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rhythmus zum Inhalt: Am Beispiel einer Ringeiibung wurden die inter-individuell unterschiedlichen Akzentspannen und Kon- zentrationsarten hinsichtlich objektiver Auf~enkriterien (Dynamographie/Video), vor al|em jedoch hinsichtlich subjektiver Faktoren untersucht. In einer ersten Explo- ration konnten hochsignifikante Zusam- menh~inge zwischen der Rhythmisierung und der ,Voreinstellung" der Vpn (n = 23) nachgewiesen werden. Die Arbeit befindet sich jedoch im Ausarbeitungsstadium und muB vor allem hinsichtlich der Lernthema- tik spezifiziert werden. Insgesamt spiegelten die Beit~ge die aktuel- len Forschungstrends im Bereich der Moto- rikforschung wider. Daher wurde auch in mehr als einem Fall das Spannungsfeld zwi- schen dem Mikrokosmos der Laborfor- schung und der sportlichen Makrowelt of- fensichtlich. Dies wurde vor allem dann au- genf~illig, wenn die durch Laborforschung gepriiften Theorien auf das komplexe Feld sportlichen Handelns iibertragen werden sollten. Integrative Ans~'tze (Handlungstheo- rie, Gestaltkreistheorie, Prozei~anthropolo- gie), die das sich bewegende Individuum in seinem Mesokosmos zum Gegenstand ha- ben, wurden -- wenn iiberhaupt -- nur sehr am Rande diskutiert. Ob und - wenn ja -- wie die Einzelergebnisse zu den zentralen Problemen der Motorikforschung noch in ein Ganzes, eine allgemeine Theorie sportli- cher Bewegung, integriert werden k6nnen -- diese spannende Diskussion land leider nicht statt: Angesichts der Fiille forschungs- methodischer Einzelfragen wurde auf eine (urspriinglich vorgesehene) Diskussion er- kenntnistheoretischer Probleme verzichtet. Insgesamt war die Veranstaltung fiir alle Teil- nehmer sicherlich ein Gewinn; die Intensi- t~it, mit der die Diskussionen gefiihrt wur- den, ist hierfiir ein klares Indiz. Es ist zu hoffen, datg derartige Chancen zu Orientie- rung, Information und Fortbildung h~iufiger geboten werden. B. GR/SBEN Berichte .Von den Philanthropisten bis zu den Burschenschaftsturnern -- die Anf~inge der modernen Leibesiibungen in Deutschland" Jahrestagung der Sektion Sportgeschichte in der DVS vom 14. bis 17. Mai 1992 in Rein- hardsbrunn/Thiiringen Die Sektion Sportgeschichte in der DVS hat- te sich fiir ihre Jahrestagung 1992 einen fiir Sporthistoriker besonders wiirdigen Ort aus- gesucht: Reinhardsbrunn in Thiiringen, in unmittelbarer N~ihe von Schnepfenthal, der Wiege der modernen Leibeserziehung in Deutschland. Die Salzmannschule in Schnepfenthal steht heute noch -- fast -- ge- nauso da wie vor 200 Jahren, als S^LZ~Ama und GLrTsMtrr~s ihre Z6glinge nach phi- lanthropischen Prinzipien ,verniinftig" und ,natiirlich" zu erziehen versuchten. Nicht weit davon liegen weitere zentrale turn- und sporthistorische Orte, deren Besichtigung fiir die Tagungsteilnehmer/innen ebenfalls zum Programm geh6rte: die Wartburg und der Wartenberg, wo die Turner und Bur- schenschafter im Oktober 1817 das Wart- burgfest feierten, und schlielglich -- etwas welter entfernt - Freyburg an der Unstrut, wo Jahns Haus stand und heute ein Jahn- Museum zu besichtigen ist. In der Friedrich- Ludwig-Jahn-Ehrenhalle, umrahmt von tur- nerischen Traditionsfahnen und einem m~ichtigen Jahn-Standbild, land der letzte Teil der deutschen Sporthistoriker-Tagung 1992 statt. Der historisierende Rahmen pafke zum Ta- gungsthema. Abet trotzdem wurden die Sporthistoriker im fachlichen Teil der Ver- anstaltung vonder Gegenwart eingeholt; denn die Debatten in Reinhardsbrunn wur- den nicht nut yon JA~ta und GLrrsMtrrHs be- herrscht, sondern noch mehr von der Frage der Aufarbeitung der Sportgeschichte in der ehemaligen DDR. Fiir diese Auseinanderset- zung, die bereits vor zwei Jahren in Berlin 385

