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Bucher Ausubung strikter Kontrollen durchsetzbar erscheint. Die ontogenetischen Prozesse re- zenter Organismen geben auf vielfache Weise Kunde von dieser Verlagerung des Angriffs- punktes der Selektion. Die Manover von Zellcn und Organanlagen im Entwicklungs- geschehen, jene ratselhaften Einfaltungen, Einwanderungen, Abschnurungen, Uber- wachsungen, Verschmelzungen und Induk- tionen lassen die Langwierigkeit des Prozes- ses erahnen; sie dokumentieren die Ver- schlungenheit der Wege, auf denen die Kon- kurrenz zwischen Zellinien durch den Kontrollmechanismus der somatischen Dif- ferenzierung gebandigt und dem Prinzip der Arbeitsteilung untergeordnet wurde. Erst am Ende einer langen Phase der Evolution kam es zu jener sauberlichen Trennung von Soma und Keimbahn, von der im Gefolge von Au- gust Weismann viele Biologen dieses Jahrhun- derts meinten, sie ware gewissermafien das sine qua non der Evolution. Leo W. Buss weist uberzeugend nach, dai3 ein Grogteil der Schwierigkeiten des Neodarwinismus oder der ,,synthetischen Theorie" auf die kritik- lose Ubernahme der Keimplasmatheorie so- wie auf die Vorstellung vom Individuum als der einzig relevanten Einheit der Selektion zuruckzufuhren ist. Theorien wie die der Ver- erbung erworbener Eigenschaften und der Gruppenselektion erhalten vollig neue Be- deutungsinhalte, wenn sie als wesentliche Elemente einer allgemeinen Theorie der Evo- lution von der Einzelzelle zum Individuum erkannt werden, eine Erkenntnis, die unsere Ansichten uber die Veranderungen von Indi- viduen unter den gestaltenden Kraften der naturlichen Selektion maflgeblich beeinflus- sen sollte. Kurz und gut, dies ist ein kompak- tes, inhalts- und ideenreiches Buch, an dem der Weg keines an Evolutionsfragen interes- sierten Biologen vorbeifuhren sollte. W. Wieser, Innsbruck Vom Werden zum Sein. Energetische und soziale Aspekte der Evolution. Von W. Wie- ser. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg 1989. 146 Seiten. D M 38,-. ISBN 3-489- 64 134-5. Zum Thema Evolution sind in den letzten Jahren zahlreiche Buchveroffentlichungen erschienen; manche werden marktschreie- risch angekundigt und versprechen ganz neue Einsichten in das Geschehen der Entfaltung des Lebens auf der Erde. Beim Lesen stellt sich dann Ernuchterung ein: Die propagierte neue Theorie war schon vor Jahrzehnten be- kannt (nur die Nomenklatur ist jetzt eine neue), oder sie basiert auf Miflverstandnissen bzw. unzureichender Kenntnis des aktuellen Kenntnisstandes. Auf der anderen Seite ve;- miflt man bei mancher Darstellung kompe- tenter Autoren aber den Hinweis auf ungelo- ste Probleme in der Evolution (derer es zahl- reiche und schwerwiegende gibt). In dem Buch von Wolfgang Wieser sind nun Sachkompetenz und Problembewuatsein in erfreulicher Weise kombiniert. Der Inhalt gliedert sich in neun Kapitel (,,essays"), von denen jedes fur sich stehen konnte und die zum wesentlichen Teil auch schon publiziert wurden. Es geht zum Beispiel um die Entfal- tung des Individuums aus der Keimbahn, um den Energieverbrauch von Organismen bis zu Stadten, die Tragfahigkeit der Erde, die Evolution sozialer Strukturen, Gleichge- wichte in der Natur, Moglichkeiten und Grenzen der Okologie und schliefllich um humanistische und naturwissenschaftliche Bildung. Der Stil ist klar und knapp, Langen - wie in manchen zeitgenossischen