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KOPFZEILE FEHLT ! - 1 - von Hippel-Lindau (VHL) Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

von Hippel-Lindau (VHL) - ERKNet · 2018. 8. 22. · von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien

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  • KOPFZEILE FEHLT !

    - 1 -

    von Hippel-Lindau (VHL)Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Impressum:

    Herausgeber: Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien e.V.(http://www.hippel-lindau.de)

    Realisierung: Andreas Beisel (http://www.andreasbeisel.com)

    Herstellung Books on Demand GmbH, Norderstedtund Verlag: (http://www.bod.de)

    ISBN: 978-3-8391-7042-7

    Bezug über: Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien e.V.Gerhard Alsmeier • Rembrandtstraße 2 • D-49716 Meppen • Deutschland

    Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

    Meppen / München im September 2016

    Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes:Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechterspezifische Differenzierung, wiez. B. Patient/Patientinnen, verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehand-lung für beide Geschlechter.

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort Seite 5

    I. Krankheitsbeschreibung1. Übersicht Seite 92. Betroffene Organe Seite 152.1 Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae Seite 172.2 Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems Seite 232.3 Nierenkarzinom und Nierenzysten Seite 312.4 Phäochromozytome Seite 402.5 Neuroendokrine Tumore und Zysten der Bauchspeicheldrüse Seite 472.6 Innenohrtumoren Seite 652.7 Zystadenome der Nebenhoden und seltene Manifestationen Seite 683. Molekulargenetische Diagnostik und genetische Beratung Seite 704. Molekulare Grundlagen der VHL-Erkrankung Seite 805. Kontrolluntersuchungen Seite 876. Die VHL-Erkrankung im Kindes- und Jugendalter Seite 927. Radiologie / Nuklearmedizin Seite 968. Die von Hippel-Lindau-Krankheit im Schwarzwald Seite 1109. Eugen von Hippel und Arvid Lindau Seite 11310 Hilfe bei der Krankheitsbewältigung und Lebensplanung Seite 11411. Autorenverzeichnis Seite 119

    II. Soziale Themen und VHL-Selbsthilfe12. Versicherungen Seite 12513. Schwerbehinderung Seite 13014. Hinweise auf Spezialsprechstunden, Spezialambulanzen Seite 13615. VHL-Verein und Forschungsförderung Seite 13816. Weiterführende Hinweise und Links Seite 14317. Kontaktaufnahme mit der VHL-Selbsthilfe Seite 145

    III. VHL-Wörterbuch18. Medizinisch - genetisches Wörterbuch Seite 151

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien e.V.

    Meppen / München im September 2016

    Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

    schön, dass Sie sich die Zeit für „von Hippel-Lindau (VHL) - Eine patientenorientierteKrankheitsbeschreibung“ nehmen! Wir hoffen, dass Sie diese Lektüre bereichert.

    Die vorliegende Publikation ist eine Aktualisierung und Weiterentwicklung der patienten-orientierten Krankheitsbeschreibung aus dem Jahr 2010 und verfolgt zwei Ziele:

    - Zum einen soll sie Betroffene und ihre Angehörigen umfassend über die VHL-Erkrankung informieren, daher waren alle Autorinnen und Autoren sehr bemüht,die Beiträge in laiengerechter Sprache zu formulieren. Dies ist jedoch aufgrund derKomplexität mancher Themen nur bedingt möglich.

    - Daneben soll die Krankheitsbeschreibung aber auch Medizinern als Infor-mationsquelle dienen. Aus diesem Grund wurden Abbildungen typischer Befundezur Veranschaulichung in die Beiträge über die betroffenen Organe eingefügt undam Ende der Kapitel finden sich weiterführende Literaturhinweise.

    Eine Überarbeitung der patientenorientierten Krankheitsbeschreibung mit dem Wissens-stand von 2010 erschien uns notwendig, da die letzten Jahre neue Erkenntnisse sowohlfür Diagnostik als auch Therapie der VHL-Erkrankung gebracht haben. Die nun vorliegen-de Krankheitsbeschreibung gibt den Wissensstand für das Jahr 2016 wieder.

    Abschließend danken wir allen Autorinnen und Autoren ganz herzlich dafür, dass sie sichnicht nur die Zeit genommen haben, ihren Beitrag zu erstellen, sondern darüber hinausauch bereit waren, sich der Diskussion mit dem Vorstand der Selbsthilfegruppe zu stellen,

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    um einen aktuellen und verständlichen Artikel zu erarbeiten, der die Erfahrungen der Be-troffenen integriert. Nur durch das ehrenamtliche Engagement der Autorinnen und Auto-ren konnte die Krankheitsbeschreibung realisiert werden. Unser besonderer Dank gilt da-bei den Mitgliedern unseres wissenschaftlichen Beirats, die wir jederzeit um Rat ersuchenkonnten. Und schließlich sprechen wir der BARMER GEK unseren Dank aus, die Druckund Verbreitung der Krankheitsbeschreibung finanziell gefördert hat.

    (Gerhard Alsmeier) (Dagmar Rath)Vorsitzender Stellvertretende Vorsitzende

    Das Projekt "von Hippel-Lindau (VHL) - Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung" wird ermöglicht durch die Selbsthilfeförderung nach § 20 h SGB V der BARMER GEK.

    Verein VHL (von Hippel-Lindau) betroffener Familien e.V.

    Gerhard Alsmeier • Rembrandtstraße 2 • D-49716 Meppen • 05931-929552Email: [email protected] • Internet: www.hippel-lindau.de und www.vhl-europa.org

    Bankverbindung: Commerzbank MeppenIBAN: DE24 2664 0049 0579 9788 00 • BIC COBADEFFXXXVereinsregister-Nr.: VR 120590 beim Amtsgericht Osnabrück

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    I. Krankheitsbeschreibung

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    1. Übersicht

    Dr. Zschiedrich, Freiburg Überarbeitete Fassung von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Neumann, Freiburg

    ZusammenfassungDie von Hippel-Lindau-Erkrankung isteine genetische Erkrankung. Die ursäch-lichen Mutationen im VHL-Gen könnenvon den Eltern vererbt oder auch spon-tan aufgetreten sein. Durch den Gende-fekt kommt es zu Wucherungen von ge-fäßreichen Tumoren, die in der Netzhautdes Auges, im Zentralnervensystem (Ge-hirn, Rückenmark und Innenohr), denNieren, Nebennieren, in der Bauchspei-cheldrüse und den Nebenhoden bzw.den breiten Mutterbändern auftreten kön-nen. Die Diagnose wird anhand von klini-schen Kriterien und/oder einer geneti-schen Untersuchung gestellt. Hiernachsind regelmäßige Kontrolluntersuchun-gen an einem spezialisierten Zentrumvon großer Wichtigkeit, um medizinischeKomplikationen durch das Tumorwachs-tum - insbesondere der potentiell bösarti-gen Nieren- und Pankreastumoren - frühzeitig zu erkennen und nach Möglich-keit zu verhindern.

    EinführungDie von Hippel-Lindau (abgekürzt: VHL)Erkrankung ist eine genetische Erkran-kung, die also in den Erbanlagen Ein-gang durch ein zufälliges, Mutation ge-nanntes, Ereignis gefunden hat und wei-tervererbt werden kann. Dieser geneti-sche Defekt der intrazellulären Sauer-stoffregulierung kann zu blutgefäß-

    reichen Zellwucherungen führen. Diesetreten vor allem als Angiom in der Netz-haut des Auges, als Hämangioblastomim Gehirn oder Rückenmark, als end-olymphatische Sack-Tumoren (ELST) imInnenohr, als Nierenzellkarzinom, alsPhäochromozytom der Nebennieren, se-riöses Zystadenom/neuroendokriner Tu-mor der Bauchspeicheldrüse oder als pa-pilläres Zystadenom des Nebenhodensbzw. der breiten Mutterbänder auf. Ty-pisch für die VHL-Erkrankung ist das Auf-treten von mehreren dieser Tumoren, diewiederum selbst wiederholt (multipel)und bei paarigen Organen (Augen, Nie-ren, Nebennieren) beidseitig (bilateral)auftreten können.

    Eine seltene Erkrankung – eine dia-gnostische HerausforderungUngefähr jeder 36.000ste Mensch istTräger einer VHL-Erbanlage und somitBetroffener. Durch die Seltenheit, dievielgestaltige Erscheinungsform und dasvariierende Alter der Patienten bei Erst-auftreten der Erkrankung kann es mitun-ter sehr schwierig sein, die richtige Diag-nose zu stellen. Oft wird erst im Laufe ei-ner Krankengeschichte klar, dass es sichüberhaupt um eine VHL-Erkrankung han-deln könnte. Deshalb sollen hier nachfol-gend die wichtigsten Diagnose-Kriterienbeschrieben werden.

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    Kapitel 1. | Übersicht | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Familiäres Vorkommen, Geschlechtund AlterDie VHL-Erkrankung tritt typischerweisein Familien gehäuft auf. Sie folgt dabeieinem sog. autosomal-dominanten Erb-gang. Das bedeutet, dass beide Ge-schlechter betroffen sein können und kei-ne Generation übersprungen wird. DieWahrscheinlichkeit der Weitervererbungan ein Kind liegt bei 50 Prozent. Die Er-krankung tritt in der Regel bei den Betrof-fenen auch klinisch in Erscheinung. DieAusprägung ist jedoch stark variabel.

    Schon bei Geburt lässt sich die Mutationnachweisen. Tumoren treten aber erstmit zunehmendem Alter auf und haben inder Regel frühestens ab dem 6. Lebens-jahr Bedeutung. Die meisten Tumorenverursachen zwischen dem 15. und 35.Lebensjahr Krankheitszeichen (Sympto-me). Die Ausprägung der Erkrankung istbei Frauen und bei Männern ohne kli-nisch relevanten Unterschied. Die Alters-verteilung wird durch Abbildung 1 weiterverdeutlicht.

    Abbildung 1: Altersverteilung der Veränderungen von Augen (Angiomatosis retinae), ZNS, Nieren und Neben-nieren (Phäochromozytome) bei 337 Patienten mit von Hippel-Lindau-Erkrankung. Die Kurven stel-len eine sog. kumulierte Altersverteilung dar. Man kann entnehmen, mit welcher Wahrscheinlich-keit (Prozent) bei einem bestimmten Alter Veränderungen gesehen wurden.

