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VIII. Bildzeugnisse von Dolmetschern
Es ist gut vorstellbar, daß Dolmetscher als solche erkennbar waren, etwa an ihrer
Kleidung, Haltung oder besonderen Kennzeichnungen. Der Schriftsteller Gu-
stave Flaubert gibt in seinem Antikeroman Salammbô (1862) solche Hinweise.
Er schreibt dort (Kap. 4): „Dann tauchte die Schar der Dolmetscher auf, mit
Kopfbedeckungen wie Sphinxe und den Umrissen von Papageien auf die Brust
tätowiert. Freunde und Sklaven folgten, alle ohne Waff en und so zahlreich, daß
sie Schulter an Schulter standen.“ Der Schriftsteller beschreibt hier Zustände im
alten Karthago, doch auch aus der Antike fehlen entsprechende Zeugnisse, so
daß die Vermutung bleibt, dichterische Freiheit greife nach plausiblen Zusam-
menhängen.
Aus dem Mittelalter sind solche oder ähnliche Kennzeichnungen von Dol-
metschern ebenfalls nicht geläufi g bzw. bekannt. So bleibt als Ausweg die Inter-
pretation bildlicher Überlieferung, die allerdings sprechend sein könnte.
Gibt es überhaupt äußerliche Merkmale, die den Dolmetscher anzeigen oder
auch verraten? Die Frage ist eindeutig mit Nein zu beantworten, aber die Be-
gründung dafür nicht unwichtig. Sie kann unmittelbar an den vorhergehenden
Abschnitt anknüpfen. Da die soziale Herkunft von Dolmetschern ungemein
breit gestreut und deren Funktion aus ihrer fremdsprachlichen Qualifi kation
abzuleiten ist, reduziert sich der soziale Aspekt. Denn spezielle Ausbildungsstät-
ten scheint es durchaus gegeben zu haben, aber ihre Zahl war höchst begrenzt.
So dominierte bei allen Anforderungen von Dolmetschdiensten eindeutig die
Frage: wer kann diese bieten, wer kann den Anforderungen genügen? Insofern
scheiden außer sozialen auch berufsständische Aspekte und damit entspre-
chende bildliche Erkennungsmerkmale nahezu aus. Wer einen Dolmetscher
brauchte, einen auch fand, nutzte ihn. Bei seiner unmittelbaren Tätigkeit war er
gewiß erkennbar, spezielle äußere Kennzeichen sind aber nicht belegt.
Es gibt allerdings eine Ausnahme, insofern bei bildlichen Darstellungen, die
freilich äußerst rar sind, der Dolmetscher als solcher sichtbar ist: Seine Stellung
zwischen zwei Parteien und zumal die Gestik seiner nach beiden Seiten ausge-
breiteten Arme künden von der Mittlerrolle zwischen den Parteien unterschied-
licher Sprachzugehörigkeit.
Einige verfügbare Bildzeugnisse von Dolmetschern sollen im folgenden
knapp erwähnt werden. Begonnen sei mit einer bildlichen Darstellung auf der
Trajanssäule in Rom (ca. 109 n. Chr.).610
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148 Bildzeugnisse
Das Bild zeigt einen römischen Feldherrn, off enbar Trajan selbst mit seinem
persönlichen Gefolge und einigen Kriegern (Abb. 1). Er steht innerhalb eines
durch eine Mauer charakterisierten römischen Lagers. Vor der Mauer befi nden
sich off ensichtlich Daker, die teilweise sehr stürmisch auf ihn einzureden versu-
chen. Hinter ihnen stehen römische Soldaten, von denen drei fi gürlich abgebil-
det werden. Zwischen dem Feldherrn und den unterworfenen Landeseinwoh-
nern befi ndet sich innerhalb der Lagermauern ein einzelner Mann, der wie ein
Daker gekleidet ist: Gewand, Hosen, Haartracht, ja fast sogar die Kopff orm.
