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III. Sprachliche Verständigung in Spätantike
und Frühmittel alter
III. 1 Der Einsatz von Dolmetschern
Die Übergänge von der Spätantike zum Mittelalter sind in vieler Hinsicht fl ie-
ßend, manche Kontinuitätsstränge reichen weit über die Umbruchszeit hinaus.
Die großen ethnischen Bewegungen jedoch, die man seit langem mit gewisser
Berechtigung als Völkerwanderung bezeichnet, unterstreichen den Charakter
des Niedergangs der antik-römischen Welt. Daher mag es angebracht sein, die
Untersuchung mittelalterlicher Dolmetschertätigkeit mit Zeugnissen aus dem
Zeitalter der großen Wanderungen und Reichsbildungen durch Barbaren zu
beginnen.
Zunächst wäre eine griechische Quelle zu berücksichtigen, mit der die Dar-
stellung einsetzen kann. Der aus Th rakien stammende Priskos berichtet in sei-
nem um 472 geschriebenen Geschichtswerk wiederholt von Dolmetschern. Als
ein solcher nahm er selbst im Jahre 449 an einer byzantinischen Gesandtschaft
an den Hof Attilas teil, wußte also Bescheid über Dolmetscher und ihre Tätig-
keit.128 Priskos berichtet, daß der Kaiser einst einen Brief Attilas empfangen und
gelesen hatte und daß ein Dolmetscher des hunnischen Boten die mündlichen
Aufträge wörtlich verdolmetschte. Später leistete der Dolmetscher auch Hilfe,
als ein hochgestellter Eunuch und der hunnische Gesandte sich „mit Hand-
schlag zum Schweigen verpfl ichteten und schworen“.129 Aus weiteren Schilde-
rungen des Priskos geht dann hervor, daß Dolmetscherangelegenheiten am by-
zantinischen Hof einen ähnlichen Bedeutungsrang hatten wie der Umgang mit
Gesandtschaften und Fragen der kaiserlichen Leibwache.130 In gleichem Zusam-
menhang ist vom Dolmetscheramt die Rede und erkennbar, daß Dolmetscher
in der Hofhierarchie zwar nicht sehr hoch rangierten, aber doch durchaus ange-
sehen waren. Gleichzeitig berichtet Priskos von einem off enbar angesehenen
Rustikios, „der die Barbarensprache beherrschte“ und sich gewinnen ließ, sozu-
sagen als Dolmetscher ad hoc zu fungieren.131 Demnach wären aus den Berich-
ten des Priskos Dolmetscher qua Amt und solche ad hoc belegbar.
Am hunnischen Hof Attilas konnte sich der byzantinische Gesandte mit ei-
nem Barbaren, „der Latein konnte“, verständigen – er selbst sprach off enbar
auch Latein. Unter Attilas „Sekretären befand sich auch ein gewisser Rusticius,
ein Kriegsgefangener aus dem oberen Mysien, der wegen seiner Sprachkennt-
nisse den Barbaren bei der Abfassung diplomatischer Schreiben diente“.132 Zum
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gleichen Zweck hatte auch Aetius einen Mann namens Konstantios als lateini-
schen Sekretär geschickt. In diesen knappen Angaben spiegelt sich eine gewisse
Verwaltungskompetenz des hunnischen Herrscherhofes, der seinerseits durch
eine große Sprachvielfalt gekennzeichnet war, wenngleich ein ausgeprägtes
„Kauderwelsch aus Latein, Hunnisch und Gotisch“ auch „unauslöschliches Ge-
lächter“ hervorrufen konnte.133
Im Alltag dürfte der Sprachvermittlung, also der Tätigkeit vornehmlich qua-
lifi zierter Dolmetscher eine große Bedeutung zugekommen sein. Diese An-
nahme wird gestützt durch Hinweise von Menander Protector, der aus Konstan-
tinopel stammte und seit 582 im kaiserlichen Umkreis Zeitgeschichte schrieb.134
Er gilt als recht zuverlässig. Als es 560 n. Chr. zu Friedensverhandlungen zwi-
schen Ostrom und den Persern kam, trugen die Gesandten beider Seiten ihre
Positionen in langer Rede vor, ohne sich zunächst im Wortsinn zu verstehen.