„Von den Philanthropisten bis zu den Burschenschaftsturnern — die Anfänge der modernen Leibesübungen in Deutschland“

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rhythmus zum Inhalt: Am Beispiel einer Ringeiibung wurden die inter-individuell unterschiedlichen Akzentspannen und Kon- zentrationsarten hinsichtlich objektiver Auf~enkriterien (Dynamographie/Video), vor al|em jedoch hinsichtlich subjektiver Faktoren untersucht. In einer ersten Explo- ration konnten hochsignifikante Zusam- menh~inge zwischen der Rhythmisierung und der ,Voreinstellung" der Vpn (n = 23) nachgewiesen werden. Die Arbeit befindet sich jedoch im Ausarbeitungsstadium und muB vor allem hinsichtlich der Lernthema- tik spezifiziert werden. Insgesamt spiegelten die Beit~ge die aktuel- len Forschungstrends im Bereich der Moto- rikforschung wider. Daher wurde auch in mehr als einem Fall das Spannungsfeld zwi- schen dem Mikrokosmos der Laborfor- schung und der sportlichen Makrowelt of- fensichtlich. Dies wurde vor allem dann au- genf~illig, wenn die durch Laborforschung gepriiften Theorien auf das komplexe Feld sportlichen Handelns iibertragen werden sollten. Integrative Ans~'tze (Handlungstheo- rie, Gestaltkreistheorie, Prozei~anthropolo- gie), die das sich bewegende Individuum in seinem Mesokosmos zum Gegenstand ha- ben, wurden -- wenn iiberhaupt -- nur sehr am Rande diskutiert. Ob und - wenn ja -- wie die Einzelergebnisse zu den zentralen Problemen der Motorikforschung noch in ein Ganzes, eine allgemeine Theorie sportli- cher Bewegung, integriert werden k6nnen -- diese spannende Diskussion land leider nicht statt: Angesichts der Fiille forschungs- methodischer Einzelfragen wurde auf eine (urspriinglich vorgesehene) Diskussion er- kenntnistheoretischer Probleme verzichtet. Insgesamt war die Veranstaltung fiir alle Teil- nehmer sicherlich ein Gewinn; die Intensi- t~it, mit der die Diskussionen gefiihrt wur- den, ist hierfiir ein klares Indiz. Es ist zu hoffen, datg derartige Chancen zu Orientie- rung, Information und Fortbildung h~iufiger geboten werden. B. GR/SBEN

Berichte

.Von den Philanthropisten bis zu den Burschenschaftsturnern -- die Anf~inge der modernen Leibesiibungen in Deutschland"

Jahrestagung der Sektion Sportgeschichte in der DVS vom 14. bis 17. Mai 1992 in Rein- hardsbrunn/Thiiringen

Die Sektion Sportgeschichte in der DVS hat- te sich fiir ihre Jahrestagung 1992 einen fiir Sporthistoriker besonders wiirdigen Ort aus- gesucht: Reinhardsbrunn in Thiiringen, in unmittelbarer N~ihe von Schnepfenthal, der Wiege der modernen Leibeserziehung in Deutschland. Die Salzmannschule in Schnepfenthal steht heute noch -- fast -- ge- nauso da wie vor 200 Jahren, als S^LZ~Ama und GLrTsMtrr~s ihre Z6glinge nach phi- lanthropischen Prinzipien ,verniinftig" und ,natiirlich" zu erziehen versuchten. Nicht weit davon liegen weitere zentrale turn- und sporthistorische Orte, deren Besichtigung fiir die Tagungsteilnehmer/innen ebenfalls zum Programm geh6rte: die Wartburg und der Wartenberg, wo die Turner und Bur- schenschafter im Oktober 1817 das Wart- burgfest feierten, und schlielglich -- etwas welter entfernt - Freyburg an der Unstrut, wo Jahns Haus stand und heute ein Jahn- Museum zu besichtigen ist. In der Friedrich- Ludwig-Jahn-Ehrenhalle, umrahmt von tur- nerischen Traditionsfahnen und einem m~ichtigen Jahn-Standbild, land der letzte Teil der deutschen Sporthistoriker-Tagung 1992 statt. Der historisierende Rahmen pafke zum Ta- gungsthema. Abet trotzdem wurden die Sporthistoriker im fachlichen Teil der Ver- anstaltung vonder Gegenwart eingeholt; denn die Debatten in Reinhardsbrunn wur- den nicht nut yon JA~ta und GLrrsMtrrHs be- herrscht, sondern noch mehr von der Frage der Aufarbeitung der Sportgeschichte in der ehemaligen DDR. Fiir diese Auseinanderset- zung, die bereits vor zwei Jahren in Berlin

