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38 Luftwaffe Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 01/02/2017 Erdkampf aus militärtheoretischer Sicht Die Militärtheoretiker der Zwischen- kriegszeit, Douhet, Trenchard oder Mit- chell, waren sich einig, dass Luftmacht implizit of- fensiv sei. Moderne Luft- macht-Theoretiker sind im- mer noch derselben An- sicht. Meilinger beispiels- weise schreibt, dass Luft- macht eine primär offensi- ve Waffe sei. Der geneigte Leser mag einwerfen, dass das schön und gut sei, was es aber mit der neutralen Schweiz zu tun habe, welche sich nur verteidige und selber nicht angreife? Sowohl Mitchell wie auch Douhet argumentierten, dass eine Luftwaffe – um einen Kern von Bombern herum gebildet – das effizien- teste Mittel der Landesverteidigung sei. Diese Aussage, unter Berücksichtigung, dass die USA zu Mitchells Zeit explizit die Neutralität praktizierten, lässt auf- horchen. Beide sprechen auf strategischer Ebene von Landesverteidigung, sind aber überzeugt, dass eine Offensivfähigkeit auf taktischer und operativer Ebene eine ab- solute Notwendigkeit sei. Dieser Ansicht waren auch unsere Vor- väter, welche im Bericht des Bundesra- tes über die Konzeption der militärischen Landesverteidigung vom 6. Juni 1966 schrieben: «Im Einsatz gegen Erdziele wird die Flugwaffe vor allem zur indirek- ten Unterstützung unserer Erdtruppen herangezogen. Sie bekämpft die Entfal- tung und den Einsatz gegnerischer Kräfte ausserhalb der Reichweite der übrigen Waffen. Die Bekämpfung von Erdzielen ist die Hauptaufgabe unserer Flugwaffe.» Es bestand also nicht nur kein Wider- spruch, eine offensive Komponente im Arsenal für die strategisch defensive Lan- (SIPOL B 16), so erfährt man, dass der Bundesrat schreibt: «Die Schweiz will selbständig zur Abwehr eines bewaffne- ten Angriffs nötige Fähigkeiten bewahren» und dabei vorsieht, «dass die Luftwaffe die Fähigkeiten zur Aufklärung und zur Un- terstützung der Bodentruppen mit Kampf- flugzeugen wieder aufbaut.» Jürg Studer, Redaktor ASMZ Nach der Veröffentlichung des Kurzbe- richtes der Expertengruppe Neues Kampf- flugzeug (NKF) ging ein kurzes Rauschen durch den Blätterwald. Vom «Traum vom Bombenwer- fen» oder von Aufrüstung zum «Kampfbomber», um damit «NATO-tauglich» zu werden, war da die Rede. Mit dem Abschnitt bezüg- lich eines Wiederaufbaus – es geht tatsächlich um das Wiedererlangen einer vorü- bergehend aufgegebenen Fähigkeit und nicht um eine Aufrüstung – hat die Exper- tengruppe NKF nichts anderes getan, als die vorhandenen politischen Vorgaben zu konkretisieren. Liest man nämlich den Be- richt des Bundesrates «Die Sicherheitspo- litik der Schweiz» vom 24. August 2016 Vom Erdkampf In ihrem Kurzbericht schlägt die Expertengruppe Neues Kampfflugzeug vor, gegebenenfalls den Aufbau einer beschränkten Befähigung für den Erdkampf im Rahmen der Nutzungsverlängerung F/A-18 anzugehen. Dieser erste Schritt zur Schliessung einer seit 1994 in der Schweizer Armee vorhandenen Fähigkeitslücke hat bereits einige Diskussionen entfacht. Dieser Artikel soll mit einigen grundlegenden Gedanken zum Thema Erdkampf zu dieser Diskussion beitragen. Startende deutsche Flugzeuge in Libyen versuchen 1942 den alliierten Bomben zu entgehen. Bild: AP Photo «Es ist vorgesehen, dass die Luftwaffe die Fähigkeiten zur Aufklärung und zur Unterstützung der Bodentruppen mit Kampfflugzeugen wieder aufbaut.»

