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46 Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3 Nun haben auch die beiden mächtigsten Stimmen im deutschen Blätterwald, der SPIEGEL am 21. Juni 2OO4 und der FO- CUS am 2. August 2004, sowie RTL und ARD erstaunt registriert, was aus einem kleinen Volkslied in der bundesdeutschen Musikszene werden kann: Ein Volksmu- siktrio aus Sachsen landet mit einem kranken Holzfäller den Hit des Jahres. 1 Was war geschehen? Schon im September 2003 überzeugten „De Randfichten“ aus Johanngeorgen- stadt im Erzgebirge den Musikriesen EMI, mit ihrem Hit „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ einen ganz und gar nicht ins Programm des Pop-Giganten passen- den Song auf Basis einer Volksweise zu übernehmen. Die Dorfmusikanten luden zum Gaststätten-Gig, und 500 Fans flippten aus. „Gepiercte Mädchen – und nicht nur Omas – standen Kopf“, erinnert sich Ulsch (EMI-Manager, die Verf.) h h „Da wußten wir, die wollen wir haben.“ 2 Der Durchbruch kam im Februar 2004 bei der Biathlon-Weltmeisterschaft im thürin- gischen Oberhof/Rennsteig, wo Tausen- de von Zuschauern tagelang in wahren Sangesausbrüchen aus einem Volkslied einen Schlager machten. Überrascht und ironisch-süffisant kommentierte der Münchner Merkur am 13. Februar 2004: Ohrwurmartig hat diese Zeile die Gemüter erobert, dröhnt mit unheimlicher Penetranz durchs Nachtleben ... im Pendelbus ... an den Schneebars ... Doch seine größte Wucht entfaltet der Gassenhauer im Thüringer Zelt, wo er sich ... zur kultischen Handlung steigert ... Der Ritus geht so: Zehnmal pro Lied ... ertönt .... : „Lebt denn der alte Holzmichel noch?“ Woraufhin die Hände hochzureißen sind, man in dichter Reihe mindestens auf die Bänke hopst – und sich mit einem schon fast gewalttätig klingenden, brachialen „JJJAAAAAAA!“ chorisch vereint. Nach kurzer Pause geht´s weiter im Text: „EEEER lebt noch, lebt noch – stirbt nicht!“... Der Song stammt aus dem sächsischen Erzgebirge. Er ist aber längst kein regionales Phänomen mehr . ... Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird er sich mit grippaler Unaufhalt- samkeit ausbreiten in deutschen Landen, Bergkirchweihen erschüttern, Frühlings- und Oktoberfeste, und wohl vergeblich werden wir hoffen: Alter Holzmichel, stirb, bitte stirb! Der Wunsch des Journalisten blieb wirk- lich unerfüllt: Längst hat der „Holzmichl“ die Bierzelte – auch in Oberbayern (z. B. Maibaumfest 2004 in Oberpframmern) – erobert, die bundesweite Bekanntheit ist da und zeigt sich mittlerweile auch bei Treffen in geselliger Runde. Seit Oberhof steht der „Holzmichl“ in den „Charts“ , Gold und Platin gingen ins Erzgebirge. Dazu der FOCUS: Erstmals wuppt Volksmusik jenseits des Jägerzauns eines Musikan- tenstadls. „Dr Holzmichl“ ... hat die Fan- kurven der Stadien und die Obstlerfraktion der Almhütten erreicht – ein untrügliches Zeichen für massenwirksames Sangesgut. Für RTL hüpfen Michl, 41, Rups, 35, und Lauti, 41, nun krachledern vor grellgrünen Mikrophonen und drall dekolletierten Mäd- chen über die „Top of the Pops“-Bühne. ... Ausgerechnet mit den Melodien der Altvorderen locken die Quotenmacher Jungvolk vor die Kiste und brechen die Hüttenmacht der Öffentlich-Rechtlichen. Was sind schon die Strapse einer Spears gegen die wollenen Trachtensocken der singenden Sachsen? Ähnlich überrascht stellt der SPIEGEL fest: Der Kölner Privatsender RTL knackt eines der letzten Monopole von ARD und ZDF: die Versorgung der Fernsehzuschauer mit Volksmusik. Ausgerechnet in der schwer auf Jugendlichkeit getrimmten RTL-Hitpa- radenshow „Top of the Pops“, in der sonst internationale Marketingphänomene wie Britney Spears oder Bro’Sis ihre neuesten Produkte bewerben ... intoniert n n das ost- deutsche Volksmusiktrio De Randfichten ... vor dem größtenteils minderjährigen Studiopublikum seinen Bierzelt-Hit „Lebt denn der alte Holzmichl noch...?“, der in Ostdeutschland mittlerweile als inoffizielle Nationalhymne mit Kultstatus gilt. ... Dass die als altbacken verrufene Volksmusik nicht ins Jugend-affine RTL-Programm passt, glaubt der Redaktionsleiter nicht. „Die Kids tanzen auch dazu.“ Man wün- sche sich „mehr solche Bands, die das Publikum überraschen“. 3 Zu wenig beachtet blieb eine bemerkens- werte Sendung im ARD-Fernsehen, die am 13. März 2004 zur besten Sendezeit am Samstagabend um 20.15 Uhr lief. Unter dem Titel „Deutschland singt“ wurden rund vierzig, zumindest der älteren Gene- ration wohlvertraute deutsche Volkslieder gesungen – von sieben verschiedenen Chören, von Stars auch der „volkstümli- chen“ Musik und vom Publikum (!), von Titelbild der „Randfichten“-CD (vgl. Anm. 4) Wenn ein Volkslied Karriere macht! Vom Holzmichl und Hausmichl Ingrid Sepp