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begonnen hatte, aber nicht konsequent wei- tergeffihrt wurde, bot sich reichlich Gelegen- heit und Anlafl. Fast die gesamte Riege der ideologisch mehr oder weniger belasteten friiheren DDR-Sporthistoriker war auf der Tagung anwesend, yon Lothar SXORNING tiber Hans SIMON bis zu Giinter WO~n~/~BER- GERund sogar Klaus ULLVaCtt (Huhn), dem friiheren Sportchef des .Neuen Deutsch- land", war mit von der Partie Von den -- ausschlief~lich -- eingeladenen acht Referen- ten stammten fiinf aus den neuen Bundesl~in- dern, die im tibrigen alle - aus unterschied- lichen Griinden, bis hin zur Stasi-T?itigkeit - - beruflich ausgeschieden sin& Nachdem Willi SCNRODE¢, der GuTsMuTHS- und JAm~-Experte der friiheren DDR, wegen einer schweren Erkrankung absagen muflte und an seiner SteUe Hajo BERNErr referierte, wurde das Verh~ilmis zwar wieder etwas aus- geglichen, aber das berechtigte Stirnrunzeln einzelner Tagungsteilnehmer/innen fiber die Zusammensetzung der Referentenliste lieg sich deshalb trotzdem nicht gl~itten. Dem improvisiert-geplanten BERNETT-Vor- trag kam eine Schltisselstellung zu. Er be- sch~iftigte sich zwar .nur" mit GuTsMuTHS' zweiter Auflage der .Gymnastik ftir die Ju- gend" aus dem Jahr 1804, aber daran entztin- dete sich -- yon BERNETV sicher beabsichtigt - - die spannendste und heftigste Diskussion der ganzen Tagung: Wie gingen die DDR- Sporthistoriker mit Sportgeschichte um? Wie wurden JAtiN und GuvsMtrms rezi- piert? Wie ist dieses Geschichtsbild heute zu bewerten? BERNETT hatte an seiner Haltung zu diesen Fragen nie einen Zweifel gelassen. Sein Vorwurf der .Geschichtspropaganda", den er bereits vor zwei Jahren an die Adresse der alten .Kollegen" aus der ehemaligen DDR gerichtet hatte, bleibt bestehen. Mit dem Zusammenbruch des .Weltkommunis- mus", so BER~rr, habe sich auch das .teleo- logisch orientierte Geschichtsbild", die .Ge- schichtsmythologie" der alten DDR-Sport- geschichte, als ,,Phantom" erwiesen; sie sei

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schlicht falsifiziert worden. Hier sei es nicht um die kritische und m6glichst objektive Suche nach der .historischen Wirklichkeit" gegangen, sondern Geschichte sei als Propa- ganda ge- und mifibraucht worden, als Mit- tel, um die .fortschrittlichen" und .guten" Traditionen der deutschen Geschichte -- aus der Sicht der DDR -- allein fiir die DDR zu vereinnahmen und alles .Schlechte" und .Reaktion~ire" dem Westen zu tiberlassen: so geschehen bei GuTsMtrrtls, dem .Grof~- und Erzvater" des deutschen Turnens, und -- wie Wolfhard FROST aus Halle in seinem Referat fiber die Rezeptionsgeschichte J^•Ns in der DDR ausftihrte -- auch im Falle des .Turnva- ters" Geschichte sei als .Auftrag" miflver- standen worden, die realsozialistische Ge- genwart zu legitimieren..Die Geschichte er- teilt bekanntlich keine Auftr~ge. meinte B~,r~rr, ,sondern allenfalls Lektionen den- jenigen, die willkiirlich mit ihr schalten und waken". Das heifle nicht, dag alles, was in der DDR in der Sportgeschichte geschrieben und geleistet wurde, heute in den Mall der Geschichte geh6re, aber da der ideologische Zugriff generell gegolten habe und yon oben verordnet worden sei, verdiene diese DDR- Rezeptionsgeschichte in Zukunft besonders kritisches Interess~ Wie sah die DDR-.Erbe-Aneignung" im Fall des .genius loci" eben GuTsMUTHS', aus? BERNErr ging Yon einem gewagten Vergleich aus: Wie 1939, als die Nationalsozialisten in Schnepfenthal den I00. Todestag von Gtrrs- Muxtts ftir ihre Zwecke ideologisch nutzten, genauso sei es unter umgekehrten, antifa- schistischen Vorzeichen 20 Jahre sp~iter, aus Anlall des 200. Geburtstags des ersten syste- matischen Leibeserziehers 1959, geschehen, .Er ist unser!" wurde den westdeutschen Kritikern dieser DDR-GutsMuths-Feier hin- tibergerufen und GuvsMuTHS als Vork~imp- fer der sozialistischen K6rperkultur und des Sozialismus insgesamt gefeiert -- einschlief~- lich seiner praktischen und theoretischen Vorleistungen in Sachen Wehrerziehung.