Vom Erdkampf - asmz.ch · Luftwaffe Allgemeine ... Waffen. Die Bekämpfung von Erdzielen ist die Hauptaufgabe unserer Flugwaffe. ... eine offensive Komponente im Arsenal

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Luftwaffe

Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 01/02/2017

Erdkampf aus militärtheoretischer Sicht

Die Militärtheoretiker der Zwischen-kriegszeit, Douhet, Trenchard oder Mit-

chell, waren sich einig,dass Luftmacht implizit of-fensiv sei. Moderne Luft-macht-The o re ti ker sind im-mer noch derselben An-sicht. Meilinger beispiels-weise schreibt, dass Luft-macht eine primär offensi-ve Waffe sei.

Der geneigte Leser mageinwerfen, dass das schön und gut sei,was es aber mit der neutralen Schweiz zutun habe, welche sich nur verteidige undselber nicht angreife? Sowohl Mitchellwie auch Douhet argumentierten, dasseine Luftwaffe – um einen Kern vonBombern herum gebildet – das effizien-teste Mittel der Landesverteidigung sei.Diese Aussage, unter Berücksichtigung,dass die USA zu Mitchells Zeit explizitdie Neutralität praktizierten, lässt auf-horchen. Beide sprechen auf strategischerEbene von Landesverteidigung, sind aberüberzeugt, dass eine Offensiv fähigkeit auftaktischer und operativer Ebene eine ab-solute Notwendigkeit sei.

Dieser Ansicht waren auch unsere Vor-väter, welche im Bericht des Bundesra-tes über die Konzeption der militärischenLandesverteidigung vom 6. Juni 1966schrieben: «Im Einsatz gegen Erdzielewird die Flugwaffe vor allem zur indirek-ten Unterstützung unserer Erdtruppenherangezogen. Sie bekämpft die Entfal-tung und den Einsatz gegnerischer Kräfteausserhalb der Reichweite der übrigenWaffen. Die Bekämpfung von Erdzielenist die Hauptaufgabe unserer Flugwaffe.»Es bestand also nicht nur kein Wider-spruch, eine offensive Komponente imArsenal für die strategisch defensive Lan-

(SIPOL B 16), so erfährt man, dass derBundesrat schreibt: «Die Schweiz willselbständig zur Abwehr eines bewaffne-ten Angriffs nötige Fähigkeiten bewahren»und dabei vorsieht, «dass die Luftwaffe die

Fähigkeiten zur Aufklärung und zur Un-terstützung der Bodentruppen mit Kampf-flugzeugen wieder aufbaut.»

Jürg Studer, Redaktor ASMZ

Nach der Veröffentlichung des Kurzbe-richtes der Expertengruppe Neues Kampf-flugzeug (NKF) ging ein kurzes Rauschendurch den Blätterwald. Vom«Traum vom Bombenwer-fen» oder von Aufrüstungzum «Kampfbomber», umdamit «NATO-tauglich» zuwerden, war da die Rede.Mit dem Abschnitt bezüg-lich eines Wiederaufbaus –es geht tatsächlich um dasWiedererlangen einer vorü - bergehend aufgegebenen Fähigkeit undnicht um eine Aufrüstung – hat die Exper-tengruppe NKF nichts anderes getan, alsdie vorhandenen politischen Vorgaben zukonkretisieren. Liest man nämlich den Be-richt des Bundesrates «Die Sicherheitspo-litik der Schweiz» vom 24. August 2016

Vom Erdkampf

In ihrem Kurzbericht schlägt die Expertengruppe Neues Kampfflugzeug vor,

gegebenenfalls den Aufbau einer beschränkten Befähigung für den Erd kampf

im Rahmen der Nutzungsverlängerung F/A-18 anzugehen. Dieser erste

Schritt zur Schliessung einer seit 1994 in der Schweizer Armee vorhandenen

Fähigkeitslücke hat bereits einige Diskussionen entfacht. Dieser Artikel

soll mit einigen grundlegenden Gedanken zum Thema Erdkampf zu dieser

Diskussion beitragen.

