und Eigenliebe

Page 169: Vom Adel

sich ins Spiel mischen. Wer wagt es den

Mirmidonen zu widersprechen, wenn sie ih

ren Ursprung von Ameisen herleiten? wer

dem K.öuig von Madure, wenn er einen

Esel zu seinem Stammvater macht?

O dafs mein Ohr auch jene leider oft

gerechte Klage nicht mehr vernähme: ade

liche Abkunft ersticke gemeiniglich r teils

und Nacheiferung; der Edehnanu sey dem

Gipfel näher, er habe weniger Stufen zu er

klimmen, drum werde er träge, und mevne

es müsse so seyn, er bedürfe kein Ver

dienst; edle Geburt sey wie ein ererbter

Schatz, von dessen Interessen er zehren kön

ne. Ach! die Geburt gleicht nur dem jun

gen edlen Telemach, das Verdienst mufs ihr

Mentor seyn. Dann steht sie uubeneidet

auf der höheren Sprosse, man gewöhnt sich

an ihren Anblick ; daher trift Mißgunst nur

den neuen, nie den alten Ade!. Aus die

sem, ihr Fürsten ! wählet eure Rätlie, denn

ihnen gehorcht das Volk gern,.es betrachtet

sie, wie euch, als Menschen zum Herrschen

Page 170: Vom Adel

gtBohren. Aber stofirt sie zurück unter den

Pöbel, wenn sie nicht zu herrschen lernten,

wenn sie ihre Geburt nur als ein Rennpferd

betrachten, das sie schneller zum Ziele bringt,

als den Fufsgäugcr.

Tu ei grantl, tu es piiiilant, ce n'esl pas a;sei, fall

quo je l'cttjme.

La Ttruycre.

Page 171: Vom Adel

S I E B E N T E S K A P I T E L .

tt-'ie erringt und betreut man den Adel

Der erste Edelmann, eines Statu nies war

nicht immer ein ehrlicher Mann. Er halte

vielleicht mehr Genie, aber weniger Un

schuld und Reinigkeit der Sitten, als seine

Nachkommen. Es giebt kleine krumme

Fufssteige auf der Bahn der Ehre, die man

oft betritt, wenn es eben unbemerkt gesche

hen kann. Nicht alle können von sich

prahlen wie Cicero: "ich habe meinen Adel

"errungen! ich habe meinen Nachkommen

"durch Tugend vorgeleuchtel!" Cicero war

gewaltig eitel.

In den ältesten Zeiten verlieh nur Tap

ferkeit den Adel. Nicht wer seinem Bru

der beystand, sondern wer seinen Bruder

tapfer todtschlug, der war ein Edelmann.

Die Völker entwuchsen der Kindheit, Weis

heit und Erfahrung galten ihren Preifs, das

Page 172: Vom Adel

Hecht des Stärkeres wich den Gesetzen;

diese zu handhaben wählte man Männer aus

edlen Geschlechtern, und liefs sie, statt des

Schwerdtes, lange Röcke tragen, gleich den

römischen Rathsherren. So verirrte sich

nach und nach der tVdel aus dem Schlacht-

Felde in die Gerichtssäle. Vormals adelte

man nur einen Zweig der Tugend, jezt adelte

man die Tugend selbst, in welcher Gestalt

sie auch ersclüen. So ward auch jener

Wahn nach und nach vertilgt: nur des Krie

gers Herz sey empfänglich für Ehre, weil

er in jedem Augenblicke sein Leben wage.

Man fand, dafs Matrosen und Bergleute das

selbe tbun. Euler studiert sich blind, rrjtrf

das ist schlimmer als Tod.

Wer im langen unangefochtenen Besitz .

des Adels sich beiludet; wer unter seinen

Vorfahren Prälaten uud Bischöfe, Helden

und Staatsmänner zählt; wessen Nahmen

und Wappen in Kirchen, Chronicken, Ar

chiven, diplomatischen Sammlungen, alten

Kauf - und Schenkungsbriefen, auf Denk-

Page 173: Vom Adel

und Grabmälern aufbewahrt worden; wes

sen Vorfahren sich mit alten Geschlechtern

verschwägerten, oder Herrschaften und

Lehnsgüter besafsen; der darf sich keck,

rühmen, er sey ein alter Edelmann.

Adelsbriefe sind nur Beweis der Gnade

des Monarchen und geben keine Ahnen.

Zwar ist die Kaiserliche Kanzeley so höf

lich, oft auch die Voreltern im Grabe für

Edelleute 7.11 erklären ; allein die Rechte des

alten stifts - und turniermafsigen Adels kann

weder Kaiser noch König, keine Kanzeley

und keine Erfindung in der Welt verleyheh.

Trot t aller Pönalverordnungen wird kein

neuer Edelmann in Orden, Stiften, Burg

mannschaften, Ganerbschaften, Landstuben

u. s. w. aufgenommen.

Das Wörtlein «Öls beweist nicht immer

den Adel; denn die Leute schrieben sich

ehemals von ihrem Geburtsort: JSiclas von

Grumbach, Hans von Flörsheim u. s. w. Ihre

Kinder thaten dasselbe, und so waren sie

auf einmal Herren -von.

Page 174: Vom Adel

Man iliut übel, die alten Wappen zu

verändern; man wähnt, ein grofses zusam-

mengeseztes Schild, mit sechs und acht Fel

dern, und einem Mittelsclüld, werde dem

Dinge ein besseres Anselm gehen. Man irrt.

sich. Die ersten Wappen waren alle sclir

einfach ; und gewöhnlich darf man heutzu

tage behaupten: je mehr Felder im Wap

pen, je weniger Ahnen. Die Menschen wis

sen oft selbst nicht, was ihre zwey und drey

Helme mit titruiermäfsigen Aufsätzen bedeu

ten. Es gellt ihnen wie jenem Holländer,

der das Wappen des Prinzen von Oranien

über seine Thür mahlen hefs, aus keiner

andern Ursache, als: weil es schön stünde.

Verjährung gilt überall, warum nicht

auch wenn vom Adel die Rede ist? Wenn

eine Familie seit hundert Jahren für edel

gehalten wurde ; wenn sie ihr Prädicat und

Wappen schon damals führte; wenn Für

sten und ganze Collegien ihr das Ehrenwort

i'on heylegten; so ist der Adel erwiesen,

und man kann nicht weiter quaestioncm

M

Page 175: Vom Adel

Status fonniren. Jeder Sprölsliog dieses

Stammes ist, wie Siegfried von Lindenberg

spricht, ein Edelmann so gut als der

Kaiser.

Durch Adoption wird der Adel nicht

mitgetheilt. Doch wenn ein Fürst ein ade-

üches Kind adoptirt, so wird dieses Kind

ein Prinz. Denn der Edelmann kann wohl

Fürst, der Fürst aber nie ein gebohrner

Erlelmann werden, wenn er es nicht vorher

schon war. Vermahlungen zwischen Für

sten, und edlen Jungfrauen aus alten ritter-

bürtigen Geschlechtern, sind keine Mifshey-

rathen. War doch der Fürst selbst vormals

nur ein Edelmann, der das Amt eines Her

zogs oder Grafen verwaltete, und dessen Ti

tel spiit erst erblich wurde.

Ein biederer Fürst wird aber auch nie

vergessen, dafs er der erste Edelmann im

Lande ist. Gustav Adolph schlug in der

Hitze dem Christen Seaton ins Gesicht. Als

dieser seinen Abschied federte*, liefs ihn

Gustav zu sich rufen: ich habe Sie belei-

Page 176: Vom Adel

"digt, sprach e r ; hier sind zwey Degen,

" und hier ein Paar Pistolen. Wählen Sie!

Der gerührte Seaton warf sich dem Helden

zu Fussen, Gustav umarmte ihn, und er

zählte öffentlich am Hole, wie er seine

Übereilung wieder gut gemacht. Ludwig

XIV hatte seine Nichte, die Mademoiselle

Montpensier, dem Herrn von Lauziin, einem

simpeln Edelmann, zur Ehe versprochen,

nahm aber sein Wort zurück, als der spa

nische Hof sich dagegen sezte. Lauzun

sagte dem König ins Gesicht: ein ehrlicher

Mann müsse Wort halten, wenn er auch

ein König wäre. Ludwig ward zornig, gieng

zum Fenster, und warf den Stock, den er

in der Hand hatte, auf die Strafse, mit den

Worten: "Zum Fenster hinaus mit dir! ich

"könnte sonst so unglückbch seyn einen

"Edelmann zu schlagen."' Das that Lud

wig, jener stolze Monarch, der dem zittern

den Europa Gesetze vorschrieb, und das

Project einer Universalmonarchie in seinem

Kopfe herumwalzte.

M fl

Page 177: Vom Adel

Die natürlichen Kinder eines Fürsien

führe» den Stand der Mutter. Sie sind

Grafen oder Freyherren, wenn diese Gräßh

oder Freyin war. Auch das mit einer bür

gerlichen Dirne erzeugte Kind der Liehe

darf der Fürst für einen Edelmann erklä

ren, und ihm ein Wappen eriheücu. Die

Philosopliie enthält hiehey sich aller Glos

sen. Es ist nun einmal so Sitte, und die

Götter dieser Erde kümmern sich selten um

den Bey fall der 1 Jimmelsgötlinn Weisheit.

Digrcssion über die AliJ'sbiiridnisse der

h. Mifshünduisse der Fürsten in ihrem ei

genen Lande, werden des Lbermuthes Quelle

unter den neuen Schwägern. Auch mag

der Mitbürger nicht gern seines gleichen

über sich sehen; leichter wird ihm jedes

Opfer für einen Fremden, den er nicht als

Knabe kannte, mit dem er nicht heranwuchs,

gewöhnt, jedes Beclit, jeden Vbreug mit ihm

zu (heilen.

Page 178: Vom Adel

Von jeher behaupteten die Landstände

das Recht, sich Mifsbuntbussen ilirer Für

sten zu widersetzen; von jeher versagten

sie den Kindern solcher Ehen ihren Gehor

sam, ihre Treue, Heinrich der Erlauchte,

Markgraf zu Meilsen und Landgraf zu Thü

ringen, warf sich nach dem Tode seiner

zweyten Gemahlin in die Anne einer Fräu

lein von Maltitz, die seine Gattin wurde,

und ihm den Kummer tragen half, welchen

sein Sohn Al brecht ihm verursachte. Sie

gebahr ihm einen Sohn, Friedrich. Vater

hebe begünstigte diesen Jüngling. Kaiser

Rudolph erhob ilm und seine Mutter in den

Stand der Semperfreyen, Markgraf Heimich

wollte ihn erben -lassen wie seine Brüder;

und doch mufste er sich mit dem Besitz der

Stadt Dresden begnügen, dem Fürsteutitel

entsagen, und seinen Bruder für seinen gnä

digen Herrn erkennen. Die Mutter schrieb

sich nur Witlwc des Markgrafen Heinrich,'

Eben so gieng es nachher Albrecht dem Un

artigen, dessen Gemaldin eine Fräulein von

Page 179: Vom Adel

.SV.

