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VII. Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
VII. 1 Konsekutivdolmetschen und seine theoretische
Rechtfertigung
Dolmetschen erfolgt im Regelfall in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Spre-
chertext, zwar nachträglich leicht versetzt, aber doch in angestrebter annähern-
der Gleichzeitigkeit zum vorgegebenen gesprochenen Text.520 Dieses Postulat
erfordert als Grundbedingungen hohe Sprachkompetenz, schnelle Auff assungs-
gabe und ansprechendes intellektuelles Verständnis. Sieht man von dem kaum
erreichbaren Idealbild einmal ab, so bleibt als Konstante, daß der Dolmetscher
dem gesprochenen Wort folgt. Dann spricht man konsequenterweise von kon-
sekutivem Dolmetschen. Allerdings gibt es in der Praxis vielfältige Verfahrens-
weisen, aber auch unterschiedliche Bedürfnisse der Adressaten. Gemeint ist
etwa die mündliche Wiedergabe in kurzen und sehr kurzen Textabschnitten,
fast von Satz zu Satz mit entsprechend häufi gen Unterbrechungen im Redetext
des Sprechers oder in größeren Textblöcken, deren korrekte Wiedergabe größere
intellektuelle Ansprüche stellen konnte. Insofern spielt neben Sprachkompetenz
das eigene Verständnis und ggf. die Fähigkeit zu komprimierender, korrekter
Wiedergabe eine wichtige Rolle. Sogenanntes Simultandolmetschen im stren-
gen und eigentlichen Sinne gibt es erst seit etwa den 20er Jahren des 20. Jahr-
hunderts. Zuvor dominierte das konsekutive Verfahren mit seinen vielfältigen
Abstufungen. Eine angestrebte Gleichzeitigkeit erreichte allenfalls das soge-
nannte Flüsterdolmetschen, für das aber keine Belege aus dem Mittelalter vor-
liegen.
Das grundsätzliche Problem, ob der Dolmetscher eng an die Sprachvorgabe
orientiert dolmetschen soll oder ob er betont sinngemäß vorgehen darf und
dabei das gesprochene Wort auch verkürzend, in konzentrierter oder gar ver-
ständlicherer Weise wiedergeben darf oder soll, sei noch einmal aufgegriff en. Es
läßt sich gewiß ausfächern, doch mag es genügen, die Kernfrage anzuschneiden
und mittelalterlichen Belegen zu folgen. In der bisherigen Darstellung ist die
Nähe des Dolmetschens zum Übersetzen wiederholt betont worden, so daß es
kaum überraschen wird, wenn die fast ausschließlich zum Übersetzungswesen
vorliegenden theoretischen Äußerungen hier mindestens partiell auch auf Berei-
che der mündlichen Kommunikation bezogen werden können. Am kürzesten
läßt sich das Problem umschreiben mit Alternativen wie: Texttreue oder Ele-
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120 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
ganz? Wiedergabe der Wörter oder Aufgreifen des ideellen Gehalts ? Ad verbum
oder ad sensum?521
Einer der großen Gelehrten des 12. Jahrhunderts, der „weder dem geistlichen
Stande angehörte, noch an einer hohen Schule lehrte, sondern als Richter in
einer italienischen Commune wirkte“, war Burgundio von Pisa.522 Dieser Ge-
lehrte hat biblische Texte, Schriften von Kirchenvätern und sonstige theologi-
sche Traktate, aber auch philosophisch-anthropologische Abhandlungen,
Rechtstexte u. a. m. aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt.523 Seinen
Zeitgenossen galt er „als Autorität für das Griechische“,524 und sein Grabstein
rühmte ihn als optimus interpres. Im Vorwort einiger Übersetzungswerke ver-
focht Burgundio entschieden die Methode einer Wiedergabe de verbo ad ver-bum, also das „Prinzip wörtlichen Übersetzens“.525 Streng nach der Wortfolge
sei zu übersetzen, auch wenn die Grammatik dem mitunter entgegenstehe. Bur-
gundio knüpfte mit dieser Auff assung an ältere Vorbilder an, beachtete auch
Kaiser Justinians entsprechendes Gebot für Übertragungen der Digesten in das
Griechische und umgekehrt griechischer Rechtstexte wie der Novellen in das
Lateinische. In der „Einleitung zu seiner Übersetzung der Homilien über das
Johannes-Evangelium von Johannes Chrysostomus“526 hat Burgundio eine
große Reihe von Autoritäten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen be-
nannt und seine „Methode wörtlichen Übersetzens ausführlich begründet“.527
Freilich hatte er die schriftliche Übersetzung vor Augen, und es ist hier vorran-
gig zu fragen, ob deren Methodenwahl auch für die mündliche Vermittlung,
speziell das Dolmetschen, Gültigkeit besitzt.
Denkt man an umfangreiche lateinische Urkundentexte, die mitunter aus
einer einzigen großen Satzperiode bestehen und die in der Regel öff entlich ver-
lesen wurden, wobei man sich diesen Vorgang auch als streng konsekutives Dol-
metschen vorstellen kann, ggf. auch als doppeltes lateinisches Lesen und nach-
heriges volkssprachliches Übersetzen, dann leuchtet die Methode des de verbo ad verbum unmittelbar ein. Gegen eine strikte Trennung schriftlicher Überset-
zung von mündlicher Wiedergabe/Dolmetschen, die beide unterschiedlichen
Methoden zu folgen hätten, spricht eine Äußerung Anselms von Havelberg, die
Peter Classen in seiner Abhandlung über Burgundio von Pisa erwähnt. Danach
hätte Anselm in der nachträglichen Aufzeichnung seiner Dialoge, die übrigens
in Burgundios Beisein stattgefunden hatte, seinem „griechischen Partner Nike-
tas eine Übersetzung de verbo ad verbum“ vorgeschlagen, dieses selbst jedoch
abgelehnt: huiusmodi loquendi usum non habeo et preterea suspecta est mihi talis interpretatio, quia capi possum in verbo.528 Anselm meinte, die zu fertigende
Übersetzung solle „die Reden sinngemäß zusammenfassen und deuten“. Dies
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Konsekutivdolmetschen 121
entsprach demnach nicht der Überzeugung des Pisaners, doch ist mit den in
diesem Zusammenhang bezeugten Alternativmethoden die mündliche Vermitt-
lung, der loquendi usus, eben das Dolmetschen unzweifelhaft gemeint. Insofern
ist ein kostbarer Hinweis vorhanden, der durchaus eine Verallgemeinerung für
die im Mittelalter üblichen Übersetzungs- wie auch Dolmetschmethoden zu-
läßt.
Die unterschiedlichen Auff assungen, ob Übersetzen und Dolmetschen Wort
für Wort erfolgen solle oder die sinngemäße Zusammenfassung und Deutung
des geredeten Textes vorzuziehen sei, blieben bestehen, auch ist die angespro-
chene Alternative nicht zu strikt zu nehmen. Denn mancher mag sich gewünscht
haben, daß vorzugsweise sein eigener Dolmetscher beide Methoden beachte,
damit er selbst hinreichend Gehörtes und Erschlossenes vergleichend verstehen
könne.
Das angedeutete Problem anzuwendender Alternativen beim Dolmetschen
hat im beginnenden 16. Jahrhundert auch Willibald Pirckheimer beschäftigt.
Im Widmungstext seiner Übersetzung einer Schrift von Plutarch aus dem Jahre
1519 hat er die Zusammenhänge erläutert und für das Sinngemäße sowie der
eigenen Sprache Angemessene Klarheit, Lauterkeit und Erkennbarkeit von
sprachlichen Zugeständnissen gefordert. Pirckheimers Ausführungen lohnen
die Lektüre, er schreibt:
„Es hat E.G. zum öff ternmal von mir gehöret, daz mein es Bedunckens mög-
lich sey, alle Ding, so in einer Sprach geschriben sein in ein andere verstendli-
cher Weiß zu bringen, unangesehen, daß ihr etlich vermeinen unmöglich zu
sein, das Latein vollkommen in das Teutsch zu verwandeln. Aber nach meinem
Geduncken kompt solcher Irrsal auß derselben Unverstand, oder daß sie dem
lateinischen Buchstaben zu genau anhängig sind, mer jren Fleiß auff zierliche
Wort, dann den rechten Verstand wenden. Auß dem folget off t, daß solche Ver-
deutscher selbst nicht vernemmen das, so sie andern zu verstehen geben sich
unterstehen, unnd so solches beschicht, wöllen sie ihr Ungeschicklichkeit damit
verdecken, als solt sich das Lateinisch mit dem Teutschen gar nicht vergleichen.
Aber dem ist die Wahrheit nicht also, thut aber not einem jeglichen, der eine
Sprach in die ander verkeren will, daß er allein den Sinn, unangesehen der Wort,
in die Sprach, die er vor ihm hat, clar, lauter und der maß verendere, daß ein
jeglicher, derselben Sprach verstendig, das, so verkeret ist, leichtlich verstehen
möge.“529
Mit der Forderung eines Übersetzens de verbo ad verbum als Grundprinzip
oder aber nach dem Sinn sind zugleich Grundprinzipien des Dolmetschens an-
gesprochen, die je für sich individuelle Abweichungen erlaubten. Zwei Pro-
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122 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
blembereiche seien zunächst angesprochen, die zwar nachgeordnet, aber nicht
unerheblich sind. Konrad von Megenberg (1309–1374) beispielsweise begnügte
sich für das Übersetzen nicht damit, „einen Text der Universalsprache Latein in
die Partikularsprache des Volkes zu übertragen, sondern Wissen, das in lateini-
scher Sprache vorgeformt ist, in rehter rede auf Deutsch zu sagen“.530 Dies ist
nach Georg Steer „eine Th eorie des Übersetzens, die sich kaum von der Martin
Luthers unterscheidet“.531 Da für solches Übersetzen eine vollkommene Beherr-
schung des Lateinischen wie der Volkssprache bzw. des Deutschen erforderlich
ist, ergibt sich nahezu zwangsläufi g, derartige sprachliche Perfektion bei fast al-
len Dolmetschern bzw. für den Bereich der mündlichen, zeitlich eng bemesse-
nen Kommunikation als nicht gegeben anzusehen. Damit ist indes ein Quali-
tätsrahmen angedeutet, der auch für einen zweiten Aspekt gelten kann.
Ob nämlich der Dolmetscher, und dabei kann nur der gebildete und ausge-
bildete Spezialist gemeint sein, bei seiner Tätigkeit die besonderen geistigen Fä-
higkeiten seines (seiner) Adressaten beachtete und gar berücksichtigte, ist nicht
bekannt. Auch sein Pendant, der Übersetzer oder schriftlicher Kommunikation
Verpfl ichtete, tat dies höchstens im Einzelfall. Bei sozusagen normalem Dol-
metschen trat das Problem wohl stets in den Hintergrund, weil jeder Adressat,
der ja zugleich Auftraggeber war, zufrieden war, wenn ihm Fremdsprachiges
zugänglich gemacht wurde. Dabei dominierte ganz gewiß das Dolmetschen aus
der jeweiligen Situation heraus und der improvisierte Zugriff auf Dolmetscher
ad hoc.