    Die VHL-Erkrankung hat in jeder Familieeinen Anfang, d.h. eine Person, bei dersie zum ersten Mal auftritt. Häufig bleibtunklar, wer diese erste Person ist bzw.war. Bei dieser Person ist die Mutation

    zum ersten Mal vorhanden; solche Muta-tionen nennt man folglich auch Neu-(oder Spontan-)mutationen. Auch heutewerden immer wieder Neumutationen be-obachtet. Bei diesen Patienten wird be-

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    Kapitel 1. | Übersicht | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    dauerlicherweise nicht selten die VHL-Erkrankung recht spät erkannt. Es be-steht somit die besondere Herausforde-rung, bei erstmaligem Auftreten der VHL-typischen Tumoren zu prüfen, ob sieAusdruck der VHL-Erkrankung sind.

    Häufigkeit der betroffenen Organe undSchwere der ErkrankungBedeutsam ist, dass von Familie zu Fa-milie sich erhebliche Unterschiede für diebetroffenen Organe und Unterschiedezum Alter bei Auftreten der Veränderun-gen auch innerhalb einer Familie zeigen.Tabelle 1 zeigt eine mittlere Häufigkeits-verteilung betroffener Patienten.

    Tabelle 1: Häufigkeitsverteilung der Manifestationen. Man erkennt, dass es große Schwankungen gibt, diedurch die unterschiedlichen untersuchten Populationen der Studien und letztlich der individuellenAusprägung der VHL-Erkrankung resultieren. Die gezeigten Daten wurden einer publizierten Zu-sammenfassung aller Studien der Dänischen Koordinationsgruppe für VHL entnommen.

    Die Häufigkeitsverteilung berücksichtigtnicht die Zahl, die Größe und die Lokali-sation der Tumoren. Hiervon hängt je-doch die Schwere der Erkrankung ab.Auch hierbei besteht eine große Variabili-

    tät. Die VHL-Erkrankung kann somit alsharmlose Anomalie und auch als lebens-bedrohende Erkrankung mit allen Zwi-schenstufen auftreten. Hierin gehen aberauch Behandlungsfolgen ein. Ein allge-

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    Kapitel 1. | Übersicht | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    meiner Gradmesser zur zusammenfas-senden Schwerebeurteilung, in der alleEinzelmanifestationen eingehen, existiertallerdings nicht. Neben der punktuellen Beurteilung stelltdie dynamische Entwicklung, d.h. die Ak-tivität der Erkrankung mit der Beurteilungvon Tumorwachstum und Neuentstehungvon Tumoren einen weiteren Aspekt derSchwere der Erkrankung dar. Bedauerli-cherweise sind Voraussagen hierzuschwer möglich. Ein Marker, anhanddessen Konzentration im Blut sich dieSchwere der VHL-Erkrankung erkennenließe, existiert nicht.

    Diagnose und Klassifikation (Typen)der VHL-ErkrankungDie Diagnose von Hippel-Lindau Erkran-kung wird anhand klinischer Kriterien,d.h. den Tumormanifestationen und derFamilienbefunde gestellt. Alternativ oderergänzend ist bei begründetem Verdachtoder Familienzugehörigkeit zu VHL-Betroffenen eine molekulargenetischeUntersuchung möglich. Heute lassensich folgende Konstellationen als Mini-malkriterien unabhängig voneinander for-mulieren:

    Diagnosekriterien

    1.) Ein(e) Patient(in) mit1.1. einem Angiom der Netzhaut oder einem Hämangioblastom des ZNS plus1.2. einem Tumor in Auge, ZNS, Nieren, Nebennieren, Pankreas, Ohr,

    Nebenhoden/breite Mutterbänder. Anstatt dem 2. Tumor können Pankreaszysten stehen.

    2.) Zwei Blutsverwandte, von denen eine(r) ein retinales Angiom oder ein Hämangio-blastom des ZNS aufweist und der (die) zweite ein Kriterium entsprechend 1.2. zeigt.

    3.) Ein Patient mit einem Kriterium entsprechend 1.2. und einer VHL-Mutation.

    4.) Ein Mitglied einer VHL-Familie mit nachgewiesener Mutation, wie sie in dieser Familie bekannt ist.

    Traditionell unterscheidet man in Typender VHL-Erkrankung je nach Vorkommenvon Phäochromozytomen. Während frü-her mit bzw. ohne, d.h. ausschließlichesVorkommen bzw. Fehlen von Phäochro-

    mozytomen als Kriterien galten, ist diesinzwischen in dominierendem Vorkom-men bzw. weitestgehendem Fehlen vonPhäochromozytomen geändert worden.

    Typ 1: VHL (Familien) mit weitestgehendem Fehlen von Phäochromozytomen

    Typ 2: VHL (Familien) mit dominierendem Vorkommen von Phäochromozytomen

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    Kapitel 1. | Übersicht | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Typ 2A: VHL (Familien) wie Typ 2 mit weitestgehendem Fehlen von NierenkarzinomenTyp 2B: VHL (Familien) wie Typ 2 mit häufigem Auftreten von Nierenkarzinomen

    Typ 2C: VHL (Familien) mit dominierendem Auftreten von Phäochromozytomen, aber Fehlen aller anderen Organmanifestationen

    Symptome und TherapieEs gibt keine Symptome, die für die vonHippel-Lindau Erkrankung insgesamttypisch sind. Die Symptome entstehenvielmehr durch die einzelnen Tumoren inden verschiedenen Organen.

    Diagnostik und Therapie richten sich so-mit auf die Einzelkomponenten aus. Hierfolgen alle Möglichkeiten dem techni-schen Fortschritt der einzelnen Diszipli-nen. Die Betroffenen nehmen somit anden Entwicklungen der modernen Medi-zin teil. Genannt seien Kernspintomo-graphie, atraumatische Neurochirurgie,nierenerhaltende Karzinomchirurgie, en-doskopische NebennierenerhaltendeChirurgie.

    Immer noch sind viele Probleme unge-löst. Von zentralem Interesse ist dasfunktionelle Verständnis der genetischenStörung, was immer wieder zu der Frage

    einer medikamentösen Behandlung führt;eine Antwort ist weiterhin nicht ab-schließend gegeben. Komplikationen mitdauerhaften Gesundheitsstörungen ha-ben ihre Ursache entweder in der Erkran-kung selbst oder sind Behandlungsfolge.Erblindung, Lähmungen, neuropathischeSchmerzen, Metastasen von Nieren-oder Pankreastumoren stellen weiterhinHerausforderungen für Verbesserungender Behandlung dar. Ihnen stehen her-vorragende Behandlungserfolge gegen-über. In diesem Spannungsfeld steht dasLeben der Betroffenen mit ihren Ängstenund Wünschen. Eine optimale langfristi-ge Betreuung setzt ein Zentrum voraus,in dem eine gute interdisziplinäre Koordi-nation gewährleistet ist und möglichstalle modernen diagnostischen und thera-peutischen Verfahren zu Verfügung ste-hen.

    Literatur1. Lonser RR, Glenn GM, Walther M,Chew EY, Libutti SK, Linehan WM, OldfieldEH. von Hippel-Lindau disease. Lancet.2003;361:2059-67.

    2. Maher ER. Von Hippel-Lindau di-sease. Curr Mol Med. 2004;4:833-42

    3. Neumann HPH. Basic criteria for cli-nical diagnosis and genetic counselling inVon Hippel-Lindau syndrome. VASA1987;16:220-226

    4. Plate KH, Vortmeyer AO, Zagzag D,Neumann HP. WHO Classification of CNS tu-mors: Von Hippel-Lindau disease and hae-mangioblastoma. In: WHO Classification ofTumours of the Central Nervous System, EdsLouis DN, Ohgaki H, Wiestler OD, CaveneeWK IARC Press Lyon 2007

    5. Richard S; French VHL Study Group.Von Hippel-Lindau disease: recent advances

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    Kapitel 1. | Übersicht | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    and therapeutic perspectives. Expert Rev An-ticancer Ther. 2003;3:215-33113

    6. Maher ER, Neumann HPH, RichardS. von Hippel-Lidau disease: A clinical anscientific review. Eu J Human Genetics,2011;19:617-623

    7. Binderup ML, Bisgaard ML, Harbud Vet al.. Von Hippel-Lindau dieases. Nationalclinical guideline for diagnosis and sur-veillance in Denmark, 3rd Edition, Dan MedJ, 2013; 60(12)

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    Kapitel 1. | Übersicht | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    2. Betroffene Organe

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

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  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    2.1 Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae

    PD Dr. Kreusel, Berlin und Prof. Dr. Agostini, Freiburg

    ZusammenfassungAngiomatosis retinae bezeichnet Ge-fäßtumoren der Netzhaut, sogenanntekapilläre retinale Angiome. Diese bildenhäufig die erste klinische Erscheinungder VHL-Erkrankung und treten bei derMehrzahl der Betroffenen im Laufe desLebens auf. Da kapilläre retinale Angio-me meistens langsam wachsen und erstspät Symptome wie Sehverschlechte-rung oder Gesichtsfeldausfall verursa-chen, können sie durch regelmäßige au-genärztliche Vorsorgeuntersuchungenfrühzeitig entdeckt und häufig ohneNachteil für das Sehvermögen behandeltwerden. Die Standardtherapie für kleine-re Tumoren der mittleren und äußerenNetzhautbereiche ist die Laserbehand-

    lung. Für größere oder komplizierte An-giome bzw. Angiome im Bereich desSehnervenkopfes stehen verschiedeneweitere Behandlungsmöglichkeiten zurVerfügung.

    AllgemeinesIm Rahmen eines VHL-Syndroms tretenkapilläre retinale Angiome (andere Be-zeichnungen: retinale Hämangiolastome,Angiomatosis retinae, von Hippel-Tumo-ren) auf. Diese gutartigen Tumoren bil-den sich aus Gefäßzellen der Netzhautdes Auges. Retinale Angiome weisen inihrer Feinstruktur eine große Ähnlichkeitzu Hämangioblastomen des zentralenNervensystems auf.

    Abbildung 2: Großes peripheres retinales Angiom mit ausgeprägt erweiterten und geschlängelten Gefäßen. Ander Stelle des schärfsten Sehens (Makula) die am rechten Bildrand zu sehen ist, hat das Angiomzu einer Ablagerung von gelblichen Fettstoffen (Lipiden) geführt, die eine Sehverschlechterungverursachen.

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    Kapitel 2.1 | Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Die Angiome bilden sich häufig imAußenbereich (Peripherie) der Netzhaut(peripheres Angiom), seltener am Seh-nervenkopf (juxtapapilläres Angiom). DieBehandlung durch den Augenarzt richtetsich nach der Lokalisation des Angioms.