Startende deutsche Flugzeuge in Libyen

versuchen 1942 den alliierten Bomben zu

entgehen. Bild: AP Photo

«Es ist vorgesehen, dass die Luftwaffe

die Fähigkeiten zur Aufklärung

und zur Unterstützung der Bodentruppen

mit Kampfflugzeugen wieder aufbaut.»

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Luftwaffe

räusch von Düsenflugzeugen ihre Artil-lerie und Panzer verliessen und davon-rannten.

Erdkampf im Kontextder Schweizer Armee

Die Fliegertruppen unserer Armee ha-ben bereits in den 30er Jahren begonnen,ernsthaft Erdkampf zu betreiben. In den60er und 70er Jahren verfügte die Flug-waffe über fast 400 Erdkampfflugzeugeder Typen DH-112 Venom und HawkerHunter. Ihre Aufgabe war «die Feuerun-terstützung der Erdtruppen», namentlichdie «Abriegelung des Kampffeldes» unddie direkte Unterstützung dort, «wo die

Lage der Erdtruppen zu-sätzliche schwere Feuermit-tel erfordert». Um der Be-drohung der geg nerischenFliegerabwehr zu entge-hen, verfügte die Flugwaf-fe be reits ab 1967 mit derAS-30 NORAS über eineAbstandswaffe mit einerReichweite von etwa12 km.

Diese Luft-Boden-Lenkwaffe wurde durchdie Mitte der 80er Jahre ausser Dienst ge-stellt und 1983 ersetzt durch die AGM-65 B MAVERICK mit einer Reichweitevon 16 bis 20 km. Mit der Ausserdienst-stellung des Hunters Ende 1994 verlordie Luftwaffe auch ihre Erdkampffähig-keit.

Betrachten wir einmal, welcher Situa-tion die eigenen Truppen unter diesemGesichtspunkt ausgesetzt wären, wenn sieeinem etwa gleichstarken, symmetrischenGegner ALPHA gegenüber stehen wür-den, welcher über Feuerunterstützung

davor, auf dem Golan von den Syrernüberrannt zu werden. Nur dank massiverUnterstützung durch Feuer aus der Luftkonnte der Vorstoss der syrischen Panzergestoppt werden.

Gerade die jüngere Geschichte lehrtaber auch, dass das Fehlen von Unter-stützung aus der Luft im negativen Sinnentscheidend sein kann. Die libyscheArmee, mit einer vernachlässigten Luft-waffe und einem praktisch inexistentenSystem von vernetzten Frühwarnradars,konnte den verbündeten Luftstreitkräf-

ten unter der Führung der NATO nichtsentgegensetzen. Somit konnte die liby-sche Armee, ganz im Gegensatz zu denRebellen, auch nicht auf Unterstützungaus der Luft hoffen. Sie war den ständi-gen und gezielten Luftangriffen der geg-nerischen Luftstreitkräfte ausgesetzt undmusste sich schliesslich den auf Papiermilitärisch unterlegenen Rebellen ge-schlagen geben. Dabei sollte auch derpsychologische Effekt der Luftangriffenicht ausser Betracht gelassen werden.So wurden libysche Truppen in Jadu be-obachtet, wie sie nur schon beim Ge-

desverteidigung zu besitzen, Erdkampfwar sogar die primäre Aufgabe der Flug-waffe.

Erdkampf im historischen Umfeld

Dass eine Erdkampffähigkeit ein ent-scheidender Faktor sein kann, wurde inder über hundertjährigen Geschichte vonLuftmacht immer wieder und unterwechselnden Voraussetzungen bewiesen.Einige Beispiele aus der Geschichte, wel-che den Wert der Unterstützung der Erd-truppen mit Feuer aus der Luft jeweilsaus der Sicht des Verteidigers gut de-monstrieren, sollen kurz aufgezeigt wer-den. Bei El Alamein wurde Rommel1942 zum Verteidiger seiner vorbereite-ten Positionen und trotz kampferprobterTruppen musste er unter dem kombi-nierten Artilleriefeuer und vor allem desFeuers der britischen Flugzeuge weichen.Seine eigene Luftunterstützung, durch al -liierte Flugzeuge dezimiert, war hoffnungs-los unterlegen, ja beinahe inexistent.