EUcnberg war. AN Buhlerin verdrängte sie

eine unglückliche Fürstenlochter aus dem

Huhenstauli.schen Hause, welche der 'Fyran-

ney ihres Gemahls durch die Flucht ent-

gieng Aber nie konnte der boshafte Apitz,

die Frucht jener mit Fluch beladenen Ehe,

seine Brüder Friedrich und Diezmann ver

drängen, obgleich die ungerechte Vorliehe

des Vaters ihn stüzte. — Auch Herzog Wil

helm hielt die Einwilligung seiner Land-

stände für nothwendig, und suchte sie, als

er sich mit Katharinen von Brandenstein

vermählen wollte. Churfürst Friedrich der

Siegreiche von der Pfalz tliat das nehmli-

che, als er ein ansehnliches Slück Landes

dem Sohn der schonen Sängerin Klara Det-

tin von Augsburg verheb, welcher der Stü

ter des fürstlichen und griiHiclien Hauses

von Löweustein-Wertheim wurde. — Georg

Aribert, ans dem Hause Anhalt, vermählte

sich mit Elisabeth von Krosigk. Aber ob

gleich die Stände sie als seine rechtmäfsige

Gemahlin anerkannten, versagten sie ihr

Page 180: Vom Adel

doch den Fürstentitel, und ihr Sohn wer

nur Grat' von ßahringen.

Die eiste und einzige Mifsheyrath, wel

che wir in der Geschichte des Ost reichischen

Kaiserstammes finden, ist die Vermahlung

/.wischen Ferdinand und Philippinc Weiser.

Sie war die schönste Dirne in Augsburg,

das Schooskind der Natur, ihre Seele ein

Hauch der Gottheit. Er war ein stattlicher

Jüngling, rasch und heftig, treu und beharr

lich. Sie liebte ihn, doch mehr noch ihre

Tugend; er hebte sie, und ehrte ihre Tu

gend. Die Liebe führte beyde heimlich /um

Altar, die Liebe knüpfte ein unauflösliches

Band, nur der Tod machte einst den Ver

such es zu trennen. Kaiser Ferdinand und

sein stolzer Bruder verstiefsen das gute Paar.

Acht Jahre nachher warf sich Plülippiue in

verstellter Tracht zu des Kaisers Füssen,

der hohe Seelenadel, welchen die Natur auf

ihre schöne Gestalt geprägt hatte, besiegte

den zürnenden Greils. Er genofs den schön

sten Augenblick seines Lebens, er verzieh

Page 181: Vom Adel

Doch waren ihre Kinder nie Erzherzoge von

Ostreich, sondern nur Markgrafen von Bur

gau. Aber keine Politik, kein Interesse ver-

mogte das Hera des braven Mannes von

dem ller/.en des edlen Weibes zu trennen,

kein Opfer schien der Liebe zu grofs ! Phi

lippinens Denkmal in der Franziskanerkir

che zu Inspruk, und die Schaumünze mit

ihrem Engelbilde, clivae Philippinac gewid

met, sind auch Denkmäler der beharrlichen

Liebe ihres Gatten.

Gern wollte ich euch nun auch den

grausamen Mord der armen Agnes Eernaue-

rin erzählen; aber die süsse Empfindung,

welche Plüh'ppinens Sclücksal in mir weck

te, stimmt lücht mit jener scliauerbchen.

Fortsetzung des siebenten Kapitels:

wie der Adel errungen wird.

Nun sind leider schon Jahrhunderte ver

flossen, seit man auch den Adel für baares

Geld laufen kann. Die Ehre steht gefes

selt am Zählbret, auf welches der Käufer

Page 182: Vom Adel

seine Ducaten wirft, und wird weinend aus

geliefert als eine Leibeigene.

Et genus et forma in rc^iiia, pecunia donat

W e r Geld hat :

Clarus erit, foiiis, Justus, sapiens etiam et rex Et (juiclijuid voiel.

Die Homer machten bisweilen für Geld

einen Menschen zum Gott. Ich mufs im

mer lachen, wenn man die Römer, und Al

les was sie thaten und nicht thaten, bis in

den Himmel erhebt. Es gab weise Leute

unter ihnen wie unter uns. Es gab' Narren

unter ihnen wie unter uns.

Freylich sollte die Ehre nicht wie eine

Schaumünze unter das Volk geworfen wer

den, dafs ein jeder Bürger gleiches Recht

habe darnach zu greifen. Aber wenn nun

ial der Fürst, durch den Stempel seiner

Gunst, dem Kupfer den Werth des Goldes

gab; so ist es Pflicht des treuen Unterihans,

mit Asmus auszurufen: "es kann Einer noch

"adelich seyn, und nicht mehr edel. Denn

"bis der Landesherr den Stempel wieder

Page 183: Vom Adel

"tilgt, mufs Jedermann, aus Achtung für

"den Landesherm, den Edelmann für einen

"edlen Mann ehren; er mag es seyn oder

"nicht."

Das schone Geschlecht erlangt und ver

liert den Allel nur durch Heyrathen. Kaiser

Ferdinand gab zwar dem Geschlechte der

JVoijftn. zur Todtenwart das sonderbare

Vorrecht, seinen Adel auch durch die Toch

ter fortzupflanzen, doch war diefs eine sel

tene Ausnahme von der Regel. Denn das

Weib ist nur eine JSulJ, deren Werth von

der Zahl abhängt, welche man ihr vorsezt.

Diese Zahl ist der Mann. Aber die Kuli

brüstet sich, wie Nullen gewöhnlich zu tliun

pflegen. Immer ist der Character des Wei

bes Übertreibung im Guten wie im Bösen,

im Grofsen wie im Kleinen, im Reich dar

Eorfl und im Reich der Mode; bald hinge

bend ihre lezte Gunst, bald tugendhaft bis

auf die Fingerspitze; bald vertraulich mit

ihrem Kammerdiener, und bald holmspre

chend dem bürgerlichen Gelehrten. Der

Page 184: Vom Adel

Weise zuckt die Achseln; der Cholericus

erzeigt ihnen die Ehre sich über sie zu är

gern, und der Sanguineus findet sie hoch-

adelicb lächerlich. An einem gewissen fürst

lichen Hofe verliessen die Hofdamen ihre

Plätze in der Schloßkirche, weil eines neu-

geadelten sehr würdigen Geheimenraths

Tochter sich daselbst einfand.

Hui! ruft Plautus: homunculi quanti

eslis! das heifst auf teutsch: (denn ich spre

che ja mit Damen:) Ach ihr armen Mensch-

Man verzeilit dem Pfau das Ausbreiten

seines Schweifes, weil er keinen andern Vor

zug hat; aber ihr, von der Natur mit tau

send Zauberreizen ausgerüstet; dir, geschaf

fen durch Sanftmudi und Bescheidenheit

Männerherzen zu fesseln; ihr entweyht jede

schone weibliche Tugend durch lächerlichen

Ahnenstolz. Es war einmal ein närrischer

Gärtner, der zog schöne Bosen. Eines Ta

ges baten ihn die Hosen, er mögte ihnen

doch schöne Kleider von Gold und Seide

Page 185: Vom Adel

nahen lassen. Der Gärtner that es. flenn

«er kann den Bitten einer Rose widerste

hen? Da lachten die grol'sen Baume rings

umher, und alle Grasblumen lachten mit.

Die Rosen staken bis Über die Köpfe in

Gold und Seide, und die Luft umher war

nicht mehr von ihrem süssen Duft ge

schwängert.

Diese weibliche Einfalt ist es , welche

unsern Dichter Goekingk veranlagte zu

singen:

Sie ist an Geist und Herzen ohne Tadel, Verbindlich gegen Jedermann, Und — was man last nitlu glauben kann —

Bey allem dem von aUem teutschen Adel.

Es thut mir weh, meine Waffen gegen ein

Geschlecht kehren zu müssen, dem ich die

schönsten Augenblicke meines Lebens ver

danke, und dem ich oft schon als Dichter

das Opfer meines Herzens brachte. Aber

wenn der Philosoph Hand in Hand mit dem

Geschichtschrciber auftritt, so mufs der

Dichter schweigen.

Page 186: Vom Adel

Ob ein Fürst nur in seinem eigenen Lande adeln dürfe?

D i e Meynungnn sind getheilt; denn es ha

ben sicii Gelehrte mit dieser Frage befafst,

und Gelehrte sind nie einig. Man lese,

wenn man will, Tiraqucau und Jean R;:y-

nuce, welche Recht zu haben scheinen.

Als Kaiser Sigismund im Jahr i4 i5 wah

rend der Kraukheil Karls des Sechsten nach

Paris kam, ward er im Parlament durch

Faction des Hauses Bourgogne empfangen.

Man klagte vor ihm eine Sache, betreffend

das Amt des Seneschalls von Beaucaire, wel

ches jederzeit von Edelleuten war verwaltet

worden. Einer der Mitbewerber, ein Ritter,

pochte auf seinen Adel. Sein Nebenbuhler.

GuUIaume Signet, war nur ein Bürgerlicher.

Sigismund wollte ihn begünstigen, und auf

der Stelle zum Ritter sehlagen. Schon liefs

A C H T E S K A P I T E L .

Page 187: Vom Adel

lOÜ

er ein Schwerdt und goldene Sporen her-

beybringen, als der Kanzler, der zu seinen

Füssen saht, die Bemerkung machte, es ste

he nicht in seiner Macht, in Frankreich ei

nen Edelmann zu schaffen. "Gu t ! " sprach

Sigismund zu Guillaume Signet: 'folge mir

"bis zu der Brücke von Beäuvoisin." Und

dort schlug er ihn zum Ritter,

ÜberHüfsige Weidä'uftigkett! Ein Fürst

kann liberal! adeln ; denn Vvenn der Adel dem

Verdienst ertheilt wird, so ist er eine ge

rechte Gnade, oder eine gnädige Gerech

tigkeit. Ein Fürst kann und soll aber über

all gerecht und gnadig seyn. In Teutsch

land adelt nur der Kaiser, oder seine Vica-

rien. Das Recht der ReicJisfürsten wird be

stritten.

Page 188: Vom Adel

N E U N T E S K A P I T E L .

Darf ein Edelmann Handlung treiben.

E i n e Menge Gesetze erklären sich gegen

diese Frage. Eine Menge Schriftsteller sind

gleicher Meynung. Knipschild unter an

dern declamirt gewaltig gegen den Stand

der Kaufleute. Er mufs wohl oft von .Til

den oder Christen betrogen worden seyn,

und nennt nun alle Kaulleute Betruger.

Schon zu der Thebaner Zeiten, spricht er,

ward nur der fähig gehalten, ein öffentli

ches Ehrenamt zu verwalten, der zehn Jah

re lang keine Kaufmannschaft getrieben.

Man machte es dem Tarijuiuius Priscus zum 1

Vorwurf, dafs- sein Vater ein Kaufmann ge

wesen. Plate, Aristoteles und Apollonius

hielten die Kaufmaiuischaft für eine Fein

dinn der Tugend. Lycmg untersagte sie

seinen Bürgern, und Cicero schmähte sie.

Der heilige Chrysostomus spricht sogar den

Page 189: Vom Adel

Kaufleuten die ewige Seligkeit ab. Er sagt:

ein Kaufmann, kann sehen oder nie Gott

gefallen, drum soll kein Christ ein Kauf

mann seyn, bey Strafe der Ausschliessung

aus der christlichen Kirche. Matthias Cor-

vinus, der König der Ungarn, spottete der

venetianischen Edelleute, weil sie Handlung

trieben.

Doch alles was vor alten Zeiten von

Weisen und Thoren, von Gesetzgebern und

Gelehrten dagegen vorgebracht worden, hat

heutzutage seine Kraft verlohren. Vormals

nannte man jeden Krämer einen Kaufmann.