Darstel- lungen der Evolution - gibt es nicht. Ein zentrales Problem der Evolution liegt darin, daR heute noch komplizierte neben einfachen Organismen existieren. Evolution kann also keineswegs - wie FS oft gemacht wird - einfach als ,,Hoherentwicklung" be- schrieben werden. Unter Hinweis auf Daw- kin's Vorstellungen vom Genegoismus spricht Wieser von ,,zwei Evolutionen", der einen, ,,deren Ziel der Gewinn der geneti- schen Unsterblichkeit ist", und der anderen, ,,deren Ziel die Erhohung der Leistungsfahig- keit und Differenzierheit sterblicher Indivi- duen zu sein scheint". Ein weiteres - ungelo- stes - Problem ist die so aufierordentlich un- terschiedliche Geschwindigkeit der Evolu- tion einzelner Taxa. Auch hierzu wird etwas gesagt. Immer wieder kommt der Autor auch auf Probleme unserer eigenen Evolution und bringt dazu wichtige Gesichtspunkte (z. B. uber r- und K-determinierte Phasen, zur Stei- gerung des K-Wertes, zu verschiedenen Me- chanismen der Dichteregulation, zur Gro- genabhangigkeit des Energieverbrauchs in Stadten sowie zu den moglichen Grenzen des Wachstums). Die Abschnitte uber Moglichkeiten und Grenzen der Okologie und uber Bildung sind schliei3lich so allgemein, dai3 sie auch fur Umwelt- und Bildungspolitiker eine sachli- che und inhaltsreiche Aufklarung darstellen. Nach den eingangs erwahnten ,,zwei Evolu- tionen" ist hier von den ,,zwei Kulturen" (im Sinne Snow's) die Rede. Beides mussen wir kennen und verstehen, wenn ,,die Entfaltung des Seins aus dem Werden" nicht nachhaltig gestort werden SOIL Eine empfehlenswerte Neuerscheinung, die zum Nachdenken an- regt. Volker Storch, Heidelberg Tiere unserer Gewasser. Merkmale, Biolo- gie, Lebensraum, Gefahrdung. Von Herbert W. Ludwig. BLV-Bestimmungsbuch, BLV- Verlagsgesellschaft mbH, Munchen, Wien, Zurich 1989. DM 39,80. ISBN 3-405-13379-3. Vorweg sei gesagt, daR dieses Buch eine Lucke auf dem deutschsprachigen Bucher- markt fullt, weil es neben den Beschreibun- gen und Abbildungen der Tiere auch eine Fulle von Informationen uber den Lebens- raum ,,Suflwasser", seine okologischen Gege- benheiten und seine mannigfachen Gefahr- dungen bringt. Der allgemeine Teil behandelt die Kapitel ,,Vom Wasser" (Eigenschaften des SuRwas- sers, Wasserkreislauf, Wasserverbrauch), ,,Ge- wassertypen" (Quellen, Bache und Flusse, Tiimpel, Weiher, Teiche, Seen und Moore mit ihren charakteristischen Eigenschaften), ,,Sammelgerate und Gewasseranalyse" (ein- fache Sammelgerate und -methodcn, leicht durchzufuhrende chemische und physikali- sche Analysemethoden), ,,Rote Liste und Na- turschutz" (Artenschutz, Gefahrdungskate- gorien, Biotopgestaltung und -vernetzung), ,,Gewassergute und Saprobiensystem" (An- leitung zum Bestimmen der Gewassergute mittels der bei den Artbeschreibungen ange- gebenen Werte fur Saprobienindex und Indi- kationsgewicht), ,,Einleitung zu den behan- delten Tiergruppen" (allgemeine Angaben uber Bauplanmerkmale, Lebensweise und Entwicklung) und schliel3lich einen ,,verein- fachten Schlussel zum Bestimmen der behan- delten Gruppen von Suawassertieren". Im Bestimmungsteil werden uber 330 Arten mitteleuropaischer Suawassertiere prazis und verstandlich beschrieben. Die Beschreibung wird erganzt durch wissenswerte Angaben uber Lebensraum, Lebensweise, geographi- sche Verbreitung und Hinweise auf ahnliche Arten. Neben der Erwahnung von Sapro- 144 Biologie in unserer Zeit / 19. Jahrg. 1989 / Nu. 4