Vom Holzmichl und Hausmichl - heimat- · PDF filegedruckt in „Liederbuch“. Hrsg. vom Verbande Deutscher Post- und Telegra-phen-Assistenten, Berlin 1898, S. 614, ohne Noten, Weise:

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46 Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3

Nun haben auch die beiden mächtigsten Stimmen im deutschen Blätterwald, der SPIEGEL am 21. Juni 2OO4 und der FO-CUS am 2. August 2004, sowie RTL und ARD erstaunt registriert, was aus einem kleinen Volkslied in der bundesdeutschen Musikszene werden kann: Ein Volksmu-siktrio aus Sachsen landet mit einem kranken Holzfäller den Hit des Jahres.1

Was war geschehen?

Schon im September 2003 überzeugten „De Randfichten“ aus Johanngeorgen-stadt im Erzgebirge den Musikriesen EMI, mit ihrem Hit „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ einen ganz und gar nicht ins Programm des Pop-Giganten passen-den Song auf Basis einer Volksweise zu übernehmen. Die Dorfmusikanten luden zum Gaststätten-Gig, und 500 Fans flippten aus. „Gepiercte Mädchen – und nicht nur Omas – standen Kopf“, erinnert sich Ulsch (EMI-Manager, die Verf.) sich Ulsch (EMI-Manager, die Verf.) sich Ulsch „Da wußten wir, die wollen wir haben.“2

Der Durchbruch kam im Februar 2004 bei der Biathlon-Weltmeisterschaft im thürin-gischen Oberhof/Rennsteig, wo Tausen-de von Zuschauern tagelang in wahren Sangesausbrüchen aus einem Volkslied einen Schlager machten. Überrascht und ironisch-süffisant kommentierte der Münchner Merkur am 13. Februar 2004: Ohrwurmartig hat diese Zeile die Gemüter erobert, dröhnt mit unheimlicher Penetranz durchs Nachtleben ... im Pendelbus ... an den Schneebars ... Doch seine größte Wucht entfaltet der Gassenhauer im Thüringer Zelt, wo er sich ... zur kultischen Handlung steigert ... Der Ritus geht so: Zehnmal pro Lied ... ertönt ....: „Lebt denn der alte Holzmichel noch?“ Woraufhin die Hände hochzureißen sind, man in dichter Reihe mindestens auf die Bänke hopst – und sich mit einem schon fast gewalttätig klingenden, brachialen „JJJAAAAAAA!“ chorisch vereint. Nach kurzer Pause geht´s weiter im Text: „ EEEER lebt noch, lebt noch – stirbt nicht!“... Der Song stammt aus dem sächsischen Erzgebirge. Er ist aber längst kein regionales Phänomen mehr. ... Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird er sich mit grippaler Unaufhalt-samkeit ausbreiten in deutschen Landen, Bergkirchweihen erschüttern, Frühlings- und Oktoberfeste, und wohl vergeblich werden wir hoffen: Alter Holzmichel, stirb, bitte stirb!