Erst anschließend kam es zum Dolmetschen, denn „die Dolmetscher beider
Gesandten setzten nun die gegenseitigen Reden auseinander und verdeutlichten
ihren Sinn, wobei sie sich noch in vielen und weitschweifi gen Worten ergin-
gen“.135 Diese Angabe irritiert etwas, obwohl mit relativ freier Paraphrase der
Dolmetscher zu rechnen ist. Ganz unklar ist dann aber Menanders zusätzliche
Angabe, die sich off enkundig noch auf die Weitschweifi gkeit der Dolmetscher
bezieht. Sie hätten es getan, „teils um ihres Vorteils willen, teils um an ihrer
Friedensbereitschaft keinen Zweifel aufkommen zu lassen“.136 Immerhin wird
deutlich, daß weder von einem Simultandolmetschen die Rede sein kann, noch
von einem engen instrumentellen Sinn ihrer Tätigkeit. Sie scheinen selbst an
den Verhandlungen teilgenommen zu haben, dann aber gewiß nur mit be-
schränkter Vollmacht. Immerhin waren die strapaziösen Friedensverhandlun-
gen endlich erfolgreich, und es „wurden die Bedingungen des auf fünfzig Jahre
befristeten Friedensvertrages in griechischer und persischer Sprache schriftlich
niedergelegt und darauf der griechische Text ins Persische, der persische ins
Griechische übersetzt. Bei der Abfassung und dem Abschluß des Vertrages“ wa-
ren die Gesandten beider Seiten zugegen, und „nachdem die Vertragstexte von
beiden Seiten abgefaßt waren, verglich man sie Wort für Wort und Satz für Satz
auf ihren Inhalt“.137 Insbesondere für die Geschichte frühmittelalterlicher Ver-
tragsschließungsformen ist dann die weitere Angabe von Interesse. Von den in
beiden Sprachen ausgestellten Vertragsurkunden wurden nämlich zunächst Ab-
schriften gefertigt. „Dann wurden auch die Texte des Hauptvertrags sorgfältig
zusammengerollt, nach persischer Sitte mit Wachssiegeln und anderen Maß-
nahmen sowie den Abdrücken der Siegelringe der Gesandten sowie der zwölf
Dolmetscher, der sechs rhomäischen und der sechs persischen gesichert.“138
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Der Einsatz von Dolmetschern 43
Besonders zu beachten ist die Nachricht, daß Dolmetscher in großer Zahl
herangezogen wurden, und zwar sechs auf jeder Seite und insgesamt zwölf. Dies
spricht für eine besondere Sorgfalt und ein ausgesprochenes Paritätsdenken, es
läßt aber auch Dolmetscher mit unterschiedlichen Spezialkenntnissen vermu-
ten. Da die Dolmetscher wie die Gesandten Siegelringe besaßen und verwende-
ten, ist der Schluß naheliegend, daß es sich hier nicht um sog. Dolmetscher ad
hoc, sondern um kaiserliche Amtsträger handelte, die regelmäßig oder minde-
stens relativ regelmäßig als Dolmetscher verwendet wurden. Der überlieferte
Bericht ist detailliert: „So überreichten sie einander die Vertragsurkunden: der
Zich Petros die persische, Petros dem Zich die griechische. Außerdem erhielt der
Zich von Petros ein zweites Exemplar, dem griechischen gleichlautend, aber per-
sisch geschrieben und ohne Siegel, das als Gedächtnisprotokoll gedacht war,
und umgekehrt Petros (ein griechisches)“! 139
Im selben Zusammenhang der Vertragserfüllung verlautet, daß auch die
„persischen Finanzbeamten mit Dolmetschern und Wägepersonal“ gekommen
waren, um die fälligen Tributzahlungen zu kassieren: Die Notwendigkeit des
Dolmetschens ist demnach auf vielen Tätigkeitsfeldern gegeben, die Verwen-
dung mehrerer Dolmetscher nicht zu übersehen, ebensowenig die Selbstver-
ständlichkeit ihrer Verfügbarkeit und ihres gezielten Einsatzes.