..im.Die Lydier waren die Ersten, welche den

Handel ins Grofse trieben, öffentliche Her

bergen errichteten, goldene und silberne

Münzen prägten. Phönicier, Sidonier, Car-

thaginenser, Perser und Egvpter werden

mächtig durch den Handel. Sie blühten und

verblühten. Andere sprossen auf und wuch

sen. Neue Welten wurden entdeckt; Flo

renz, Venedig, Genua, Sevilla, Lissabon und

Antwerpen blühten auf. Selbst der Adel

Page 190: Vom Adel

s t

si

rüstete Schiffe aus. Neapel, Palenno, Mar

seille, London und. die Hanseestiidte folgten

diesem Beyspiel. Man lernte die Annehni-

Lchkeiten des Lebens kennen; neue Bedürf

nisse erwachten; der Überflufs schüttete

sein Füllhorn aus, immer sind Künste tmd

Wissenschaften in seinem Gefolge. Die Rit

ter rauften sich nicht mehr; die Turniere

wurden vergessen; mit ihnen Rüxners Tur

nierbuch und die meisten Gesetze, welche

dem Adel die Handlung verboten. Der Kai

ser adelte viele Kaufleute. Die Fugger und

Schmettau wurden Grafen, die Medicis Für

sten. Die Doria und Pallawiciui schämten

sich nich.t des Handels. Nemeiz erzählt in

seinen vernünftigen Gedanken, die würk

ich meistens ziemlich vernünftig sind; er

abe auf seiner Reise nach Italien einen

Wechsel an den Principe Pallavicini genaht,

und auf dessen Comptoir würklich ausge

zahlt erhalten. Als Lord Oxford England

beherrschte, war sein Bruder Factor zu

Aleppo. Der Sohn des Staatsministen Wal-

Page 191: Vom Adel

pole war Banquier. Ein Sohn des Lord

Bure gieng als Handelsschreiber nach Ost

indien. Eine kleine Insel, die nur Bley,

Zinn, Steinkohlen und grobe Wolle erzeugt,

ward durch Handlung Königinn der Meere.

Von Holland sagt man mit Hecht: deine

Kaufleute sind Fürsten! und wenn Baron

Theodor, der sonderbare König von Corsica,

in seinem Manifest, über die Flandlungtrei-

benden Genuesischen Edlen spottet ; so

spotten wir dagegen über ihn in unsern

komischen Opern. Auch Cicero hält, so

sein: er in seinem Buche von den Pflichten

gegen die Kriimerey declamirt, doch die

Handlung im Großen aller Ehren werth.

In seiner Rede gegen den Verres, nennt er

den Lucius Pretius einen vortrefflichen rö

mischen Hitler, (splendidissimum eciuitem

romanum,) ob er gleich seiner eigenen Aus

sage zufolge in Palermo Handlung trieb.

Nun waren aber damals die römischen Rit

ter gar angesehene Leute. Thaies, Solon

und Hippocrates handelten; Plato verkaufte

Page 192: Vom Adel

Oel auf seiner Reise nach Egypten, und der

Vater des Demosthenes war ein Eisenhänd

ler. Selbst Cato kaufte Sklaven, liefs sie

unterrichten, und verkaufte sie theurer wie

der. Wo ist der unweise Fürst, der nicht

den Handel schüzt? ihn beschäme ein Ge

setz des Königs Athelstan aus der ersten

Hälfte des zehnten Jahrhunderts, welches

verordnete: dafs ein Kaufmann, der für ei

gene Rechnung zwey Reisen in entfernte

Länder gethan, den Rang eines Than oder

Edelmannes haben solle.

Es findet sich in der Geschichte Esth-

lauds. eine Sonderbarkeit, die ich nicht über

gehen darf, weil sie mit allen damals her

gebrachten Rittersitten streitet. Bey der

Huldigung des Heermeisters Herrmann von

Brüggeney, ward auf dem Markte zu Reval

ein Turnier gehalten, wobey ein Kaufge-

sctle einen Edelmann vom Pferde rannte.

Die Bürger lachten, der Adel griff zum

Schwerdt. Des Bürgermeisters Vegesack

Beredsamkeit steUte die Ruhe wieder her,

Page 193: Vom Adel

..j6

und der Heermeister selbst entschied zum

Nachtheil des Adels. W ie knm es, dafs zu

einer Zeit wo der Adel das Wallen tragen

als ein abschliessendes Recht begehrte; wo

den .Söhnen der Geistlichen und Beuern das

Wehrgehäng um ihre Hüften scharf unter

sagt war; wo die Kaufleute auf Reisen das

Schwerdt nur an den Sattelknopf hangen

durften; man in Reva! sogar mit ihnen fur

nierte? in Reval, dessen Edle und Ritter

aus den ältesten semperfreyen teutschen Ge

schlechtern abstammten? Mischte vielleicht

die Freude des festlichen Tages alle .Stände

untereinander? oder zeichneten schon da

mals, wie heute, die Edlen Esthlands sich

aus durch brüderliche Eintracht mit dem

braven Bürger? —

Und im Grunde sind wir ja Alle Kauf

leute, wir handeln Alle, vom Gnil'sten bis

zum Kleinsten. Die Fürsten handeln mit

Soldaten, verkaufen sie bisweilen nach Ame

rica. Der Landadel verkauft Getraide und

Vieh. Ich darf nicht sagen, womit die Geist-

Page 194: Vom Adel

lichkeit handelt Die Gelehrten sind Pa

pierhändler, sie lassen sich jeden Dinten-

Jleck bezahlen. Die Dichter handeln mit

Zuschriften und Schmeicheleien. Der Sol

dat handelt mit Leib und Leben; Haut um

Geld, Leben für Ehre. Der Rechtsgelehrtc

handelt mit Gesetzen, der Arzt verkauft Ge

sundheit. Der Politiker handelt mit Lügen,

und der Verliebte mit Schwüren. Die gan

ze Welt ist ein grofser Jahrmarkt, wo Jeder

seine Waare anpreifsr. Der Stand schändet

nie den Menschen, wold aber oft der Mensch

seinen Stand.

Ehr" und Schande sind an keinen Stand 1'

Gebunden. Time Recht, JU hast du Elire.

Die gesunde Vernunft hat also nichts dage

gen einzuwenden, dafs der Edelmann auch

ein Kaufmann seyn könne; denn ein grofser

Kaufmann sezt eben so viele grofse und

in an rückfällige Eigenschaften voraus, als der

fürst, der Feldherr, der Gelehrte. Doch

eingewurzelte Vorurtheile kämpfen noch

immer mit stärkern Waffen gegen die Aus-

Page 195: Vom Adel

Sprüche der gesunden Vernunft; und da

diese verträglicher ist, als jene sind, so Iäfst

sie dein alten Schlendrian seinen Lauf und

schweigt. Es giebt freylich noch manchen

Winkel in Teutschland, wo der Ahnenstolz

hohnlachelnd auf Fleüs und Arbeitsamkeit

herabblinzelt. W e r mag es dann dem rei

chen Handelsmann verargen, wenn er mit

seinen Schätzen in ferne Lander zieht, wo

man nicht fragt:

Quis I • CT.-. hic est ? quo patre natits ? Ho rat. Satyr.

Page 196: Vom Adel

Z E H N T E S K A P I T E L .

Wie dar Adel verto/iren geht.

S c h o n aus den oben angeführten Turnier-T.

geselzen kann man sehen, welche Verbre

chen den Verlust d e s Adels nach sich zie

hen. Freylich war jene gute alte Zeit oft

strenger als die iinsrige. Mit der Ketzerey,

z. B., hat es heutzutage nicht viel mehr zu

sagen. Doch hört der Renegat auf e in Edel

mann zu seyn, und dem Gotteslästerer ge

bietet das sächsische Recht die Zunge aus

dein Halse zu reissen. Dem Majestätsver-

hrecher werden Helm und Schild zerbro

chen, seine Güter confiscirt, sein Kahme

"ür ehrlos erklärt, sein Gedächtnifs verflucht,

sein Haus geschleift, und an dessen Stelle

Schandsäuleu errichtet. Auch die unschul

digen Kinder büfsen des Vaters Verbrechen,

sie sind ehrlos, und sogar der Gebrauch der

Saeramente ist ihnen untersagt. So verord-

Page 197: Vom Adel

flOO

riet (üe goldene Bulle: Aus besonderer

' Kaiserlicher Sanfirnuth schenken wir den

"(unschuldigen) Söhnen das Lehen; aber

"sie sollen von aller Erbschaft ausgeschlos

sen, immer bedürftig und arm seyn; Schon-

"de der Väter soll sie begleiten ; keine W ü r -

"de, keine Sacramente mögen sie jemals er

langen, und wer auch nur für sie bittet,

"soll ohno Gnade ehrlos und infam seyn."

Haben das Menschen geschrieben? war das

Kaiserliche Sanjimuth? Ist es nicht genug,

und vielleicht billig, dafs die Kinder, auf

welchen ohne eigenes Verdienst der Eltern

Ehre ruht, auch der Eltern Schande tragen?

Wer in die Acht und l'ogelfiey erklärt

wird, der ist des Adels verlustig. Doch

mufs es rechtmäfsig, nicht aus Rachsucht,

nicht aus politischen Gründen geschehen

seyn, wie vormals in der Gnmipachischen

Sache zu Gotha, und bey der, Hinrichtung

des Herrn von Patkul.

Der Mörder verliert den Adel. Man

mögte glauben, die Turnierartikcl hätten

Page 198: Vom Adel

etwas überflüssiges verordnet, als sie spra

chen : Keiner soll seine Bettgenossinn töd-

ten. Aber es gab doch einmal einen Frey- r

herrn von Sichelsheim, der seine Gattinn

umbrachte, und — kaum ist es glaublich! — s

dazu den Augenblick wählte, in welchem

sie ein Kind zur Welt gebahr. Er wurde

deshalb von den Tun nervogten aller Ehren

und Wurden entsezt. Die Würde der

Menschheit hatte er schon längst verlohren.

Der Räuber verliert den Adel. Aber

falsch spielen ist eine Jicye Kunst, und

verliert man deshalb den Adel in uusern

Zeiten nicht.

Kein Edelmann soll sich als Spion ge

brauchen lassen, er sey denn durch irgend

einen Titel dazu privilegirt worden,

Mifslwyiathen schwächen den Adel.

Schon unter den alten germanischen und

nordischen Völkern war es Grundsatz: edle

Jünglinge sollen bey Vermählungen mehr

auf den gleich edlen Stamm der Braut, als

auf die Schönheit sehen, mit welcher die

Page 199: Vom Adel

Natur sie ausgestattet. Selbst tapfere Män

ner niedriger Abkunft durften nicht nach

den Herzen erlauchter Jungfrauen sireben.

Der glückliche Räuber, und folglich der

Held Ebbe, mufste noch an seinein Ver

mählung* tage um die gothische Königstoch

ter kämpfen, weil sein Blut unwürdig war

sich mit dein ihrigen zu mischen; und der

fabelhafte Starcalher strafte einen fremden

Coldschmidi, der eine königliche Jungfrau

verführt hatte.

Krämeney und gemeine Gewerbe ver

tilgen den Adel. Ausdrücklich sind dem

Edelmann folgende Handihierungen und

Nahrungszweige untersagt; Slorcher, Quack

salber, Zahnbrecher, Marktschreyer, Klopf

fechter, Gomödiant, SeUtänzer, Gaukler, Ta

schenspieler, Apotheker, Barbirer, Bader,

Koch, Mezger, Becker, Müller, Schlösser,

Glaser, Zöllner, Schreiber, Schneider, Schu

ster, Zimmermann, Maurer, Dachdecker,

Weifsbinder, Wirth, Bierschenk, Gärtner,

Fischer, Spielmann, Pfeifer n. s. w.