Der Wunsch des Journalisten blieb wirk-lich unerfüllt: Längst hat der „Holzmichl“ die Bierzelte – auch in Oberbayern (z. B. Maibaumfest 2004 in Oberpframmern) – erobert, die bundesweite Bekanntheit ist da und zeigt sich mittlerweile auch bei Treffen in geselliger Runde. Seit Oberhof steht der „Holzmichl“ in den „Charts“, Gold und Platin gingen ins Erzgebirge. Dazu der FOCUS: Erstmals wuppt Volksmusik jenseits des Jägerzauns eines Musikan-tenstadls. „Dr Holzmichl“ ... hat die Fan-kurven der Stadien und die Obstlerfraktion der Almhütten erreicht – ein untrügliches Zeichen für massenwirksames Sangesgut. Für RTL hüpfen Michl, 41, Rups, 35, und Lauti, 41, nun krachledern vor grellgrünen Mikrophonen und drall dekolletierten Mäd-chen über die „Top of the Pops“-Bühne. ... Ausgerechnet mit den Melodien der Altvorderen locken die Quotenmacher Jungvolk vor die Kiste und brechen die Hüttenmacht der Öffentlich-Rechtlichen. Was sind schon die Strapse einer Spears gegen die wollenen Trachtensocken der singenden Sachsen?Ähnlich überrascht stellt der SPIEGEL fest: Der Kölner Privatsender RTL knackt eines der letzten Monopole von ARD und ZDF:

die Versorgung der Fernsehzuschauer mit Volksmusik. Ausgerechnet in der schwer auf Jugendlichkeit getrimmten RTL-Hitpa-radenshow „Top of the Pops“, in der sonst internationale Marketingphänomene wie Britney Spears oder Bro’Sis ihre neuesten Produkte bewerben ... intoniert Produkte bewerben ... intoniert Produkte bewerben das ost-deutsche Volksmusiktrio De Randfichten ... vor dem größtenteils minderjährigen Studiopublikum seinen Bierzelt-Hit „Lebt denn der alte Holzmichl noch...?“, der in Ostdeutschland mittlerweile als inoffizielle Nationalhymne mit Kultstatus gilt. ... Dass die als altbacken verrufene Volksmusik nicht ins Jugend-affine RTL-Programm passt, glaubt der Redaktionsleiter nicht. „Die Kids tanzen auch dazu.“ Man wün-„Die Kids tanzen auch dazu.“ Man wün-„Die Kids tanzen auch dazu.“sche sich „mehr solche Bands, die das Publikum überraschen“.3

Zu wenig beachtet blieb eine bemerkens-werte Sendung im ARD-Fernsehen, die am 13. März 2004 zur besten Sendezeit am Samstagabend um 20.15 Uhr lief. Unter dem Titel „Deutschland singt“ wurden rund vierzig, zumindest der älteren Gene-ration wohlvertraute deutsche Volkslieder gesungen – von sieben verschiedenen Chören, von Stars auch der „volkstümli-chen“ Musik und vom Publikum (!), von

Titelbild der „Randfichten“-CD (vgl. Anm. 4)

Wenn ein Volkslied Karriere macht!

Vom Holzmichl und HausmichlIngrid Sepp

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Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3 47

„Wenn alle Brünnlein fließen“ über „Im schönsten Wiesengrunde“ und „Nun ade, du mein lieb Heimatland“ bis „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“. Mitten drin die Gruppe „De Randfichten“ mit ihrem „Holzmichl“. Und das Publikum wußte Bescheid, machte genauso mit wie bei der Oberhofer Weltmeisterschaft, riß die Arme hoch beim „Ja, ja, er lebt noch!“ und war sicht- und hörbar begeistert.Kein Wunder, dass – wie in der ARD-Sen-dung „Brisant“ am 14. August zu sehen – bereits „Holzmichl“-Fantreffen stattfin-den: auf der Naturbühne Greifensteine bei Dresden. Dabei betonte die Gruppe, dass sie tief in der Volksmusik verwurzelt ist, ihre Texte aus dem Leben nimmt und nicht nur von Herz-Schmerz singt.Am 23. August widmete der SPIEGEL (35/2004, S. 132 f.) zwei ganze Seiten der „merkwürdigsten Erfolgsband“, am 8. September war sie zu Gast bei Johannes B. Kerner im ZDF und einen Tag später beim ZDF-Sommerhitfestival mit Dieter Thomas Heck, der von der „eigenar-tigsten Schlagergeschichte des Jahres“ sprach. Ein bisheriger Karrierehöhepunkt war am 18. September 2004 die Ehrung für den Verkaufserfolg der Holzmichl-CD im Rahmen der ARD-Sendung „Das Jubi-läumsfest der Volksmusik“ aus Chemnitz. Interpret des Liedes war der Sohn eines Musikers der „Randfichten“, von Kindern pantomimisch begleitet.Schnell hat auch der Musikverlag Geiger die Zeichen der Zeit erkannt und bietet Aus-gaben für Blasmusik, für kleine Blasmusik, für Combo und sogar für Klavier solo an.