Menander erwähnt schließlich auch, daß eine Gesandtschaft der Awaren 565
bei Kaiser Justinus II. ihr Anliegen durch einen Dolmetscher vorbrachte.140 Ein
weiterer Bericht läßt dann erkennen, daß immer durchaus mit der Möglichkeit
zu rechnen war, daß selbst am Kaiserhof Dolmetscher falsch übersetzten, wenn-
gleich Justinus II. im Jahre 567 eine für den persischen Gesandten peinliche
Situation mit dem kalkulierten Einwand zu überbrücken suchte, der Dolmet-
scher habe seine Worte wohl falsch übertragen.141
Zu den Merkmalen eines herausgehobenen Tätigkeitsfeldes der byzantini-
schen Dolmetscher gehört üblicherweise ihr Status von Gesandten, wie aber-
mals Menander erkennen läßt, wenngleich er berichtet, daß der Awarenkhagan
568 zwei Dolmetscher in Fesseln legen ließ, die als kaiserliche Unterhändler zu
ihm gekommen waren: „Er aber ließ sie dem allgemein anerkannten Gesandten-
recht zuwider in Ketten legen.“142 Ähnlichen Status, mindestens der Th eorie
nach, müssen umgekehrt auch des Khagans Dolmetscher gehabt haben, die ih-
rerseits zu Kaiser Justin II. geschickt wurden, um ihm die awarischen Forderun-
gen zu übermitteln. Nur so ist auch erklärbar, daß sie vom byzantinischen Hi-
storiker sogar namentlich genannt werden. Sprachgewandt und rhetorisch
perfekt waren sie ohnehin,143 was im allgemeinen anerkannt und gerühmt
wurde. Nur der türkische Herrscher Turxanthos hatte in dieser Hinsicht starke
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Vorbehalte, wenn er die byzantinischen Gesandten heftig anfuhr: „Ihr seid doch
nicht etwa jene Rhomäer, die in zehn Sprachen reden, aber nur eines sinnen
können, nämlich Lug und Trug?“ Er hatte kaum ausgesprochen, da steckte er
alle zehn Finger in den Mund und fuhr fort: „Wenn ich jetzt alle zehn Finger in
den Mund stecke, so bedient ihr Rhomäer euch vieler verschiedener Sprachen,
mit denen ihr bald mich, bald meine Sklaven, die Varchoniten, betrübt.“144
Es gehört zur Abrundung unserer Skizzierung, auch hunnische Dolmetscher
zu erwähnen, die 580 vor Sirmium „mit lauter Stimme die Bedingungen des
Waff enstillstandes“ verkündeten.145 Hier traten sie zusätzlich fast als Herolde
auf, ein Aspekt, den man für das Spätmittelalter wird besonders beachten müs-
sen.
Von den Barbaren seien hier die Westgoten erwähnt, deren Könige Latein
und Gotisch sprachen. Der Sonderfall Eurichs, der für Verhandlungen mit ei-
nem Bischof einen Dolmetscher beizog, erklärt sich vermutlich aus Prestige-
gründen. Der König bestand auf seiner gotischen Sprache, der große Gesetzge-
ber konnte aber mit Sicherheit Latein.146
III. 2 Fremdsprachenkenntnisse bei fränkischen Königen
Ein systematischer Einsatz von Dolmetschern ist bei den Franken schwer zu
belegen. Dies ist erstaunlich, weil sich die politische Organisationsform der
Franken bereits unter den Merowingerkönigen zum Großreich geweitet und
dann als die dauerhafteste germanische Reichsbildung erwiesen hatte. In zeitli-
cher wie auch in räumlicher Hinsicht müßte demnach der Überlieferungsfun-
dus beträchtlich sein. Die Gründe für die schwierige Überlieferungslage im Fall
des Dolmetschens mögen vorrangig in der Zufälligkeit des Tradierten liegen.