    Das periphere retinale Angiom kann vomAugenarzt meistens anhand seines typi-schen Aussehens erkannt werden. Klei-ne Angiome können zunächst wie einkleiner runder Blutfleck aussehen, ohnedass die zu- und abführenden Gefäßebesonders auffallen. Ein größeres Angi-om sieht in der Regel aus wie eineorangerote Kugel, die von stark erweiter-ten und geschlängelten Blutgefäßen ver-sorgt wird (Abbildung 2). Die aus einemgrößeren Angiom austretende Flüssigkeitkann sich unter der Netzhaut ansammelnund eine Netzhautablösung verursachen(seröse Amotio). Auch kann die Flüssig-keit unter der Netzhaut wandern und

    dann eine Netzhautschwellung (Ödem)oder Fettablagerungen (Lipidexsudate)bilden. Geschieht dies an der Stelle desschärfsten Sehens (Makulaödem), ver-mindert sich die Sehschärfe oder es tre-ten verzerrte Seheindrücke auf. Nebender Ansammlung von Flüssigkeit unterder Netzhaut kann es auch zur Ausbil-dung von Membranen auf der Netzhaut-oberfläche und im Glaskörperraum kom-men, welche den Befund zusätzlich kom-plizieren.

    Ein weniger typisches Erscheinungsbildzeigt das Angiom auf oder unmittelbarneben dem Sehnervenkopf (juxtapapillär)(Abbildung 3). Durch die Nähe des Seh-nervenkopfes zur Stelle des schärfstenSehens kann ein Flüssigkeitsaustritt auseinem juxtapapillären Angiom früh zurAnsammlung von Gewebswasser in derNetzhautmitte und damit zur Sehver-schlechterung führen.

    Abbildung 3:Am Rande des Sehnervenkopfes gelegenes (juxtapapilläres) Angiom. Durch einen Flüssigkeits-austritt aus dem Angiom ist es zu einer Schwellung der Netzhautmitte (Makulaödem) und dadurchzu einer Sehverschlechterung gekommen.

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    Kapitel 2.1 | Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    DifferentialdiagnostikRetinale Angiome treten nicht nur imRahmen eines VHL-Syndroms auf, son-dern können auch bei sonst gesundenPersonen vorliegen (sporadisches Angi-om). In diesem Fall findet sich immer nurein einzelnes Angiom. Sind mehr als einAngiom am Augenhintergrund zu finden,ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorlie-gen eines VHL-Syndroms groß; Zu-satzuntersuchungen bei Internisten undNeurologen sowie eine Mutationsanalysesind dann ratsam.

    VorsorgeuntersuchungenAugenärztliche Vorsorgeuntersuchungensollten durch einen Augenarzt durchge-führt werden, der Erfahrung in der Unter-suchung und Behandlung von VHL-Betroffenen hat, da gerade die Entde-ckung kleiner Angiome durch Übung er-leichtert wird. Voraussetzung für einegründliche Untersuchung der Netzhautist das Weitstellen der Pupille (Mydriasis)durch pupillenerweiternde Augentropfen.Die Pupillenerweiterung hält etwa 3 bis 4Stunden an, in dieser Zeit besteht Lese-und Fahruntüchtigkeit. Die Netzhaut-untersuchung (Funduskopie) kann danndurch ein Kontaktglas, welches auf diezuvor betäubte Hornhaut aufgesetzt wird,oder durch die „indirekte Funduskopie“erfolgen. Bei letzterer hält der Untersu-cher am ausgestreckten Arm eine Lupevor das Auge des Patienten und schautmit Hilfe einer Untersuchungsbrille oderder Spaltlampe in das Auge hinein. DieUntersuchungen sollten spätestens mitdem 5. Lebensjahr beginnen und jährlichwiederholt werden. Größere Abständesind unzweckmäßig, da die augenärztli-

    che Untersuchung einfach, gefahrlos undpreiswert ist. Auch andere Augenerkran-kungen, die häufiger als die Angiomato-sis retinae sind, werden somit früh er-kannt und können behandelt werden.Eine Vergrößerung der Intervalle odervölliges Einstellen der Untersuchung imAlter ist nicht zu empfehlen, da sich beieiner kleinen Zahl Patienten auch nochim höheren Alter neue Angiome bilden.Bei verdächtigen Befunden oder nachBehandlungen werden selbstverständlichkurzfristigere Kontrollen festgelegt. DieDiagnose retinaler Angiome erfordertmanchmal die Durchführung einer Fluo-reszein-Angiografie (FAG). Dabei wirdder Farbstoff Fluoreszein in eine Venegespritzt, um dann in alle Blutgefäße desKörpers, also auch in die retinalen Angio-me, verteilt zu werden. Mit einem Spezi-alfilter können die Angiome dann foto-grafiert und besonders deutlich sichtbargemacht werden.

    HäufigkeitEin Angiom der Netzhaut ist bei vielenMenschen mit VHL-Syndrom das erstewahrgenommene Zeichen der Erkran-kung. Zum Teil ist dies dadurch bedingt,dass ein retinales Angiom schon erhebli-che Beschwerden machen kann, wennes nur wenig größer als einen Millimeterist, während andere VHL-Veränderungenwie z.B. Kleinhirn- oder Rückenmarks-hämangioblastome dieser Größe nochnicht einmal sicher mit der Kernspinto-mographie nachweisbar sind, geschwei-ge denn irgendwelche Ausfälle verursa-chen. Der Zeitpunkt des ersten Auftre-tens retinaler Angiome kann innerhalb ei-ner betroffenen Familie sehr unterschied-

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    Kapitel 2.1 | Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    lich sein. Erstmals entdeckt werden sieam häufigsten zwischen dem 20. und 30.Lebensjahr. Angiome der Netzhaut kön-

    nen jedoch schon beim Kleinkind auftre-ten.

    Abbildung 4: Augenhintergrund unmittelbar nach Laserung dreier kleiner Angiome. Die Lasereffekte erscheinenzunächst weißlich bis sich nach etwa 14 Tagen eine pigmentierte Narbe ausbildet wie sie im obe-ren Bildbereich zu erkennen ist.

    TherapieDas häufigste Problem bei großen odersehr zentral gelegenen Tumoren ist dieschleichend einsetzende und schmerzlo-se Sehverschlechterung; der Patientsieht auf dem betroffenen Auge„nebelig“. Seltener ist der Ausfall des pe-ripheren Gesichtsfeldes durch eine Netz-hautablösung das erste Symptom einesAngioms. Da Angiome nur langsamwachsen, steht in der Regel ein längererZeitraum zur Verfügung, um ein Angiomdurch eine Routineuntersuchung schondann zu entdecken, wenn es noch kleinist und keine Beschwerden macht. Zwargibt es Angiome, die nachweislich übereinen langen Zeitraum nicht wachsenund also auch keine Probleme verursa-

    chen, aber für die Mehrzahl der Angiomeist davon auszugehen, dass ein Wachs-tum erfolgen wird. Daher ist eine soforti-ge Behandlung eines neu entdeckten An-gioms anzustreben. Ausgenommen hier-von sind Angiome am Sehnervenkopfund unter Umständen auch die sehr sel-tenen Angiome an der Stelle des schärfs-ten Sehens.Die Standardtherapie für kleine periphereAngiome ist die Laserbehandlung (Laser-koagulation) (Abbildung 4). Dabei wirddurch einen Laserstrahl ein Wärmeeffektim Bereich des Angioms erzeugt und die-ses zerstört. An der Stelle des Angiomsbildet sich dann eine Narbe welche dasSehen normalerweise nicht stört. Wäh-

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    Kapitel 2.1 | Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    rend bei kleinen Angiomen in der Regeleine einmalige Laserbehandlung für einevollständige Vernarbung ausreichend ist,können bei größeren Angiomen mehrereLaserbehandlungen erforderlich sein.Eine wichtige Voraussetzung für die Ent-deckung kleiner, peripherer Angiome ist -wie zuvor besprochen - die regelmäßigeVoruntersuchung durch einen mit demKrankheitsbild vertrauten Augenarzt. Ist ein Angiom für eine Laserbehandlungzu groß, kann eine Kältebehandlung(Kryotherapie) oder eine Rutheniumappli-katorbestrahlung sinnvoll sein. Ein Ru-theniumapplikator ist ein radioaktiv be-schichtetes Metallplättchen von derGröße einer Münze. Dieses wird an derStelle des Angioms auf den Augapfelaufgebracht, dort für einige Tage belas-sen und bewirkt eine Bestrahlung desAngioms unter Schonung anderer Struk-turen des Auges. In den folgenden Wo-chen und Monaten kommt es dann zu ei-ner langsamen Vernarbung des An-gioms. Die Rutheniumapplikatorbestrah-lung ist komplikationsärmer und effekti-ver bei der Behandlung größerer peri-pherer Angiome als die Laser- oder Käl-tetherapie, steht aber nur in wenigenspezialisierten Zentren (Essen, Berlin)zur Verfügung. Im Falle des Vorliegens oder Eintretenseiner Netzhautablösung, bei Sehver-schlechterung durch ein Häutchen (Mem-bran) auf der Netzhautoberfläche oderbei einer Glaskörperblutung kann eineOperation mit Entfernung des Glaskör-pers (Vitrektomie) erforderlich sein. Mitdiesem Verfahren kann direkt an derNetzhautoberfläche operiert werden, umMembranen von der Netzhaut zu entfer-

    nen oder auch Flüssigkeit unter der Netz-haut abzusaugen. Abschließend kann einErsatz des Glaskörpers durch Silikonölerforderlich werden, welches die Netz-haut dauerhaft an der Unterlage hält undso eine erneute Netzhautablösung ver-hindert. Eine Vitrektomie wird nur beischwierigen Fällen einer Angiomatosisretinae durchgeführt, sie kann in solchenFällen das Sehvermögen stabilisierenund eine Erblindung verhindern.

    Eine Sonderstellung nimmt das Angiomam Sehnervenkopf ein (juxtapapilläresAngiom). Durch seine Lage gestaltet sichdie Behandlung schwierig, denn es be-steht bei jeder Behandlungsart immerauch ein Risiko den Sehnerven zu schä-digen und dadurch eine Sehverschlech-terung und Gesichtsfeldausfälle zu verur-sachen. Juxtapapilläre Angiome werdenerst dann behandelt, wenn sie Beschwer-den verursachen. Es gibt vielfältige Vor-schläge zur Behandlung dieser Angiome,so z.B. die Laserbehandlung, die photo-dynamische Therapie (PDT; eine Be-handlung mittels eines lichtempfindlichenMedikamentes welches als Infusion ver-abreicht wird, sich im Angiom anreichertund dann durch einen Laserstrahl akti-viert wird), die Vitrektomie oder die Pro-tonenbestrahlung (Bestrahlung mit einemTeilchenstrahl von außen), ohne dassman eine generelle Empfehlung abgebenkönnte. Behandlungsansätze mit Medika-menten, die das Gefäßwachstum hem-men und in das Auge oder als Infusiongegeben werden (sog. VEGF-Hemmer),haben die in sie gesetzte Erwartungenbei der Behandlung der Angiomatosis re-tinae bisher nicht erfüllen können und

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    Kapitel 2.1 | Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    sind somit allenfalls Einzelfällen ohne an-dere Therapiemöglichkeit vorbehalten. Bei der Wahl des Therapieverfahrens istdie Erfahrung des Behandlers entschei-dend und die Behandlung sowohl juxta-papillärer als auch größerer periphererAngiome sollte Augenärzten vorbehaltenbleiben, die Erfahrungen mit einer größe-

    ren Anzahl Betroffener haben. Bei Ein-haltung regelmäßiger Kontrolluntersu-chungen und frühzeitiger Behandlungneuer Angiome lässt sich eine schwer-wiegende Sehverschlechterung durch dieAngiomatosis retinae meistens verhin-dern.

