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Vom UnSagbaren sprechen · nennt und es ist geboten/man muß, ... von der die von Heidegger inspirierte Philosophie ... Glauben - Philosophieren. Stuttgart: Reclam 1997,28f. 14 Ders.,

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Page 1: Vom UnSagbaren sprechen · nennt und es ist geboten/man muß, ... von der die von Heidegger inspirierte Philosophie ... Glauben - Philosophieren. Stuttgart: Reclam 1997,28f. 14 Ders.,

Vom UnSagbaren sprechen.Postmoderne Sprachprobleme und theologische Erkenntniswege

Christian Bauer und Peter Hardt

Einführung in das Thema

“Wer ist Gott? Niemand wird erwarten, in einem Vortrag die Antwort zu finden. Nach Gott zu

fragen, sei es in der Weise der Theologie, sei es mit dem Blick auf das Religiöse in der

säkularisierten Welt, ist ein Exerzitium. Mit leichter Drohung gesprochen: Wer es ausschlägt,

nimmt Schaden - der Gläubige an seiner Seele, der Ungläubige an seinem Intellekt.”1

Postmoderne Denker beziehen sich immer wieder auf die christliche Tradition der Negativen

Theologie, jenen ‚subversiven‘ Seitenstrang der Theologiegeschichte demzufolge sich das

‚Erkenntnisobjekt‘ Gott als unendliches Geheimnis der Welt grundsätzlich im Außen

menschlicher Diskurse befindet. Folgt man diesem verschlungenen Pfad, gelangt man rasch

zu der Einsicht, daß sich philosophische und theologische Sprachprobleme

überraschenderweise am Ort formalanaloger UnSagbarkeit treffen. Der scholastische

Erkenntnisweg der ‚triplex via‘, die in der ‚via eminentiae‘ sowohl Positivität als auch

Negativität jeglicher Rede von Gott zu übersteigen sucht, bietet als theologisches

Sprachprojekt in den dunklen Provinzen des UnSagbaren unvermutete Ressourcen

intellektueller Kreativität – auch für Diskurse postmoderner Praktiken!

Das folgende Patchwork aus philosophischen und theologischen Basistexten kann als erste

Arbeitsgrundlage zum Einlesen in die Problematik dienen.

TextPatchworkJacques Derrida

“Das, was diese eingeleitet/verpflichtet (engagé) oder möglich gemacht hat, hat Statt

gefunden. (...) Dieser Ruf des anderen, der stets bereits dem Sprechen vorangegangen, dem er

also niemals ein einziges Mal gegenwärtig gewesen ist, er kündigt sich im voraus an als ein

1 Bohrer, Karl Heinz/Scheel, Kurt, Nach Gott fragen. Über das Religiöse. Sonderband Merkur. DeutscheZeitschrift für europäisches Denken 53 9/10 (1999) Einführung.

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Rückruf. Eine solche Referenz auf den anderen wird stets Statt gefunden haben. Vor jeder

Proposition und sogar vor jeder Rede schlechthin, Versprechen, Gebet, Lobpreisung, Feier.

Noch die negativste Rede - jenseits noch der Nihilisten und der negativen Dialektiken - wahrt

davon die Spur. Spur eines Ereignisses, älter als sie, oder eines zukünftigen ,Statt findens’,

das eine und das andere: es gibt da weder Alternative noch Widerspruch.

In die christliche Apophatik des Dionysios übersetzt (doch sind auch andere Übersetzungen

derselben Notwendigkeit möglich), bedeutet dies, daß das Vermögen zu sprechen und gut zu

sprechen von Gott bereits von Gott herrührt, selbst wenn man, um es zu tun, vermeiden muß,

überhaupt zu sprechen. Dieses Vermögen ist eine Gabe und Wirkung Gottes.”2

“Die Sprache hat begonnen ohne uns, in uns vor uns. Das ist dies, was die Theologie Gott

nennt und es ist geboten/man muß, es wird geboten gewesen sein zu sprechen/man wird

gesprochen haben müssen.”3

Michel Foucault

„Wie kann der Mensch dieses Leben sein, dessen Netz, dessen Pulsieren, dessen verborgene