Beachtenswert ist aber auch Erich Zöllners Annahme, (mindestens) die Mero-
wingerkönige des 6. Jahrhunderts hätten „mehr oder weniger das Latein und
auch die romanische Volkssprache“ beherrscht, worauf ihr „vertrauter Umgang
mit Gallorömern (namentlich geistlichen Standes)“ schließen lasse: „Nie hören
wir von der Vermittlung durch Dolmetscher.“147 Zöllners kaum zu erschüt-
ternde Annahme berücksichtigt unausgesprochen die Tatsache, daß frühmittel-
alterliche Überlieferungsreste fast ausschließlich herrschaftsorientiert sind, ins-
besondere Könige und dynastische Zusammenhänge erkennen lassen, kaum je
aber für alle Gruppen der jeweiligen Bevölkerung Aussagen ermöglichen. Inso-
fern wäre ein methodischer Vorbehalt zu machen; zu ihm gehört ein zweiter:
Vermutete oder auch nachgewiesene Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit von Herr-
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Fremdsprachenkenntnisse bei fränkischen Königen 45
schern unterstellt zumeist, daß weder diese noch andere Personen oder Gruppen
ihres Herrschaftsbereiches auf Dolmetscher angewiesen waren, entsprechende
Belege demnach auch gar nicht vorauszusetzen wären. Dies würde den Einwand
einer Zufälligkeit in der Überlieferung erheblich schwächen. Derartige Annah-
men und Vorbehalte wird man immer beachten müssen, aber durchgängig
dürfte mit Ausnahmen, auch mit gänzlich anders gearteten Verhältnissen zu
rechnen sein. So ergibt sich zwangsläufi g eine relativ off ene Situation für unsere
Untersuchung, die auf einschlägige Befunde unterschiedlicher Art zu reagieren
hat, freilich durchweg mit kritischer Distanz vorgehen sollte.
Anknüpfen kann man zunächst an Attila, der mindestens auf seinem Rückzug
aus Gallien einen Dolmetscher (interpres) benötigte und auch fand. Dessen in
der vor 731 verfaßten Vita des Bischofs Lupus von Troyes genannter Name
Hunigasius läßt an einen sprachgewandten „Hunnen“ denken148 oder eher noch
an einen aus Gallien stammenden Mann, der schon längere Zeit sich am hunni-
schen Hof befand. Auch langobardische Krieger, die 581 nach Nizza kamen und
den heiligen Hospitius angekettet in seinem Klausner-Turm fanden, konnten
sich mit diesem nicht verständigen. Sie riefen daher einen Dolmetscher (voca-tumque interpraetem), um zu erfahren, welche Schandtat wohl Ursache für eine
so harte Bestrafung sei. Gewährsmann für diese Nachricht ist Gregor von
Tours149; sein Bericht wird teilweise wörtlich übernommen von Paulus Diaco-
nus in seiner Historia Langobardorum, der den Eindruck erweckt, als sei für ihn
die Heranziehung von Dolmetschern ein recht vertrautes Verfahren, so daß er
über Dolmetscher nichts berichtet.150
Ein Nebeneinander von zwei und mehr Sprachen war in Gallien allerdings
verbreitet und dürfte Vermittlung benötigt haben. Zu verweisen ist beispiels-
weise auf Gregors Bericht über den Einzug König Gunthrams am 4. Juli 558 in
Orléans: „Und es zog eine unermeßliche Menge Volkes mit Abzeichen und Fah-
nen (signa und vexilla) und sang laudes, Lobgesänge.“151 Diese seien in lateini-
scher Sprache, d. h. wohl von Romanen und Franken, die derartige liturgische
Gesänge kannten, gesungen worden und auch in der Sprache der Syrer und der
Juden, also von Angehörigen der syrischen Kirchengemeinde wie der jüdischen
Glaubensgemeinschaft.152
Im Orléans des späten 6. Jahrhunderts gab es zumindest die Volksgruppen
der Galloromanen, Franken, Syrer und Juden, die auch sprachlich unterscheid-
bar waren. Bei dieser ethnischen Vielfalt handelte es sich um keine Ausnahme,
denn das fränkische Großreich war ein Vielvölkerstaat, in dem das fränkische
Staatsvolk eine zahlenmäßige Minderheit darstellte, die gallorömische bzw. gal-
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loromanische Bevölkerung eindeutig die Mehrheit bildete, immer aber durch-
setzt von einer großen Zahl von Angehörigen anderer gentes, gentiler oder eth-
nischer Einheiten, Splittergruppen bzw. Teilstämme. Wie sie alle sich mitein-
ander verständigten, läßt die Überlieferung nicht erkennen, wenngleich mit
Zwei- und Mehrsprachigkeit vieler Einzelpersonen, auch mit Dolmetschern
und Übersetzern, sofern es um das Verständlichmachen schriftlicher Texte ging,
jeweils zu rechnen ist.