    Literatur1. Salazar FG, Lamiell JM. Early identi-fication of retinal angiomas in a large kindredvon Hippel-Lindau disease. Am J Ophthal-mol. 1980 Apr;89(4):540-5

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    Kapitel 2.1 | Augenveränderungen - Angiomatosis Retinae | Stand: September 2016

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    2.2 Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems

    Prof. Dr. Gläsker, Brüssel und Prof. Dr. Stummer, Münster

    ZusammenfassungHämangioblastome sind gutartige Tumo-ren des Zentralen Nervensystems, diehauptsächlich in der hinteren Schädel-grube (Kleinhirn und Hirnstamm) und imRückenmark auftreten. Sie gehören zuden häufigsten Tumoren des VHL-Spektrums. Bei Kleinhirntumoren stehenKoordinationsstörungen und Hirndruck-symptomatik (Kopfschmerzen, Übelkeit,Erbrechen, Bewusstseinsstörungen) imVordergrund. Rückenmarkstumoren ver-ursachen häufig zunächst Gangstörun-gen und Schmerzen, später Lähmungs-erscheinungen und Störungen der Bla-sen- und Mastdarmfunktion (Inkon-tinenz). Häufig bilden die Tumoren zysti-sche Formationen („Blasen“) aus. Durchdie kräftige Kontrastmittelaufnahme sinddie Tumoren im Kernspin meist gut zu er-kennen.Asymptomatische größenkonstante Tu-moren sollten jährlich kontrolliert werden,wohingegen bei symptomatischen oderwachsenden Tumoren eine operativeEntfernung diskutiert werden sollte. BeimAuftreten von Hirndruckzeichen (sieheoben) ist unter Umständen eine dringli-che Operation erforderlich. Die Kernspin-tomographie ist am besten für die Ver-laufskontrollen geeignet.

    DefinitionHämangioblastome sind gutartige Tumo-ren des Zentralen Nervensystems (WHOGrad I) und treten zumeist im Bereich der

    hinteren Schädelgrube und des Rücken-marks auf. Die Tumoren bestehen auseinem dichten Netzwerk kleinster Gefäßeund dazwischen liegenden „Stromazel-len“, welche die eigentlichen Tumorzellendarstellen. Nach der WHO-Klassifikationsind Hämangioblastome als „Tumorenungeklärten Ursprungs“ eingestuft, ob-gleich sich in den letzten Jahren Hinwei-se häufen, dass sie von embryonalenHämangioblasten abstammen. Dabeihandelt es sich um unreife embryonaleZellen, die sich in Gefäßzellen oder Blut-zellen entwickeln können. Beide Differen-zierungsprozesse sind auch im Tumorge-webe von Hämangioblastomen zu finden.

    HäufigkeitHämangioblastome im zentralen Nerven-system treten bei 60-80 Prozent allerVHL-Betroffenen auf. Sie sind somit fürVHL-Betroffene eine häufige Erschei-nung, insgesamt sind sie jedoch eherselten, da sie nur 1-2 Prozent aller Tu-moren des Zentralen Nervensystemsausmachen. 7-10 Prozent aller Tumore, die im Klein-hirn entstehen, sind Hämangioblastome;im Rückenmark sind es nur 2-3 Prozentaller primären Rückenmarkstumore. Mit44-72 Prozent ist das Kleinhirn am häu-figsten betroffen. Im Rückenmark sindsie mit 13-50 Prozent und im Hirnstammmit 10-20 Prozent vertreten. Im Großhirnkommen sie deutlich seltener vor (unter 1Prozent in früheren Untersuchungen).

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

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    Durch die modernen diagnostischen Ver-fahren werden diese jedoch zunehmendhäufiger erkannt. Dabei ist der Hypophy-senstil, also die Verbindung zwischen derHirnanhangsdrüse und dem Gehirn, un-ter den Hämangioblastomen im Großhirnam häufigsten betroffen.Hämangioblastome treten mit bis zu 80Prozent sporadisch (nicht erblich) auf;nur 20 Prozent sind VHL bedingt. Spora-dische Hämangioblastome treten ca. 10-15 Jahre später auf. Männer und Frauensind gleich häufig betroffen. Bei den spo-radischen Hämangioblastomen handeltes sich meist um einzelne Tumoren wäh-rend bei VHL-Betroffenen oft mehrereTumoren vorkommen.

    SymptomeDie Symptome oder Krankheitszeichenbei Hämangioblastomen können grund-sätzlich durch Druck auf das umliegendeGehirn- oder Rückenmarksgewebe oderdurch Behinderung der Zirkulation desNervenwassers (Liquor) hervorgerufenwerden. Dabei können nicht selten be-reits kleine Hämangioblastome aufgrundeiner größer werdenden Zyste, die mitdem Tumor häufig zusammen auftritt,Beschwerden verursachen. Wachsen dieHämangioblastome im Kleinhirn, tretenKopfschmerzen, Gleichgewichtsstörun-gen und Ataxie (Störung der Bewegungs-koordination) auf. Bei größeren Tumorenoder Zysten kann es zum Stau von Ner-venwasser im Kleinhirn kommen, wel-ches dann zu einem Hydrozephalus(Wasserkopf) führt. Häufige Symptomesind dann Übelkeit und Erbrechen. Im Hirnstamm können bereits kleineHämangioblastome Probleme verursa-

    chen. Das Hämangioblastom kann aufdie Nervenbahnen drücken und zu Hirn-nervenstörungen, Schluckstörungen,Lähmungen an Arm und/oder Bein sowiezu Husten und Schluckauf führen. Auchhier können Gangstörungen und Ataxieauftreten.Hämangioblastome im Rückenmark kön-nen, auch gelegentlich bedingt durcheine zusätzliche blasige Auftreibung desZentralkanals (Syrinx), Beschwerden wiez.B. Gefühlsstörungen und Hautempfind-lichkeitsstörungen verursachen. DurchStörung des Informationsflusses inner-halb des Rückenmarkes kann es zuGangstörungen und Schmerzen, späterzu Lähmungen kommen. Bei einigen Patienten kommt es zu einerVermehrung der roten Blutzellen. Nebeneiner Rötung des Gesichts (Plethora)kann diese zu einer vermehrten Throm-boseneigung führen. Nach Entfernungdes ursächlichen hormonproduzierendenHämangioblastoms verschwindet die Po-lyglobulie.

    DiagnostikDie beste Nachweismethode ist die Kern-spintomographie unter Verwendung desKontrastmittels Gadolinium (Abbildung 5und 6). Mit der Kernspintomographiekönnen Bilder in mehreren Schnitt-ebenen erstellt werden, die eine genaueBeurteilung ermöglichen. Es kann hilf-reich sein, die Bilder immer im selbenRöntgeninstitut anfertigen zu lassen, umein hohes Maß an Vergleichbarkeit zugewährleisten. Eine Darstellung der Ge-hirngefäße mittels Kontrastmittel ist mitder cerebralen Katheterangiographiemöglich. Bei diesem Verfahren wird ein

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    feiner Katheter über ein Gefäß in derLeiste bis vor den Tumor unter Durch-leuchtung vorgeschoben. Durch den Ka-theter kann Kontrastmittel eingespritztwerden, wodurch sich die Gefäßversor-gung der Tumore besser darstellen lässt.Dieses Verfahren ist bei Hämangioblas-tomen im Allgemeinen nur dann notwen-dig, wenn bei besonders großen solidenTumoren eine Embolisation, also ein Ver-

    schließen der Tumorgefäße mittels Ka-theters vorgesehen ist. Selten kann eineAngiographie auch für Hämangioblasto-me im Rückenmark erforderlich sein umdie hauptzuführenden Gefäße zu identifi-zieren und von wichtigen, das Rücken-mark versorgende, Gefäße zu unter-scheiden.

    Abbildung 5: Klassische Hämangioblastome im Hirnstamm (links) und Kleinhirn (rechts). In der Kernspintomo-graphie stellen sich die Tumoren als eine zystische Formation (kurze Pfeile) mit soliden kräftigKontrastmittel aufnehmendem Tumorknoten in der Zystenwand (lange Pfeile) dar.

    VerlaufHämangioblastome zeigen einen für Tu-moren ungewöhnlichen Spontanverlauf.Ungewöhnlich für Tumoren wechseln sichPhasen von Wachstum mit langen Ruhe-phasen ab. Das macht es sehr schwierig,den Effekt von konservativen (nicht-ope-rativen) Therapien bei Hämangioblasto-men zu beurteilen.

    Hämangioblastome haben eine starkeNeigung, zunächst ein Ödem (Schwel-lung) und dann Zysten (Blasen) im be-nachbarten Nervengewebe auszubilden.Die Zysten werden dabei meist größer alsder eigentliche Tumor. Sie sind oft für dasAuftreten von Symptomen verantwortlich.In seltenen Fällen können sich Hämangio-blastome diffus über das gesamteRückenmark ausbreiten, ein Phänomen,

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    das als Hämangioblastomatose bezeich-net wird. Inzwischen ist bekannt, dasseine Schwangerschaft keine Auswirkungauf das Wachstum der Tumoren hat.