Was hat dies alles in einer bayeri-schen Volksmusik-Zeitschrift zu suchen?

Nun, in Bayern ist der Holzmichl ein wohlbekannter Gast bei Volksmusik-wochen und Offenen Singstunden, unentbehrlich und heißgeliebt auch bei Kindersingstunden, nur dass der Holzmichl ein Hausmichl ist, der krank im Bett liegt und einen Floh fängt. Weil der Hausmichl immer kränker wird, muß man bei jeder Wiederholung immer leiser singen bis zum Flüstern oder nur noch Lippenbewegen. Aber auch hier wird das „JAAA, JAAA!“ laut gesungen, ein Heidenspaß für alle Sänger und bestens geeignet, die Scheu vor dem Singen, vor allem bei Kindern, zu überwinden. „De Randfichten“ haben diese, wohl auch im Erzgebirge überlieferte Singweise übernommen, wie ein Live-Mitschnitt auf einer ihrer CDs4 beweist, wo der Erzähler ausführlich und sehr anschau-lich vom immer schlimmer werdenden Zustand des Michl berichtet und nach der immer leiseren Frage zum lauten

„Ja, ja“ auffordert. Dazu erfand die Gruppe eine Version mit Liedstrophen5

und dem „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ als Refrain, gesungen, gesummt und geschwiegen – alles im schönsten erzgebirgischen Dialekt.

Zur Herkunft des „Haus“/„Holz“-michl

In weiten Gebieten ist das Lied mit Text- und Melodievarianten aufgezeichnet worden bzw. wird vom lebendigen Ge-brauch berichtet. Im folgenden sind die bisherigen Recherchen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zusammengefaßt.In Oberbayern taucht der „Hausmichl“ mit der „Floh“-Variante in mündlicher Überlieferung 1978 beim 1. Seminar für Volksmusikforschung und –pflege

in Herrsching auf, vorgesungen von Karl Frank. Diese Version wurde beim 10. Seminar 1987 von Luise Lutz in ihrem Vortrag „Singen als Spiel – spielerisches Singen“ schriftlich festgehalten.6 Mit ei-ner in den ersten acht Takten leicht verän-derten Melodie gehört das Lied seit 1983 – von Erwin Zachmeier eingeführt – zum geselligen Liedrepertoire bei der Volks-musikwoche „Bayerischer Dreiklang“ in Herrsching und wird seitdem in ganz Bayern verbreitet, wobei sich im Laufe der Zeit wieder eine Variantenbildung ergeben hat (Liedblatt Nr. 78, Bayer. Landesverein für Heimatpflege).In der Oberpfalz findet sich die gleiche Oberpfalz findet sich die gleiche OberpfalzTextfassung mit etwas anderer Melodie in „Gäih, sing ma oans!“,7 mitgeteilt von Ludwig Islinger aus Schierling. Adolf Eichenseer (Aufzeichnung 1998) und Lothar E. Karrer (Aufzeichnung 1983)

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Hausmichl, Liedblatt Nr. 78, Bayer. Landesverein für Heimatpflege, München 1997.

