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FELICITAS VON LOVENBERG 14

Vom Glück mit Büchern zu leben - Leseprobe - Lovenberg

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Vom Glück mit Büchern zu leben - Leseprobe - Lovenberg

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Felicitas von lovenberg

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F e l i c itas u n d i h r e F r e u n d e

F e l i c ita s vo n lov e n b e r g

Literaturkritikerin der FAZ

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Felicitas von lovenberg

Felicitas von lovenberg

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E s war der schönste Tag ihres Lebens.

Es war der Tag, an dem sie zu den

Büchern kam. Dieser Tag ist nun über

zehn Jahre her, aber Felicitas von

Lovenberg erzählt davon immer noch

mit diesen leuchtenden Augen, wie Menschen es nur tun,

wenn sie von der großen Liebe sprechen. „Der Heraus-

geber der FAZ kam überraschend in mein Büro und frag-

te: ‚Wollen Sie in die Literaturredaktion kommen?‘ Ich

hatte drei Jahre für das Kunstmarkt-Ressort geschrieben –

das Lesen war bis zu diesem Tag mein Allerheiligstes. Ich

dachte, jemand anderes stünde hinter mir, dem Frank

Schirrmacher das Angebot macht. Aber nur ich war im

Wenn ich ein Buch

aufschlage,

ändert sich alles:

eine sprache

entfaltet sich,

eine andere Welt

kommt mir nah,

ich trete aus mir

selBst heraus.

„ Raum. Ich konnte es nicht glauben!“ Kurze Zeit später

war Felicitas von Lovenberg Literatur-Redakteurin der

Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihre Leidenschaft

ihr Beruf. Seit 2008 ist sie Chefin des Ressorts und hat

damit als erste Frau die Nachfolge des legendären Kriti-

kers Marcel Reich-Ranicki angetreten.

Sie kann wie kaum ein anderer Mensch lustvoll und

unterhaltsam über Literatur erzählen und schreiben,

kämpft für ihre Meinung, ebnet neuen Talenten den Weg,

auch gegen Widerstände. Wenn sie spricht, hat man den

Eindruck, dass literarische Figuren in ihrem Kopf so

selbstverständlich ein- und ausgehen wie vertraute

linke Seite: Die Zauberhöhle der Bücher: Die

Kritikerin hat das Souterrain ihres Zuhauses in

eine Bibliothek verwandelt. Gegenüber der Trep-

pe ein Bücher-Stillleben von Ralph Fleck, ein

Hochzeitsgeschenk ihres Mannes.

oben: Im Eingang ein Leseplatz mit Union-Jack-

Kissen – Erinnerung an die Studienjahre.

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Nachbarn aus dem Haus gleich nebenan. Ihr eigenes Le-

ben und ihre Lesewelten: ein fantasievolles Gesamt-

kunstwerk aus Geschichten. „Deine Billy-Regale mit den

Büchern werden noch einmal über dir zusammenbrechen

und dich unter ihnen begraben“, hatte ihr erster Ehemann

warnend gesagt, als sie jung verheiratet waren. Zwar bra-

chen die Regale nicht zusammen – aber die Ehe. Schuld

daran war ein kleines Buch. „Ich habe in Liebeserklärung

von Michael Lentz erkannt, dass es nicht das Richtige

war.“ Über ihre Erkenntnisse schrieb sie 2005 selber ein

Buch: Verliebe Dich oft, verlobe Dich selten, heirate

nie?. Selbst hielt sie sich nicht an diese Maxime, seit

2006 ist sie wieder glücklich verheiratet. „Ich schrieb das

Buch, als ich nach meiner Scheidung in Geldnöten war

und kam mir vor wie eine Ameise, die einen Felsbrocken

stemmen will“, sagt sie. „Die Liebe ist das älteste Thema

der Menschen, alle Großen haben dazu schon geschrie-

ben! Ich war wahnsinnig, das zu tun.“ Für den viel gelob-

ten Titel erhielt sie den Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis

für Essayistik. „Das Buch war kein Misserfolg, aber viel-

leicht nicht der Erfolg, den der Verlag erwartet hat. Es hat

mich sehr demütig gemacht.“

Felicitas von Lovenberg wuchs als Einzelkind im

Münsterland auf. „A girl who lived in the land of books“ –

wie Paul Austers Heldin Alice aus seinem Roman Sunset

Park . „Ich hatte immer ein Tier bei mir, ein Buch und et-

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was zu essen. Saß mit einem Buch im Obstbaum. Und