Als Feldherr war Attila auf Dolmetschen angewiesen, und es läßt sich den-
ken, daß Heerführer auch sonst in fremdem und feindlichem Land auf sprach-
und ortskundige Führer, zusätzlich auf sprachliche Vermittler zurückgreifen
mußten. Zum Jahre 642 etwa berichtet Paulus Diaconus von einem bemerkens-
werten Fall. Der langobardische Dukat von Benevent in Süditalien war von
Sclavi überfallen worden, die zu Schiff übers Meer gekommen waren. In äußerst
bedrängter Lage sprach (oder verhandelte) ein langobardischer Führer namens
Raduald mit den Slaven: eisdem Sclavis propria illorum lingua locutus est. Er-
staunlicherweise dämpfte der Langobarde damit den Elan der Invasoren und
gewann so bei einem plötzlichen Gegenangriff auf die Slaven einen entscheiden-
den Vorteil.153 Lehrt schon dieses Beispiel, daß die Beherrschung der Sprache
des Feindes diesem weiteren Erfolg suggeriert, ihm paradoxerweise auch vorgau-
kelt, er habe den Kampf schon fast gewonnen? Darüber ließe sich diskutieren,
wenn es mehrere Belege ähnlicher Art gäbe. Nur dann könnte man darüber
urteilen, ob Sprachbeherrschung im Frühmittelalter als Kriegslist taugte und zur
Verschleierung wahrer Absichten dienen konnte.
Die Frage nach relevanter Fremdsprachenkenntnis ist in Teilen abhängig von
der grundsätzlicheren Fragestellung, wer denn im Mittelalter lesen und schrei-
ben konnte. Da Alfred Wendehorst das einschlägige Material gesammelt und
gedeutet hat, überdies in älteren Studien vor allem von Herbert Grundmann,
Laetitia Boehm und Detlev Illmer der allgemeine Bildungsstand im Mittelalter
gründlich erörtert wurde,154 soll im folgenden das Augenmerk vornehmlich den
Sprachkenntnissen mittelalterlicher Herrscher und ggf. ihrem Rückgriff auf dol-
metschende Dienste gelten. In diesem leicht eingeschränkten Sinne mag aber-
mals die Feststellung Erich Zöllners als Ausgangspunkt dienen: Daß nämlich
„die Merowingerkönige im 6. Jahrhundert mehr oder weniger das Latein und
auch die romanische Volkssprache beherrschten, wird man im Hinblick auf den
vertrauten Umgang mit Gallorömern (namentlich geistlichen Standes) anneh-
men dürfen. Nie hören wir von der Vermittlung durch Dolmetscher.“155 Dies
triff t für König Chilperich I. (561–584) off enbar zu, doch sind Chilperichs viel-
seitige Sprachkenntnisse vielleicht nicht ganz typisch. Venantius Fortunatus
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Fremdsprachenkenntnisse bei fränkischen Königen 47
rühmt diesem König nämlich nach, er habe verschiedene Stimmen (Sprachen)
auch ohne Dolmetscher verstanden: Discernens varias sub nullo interprete vo-ces.156 Bei dem Dichter könnte die Überzeugung mitschwingen, als seien Dol-
metscherdienste sonst durchaus üblich gewesen. Diese Nachricht betriff t die
mündliche Kommunikation. Mit Chilperich I. kann auch der Reigen literarisch
tätiger Könige eröff net werden. Gregor von Tours berichtet, daß Chilperich ei-
nen indicolus über die heilige Trinität geschrieben habe, zusätzlich sei er Verfas-
ser einiger Bücher in Versen und Hymnen gewesen. Gregor notiert ferner, daß