    TherapieTherapieformen: Die beste verfügbareTherapie ist die mikrochirurgische Tumo-rentfernung. Die Operation hat die ge-ringste Rezidivrate und verursacht seltenbleibende Beeinträchtigungen. OP-Indikation: Alle symptomatischen Hä-mangioblastome sowie alle diejenigen,die einen deutlichen raumfordernden Ef-

    fekt im Bereich der hinteren Schädelgrubehaben, sollen operativ entfernt werden.Wie jedoch mit Tumoren verfahren wer-den soll, die ein Größenwachstum zeigen,jedoch noch keine Symptome hervorru-fen, wird gegensätzlich diskutiert. EinigeAutoren empfehlen abzuwarten, bis Sym-ptome entstehen, und erst dann zu ope-rieren. Andere Autoren hingegen empfeh-len die Operation wachsender Tumorenvor der Entwicklung von Symptomen.Dies wird damit begründet, dass einer-seits die Operationen im allgemeinenohne bleibende Schäden durchführbarsind und andererseits die durch einenwachsenden Tumor verursachten Beein-trächtigungen durch eine OP nicht mehrrückgängig gemacht werden können. DieEntscheidung zur Operation sollte indivi-duell in Abhängigkeit von der speziellenSituation des Patienten und der Erfahrungdes Operateurs erfolgen.Operative Besonderheiten: Besonders beiRückenmarkstumoren ist es sinnvoll, diePatienten wenige Tage vor der Operationmit Kortison (z.B. Dexamethason 3 x 2mg) vorzubehandeln. Bei sehr großen so-liden Tumoren wird eine präoperative Em-bolisation empfohlen. Bei Tumoren imKleinhirn oder Rückenmark die Flüssig-keitshöhlen (Zysten) ausbilden, sollte im-mer der ursächliche solide Tumorknotenidentifiziert und entfernt werden. Danachverschwindet die Zyste von selbst (sieheAbbildung 6). Während der Operation vonTumoren im Rückenmark oder Hirnstammsollte die Funktionsfähigkeit der Nerven-bahnen kontinuierlich durch intraoperati-ves elektrophysiologisches Monitoring ge-messen werden. Gerade bei Operationenam Hirnstamm und Rückenmark ist ein

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

    A

    B

    Abbildung 6: (A, B) Klassisches Hämangioblastom im Rückenmark (langer Pfeil) mit assoziierterZyste (kurze Pfeile). (A Längsschnitt, B Querschnitt). (C, D) Nach operativer Entfernung des Tumorknotens verschwindet die Zyste von selbst.

    C

    D

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    hohes Maß an chirurgischer Erfahrung er-forderlich um die Operation so risikoarmwie möglich zu halten. Der Verschluss derWunde sollte in Hinblick darauf erfolgen,dass Betroffene in der Regel jung sindund oft mehrere Operationen erforderlichsind. D.h. z.B. im Wirbelbereich, dass dieWirbelbögen entfernt, aber wieder einge-setzt werden sollten, damit langfristig dieStatik der Wirbelsäule nicht leidet. Im Hin-

    terhauptsbereich sollte auf jeden Fall derKnochen entweder wieder eingesetzt oderdurch einen Knochenersatzstoff, z.B. ausMethylacrylat, ersetzt werden, um Vernar-bungen oder Verwachsungen zu begren-zen. Bei der Operation hat immer einemöglichst risikoarme TumorentfernungVorrang. Oftmals kann die intraoperativeFluoreszenzangiographie eingesetzt wer-den (Abbildung 7).

    Abbildung 7:Intraoperative Gefäßdarstellung mit ICG (Indocyaningrün) bei der Operation eines Hämangioblas-tom des Rückenmarks. Mit diesem Verfahren können während der Operation zuführende (Arterien)und abführende Gefäße (Venen) unterschieden werden. Diese Information kann für die Operation sehr hilfreich sein.

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

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    Bei diesem Verfahren werden Farbstoffe(ICG, Indocyaningrün) gespritzt, die nurunter einem bestimmten Licht sichtbarsind und die Gefäße anfärben. Sie gebendem Chirurgen wichtige Informationenüber zuführende und abführende Gefäße.

    Nach Operationen von Hämangioblasto-men treten gelegentlich dennoch vorüber-gehende Gang- oder andere neurologi-sche Störungen auf, die eine Reha-Maßnahme erforderlich machen. Fernerwird von einigen Patienten eine erhöhteSchmerzempfindlichkeit nach Operationeines Rückenmarktumors berichtet. DieAnwendung intraoperativer Navigations-systeme ist im Allgemeinen nicht notwen-dig, da sich die Tumoren meist problem-los über die Zyste oder intraoperativen Ul-traschall rasch finden lassen.

    Alternativen zur OperationIn seltenen Fällen muss wegen eines er-höhten Risikos von einer Operation abge-raten werden (sogenannte „inoperable“Tumoren). In diesen Fällen kann übereine alternative Behandlung nachgedachtwerden. Dazu zählen die medikamentöseTherapie („Chemotherapie“) sowie dieStrahlentherapie.

    Chemotherapie: Medikamentöse Thera-piealternativen befinden sich zum aktuel-len Zeitpunkt noch im experimentellenStadium. Es existieren verschiedene Fall-berichte über Behandlungen mit einzel-nen Substanzen. Es wurden vornehmlichChemotherapeutika eingesetzt, die be-reits zur Behandlung von Nierenzellkarzi-nomen oder zur Behandlung anderer Ar-ten von Hirntumoren zugelassen sind.

    Viele der getesteten Substanzen wirkennicht direkt auf das VHL-Protein sondernüber die Hemmung von VEGF. DiesesProtein spielt eine wichtige Rolle beimWachstum von Gefäßen und ist in VHL-Tumorzellen als Folge der Inaktivierungdes VHL-Proteins hochreguliert.

    Bislang konnte noch kein Effekt einerChemotherapie bei Hämangioblastomenim Rahmen einer Studie nachgewiesenwerden. Derzeit laufen zu dieser Frageverschiedene Studien:

    • PTK787/ZK 222584 (VEGF Inhibi-tor) in Boston (gesponsert von No-vartis)

    • Avastin (VEGF Inhibitor), USA• Vorinostat (stabilisiert defektes

    VHL-Protein beiPunktmutationen), NIH, Washing-ton

    • Dovitinib (hemmt VEGF und ande-re Wachstumsfaktoren), MD An-derson Cancer Center, Houston,Texas

    • Sunitinib (hemmt VEGF und ande-re Wachstumsfaktoren), MD An-derson Cancer Center, Houston,Texas. Studie beendet. Substanzwirkt bei Nierenzellkarzinomenaber nicht bei Hämangioblasto-men.

    Strahlenchirurgie: Für inoperable Tumo-ren oder Patienten in schlechtem Allge-meinzustand kann die sogenannte Strah-lenchirurgie eine Alternative darstellen.Die Strahlenchirurgie ist eine Form derStrahlentherapie bei der hochdosierteStrahlen millimetergenau auf einen klei-nen Bereich fokussiert werden. Strahlen-

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

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    chirurgie kann mit verschiedenen Gerätendurchgeführt werden, dem Gamma-Knife,dem Cyberknife oder dem Linac. Auch dieProtonentherapie wird zur Behandlungvon Hämagioblastomen angeboten. Fürdie Wirksamkeit dieser Form der Bestrah-lung existieren keine verlässlichen Daten.

    Wichtig ist, dass die Strahlenchirurgieebenfalls Nebenwirkungen haben kann.Durch Strahlenchirurgie kann es vorüber-gehend zur Schwellung der Tumore kom-men und dadurch zur Verschlechterungder Symptome. Auch kann die Strahlen-chirurgie zur Vermehrung eines Ödemsführen und damit ebenfalls zur neurologi-schen Verschlechterung. Daher muss dieFrage nach einer Strahlenchirurgie ähn-lich sorgfältig geprüft werden, wie die Fra-ge nach einer Operation.

    Angesichts der aktuellen Studienlage istjedoch unklar, inwieweit diese Behand-lungsform tatsächlich für Hämangioblasto-me wirksam ist. In den veröffentlichtenStudien stellen einige behandelte Tumo-ren das Wachstum ein, während andereweiter wachsen. Ferner ist zu beachten,dass durch die Strahlentherapie nur dersolide Tumor und nicht die zystischeKomponente behandelt werden kann. Voneiner prophylaktischen (vorsorglichen)Bestrahlung asymptomatischer nichtwachsender Tumoren sollte nach aktuel-lem Kenntnisstand abgeraten werden.

    Daher gilt für die Strahlenchirurgie, dasssie nur zur Anwendung kommen sollte,wenn die Möglichkeit zur Operation imVorfeld durch einen Chirurgen geprüftwurde, der Erfahrung bei der Operation

    von VHL-Patienten hat. Tumore mit Zys-ten oder große Tumore sind für die Strah-lenchirurgie ungeeignet. Strahlenchirurgiesollte nur im Gehirn angewendet werdenund nicht im Rückenmark, da für dasRückenmark kaum Erfahrungen vorliegenund für das Rückenmark ein hohes Risikobesteht.

    Früherkennung und Prävention20 Prozent aller Patienten mit Hämangio-blastomen haben die von Hippel-LindauErkrankung, daher wird ein Gentest beiallen Patienten mit Hämangioblastomenempfohlen. Für eine optimale Früherken-nung sollte im Allgemeinen bei Patientenmit von Hippel-Lindau Erkrankung einmalpro Jahr eine kernspintomographischeVerlaufskontrolle durchgeführt werden.Da Hämangioblastome etwa ab dem 10.Lebensjahr auftreten, sollte zu diesemZeitpunkt mit den Untersuchungen begon-nen werden. Die umfassende Untersu-chung beinhaltet nicht nur die Bildgebungsondern auch eine neurologische Unter-suchung. Auf Hörstörungen sollte wegenTumore des Endolymphatischen Sackes(ELST-Tumor), also Tumore im Innenohr-bereich, geachtet werden.

    Empfehlungen für die Verlaufskontrol-lenAsymptomatische Hämangioblastome, diegrößenkonstant sind, sollten grundsätzlichin 12-monatigen Abständen kontrolliertwerden. Wachsende Tumoren sollten –sofern sie nicht operiert werden – engma-schiger kontrolliert werden. Im Allgemei-nen genügen 6-monatige Kontrollen. In ei-nigen Fällen (z.B. raumfordernde Prozes-se in der hinteren Schädelgrube) sollten

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    die Intervalle aber nicht länger als 3 Mo-nate sein.Die Kontrollen sollten mittels Kernspinto-mographie erfolgen. Es werden mindes-tens folgende Sequenzen benötigt: Eineaxiale T1 und T2 Sequenz des Kopfes,eine triplanare (3D-Datensatz) T1 Se-quenz des Kopfes mit Kontrastmittel, einesagittale T1 und T2 Sequenz des Rücken-marks und eine sagittale T1 Sequenz desRückenmarks mit Kontrastmittel mit axia-len Schichtungen in den tumorösen Area-len.

    DifferentialdiagnoseHämangioblastome im Kleinhirn könnenin der Kernspintomographie anderen Tu-moren ähneln. Dazu gehört das soge-nannte pilozytische Astrozytom, ein lang-sam wachsender Hirntumor, der vor allembei Kindern und jungen Erwachsenen auf-tritt. Hämangioblastome mit Ausbildungeiner Syrinx im Rückenmark können gele-gentlich mit anderen Rückenmarkstumo-ren, die auch zu einer Ausformung einerSyrinx führen können, verwechselt wer-den. Hierzu gehören z.B. Astrozytomeoder Ependymome des Rückenmarks.