mein Vater hat mir viel vorgelesen“, erinnert sie sich. „Ich

habe wie entfesselt gelesen, vielleicht weil ich als Einzel-

kind ziemlich in der Isolation lebte, die Nachbarn waren

Landwirte. Ich habe mich in der Grundschule eher wie

eine Exotin gefühlt.“ Lovenberg las – wie viele Schriftstel-

ler und Kritiker – relativ früh Erwachsenenliteratur: mit elf

Jahren Königliche Hoheit, mit zwölf die Buddenbrooks,

bald darauf Krieg und Frieden. Mit 16 ging sie ins Inter-

nat nach Wales, später studierte sie in Bristol und Oxford,

seitdem ist das Englische die Sprache ihres Herzens. „Ich

bin in englischer Literatur sehr zuhause, die Jahre von 16

bis 23 haben mich dort stark geprägt“, sagt sie. „Ich habe

in England meine Education sentimentale erlebt, verste-

he die verborgenen Emotionen und den speziellen Hu-

mor. Das Englische besitzt eine Million Worte, das Deut-

sche daneben nur etwa 700 000, das beeinflusst die

Struktur von Texten.“ Aus ihrer Zeit in Großbritannien

stammt ihre umfassende englische Privatbibliothek. „Ich

habe alles, wirklich alles gelesen, von Shakespeare über

Jane Austen, James Joyce, Nancy Mitford, Sibylle Bed-

ford bis hin zu Childrens’ Books. Tausende Bücher. Mein

Vater sagte immer: ‚Egal was passiert, du sollst nicht

Geld für blöde Klamotten ausgeben und dann denken:

linke Seite: Special Relationship: Goethe

und Queen Elisabeth bewachen den gelben

Reading Chair der Literaturkritikerin. Alle

Bücher sind sorgfältig nach Themen und

Sprachen geordnet, der Platz bis in den

letzten Winkel ausgenutzt.

linkS: Lovenberg liebt die Haptik von ge-

bundenen Büchern, benutzt Kindle und

iPad fast nie. In ihrer Privatbibliothek sind

Ablageflächen eingebaut, bequem zum

Blättern in alten Ausgaben und Nachschla-

gewerken.

Ich kann mir ein Buch nicht kaufen.‘ Für Bücher war im-

mer Geld da.“

So ist ihr die englische Literatur – nicht die ameri-

kanische, da unterscheidet sie sehr genau – bis heute oft

näher als die deutsche. Sie rezensiert viele Übersetzun-

gen ins Deutsche, beschäftigt sich mit der Wirkung von

Nachdichtungen in die andere Sprache. „Die Leser haben

früh gemerkt, dass ich meine Steckenpferde in der engli-

schen Literatur habe. Leider muss ich viele Kritiken an

andere vergeben, die ich selber gerne schreiben würde“,

sagt sie. „Ich habe viel Narrenfreiheit, komme aber nicht

dazu, das wirklich auszuleben, da ich als Ressortleiterin

einen großen Apparat verwalte.“ Die FAZ-Literaturchefin

liest im Schnitt drei Bücher pro Woche, bespricht im Blatt

30 Titel im Jahr. Im Fernsehen moderiert sie die SWR-

Sendung Literatur im Foyer. „Das ist in der Vorbereitung

mit der Redaktion ein Book Club auf höchstem Niveau.

Wir sind zu dritt, lesen vorher die vorzustellenden Bücher

und diskutieren stundenlang. Das ist etwas anderes als in

der Zeitung, wo jeder einsam und allein seine Bücher

liest.“

Trotz der Bücherpakete, die tagtäglich in der Re-

daktion ankommen, kauft Lovenberg sich privat ständig

neue Titel. „Die Sekretärin der Literaturredaktion schüt-

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Wenn jemand ein

Buch schlecht

macht, das ich

lieBe, Werde ich

zur furie. Bücher

Widersprechen

nicht, können

sich nicht

verteidigen.