König Chilperich sich bei der Abfassung einiger Bücher in Versen Sedulius zum
Vorbild nahm, aber seine Verse hätten sich durchaus nicht den Regeln des Vers-
baus fügen wollen. Höchst bemerkenswert ist die zusätzliche Angabe: Chilpe-
rich „fügte auch unserem Alphabet einige Buchstaben hinzu, nämlich ω, wie es
die Griechen haben, ae, the, wi, wofür die Schriftzeichen folgende sind: ω ae the
wi und sandte Schreiben in alle Städte seines Reichs, daß die Knaben so unter-
richtet und die alten Bücher mit Bimsstein radiert und umgeschrieben werden
sollten“.157 Chilperichs vermeintlicher Stiefbruder, der Prätendent auf den frän-
kischen Königsthron der Jahre 582 und 584/5 namens Gundowald, war sorgfäl-
tig erzogen und in den Wissenschaften unterwiesen worden. Ganz gewiß war
dies in seinem byzantinischen Exil geschehen.158
Chlothars I. Gemahlin Radegunde war litteris erudita bzw. patrum operum studiosissima, wie Venantius Fortunatus bezeugt.159 In der fränkischen Nachbar-
schaft galt Th eoderich der Große (493–526) teils als gebildet, teils aber auch als
rex inlitteratus (illiteratus)160. Der byzantinische Historiker Prokop rühmt ihm
nach, daß er „sich zum Herrn und König eines so großen Landes aufgeschwun-
gen habe und im Besitz einer unerhörten Macht gestorben sei, ohne nur jemals
von Grammatik gehört zu haben“.161 Der mit Th eoderich verwandte Th eoda-
had, der von 534–536 König der Ostgoten war, verfügte über „eine gewisse
philosophische Bildung“, beherrschte außer Gotisch und Latein wohl auch
Griechisch.162 Auch Th eoderichs Tochter Amalasuntha, von 526–535 Königin,
sprach Latein und Griechisch. Sie sorgte zunächst für eine römisch-traditionelle
Ausbildung ihres Sohnes Athalarich, mußte sie jedoch auf Druck ihrer goti-
schen Landsleute abbrechen.163
Der Westgotenkönig Sisebut (612–621) gilt unumstritten als Dichter, wenn-
gleich seine Heiligenbiographie des Bischofs Desiderius von Valence in etwas
gekünsteltem Latein geschrieben ist.164
Die Beleglücke für die Folgezeit mag mit einem Seitenblick auf literarische
Bildung von Päpsten gefüllt werden: Der Sizilianer Leo II. (682–683) galt als
greca latinaque lingua eruditus, die zitierte Formulierung der sog. Papstge-
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schichte legt auch die Annahme nahe, als sei solche Mehrsprachigkeit sehr un-
üblich gewesen.165 Von dem Syrer Gregor III. (731–774) liegt die entsprechende
Nachricht in nahezu wörtlicher Übereinstimmung vor. Auch Papst Zacharias
(741–752) soll Graeca Latinaque lingua peritus gewesen sein, er ließ Gregors des
Großen viele Bücherdialoge „aus dem Lateinischen in das Griechische überset-
zen“ und vielen, die Latein nicht lesen konnten, eröff nete er dadurch die Lek-
türe der Geschichte Gregors des Großen.166
Von Papst Paul I. (757–767) wird überliefert, daß er König Pippin Bücher
geschickt habe, „soviel er habe fi nden können“, allerdings in griechischer Spra-
che.167 Nicht erkennbar ist, ob der Papst Griechisch lesen, noch ob Pippin selbst
mit den Büchern etwas anfangen konnte. Eventuell waren einige Gebildete sei-
nes Hofes dazu in der Lage.