Bislang ist das Problem von mancherlei Unübersetzbarkeit ausgeblendet wor-
den, also die Frage nach zwingenden Hinderungsgründen für diese oder jene
Wiedergabe. Damit ist die Tatsache gemeint, daß unterschiedliche Kulturberei-
che oft über spezielle Ausdrucks- und Sprachprägungen verfügen, die sich in
anderen Sprachen überhaupt nicht oder mindestens nicht adäquat wiedergeben
lassen.
Anastasius Bibliothecarius, zeitweilig Kanzler und Archivar der Römischen
Kirche, hat im 9. Jahrhundert das Problem solcher Unübersetzbarkeit angespro-
chen. Er verfocht die Methode des verbum e verbo, meinte aber, solche Überset-
zung müsse den Ausdrucksmöglichkeiten der lateinischen Sprache angepaßt
werden.532 Auch dabei sah er Schranken, wenn er nämlich ausdrücklich den
Vorbehalt der grundsätzlichen Unübersetzbarkeit machte: „Soweit es die lateini-
sche Sprache erlaubt“ (quantum idioma Latinum permisit).533 Vor Augen hatte
Anastasius Bibliothecarius gewiß manchen Kollegen, der wie beispielsweise Hil-
duin oder Johannes Scotus (Eriugena) wortgetreue Übersetzungen angefertigt
hatte, die bis zur Unverständlichkeit reichten.534 Im Hinblick speziell auf das
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Die Frage der Verläßlichkeit 123
Dolmetschen wird sich das angesprochene Dilemma freilich weniger folgen-
schwer ausgewirkt haben, weil des Dolmetschers Eingriff in einen grundsätzli-
chen Dialog die Korrektur von Mißdeutungen, Mißverständnissen oder Fehlern
leichter und auch unmittelbarer ermöglichte.
Damit dürften die häufi gsten Schwierigkeiten angesprochen worden sein,
doch blieb im Grundsätzlichen das Problem partieller Unübersetzbarkeit. Not-
ker von St. Gallen (840–912) mag als Zeuge dafür gelten. Zwar bezieht sich der
Mönch direkt auf die ihm vorliegende Schriftlichkeit, doch dürfte die ihn be-
schäftigende Problematik sich mit Sicherheit auch bei mündlicher Wiedergabe
ergeben. Notker erzählt in seinen Gesta Karoli, wie Ludwig (der Deutsche) als
Kind seinem Großvater Karl dem Großen vorgestellt wurde. Diesem habe der
Junge so imponiert, daß er eine Weissagung (praesagium) riskierte. Nach Notker
Balbulus „tat [der Kaiser] etwa folgende Äußerung: Wenn dieser Knabe am Le-
ben bleibt, wird er etwas Großes sein. Diese Worte [schreibt Notker] habe ich
dem Ambrosius entnommen, weil man das, was Karl gesagt hat, nicht genau ins
Lateinische übertragen kann“ (quia Karolus quae dixit, non possunt examussim in Latinum converti).535
Nicht diskutiert wurde im Mittelalter off enbar die Frage, ob und vor allem
wieviel Textsubstanz beim Dolmetschen verloren ging.536 Dabei dürfte das
grundsätzliche Problem durchaus bekannt gewesen sein. Die Suche nach quali-
fi zierten Dolmetschern unterstreicht in Teilen eine solche Annahme. In dieser
Frage wird man allerdings stark diff erenzieren müssen: sozusagen objektive Ma-
terialverluste bei großer und erst recht übergroßer Sprechfülle, Erinnerungsver-
luste unterschiedlicher Intensität, sich jäh aufzeigende Übermittlungsdefi zite
wegen mangelnder Sprachkompetenz und zwar aktiver wie passiver Art, Kon-
zentrationsschwächen und manches mehr, gewiß auch das oft gespürte Unver-
mögen, bestimmte Sachverhalte adäquat wiedergeben zu können. Das bereits
angesprochene Problem einer Unübersetzbarkeit oder einer nur eingeschränk-
ten Wiedergabemöglichkeit (quantum idioma Latinum permisit) trat mit Ge-
wißheit hinzu, wurde aber allenfalls andeutungsweise thematisiert. Vermutlich
wurde aber die grundsätzliche Inkongruenz vieler lateinischer und volkssprachi-
ger Begriff e durchaus als solche empfunden.537
VII. 2 Die Frage der Verläßlichkeit und ggf. von Sanktionen
Die Frage der Verläßlichkeit bzw. das Zuverlässigkeitsproblem bei Dolmet-
schern eigens anzusprechen, ist nicht unbedingt nötig. Doch gibt es neben
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124 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
überwiegend guten Erfahrungen auch schlechte. Damit sollen gewiß nicht Fra-
gen einer mitunter unzureichenden Sprachkompetenz angesprochen werden, es
sollen auch nicht „einseitige und durch das Dolmetschen verderbte historische
Überlieferungen“ näher diskutiert werden, die beispielsweise durch einen frem-
den Informator vermittelt wurden.538 Durch Dolmetscher verderbte Texte mag
es relativ oft gegeben haben, aber sie waren nicht die einzigen, denen solches zur
Last zu legen ist, und eigentlich ist bei dieser Spezialfrage schon die Grenze von
mündlich vermittelnder Kommunikation (Dolmetschen) zur schriftlichen Fi-
xierung (Übersetzen) überschritten.
Denkt man an eidliche Verpfl ichtungsformen für Dolmetscher und auch an
Strafandrohungen, so rückt korrektess Verhalten in den Mittelpunkt unserer
Erörterung. Von grundsätzlichem Mißtrauen spricht bereits Kaiser Justinians
Erklärung, „die ganz streng wörtliche, auch die Wortfolge der Vorlage genau
einhaltende Übersetzung κατα πóδα sei die einzige zulässige Art“,539 die Dige-
sten ins Griechische zu übertragen.
Festzuhalten bleibt aber immer, daß Dolmetscher allenthalben eine wichtige
Hilfe zur Bewältigung sprachlicher Kommunikationsprobleme waren. Dies galt
insbesondere für sprachlich hervorragend qualifi zierte Personen, weil dann eine
größere Verläßlichkeit bei der Vermittlung gegeben war. Allerdings förderte
man solche Zuverlässigkeit durch bestimmte Maßnahmen, zu denen der Eid
bzw. die Vereidigung in erster Linie gehörten. Es mag off enbleiben, ob bei der
Mehrzahl schlechter oder falscher Wiedergaben vorgegebener Texte die jeweilige
Unzulänglichkeit des interpres ursächlich war. Als aber Kaiser Konstantinos V.
um das Jahr 765 an den fränkischen König Pippin Briefe übersandte, erhob er
den Vorwurf, „die leute, welche am fränkischen hofe die briefe des K[aisers] zu
übersetzen hätten, seien bestochen und berichteten anderes, als in den briefen
wirklich stehe“, und: „der päpstliche primicerius und consiliarius Christopho-
rus habe an den K. namens des papstes wegen der bilder vorstellungen gerichtet,
zu denen er vom papste nicht ermächtigt gewesen sei, und habe den gesandten
Pippins einen ganz anderen text vorgelesen als den wirklich abgesandten“.540 Ob
die Vorwürfe Konsequenzen zeitigten, ist nicht bekannt. Schwieriger ist die
Schuldfrage zu beurteilen, wenn später Konstantin Porphyrogennetos „einsei-
tige und durch das Dolmetschen verderbte historische Überlieferungen eines
ungarischen Informators vermittelt“.541
Wenig belegt ist das Phänomen der Bestrafung für nicht korrektes Dolmet-
schen durch den eigenen Herrn bzw. Auftraggeber. Hier wären kontrollierende
Personen, die ihrerseits hinreichend sprachkundig waren, ohne jedoch direkt als
Dolmetscher eingesetzt werden zu können, notwendig gewesen oder entspre-
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Die Frage der Verläßlichkeit 125
chende Sprachkenntnisse des Herrn selbst, der Fehler erkannte. Direkte Belege
für all diese Erscheinungsformen fehlen weithin. Eine Ausnahme gibt es 1403
in Reval. Hier behauptete der Kaufmann Johann Wrede vor dem Rat der Stadt,
ein Handelsbrief sei falsch übersetzt worden, woraufhin die sofortige Bestrafung
des Dolmetschers Hans Dürcop erwogen wurde: Unde wer he irst unrecht getol-ket. men zolde den tolke de tunge mit der wortelen afsnyden […].542
Es gibt aber auch Hinweise indirekter Art. Hierzu gehört bereits ein grund-
sätzliches Mißtrauen, von dem der Perser Nizamulmulk (1018–1092) in seinem
berühmten „Buch der Staatskunst“ berichtet: Danach habe ein schwerhöriger
König befürchtet, daß ihm bei der Ausübung seiner eigenen Richterpfl ichten
die beigezogenen Dolmetscher die jeweiligen Beschwerden nicht richtig darleg-
ten. In etwas komplizierter Weise suchte er einen praktikablen Ausweg, bei dem
Dolmetscher nicht beigezogen wurden.543 Nizamulmulks Verhalten erinnert
daran, daß man von Wilhelm dem Eroberer berichtet, er habe Englisch lernen
wollen, damit er „ohne Dolmetscher die Beschwerden des unterworfenen Vol-
kes verstehen könne“ (sine interprete querelam subiectae gentis posset intelligere).544
Auff ällig ist die off ene Angst eines Dolmetschers, der in die Zwickmühle
doppelter Loyalität geriet. In der ungarischen Legenda minor des Hl. Gerhard
wird erzählt, daß nach dem Tode des heiligen Königs Stephan der heilige Diö-
zesanbischof den neuen König Petrus krönen sollte, gegen diesen aber starke
Vorbehalte hatte. So sprach er von der Kanzel „durch einen Dolmetscher den
König furchtlos an“.545 Der Bischof redete off ensichtlich Latein, das nur wenige,
darunter immerhin seine Freunde verstanden. Sie aber waren entsetzt und „be-
deuteten dem Dolmetscher, er solle schweigen; dieser gehorchte aus Furcht. Der
Hirte aber mahnte und drängte den widerwilligen Sprachmittler mit folgenden
Worten: ‚Fürchte Gott, ehre den König, gib die väterlichen Worte bekannt!‘
Endlich überwand sich der Dolmetscher, den Ausspruch des Hirten zu verkün-
den, was dem König große Furcht einjagte.“546 Als die vermutlich noch im 11.