Berichte

Aus heutiger Sicht des Jahres 1992 stellten sich die Ma~tiibe zur Beurteilung Gtrrs- MuTHs' und seines Werks in Theorie und Praxis anders, hoffentlich differenzierter dar. GtrrsMtrr/~s' Entwickiung vom aufgekt~ir- ten Menschenerzieher zum vaterliindischen Erzieher und Wehrerzieher zeige sich bereits in der zweiten Auflage seines .Gymna- stik"-Buchs von 1804 und gipfele in seinem ,Turnbuch fi~r die S6hne des Vaterlandes" aus dem Jahr 1817. Sie seien in der DDR- Sporthistoriographie als ,Wegzeichen auf der Strat~e des Fortschritts" hin zum ,Sieg des Sozialismus" gefeiert worden. Aber dieser Fortschritt k6nne heute kaum mehr als soI- cher wahrgenommen werden. Gu~MtrrHs habe seine ,rein erziehliche Gymnastik" po- litisch instrumentalisiert und einem solda- tisch gep~gten Turnen Vorschub geleistet. Im Anschluf~ an das B~R/~E~-Referat entziin- dete sich eine heftige Diskussion, well sich die angesprochenen Kollegen aus der ehema- ligen DDR gegen eine .einseitige" Verurtei- lung der Leistungen der DDR-Sportge- schichte wandten. WOYNEB~RGER behauptete sogar, daf~ der Begriff .Geschichtspropagan- da" keineswegs negativ gebraucht, sondern gegenfiber dem der .Geschichtsagitation" als legitime Form des Umgangs mit Geschichte verstanden worden sei. Die Sportgeschichts- forschung in der DDR, auch in bezug auf GLrrsMuws und JARN, sei nicht selten sogar gegen DDR-staatliche Widerst~inde durchge- setzt worden. Diese Debatte um die Aufarbeitung der DDR-Sportgeschichte war zwar in der Ta- gungsplanung nicht vorgesehen, sie lief~ sich aber auch nicht verhindern. Vielmehr zeigte sich ein grof~er Nachholbedarf; denn sowohl die grunds~itzliche Frage nach der politi- schen Indienstnahme yon Wissenschaft all- gemein und von Sportgeschichte speziell als auch das Problem der Verantwortung und Schuld einzelner Personen und die Auf- deckung der Strukturen, die zu diesem Urn- gang mit Geschichte ffihren konnten, ent-

scheiden dariiber, wie Sportgeschichte in Deutschland in Zukunft aussehen wird. Die- se Diskussion zog sich wie ein roter Faden dutch die ganze Tagung und wurde vor al- lem am letzten Tag in Freyburg versdirkt aufgegriffen. Anlal~ waren die Vort~ge von FRosT fiber die JAHN-Rezeption in der DDR und von Walter SCHMI,T aus Berlin fiber die .Erbe-Rezeption" in der DDR-Geschichts- wissenschaft generell. Die Tagungsleitung hatte es leider vers~iumt, zur Person der Referenten, die den meisten West-Kollegen nicht bekannt waren, einzu- ffihren. Dies w~ire yon grof~em Interesse ge- wesen; denn zumindest im Fall ,Sc~i~r" handelte es sich nicht um irgendeinen Histo- riker aus der ehemaligen DDR, sondern um den frfiheren Direktor des Instituts fiir All- gemeine Geschichte in der Akademie der Wissenschaften der DDR und Leiter des Lehrstuhls fur Geschichte am Institut fiir Ge- sellschaftswissenschaften beim ZK der SED, also um jemand, der den Kurs friiher auch wissenschaftspotitisch mitbestimmte und zu verantworten hatte. SCHMt~r versuchte dar- zulegen, dat~ innerhalb des von der SED- Staats- und Parteiffihrung vorgegebenen en- gen Rahmens Spiel~ume fiir eine differen- ziertere Besch~iftigung mit der Geschichte genutzt worden seien. Diese M6glichkeit ha- be sich mit dem Beginn der Entspannungs- politik in den 70er Jahren geboten. Zwei Be- griffe stfinden ffir diese Entwicklung, zum einen der Begdff Tradition, mit dem die ge- zielte Auswahl spezifischer historischer The- men und Epochen gekennzeichnet wurde, und zum andern der Begriff Erbe, der die Gesamtheit der historischen Hinterlassen- schaft bedeutet habe Dieses neue Erbe-Ver- st~indnis in der DDR habe eine deutliche Verbreiterung der Themen und Methoden in der Geschichtsforschung der DDR mit sich gebracht. Nicht mehr nur Revolutions- geschichte, Geschichte der Arbeiterbewe- gung und DDR-Geschichte seien jetzt be- handelt worden, sondern der Blick babe sich