Page 200: Vom Adel

Durch Verfährung kann man wold den

Adel erlangen, aber nicht einbüfsen. Ist

gleich ein Geschlecht verarmt und in Nie

drigkeit versunken, so konnten doch dio

Eltern der Kinder Rechte nicht vergeben.

Wer beweisen kann, dafs sein Urgrofsvater

ein Edelmann gewesen, der ist es noch, und

ist weiter keine Rehabibtation des Fürsten

nS.hij.

Durch folgende Dinge verhört man in

unsern aufgeklarten Zeiten den Adel nicht:

wenn man Schulden macht, und nicht be

zahlt ; wenn man unschuldige Mädgen ver

führt und sitzen läfst; wenn man uneheli

che Kinder in die Welt sezt, und sich nicht

weiter um sie bekümmert; wenn man den

Freund im Zweykampf ermordet; wenn man

faullenzt und dumm ist.

Page 201: Vom Adel

2C-4

E I L F T E S K A P I T E L .

Von der Tuehucht.

Ich kann der Versuchung nicht widerste

hen, diese drollige Materie hier einzuschal

ten, da sie dem Adel leider! ziemlich nahe

verwandt ist.

Unsere Voreltern hielsen schlechtweg

Ehrerfest, Ehrsam, Achtbar, Grofsarhtbar,

Gest/eng, Edel, Mannhaft, Fromm. Wer

Fest und Fümehm genannt wurde, der war

ein angesehener Mann. Ein holprigter, aber

sehr vernünftiger alter Reim singt:

D a m a n n n s E J / e h i e r s , Ges t r ig und B&rtmjktt,

War Gut und Blut und Muth bey uns am

Allerbot.

Nun aber, da es heifs! hochwoldgcMtnie Gnaden,

Weifs man nicht in der Welt der Narrheit melir

Die Worte Gnädig und Euer Gnaden sind

lächerlich; denn nur ein unmittelbarer Reichs-

Page 202: Vom Adel

stand, welcher die hohe und niedere Ge

richtsbarkeit hat, kann Gnade austheilen.

Doch wollte ich Keinem rathen, einer ade

liehen Dame die Gnade zu versagen, sie ver

sagt ihm gewifs dagegen die ihrige.

Es war eine gute alte Zeit, da man die

Könige edel, und die Fürsten ehrbar nann

te. Ein Herzog von Braunschweig schrieb

im Jalir 1Ü70: "Hier helft Over gewesen te

"ehrbare Vörste Bischop Altert von Halber-

" Stadt."

Werner und Otto, Edle in Egelen, rede

ten den Herzog von Braunschweig also an ;

"Werner und Otto, die Edelen von Hamers

"Ioo und to Egelen, beden dem achtbaren

"Vörsten, useme Herzogen Otten von Brun

swick usc berde und willige Denste."

Der Tapst schrieb an alle grofse Herren

nur: nobili prineipi, dem edlen Fürsten.

Königssöhne hiefs man Junker oder Edel-

herren; ihre Gemahlinnen Frauen, und ihre

Töchter Jungfrauen, oder Fräulein.

Page 203: Vom Adel

ao6

In Frankreich nannte man vor Zeiten die

Konige E.rccl/enz. Die Majestät gebührte

nur dem Kaiser. Die Konige von F.ngland

hicfsen Ew. Gnaden. Noch im spanischen

Successionskriege gab man in Wien der

Köiüginn von England, Anna, nur den Titel

Königliche Würde, dignitas regia. Heut

zutage heilst jeder Fähnrich im Dienste

eines Fürsten über eine Spanne Landes,

Ew. Gnaden. Unsere Grafen nennt man

Hochgräßiche Excellenz, und seit kttr/em

gar Erlaucht. Unsere Monarchen sind un

überwindlichst und allergnädigst; b.dd wer

den wir sie allmächtig nennen. Mancher

Beschützer des Glaubens vertrieb den nehm-

lichen Glauben aus dem Lande, mancher

Mehrer des Reichs verminderte es. Dem

Könige von Jerusalem gehörte nicht ein

Dachziegel daselbst.

Des Menschen Demuth ist eben so über

trieben als des Menschen Stolz. "Ich habe

"die allerhöchste Gnade gehabt, aljerunter-

'thänigst aufzuwarten." "Die aUerhÖrhsten

Page 204: Vom Adel

2C-7

"Herrschaften haben allergnädigst geruht

','der Oper bey zuwohnen." Wehe euch!

wenn ihr einst Rechenschaft geben sollt,

von jedem unnützen Worte , das ihr auf

Erden spracht. — Vor ungefähr achtzig Jah

ren schrieb man am Schlufs der Briefe:

zugethaner Diener; darauf wurden wir ge

horsamste Diener, und nun haben wir schon

die Ehre es zu. seyn. Der Duc d'Epernon

schrieb kurz vor seinein Tode an Richelieu,

und sehlofs mit Votre t res-humble et tres

obeissant serviteur. Als der Brief schon fort

war, besann er sich, dafs der Kardinal nur

tres affectionne an ihn geschrieben. Ge

schwind schickte er eine Staffelte nach, än

derte den Brief und starb ruhig. — Ein ehr

licher Priester schrieb an Pius den Vierten-.

"An Tius, den Knecht der Knechte Got

t e s , " und ward dafür ins Gefäiignifs ge

worfen.

Die sonderbarsten Titel schuf man im

Mittelalter. Da gab es Oherßaschenhexvah-

rer, Ohe/Spießer u. s. w. Im Fürstentum»

Page 205: Vom Adel

Zelle waren die Herren von Sporke Erb-

pötker. Als die DicliLkunst sank, da kam

die Narrheit empor und ward ein Nahrungs-

-zweig, daher gab es sogar Titulär - Hof

narren.

Es gab eine Zeit, wo der Königstitel sehr

gemein war. Man kannte einen König der

Gerichtsschreiber (Basoche); einen König

der Lüderlicfien, der die Aufsicht über das

Hofgesinde führte; einen König der Barbie

rer u. s. w. • Die Zigeunerobristen sind Kö

nige und Herzöge.

Titel und Worte haben die Menschen

Ölter entzweyt, und mehr Blut gekostet, als

Länder und Kronen. Iwan Wasilewitsch

und Sigismund August Führten langwierige

Kriege um den Czaartitel.

Doch die Titelsucht ist nicht blos eine

europäische Narrheit, sie ist ein geiles Un

kraut unter jedem Himmelsstriche; und

wenn die Römerinn Paula sich vom heili

gen Hieronymus bereden läfst, den unsinni

gen Titel Gottes Schwiegermutter anzuneh-

Page 206: Vom Adel

aog

inen; so nennt sich dagegen der Sultan von ArcStn-

Menany Calio Herr der Luft und der Wot- °*"

ken, Herr der nach Gefallen morden und

umbringen kann, ohne dafs er dadurch ein

Verbrechen begeht; der seine Abgaben in

lauterem Golde Scheffelweise einnimmt; des

sen Beteldose von Golde mit Diamanten be-

sezt ist. Der König von Bali heilst Gott

und seine Prinzen sind Engel. Alle Könige

von Asien sind Geschwisterkind mit Sonne,

Mond und Sternen. Ein mongolischer Chan MUUM

führt den Nahmen Altin Zaar, der goldene .

' König.

Die vier vornehmsten mexicanischen B«Wri-

Staatsriitlie hatten gewaltige Titel. Der Er

ste hiefs: Fürst der Todvollen Lanze; der

Zweyte Miinnerzcrspalter; der Dritte Blut-

•vergieße/-; der Vierte Herr des ßi/siern

Hauses. Die Grofsen au des Moguls Hofe

heifsen liejhenzerschmctierer, Strahlen-

schiesser, Donnerschleuderer. Das Haupt

der Erees auf den Sandvich - Inseln, heifst

Eree Mar», das ist: ein Mann in dessen o.«*.

Page 207: Vom Adel

Gegenwart sieh alle übrige schlafe* legen

müssen. Der Kochkessel sieht bey den Ja-

nit scharen in eben so grofser Achtung, als

bey uns die Fahne. Daher heilst der Haupt

mann Suppcngeber, und der Major Küchen-

ob rister.

Der König von Marocco ertheilt zuwei

len den Titel Kat'd Raso, das heilst: Gou

verneur über seinen eigenen Kopf. Diese

Würde soll dort wenig bedeuten. Das

nimmt mich Wunder ; denn es giebt weni

ge Menschen in der Welt, die Gouverneure

über ihre eigenen Köpfe sind;

Der König von Siam ist der König der

Könige, der die Wasser wachsen und flies-

seu läfst, der Gott ähnliche Monarch, die

Mittagssonne, der Vollmond, der Nordstern,

die immer sich fortwälzende Kugel, womit

man die Abgründe des Meeres messen kann;

der Gewaltige, dessen Flügel die ganze Welt

überschatten; der göttliche Beherrscher des

weifsen, rollten und rundgeschwänzten Ele-

phanten; König einer zaldlosen Menge Pferde

Page 208: Vom Adel

mit goldenen Hufeisen und kostbaren Ge

schirren; Herr aller Kaiser, Könige undFür-

(ten in d'T Welt, vom Aufgang der Sonne

bis zum Niedergang; König so mächtig als

Gott! u. s. w.

Lichte die Anker, Sebastian Drand ! dein

Narrenschiff ist voll geladen.

Page 209: Vom Adel

Z W Ö L F T E S K A P I T E L .

Der LanJedelmaun.

H i n w e g TOD jenen Auswüchsen des mensch

lichen Geistes, zu den freundlichen Sceuen

der reinen unverdorbenen Natur. "Selig

"der jooo Livres Einkünfte hat, und mich

"nicht kennt!" sprach Heinrich der Vierte.

Als Gyges, der mächtige Lydische Mo

narch, das Orakel befrug, wer der glück

lichste der Menschen sey? erhielt er' zur

Antwort: Aglaus. Wer ist dieser Aglaus? —

man frug lange hin und her. Aglaus war

ein Landmann, der ein paar Hufen baute,

und in seinem Garigen im Genufs der scho

nen Natur schwelgte. O fortunatoi nimium iui si bona norint

Agrici'l.ü, 'i' • ipia, procut iliscordibus arniii, Fundit honiu faulem viuum juslissima tellus.

Virgil. . Georg.

Schöne Bestimmung des Menschen! er

ster Stand in der Welt! ohne welchen Kro-

Page 210: Vom Adel

nen nur Thealerprunk seyn würden. Feld

herren und Minister kann der Fürst eher

entbehren, als dich, Ileifsiger Landmann!

Dichter und Künstler sind des Staates Zier

de, aber du bist seine Stütze. Schranzen

ui i i l Hobgesindel verachten dich, wie die

Tulpe die Kartoffel verachtet. Sie lachen

deiner, wie ein Tanzmeister über einen Ge

lehrten lacht. Sie bedauren dich, wie der

stehende Kammerherr in der fürstlichen

Loge den sitzenden Bürger im Parterre be

dauert. Sie bemitleiden dich, wie der Jun

ker mit Zuckerbrod in der Hand, den Bauer

knaben bemitleidet, der die Backen voll

Butterhrod stopft. Hünen sie nicht, statt

des Gehirns, Puder im Kopfe; könnten sie

auch Lorgnetten für die Augen des Geistes

kaufen; sie würden warlich nicht hohnlä

cheln, wenn das Kleid des Landedelmanns

nicht nach dem neusten Schnitt und sein

französischer Accent nicht parisisch ist.