Jahrhundert entstandene Legenda minor im 14. Jahrhundert zur Legenda maior
etwas ausgemalt wurde, trat des Dolmetschers Zwangslage noch deutlicher her-
vor. „Der gute Hirte aber bemerkte“, so heißt es jetzt, „daß der Dolmetscher vor
Angst zitterte und schalt ihn daher laut mit den Worten […].“547 Die laute
Schelte wirkte, sie linderte aber wohl auch des Dolmetschers (vermeintliche)
Verantwortlichkeit.
Im Jahre 1054 kam der Kardinalbischof Humbert von Silva Candida mit Fried-
rich, dem Kanzler der römischen Kirche, und dem Erzbischof Petrus von Amalfi
in heikler Mission nach Konstantinopel. Es ging um den Versuch einer Kirchen-
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einigung,548 was indes gründlich und schicksalsschwer mißlang. Die römischen
Gesandten hatten nämlich durch die Niederlegung der dem Patriarchen gelten-
den Exkommunikationsurkunde auf dem Hauptaltar der Hagia Sophia den
Bruch entscheidend vertieft. In unserem thematischen Zusammenhang ist er-
wähnenswert, daß der byzantinische Kaiser zuvor schon alle dicta et scripta der
Gesandten, die mit Vorwürfen gegen die Griechen und ihre Kirche gefüllt wa-
ren, ins Griechische hatte übersetzen lassen. Anders hätten diese Aussagen of-
fenbar nicht rezipiert werden können. Interessant ist, daß vom Übertragen
mündlicher und schriftlich verfaßter Vorwürfe die Rede ist, die auch entspre-
chend mündlich gedolmetscht und teils schriftlich übersetzt, anschließend so-
gar archiviert wurden. Ausdrücklich wird von interpretes Latinorum gesprochen,
einem Paulus und seinem Sohn Smaragdus, beide wohl kaum geistlichen Stan-
des. Denn als man sich in Konstantinopel über die Bannbulle empörte, sah sich
der Kaiser genötigt, den Aufruhr des Volkes zu besänftigen. Da er off enbar den
diplomatischen Status der Legaten nicht anzutasten riskierte, ließ er die Dol-
metscher dieser diplomatischen Delegation mißhandeln bzw. prügeln und sche-
ren. Sie ihrerseits galten als Instrumente und genossen keinen diplomatischen
Schutz.549 Eine ‚bewährte‘ Methode war es ohnehin, die Instrumente zu strafen,
wenn man sich an deren Handhabern nicht rächen durfte oder konnte. Das
Bild vom Esel, dessen Sack man schlägt, obwohl man ihn selbst meint, ist uns
vielleicht geläufi ger. Gewiß untypisch ist die Tötung eines Dolmetschers, wie es
im 13. Jahrhundert bei den Mordvinen oder Tataren geschah.550 Dieser war zur
Erkundung des Schicksals eines Mitbruders von Dominikanermönchen ausge-
sandt worden, also eher als Bote bzw. als Erkundender denn als Dolmetscher
fungierend. Diese Nachricht ist in ihrer allgemeinen Bedeutung schwer zu beur-
teilen, denn mancher freiwillige oder gezwungene Führer durch feindliches oder
unbekanntes Land fungierte gleichzeitig als Sprachmittler, mitunter speziell als
Dolmetscher. Bei Mißerfolgen, Verirrungen oder anderen Widrigkeiten mochte
er dann aber zum Verräter werden und sich gar als ein solcher behandelt sehen.
Sein Schicksal wäre dann in den meisten Fällen wohl nur sekundär der Dolmet-
schertätigkeit zuzuschreiben. Insofern ergeben sich Schwierigkeiten in der
Beurteilung bereits der Einzelfälle. Verallgemeinernd läßt sich allerdings ein
grundsätzliches Risiko erkennen. Mitunter bleibt auch off en, ob bei dem Ver-
dolmetschen theologischer Aussagen auftretende Schwierigkeiten bzw. Unge-
nauigkeiten durch Unzulänglichkeit des Interpreten oder absichtlich bedingt
waren, weil der Dolmetscher beispielsweise seinen heidnischen Grundüberzeu-
gungen verhaftet blieb. Bei der Missionisierung der Prußen gibt es solche Beob-
achtungen.551 Es handelt sich dabei um eine leichtere Form der Unzuverlässig-
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Zum Anforderungsprofi l 127
keit, bei der man böse oder konträre Absichten nicht unterstellen muß. Rubruk
hat im Orient allerdings schlechtere Erfahrungen gemacht. So war „sein Drago-
man nur imstande […], ein Gespräch über Dinge des täglichen Lebens und
Verkehrs zu übersetzen. Der Dolmetscher bat selbst Rubruk, sich seiner Mit-
hilfe nicht zu bedienen, wenn er über religiöse Dinge reden wollte.“552 Hier
spielt allerdings nicht die partielle Inkompetenz des Dolmetschers die entschei-
dende Rolle, sondern sein refl ektiertes Verweigern, das ggf. auch Rückwirkun-
gen aus der nichtchristlichen Umwelt fürchtete.
Bisher ist die Frage der Verläßlichkeit strikt auf den Dolmetscher bezogen
worden, was gewiß plausibel und sachgerecht ist. Andererseits wäre es auch in-
teressant zu erfahren, ob Dolmetscher ungeachtet individueller Fehler bei ihrer
Aufgabenbewältigung sich ihrerseits einigermaßen auf ihren Auftraggeber ver-
lassen konnten. Zu einem solchen Vertrauensverhältnis mußte beim Auftragge-
ber die Einsicht gehören, daß sprachliche Vermittlung auch objektiv sehr
schwierig sein konnte, so daß fehlerfreies Dolmetschen immer anzustreben, oft
jedoch schwerlich erreichbar war. Ohnehin dürfte der Fremdsprachenunkun-
dige kaum perfekte Beurteilungsmaßstäbe für die Wertigkeit des Vermittelten
besessen haben.
Über die angeschnittene Frage hinaus gäbe es weitere Probleme, die man aber
als Historiker nur mit Textzeugnissen verknüpft und belegt näher erörtern
sollte. Angedeutet sei indes ein weiter Beurteilungsspielraum, der aus einer fast
anderen Welt überliefert ist. Im Babylonischen Talmud sagt R. Abahu u. a.:
„Zuerst glaubte ich, dass ich demütig sei, als ich aber sah, wie R. Abba aus Âkko
eine Meinung sagte und sein Dolmetsch eine andere Meinung sagte und er es
ihm nicht übel nahm, fand ich, daß ich nicht demütig bin.“553 Gemeint ist hier
ein Dolmetscher, der den Vortrag des Gelehrten dem Publikum mit persönli-
cher Note übermittelte. In mancher Hinsicht wird so ein menschlicher Aspekt
deutlich, der über das bloß Technische der Tätigkeit und den instrumentalen
Bezug erheblich hinausreicht.
VII. 3 Zum Anforderungsprofi l
Die Frage nach dem Anforderungsprofi l für Dolmetscher steht einerseits vor
großen Schwierigkeiten, andererseits ist sie sehr einfach dahingehend zu beant-
worten, daß der Interpres fremdsprachliche und im allgemeinen unverständli-
che Äußerungen Dritter in der eigenen Sprache seines Auftraggebers wiederzu-
geben hatte. Dabei ist ein notdürftiges Stammeln ggf. ebenso wichtig gewesen
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128 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
wie eine gekonnte, fl üssige Wiedergabe. Wichtig war vor allem die Übertragung
des für eine Seite Unverständlichen. Allerdings gab es gewiß eine Fülle von Ab-
stufungen beim Dolmetschen von einer in die andere Sprache, so daß die Frage
nach der Wertigkeit des Übertragenen grundsätzlich müßig ist, weil zu viel dif-
feriert. Konzentriert man sich auf relevantere Lebensbereiche bzw. Kommuni-
kationsebenen, so dominiert der geübte, ggf. auch speziell ausgebildete Dolmet-
scher, der seiner Aufgabe recht regelmäßig nachkommt. Mindestens für solche
Spezialisten ist dann die Frage nach dem Anforderungsprofi l angebracht, die
allerdings eine relative Auswahlmöglichkeit unter mehreren qualifi zierten Leu-
ten impliziert. Wie bei so vielen der uns interessierenden Fragen rund um das
Problem des Dolmetschens und der Dolmetscher ist die Überlieferungslage
schlecht. Auf Grund seltener Einzelangaben verstärkt sich aber der Eindruck,
daß Dolmetscher vor allem „treu“ oder „getreu“ übersetzen sollten. Dies ist mit
Sicherheit das wichtigste Qualifi kationskriterium gewesen. Die Rede ist vom
fi delis interpres, vom fi deliter referre o. ä. Bei Ekkehard IV. von St. Gallen aber
wird König Otto II. als fi dus interpres gerühmt,554 womit der Autor einen Begriff
aufnimmt, den Horaz in seiner Ars poetica sehr prägnant verwendete.555 Der fi -dus interpres ist im Verlauf des Mittelalters zum Topos vom getrüwen tolmetsch geworden, der nicht wort gegen wort, sondern sine gegen aim andern sine verglei-
che. Diese bei Niklas von Wyle (um 1415–1479) vertretene Auff assung bezieht
sich allerdings auf den Bereich schriftlicher Übersetzungstätigkeit,556 und meint
vorrangig Texttreue, Zuverlässigkeit gegenüber dem Text, während bei dem
„treuen Dolmetscher“ auch der Bereich persönlicher Zuverlässigkeit, Ehrlich-
keit und Lauterkeit mitangesprochen ist.
Der allgemeine Eindruck von geforderter Verläßlichkeit und Treue läßt sich
durch einen Einzelbeleg erhärten. Aus einer päpstlichen Instruktion vom
18.12.1278 geht hervor, daß Papst Nikolaus III. einem Legaten, der wegen
wichtiger Verhandlungen ad partes Alamanie entsandt wurde, gestattete, ali-quem vel aliquos religiosos vel seculares fi deles als interpretes heranzuziehen, weil er
selbst die Sprachen in den deutschen Gebieten nicht kenne, für die anstehenden
Verhandlungen deren Kenntnis jedoch notwendig sei (quia diversos tractatus ne-gotia ipsa requirunt et tu idyomata partium earundem ignoras).557 Als Dolmet-
scher kamen für den päpstlichen Legaten wohlgemerkt auch weltliche Personen
in Frage, off enbar gleich welchen Ranges und Standes, so wie bei kirchlichen
Interpretes. Der Legat sollte die Dolmetscher eidlich verpfl ichten, ihm selbst
und seinen Verhandlungspartnern getreulich zu referieren und zu erklären (fi de-liter referant et exponant). Gemeint ist gewiß die getreue Wiedergabe, wobei of-
fen bleibt, in welchen Intervallen gedolmetscht, ob paraphrasiert oder Wort für
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Zum Anforderungsprofi l 129
Wort die jeweiligen Beiträge wiederzugeben wären. Allerdings ist auch mit dem
Übersetzen schriftlicher Traktate zu rechnen, was im vorliegenden Falle für fl ie-
ßende Übergänge bei der Wiedergabe mündlicher wie schriftlicher Kommuni-
kation spricht. Bedeutsam ist bei dem verlangten Verpfl ichtungs- und Ver-
schwiegenheitseid schließlich die Forderung nach strikter Vertraulichkeit und
Verschwiegenheit – quod illa, que secreto tenenda fuerint, per eosdem iuratos aliis nullatenus detegantur.558
Das Vertraulichkeitsgebot dürfte in der Mehrzahl aller Anwendungsfälle ele-
mentar gewesen sein. So sind entsprechende Sprachkompetenz, Übersetzungs-
treue und Vertraulichkeit wie Verschwiegenheit als unabdingbare Elemente des
Anforderungsprofi ls eindeutig zu erkennen.