Unter der enormen Wucht der angrei-fenden Wehrmachtverbände während derArdennen-Offensive rangierte die Luft-nahunterstützung der unter Druck gera-tenen alliierten Truppen plötzlich unmit-telbar nach der Erringung der Luftüber-legenheit und noch vor der Abriegelungaus der Luft. Die Umzingelung der alliier-ten Truppen bei Bastogne konnte von der3rd Army nur dank massiver Unterstüt-zung aus der Luft zeitgerecht durchbro-chen werden, um das Auf-reiben oder die Gefangen-nahme der eingekesseltenTruppen zu verhindern.

Auch im Vietnamkriegfindet man einige Beispiele,in welchen amerikanischeTruppen unter massivenAngriffen standen und nurdank Unterstützung aus derLuft der Vernichtung entgingen. Stell -vertretend soll das Beispiel von Ia Drang dienen, bekannt aus dem Film «We WereSoldiers». Das 1st Batal lion, 7th Cavalrymit etwa 600 Mann geriet unter massi-ven Druck eines etwa vierfach überlege-nen Gegners und wäre beinahe aufgerie-ben worden. Nur das kombinierte Feuervon Mörsern, Artillerie und vor allem dasFeuer aus der Luft ermöglichten die Eva-kuierung der rund 500 Überlebenden desBataillons.

Im Yom-Kippur-Krieg waren die is -raelischen mechanisierten Verbände kurz

Moderne Präzisionsbombe GBU-54 mit

Mehrfachlenkung (GPS/INS/Laser).

Bild: Philipp Hayer

«Es ist kein Widerspruch,

eine offensive Komponente im Arsenal

für die strategisch defensive

Landesverteidigung zu besitzen.»

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Luftwaffe

Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 01/02/2017

zu erbringen im Stande wären. Bedenktman zusätzlich, dass die meisten AngriffeALPHA’s bei Nacht erfolgen und ihnenauch etliche Truppenangehörige zum Op -fer fallen würden, so stünde es schlechtum die Moral der übernächtigten eigenenVerbände. Diese müssten aber einem aus-geruhten Gegner ALPHA mit Vollbestandgegenüber abwehren.

Unter diesen Gesichtspunkten ist eshöchst verwunderlich, dass die Armeenicht schon früher den Wiederaufbau ei-ner Erdkampffähigkeit gefordert hat. Essind primär die Bodentruppen, welchedarauf angewiesen sind und davon profi-tieren. Es ist an der Zeit, dass die Armeeeine verlorengegangene Erdkampffähig-keit wieder aufbaut. Eine solche mussspätestens mit einem NKF auch übereine Abstandsfähigkeit verfügen. Diesnicht, um einen Angriffskrieg führenzu können, sondern um der Bedrohung moderner, mobiler Flablenkwaffensyste-me mittlerer Reichweite Herr werden zukönnen (vergl. ASMZ 10/2016). ■

an der Front gegenüber und ALPHAwürde seine Truppen mit Luftnahunter-stützung unterstützen, was die eigenenTruppen wieder zusätzlich zum Boden-feuer einen gewissen Prozentsatz seinerMittel kosten würde.

Unter dem Gesichtspunkt, dass einigeQuellen bereits ab einem Verlust von 30%der Mittel von Kampfuntauglichkeit spre-chen, ist es fraglich, wieviel Kampfleistungdie eigenen Verbände an der Front noch

aus der Luft verfügt. Bereits im Bereit-stellungsraum würde ALPHA angreifen.Die eigene Luftverteidigung könnte wahr-scheinlich die meisten, jedoch sicher nichtalle Angriffe abwehren. Die eigenen Ver-bände würden dabei einen gewissen Pro-zentsatz ihrer Mittel verlieren. Währenddes Aufmarsches würde ALPHA erneutangreifen und wieder wäre ein gewis-ser Prozentsatz der Angriffe erfolgreich.Schliesslich stünden sich beide Gegner

Hawker Hunter mit Luft-Boden-Lenkwaffe

AGM-65 Maverick. Bild: Autor

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