Kraft unendlich die Erfahrung überschreiten, die im davon unmittelbar gegeben ist? [...] Wie

kann er das Subjekt einer Sprache ein, die seit Jahrtausenden ohne ihn gebildet worden ist,

deren System ihm entgeht, deren Bedeutung in einem fast unüberwindlichen Schlaf in den

Wörtern ruht, die er einen Augenblick lang durch seinen Diskurs aufblitzen läßt und innerhalb

derer er von Anfang an sein Sprechen und sein Denken plazieren muß, als täten sie nichts

anderes, als für einige Zeit ein Segment auf diesem Raster unzähliger Möglichkeiten zu

beleben? [...] Kann ich sagen, daß ich jenes Leben bin, das ich in der Tiefe meiner selbst

spüre [...]? Ich kann sagen, daß ich das bin und daß ich das alles nicht bin. [...] Was ist das

Sein des Menschen und wie kann dieses Wesen [...] eine unauslöschliche und grundlegende

Beziehung zum Ungedachten haben? Eine Form der Reflexion errichtet sich, die weit vom

Kartesianismus und von der kantischen Analyse entfernt ist, in der es zum ersten Mal um das

Sein des Menschen in der Dimension geht, gemäß der das Denken sich an das Ungedachte

wendet und sich nach ihm gliedert.“4

2 Derrida, Jacques, Wie nicht sprechen. Verneinungen. Wien: Passagen 1989 (Edition Passagen; 29), 53.3 Ders., 55.4 Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M.:Suhrkamp 151999; S. 390 ff.

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„Wir stehen vor einem Abgrund, der uns lange Zeit unsichtbar blieb: das Sein der Sprache

kommt für sich selbst nur im Verschwinden des Subjekts zur Erscheinung. Wie läßt sich zu

diesem befremdenden Bezug ein Zugang finden? Vielleicht durch eine Form des Denkens, die

sich an den Rändern der abendländischen Kultur bis jetzt nur ungewiß abgezeichnet hat. [...]

Dieses Denken bildet im Verhältnis zur Innerlichkeit unserer philosophischen Reflexion und

im Verhältnis zur Positivität unseres Wissens so etwas wie ein ‚Denken des Außen‘. Eines

Tages wird man den Versuch machen, die Formen und die Grundkategorien dieses ‚Denkens

des Außen‘ zu definieren. Man wird sich auch bemühen müssen, seinem Weg nachzuzeichnen

und zu fragen, woher es uns kommt und in welche Richtung es geht. Man darf vermuten, daß

es jenem mystischen Denken entstammt, das seit den Texten des Pseudo-Dionysius an den

Grenzen des Christentums herumgeisterte; vielleicht hat es sich fast ein Jahrtausend lang

unter den Formen einer negativen Theologie verborgen gehalten.“5

Emmanuel Lévinas

“Der Befehl, der mich dem anderen weiht, zeigt sich mir nicht, es sei denn durch die Spur

seiner Zurückgezogenheit, als Gesicht des Nächsten. Durch die Spur einer

Zurückgezogenheit, der nie eine Aktualität vorausgegangen war und die nur in meiner

eigenen, schon gehorchenden Stimme gegenwärtig ist - harte Gegenwart des Opfers und der

Gabe. Vor solcher An-archie - vor solchem Ohne-Anfang - versagt das Versammeln des

Seins. Sein sein löst sich auf in Bedeutung, in Sagen von jenseits des Seins und seiner Zeit

her, in Dia-chronie der Transzendenz. Eine nicht in Immanenz umkehrbare Transzendenz (...)

Beanspruchung des Selben durch den Anderen mitten in mir, extremer Druck des Gebotes,

das durch den Anderen in mir auf mich einwirkt, traumatischer Einfluß des Anderen auf den

Selben, der unter solchem Druck erfolgt, daß er dem Selben keine Zeit läßt, den Anderen zu

erwarten. Durch diese Alteration beseelt die Seele das Subjekt. Sie ist das eigentliche Pneuma

der Seele. Psychismus bedeutet die Beanspruchung des Selben durch den Anderen oder die

Inspiration”6

“Verstrickung, die man versucht ist, als religiös zu bezeichnen, die sich jedoch nicht in

Begriffen von Gewißheit und Ungewißheit zur Sprache bringen läßt und die auf keinerlei

5 Foucault, Michel, Das Denken des Außen. In: Ders., Von der Subversion des Wissens. Frankfurt a.M.: Fischer1987, S. 48f.6 Lévinas, Emmanuel, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Übers. v. Thomas Wiemer. Freiburg-München: Alber Studienausgabe (1992) 21998, 308ff.