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    Kapitel 2.2 | Hämangioblastome des Zentralen Nervensystems | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    2.3 Nierenkarzinom und Nierenzysten

    Prof. Dr. Mahnken, Marburg, PD Dr. Roos, Frankfurt/M und Prof. Dr. Thüroff, Mannheim

    ZusammenfassungDie Manifestationen der VHL-Erkrankungin der Niere sind Nierenzysten und klar-zellige Nierenzellkarzinome. 25-45 Pro-zent der Genträger entwickeln Nierentu-moren, beide Geschlechter sind gleichhäufig betroffen. Das Diagnosealter liegtin der Regel vor dem 40. Lebensjahr.Das Wachstum der meisten Tumoren istlangsam. Spätestens wenn der größteTumor einen Durchmesser von 4 cm er-reicht, sollte die vollständige Entfernungaller Tumoren unter Erhalt der Niere an-gestrebt werden. Bei kleineren Tumorenkann bereits frühzeitiger eine interventio-nelle Thermoablation (Radiofrequenz-,Kryo- oder Mikrowellenablation) erwogenwerden. Bei Tumoren >5cm sollte eineoperative Therapie gewählt werden. Bei

    Tumoren in Einzelnieren müssen Vor-operationen und Vorerkrankungen in derTherapieplanung berücksichtigt werden.Therapieziel ist der Erhalt der Nieren-funktion. Das Nachsorgeintervall beträgt12 Monate, in der Regel sollten MRT Un-tersuchungen erfolgen. MedikamentöseTherapien sind nur bei Metastasen ange-zeigt.

    EinleitungDer Mensch hat normalerweise zwei Nie-ren die im rückwärtigen Bauchraum gele-gen sind und eine Längsausdehnung vonca. 11-12 cm haben (Abbildung 8). Siedienen der Entgiftung des Körpers undhaben eine zentrale Rolle im Rahmender Regulation des Wasser- und Mineral-salzhaushaltes.

    Abbildung 8: Schematische Darstellung der Lage der Nieren im rückwärtigen Raum in Bezug zur Hauptschlag-ader des Körpers (Aorta).

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2015

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Bei den typischen Veränderungen, die imRahmen der von VHL- Erkrankung auf-treten, handelt es sich um Nierenzysten,ebenso wie um solide Nierentumoren(Nierenzellkarzinome). Beide Verände-rungen der Nieren kommen nicht aus-schließlich bei der VHL-Erkrankung vor.Auch in der Normalbevölkerung ist dasRisiko im Laufe des Lebens einzelneoder mehrere Nierenzysten zu ent-wickeln ca. 20 Prozent, wobei das Risikomit dem Alter zunimmt. Bei Nierenzystenhandelt es sich prinzipiell um harmlosezystische Veränderungen, die eine klarebernsteinfarbene Flüssigkeit enthalten. Bösartige Entartungen sind im Rahmeneinfacher Nierenzysten bei der Normal-bevölkerung sehr selten. Hingegen sindim Rahmen der VHL-Erkrankung Nieren-zysten eine typische Vorstufe oder einBegleitphänomen von bösartigen Nieren-tumoren. Das Risiko in der gesunden Be-völkerung im Laufe des Lebens einenNierentumor (meist Nierenzellkarzinom)zu entwickeln, liegt bei 1,3 Prozent („lifetime risk“). Damit ist er ein eher seltenerTumor, der mit einem Häufigkeitsgipfelum das 62. Lebensjahr auftritt. Nieren-zellkarzinome sind Tumoren, die ihrenUrsprung vom so genannten Tubulus-

    Apparat oder dem Sammelrohrsystemnehmen. Auch bei Patienten, die nichtvon der VHL-Erkrankung betroffen sind,entstehen die Nierentumoren interessan-terweise in 80 Prozent durch eine Spon-tanmutation oder durch den Verlust desvon Hippel-Lindau-Gens. Insofern ist hierder gleiche genetische Mechanismus wiebei der VHL-Erkrankung gegeben, mitdem Unterschied, dass es sich um einenicht erbliche, spontane genetische Ver-änderung handelt. Solch eine Verän-derung wird als sporadisch bezeichnet. Der Tumortyp, der sich bei der VHL-Er-krankung entwickelt, ist klarzellig. Im Un-terschied zur Normalbevölkerung entwi-ckeln VHL-Betroffene solche Tumoren imDurchschnitt 20 Jahre früher. Im Gegen-satz zu den sporadischen Nierentumorenwerden solche Tumoren als hereditäre(vererbliche) Nierentumoren bezeichnet. Die Tumoren entwickeln sich in der Re-gel in Zysten (Abbildung 9), in denen sieeine Zeitlang unentdeckt wachsen undals einfache oder sog. komplizierte Zys-ten fehlinterpretiert werden können. Mitentsprechender Erfahrung lassen sichTumoren in Zysten durch MRT oder CTjedoch gut diagnostizieren.

    Diagnostik der VHL-NierenveränderungenPrinzipiell sollte von den so genanntenSchnittbildverfahren der Kernspintomo-graphie (MRT) des Bauchraumes derVorzug gegeben werden, da sie ohneStrahlenexposition für die Patienten ist.Wann immer es möglich ist, sollten fürdie vergleichenden UntersuchungenSchnittbilduntersuchungen, insbesondereMRT`s, herangezogen werden, da sie

    eine Abbildung in allen drei Ebenen lie-fern. Hierbei kann sehr klar zwischenzystischen und soliden Veränderungenunterschieden werden (Abbildung 10).Nierentumoren sind bereits ab einer Grö-ße von weniger als 5 mm zu erkennen.Aufgrund vergleichender Untersuchun-gen, die in der Regel in 12 Monatsab-ständen durchgeführt werden, können

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    unter Heranziehung entsprechender Vo-lumenberechnungen die Tumorverdopp-lungszeit und die Wachstumsgeschwin-digkeit berechnet werden. Ist eine Meta-stasensuche notwendig, so ist im Bauch-raum die MRT-Untersuchung zum Aus-

    schluss von Lymphknoten- oder Leber-metastasen von exzellenter Qualität. Füreine Suche nach Metastasen in den Lun-gen kommt eine Computertomographiedes Brustraums zur Anwendung.

    Abbildung 9: Links: Darstellung mehrerer normaler Nierenzysten (schwarze Kreise) im Ultraschall. Rechts: Dar-stellung einer Bosniak IIf Läsion (komplizierte Zyste), mit Septierungen und Kalkeinlagerungen.

    Abbildung 10: MRT eines Betroffenen

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    Z

    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

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    Biologie der NierentumorenDie meisten Nierenzellkarzinome wach-sen, sofern sie überhaupt wachsen, lang-sam mit einer durchschnittlichen Wachs-tumsrate von ca. 0,3 cm pro Jahr. Insge-samt ist relativ wenig über die Wachs-tumsgeschwindigkeit der Nierenzellkarzi-nome bekannt, die sich in kleineren Stu-dien oftmals nicht von den gutartigen Tu-moren unterscheidet. Generell zeichnensich die Nierenzellkarzinome dadurchaus, dass sie keinerlei Frühsymptomeverursachen. Durch die Lage im hinterenBauchraum sind sie im Frühstadium we-der tast- noch sichtbar. Sie können eineerhebliche Größe annehmen, bevor siezu lokalen Problemen führen. Durch diejährlichen Kontrolluntersuchungen wer-den die meisten Tumoren in einem sym-ptomfreien Stadium aufgedeckt.Dies hat auch zu einem durchgreifendenWandel der Therapie geführt, da Tumo-ren in frühen Stadien mit einer deutlichbesseren Prognose einhergehen undhäufig in Abhängigkeit der Tumorlokali-sation eine Organerhaltung möglich ist.

    Das Metastasierungsrisiko hängt nichtnur von der Größe des Tumors ab, son-dern im Einzelfall wesentlich stärker vonder so genannten Tumorverdoppelungs-zeit, also dem Wachstumsverhalten derTumoren, ebenso wie der Lage (zentralgegenüber oberflächlich gelegenen) ab.Bislang wurde die Entscheidung getrof-fen, bei den Betroffenen einen operativenEingriff erst dann anzustreben, wenn dergrößte Tumor 4 cm Durchmesser be-trägt. Im Einzelfall sollte eine solche Ent-scheidung heute eher vor dem Hinter-grund des Tumorwachstums überdachtwerden und der Interventionszeitpunktgegebenenfalls vorverlegt werden.Schnell wachsende, zentral gelegene Tu-moren sollten möglichst schnell operiertwerden, um den Verlust an gesundemNierengewebe möglichst gering zu hal-ten. Mittlerweile sollten auch interventio-nelle Techniken in eine derartige Ent-scheidung einbezogen werden, die einenweniger traumatischen Zugang zum Tu-mor ermöglichen.

    Therapie der NierentumorenDie Therapie der Nierentumoren istgrundsätzlich operativ bzw. interventio-nell, da Nierenzellkarzinome wederstrahlensensibel sind, noch ausreichendauf eine Chemotherapie ansprechen.Eine medikamentöse Therapie ist denmetastasierten Nierentumoren vorbehal-ten, da die Substanzen, die das Wachs-tum der Nierentumoren hemmen, erhebli-che Nebenwirkungen hervorrufen kön-nen. Nebenwirkungen, Therapieversa-gen, Resistenzbildung und nur zeitlicheingeschränktes Ansprechen der Tumo-

    ren auf die medikamentöse Therapie,stehen einer Langzeittherapie entgegen.Des Weiteren kommt es nicht selten zueinem „Aufholwachstum“ nach Absetzender Behandlung. Langzeitbeobachtungenfehlen gänzlich, so dass außerhalb vonStudien prinzipiell operablen Betroffenenvon solchen Therapien abgeraten wer-den muss. Daher genießt das operativebzw. interventionelle Vorgehen (Entfer-nung der Nierentumoren) unverändertoberste Priorität.

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    Therapieverfahren im individuellen FallNach welchen Therapieverfahren die be-troffen Patienten behandelt werden rich-tet sich zum einen nach Anzahl, Lageund Größe des Tumors und zum ande-ren nach Tumoren in Einzelnieren undNierenfunktion. Ganz entscheidend fürden Erfolg der Therapie ist die Zen-trumserfahrung im Rahmen thermoablati-ver oder chirurgischer Verfahren.

    Tumoren 3 cm bis 4,5 sollten immer einer Ope-ration zugeführt werden. In mancher Situation ist die Operation, inanderer die Thermoablation zu favorisie-ren.