Vom Werden zum Sein. Energetische und soziale Aspekte der Evolution. Von W. Wieser. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg 1989. 146 Seiten. DM 38,–. ISBN 3-489-64134-5

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Page 1: Vom Werden zum Sein. Energetische und soziale Aspekte der Evolution. Von W. Wieser. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg 1989. 146 Seiten. DM 38,–. ISBN 3-489-64134-5

Bucher

Ausubung strikter Kontrollen durchsetzbar erscheint. Die ontogenetischen Prozesse re- zenter Organismen geben auf vielfache Weise Kunde von dieser Verlagerung des Angriffs- punktes der Selektion. Die Manover von Zellcn und Organanlagen im Entwicklungs- geschehen, jene ratselhaften Einfaltungen, Einwanderungen, Abschnurungen, Uber- wachsungen, Verschmelzungen und Induk- tionen lassen die Langwierigkeit des Prozes- ses erahnen; sie dokumentieren die Ver- schlungenheit der Wege, auf denen die Kon- kurrenz zwischen Zellinien durch den Kontrollmechanismus der somatischen Dif- ferenzierung gebandigt und dem Prinzip der Arbeitsteilung untergeordnet wurde. Erst am Ende einer langen Phase der Evolution kam es zu jener sauberlichen Trennung von Soma und Keimbahn, von der im Gefolge von Au- gust Weismann viele Biologen dieses Jahrhun- derts meinten, sie ware gewissermafien das sine qua non der Evolution. Leo W. Buss weist uberzeugend nach, dai3 ein Grogteil der Schwierigkeiten des Neodarwinismus oder der ,,synthetischen Theorie" auf die kritik- lose Ubernahme der Keimplasmatheorie so- wie auf die Vorstellung vom Individuum als der einzig relevanten Einheit der Selektion zuruckzufuhren ist. Theorien wie die der Ver- erbung erworbener Eigenschaften und der Gruppenselektion erhalten vollig neue Be- deutungsinhalte, wenn sie als wesentliche Elemente einer allgemeinen Theorie der Evo- lution von der Einzelzelle zum Individuum erkannt werden, eine Erkenntnis, die unsere Ansichten uber die Veranderungen von Indi- viduen unter den gestaltenden Kraften der naturlichen Selektion maflgeblich beeinflus- sen sollte. Kurz und gut, dies ist ein kompak- tes, inhalts- und ideenreiches Buch, an dem der Weg keines an Evolutionsfragen interes- sierten Biologen vorbeifuhren sollte.

W. Wieser, Innsbruck

Vom Werden zum Sein. Energetische und soziale Aspekte der Evolution. Von W. Wie- ser. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg 1989. 146 Seiten. D M 38,-. ISBN 3-489- 64 134-5.

Zum Thema Evolution sind in den letzten Jahren zahlreiche Buchveroffentlichungen erschienen; manche werden marktschreie- risch angekundigt und versprechen ganz neue Einsichten in das Geschehen der Entfaltung des Lebens auf der Erde. Beim Lesen stellt

sich dann Ernuchterung ein: Die propagierte neue Theorie war schon vor Jahrzehnten be- kannt (nur die Nomenklatur ist jetzt eine neue), oder sie basiert auf Miflverstandnissen bzw. unzureichender Kenntnis des aktuellen Kenntnisstandes. Auf der anderen Seite ve;- miflt man bei mancher Darstellung kompe- tenter Autoren aber den Hinweis auf ungelo- ste Probleme in der Evolution (derer es zahl- reiche und schwerwiegende gibt).

In dem Buch von Wolfgang Wieser sind nun Sachkompetenz und Problembewuatsein in erfreulicher Weise kombiniert. Der Inhalt gliedert sich in neun Kapitel (,,essays"), von denen jedes fur sich stehen konnte und die zum wesentlichen Teil auch schon publiziert wurden. Es geht zum Beispiel um die Entfal- tung des Individuums aus der Keimbahn, um den Energieverbrauch von Organismen bis zu Stadten, die Tragfahigkeit der Erde, die Evolution sozialer Strukturen, Gleichge- wichte in der Natur, Moglichkeiten und Grenzen der Okologie und schliefllich um humanistische und naturwissenschaftliche Bildung. Der Stil ist klar und knapp, Langen - wie in manchen zeitgenossischen Darstel- lungen der Evolution - gibt es nicht.