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positiver Theologie beruht. (...) Doch als Sagen ohne Gesagtes (...) nicht als Information oder

als Ausdruck oder als Auswirkung oder als Symptom zu einer wie auch immer gearteten

Erfahrung des Unendlichen oder seiner Herrlichkeit hinzu, als wäre vom Unendlichen

Erfahrung möglich und überhaupt anders als Verherrlichung, das Verantwortung für den

Nächsten.”7

Jean-Francois Lyotard

„Die große Erzählung hat ihre Glaubwürdigkeit verloren“.8 „Das Prinzip einer universellen

Metasprache (métalangage universel) ist durch das der Pluralität formaler und axiomatischer

Systeme ersetzt, die geeignet sind, denotative Aussagen zu beweisen. Sie werden in einer

universellen, aber nicht konsistenten Metasprache beschrieben.“9

„Krieg dem Ganzen, zeugen wir für das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir die Differenz,

retten wir die Differenzen, retten wir die Ehre des Namens.“10

„An der Grenze des Bruchs sind so das Unendliche oder das Absolute der Idee zu erkennen in

dem, was Kant negative Darstellung oder Nicht-Darstellung nennt. Er zitiert das jüdische

Gesetz des Bilderverbots als herausragendes Beispiel einer negativen Darstellung: in ihm gibt

die auf fast nichts reduzierte Lust der Augen unendlich das Unendliche zu denken.“11

„Das gesetzliche Bilderverbot der Hebräer ist weder eine künstlerische und rituelle

Absonderlichkeit, es erklärt das ,Sichtbare’ für verdächtig. (...) Ohne Bild zu sein , heißt:

keine Übertragung auf das Imaginäre der Präsenz zuzulassen. Die erwartetermaßen in der

Thora (und Mischna) sprechende Stimme ist somit, wie Du bemerkst, für die Fassungskraft

des menschlichen Gehörs nahezu ,inkonsistent’, und zwar notwendigerweise. Sie beharrt

lediglich insistent.(...) Unter den sinnlich wahrnehmbaren Formen besitzt das Antlitz des

anderen die vorzügliche Eigenschaft, das Andere anschaulich werden zu lassen, über die

lediglich imaginäre Präsenz hinauszugehen und eine heilige Gemeinschaft zu verheißen. (...)

Das Verlangen nach Gegenständlichkeit, nach Präsenz, nach Figürlichem wird nicht

7 Ders., 323f.8 Lyotard, Jean-François, Das postmoderne Wissen: Ein Bericht. Hrsg. v. P. Engelmann, Wien: Passagen (1979)31994., 112.9 Ders., 128.10 Lyotard, Jean-François, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? In: Engelmann, Peter (Hrsg.),Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Stuttgart: Reclam 1990, 48.11 Lyotard, Jean-François, Das Erhabene und die Avantgarde. In: Le Rider, Jacques/Raulet, Gérard (Hrsg.),Verabschiedung der (Post-) Moderne? Eine interdisziplinäre Debatte. Tübingen 1987 (DeutscheTextBibliothek;Bd.7), 260.

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übergangen, es wird angenommen und eingelöst, jedoch im Hinblick auf das es motivierende

Begehren nach dem Anderen, nicht für sich selbst. (...) Das genau besagt das Andere: Höre.“12

Gianni Vattimo

“Wenn man das Sein in nicht-metaphysischer Weise denken will, gelangt man dazu, daß die

Geschichte der Metaphysik die Geschichte des Seins und nicht nur die der menschlichen

Irrtümer ist. Dies jedoch bedeutet, daß das Seins zum Nihilismus bestimmt ist, daß seine