„ oben: Das Thema Buch ist in vielen Räu-

men präsent: hier eine Holzskulptur des

Künstlers Ivon Illmer; das Bild an der

Wand ist eine Arbeit von Jochen Pankrath.

rechtS: Handschmeichler, nach und nach

gesammelt: Bücher aus verschiedenen

Holzarten, auch von Ivon Illmer, daneben

ein Stein zur Erinnerung an ihre Hochzeit.

rechte Seite: Eine Feuerstelle mit Büchern –

die Mitte des Hauses. Über dem Kamin

eine Gouache von Emil Schumacher.

Felicitas von lovenberg

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telt immer den Kopf über mich, wie man sich denn noch

freiwillig Bücher anschaffen kann! Und mein Mann fällt

immer über all die Stapel, die bei uns den Weg versper-

ren.“ Sie findet es unseriös, wenn Journalisten sich jegli-

chen Titel von den Verlagen erbitten. „Natürlich bekom-

men wir Vorab- und Leseexemplare, aber alles andere hat

man zu bezahlen, das hat der Autor verdient.“

Lovenberg wählt ihre Lektüre nicht nach Namen

aus. „Ich lese die Crème de la Crème, bin aber kein

Label-Leser. Natürlich erwarten die Leser, dass ich meine

Meinung zum neuen Martin Walser oder Jonathan

Franzen habe. Seitdem ich die Redaktion leite, lese ich

viel mehr deutsche Literatur, ich muss mich ja zu den

wichtigen Diskussionen äußern“, erklärt sie. „Gegenüber

deutscher Literatur hatte ich über Jahre hinweg gewisse

Manschetten und habe immer noch gewisse Lücken. Ich

bin oft verzweifelt, weil ich noch viel mehr lesen müsste

und bin mir meiner eigenen Defizite nur zu sehr bewusst.

Manchmal liege ich nachts wach und denke: War der

Artikel über dieses Buch gut genug?“ Sie liest in der

Redaktion und auch zuhause grundsätzlich am Tisch und

hält es damit wie Marcel Reich-Ranicki. „Er sagte immer,

dass man sich zum Lesen in Anzug und Krawatte an den

Tisch setzen muss. Ich lese auch am Tisch, aufrecht.

Großartige Literatur kann man nicht im Bett im Pyjama

lesen. Auch nicht mit ungeputzten Zähnen.“

Was macht richtig gute Literatur in der überwälti-

genden Flut der Neuerscheinungen aus? „Wahre Litera-

tur ist Kunst. Sie steht über den herkömmlichen Dingen,

in ihr ist der göttliche Funke. Das einzelne Werk ist grö-

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ßer als der, der es geschrieben hat. Das ist nicht planbar“,

sagt sie ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. „Ich bin

fest davon überzeugt, dass Literatur immer das Gute im

Menschen weckt, dass sie uns demütiger, offenherziger

und dankbarer macht. Sie hat einen reinigenden, erhe-

benden Effekt. Man kann in ihr Schönheit fühlen um ihrer

selbst willen.“ Lovenberg gibt zu, dass sie ihr Urteil über

Bücher mit der Zeit ändert: „Man irrt oft! Manchmal fand

ich ein Buch großartig und habe nach einem Jahr festge-

stellt, dass ich mich kaum noch daran erinnern konnte.