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Ber/chte

sowohl auf ~iltere Epochen als auch auf die Geschichte der herrschenden Schichten und auf regionale Aspekte der Geschichte rich- ten k6nnen. Beispielsweise seien Luther-For- schung und -Rezeption in der DDR nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken gewesen, dat~ die DDR nach wie vor ein vom Prote- stantismus gep~gtes Land war. Ziel dieses et- was differenzierteren Umgangs mit Ge- schichte sei es aber letztlich gewesen, die DDR als alternatives Deutschland zu legiti- mieren. Insofern blieben auch die Historiker in der DDR, die sich um eine Auflockerung der starren Dogmen in der DDR-Historio- graphie bemfihten, dem System eng verbun- den, sie trugen sogar erheblich zu seiner Sta- bilisierung bei. Dieses positive Bild der DDR-Geschichtswissenschaft, das SCHMIDT gezeichnet hatte, wurde nicht zuletzt von den jiingeren Ost-Kollegen bezweifelt, die nicht in der ersten Reihe gestanden hatten. Er habe am Ende seiner Ausbildung nicht den Eindruck gehabt, meinte Thomas GRXSSLER aus Leipzig, dat~ seine Lehrer und Professoren dazu beigetragen h~itten, sein Geschichtsverst~indnis aufzulockern und zu erweitern. Die Auseinandersetzung mit der DDR- Geschichts- und Sportgeschichtsforschung war die eine Seite der Tagung, die andere war die etwas rasche und unpolitische Hinwen- dung zu speziellen Sachthemen der Sportge- schichte Dies gilt nicht nur ffir den als Hauptredner geladenen Westberliner .Sportphilosophen" Eugen K6NIG, der sich beinahe eineinhalb Stunden fiber das K6r- perverst~indnis bei PLea'ON und GuTsMtrrHs ausliet~ und vor lauter Philosophieren kei- nen Gedanken mehr an historisch-politische Zusammenh~inge verschwendete- Es gilt auch ffir Harald B~uN aus Bremen, der

fiber den sp~iten JAHN referierte, und fiir Karl-Heinz SCHODOK aus Bielefeld, der sich mit der Leibes- und Wehrerziehung in der preut~ischen Reform-,~.ra yon 1806 bis 1811 besch~iftigte. Abet es gilt besonders ffir Siegfried ME~Hr~r aus Potsdam und ~ r Helmut As~us aus Magdeburg, die in ihren Beit~gen fiber die frfihe Turn- und Bur- schenschaftsbewegung in Jena und fiber das Wartburgfest nicht fiber ein enges, fachspezi- fisches Faktensammeln hinausgingen. Auf diese Weise entstand ein zwiesp~iltiger Gesamteindruck yon der ersten gesamtdeut- schen Sporthistoriker-Tagung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR: einerseits leidenschaftliche wissenschaftspolitische und wissenschaftshistorische Diskussionen fiber den Umgang mit der und die Aufarbei- tung der DDR-Sportgeschichte, und anderer- seits ein Riickfall in theorielose historisti- sche, um nicht zu sagen positivistische Sportgeschichtsschreibung, die sich im Faktensammeln ersch6pft und in Details verirrt. Die Sporthistoriker-Tagung in Reinhards- brunn war trotz heftiger Kritik, die in der Sektionsversammlung auch g~uf~ert wurde, ein beeindruckendes Erlebnis. Den Organi- satoren vor Oft und dem Sektionsvorstand ist daffir zu danken. Ffir die Sporthistoriker in Deutschland gibt es im n~ichsten Jahr viel zu tun: Ffir April 1993 steht anl~it~lich des 100. Griindungstags des Arbeiter-Tur- ner-Bundes eine grot~e Tagung iiber die Ge- schichte des Arbeitersports in Leipzig an; und im Juli finder in Berlin die Tagung der Internationalen Vereinigung fiir Sportge- schichte zum Thema ,Spiele der Welt -- Welt der Spiele" statt, die nicht nur fiir Fach- historiker/innen interessant werden dfirft~

M. KROGER

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