Recht häufi g belegt ist das Postulat „getreuen“ Dolmetschens. Mit dem At-
tribut klingt zugleich der Spielraum an, der dem Dolmetscher off en steht bei
seiner Tätigkeit. Gemeint sind damit nicht nur die qualitativen sprachlichen
Möglichkeiten einzelner Individuen, sondern vor allem sollen die Interpreta-
tionsspielräume bei der mündlichen Wiedergabe fremdsprachlicher Äußerun-
gen angedeutet werden.
Rainald von Dassel beispielsweise gab den lateinischen Text des Papstbriefes
1157 in Besançon „ziemlich“ bzw. „hinreichend“ getreu wieder ( fi da satis inter-pretatione).559 Im Jahr darauf wurde Friedrich Barbarossa in Augsburg ein Brief
Hadrians IV. von päpstlichen Gesandten überreicht, den der Kaiser an Bischof
Otto von Freising weitergab ad legendum simul et interpretandum. Vielleicht lag
es daran, daß Otto von Freising nach eigenem Bekunden besonders tiefen
Schmerz (singularem dolorem) über den Streit zwischen regnum und sacerdotium
empfand, wenn er den Brief vorlas und „in wohlwollender Weise“ bzw. „in gü-
tiger Übersetzung“ (benigna interpretatione) erläuterte.560 – Selbst bei der Wie-
dergabe von Papstbriefen ergibt sich demnach eine qualitative Diff erenz zwi-
schen benignus und satis fi dus. Auf anderen Feldern dürften manche Unterschiede
gravierender gewesen sein.
Eine interessante Beobachtung sei noch hinzugefügt. Das als „gütig“ über-
setzte Adjektiv benignus verwendet Friedrichs I. Kanzlei in einer Urkunde für
Speyer vom 27. Mai 1182.561 Bezug genommen wird in ihr auf das kaiserliche
Gesetzgebungsrecht und des Kaisers Pfl icht, strittige bzw. zweifelhafte Dinge
benigne zu interpretieren. Übernommen ist diese Vorstellung aus dem Codex
Justinians. So ergibt sich der bemerkenswerte Zusammenhang einer Ausübung
herrscherlicher Pfl icht, wenn von einer benigna interpretatio die Rede ist. Die
Wiedergabe des Papstbriefes in Augsburg durch Bischof Otto von Freising war
„pfl ichtgemäß korrekt“ bzw. sogar „pfl ichtgemäß wohlwollend korrekt“. Umge-
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130 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
kehrt wird damit deutlich, daß Rainalds von Dassel fi da satis interpretatio (ge-
rade noch hinreichend getreu) des Papstbriefes in Besançon von Rahewin erheb-
lich kritischer beurteilt wird, als es der erste Anschein glauben machen will.
Ob zum verläßlichen bzw. sprachlich getreuen Dolmetschen auch sozusagen
fachsprachliche Qualifi kation gefordert wurde oder mindestens verlangt werden
konnte, läßt sich kaum sagen. Beachtenswert sind immerhin formulierte Er-
kenntnisse von Reisenden und Missionaren im Orient, daß ihre Dolmetscher
zur Wiedergabe theologischer Fragen und Aussagen nicht in der Lage waren,
daß sie nahezu versagten.562 Solche Nachrichten lassen sich als Indizien werten,
doch beschränken sie sich auf christliche theologische Th emen und die dazu
gehörige „Fachsprache“.
Zu den Anforderungen an Dolmetscher gehört auch deren Verschwiegen-
heit. Sofern sie nahezu ausschließlich als sprachliche Vermittlungsinstrumente
verstanden wurden, wird das umfassende Schweigegebot als selbstverständlich
gegolten haben. Ob aber Dolmetscher durchgängig schwören mußten, ver-
schwiegen zu sein, wie es bei den seit dem 12. Jahrhundert in Europa belegten
Herolden der Fall war,563 ist nicht erkennbar, wohl aber naheliegend, zumal ge-
wisse Überschneidungen zwischen Dolmetschern und Herolden, die ohnehin
zwei- bzw. mehrsprachig sein sollten,564 nicht zu übersehen sind. Dies soll indes
hier nicht näher betrachtet werden, zumal das Heroldswesen recht eigentlich ein
Phänomen erst des 14. und 15. Jahrhunderts ist.565
Für eidliche Zusicherungen, auch nach beendeter Dolmetschertätigkeit ver-
schwiegen zu bleiben, spricht ebenfalls die bereits erwähnte päpstliche Anwei-
sung aus den Jahren 1278 und 1279, nach der Dolmetscher zusätzlich zur eid-
lichen Verpfl ichtung zu getreulicher Wiedergabe schwören mußten, daß sie
Verhandlungsgeheimnisse auch später nicht aufdecken würden.566
VII. 4 Fragen der Ausbildung
Woher rührten eines Dolmetschers Fähigkeiten? Wo konnte er gelernt haben?
Beide Fragen sind schwer zu beantworten, doch dürfte in aller Regel eine zwei-
oder mehrsprachige Person ggf. als Dolmetscher beigezogen worden sein, ohne
daß sich ermitteln ließe, wie diese zur jeweiligen Sprachkompetenz gekommen
war. Möglich sind freilich Hinweise in der Art, daß es sich vorzugsweise um
Bewohner des Grenzlandes gehandelt habe, die sozusagen von Haus aus zwei-
sprachig waren, oder um solche Leute, die längere oder sehr lange Zeit in einem
fremden Sprachbereich sich aufgehalten hatten, so daß zur Muttersprache eine
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Fragen der Ausbildung 131
zusätzliche Sprache erlernbar und verfügbar wurde. Die Skala solcher und ähn-
licher Möglichkeiten dürfte breit sein, doch kann die Frage nach Sprachschulen
ein größeres Interesse beanspruchen. Vorausgesetzt wird allerdings ein weites
Verständnis von Schulen, was spezialisierte und institutionalisierte Formen
selbstverständlich nicht ausschließt. Sie sollten aber eigens nachweisbar sein.
Erste Hinweise in der Überlieferung bleiben vage, aber der Frage nach Dol-
metscherschulen oder ähnlichen Einrichtungen kann erhöhte Aufmerksamkeit
gelten, weil auch Ausbildungsfragen in diesem Zusammenhang eine zusätzliche
Bedeutung erhalten.
Der Blick darf aber nicht auf Schulen verengt werden, weil Fremdsprachen-
erwerb auch in sozusagen individueller Form erfolgen konnte, selbst wenn Rah-
menregelungen vorlagen wie im Fall des bereits erwähnten Handelsvertrages der
Hanse mit Rußland. In einem anderen Fall, der aus dem Frühmittelalter datiert,
mag off enbleiben, ob individuelle Fremdsprachenaneignung in gewissen Schul-
formen erfolgte oder ob der betreff ende Klosteraufenthalt eher als Ausgangsba-
sis für individuelles Lernen genutzt wurde. Hinzuweisen ist etwa auf einen Brief
des Abtes Lupus von Ferrières aus dem Jahre 844, in dem dieser westfränkische
Abt mitteilt, daß er drei adlige Knaben in das Eifelkloster Prüm schicke, damit
sie dort Kenntnis der Germanica lingua sich aneignen und so ihrem eigenen
Kloster Ferrières künftig Nutzen bringen könnten: propter Germanicae linguae nanciscendam scientiam.567 Abt Lupus fügte in einem weiteren Schreiben an Abt
Marcward 847 hinzu, „daß den heutzutage äußerst notwendigen Gebrauch die-
ser [Sprache] nur ein Schwachkopf ignorieren könne“.568 Wollte der Abt künftig
für sein eigenes Kloster eigene Dolmetscher verfügbar haben oder wollte er von
(speziellen) Dolmetschern unabhängig sein? Bemerkenswert bleibt aber auch,
daß die Klosterschüler in Ferrières nicht mehr das Althochdeutsche lernen
konnten, wohl aber in Prüm.
Abt Lupus von Ferrières schickte nach Prüm drei Minderjährige bzw. besser:
Knaben oder pueroli. Es besteht Grund zur Annahme, daß er um die besondere
Aufnahme- und Lernfähigkeit von Kindern und Jugendlichen wußte, eine
Überzeugung, die im Mittelalter mitunter ausdrücklich fi xiert wird. Denken
wird man dabei vor allem an Karls IV. Regelung in der Goldenen Bulle von
1356, was einer verfassungsrechtlichen Norm entsprach: „Von Ihrem siebenten
Lebensjahr an [sollten die kurfürstlichen Prinzen, deren Muttersprache ohnehin
das Deutsche war] in der lateinischen, der italienischen und der tschechischen
Sprache unterrichtet werden, so daß sie bis zum vierzehnten Lebensjahr, je nach
der ihnen von Gott verliehenen Begabung, damit vertraut seien; denn dies wird
nicht nur für nützlich, sondern aus obgenannten Gründen für höchst notwen-
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132 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
dig erachtet, weil diese Sprachen am meisten für den Gebrauch und Bedarf des
heiligen römischen Reiches angewendet zu werden pfl egen und weil in ihnen
die wichtigsten Reichsgeschäfte verhandelt werden.“569
Denkwürdig ist eine spezielle Nachricht in der Korrespondenz Heinrichs des
Löwen. Dieser dankte in einem vermutlich nach 1176 geschriebenen Brief an
König Ludwig VII. von Frankreich „für die freundliche Aufnahme des Sohnes
eines seiner Vasallen, um dessen Heimsendung er bittet“. Gleichzeitig lädt er
den französischen König ein, Jungen zu schicken, wenn er wolle, daß diese sein
Land und dessen Sprache kennenlernen (et si quos habetis pueros, quos vel terram nostram vel linguam addiscere vultis, nobis transmittatis).570 In heutiger Termino-
logie würde man von einer Art Jugendaustauschprogramm sprechen wollen, das
der Löwe anbot, auch die Kombination von Landeskunde und Spracherwerb
könnte noch immer faszinieren, doch ist unbekannt, ob und welche Resonanz
das Angebot erfuhr.