Zucke die Achseln, nützlicher Landmann!

lache der schimmernden Thoren, und hülle

Page 211: Vom Adel

dich in dos Gewand genügsamer Ruhe. Ein

dankbarer Bück in dem Auge eines Bauers,

den deine Vatersorge beglückte, ist mehr

werth, als der goldene Schlüssel an der Hüfte

des Höflings.

Du allein bist das Schooskind der güti

gen Notar, Einen Theil ihrer Kinder stofst

sie hinaus in die Welt , nur ihre Lieblinge

behält sie zu Hause; für sie schmückt sie

sich im Fr üb Ii ngsgr wandt, für sie reifen die

vollen Ähren, für sie werden des Herbstes

Früchte aufgetischt. Schalmeyenklang und

Bachgemurmel tönen lieblicher als die Pau

ke beym Gastmuhl und die Trommel in der

Schlacht. Der Frühling stickt Feyerkleider;

ein Baum mit Blühten überschueyt, ist

freundlicher zu schauen als ein gepuderter

Kopf. Wer vermifst Mara und Todi, wo

tausend Nachtigallenkehleu flöten? wer ver

mifst Ball und Opernglanz, wo die Morgen-

sonrie in ihrer Herrlichkeit mit jedem neuen

Tage ein neues prächtiges Schauspiel er

leuchtet?

Page 212: Vom Adel

Der Morgen graut, die Vögel erwachen,

Perlen glänzen im Grase. Der erste Son

nenstrahl bat dem Landinaiin den Sfblfj1

vom Auge gestohlen. Er öffnet seine Haus

thür, ilm umschvurren die Schwalben, ihn

iimzttitschern die Sperlinge, die Tauben

gurren, und die Hühner gackern. Das Mor

genroth scluninkt sein Gesicht, die frische

Morgenluit stärkt seine Brust. Er schaut

um sich, siehe da zieht die Heerde hinab

auf die Weide, die Kühe blöken der fri

schen Nahrung entgegen, und die Lämmer

umgaukeln ihre Mütter. Dort aus der Ler

ne tont ein Morgenlied, mit frohem Herzen

gesungen, indem der Bauer die mütterliche

Erde furcht. Sorgsam und wachsam uni-

schreitet der Landmann seine Felder, mit

Blicken messend, ob auch die Furche tief

genug gezogen, ob hier der Dünger nicht

gespart, und dort der Saame nicht verschleu

dert wurde. Sanfte Freude, wenn das Bog-

gengras um einen Zoll breit wuchs; wenn

Kegen und Sonnenschein zu rechter Zeit

Page 213: Vom Adel

2l6

wechselten; wenn kein Sturm da» Korn in

der Blühte traf. Sanfte Freude, wenn die

Ähren immer gelber, und seine Hoffnungen

immer rosiger werden.

Zwischen der lieben Gattinn und gesun

den Kindern, erwarten ihn am Mittage das

Brodt, das er selbst buk, der Trank, den

er selbst braute, die Milch seiner Kühe und

die Wurzeln aus seinem Garten. Zwey

Gäste sitzen tiiglich mit an seinem Tische:

Gesundheit und froher Sinn. Zwey Freun

de gesellen sich zu ihm, Hoffnung und

Schlaf. Zwey Schwestern verlassen ihn nie,

Zufriedenheit und Ruhe. Einen Feind

kennt er nicht, den Mangel. Einen Feind

achtet er nicht, den Neid. Zwey Schma-

rutzern verschliefst er seine Thür, der Pracht

und Schieelgerey. Ein Henker foltert ihn

nie, die Ehrsucht.

Nie steigt er wie ein Meteor am Hori

zonte herauf; aber er wandelt wie der Stern

der Liebe, seinen Gang einen Tag wie den

andern. Er thut heute, und wird morgen

Page 214: Vom Adel

[htm, was er gestern that; und so Weiht er

frey von der fürchterlichsten Seelenkrank

heit, der Langenwaile, denn Einförmigkeit

der Lebensart ist das wirksamste Mittel da

gegen. Auch füllen tausend kleine Freuden

seine leeren Stunden: ein junger Obstbaum,

der zum Erstenmale Früchte trägt; ein Fül

len, das keck und munter im Hofe herum

springt; ein Bienenschwarm, der glücklich

eingefangen worden; eine Melone, die in

seinem Treibhause reifte; ein grofser Fisch,

der unvermuthet an die Angel gebissen;

jede Kleinigkeit, die nach "Wunsch gerietb.

Alles, Alles macht ihm frohe Augenblicke.

Dann sizt er, und sieht mit "Wohlgefallen,

wie die fleifsige Hausmutter in ihrer W i r t

schaft kramt ; wie sie Flachs austheilt an

die Spinnerinnen, wie Rad und Weife sich

munter drehn, wie Kohl und Erbsen für

den Winter bereitet, und die Früchte zu

Mufs eingekocht werden. Dann kommen

Tage, an welchen die ländliche Freude auf

jedem Gesichte glänzt; dann kommt das

Page 215: Vom Adel

Erndlefest, der Dudelsack tanzt voran, ihm

folgt die ganze Gemeinde, Die Alten la

gern sich mit kurzen Pfeilen im Munde, um

die volle Biertonne, und schwatzen mit Mi

nen voll Weisheit von Dingen, die sie nicht

verstehen. Die Jungen drehen sich im

Kreise, die Herrschaft mischt sich unter sie,

der Erhhcrr tanzt mit der Milchmagd und

der Bauer mit dem Fräulein. Juchhey! die

Menschen sind froh! die schönste Decora

tion auf der Huhne der Natur sind frohe

Menschengesichter.

Wie? Undankbarer! du könntest die

Freuden der Jagd vergessen? die so oft dei

nem Körper frische Kraft gaben, und dei

ner Seele wohltluitigc Zerstreuung gewähr

ten. Da steht der muntere Jäger an einem

schönen Frühlingsabende im jungen kaum

grünenden Busche; die Sonne sank hinab,

sanfte Dämmerung verbreitet sich umher,

der Käfer summt, die Weindrossel singt,

die Beccassine meckert; er steht und lauscht

und lauert, da hört er die Waldschnepfe

Page 216: Vom Adel

gurren, sie zieht der Liebe nach, weil im

Frühling die Natur eine Buhlerinn ist; sie

achtet nicht den hiuersamen Jäger, findet

oft den Tod auf dem Pfade der Wollust,

entschlüpft ol'ier, lievm Aufblitzen des Pul

vers sich werfend, der schuldlosen Mordlust

dos Ungeübten. — Doch schon färbt sich

die Saut, die gefiederten Bewohner des Wal

des haben gebrütet, der Landmann wirft die

Flinte über die Schulter, ihm folgt seine

treue Diane, in kleinen Kreisen spürt sie

vor ihm her , die Nase hoch in der Luft.

Jezt wittert sie plüzlich das Wild im tiefen

Grase, jezt steht sie inauerfest, der Wedel

bewegt sich schnell, der Kopf, das feurige

Auge zielen gierig auf den Zufluchtsort, den

nur die Witterung verrieth; jezt naht sie

auf den Zuruf des Jägers langsam mit lau

ernder Vorsicht. Der Hahn ist gespannt,

die Kette fliegt auf, das Gewehr wird an

die Backe geworfen, ein Schufs — dort liegt

die Beute. Diane fal'st sie leise und bringt

sie dem rüstigen W'aidmann. — Doch schon

Page 217: Vom Adel

weht der Herbstwind über die Stoppeln,

und nur die Mittagssonne theilt die Mor-

gciinebel; da werden die heulenden Hunde

losgekoppelt, zerstreuen sich im "Walde,

hierhin und dorthin und überall hin. Jezt

findet Einer die Spur des Hasen, er ruft

laut sei.e ßrüder , sie eilen herzu, sie fol

gen der Spur, alle ihre Stimmen durchschal

len den Busch wie Glockengetöne; sie ja

gen den Hasen im Kreise, und indem er

zurückkehren wdl in das verlassene Lager,

ereilt ihn das tödtbche Bley. Oder er wagt,

auf die Schnelligkeit seiner Liiufe trotzend,

sich heraus auf das Blachfeld; der flüchtige

Windhund entflieht wie ein Pfeil dem Strik-

ke, und rahmt den kreischenden Feind. All

todil ertönt es im Felde, All todtl ertrtnt

es im Walde; der Piqueur wirft das Wild

über den Gaul, der rinnende Schweifs färbt

des Gaules Hüften, das Jagdhorn ertönt, die

Jäger ziehen förder. Und wenn sie am

Abend um den wohlbesezten Tisch steh la

gern, ha! wie ist. durch Bewegung und Irl-

Page 218: Vom Adel

sehe Luft jede Speise gewürzt, jeder Trunk

schmackhaft geworden. Sie taumeln suis

ermüdet in die offenen Arme des Schlafs.

Kein, es ist doch nirgends besser als auf

dem Lande, wo keine grofse Leidenseha.it

mich foltert; wo kein Interesse sich an dem

andern reibt, und schuldlose Freuden ver

gällt; wo kein Nachbar mir in die Schüssel

kuckt, kein Feinzüngler meine Speisen be-

schniffelt, kein Klehuneiäter meinen schlich

ten Rock bespöttelt; wo nur die Zeitungen

mir sagen was in der Welt vorgebt, und

Krieg und Empörung nur das Geschwätz

meiner müssigen Abendstunden sind; wo

Gesundheit und Ruhe am liebsten wohnen;

wo keine Klatscherey mir die Stunden ver

bittert, und der Neid es nicht der Mühe

werth achtet mich aufzusuchen.

Du hoher häfslicher Ort! von Wald und

Morästen umgeben, wo ich in den Armen

eines guten Weibes, an der Seite vortreffli

cher Menschen, die schönsten Tage meines

Lebens zubrachte! dich hat die Natur nicht

Page 219: Vom Adel

in der besten Laune geschaffen, dich schmückt

keine romantische Aussicht; aber Freund

schaft und Liebe wanden mir täglich neue

Kränze, und die Musen waren mir hold. In

einer unwillkürlichen Thräne glänzt dem

Schöpfer mein Dank für Altos was ich dort

empfunden und genossen. Dort war es, wo

ich zum Erstenmale fühlte, was Vater Gleim

so wahr vom Glück des Landmanns singt;

O du bin telig, o du Weiier I In deiner ungestillten Ruh J Viel seliger als alle Kaiser Und alle Könige bist ilii 1

Page 220: Vom Adel

MrS

D R E Y 2 E H N T E S K A P I T E L .

Der Edelmann als Kafling.

Hof kreis und Paradechargen würden den s<

Bürger nur verderben, und bewürken was

in Rom die Mittheilung der Staatsämter bey

den Plebejern nach sich zog. Beyde Stande

würden sich wechselseitig verschlechtern.