Berühmt sind die von Einhard über Karl den Großen gegebenen Auskünfte:
„Reich und überströmend fl oß ihm die Rede vom Munde, und was er wollte,
konnte er leicht und klar ausdrücken. Es genügte ihm jedoch nicht an seiner
Muttersprache, sondern er widmete sich auch der Erlernung fremder Sprachen:
darunter brachte er es im Lateinischen so weit, daß er es wie seine Mutterspra-
che redete, das Griechische aber konnte er besser verstehen, als selber sprechen.
Er war so beredt, daß er sogar geschwätzig erscheinen konnte“ usw.168 Einhard
fügt weitere Nachrichten über Karls Bildungsbefl issenheit hinzu, die in man-
chem freilich überstilisiert sind. Schließlich schreibt er: „Auch zu schreiben ver-
suchte [Karl der Große] und pfl egte deswegen Tafel und Büchlein im Bett unter
dem Kopfkissen bei sich zu führen, um in müßigen Stunden seine Hand an das
Nachmachen von Buchstaben zu gewöhnen. Doch hatte er mit seinem verkehr-
ten und zu spät angefangenen Bemühen wenig Erfolg.“169 Selbstverständlich hat
man im Verlauf der Jahrhunderte eine Fülle wissenschaftlicher Traktate über
philosophische, theologische und chronologische Fragen Karl zuschreiben wol-
len, er hatte sie jedoch von seinen Hofgelehrten ausarbeiten und sogar in seinem
Namen stilisierte Briefe von Alkuin verfassen lassen. Ist dies an sich prinzipiell
verständlich, wohl auch üblich, so ist doch merkwürdiger, daß Karl der Große
es zuließ, wenn lateinische Gedichte in seinem eigenen Namen verfaßt wur-
den.170
Was Einhard über Karl den Großen schrieb und so schwer in seinem Reali-
tätsgehalt zu beurteilen ist, suchte Th egan in der Biographie Ludwigs des From-
men zu übertreff en: Ludwig habe das Lateinische wie seine Muttersprache, das
Griechische jedoch noch besser verstanden als gesprochen.171 Lediglich Ludwigs
des Frommen Verhältnis zur eigenen Muttersprache, die er zweifelsfrei minde-
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Fremdsprachenkenntnisse bei fränkischen Königen 49
stens in seiner Jugend beherrscht hatte, wird in der Biographie Th egans über-
gangen.
Karl der Kahle könnte lesen und schreiben gelernt haben, wenn man gewillt
ist, der Widmung Heirichs von Auxerre in seiner poetischen Vita S. Germani
Glauben zu schenken, die Karl den Kahlen als philosophierenden König an-
sprach.172 Karl III. soll nach Angaben Ekkehards IV. von St. Gallen Dichter von
Off erenda gewesen sein.173 Damit ist unsere Belegkette für frühmittelalterliche
Könige nahezu erschöpft.
Mit der Aufl ösung des Karlsreiches und der Formierung Europas im Verlauf
des 9. Jahrhunderts ergeben sich auch für die spezielle Fragestellung bedeutsame
Zäsuren. Diese könnten auch dominant durch eine veränderte Überlieferungs-
lage verursacht sein, weshalb man das quellenarme 10. Jahrhundert auch als
„dunkles Jahrhundert“ oder saeculum obscurum angesprochen hat. Unabhängig
von solchen teils berechtigten, teils mißverständlichen Beurteilungen soll im
folgenden der Blick wiederum auf Sprachkenntnisse und ggf. belegte Dolmet-
scherdienste gerichtet werden.174
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