Ganz ohne Zweifel handelt es sich um einen Landsmann der anderen. In seiner
Haltung bringt er mit ausgebreiteten Armen – wobei die linke Hand über den
Rand der Mauer hinausreicht – zum Ausdruck, daß er eine Mittlerfunktion übt.
Der Bildzusammenhang scheint zwingend nahezulegen, daß es sich vor allem
um eine sprachliche Vermittlung handelt. Insofern wäre an einen Dolmetscher
zu denken.
Die Tatsache nun, daß dieser mögliche Dolmetscher sich im Lager befi ndet,
könnte auch dafür sprechen, daß es sich um einen spezifi schen Unterhändler
handelt. Römische Feldherren sprachen in der Regel mit Unterhändlern nur
innerhalb ihres Lagers. Die Annahme, es handle sich um einen Dolmetschen-
den, wird aber dadurch allenfalls etwas relativiert. Man sollte beide Funktionen
berücksichtigen und in diesem Falle von einem dakischen Unterhändler spre-
chen, der für seine Landsleute Verhandlungen führt und dazu in besonderer
Weise qualifi ziert ist, weil er off enbar auch der lateinischen Sprache mächtig ist.
Insofern käme es zu einer Funktionsverschmelzung von Unterhändler und Dol-
metscher.
Abb. 1 Trajanssäule i n Rom: Trajan verhandelt mit unterlegenen Dakern
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von Dolmetschern 149
Als mittelalterliches Zeugnis ist ein Bild auf dem berühmten Teppich von Bay-
eux zu nennen, der Szenen aus der normannischen Geschichte von etwa 1046
bis zur Schlacht bei Hastings 1066 zeigt. Hier wird ein Blick geworfen auf die
offi ziellen Verhandlungen zwischen Herzog Wilhelm (dem späteren „Eroberer“)
und dem Grafen Harald (Harold) von Wessex (Abb. 2).611 Der eine sitzt auf ei-
ner Art Th ronbank, der andere nähert sich an der Spitze seines Gefolges, und
zwischen ihnen steht breitbeinig in engagierter Haltung ein Mann, der mit nach
beiden Seiten ausgestreckten Armen seine Mittlerstellung ausdrückt und mit
Sicherheit als Sprachmittler oder Dolmetscher anzusprechen ist. Die Szene der
Sprachmittlung mag für sich sprechen und ist als solche bislang auch nicht
kommentiert worden. Zweifel an der speziellen Deutung scheinen nicht ange-
bracht.
Der zwischen 1220 und 1235 abgefaßte Sachsenspiegel „gehört zu den be-
deutendsten mittelalterlichen Rechtsquellen“.612 Überliefert ist der Text auch in
Bilderhandschriften, die hier interessieren (Abb. 3a und 3b). So regelt Sachsen-
spiegel, Landrecht Buch III Kapitel 71 den Fall, daß ein Kläger, der der Sprache
des Gerichtes nicht mächtig ist, vor das Gericht zu treten hat bzw. umgekehrt,
daß ein der Sprache des Gerichtes nicht mächtiger Beklagter sich zu verantwor-
ten hat. Dann soll ein „vorspreche“ für ihn tätig werden. Die Heidelberger Bil-
Abb. 2 Teppich von Bayeux: Offi zielle Verhandlungen zwischen Herzog Wilhelm, dem späteren „Eroberer“, und Graf Harald von Wessex
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150 Bildzeugnisse
derhandschrift (Ldr. 71 §1) zeigt: „Der auf dem Gerichtsstuhl sitzende Richter
hat zu beiden Seiten je zwei Figuren, von denen die ihm nächststehenden die
jeweiligen Vorsprecher sind.“613 Die Darstellung in der Wolfenbütteler Bilder-
handschrift (Bl. 54 v) ist ähnlich.614 Auch Ruth Schmidt-Wiegand arbeitet die
besondere Bedeutung für die sprachlichen Verhältnisse heraus: „Danach kön-