Ein zentrales Problem der Evolution liegt darin, daR heute noch komplizierte neben einfachen Organismen existieren. Evolution kann also keineswegs - wie FS oft gemacht wird - einfach als ,,Hoherentwicklung" be- schrieben werden. Unter Hinweis auf Daw- kin's Vorstellungen vom Genegoismus spricht Wieser von ,,zwei Evolutionen", der einen, ,,deren Ziel der Gewinn der geneti- schen Unsterblichkeit ist", und der anderen, ,,deren Ziel die Erhohung der Leistungsfahig- keit und Differenzierheit sterblicher Indivi- duen zu sein scheint". Ein weiteres - ungelo- stes - Problem ist die so aufierordentlich un- terschiedliche Geschwindigkeit der Evolu- tion einzelner Taxa. Auch hierzu wird etwas gesagt.

Immer wieder kommt der Autor auch auf Probleme unserer eigenen Evolution und bringt dazu wichtige Gesichtspunkte ( z . B. uber r- und K-determinierte Phasen, zur Stei- gerung des K-Wertes, zu verschiedenen Me- chanismen der Dichteregulation, zur Gro- genabhangigkeit des Energieverbrauchs in Stadten sowie zu den moglichen Grenzen des Wachstums).

Die Abschnitte uber Moglichkeiten und Grenzen der Okologie und uber Bildung sind

schliei3lich so allgemein, dai3 sie auch fur Umwelt- und Bildungspolitiker eine sachli- che und inhaltsreiche Aufklarung darstellen. Nach den eingangs erwahnten ,,zwei Evolu- tionen" ist hier von den ,,zwei Kulturen" (im Sinne Snow's) die Rede. Beides mussen wir kennen und verstehen, wenn ,,die Entfaltung des Seins aus dem Werden" nicht nachhaltig gestort werden SOIL Eine empfehlenswerte Neuerscheinung, die zum Nachdenken an- regt.

Volker Storch, Heidelberg

Tiere unserer Gewasser. Merkmale, Biolo- gie, Lebensraum, Gefahrdung. Von Herbert W. Ludwig. BLV-Bestimmungsbuch, BLV- Verlagsgesellschaft mbH, Munchen, Wien, Zurich 1989. D M 39,80. ISBN 3-405-13379-3.

Vorweg sei gesagt, daR dieses Buch eine Lucke auf dem deutschsprachigen Bucher- markt fullt, weil es neben den Beschreibun- gen und Abbildungen der Tiere auch eine Fulle von Informationen uber den Lebens- raum ,,Suflwasser", seine okologischen Gege- benheiten und seine mannigfachen Gefahr- dungen bringt. Der allgemeine Teil behandelt die Kapitel ,,Vom Wasser" (Eigenschaften des SuRwas- sers, Wasserkreislauf, Wasserverbrauch), ,,Ge- wassertypen" (Quellen, Bache und Flusse, Tiimpel, Weiher, Teiche, Seen und Moore mit ihren charakteristischen Eigenschaften), ,,Sammelgerate und Gewasseranalyse" (ein- fache Sammelgerate und -methodcn, leicht durchzufuhrende chemische und physikali- sche Analysemethoden), ,,Rote Liste und Na- turschutz" (Artenschutz, Gefahrdungskate- gorien, Biotopgestaltung und -vernetzung), ,,Gewassergute und Saprobiensystem" (An- leitung zum Bestimmen der Gewassergute mittels der bei den Artbeschreibungen ange- gebenen Werte fur Saprobienindex und Indi- kationsgewicht), ,,Einleitung zu den behan- delten Tiergruppen" (allgemeine Angaben uber Bauplanmerkmale, Lebensweise und Entwicklung) und schliel3lich einen ,,verein- fachten Schlussel zum Bestimmen der behan- delten Gruppen von Suawassertieren". Im Bestimmungsteil werden uber 330 Arten mitteleuropaischer Suawassertiere prazis und verstandlich beschrieben. Die Beschreibung wird erganzt durch wissenswerte Angaben uber Lebensraum, Lebensweise, geographi- sche Verbreitung und Hinweise auf ahnliche Arten. Neben der Erwahnung von Sapro-

144 Biologie in unserer Zeit / 19. Jahrg. 1989 / Nu. 4