    Die thermoablativen Verfahren solltender Operation vorgezogen werden bei

    a) multiplen Tumoren in einer Ein-zelniere (max. bis zu drei Tumo-ren)

    b) multiple voroperierten Patientenc) bilateralen Tumoren (bis 3 Tumo-

    ren/Niere, je Diagnosezeitpunkt) d) >3 Tumoren/Niere zunächst orga-

    nerhaltendes Verfahren mit niere-nerhaltender Operation oderThermoablation der weniger be-troffenen Niere, dann gleichesVorgehen bei der betroffenen

    Nieren mit dem Versuch des or-ganerhaltenden Vorgehens, im-mer Lage und Größe der Tumo-ren berücksichtigend (sieheoben).

    Die Operation erhält den Vorzug bei a) klinischem (z.B. Makrohämaturie)

    oder radiologischem Verdacht ei-ner Hohlsysteminfiltration

    b) immer bei Tumoren >4,5 cm c) immer wenn radiologisch ein voll-

    ständiges Erfassen des Tumorsnicht erreicht werden kann.

    Ganz entscheidend für den Therapieer-folg ist die Zentrums- und Interventions-erfahrung, die bei den thermoablativenVerfahren extrem wichtig ist. Der Litera-tur zufolge gibt es eine klare Lernkurvefür die thermoablativen Verfahren (erste50 Ablationen). Dies ist bei komplexenPatienten, wie VHL-Patienten, nicht ak-zeptabel - da muss man auf einen größe-ren Erfahrungsschatz (>100 Ablationen)eines erfahrenen Interventionalisten zu-rückgreifen können. Bei der Operation verhält es sich nichtanders. Man sollte nur an operative Zen-tren herantreten, die >100 nierenerhal-tende Eingriffe/Jahr machen.

    Operative VerfahrenDie Nierenzellkarzinome werden heute inca. 50 Prozent auch bei sporadisch auf-tretenden Karzinomen in Abhängigkeitder Lokalisation und der Größe mit ei-nem kleinen Randsaum an normalenNierengewebe (Sicherheitsabstand) or-ganerhaltend operiert, dabei wird im Fall

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    eines sporadischen Nierenzellkarzinomsin der Regel nur der vorhandene einzel-ne Tumor entfernt (Abbildung 11).

    Auch bei VHL-Betroffenen ist die operati-ve Therapie der Eckpfeiler der Behand-lung der Nierenzellkarzinome, wobei siein der Regel mehrere Tumoren habenkönnen. Einzelne Raumforderungen sinddie Ausnahme, damit ist das operativeVorgehen komplexer. Da meist zusätzli-

    che zahlreiche Nierenzysten vorliegen, indenen sich kleinste Nierenzellkarzinomebereits verbergen können, sollte auchder Versuch unternommen werden, dieMehrzahl der zystischen Veränderungenoperativ zu entfernen. Da die Verände-rungen in der Regel in beiden Nieren auf-treten können, sollte grundsätzlich immerangestrebt werden eine organerhaltendeOperation durchzuführen.

    Abbildung 11: Schematische Darstellung der Entfernung eines am Rande der Niere gelegenen Tumors.

    Für die organerhaltende Operation ist ei-ne vorübergehende Unterbrechung derBlutzufuhr notwendig, jene sollte eineDauer von 30 bis 60 Minuten nicht über-schreiten. Im Falle einer längeren Unter-brechung der Blutzufuhr geht die Organ-funktion unwiderruflich verloren. Bei derlaparoskopischen Operation (minimal in-vasives Vorgehen - Schlüssellochtech-nik) können allenfalls einzelne Tumoren,entfernt werden. Selbst die robotisch as-

    sistierte laparoskopische Nierentu-morentfernung mittels des da Vinci Sys-tems stößt hier an ihre Grenzen. Daschirurgische Freilegen (Präparation) zys-tentragender Nieren mit multiplen Tumo-ren ist minimal invasiv schwierig. Ausdiesem Grunde hat sich die Laparosko-pie bei den VHL-Tumoren der Nierennicht durchgesetzt. Auch bei Zweit- oder Dritteingriffen, sollteder Versuch einer Organerhaltung in je-

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

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    dem Fall unternommen werden. In Aus-nahmefällen lässt sich eine Tumorfreiheitnur durch komplette Entfernung eineroder beider Nieren erzielen. Während dieEntfernung einer Niere meistens unpro-blematisch hinsichtlich der Entgiftung desKörpers ist, bedeutet das Entfernen bei-der Nieren unweigerlich die Notwendig-keit einer Dialysebehandlung, d.h. einerregelmäßigen Blutwäsche.

    Interventionelle VerfahrenIn den vergangenen Jahren haben sichals interventionelle Techniken so ge-nannte thermoablative Verfahren eta-bliert, deren Prinzip die Zerstörung desTumorgewebes durch Kälte oder Wärmeist. Bei einer Kältebehandlung (Kryoabla-tion) wird über einen kleinen Hautschnitteine spezielle Sonde in den Bauchraumeingeführt und über diese Argongas ein-geleitet, welches Temperaturen von ca.-100 °C herbeiführt und zum Absterbendes Tumorgewebes führt. Alternativ kannebenfalls durch, unter Bildsteuerung, di-rekt eingeführte Sonden eine Temperaturvon über 100° Celsius im Tumor erzieltwerden. Auch dies führt zur definitivenAbtötung von Tumorzellen. Zur Verko-chung werden v.a. die Radiofrequenz-(RFA) und die Mikrowellenablation einge-setzt (MWA). Trotz vielversprechenderErgebnisse - insbesondere der RFA - istdie operative Therapie als Standard derTherapie anzusehen.Da die Aggressivität und Komplikations-rate dieser Eingriffe grundsätzlich deut-lich geringer ist, als die eines operativenEingriffs und auch die mögliche Gefähr-dung der Nierenfunktion durch die Unter-brechung der Blutzufuhr entfällt, sollte

    bei jedem neu aufgetretenen Nierentu-mor bis etwa 3 cm Größe die Diskussiongeführt werden, ob eine solche Behand-lung durchführbar ist. Dabei muss dieLage eines solchen Tumors berücksich-tigt werden, da aufgrund der sehr niedri-gen oder sehr hohen Temperaturen um-liegendes Gewebe (Dickdarm / Dünn-darm / Gallenblase / Bauchspeicheldrü-se) mit geschädigt werden kann, derenFolgen lebensbedrohliche Komplikatio-nen sein könnten. In den letzten Jahrenwurden Techniken entwickelt diese inter-ventionstechnischen Probleme zu lösen.Insgesamt stellen ablative Verfahren einewichtige Bereicherung des Spektrumsder Therapie der VHL-Tumoren dar. Diesgilt zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nurfür Tumoren bis maximal 5 (eher 4,5) cmGröße.

    Trotz des technischen Fortschrittes undder mittlerweile guten onkologischen Da-ten für die thermoablativen Verfahrenbleibt die Frage der radiologisch als Bos-niak IIf oder III eingestuften zystischenLäsionen („komplizierte Zysten“). Eine derartige Läsion, sollte es sich umeinen Einzelbefund handeln, sollte chirur-gisch angegangen werden. Die hier tech-nisch zwar mögliche lokale Ablation istderzeit als experimentell anzusehen.

    Hinsichtlich des Therapieerfolges ist esbei den thermoablativen Verfahren wich-tig den postoperativen Verlauf mittelsSchnittbildgebung zu überwachen, da imFalle einer inkompletten Therapie diesenatürlich im selben Aufenthalt finalisiertwerden muss.

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

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    Therapieverfahren bei metastasiertenTumoren Auch bei Metastasen sollte die Frage ei-ner Operabilität prinzipiell zunächst ge-klärt werden, da nach der komplettenMetastasenentfernung, gute Überlebens-raten beschrieben werden. Wenn eineOperation bei multiplen Metastasen in ei-nem oder in mehreren Organen nichtmehr sinnvoll erscheint, ist eine medika-mentöse Therapie angezeigt. Diese kannmit so genannten Multikinaseinhibitoren,Antikörpern oder mTOR-Inhibitorendurchgeführt werden. Jene haben alle-samt das Ziel, die Angiogenese, also dieGefäßneubildung, die im Rahmen vonVHL-Tumoren deutlich gesteigert ist, zuhemmen. Während Patienten mit spora-dischen Nierentumoren unter jener Medi-kation, bei allerdings erheblichen Neben-wirkungen, eine signifikante Lebensver-längerung auch im metastasierten Stadi-um erfahren, gibt es bisher keine länger-fristigen Erfahrungen aus der Gruppe derVHL-Betroffenen. Bei knöchernen Metastasen, die eineBruchgefährdung hervorrufen könnenoder Schmerzen verursachen, sollte eineStrahlentherapie angestrebt werden (sie-he zum Thema „Metastasen“ auch Kapi-tel 8 Therapiemöglichkeiten bei metasta-sierenden VHL-Tumoren). Eine Kombi-

    nation aus interventioneller Zemento-plastie zur schnellen Schmerzreduktiongefolgt von einer Strahlentherapie zurKonsolidierung ist eine aktuelle Weiter-entwicklung dieses Ansatzes.

    TumornachsorgeAlle Patienten müssen regelmäßig imRahmen einer Tumornachsorge betreutwerden, da das Risiko einer neuerlichenTumorentstehung hoch ist. Nur in Einzel-fällen bleiben Betroffene, die einmaleinen Nierentumor entwickelt haben,über mehr als 10 Jahre tumorfrei. Es soll-ten jährliche MRT-Untersuchungendurchgeführt werden. Bei längerfristigerTumorfreiheit kann das Nachsorgeinter-vall auch verlängert werden. Einige Tumoren zeigen jedoch bereits imVerlauf eines Jahres Größen- oder Volu-menverdopplungen oder sogar darüberhinaus gehende Wachstumsraten. Beidiesen Patienten ist das Risiko einer Me-tastasierung größer. Daher sollte auf-grund der Wachstumsgeschwindigkeitentschieden werden, ob sechsmonatlicheNachsorgeintervalle gewählt werden. Umdies besser zu erfassen wird die Berech-nung des Volumens und nicht nur desgrößten Tumordurchmessers empfohlen.Dies ist mit den modernen Bildbearbei-tungsprogrammen möglich.