Hofzwang, Hofsprache, Hofsilten, müssen ei

nem weniger zahlreichen Kreise eigen blei

ben; denn sie sind die Auflagen, womit der

Adel seinen Glanz und die Ehre seiner Pa

radedienste bezahlt. Der nehmliche Zwang,

die nehmliche Sprache, die nebmhehen Sit

ten, würden jedem Bürger drückend und

unerträglich seyn. Der Hoftnann maskirt

mit Höflichkeit den ihm angebohrnen Stolz,

und man verzeiht ihm das Geschenk des

Zufalls. Der Stolz des Bürgers würde nur

Dünkel auf eigenes Verdienst veirathen, und

Page 221: Vom Adel

keine Maske würde ihn decken. HoCzwang,

Sprache und Sitten, würden, in das ge

meine Leben eingeführt, die menschbehe

Gesellschaft ekelhaft machen. "Wahrheit,

Freundschaft, Vertraulichkeit, und alle schö

ne gesellige Tugenden, sind aus dem Hof

kreis verbannt; aber dieser Kreis erstreckt

sich selten über den zehnten Theil der Re

sidenz. Bey Hofe herrschen Langeweile in

der Gesellschaft, Lüge im Umgang, Schmei-

cheley in der Freundschaft; die Etikette

zeichnet Kleid, Gesicht, Stellung, und jede

Bewegung des Körpers vor; Geschmack,

Gesinnungen, Grundsätze, Meynungen, Ur-

theile, Tugend und Religion, formen sich

nach dem Muster eines Einzigen; das Le

ben der Alten ist Repräsentation, und die

Erziehungskunst der Jungen mimischer und

dramaturgischer Untervicht.

Was schadet das Alles, so lange jenes

Gemähide nicht auch die Sitten der Bürger

darstellt? Aber dann, wenn man auch in je

dem Bürgerhause eine Kopie davon fände,

Page 222: Vom Adel

wie tief würden dann die Nationen herabsinken !

Lnternälvme es der Adel, den Bürger-

Stand vom Gefühl der Ehre, vom Besitz der

Tugend und Weisheit auszuschliefsen, dann

mögten Philosophen und Dichter immer

über den Unterschied der Stande schreyen

und klagen. Aber der Adel ist weit ent

fernt solche Ansprüche zu machen, und wo

hin und wieder ein Einzelner es llmt, da

wird er selbst von Knaben verlacht.

Nicht das Vorurtlieil, die Weisheit der

ältesten Zeilen hat gewollt, dafs es den

Herrschern nicht frey stehen solle, sich Ge

sellschaft und Umgang nach ihrer Willkühl

zu wählen. Die Egypticr, die Meder, die

Perser, die Macedonier, die griechischen

Kaiser, alle neuere Nationen haben gewisse

Familien ausersehen, den Privalcirkel des

Fürsten zu bilden, in welchem die Geschich

te jedes Tages, der Geschichte des ganzen

Jahres gleich sehen sollte.

Page 223: Vom Adel

Ich habe Schlossers Meynung, nur etwas

abgekürzt, hier vorgetragen. Sie ist die

meinige. Klein sind die Seelen stolzer Höf

linge, aber winzrg klein die Seelen ihrer

rjig.L Neider. Wie der Adler auf die Raupe im

Seidengespinnst, so sieht auf diese Blöden

dsr Weise herab.

Page 224: Vom Adel

— — — Ich gestehe gern,

dafs mir der Nutzen jener Stiftungen sehr

einleuchtend seyn würde, wenn ich selbst

eine fette Pfründe besafse. Loben kann ich

nicht, tadeln will ich nicht, auf beyden Ach

seln tragen mag ich nicht. Meine Gedan

ken sind zollfrey, mein Scherz unschuldig,

und meine Salyre ohne Stachel. Wen Un

glück oder Aimuth unfähig machen, des

Adels Würde zu behaupten, der sohle, wie

in Bretagne, seinen Adel eine Zeitlang schla-

P a

V I E R Z E H N T E S K A P I T E L .

Der Edelmann ah Domherr, Domkapitular,

teulicher Orderiiriiter u. t. n:

Page 225: Vom Adel

fen lassen, und bürgerliche llandthierung

treiben.

Ganz anders verhält es sich mir den ade-

iichen Fräulein - Stiftern. Sie sind eine

schickliche Zuflucht armer IVIädgen, welchen

die Natur nicht Reize genug verlieh, einem

Jüngling ihres Standes Liebe einzullöisen,

und die doch nicht unter ihrem Stande lie

ben düifen.

Page 226: Vom Adel

W o h l dem Lande, ivo ein Thea" der Bür

ger nur der Ehre huldigt, Schande mehr

(lieht als den Tod, und sieh vorzüglich ge

bühren glaubt, am Glücke seines Vaterlan

des zu arbeiten. Mufs man nothweiidig ei

nen Sporn zuviel haben, so ist doch immer

noch der Sporn der Ehre der beste.

Der Adel ist das erste Glied der greisen Di«, de

Kette, deren Bing die Hand des Monarchen J v . u i

hält. Eine Monarchie ohne Adel wäre ein

Mensch ohne Hände. Kopf und Füfse kön

nen nicht zusammenkommen, aber die

Hände reichen an beyde. Wo kein Adel

ist, da ist kein Monarch; die Türkey hat

einen Despoten.

Der Adel mildert den Glanz der Königs-

wiirile durch den seinigen; er gewöhnt das

Volk an Sternenlicht, auf dafs ihm das Son-

F Ü N F Z E H N T E S K A P I T E L .

Der Adel im Staate.

Page 227: Vom Adel

nenlicht minder die Augen blende. Der

Adel steht um den Thron und verherrlicht

den Thron. Ist er allzu sahireich, so ver

sinkt er in Armuth, und es entsteht ein

Mite verhalt nifs zwischen Ehre und Wohl

stand. Auch leidet des Fürsten Ansehn,

und die Gerechtigkeit ist in Gefahr. Drum

ist es gut für beyde, dafs die Macht des

Adels nicht ihre Grenzen übersteige. Ein

Zaum dem Pöbel, eine Brustwehr dem Mo

narchen, ein Fürsprecher dem Volke, das

ist des Adels edle Bestimmung. Nehmt ihm

seine Vorrechte, und ihr habt einen Volks

staat, oder ihr huldigt einem Despoten.

Die Ehre ist die Triebfeder der Monar

chien, aber ich sehe nicht durch Montes

quieu» Brille in der Ehre nur das Vorur-

theil jedes Standes, und jeder einzelnen

Person. Die Ehre kann nicht den Platz

der Tugend einnehmen, denn sie ist selbst

die Tugend.

Die Ehre ist das Gesetz des Adels, sie

gebietet ilun Treua mid Gehorsam gegen

Page 228: Vom Adel

seinen Fürsten. Kriegsdienst ziemt dem Adel

vor Allem, weil grofse rasche Tliaten im

Felde gebohren werden, und oft das Glück,

oft auch das Unglück ihn in den Tempel

des Ruhmes führen. Man weifs, wie un

gern Friedrich der Zweyte, nachdem der

siebenjährige Krieg den Adel verschlungen

hatte, die Officicrsstellen mit Bürgerlichen

besezte. Der englische Adel begrub sich

mit Karl dem Ersten unter den Trümmern

seines Thrones. Als Philipp der Zweyte

das Wort Freyheit in die Ohren der Fran

zosen tönen Üel's, war es der Adel, der sei

ne Krone echüzte; der Adel, der es für eh

renvoll hielt einem König zu gehorchen,

aber für schändlich die Volksmacht zu thei-

len. Welche Opfer in unsern Tagen der

französische Allel dein Monarchen bringt,

steht mit seinem edlen Blute geschrieben

am Altar der üöltinn Ehr». — Als vormals

das Haus Ostreich den ungarischen Adel zu

unterdrücken strebte, ahndete es nicht, was

dieser Adel ihm einst seyn würde. Es suchte

Page 229: Vom Adel

GoM wo keines war; es fand Manner! Man

t heilte seine Staaten, seine Macht sank in

Trümmern; siehe da verzieh der edle Un

gar seinem Beleidiger, stand auf und focht

für ihn, und starb für Um! —

Es ist P/licht der Gesetze in einer Mo

narchie, den Adel zu schützen, ihn erblich

zu machen. Er darf seine Vorrechte nicht

thcilen mit dem Volke. Eine Solche Thei-

lung würde dem Adel seine Starke nehmen,

und dem Volke keine Stärke gehen. Er

soll auch nicht seyn die Scheidewand zwi

schen Fürsteumacht und Voltsschwäche,

sondern das Band zwischen bey den. Fürst

und Volk hassen zuweilen den Adel, jener

den Sianä und dieses die Personen, welche

den Stand ausmachen. Der Fürst mag den

Stand nicht dulden, der sein Ansehn ein

schränkt, und das Volk vergifst, was Baco,

Machiavell und Montesquieu ihm laut und

scharfsinnig vorgepredigt haben: dafs der

Adel die Crenze bewache, zwischen Monar-

clüe und Dcspolie.

Page 230: Vom Adel

Schlosser meynt, die Geburt müsse nur

Ansprüche geben, da, wo vom Glanz der

Höfe die Rede ist, und da sey die Erhal

tung des Adels allerdings wichtig; nicht aber

bey Staats - und Kriegsdiensten. Er belegt

diefs mit Stellen ans dem Scipione Annni-

rato, den er dem Machiavell an die Seite

sezt, und dessen ganze Declamation gegen

den Adel in einem dicken und derben witzi

gen Einfall besteht. Er sagt nehnilich: der

Adel werde an den Höfen unterhalten, so

wie man Zwerge und Hofnarren, Löwen und

Tyger füttere. Ein alter Edelmann sey ein

seltenes Thier, und deshalb müsse ihn ein

prachtliebender Fürst an seinem Hofe dul

den. So dachte wohl Kaiser Anglist nicht,

als er den Flovtalus ermunterte sich zu ver-

heyrathen, damit sein edler Stamm nicht

aussterben mögte. Nein, er dachte gewifs

nicht: der Stamm des Hortalus ist ein Stamm

von seltenen Thieren, den man füttern muls;

aber er sah in ihm den edlen Enkel des

Redners Hortensius. Selbst Tiberius und

Page 231: Vom Adel

Nero unterstüzten den armen Adel, und ga

ben niclit zu, dafs ein edler Nähme durch

Armuth erlösche. Beweise dessen sind die

Nahmen Valerius Messala, Aurelius Cotta,

und Haterius Antoninus.

Scipione Ammirato, der Nebenbuhler

JWachiavells, bemerkt femer: je geringer und

niedriger ein Volk sey, desto ruhiger und

sorgloser könne der Fürst es beherrschen;

und beweist diesen sonderbaren Satz mil

einem noch sonderbarerm Beyspiele, nehm-

lich mit der Politik der türkischen Kaiser,

die in den Ländern, welche sie eroberten,

immer den Adel vertilgten. Nun weifs Je

dermann, wenn er auch nur die Hamburgi

schen Zeitungen liest, wie ruhig und sorg

los der türkische Kaiser herrscht; wie heute

der Hunger und morgen eine Feuersbrunst

ihn auf seinem Throne zittern lassen; wie

heute der Pöbel das Serail stürmt, und mor

gen die Janitscharen ihn erdrosseln.

Bald darauf hängt unser Scipio den Man

tel auf die andere Achsel, nennt die Fürsten

Page 232: Vom Adel

•SS Götter, und den Adel Engel und Erzengel;

vergleicht die Bürger mit Kirschen und Obst

bäumen, und den Adel mit Oedern undPa l

men, und zieht daraus endlich den Sclduls:

ein Fürst müsse den alten Adel unterstützen,

weil mit dem Untergang desselben, auch ein

Theil seines eigenen Glanzes verlobten ge

he, — Seines Glanzes nur ? nein, auch sei

ner Stärke! setze ich hinzu. Der Fürst ist

der Vater der Familie, die Edlen sind seine

Kinder, die er immer um sich hat, deren

Interesse das Seinige ist, deren Augen für

ihn wachen, wenn er von Sorgen müde zu

weilen entscldummert. Der Despot ist ein

Hagestolz, der nur Knechte, aber keine Kin

der hat.