Aus: Robert Link, Waldlerisch g’sunga, vgl. Anm. 9

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48 Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3

nahmen das Lied in ihre Sammlung von Wirtshausliedern „Freinderl, wann geh ma hoam“8 auf, hier mit den Gewährsper-sonen Schierlinger Zwoagang bzw. Alois Demleitner und Sepp Ram aus Stein.In Niederbayern ist der „Hausmichl“ durch Robert Links Ausgabe „Waldlerisch g´sunga. Volkslieder aus dem Bayer- und Böhmerwald“9 als Strophenlied belegt. Die Anmerkung dazu lautet: Das typische Wirtshaus-Gsangl ist eine Variante vom „Schwarzen Sepperl“, einem in der 30er Jahren weit verbreiteten Lied, das auch der Baumsteftenlenz kannte und das bei uns die aufgezeichnete Form gefunden hat. In dieser hat sie mir der Zellner-Schneider von Voitschlag vorgesungen, wobei die mehr oder minder Stegreif-Strophen von den Alten am Stammtisch in der heute aufgelassenen Wirtschaft zur „Blauen Traube“ abwechselnd dazu gesungen wurden. (S. 47)Aus Oberfranken berichtet Ingeborg Degelmann, dass sie den „Hausmichl“ erstmals 1992 auf einer Mai-Chorfahrt von Hartmut Eberlein gehört hat.10

In Österreich wurde der „Hausmichl“ von Martin Radl im niederösterreichi-schen Traisental aufgezeichnet und von Georg Kotek und Raimund Zoder ver-öffentlicht.11 Hier und in weiteren öster-reichischen Liedsammlungen lautet der Schluß: Er lebt no und is gsund.In Johanngeorgenstadt im Erzgebirge,der Heimat der „Randfichten“, ist die Herkunft unbekannt, jedoch wurde der

Aus: GLUECK AUF, Rundas und Volkslieder im Vogtland, vgl. Anm. 13.

Aus: Kotek/Zoder, Ein Österreichi-sches Volkslieder-buch, vgl. Anm. 11

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Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3 49

„Holzmichl“ schon vor dem 2. Weltkrieg gesungen, wie aus einem Leserbrief in der Freien Presse Chemnitz vom 4. Au-gust 2004 hervorgeht: Nach Training, Wanderung oder Skitouren setzten sich die Erwachsenen abends zusam-men, erzählten und sangen. Aber der Refrain des Holzmichl-Liedes ist mir gut in Erinnerung geblieben.12

Gedruckt findet sich das Lied in dem Heft „GLUECK AUF, Rundas und Volkslieder im Vogtland“13 auf die Melodie „Geh mit der Durl, tanz mit der Durl bis nach Schweinau“. Hier wird allerdings nach dem alten „Hauschild“ gefragt, der auch in der weiteren deutschen Überlieferung auftaucht.Eine bunte Palette bieten die Belege, die uns das Deutsche Volksliedarchivin Freiburg dankenswerterweise mitteil-te.14 Danach stammt der erste gedruckte Beleg aus Sachsen in „Pan“, Hg. Fried-rich Polle, Dresden 1877. Der Alte, um

Aus: Pan. Ein lustiges Liederbuch für Gymnasiasten, mit Singweisen zusammengestellt von Friedrich Polle. Dresden,

Schönfeld-Verlag 1877, S. 56.

Aus: Die Drehorgel. Ein Liederbuch für fröhliche Kreise. Leipzig 1941, S. 275.

den man sich sorgt, heißt da ebenfalls „Hauschild“. Im zeitlich nächsten Nach-weis ist es „der alte Fischer“. Dessen ältester Beleg von 1896 findet sich gedruckt in „Liederbuch“. Hrsg. vom Verbande Deutscher Post- und Telegra-phen-Assistenten, Berlin 1898, S. 614, ohne Noten, Weise: Lebt denn der alte Hauschild noch? Eine handschriftliche

Aufzeichnung von 1899 aus dem Hessi-schen Archiv wurde uns ebenfalls vom Deutschen Volksliedarchiv übermittelt. In einem Marburger Studentenlieder-buch von 1915, Anstichlieder, S, 28/29, ohne Noten, ist vom „Hansmichel“ die Rede, und in Gustav Schulten/Hg., „Der Kilometerstein“, 31935, taucht „der alte Hanauer“ auf. Da noch weitere Aufla-

Aufzeichnung aus Gernsheim bei Groß-Gerau, Sept. 1899, von A. Geis (Blatt 24, Hess. Archiv A 478)Handschriftliche Erläuterung: Ein Lied beim gemütlichen Zusammensein (Fidelitas); Singweise mit abnehmender Lautstärke,

nur die beiden „Ja, ja“ immer im Fortissimo.