Die Überwindung von Sprachhürden war im christlichen Missionsbereich
eine nahezu zwingende Notwendigkeit. Der Bremer Domscholaster Adam
(gest. um 1081) notiert in seiner Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche,
sein Erzbischof Adalbert hätte eine großangelegte Legationsreise durch den
Norden beabsichtigt, doch der „kenntnisreiche Dänenkönig“ brachte ihn ge-
schickt davon ab. Er belehrte den Erzbischof, indem er ihm klarmachte, „leich-
ter ließen sich die Barbarenvölker durch Menschen ihrer eigenen Sprache und
ähnlicher Lebensart bekehren, als durch Fremde, die ihre Volksbräuche ablehn-
ten. Er brauche nur durch seine Freigebigkeit und Leutseligkeit die Zuneigung
und Treue der Männer zu erwerben, die zur Verkündigung des Gottesworts un-
ter den Heiden zur Verfügung ständen.“571
Interessant ist die bei Adam von Bremen herausgestellte Verbindung von
Sprachenkenntnis und Wissen um die jeweilige Lebensart, man könnte auch
von Mentalitätseinsichten sprechen, fundamental aber ist vor allem die betonte
Sprachkompetenz bei beabsichtigter Begegnung mit fremden, heidnischen Völ-
kern. Hier liegt eine allgemeingültige Erkenntnis vor. Im Prinzip ist sie auch bei
Ansgar, dem karolingischen Missionar und späteren Erzbischof von Hamburg-
Bremen, zu erkennen. Zwar nicht ganz zwingend, aber doch sehr wahrschein-
lich ist nämlich die Annahme, daß Ansgar in seiner Missionsschule, die er im
fl andrischen Kloster Torhout eingerichtet hatte, von der heimatlichen Sprach-
kompetenz seiner Zöglinge bewußt profi tieren wollte. In der Vita Anskarii, die
sein Schüler und Nachfolger Rimbert zwischen 865 und 870 verfaßt hat, heißt
es, Ansgar hätte „einige junge Nordleute und Slawen gekauft und zur Unterwei-
sung in dieses Kloster geschickt, um sie für den heiligen Streit heranzubilden;
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Fragen der Ausbildung 133
seine ganze Sorge galt ja der Berufung der Heiden, denen er durch seine Lega-
tion helfen wollte“.572 Ungeachtet der Tatsache, daß Ansgars Nachfolger als Abt
von Torhout diese Einrichtung partiell mißbräuchlich in Anspruch nahm, ist
doch die Missionsschule mit sprachkompetenten Jugendlichen gesichert. Im
Falle ihres Missionseinsatzes bei Nordleuten und Slawen waren sie auf Dolmet-
scher nicht angewiesen.
Zu den erschließbaren Fällen gehört die Geschichte Heinrichs von Lettland.
Nach einem Selbstzeugnis war er interpres atque sacerdos des Bischofs von Riga
und hat in seinem baltischen Wirkungsbereich auch vielfach gedolmetscht.573
Da er mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit aus dem Reich stammte und deut-
scher Herkunft war, möglicherweise im Magdeburgischen gebürtig, ist nach
seinem zusätzlichen Spracherwerb zu fragen. Wo lernte er baltische Idiome ken-
nen und sprechen? Im Winter 1205 (November/Dezember) dolmetschte Hein-
rich von Lettland bereits in Riga, dürfte aber mit Bischof Albert erst im Früh-
jahr 1205 angekommen sein. Insofern mag es relativ unwahrscheinlich sein, daß
er in der kurzen Zeit mindestens das Lettische gelernt haben könnte. Seine Ju-
gend läßt den Schluß zu, daß Skepsis berechtigt sei, andererseits kann man in
jungen Jahren mitunter extrem schnell lernen. Insofern sollte und muß diese
Frage off enbleiben.
Da Heinrich höchstwahrscheinlich aus dem Augustinerstift Segeberg in Hol-
stein kam, wo er auf Missionsaufgaben und das Priestertum vorbereitet worden
war, konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit auf Segeberg. Hatte Heinrich
hier Sprachunterricht erhalten? Gab es eventuell sogar eine Dolmetscherschule?
Falls Heinrich von Lettland tatsächlich längere Zeit in Segeberg aufgewach-
sen war,574 besteht Grund zur Annahme, daß er mit jungen Slawen, die aus
Gefangenschaft bzw. Sklaverei freigekauft worden waren und die man in deut-
schen Klöstern für Missionszwecke ausbildete, zusammenkam. Sie behielten
ihre Muttersprache und lernten Deutsch/Niederdeutsch und Latein. Minde-
stens von ihrer Ausbildung könnte Heinrich auch als Nichtslawe profi tiert ha-
ben. In Lettland sprach bzw. dolmetschte Heinrich livisch, lettisch und est-
nisch.575 Er dürfte Deutsch/Niederdeutsch als Muttersprache gesprochen haben,
und sein großes Werk schrieb er in lateinischer Sprache. Woher stammten seine
Kenntnisse?
Eine Erklärungsvariante soll genannt werden. Paul Johansen hat auf 30 Gei-
seln Bischof Alberts hingewiesen, die dieser aus dem Baltikum nach Deutsch-
land mitnahm576 – vermutlich für die Dauer von drei Jahren.577 Wurden die
Geiseln nach Lübeck gebracht und von dort nach Segeberg? Dort hätten die
Geiseln, die durchgängig junge Leute waren, Umgang mit jungen Schülern ha-
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134 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
ben können. Zu ihnen mag Heinrich gehört haben. Johansen meint, Heinrich
habe hier und in dieser Weise auch Lettisch gelernt.
Die erschlossene Segeberger Missionsschule mit besonderer Berücksichti-
gung der benötigten Fremdsprachenkompetenz dürfte nicht singulär gewesen
sein. Zumindest die sprachliche Komponente bei der Heranziehung zu Missi-
onsaufgaben ist schon früh belegt. So hat Papst Gregor der Große (590–604)
einst den Priester Candidus beauftragt, in Südgallien pueros anglos zu kaufen,
weil sie ganz off enbar für die Mission in Britannien benötigt wurden.578 Diese
geplante Britannienmission scheiterte jedoch.
Als Beispiele für Klosterschulen, die spezielle Sprachstudien für Missions-
zwecke pfl egten, sind vor allem St. Emmeram in Regensburg, Monte Cassino
und wohl auch Segeberg zu nennen. Die genannten Schulen können nur exem-
plarische Bedeutung haben, denn in manchen Territorien, in denen Landesspra-
che und Sprache der Herrschenden geschieden waren, brauchte man Dolmet-
scher. Im Land des Deutschen Ordens entspannte sich das Sprachenproblem
erst, als einheimischer Pfarrklerus zum Einsatz kam, also Männer, die von Kind
an die deutsche und die prussische Sprache verstanden und sprachen. Gelöst
waren die Probleme damit aber noch nicht, und bis zur Reformation übersetz-
ten prussische Tolken die Predigten und auch die Einzelbeichte. In größerem
Stil versuchte Heilsberg im Ermland das Problem zu meistern, indem dort eine
Schule für prussische Jungen eingerichtet wurde, und in ähnlicher Weise unter-
hielten die Domherren in Frauenburg eine entsprechende Schule. Bis in die
Mitte des 15. Jahrhunderts hatte diese Domschule Bestand.579
Im europäischen Rahmen ist auch Raymundus Lullus zu erwähnen, der
1275 oder 1276 auf Mallorca ein Kloster insbesondere für Sprach- und Missi-
onsstudien errichtete.580 Berühmt sind schließlich die detaillierten Pläne des
Franzosen Pierre Dubois, der in seinem Hauptwerk „De recuperatione Terrae
Sanctae“ (um 1306), einer geheimen Denkschrift für den französischen König,
ein umfassendes politisches Programm skizzierte. Dabei forderte er auch eine
hohe Schule für Dolmetscher, an der vorzugsweise orientalische Sprachen er-
lernt werden sollten. So könne man die Eroberung des Orients entscheidend
fördern.581
In eher summarischer Form sollte noch einmal herausgestellt werden, daß in
manchen Klöstern, in denen sich für solche Tätigkeitsbereiche bereits Traditio-
nen herausgebildet hatten, Klosterangehörige wie wohl auch Laien sprachlich
unterrichtet wurden und zwar nicht nur in Latein. Vieles spricht auch dafür,
daß im 14. Jahrhundert an einigen Universitäten mit Lehrstühlen für fremde
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Fragen der Ausbildung 135
Sprachen auch Dolmetscher ausgebildet wurden, also nicht nur Spezialisten für
Übersetzungstätigkeiten.
Fast nichts weiß man von Möglichkeiten, sich sozusagen im Selbststudium
mit Hife geeigneter Unterrichtsmaterialien die Voraussetzungen zum Dolmet-
schen zu erarbeiten bzw. wohl eher, auf bereits vorhandener Sprachgrundlage
notwendige fachsprachliche Kenntnisse zu erwerben. Mit dem ältesten italie-
nisch-deutschen Sprachbuch von 1424 liegt ein solcher Fall vor.582 Dieses
Sprachdenkmal aus der Feder des Georg von Nürnberg, „der an einer veneziani-
schen Schule“ als Sprachmeister tätig war, scheint vorrangig für italienische Be-
nutzer gedacht gewesen zu sein, die Deutschkenntnisse erwerben wollten. Den-
ken muß man vor allem an venezianische Makler, auf die jeder fremde Händler
strikt verwiesen wurde. So mußten autorisierte Makler zugleich als Dolmetscher
tätig sein. In der Urkundensprache sei denn auch vereinzelt messeta mit tholoma-gius gleichgesetzt worden.583 Freilich lehrt das Beispiel Venedigs auch, daß mit
der rigorosen Abschirmung von Händlern aus dem Norden in der „ghettoarti-
gen Institution“ des Deutschen Hauses oder Fondaco dei Tedeschi allgemeine
Sprachkontakte nahezu unmöglich gemacht wurden und die Zuständigkeit von
Maklern/Dolmetschern dann zwangsläufi g kaum mehr als ein Notbehelf gegen
die verordnete Sprachlosigkeit war.