Dafs das Königreich Polen trotz seines

zahlreichen Adels ohnmächtig war, beweist

hier nichts für das GegentheÜ. Die Ursa

chen jener Ohnmacht lagen in Dingen, de

ren Erörterung bieher nicht gehört, und mich

zu tief in das Labyrinth der politischen Ver

hältnisse von Europa verwickeln würde.

Page 233: Vom Adel

In Aristocraticii ist ein ewiges Haschen

miil Jagen, Drängen und Treiben. Es wird

dem Adel leicht das Volk zu unterdrücken,

aber schwer sein eigenes Gleichgewicht zu

zerstören. List, Gewalt und Rauke heben

Familien über Familien empor. Die Eine

herrscht, die Andere sucht zu herrschen.

Nur zwey Wünsche beleben die Brust des

aristocratischen Edlen: den Mächtigem zu

stürzen, oder mit ihm zu steigen. Gern

thut er das leztere ; lieber noch tritt er ihm

auf den Nacken, ein einst wieder getreten

zu werden. Der Staat bleibt seinem Fami-

lieiünteresse untergeordnet. Er sinnt am

Tage, er brütet bey Nacht über dem Em

porkommen seines Geschlechts; er verhan

delt seine Töchter aus Politik und knüpft

durch sie grofse Häuser an das SeinigeJ er

bestimmt seinen Söhnen Ämter in der "Wie

ge, und seine Vettern sind in alle Departe

ments venheilt; er halst nie allein, die gan

ze Familie mufs mit hassen, und die klei

nen Kinder müssen den Hals aus der Brust

Page 234: Vom Adel

der Amme saugen; er betrügt das Volk um

seine- Liebe durch höfliche FreundUchkeii

•ruf der Strebe; um seine Ehrfurcht durch

Frömmigkeit in der Kirche; und um seine

Achtung durch Geldaustheilen unter die Ar

men au gewissen Tagen des Jahres; er be

rauscht zuweilen die Sinne des Volks durch

Gastmahle und Schauspiele. Sein ganzes

Lehen ist das Kämpfen eines Schifies gegen

Wind und Wellen, und das Scluff gelangt

nie in den Hafen, wenn es keinen Medicis

zum Steuermann hat.

Das Volk ist zuweilen glücklich, weil

die Grofsen nicht Zeit haben, an das Volk

zu denken: das arme Scbaaf entschlüpft,

indessen die Wolfe um seinen Besitz käm

pfen. Soll ein solcher Staat glücklich seyn,

so mufs der Adel, wie zu Bern, grofse Tu

genden besitzen. Aber grofse Tugenden

schmücken nicht alle Jahrhunderte, und

leuchten nur kurze Zeit; denn sie sind

stark gespannte Federn, welche bald er

schlaffen.

Page 235: Vom Adel

Arinutii und Reichthum des Adels sind

in Aristocratien gleich verderblich. Man

zwinge den Adel seine Schulden zu bezah

len, so wird er tucht arm werden. Man

schalle weise Gesetze, auf dals er nicht zu

reich werde. Doch keine Confiscationen!

keine Leges agrariae'. keine Vernichtung der

Schulden 1 Alles das wird die Quelle unend

licher Lbel- Es herrsche nicht, wie zu Ve

nedig, das Recht der Erstgeburt. Immer

Tl Willi Hg. um immer Gleichheit zu bewür-

ken. Man dulde keine Fideicommissen,

kein Nidierrechr, kein Majorat, keine Adop

tion. Weg mit allen Mitteln, die nur er

funden wurden, den Adel in der Monarchie

zu unterstützen, und deren Frucht in der

Aristocratie Tyranney seyn würde!

Die Familien müssen über Einigkeit un

ter sich wachen. Rasch und gerecht ent

scheide der Richter Streitigkeiten zwischen

Edelmann und Edelmann, und verhüte, dafs

nicht aus dem Zwist der Einzelnen Fami

lienzwist entspringe.

Page 236: Vom Adel

25j)

Kein Gesetz begünstige die kl ein Ii die

Eitelkeit, als sey dieses Geschlecht älter

und edler als jenes. Solche winzige Albern

heiten üb er lasse man einzelnen Thoren.

Wünscht mit alle dem euch Glück, wenn

euer Staat so gut als böse, zwischen Schlaf

und Wachen, zwischen Tod und Leben ve-

getirt; denn die unnatürlichste Regierungs-

form auf Erden ist die Aristocratische; so

wie hingegen die Natur den ersten Vater

im Kn ise seiner Finiilie zum Monarchen

krönte.

Die Democratie bedarf keines Adels, sie

hat nur Bürger. Sie lohnt nicht mit Wap

pen, sondern mit ßürgerkronen. Sie ver-

stofst den Ehrgeiz und sucht nur Vater

landsliebe, Jener schickt sich in die Zeit

und leyht von dieser eine Larve. In Repu

bliken und in despotischen Staaten sind die

Menschen einander Alle gleich. In Republi

ken, weil Alle Alles sind; in despotischen

Staaten, weil Alle nichts sind.

Page 237: Vom Adel

34 o

S E C H S Z E H N T E S K A P I T E L .

Trimme einiger Weltweiten. Mißgeburten einiger WUzlinge. Beschluß.

i'bio. Plato in seiner Republik bediente sich ei

ner Fiction, den Adel dem Volke ehrwür

dig zu machen. Die Natur, sprach er, schuf

die Menschen aus Gold, Silber, Erz und

Eisen. Nur die goldenen Menschen sind

gehöhten zu herrschen. Da aber ein gol

dener Mensch auch wohl der Vater eines

eisernen Menschen werden kann; so sollen

die Kinder gleich nach ihrer Gehurt alle

untereinander geworfen, und erst bey Ent-

wickelung ihres Gharactcis die besseren von

den schlechteren geschieden werden.

Mich dünkt, er habe durch diese Lüge

nichts gewonnen. Wenn Menschen einen

guten Menschen wählen, so wissen sie

sich oft eben so wenig Rechenschaft davon

zu geben, als wenn sie einen guten Men-

Page 238: Vom Adel

sehen zeugen. Waldreiche sind von jeher

um nichis^esser regiert worden, als Reiche

wo das Erbrecht galt.

Wteland leyht in seinem goldenen Stritt-v

gel dem Adel von Scheschian das Recht;

wenn ein edles Geschlecht erlosch, aus der

zweyten oder dritten Volksklasse den Wür

digsten zu wählen, um die Lücke auszufül

len. Der König konnte nicht adeln, wold

aber einen erloschenen Stamm aus dem ho

heu Adel, durch einen noch blühenden aus

dem rüedern ersetzen. , Schwer war der

Übergang aus einer Volksklasse in die an

dere', am schwersten aus der lezten. Ver

mischung aller Klassen durch Heyrathen

ward nicht geduldet.

Ob es gut sey, dem Könige das Recht

zu nehmen, den Stand der Ehre zu schaf

fen? oh der wählende Adel mehr oder min

der der Gefahr unterworfen sey, in den Ver

diensten des Gewählten sich zu irren? Die

se Fragen beleuchtet er nicht. Mich dünkt,

seine Dichtung zur Wirklichkeit erhoben.

Q

Page 239: Vom Adel

werde nichts bessern, vielleicht manches

verschlimmern.

Hobbes taxirt in seinem Leviathan den

"Werth des Menschen wie ein Pferd, das

man auf dem Markte kauft. Er meynt,

man müsse die Macht und Betriebsamkeit

eines Jeden zu Gehl anschlagen. So viel

alsdann ein Jeder zuzahlen mogte, um die

Macht des Andern zu besitzen, so viel ist

der andere mehr werth. Das nenne ich

drollige Dinge mit der emsthaftesten Mine

vorbringen. Freylieb heruht der Werth des

Menschen nur auf der Meynung Anderer;

aber eben diese wird geleitet durch ewige

Grundgesetze der Natur. Eine solche Hand-

litng kann unter solchen Umstünden nur

ein solches Urtheil bewürken. Die morali

sche Welt gehorcht den Gesetzen der Noth-

wendigkeit wie die physische ; wir glauben

was wir glauben müssen: aberllobbes Träu-

merey ward uns — Dank sey es dem Him

mel ! — nicht als Glaubensartikel vorge

schrieben. Denn belse der Werth des Meu-

Page 240: Vom Adel

sehen, seine Liebe und Freundschaft, seine

Ehre und Tugend, sich zu Gelde anschla

gen; so wäre die Welt nicht eine taube

Nufs werth.

Dalberg wünscht den moralischen Werth T.

durch Zahlen auszudrücken, so wie er eine

geometri.sehe Progression für die Leiden

schaften annimmt, und endlich die Zeit für

den Maasstab moralischen Wer dies hält,

ich erlaube mir nicht, dem scharfsinnigen

Denker weiter zu folgen; aber ich konnte

mir das Vergnügen nicht versagen, den

Nahmen eines Weisen anzuführen, der aus

einem der edelsten teutschen Geschlechter

entsprossen ist.

JVielatid spricht im teutschen Merkur w

Über den Adel als schöner Geist, Philosoph

und Weltmann. Als schöner Geist belä

chelt er die Albernheit, dafs die bürgerli

chen Erdensöhne ungebohren seyn sollen;

bezweifelt die strenge Keuschheit aller un

serer Mütter, Grofsmütter und Eliermütter;

erinnert, dafs ein Edelmann in nichts besser

Page 241: Vom Adel

4JU gehöhten sey, als Meister Knieriemen; dafs

er seiner Mutter nicht aus dem Ohre krie

che wie Gargantua, auch weder Confect

noch Creme u la lieur d'Orange in seine

Windeln mache wie Prinz Biribinker u. s. w.

Als Philosoph greift er das sogenannte Vor-

urtheil der Geburt mit Waffen an , welche

ihm Geschichte und W eltweisheit liehen;

zwar findet man da nicht viel neu gesagtes,

aber viel schön gesagtes, und in der Kunst

zu überzeugen, ist, wie man weite, der erste

Dichter unsers Vaterlandes Meister; als

Weltmann endlich, und als Menschenken

ner räumt er ein, es gebe kein einziges

Vorurtheü, das sich nicht auf einen Schein

von Erfahrung und Wahrheit stutze, und

mit mehr oder weniger feinen laden in die

innigsten Gefüllte der Menschheit verwebt

sey. "Manche derselben, fährt er fori, sind

"der Moralität beförderlich, und daher, m

"so fern sie sich am Ende in schöne Em

pfindungen und Gesinnungen auflösen las-

"sen, berechtig!, von der Vernunft selbst in

Page 242: Vom Adel

"ihren Schutz genommen zu werden." Er

gesteht, dafs ein edler Stolz auf berühmte

Ahnen, und ein höheres Interesse für den

würdigen Erben eines grofsen Nahniens,

Gefühle sind, welche tief in der menschli

chen Natur wurzelten, und bleiben werden,

so lange Menschen Menschen sind. "Desto

"schlimmer," sezt er hinzu, "desto sei Jim-

"mer für die Nation, aus deren Herzen eine

"übermüthige und dieses Nahmens unvrnr-

"dige Philosophie so schöne Gefühle, so

"wohhhätige Vorurtheile (wenn man sie ja

"durch diesen Nahmen degradiren will) mit

"der Wurzel ausreuten konnte.'"