Lebt denn der alte Hanauer noch?

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50 Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3

gen für dessen Verbreitung sorgten, hat Prof. Brednich in den 1990er Jahren in einer Herrenrunde nahe Göttingen die Parodie „Lebt denn der alte Adenauer noch?“ angetroffen. Ferner ist das Lied enthalten in „Die Drehorgel. Ein Lieder-buch für fröhliche Kreise“, Leipzig 1941 (S. 49), und in „Lieder im Hanauerland“, Kehl 1972.Relativ neu ist der Abdruck im Lieder-buch „Poverello“, Leipzig 1987, 6. Aufla-ge, S. 204.

Wie steht die Volksmusikpflege zu dieser Liedkarriere?

Immer wieder muß man feststellen, dass sich Journalisten mit dem Phänomen Volksmusik schwer tun, dass sie, wie der Münchner Merkur beim „Holzmichl“-Bericht, Spott über die Volksmusik aus-gießen. Offenbar können oder wollen es viele heutige Journalisten nicht fassen, dass in der Volksmusik mehr steckt als abgewracktes, totgesagtes Musiziergut

aus einer längst überholten Vergangen-heit.15 Freilich muß über die Form der Verwendung traditioneller Lieder und Melodien kritisch diskutiert werden.Bei der Vermischung volksmusikalischer Tradition mit anderen Musikstilen unter dem Begriff „Tradimix“ wird sich auf längere Sicht wohl der Weizen von der Spreu trennen.Für die Verarbeitung überlieferter Volks-musik im volkstümlichen Bereich, wie im Falle des „Holzmichl“, sollten die Gren-zen klar abgesteckt bleiben: hier die von zahllosen Musikanten und Sängern im kleinen Kreis lebendig erhaltene Volks-musik, die nur sehr bedingt bühnentaug-lich ist, dort die für ein Massenpublikum auf Effekte ausgerichtete Bühnenshow einiger weniger Musiker. Dass dabei ein seit langer Zeit überliefertes „Volks“lied zu einem wirklich „vom Volk übernom-menen“ Lied wird, ist wohl ein Beweis für die der Tradition innewohnende Stärke. Weil der „Holzmichl“ aus dem Erzgebirge originell und witzig-fröhlich daherkommt, freuen sich seine vielen deutschen und österreichischen „Ver-wandten“, dass der liebenswerte „Ossi“ so quicklebendig auf der Karriereleiter in den deutschen Schlagerhimmel hin-aufgeklettert ist und neuerdings sogar als Handy-Klingelton aus dem Internet abgerufen werden kann.

Der „Holzmichl“ auf Abwegen

War schon bei der erwähnten ZDF-Sendung am 9. September 2004 ein unsäglich peinliches Pseudo-Volkstanz-paar den „Randfichten“ zugesellt, so ist zu befürchten, daß auch künftig ein schlichtes Volkslied, das seit langer Zeit in geselliger Runde als fröhlicher Scherz gesungen wurde, zu einem verkitschten sogenannten volkstümlichen Schlager verunstaltet wird. Ein geschmackloses Beispiel dafür boten im Bayerischen Fernsehen am 27. August 2004 „Die 3 Zwidern“, die aus dem armen Holzmichl eine primitive Show machten, die einem „zwider“ sein mußte.Bei einer solchen medialen Vermarktung werden sofort auch Begehrlichkeiten hinsichtlich der Verwertungsrechte ge-weckt. Der schon genannte Verlag Gei-ger hat die Druckrechte am „Holzmichl“ in der Fassung der „Randfichten“, wobei zu prüfen ist, ob bei dieser Interpretation überhaupt ein neues Urheberrecht ent-standen ist. Auch andere Verlage wittern bereits das große Geschäft und ärgern sich, daß der Geiger-Verlag schneller war.16

Wenn der Holzmichl wüßte, was da mit ihm alles passiert, würde er vielleicht doch wohl lieber sterben.

Aus: Lieder im Haunauerland, hrg. von Wilhelm Schadt. Kehl, Morstadt-Verlag, 1972.

Aus: Poverello. Liederbuch für frohe Christen. Bearb. von Alexander Ziegert. Leipzig, St. Benno-Verlag 1987, S. 204.