Reduzierung, sein Sich-Entziehen, seine Schwächung derjenige Zug an ihm ist, der uns in

unserer Epoche, in der die Metaphysik endet und die Objektivität problematisch wird,

gegeben ist. (...) die Idee, daß sich die Schwächung der starken Strukturen wie ein roter Faden

durch die Seinsgeschichte zieht, seien nichts anderes als die Transkription der christlichen

Lehre von der Menschwerdung des Gottessohnes.”13

“Die Menschwerdung, d.h. die Herablassung Gottes auf die Ebene des Menschen, das, was

das Neue Testament die kenosis Gottes nennt, ist dann als Zeichen dafür zu interpretieren, daß

der nicht-gewaltsame und nicht-absolute Gott der postmetaphysischen Epoche dadurch

gekennzeichnet ist, zur selben Schwächung, von der die von Heidegger inspirierte Philosophie

spricht, bestimmt zu sein.”14 “Der Grundpfeiler dieses ganzen Diskurses ist der Begriff

,Säkularisierung’.”15

“Säkularisierung als positive Gegebenheit heißt, daß die Auflösung der sakralen Strukturen

der christlichen Gesellschaft - der Übergang zu einer Ethik der Autonomie, zur Weltlichkeit

des Staates, zu einer weniger starren Wörtlichkeit in der Interpretation der Dogmen und der

Vorschriften - nicht als Schwinden oder als Verabschiedung des Christentums zu verstehen

ist, sondern als eine vollkommenere Erfüllung seiner Wahrheit, die - daran ist zu erinnern -

die kenosis ist, die Herablassung Gottes, der Widerruf der ,natürlichen’ Züge der Gottheit.“16

12 Lyotard, Jean-François/Gruber, Eberhard, Ein Bindestrich - Zwischen „Jüdischem“ und „Christlichem“.Düsseldorf-Bonn: Parerga 1995, 103ff.13 Vattimo, Gianni, Glauben - Philosophieren. Stuttgart: Reclam 1997,28f.14 Ders., 34.15 Ders., 36.16 Ders., 44f.

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Analogielehre Lateranense VI

„quia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit

dissimilitudo notanda“ (DH 806)

„Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit

feststellen, dass zwischen ihnen keine noch so große Unähnlichkeit festzustellen wäre.”

Karl Rahner

„Das vierte Laterankonzil sagt ausdrücklich, man könne über Gott von der Welt aus, also von

jedwedem denkbaren Ausgangspunkt der Erkenntnis aus nichts an Inhaltlichkeit positiver Art

sagen, ohne dabei eine radikale Unangemessenheit dieser positiven Aussage mit der

gemeinten Wirklichkeit selbst anzumerken. Aber im praktischen Betrieb der Theologie

vergessen wir das immer wieder. Wir reden von Gott [...]; wir müssen dies selbstverständlich,

wir können nicht bloß von Gott schweigen, weil man dies nur kann, wirklich kann, wenn man

zuerst geredet hat. Aber bei diesem Reden vergessen wir dann meistens, daß eine solche

Zusage nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie

gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen, die unheimliche Schwebe zwischen Ja und

Nein als den wahre und einzigen festen Punkt unseres Erkennens aushalten und so unsere

Aussagen hineinfallen lassen in die schweigende Unbegreiflichkeit Gottes selber [...]. Wie

[...] sehr klingen unsere Aussagen von den Kathedern und auch von den Kanzeln und aus den

geheiligten Dikasterien der Kirche so, daß man nicht gerade deutlich merkt, sie seien

durchzittert von der letzten kreatürlichen Bescheidenheit, die weiß, [...] daß alles Reden nur

der letzte Augenblick vor jenem seligen Verstummen sein kann, das auch noch die Himmel

der klaren Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht füllt. [...] Ich möchte [...] die Erfahrung

bezeugen, daß der Theologe erst dort wirklich einer ist, wo er [...] die analoge Schwebe

zwischen Ja und Nein über dem Abgrund der Unbegreiflichkeit Gottes erschreckt und selig

zugleich erfährt und bezeugt.“17

17 Rahner, Karl, Erfahrungen eines katholischen Theologen. In: Karl Lehmann (Hg.): Vor dem Geheimnis Gottesden Menschen verstehen : Karl Rahner zum 80. Geburtstag. München 1984, 106ff.