Die Mutter des politischen Fanatismus,

die französische Freyheit, bat auch einem

heftig declamirenden, und folglich nichts

sagenden Werke gegen den Adel das Da-

seyn gegeben- Herr Dulaure schrieb einep«l*t

Histoire de 3a noblesse, worinn er Hallers

berühmte Zeile:

Kein Übel auf der Welt das nicht ein Pfaffe that!

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Lügen straft, denn ihm zufolgft ist kein Übel

auf der Welt, das nicht ein Edelmann that.

Mit ein wenig Witz und ein wenig Decla-

mation kann man ja wohl beweisen, dafs

die drey Könige aus dem Morgcnlande an

Mifswachs und Hagelwetter Schuld sind.

Die RÜubereyen des Adels im Mittelalter

liefern dem erhizten Democraten manches

Gift für seine Feder; er begeifert die edel

sten Geschlechter, besudelt die berühmte

sten Nahmen, und stöfst er hin und wieder

auf einen biedern Edelmann, dessen Tha

ten er nicht wegzuleugnen vermag, so schleu

dert er ihn aus dem Wege: fori mit dir!

du Ausnahme von der Regel! Besonders

läfst er den Beweis sich angelegen seyn,

dafs die adelichen Höflinge die Könige zu

nllem Unfug verleitet, und Urheber jedes

Unheils gewesen. Als ob es nicht überall

dergleichen Höfhtigc gäbe, man wähle sie

aus dem Adel oder nus dem Pöbel. Die

Hofluft ist ansteckend, und vor anstecken

den Krankheiten ist der Edelmann eben so

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wenig sicher, als der Sklave, d e n irgend ein

Sultan /um Verier erhob.

, Es ist überhaupt lächerlich, und beweist,

dafs die Herren keine gute Sache vertheidi-

gen, wenn sie gleich büter werden, über

treiben, mit grellen Farben mahlen, Beschul

digungen bey den Haaren her bey ziehen,

schimpfen, ekelhafte Gleichnisse ausspeyen

u. s. w. So ist zum Beyspiel der Verfasser

der grönländischen Prozesse ein ungeschlif

fener elender Witzhng. Er vergleicht den

nlten Adel mit altem Käse, die Ahnen mit

Maden. Er mcynl, die Nachkommen strahl

ten das Bild der Vorfahren wieder, wie die

Mistpfütze das Bild der Sonne. Der Ver

fasser des zwey und vierzig jährigen Ajj'en

sprudelt noch ekelhafter. Ein anderer Klopf

fechter im deutschen Museum erlaubt sich

folgenden Ausfall: " d e r Schornsteinfeger,

"der Holzhacker, der Nachtwächter, der

"Bettler sogar braucht Genie; aber was in

"aller Welt braucht der Edelmann, wenn

"e r einmal aus einer Mutter von gutem

Page 245: Vom Adel

Doch schon genug! vielleicht schon zu

viel! ich lege die Feder nieder, und nehme

Abschied von diesem Werke mit der fro

hen Überzeugung; ich habe mein Talent

nicht der Schiueicheley geliehen; ich habe

über Mifsbrüuche und Unarten gesprochen

wie ein Bürge/; über Ehre und iichten Ah

nenstolz wie ein Edelmann; ich habe die

Tugend in jedem Stande in ihre adelichen

Hechte eiugesezt, das Laster überall aus

dem Kreise der Edlen verwiesen. Mag ich

immerhin nur manches Alte neu gekleidet,

manches Wichtige unkundig übergangen, in

manchen Sätzen mich geirrt haben; mein

Herz irrt sieh nicht, wenn es mir das Zeug-

nifs ertheilt: dein Wunsch war Besserung,

dein Zweck Belehrung; du schriebst im

Solde der Ehre und Tugend; du lüeltest

'Geschlechte gokrochen ist? Ist es wohl

"der Mühe Werth, dergleichen ungesittetes

"Gewüsche zu widerlegen?

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dem übermiiihigen Adel einen Spiegel vor;

und dem Volke, das berauscht durch den

glühenden Becher der Aßerfreyhcit, nur

Glück und Heil in schimärischer Gleichheit

aller Stände zu finden wähnte, versuchtest

du die Binde von den Augen zu reissen.

Der Schrillst oller, der seine beste Kraft und

Zeit verwendet, eine gemeinnützige Wahr

heit auszubreiten, hat d;is Pathengcschenk

der Natur edel benuzt. Der Mann, der

muthig und voll guten Willens herbeyeilt,

wenn er sieht, dafs Trunkene und Basende

ein altes ehrwürdiges Gebäude umzustürzen

drohen, hat Dank verdient, wenn er auch

nur den Fall eines einzigen Steines ver

hütete.

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S e i t acht Jahren sammle und arbeite ich

an einem Werke Uder Ehre und Schande,

Ruhm und Nachruhm aller f'ölkcr aller

Jahrhunderte. Alles was ich lese, lese ich

mit Beziehung auf diese Idee. Der Gedan

ke , ein solches Werk zu schreiben, ist ein

Verdienst; aber die Ausführung übersteigt

vielleicht meine Kralle. Dieses Buch ist

ein Bruchstück jenes giöfseren Werkes. Ich

erwarte Aufmunterung für das Ganze, wenn

ich sie verdiene; ich erwarte aber auch

strengen, doch bescheidenen Tadel. Man

nehme dabey billige Bücksicht auf meine

Lage. Ich wohne an einem Orte, wo keine

öffentliche Bibliothek mich unterstüzt, wo

überhaupt wenige Menschen Bücher besilzen,

wo ich alle meine Hülfsquellen kaufen mufs.

Ich kann Niemand um Rath fragen, von

Noch ein JYort für Gelehrte.

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.Niemand Belehrung hoffen, und ein weit-

läuftjger Briefwechsel nach Teutschland ist

mit tausend Schwierigkeiten verknüpft. Un

ter diesen Umstänlen habe ich geleistet,

was ich zu leisten vermogte. Die meisten

der in diesem Buche benuzten Schriften be

sitze ich seihst; von manchen habe ich auf

Treu und Glauben anderer geborgt. Ich

bin kein Liebhaber von Citationen und Al-

legaten, sie verunstalten das Buch und hin

dern am Lesen; sie schrecken durch ihr

gelehrtes Ansehn den Weltmann ab.

Ich habe datier nur auf dem Rande den

Nahmen meines Gewährsmannes angezeigt.

Oft habe ich auch das unterlassen müssen,

weil ich oft blos aus dem Gedachtnisse me

tierschrieb. Der Gelehrte wird sich immer

leicht finden; dem Ungelehrten liegt nichts

an einem trockenen Nahmenregister. Mein

Werk ist unvollkommen, davon kann Nie

mand inniger überzeugt seyn als ich selbst.

Ich werde fortfahren zu lesen und zu ler

nen ; ich werde jeden gründlichen Tadel

Page 249: Vom Adel

mit Freuden benutzen; und wenn dieses

kleine Bueh die Ehre einer zweyten Auflage

erleben sollte, so wird man finden, dafs ich

Wor t geholten.

Berlin.

Page 250: Vom Adel

[ N N I I A L T .

JiiiJolimij. . . . Sein 7 Erstes Kapitel.

Ski.se ein« Geldlich» d«. Ad eil. . . , j Eskimo, und Grönländer. ^ - - 17 TunguMn. - ibid. Die fflwiliillMI JLT Südsee • In »ein. • ibid

Negern von IsiioJ. • - - ibid. Negern <ou Guinea. 30

Da* Künigreicli Sennaar. • - • ibid. Losugo. - - - ibid. Die Lj'bijcben WtjMtV - ji Die Beduinen. - * ' i • - ibid. HAMHK KncbkomineD. - - a5 Die Turkrn.nnen und Karden. - • ibid. Die Kirgisen. Karakilpsefcen, Chirciner. - i( Mingrelier. Ciruiiier, Georgier. . - ibid-Die Deuten. - - - - ibid. Die Clmyken. - - • ibid. Die (.jiuristljcii EyUnde. - • a S Die MexiuiHT. ' • • Peru, Florida, und dl* Nsicbei. - • Japan. . . . . itud. Reich des großen Moguls. " - ig Die Mekjen. - - ibid. China. - - - -. a a

Siam und Tunkin. 5» Die Hindus. - - - - 3> Abj»inien. 5» Die Griechen. " • - - ibid. Di» Römer. - ^ H t « * " . If

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Sliren und Celira. • . . $ a [ u 38 Dia Polen. - ibid. Die U05.ro. - . 5 9 MJ«...n„-n. _ Ii • Moldau und V, eil • i . . 4, Pogl.LU. - . . - Ibid. ]>.• Hu«en. tft Ur-prurg Ar* Aehb im Noidnn. . . 49* Di« (ritom-̂ l.™ Ter.tn. , , iL.d 1I..I •• I • I und die Hebriden , . :.i Dia I.)•.'•• ttiprung dei> Wou-e . . ib.-l Äliciiet Adel lei i - - S4 l)f.vn Retble. • . . ü Steifen und MM der K.,n:6l. M«bt und du Ad«.

hent der Edlen «7 Äußerliche Keon.eachen Jrt Adel«. . 60 I).« Lehr» Vierden eibücb. . . • fctrifall* der SMWMM U. t. w. EulUrbung der fe

tten S i.lui.vr . . . iL-, R.ubereyeo - . - - ifaüL I .. : . . ,. MI U e * bi Heerldulde. « Bob« und niederer Adel, . - ,b,d. riuiLiiuren. - - - 6g Frejei und .1" Adel. 70 DM VI... BtaM und L. .,..•„ . : 7 S Uelsen rUduog. 74 Ursprung def Rillellchail 76 Turniere. - • t* gf

über dai Poinl 1 I 80 I >itni|inMhift durch die Kreuiuge (Müden, • SJ EutMi-fcung der .Siedle, . 84 Der Ijod- und .SudltdeL . - 8T Die Uucrorw der Rechte - 89 I . und I - dei I c. 1 - • ur. . Der iVan.üitctie Adel -jdb 9" Denen • • • Rechte. • . Und TnbooaJ du PoUl d uonn-ur. • . 98

Page 252: Vom Adel

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Zweytes Kapitel. VattCgi und Gabre.ben' dai Seele pQajjit

•aia J j .In K . I •

Drittes Kapitel. Von -I. I Ehrfurcht tat altam AdaL »bat den 0 0*cb;e.. Atowafcjfc

Viertes Kapitel. Von altaa GetcMecbien.

Fünftes Kapitel. Der icfaie AdeL - '

Sechstes Kapitel. Von dei Adel« Pflichten.

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Siebentes Kapitel. id bewein man iel, AJ.lT r die Milsbün,lmjie Jer Fun

Neuntes Kapitel Darf .in Edelmann Handlung weiten?

Zehntes Kapitel. Wie der Adel verlohren geht?

Eilites Kapitel. Von der TiieUocbt.

Zwölftes Kapitel. Der Landedelmann.

Dreyzehntes Kapitel. Der Edelmann als Hüning.

Vierzehntes Kapitel. Der Edelmann als Domherr, Domkapiiniar, !e

Ordenarittar u. i. «,

Fünfzehntes Kapitel. Oer Adel im Staate.

Sechszehntes Kapitel.

Mißgeburten einiger Witibnge. BjuMnft - •

Verne) leruns