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Volksmusik in Bayern 21 (2004), Heft 3 51

Anmerkungen:

1 Untertitel zu „Singen für Arbeit“ von Axel Wolfsgruber, FOCUS 32, 02.08.04, S. 122.

2 ebd.3 „Holzmichl statt Britney“. DER SPIEGEL

26, 21.06.04, S. 174. 4 CD Lebt denn dr alte Holzmichl noch...?

Volkstümliche Musik aus dem Erzgebir-ge. EMI Music Germany GmbH & CO KG, 2004. Mit Randfichten bezeichnet man besonders kräftige Bäume am Waldrand.

5 1. ´n Michl geht´s net gut, (3x), seine Nos die is ganz rut.Das Hacken fällt ihm schwer, (3x) und der Husten plagt ihn sehr.Weil´s ́ n Michl doch so schlecht grad geht, singen alle jetzt ganz leise dieses Lied.Lebt denn der alte Holzmichl noch, Holz-michl noch, Holzmichl noch, lebt denn der alte Holzmichl noch, Holzmichl noch?Ja, er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch, ja, er lebt noch, er lebt noch, stirbt nicht.2. Dr Michl, der ist krank, (3x) uns wird aa schu Angst und Bang. Was solln wir denn nur tun, (3x) ja, er muß sich jetzt ausruhn.Weil´s ́ n Michl doch so schlecht grad geht, summen wir alle gemeinsam dieses Lied. Mmh....

3. Dr Michl is halb tot, (3x) wir haben unnre liebe Not. Er liegt nu of dr Diel, (3x) un er sogt aa net mehr viel.Weil´s mit´n Michl nun zu Ende geht, schweigen wir alle gemeinsam unser Lied. (instrumentales Zwischenspiel)4. Kommt mit, wir gehen an´s Grab ihn mal besuchen. Schaut alle her, ein Wunder ist geschehn. Dr Michl ist zum Glück doch nicht gestorben, drum singen wir das Lied so laut es geht.

Lebt denn der alte Holzmichl....6 Luise Lutz: Singendes Spiel – spieleri-

sches Singen. In: Volksmusikforschung und –pflege in Bayern, 10. Seminar: Sin-gen in Bayern, April 1989, Babenhausen. München 1991, S. 153 ff.

7 Bezirk Oberpfalz (Hg.): Gäih, sing ma oans! Lieder zum gemeinsamen Singen aus der Oberpfalz, aus Böhmen und aus ganz Deutschland. Regensburg 1998, S. 18.

8 Adolf J. Eichenseer und Lothar E. Karrer: Freinderl, wann geh ma hoam. Wirtshaus-lieder aus der Oberpfalz. Regensburg 1999, S. 79.

9 Robert Link: Waldlerisch g´sunga, Volks-lieder aus dem Bayer- und Böhmerwald, Bd VII. Grafenau 1969, Nr. 30.

10 Vermutlich von Erwin Zachmeier auf Lehr-

gängen der Beratungsstelle für fränkische Volksmusik gelernt.

11 Georg Kotek und Raimund Zoder: Stimme der Heimat. Ein Österreichisches Volkslie-derbuch (Volksausgabe in einem Band). Wien 1948, 2. Teil: Im Heimgarten, S. 105f.

12 Leserbrief von Susanne Kosmale, auf-gewachsen in Johanngeorgenstadt. In: Freie Presse Chemnitz, 4. August 2004. Freundl. Mitteilung von Frau Elvira Wer-ner, Sächsische Landesstelle für Volkskul-tur, Schneeberg.

13 GLUECK AUF, Rundas und Volkslieder im Vogtland aus den Sammlungen von Hermann Dunger und Otto Finkennest. Hg. vom Folklorezentrum Erzgebirge/Vogtland beim Bezirkskabinett für Kultur-arbeit Karl-Marx-Stadt (heute Sächsische Landesstelle für Volkskultur). Beiträge zur Folklorepflege Heft 21/22 Schneeberg 1985, Nr. 20, S. 18.

14 Freundl. Mitteilung von Frau Barbara Book, Deutsches Volksliedarchiv Freiburg, 16. August 2004.

15 vgl. Erich Sepp: Leben und leben lassen. In: Volksmusik in Bayern 21. Jg., 2/2004, S. 22.

16 Telefonische Anfrage eines Verlages bei der Beratungsstelle für Volksmusik in München am 18. September 2004.