Erwähnt werden soll auch das erste deutsch-katalanische Wörterbuch, das
der deutsche Drucker Hans Rosenbach in Perpignan 1502 herausbrachte. Seine
Vorlage war ein älteres italienisch-deutsches Wörterbuch, das ins Katalanische
übertragen und wohl vorzugsweise von deutschen Kaufl euten, zumal solchen in
Barcelona benutzt wurde.584 Vor allem für Kaufl eute hat auch Gaspard Hochfe-
der, der aus Nürnberg stammte und seit 1498 in Metz ansässig wurde, im Jahre
1515 ein spezielles Hilfsmittel gedruckt: ein lateinisch-französisch-deutsches
Wörterbuch.585
Für eine gewisse thematische Abrundung sei ein kurzer Blick auf den außer-
europäischen Raum gerichtet, der ganz gewiß eine gesonderte Betrachtung ver-
dient. Schon allererste Hinweise sind bemerkenswert und zugleich irritierend.
So entstand um die Mitte des 14. Jahrhunderts im Jemen auf herrscherliche
Veranlassung mit dem sog. Rasûlid Hexaglot „ein sechssprachiges Lexikon, das
in sechs Spalten neben dem Arabischen auch Persisch, Türkisch und Mongo-
lisch sowie Armenisch und Griechisch nebeneinanderstellte“.586 Dieses Hexa-
glot gehört seinerseits in große Vernetzungsvorgänge, die den mongolisch-asia-
tischen Raum und gewisse lateineuropäische Entwicklungen linguistisch
prägten. Aus dem asiatisch-mongolischen Umfeld stammt auch der Codex Cu-
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136 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
manicus, der im Kern 1330 geschrieben wurde und ein vorwiegend für Händler
gedachtes lateinisch, persisch und kumanisches Wörterbuch darstellt.
VII. 5 Zum Spracherwerb: Motive und Hemmnisse
Die Vielsprachigkeit auf Erden war nach traditioneller Auff assung eine Strafe
für den Hochmut bei dem Turmbau zu Babel. Ob die Menschen außerhalb des
biblischen Kontextes den Strafcharakter ignorierten, ist nicht gewiß, daher auch
kein spezifi sches Hemmnis gegenüber fremden Sprachen, ihrem Erlernen und
Praktizieren zu vermuten. Und doch sollte es weit in die Gegenwart reichen, bis
man sich „von der biblischen Verunglimpfung der sprachlichen Vielfalt“ verab-
schiedete „und Babel nicht als Strafe, sondern als ein Geschenk“ begriff .587
Was aber bewog einzelne Menschen im Mittelalter, fremde Sprachen zu erler-
nen? Die Frage zielt vor allem auf persönliche Motive, schließt aber allgemeinere
Antriebskräfte nicht aus. Dies gilt vorrangig für politische Beweggründe, insbe-
sondere solche, die für die Aufrechterhaltung von Herrschaft als nützlich emp-
funden wurden. Hier ist beispielsweise an Kaiser Karls IV. berühmte Anweisung
in der Goldenen Bulle von 1356 zu denken.588 Er war der Auff assung, daß die
Kurfürsten angesichts der Vielfalt in Sitten, Lebensweise und Sprache der unter-
schiedlichen Völker des Reiches selbst sprachkundig sein sollten, „damit sie
mehr Leute verstehen und von mehr Leuten verstanden werden, wenn sie bei
der Fürsorge für die Bedürfnisse so vieler der kaiserlichen Majestät beistehen
und einen Teil ihrer Regierungssorgen tragen“. Motiv und zugedachte Funktion
sind eminent politisch und so wichtig, daß der Kaiser es „für höchst notwendig
erachtet[e]“, daß die voraussichtlichen Nachfolger dieser Kurfürsten bereits
vom siebenten Lebensjahr die politisch notwendigen Sprachen erlernten – ne-
ben der „angestammten deutschen Sprache“ Latein, Italienisch und Tschechisch.
Karl IV. selbst beherrschte diesen beachtlichen Sprachenkanon, dazu auch
perfekt das Französische. Aus seiner Autobiographie geht hervor, daß er früh
den eminent politischen Zweck sicherer Sprachbeherrschung erkannt hatte. Als
er nach langen Jahren aus der Fremde nach Böhmen zurückkehrte, hatte er, so
schreibt Karl selbst in seiner Vita, „die böhmische Sprache […] völlig verges-
sen“, lernte sie „jedoch nachher wieder, so daß wir sie wie jeder andere Böhme
[Tscheche] redeten und verstanden“.589
Für den künftigen König von Böhmen war dies nach Karls persönlicher Auf-
fassung ganz unverkennbar eine unabdingbare Grundvoraussetzung seiner
Herrschaft. So zwingend diese Erkenntnis und so imponierend ihre praktische
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Zum Spracherwerb 137
Umsetzung durch Karl IV. waren, so isoliert steht dennoch sein Beispiel. Frei-
lich ist nicht auszuschließen, daß mancher und ggf. sogar viele sein Vorbild als
verpfl ichtend empfanden, doch ist dies nicht ausdrücklich belegbar. Selbst für
die Erziehung der kurfürstlichen Prinzen ist nicht bekannt, ob die zitierten An-
weisungen der Goldenen Bulle von 1356 wirkungsvoll beachtet wurden.
Die große politische Bedeutung, die der Sprachbeherrschung in eigenen
Herrschaftsgebieten zukommen konnte, ist im negativen Sinne an Karls IV. Va-
ter, König Johann von Böhmen (1296–1346), ablesbar. Der gebürtige Luxem-
burger hatte 1310 die böhmische Erbtochter Elisabeth geheiratet, war dem
Land aber fremd geblieben, zumal er auch die tschechische Sprache nicht
schätzte. Recht authentisch berichtet Karl IV. in seiner Autobiographie, „böse
und falsche Ratgeber“ hätten seinen Vater vor Machtgelüsten des eigenen Soh-
nes gewarnt und ihm selbst unter anderem einschüchternd vorgehalten, er habe
in Böhmen keine Unterstützung zu erwarten: „Ihr aber seid ein Fremdling“ (vos autem estis advena).590
Es ist müßig, nach weiteren Motivationszeugnissen Ausschau zu halten, denn
die Quellen schweigen. Als Ausnahme wird man allerdings vielfältige Anpas-
sungszwänge werten müssen, wenn etwa Ausländerinnen geheiratet wurden
und diese ihr Heimatland verlassen mußten. Auf die entsprechende Situation
bei einigen Königinnen ist bereits hingewiesen worden. Ansonsten ist es schwer,
angesichts einer beachtlichen Dunkelziff er Vermutungen zu äußern. Berück-
sichtigen muß man nämlich auch Hemmnisse, die sich zu ideologischen Barrie-
ren steigern konnten. Hierfür gibt Kosmas von Prag (ca. 1045–1125) einen Fin-
gerzeig. Er schrieb deutschen Fürsten einen angeborenen Hochmut (innatam Teutonicis superbiam) und Verachtung für Slawen und ihre Sprache (eorum lin-guam) zu.591 Freilich spielen Vorurteile in einer oft mit eigenen Erfahrungen
gemischten Form bei ähnlichen Vorgängen eine Rolle. So klagte einst Michael
Choniates, der bibliophile Metropolit von Athen, „er habe seine Bibliothek zu-
sammengetragen für Leute, die nicht einer Sprache mit ihm seien und das grie-
chisch Geschriebene nicht einmal durch Dolmetscher verstehen könnten. Denn
eher würden Esel des Wohlklangs der Leier und Mistkäfer eines Wohlgeruchs
inne, als die Lateiner des Wohllauts und der Anmut des Griechischen.“592 Diese
polemische Äußerung basiert auf einer älteren Distanz gegenüber den Latei-
nern. Schon im Sommer 865 schrieb der byzantinische Protospathar Michael in
kaiserlich-byzantinischem Auftrag an Nikolaus I., die lateinische Sprache, in der
Papst Nikolaus schreibe, sei „skytisch und barbarisch“.593 Üblicherweise aber
urteilt so leicht, wer das Lateinische kaum beherrscht.
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138 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
Im Zusammenhang der geschilderten Abneigungen gegen fremde Sprachen
darf man allerdings nie vergessen, daß Fremdsprachenerwerb nicht nur mühse-
lig, sondern ausgesprochen langwierig ist. Der Dominikaner Campanella
(1568–1639) wußte es und schrieb in seinem „Sonnenstaat“, der sehr viel Wert
auf die Ausbildung in den Wissenschaften legte: „Nicht so streng wird auf
Sprachkenntnisse geachtet, da es ja genug Dolmetscher gibt, die im Sonnenstaat
Grammatiker heißen.“594 Die Aussage betonend hat Arno Borst zusammenge-
faßt: Im Sonnenstaat „wird man zwar das Wissen pfl egen, doch nicht die zeit-
raubenden Sprachkenntnisse; dafür hat man Dolmetscher“.595
Kaum eigens hinzuweisen ist auf Kaufl eute, insbesondere auf Fernkaufl eute
oder Fernhändler. Sie dürften regelmäßig Sprachkontakte gesucht haben, viel
öfter noch zwingend in solche verwickelt worden sein. Wie derartige Probleme
gemeistert wurden, ist einerseits nicht direkt überliefert, während andererseits
mit Heranziehung von Dolmetschern, mindestens mit einigermaßen sprach-
kundigen Leuten als Mittlern zu rechnen ist. Im Fall der hansisch-russischen
Handelskontakte ist das Problem erörtert worden, so daß dieser Hinweis genü-
gen mag.
Anzusprechen wäre hingegen eine Erzählung des Fortsetzers der Chronik des
Jakob Twinger von Königshofen aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Sie be-
zieht sich auf die für das Elsaß leidvolle Zeit der Armagnaken und könnte zu-
nächst die Risiken aufzeigen, die dem drohen, der nur einsprachig ist: „Oben im
Lande fi ng ein Geck einen Schweizer; der Geck konnte kein Deutsch und der
Schweizer kein Welsch. Da kam ein Sundgauer hinzu, der konnte beide Spra-
chen. Als nun der Geck den Schweizer bei der Gurgel hatte und 100 Kronen
begehrte, da war der Schweizer dessen zufrieden und hätte auch noch mehr ge-
geben. Der Welsche fragte nun den Sundgauer, was jener sagte, und dieser ant-
wortete: der Schweizer sagt, dass er keinen Pfennig geben will, worauf der Geck
dem Schweizer die Gurgel abstach. Als nun der Sundgauer gefragt wurde, wa-
rum er nicht die Wahrheit geredet, sagte er, er wäre gut österreichisch und daher
beiden nicht hold gewesen; deshalb so gönnte ich dem Walen das Geld nicht, so
gönnte ich auch dem Schweizer das Leben nicht.“596
Warum erzählte der Chronist diese Geschichte? Ging es um eine makabre
Unterhaltung? Oder sollte die Erzählung eine wichtige Nachricht übermitteln,
welche Gefahren nämlich sprachliches Unvermögen birgt, wie riskant auch die
vermeintliche Hilfe eines Sprachkundigen sein kann, wenn er nicht mittelt,
sondern bösartig nur eigenen Vorurteilen folgt und rücksichtslos ein böses Ge-
schehen manipuliert? Wenn solche Vermutungen plausibel sind, mag es ange-
hen, daß diese Geschichte hier erwähnt wurde.