Das Gedächtnis ist ein Qualitätskriterium!“

Sie sieht viele Bücher, die im herkömmlichen Sinne

nicht als bedeutend oder groß gelten, als wichtig an. „In

Büchern wie Schoßgebete von Charlotte Roche wird der

Perfektionswahn und die Rolle der Psychotherapie ver-

handelt, das ist einfach spannend für die Zeit, in der wir

leben. Deshalb habe ich diesem Buch Raum im Feuille-

ton gegeben. Es ist entscheidend, wenn ein Buch Ge-

dankenkaskaden auslöst. Das Thema Alzheimer, mit dem

unsere Gesellschaft sich gerade so intensiv beschäftigt,

habe ich in Arno Geigers Der alte König in seinem Exil,

in Martin Suters Small World und in Jonathan Franzens

Die Korrekturen so nah erlebt, als beträfe es den Vater

eines Freundes.“ Die herablassende Haltung mancher

Intellektueller gegen kommerziell erfolgreiche Titel kann

sie nicht nachvollziehen. „Nur weil ein Buch erfolgreich

ist, ist es nicht schlecht. Bücher, die sehr erfolgreich sind,

sind oft sehr gut in dem, was sie sein wollen. Sie sind

nicht aus Zufall so erfolgreich. Und es gibt viele richtig

schlechte Bücher!“

Bücher nehmen fast Lovenbergs gesamte Zeit in

Anspruch und auch in Freundschaften spielen sie eine

wichtige Rolle: „Früher wurde ich viel auf Cocktails einge-

laden, aber oft habe ich mich gelangweilt und wollte nach

Hause zu den Büchern. Wenn ich mich nicht gut unter-

halte, ist es immer so. Ich werde dann ungnädig in Ge-

sellschaft, denn ich will lesen. Und ich freue mich auf das

Alter, denn ich weiß: wenn ich eines Tages den Job nicht

mehr mache, dann warten all die Bücher auf mich.“

linkS: Der zierliche Tannenbaumsekretär

stammt aus Lovenbergs Elternhaus. Darü-

ber ein dekoratives Penguin-Cover. Auf

dem Sekretär eine Sammlung von Aus-

gaben der legendären englischen Mitford

Sisters.

Felicitas von lovenberg

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—Mein schönster erster satz: Ich achte gar nicht so sehr auf erste

Sätze. Ich achte nur darauf, wenn sie

so gut sind wie diese: „Alle glücklichen

Familien sind einander ähnlich, jede un-

glückliche Familie ist unglücklich auf

ihre Weise.“ Aus Anna Karenina von

Leo Tolstoi. Und: „It is a truth universally

acknowledged, that a single man in

possession of a good fortune must be in

want of a wife.“ Aus Stolz und Vorurteil

von Jane Austen.

—Mein schönster letzter satz:„Nun lebten sie vergnügt, und es ging

ihnen wohl bis an ihr Ende.“ Aus Die

Goldkinder der Brüder Grimm.

—ein buch, das Mein leben verändert hat: Liebeserklärung von

Michael Lentz, dem Bachmann-Preis-

träger 2003. Es war sein erster Roman,

ich habe ihn gelesen und mir war klar,

meine Ehe ist zu Ende. Dieses Buch hat

mich auf mich selbst zurückgeworfen.

Ich dachte mir: Wen belügst du eigent-

lich? Dich selbst! Hinter diese Erkennt-

nis konnte ich nicht mehr zurück.

—ein buch, das Mich einMal gerettet hat: Die Gedichte der Emily

Dickinson helfen mir bei jeglichem Kum-

mer, Schmerz oder jeder Verzweiflung.

—ein buch Für stunden der Melancholie: Da braucht man sofort

etwas. Man kann sich nicht erst durch

100 Seiten arbeiten. Ich lese dann Ge-

dichte von Wislawa Szymborska und

Heinrich Heine.

—ein KlassiKer, der Mich zu tode langweilt: Sterbenslangweilig

wäre nur ein Leben ohne Bücher. Aber

bei Einschlafproblemen helfen Adalbert

Stifters Bunte Steine meiner Erfahrung

nach ziemlich zuverlässig.

—dieses buch hätte ich gerne geschrieben: Harry Potter natürlich –

der Beweis, dass man es mit Fantasie

und einer guten Geschichte weiterbrin-

gen kann als die englische Königin.

—auF MeineM nachttisch liegt:Howards End is on the Landing von

Susan Hill. Dieses Buch macht mich

so glücklich. Eine Frau flieht vor einer

Nachricht von David Grossmann. Eine

Geschichte von Liebe und Finsternis

von Amos Oz.

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