nen fremdsprachige Angeklagte, die kein Deutsch verstehen, verlangen, daß
auch ihre Muttersprache vor Gericht zugelassen wird. Der Illustrator hat diesen
Rechtssatz durch eine Szene vor Gericht veranschaulicht. In der Mitte des Bildes
Abb. 3a Wolfenbütteler Handschrift
Abb. 3b Heidelberger Bilderhandschrift
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von Dolmetschern 151
thront der Graf zwischen beiden Parteien; der des Klägers zu seiner Rechten; der
des Angeklagten zu seiner Linken. Seine nach beiden Seiten hin mit Befehlsge-
stus erhobenen Hände drücken aus, daß Deutsch Verhandlungssprache ist. Es
stehen sich Deutsche (Fig. 1 u. 2) und Stammesfremde (Fig. 4 u. 5), kenntlich
an den in gleicher Weise quer gestreiften Röcken, gegenüber. Die erste, dunkel-
blau gekleidete Gestalt und die letzte rot/blau gekleidete, Kläger und Beklagter,
Abb. 4 Donna Marina dolmetscht zwischen Cortés und Monteszuma
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geben durch den Griff zum Unterarm, sog. Unfähigkeitsgestus, zu erkennen,
daß sie einander nicht verstehen. Jeder hat sich deshalb einen Vormund mitge-
bracht, der zweisprachig ist. Beide Vorsprecher zeigen mit der Rechten auf den
Richter zum Zeichen dafür, daß sie bei der Verhandlung dessen Sprache,
Deutsch, sprechen werden. Der Vorsprecher des Deutschen weist mit der Lin-
ken zum Boden, als wolle er sagen: ‚Dies ist mein Standpunkt‘. Der Vormund
des Stammesfremden aber zeigt mit der linken Hand auf den Kläger, als wolle er
damit zum Ausdruck bringen, daß er auch dessen Sprache verstehe und spre-
che.“615
„Der Text läßt off en, welche Stammeszugehörigkeit derjenige hat, der da ‚du-
disch nich ne kann‘.“ Doch der Vergleich mit der Heidelberger Bilderhand-
schrift läßt erkennen, daß es sich bei dem Stammesfremden um einen Wenden
handelt: kurzer Haarschnitt, kurzer Rock, gewickelte Beinkleider. In unserem
Zusammenhang ist vor allem von Bedeutung, daß Wendisch als Gerichtsspra-
che nur indirekt zugelassen ist und daß der Wendischsprecher einen Dolmet-
scher benötigt. Der Illustrator hat sich seinerseits Mühe gegeben, die Möglich-
keit von zwei Dolmetschern bildlich zum Ausdruck zu bringen.
Ein weiteres Beispiel sei angefügt (Abb. 4). Berühmt, aber aus Sicht der unter-
jochten Azteken berüchtigt, war Malinche, eine vornehme versklavte Aztekin,
die Hernán Cortés, dem Eroberer Mexikos, überaus wertvolle Hilfe als Dolmet-
scherin leistete. Malinche, die die Spanier Dona Marina nannten, sprach Maya
und Nahuatl, die Idiome der Azteken und Tolteken, und ihre Sprachfertigkeit
wie auch intime Kenntnis von Land und Leuten wirkten sich letztendlich als
entscheidend für die spanische Eroberung Mexikos aus. Spanische Kopien von
aztekischen Bilderhandschriften bieten großartige Zeichnungen von Malinches
Tätigkeit. Die Bilder sprechen für sich, auff ällig sind der typische Mittlergestus
der verschränkten Arme und die ‚sichtbaren‘ Worte im jeweiligen Wortwechsel
zwischen Cortés und dem Aztekenkönig Moteczuma sowie dem zwischen ihr
und einem Landsmann.616 Statt von sichtbaren Worten könnte man auch von
Zungen oder – uns geläufi ger – von Sprechblasen reden. Auff ällig bleibt immer-
hin. daß die sonst relativ häufi gen Spruchbänder hier nicht begegnen.
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