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Belohnung und Besoldung 139
Von grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber Fremden wird man im Mittelal-
ter trotzdem nicht sprechen können, auch nicht von einer allgemeinen Aversion
gegenüber fremden Sprachen. Viel eher wäre von eminenten Schwierigkeiten zu
reden, wenn man mit fremden Sprachen umgehen oder gar sie lernen wollte.
Das Gesamtbild dürfte sich zwischen unterschiedlichen Polen bewegt haben,
deren einer durch eindrucksvolle Worte König Stephans des Heiligen von Un-
garn (um 970–1038) markiert wird. Er wußte um den Wert von „Gästen“ (hos-pites) und Fremden (adventicii), die sein bevölkerungsarmes Land dringend be-
nötigte. Und in diesem Zusammenhang lautete seine Erkenntnis, die noch der
Moderne als Vermächtnis dienen könnte: „Denn ein Reich mit nur einer einzi-
gen Sprache und nur einem einzigen Brauchtum ist energielos und zerbrech-
lich“ (Nam unius linguae uniusque moris regnum imbecille et fragile est).597
VII. 6 Belohnung und Besoldung
Das Problem der Besoldung von Dolmetschern ist sehr kompliziert und nicht
eindeutig zu klären. Zunächst ist daran zu erinnern, daß das Mittelalter kein
ausgeprägtes Besoldungswesen besaß, sondern daß an die Stelle eines spezifi -
schen Lohnes oder Gehalts eine bestimmte Amtsausstattung oder Sachleistung
trat. Im Falle höherer Amtsträger diente das Lehnswesen in seinen vielfältigen
Abstufungen als hinreichende „Besoldungskategorie“. Ausnahmen gab es gleich-
wohl immer wieder, wie auch die nachfolgende knappe Darstellung der Vergü-
tung von Dolmetschern aufzeigen kann. Allerdings bleibt das eher kollegiale
Moment eines dolmetschenden Eingreifens bei Sprachschwierigkeiten unbe-
rücksichtigt.
Wenn Dolmetscher im Hause, am Hofe, im Gefolge oder der Dienstmann-
schaft ihres Herrn bzw. Auftraggebers lebten und daher zum Dienstpersonal
oder zur familia gehörten, ist die Besoldungsfrage annähernd identisch mit ihrer
dienstlichen Funktion, ergibt sie sich aus der Zugehörigkeit zum Dienstbereich.
Auch für diesen insgesamt gibt es wenig Aufschluß in der Besoldungsfrage. Eine
gewisse Amtsausstattung kann nicht ausgeschlossen werden, obwohl der sozusa-
gen hauptberufl ich tätige Dolmetscher im Regelfall nicht belegt ist. Immerhin
könnte es sich um einen solchen handeln bei Iorwerth Goch, der um 1160 das
Lehen Sutton in Shropshire von König Henry II. erhielt, „by the service of being
interpreter (latimarius) between the English and the Welsh“.598 Allerdings ist
mit einem Sonderfall zu rechnen, insofern der Dolmetscher im Bereich der
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140 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
englisch-walisischen Grenze tätig war, also regelmäßiger Vermittlungsbedarf be-
stand.
Sofern Geistliche als Dolmetscher tätig waren, ist die Besoldungsfrage wohl
nicht angebracht, einzelne Belohnungen für erfolgreiches Dienen aber kaum
auszuschließen. An der Kurie scheint es Ausnahmen gegeben zu haben. Dies gilt
zunächst noch nicht für jene erwähnten nuncii, die in der Rechnungslegung
päpstlicher Kollektoren auftauchen. Die hier ausgewiesenen Geldbeträge könn-
ten nämlich reine Aufwandsentschädigungen für Dienstreisen gewesen sein.
Aber bei den Sprachlehrern etwa, die in den Gehaltslisten der apostolischen
Kammer erfaßt sind, ist eindeutig an Gehälter zu denken. Eine Einschränkung
ließe sich allenfalls mit dem Hinweis machen, daß diese universitären Sprach-
lehrer vor allem Sprachkundige bzw. künftige Dolmetscher ausbildeten, selbst
aber vielleicht nicht regelmäßig als Dolmetscher fungierten.
Obwohl also im Regelfall mit Dolmetschern ad hoc zu rechnen ist, die für
ihre spezielle Tätigkeit nicht oder nur von Fall zu Fall belohnt wurden, lassen
sich weitere Ausnahmen belegen. Dies gilt besonders für das Ordensland Preu-
ßen. Hier waren „begehrte Stellen“ für Tolken bereits erwähnt worden, die Dau-
erfunktion von Dolmetschern belegbar. Die Ausstattung solcher Leute mit Hu-
fenland scheint nicht unüblich gewesen zu sein. So verlieh, wie erwähnt, Bischof
Johannes von Samland seinem Dolmetscher Johannes im Jahre 1325 statt des
mit vier Hufen ausgestatteten Schulzenamtes in Th ierenberg (Kr. Fischhausen)
drei Haken in Plöstwehnen (Kr. Königsberg) zum Recht der Freien, wobei das
ursprünglich vorgesehene Schulzenamt mit seinem Zubehör den Rang (und
wohl auch die Verdienste) des Dolmetschers dokumentiert.599
Schon früher hatte der im Ordensbereich residierende Bischof von Kurland
namens Heinrich im Jahre 1253 die Verleihung verschiedener namhafter Güter
bezeugt, u. a. Vortmeyr [Ferner] Claus Cure, die tolk, die gude, di hie to Sacke he-vet, die sal hie hebben von unser lant, und die hi hevet to Bandowe, die sal hi hebben von der brodere lant. Für den Tolken Claus Cure wurden weitere Güter im Land
Samaiten in Aussicht gestellt, also zusätzlich zu dessen bereits erworbenen Gü-
tern zu Sacke und zu Bandowe.600
In den genannten Fällen handelt es sich um herausgehobene und off enbar
verdienstvolle Tolken, wie auch der Dolmetscher Johannes urkundlich als famu-lus et interpres bezeichnet wird601 und zur unmittelbaren Umgebung seines bi-
schöfl ichen Herrn gehörte.
Arm dran waren im Normalfall die gemeindekirchlichen Tolken, die dem
Pfarrer gegenüber der nichtdeutschsprachigen Bevölkerung bei seinen Amts-
handlungen sprachvermittelnd helfen mußten, die auch seine Predigten über-
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Belohnung und Besoldung 141
setzten. Im Kirchenarchiv von Schaken in Ostpreußen befand sich ein Visitati-
onsbescheid des Bischofs Mörlin vom 8. Juni 1569, der unter der Überschrift
„Tolcken“ gewisse Besserungen verordnet, vor allem aber Auskunft über die all-
gemeine Situation und ärmliche Besoldung eines solchen pfarrkirchlichen Dol-
metschers geben kann und deshalb in Gänze zitiert werden soll. Die in diesem
Text aufscheinenden Verhältnisse dürften im 14. und 15. Jahrhundert im Or-
densland Preußen kaum wesentlich anders gewesen sein: „Umb der Undeut-
schen Willen wird in diesem Kirchspiel ein Tolck gehalten, dem biszhero Viel
Jahr nur 2 ½ Mk. jetzo aber ein Jahr oder zwey sind ihm 3 Mk. jährlich gegeben
worden, darob er sich höchlichen beschweret; damit er nun der Kirchen zu
dienen bey Willen erhalten, so siehet der herr Bischoff fur gut an, dasz man ihm
über die geringe, biszhero empfangene Belohnung ein Kleid von halb Bohmi-
schen Tuch verehre, und ihme furder fur seine Mühe, weil er gleichwol in der
Kirchen zu tolcken, und neben dem Pfarrern und Caplan, wenn sie der Spra-
chen unkundig, nicht geringe Arbeit tragen muss, jährlich geben 6 Mark.“602
Wie steht es mit der Vergütung von Dolmetschern, mindestens von Sprach-
hilfen für Reisende und zwar für solche, die in der Nähe blieben, aber auch für
andere, die in die Ferne gingen? Aus Reiseberichten – sieht man von den Missi-
onsreisen nach Fernost zunächst einmal ab – ergeben sich kaum Hinweise. Und
doch war jeder in der Fremde, zumal in einer anders- bzw. fremdsprachigen
Umgebung auf Sprachvermittlung angewiesen. Vermutlich war die einfachste
und zugleich verbreitetste Form der Wegführer, der lokale und regionale Kennt-
nisse mit einem Mindestmaß an fremdsprachigen Brocken zu bündeln verstand
und als unersetzlicher Reiseführer fungierte. Insofern ist mit einer erheblichen
Zahl von Inanspruchnahmen solcher Dienste zu rechnen, mögen es Kaufl eute,
Bildungsreisende, Pilger, Geistliche oder Laien gewesen sein. Selbstverständlich
mußten sie alle belohnt oder vergütet werden, und wer fi nanziell gut bis sehr gut
ausgestattet war, hatte die Chance, ganz vorzügliche Begleiter zu fi nden, wohl
auch solche, die man als Dolmetscher ansprechen müßte.
Bei Reisen in die Ferne, insbesondere in den Orient, war die Entlohnung
einheimischer Dolmetscher, die oft zugleich als Reiseleiter fungierten, selbstver-
ständlich. Reiseberichte sprechen auch von gemieteten Dolmetschern, deren
Mietpreis off ensichtlich zeit- und marktüblich festgesetzt wurde, teils auch im
voraus zu entrichten war.603 Für eine Jerusalemfahrt, die 1479 von Venedig ins
Heilige Land führte, schlossen die Pilger mit einem „freien venezianischen Dol-
metscher“ einen entsprechenden Vertrag. Sogar die „Gesamtkosten für diesen
Diener“ sind überliefert. Für diese und eine weitere Jerusalemfahrt deutscher
Pilger 1479–1480 hat Kristian Bosselmann-Cyran betont, daß „keiner der Pil-
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142 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
ger […] sich je über schlechte Leistungen der Dolmetscher“ beklagte, die auch
„praktische Verhaltensmaßregeln auf dem fremden Territorium“ gaben und ih-
ren Preis off ensichtlich wert waren.604
VII. 7 Tätigkeitsbereiche
Grundsätzlich wird man annehmen dürfen, daß Dolmetscher wo auch immer
eingesetzt wurden, wenn man sie brauchte und sie entsprechend verfügbar wa-
ren. Letzteres traf vor allem fast uneingeschränkt für solche zu, die zum Hof
ihres Herrn, ggf. zum Dienstpersonal gehörten. Auch für Reisende standen Dol-
metscher zur Verfügung, wenn diese zur jeweiligen Reise- oder Pilgergruppe
gehörten. Im Ausnahmefall versahen Dolmetscher zusätzliche Dienste bei ihrem
Herrn und gehörten zu seiner engsten Umgebung. Ein solcher Fall war bei Prinz
Eduard von England gegeben, als er auf dem Kreuzzug im Heiligen Land weilte.
In einer Nacht wurde er in seinem Gemach von einem falschen Freund und
Diener angegriff en, als der ihn allein dort fand – „nur der Dolmetscher war
anwesend“ (interprete tantum presente).605 Eduard konnte sich mühsam behaup-
ten, doch hier interessiert vor allem die Tatsache, daß der Dolmetscher eine
persönliche Dienerrolle einnahm und off enbar unbewaff net war.
Konzentriert man die Frage nach Tätigkeitsbereichen stärker auf institutio-
nelle Zusammenhänge, so ist im säkularen Bereich vorrangig auf eine Doppel-
tätigkeit als Dolmetscher und Makler zu verweisen. Ganz auff ällig ist dieser
Zusammenhang im Hansehandel bzw. den Ziel-, aber auch Zwischenstationen
seefahrender Händler. Die baltischen Städte Riga und Reval seien exemplarisch
genannt, aber auch die große Handelsmetropole Venedig. Ob im Alltag Fern-
händler über tüchtige Dolmetscher verfügten, mindestens über fremdsprachen-
kundige Fahrtbegleiter, ist nur spekulativ zu beantworten, im letzteren Falle
aber zu vermuten. Die Situation an Königshöfen wie auch im Gefolge oder
Herrschaftszentrum größerer Fürsten ist ebenfalls nicht erkennbar, doch viel-
leicht den Verhältnissen bei Groß- und Fernhändlern vergleichbar. Bei größe-
rem und vor allem stetigem Bedarf ist mit qualifi zierten Dolmetschern in fester
Zugehörigkeit zu rechnen, im Einzelfall auch belegt, wie gezeigt werden konnte.
Für überregionale und internationale Kontakte, Verhandlungen oder Vertrags-
schlüsse war es für jede beteiligte Seite opportun, sich auf die Hilfe von oft
hochspezialisierten Dolmetschern zu stützen.
Schwer zu erkennen ist die Situation im Gerichtswesen. Immerhin fungier-
ten im Samland während des Spätmittelalters einheimische Preußen dank ihrer
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Herkunft und soziale Stellung 143
Sprachkenntnisse vor Gericht als Dolmetscher, auch vermittelten sie im tägli-
chen Umgang zwischen der deutschen und der preußischen Bevölkerung.606
Grundsätzlich wird man mit Dolmetschern vor Gericht zu rechnen haben,
wenn ein Kläger oder Beklagter der jeweiligen Gerichtssprache nicht mächtig
war.
Im kirchlichen Bereich wurden sehr oft Dolmetscher benötigt. Dies gilt zu-
nächst für die Mission, deren Träger dolmetschende Dienste in Anspruch nah-
men, wenngleich in weiten Teilen Europas eine anfängliche Unbefangenheit
überwunden werden mußte, die der Sprachenfrage keine Bedeutung beimaß.
Freilich gab es große räumliche wie zeitliche Unterschiede im fortschreitenden
Erkenntnisprozeß.
Häufi g bezeugt ist die Inanspruchnahme von Dolmetschern bei der Predigt,
insbesondere wenn päpstliche Legaten in der Fremde weilten. Ob solche Predig-
ten simultan gedolmetscht oder in größeren Textabschnitten paraphrasiert wur-
den, ist nicht eindeutig zu beantworten. Im kirchlichen Alltag sind insbeson-
dere Tolken im Preußenland für die Pfarrpredigt bezeugt, und im Beichtwesen
recht häufi g die Inanspruchnahme von Dolmetschern, die auch kirchenrecht-
lich als Instrumente galten und deren Tätigkeit das Beichtgeheimnis nicht ver-
letzte. Daß aber im Zweifelsfall jeder Kleriker grundsätzlich zur Wiedergabe
lateinischer Worte und Texte in die Volkssprache verpfl ichtet und befähigt war,
bedarf keiner besonderen Betonung. Von spezifi schem Dolmetschen ist aller-
dings in solchen Fällen oft nur in eingeschränkter Weise zu sprechen.
VII. 8 Herkunft und soziale Stellung
Die Frage nach der sozialen Herkunft der jeweiligen Personen und Gruppen
gehört zu den wichtigen Aufgaben jeder einschlägigen mediävistischen Untersu-
chung. So legitim dieses Postulat hinsichtlich der Dolmetscher ist, so kompli-
ziert gestaltet sich schon der Versuch einer Beantwortung. Es ist nämlich keine
einheitliche Linie zu erkennen, statt dessen dominiert fast durchgängig das
Qualifi kationsprinzip. In verkürzter Form ließe sich herausstellen, daß bei erfor-
derlicher Sprachvermittlung jeweils Personen gesucht wurden, die als solche
über fremdsprachliche Kenntnisse verfügten und die erforderliche Aufgabe
schlecht oder recht erfüllen konnten. Gab es mehrere Sprachkundige, mochte
ggf. der Qualifi zierteste als Dolmetscher dienen. Mehr läßt sich kaum sagen,
zumal die Beurteilung, wer der Qualifi zierteste sei, sich unserem interessierten
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144 Allgemeine Rahmenbedingungen für Dolmetscher
Blick entzieht, ja nicht einmal Beurteilungsmaßstäbe für solche Qualifi kation in
der Überlieferung erkennbar sind.
Gewiß gab es zu manchen Zeiten und an manchen Orten Schulen, die
fremdsprachlicher Ausbildung dienten und daher in gewissem Sinne auch einer
künftigen Tätigkeit als Dolmetscher dienlich waren. Kuriale Initiativen, auch
solche einzelner Orden, vor allem aber der Bedarf an Sprachkundigen, die in der
christlichen Missionsarbeit benötigt wurden und entsprechende Ausbildung er-
fuhren, sind hier zu nennen. Ein Berufsstand der Dolmetscher, für den entspre-
chend ausgebildet werden mußte, ist jedoch nicht nachweisbar. Dies gilt auch
für Juden, deren Sprachkenntnisse vielfach gerühmt werden, insbesondere von
denen, die davon profi tierten. Eine Ausnahmestellung nahmen jüdische Sprach-
mittler ohnehin ein,607 auch wenn die Aussage, sie seien aufgrund ihrer Sprach-
kenntnisse „die ‚geborenen‘ Gesandten und Dolmetscher“ gewesen, etwas über-
zogen klingt.608 Als ganz herausragende Beispiele allerdings können jüdische
Kaufl eute gelten, von denen Ibn Chorradabeh um 844/848 respektvoll berich-
tet, sie sprächen Persisch, Griechisch, Arabisch, Fränkisch, Spanisch und Sla-
wisch.609
Betonen läßt sich, daß sich eine bunte Palette ergibt von Geistlichen niede-
ren wie höheren Ranges, von Fürsten und Herren, Bürgern und Händlern usw.,
die in dolmetschender Funktion erkennbar sind. Da bei solchen mehrsprachi-
gen Personen in aller Regel keine Ausbildungs- oder Sprachlernphasen bezeugt
sind, greift die Annahme, sie kämen aus Grenzgebieten, aus Zonen der Doppel-
sprachigkeit, am ehesten. Eine gewichtige Ausnahme bilden allerdings vorzugs-
weise jene Personen, die aus dem Lateinischen bzw. in das Lateinische dol-
metschten. Sie hatten ihre Lateinkenntnisse, die für Geistliche ohnehin gefordert
wurden, grundsätzlich in den vielfältigen geistlichen Bildungseinrichtungen wie
etwa Kloster- oder Domschulen erworben.
In einer Vielzahl von Fällen, sieht man von Geistlichen abermals ab, waren
die fremdsprachlichen Mittler ursprünglich Kriegsgefangene. Da die Kriegsge-
fangenschaft im Mittelalter üblicherweise zur Versklavung führte, bedeutete der
sklavenhafte Status, daß der jeweilige Eigentümer voll über den Sklaven verfü-
gen konnte und mithin auch seine fremdsprachlichen Kenntnisse und Fähigkei-
ten uneingeschränkt nutzen durfte – und es auch tat. Bedeutsam war vor allem,
daß ihrer Freiheit beraubte und regulär versklavte Menschen auch auf Märkten
als Ware gehandelt wurden. Insofern lassen sich biographische Spuren kaum
verfolgen, denn sie verlaufen alsbald. Im Zusammenhang mit diesem nur knapp
angedeuteten Problem wäre daran zu erinnern, daß auch mitunter missionsbe-
fl issene geistliche Institute Knaben und Jugendliche in heidnischen Ländern
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Herkunft und soziale Stellung 145
oder ihrem Umfeld käufl ich erwarben, um sie für Missionszwecke zu schulen
und als mindestens zweisprachige Missionare in ihren ursprünglichen Heimat-
ländern einzusetzen.
Das Ausmaß einer Herkunft aus Kriegsgefangenschaft und Sklaverei läßt sich
kaum näher abschätzen, war aber gewiß relevant. In letzter Konsequenz bedeu-
tet dies jedoch, daß die Frage nach der sozialen Herkunft arg relativiert wird.
Hinsichtlich der sozialen Geltung, des aus der Dolmetschertätigkeit erwerbba-
ren sozialen Ansehens, läßt sich hingegen durchaus sagen, daß es funktionsad-
äquat war, sowohl Ansehen als auch Lohn in vielfältiger Weise im Regelfall er-
bringen konnte.
Über das jeweilige Alter nachweisbarer Dolmetscher sagen die Quellen fast
nichts aus. Die Annahme, daß nahezu alle Altersstufen vom Heranwachsenden
bis zum Greis vertreten waren, dürfte aber gerechtfertigt sein. Ganz auff ällig
scheint zu sein, daß junge Mädchen und Frauen sich nicht unter den Dolmet-
schern befi nden, obwohl doch Zwei- und Mehrsprachigkeit bei Königinnen
und Damen des Adels in respektablem Ausmaß nachweisbar ist. Warum Frauen
gleichwohl nicht als Dolmetscherinnen zu belegen sind, bleibt eine off ene Frage,
über die nur spekuliert werden kann, was hier zu unterbleiben hat. Ganz er-
staunlich aber ist dann die gesicherte Überlieferung, daß bei der Eroberung
Mexikos bei den Feldzügen des Hernando Cortés gegen die Azteken eine Frau
als Dolmetscherin – und Verräterin an ihrem Volk – tätig war. Bei der Erörte-
rung eventueller Bildzeugnisse von Dolmetschern wird auf dieses berühmte Bei-
spiel zurückzukommen sein.
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