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

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    Kapitel 2.3 | Nierenkarzinom und Nierenzysten | Stand: September 2016

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    2.4 Phäochromozytome

    Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Neumann, Freiburg, PD Dr. Bausch, Freiburg und Prof. Dr. Dr. h.c.Walz, Essen

    ZusammenfassungPhäochromozytome sind zu etwa 95 Pro-zent gutartige Tumoren der Nebennierenoder der sogenannten Paraganglien -dann Paragangliome oder extraadrenalePhäochromozytome genannt - und kom-men bei etwa 20 Prozent der Patientenmit der VHL-Krankheit vor. Sie verursa-chen typischerweise anfallsartige Be-schwerden wie Kopfschmerzen,Schweißattacken und Herzrasen. In die-sen Phasen, bei manchen Patienten aberauch dauerhaft, besteht ein erhöhterBlutdruck. Die Diagnostik besteht aus La-boruntersuchungen und einer Bildge-bung, meist MRT-Untersuchung. Im La-bor werden die Katecholamine oder Me-tanephrine (Adrenalin und Noradrenalinbzw. Metanephrin und Normetanephrin)bestimmt. Festgestellte Tumoren sollendurch ein nuklearmedizinisches Verfah-ren (MIBG Szintigraphie oder DOPA-PET) bestätigt werden, um Zweittumorenauszuschliessen. Die Behandlung so-wohl der in den Nebennieren gelegenenPhäochromozytome als auch der außer-halb gelegenen extraadrenalen Tumorenist die endoskopische operative Entfer-nung. Sehr selten kommen bösartige(maligne) Phäochromozytome vor.

    DefinitionDas vegetative oder autonome Nerven-system steuert eine Vielzahl unbewuss-ter Vorgänge des Körpers. Die Neben-

    nieren, speziell das Mark der Nebennie-ren, sind hiervon ein wichtiger Bestand-teil. Die Nebennieren sind etwa 3 x 3 x 1cm im Durchmesser große Organe, dieden beiden Nieren aufsitzen. Die Neben-nieren bestehen aus einem Mark- und ei-nem Rindenanteil. Tumoren, die sich ausdem Nebennierenmark entwickeln, hei-ßen Phäochromozytome. Dem Neben-nierenmark ähnliche Gewebestrukturengibt es an vielen Stellen im Körper, ins-besondere im hinteren Bauchraum undBrustraum, in der Regel in unmittelbarerNähe der großen Blutgefäße. Diesemeist sehr kleinen Strukturen nennt manParaganglien. Wenn sich hieraus Tumo-ren entwickeln, nennt man diese Para-gangliome oder extraadrenale Phäochro-mozytome. Phäochromozytome und Pa-ragangliome sind zu etwa 95 Prozentgutartig, d.h. sie bilden keine Tochterge-schwülste, sog. Metastasen. Phäochro-mozytome und Paragangliome produzie-ren Stoffe, Adrenalin und Noradrenalin,im Überfluss. Dadurch sind sie kreislau-faktiv. Massive Blutdrucksteigerungenkönnen lebensgefährlich sein und zuHerzversagen und Hirnblutungen führen.

    HäufigkeitPhäochromozytome und Paragangliomesind insgesamt selten und kommen so-wohl ohne familiären Hintergrund alsauch im Rahmen von erblichen Erkran-kungen, vor allem bei der VHL-Krankheit,

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    Kapitel 2.4 | Phäochromozytome | Stand: September 2016

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    vor. Etwa 90 Prozent der Phäochromozy-tome entstehen in den Nebennieren. Pa-ragangliome sind in der Nähe der Neben-nieren oder entlang der Blutgefäße zumBecken lokalisiert. Im Brustkorb gelege-ne Paragangliome sind Raritäten. BeiPatienten mit der VHL-Krankheit zeigeninsgesamt etwa 20 Prozent Phäochromo-zytome. Es gibt somit viele Betroffenenund viele Familien mit der VHL-Erkran-kung, die nie derartige Tumoren entwi-ckeln. Betroffen sind beide Geschlechterin etwa gleichem Maße. Das Alter, zudem Phäochromozytome Krankheitszei-chen verursachen und somit festgestelltwerden, ist sehr verschieden. Der jüngs-te Betroffene mit einem Phäochromozy-tom war 4 Jahre, der älteste 83 Jahre alt.80 Prozent der Phäochromozytome wer-den bei der VHL-Erkrankung zwischendem 10. und 55. Lebensjahr festgestellt.Etwa 40 Prozent der Betroffenen mit ei-nem Phäochromozytom haben entwederbei Diagnosestellung oder im weiterenVerlauf Phäochromozytome beider Ne-bennieren.

    SymptomePhäochromozytome produzieren dieStresshormone Noradrenalin und Ad-renalin im Überschuss und geben sie indie Blutbahn ab. Oft geschieht dies pha-senweise. Die Krankheitszeichen tretendeshalb typischerweise attackenartig auf.Schweißausbrüche, Kopfschmerzen undein „Herzgefühl“ meist in Form von Puls-rasen führen die Patienten zum Arzt.Häufig sind die Attacken dann schon vor-bei, und es lässt sich nichts mehr fest-stellen. Ist der Tumor noch aktiv, so fin-det sich fast immer ein erhöhter Blut-

    druck. Für Patienten sind die Attackenbeunruhigend und unangenehm. Nebendiesen „klassischen“ Symptomen verur-sachen Phäochromzytome sehr vieleweitere Krankheitszeichen wie Störungender Darmtätigkeit mit Erbrechen oderDurchfall und Gewichtsverlust, Störungder Urinproduktion mit vermehrtem Durstund Wasserlassen, Störung des Nerven-systems mit Zittern, Angstzuständen undDepressionen und Störung des Stoff-wechsels mit Hitzegefühl und Erhöhungdes Blutzuckers. Gefahren drohen denPatienten wegen der Herzbelastung unddem stark erhöhten Blutdruck durchHerzversagen oder Hirnblutung. Bösarti-ge (maligne) Phäochromozytome mit Me-tastasen sind bei der VHL-Erkrankungsehr selten.

    DiagnostikDie Diagnostik besteht zum einen in derMessung der Stresshormone, zum ande-ren im Nachweis der Tumoren als Raum-forderungen.Stresshormone oder Katecholamine um-fassen Adrenalin, Noradrenalin sowie de-ren Abbauprodukte Metanephrin undNormetanephrin, die im 24-Stunden-Urinoder im Blut-Plasma gemessen werdenkönnen. Sind diese Werte massiv erhöht,gibt es an dem Vorliegen eines Phäo-chromozytoms oder Paraganglioms kei-nen Zweifel. Wissenschaftliche Untersu-chungen der letzten Jahre haben erge-ben, dass Normetanephrin der besteMesswert zur Erkennung dieser Tumorenist. Die Kernspintomographie (MRT) istgenerell die bestgeeignete Untersuchungund sollte wenn möglich immer durchge-führt werden. Da diese Untersuchung

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    Kapitel 2.4 | Phäochromozytome | Stand: September 2016

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    auch der Erkennung von Tumoren derNieren und der Bauchspeicheldrüsedient, ist die Indikation für die MRT-Untersuchung bei VHL-Betroffenen einwesentlicher diagnostischer Pfeiler. Da

    mehr als 95 Prozent der Phäochromozy-tome und Paragangliome im Bauchraumlokalisiert sind, reicht eine MRT-Untersu-chung des Bauches (Abdomen) aus.

    Abbildung 12:Phäochromozytom der rechten Nebenniere.A: Darstellung mittels Kernspintomographie in frontaler (coronarer) Schnittebene

    B: Darstellung desselben Tumors mittels 18Fluor – DOPA – Positronenemissionstomographie (DOPA-PET)

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    Kapitel 2.4 | Phäochromozytome | Stand: September 2016

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    Phäochromozytome und Paragangliomelassen sich auch durch nuklearmedizini-sche Verfahren darstellen. Diesen Unter-suchungen kommt jedoch nur die Rolleder Bestätigung bzw. des Nachweisesoder Ausschlusses von Mehrfachtumo-ren zu. Zum Einsatz kommen die Me-taiodobenzylguanidin (MIBG-) Szinti-graphie und die DOPA-Positronen-Emis-sions-Tomographie (DOPA-PET).

    TherapieDie Therapie besteht in der operativenEntfernung des Phäochromozytoms.Vor der Operation war bis vor kurzemeine Vorbehandlung in Form einer Blo-ckade der Wirkung der Stresshormonenotwendig. In entsprechenden Zentrenerfolgt dies nur noch, wenn eine perma-

    nente Erhöhung des Blutdrucks vorliegt.Die Behandlung erfolgt mittels Alphablo-ckern, meist Phenoxybenzamin (Han-delsname: Dibenzyran). Bei unverändertschnellem Pulsschlag kommt zusätzlichdie Behandlung mit Betablockern hinzu.Diese Behandlung erfolgt bis zur Operati-on.

    Infolge der sich verbessernden operati-ven Möglichkeiten hat sich die „Schlüs-selloch-Operation“, d.h. die endoskopi-sche Operationstechnik zum Standard-verfahren entwickelt. Jedes Phäochro-mozytom sollte somit endoskopisch ent-fernt werden. Die Operation sollte orga-nerhaltend durchgeführt werden, weil oftbeide Nebennieren Phäochromozytomeentwickeln.

    Abbildung 13: Extraadrenales Phäochromozytom (Paragangliom). Kernspintomographie in frontaler (coronarer)Schnittebene

    Nach der Operation verschwinden alleBeschwerden. Wenn nach einer Operati-on zu wenig Nebennierengewebe ver-blieben ist, muss ein sogenannter ACTH-

    Test durchgeführt werden. Dieser zeigtan, ob ausreichend funktionierendes Ne-bennierenrindengewebe vorhanden ist,d.h. ob die lebenswichtigen Hormone der

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    Kapitel 2.4 | Phäochromozytome | Stand: September 2016

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    Glukokortikoide und Mineralokortikoidegenug produziert werden. Ein ACTH-Testsollte immer nach Eingriffen an beidenNebennieren durchgeführt werden. Diesbeinhaltet sowohl eine Operation, bei deraus beiden Nebennieren Phäochromozy-tome entfernt wurden, als auch Operatio-nen an nur einer Nebenniere, wenn in ei-ner zurückliegenden Operation die ande-re Nebenniere entfernt wurde oder ausihr ein Phäochromozytom enukleiert (her-ausgeschält) wurde. Falls der ACTH-Testzeigt, daß die Nebennierenrinde nichtmehr funktionstüchtig ist, muss eine le-benslange orale Medikation (sog. Stero-idsubstitution) erfolgen.

    VorsorgeDie Messung von Noradrenalin und Ad-renalin, Metanephrin und Normetane-phrin im 24-Stunden-Urin oder im Blutsowie eine Kernspintomographie desBauchraumes in frontaler (coronarer) undhorizontaler (transversaler) Ebene solltefester Bestandteil der Vorsorgeuntersu-chungen bei Patienten mit VHL-Krankheitsein. Hierdurch lassen sich die Tumorender Nebennieren, aber auch die hin undwieder außerhalb der Nebennieren gele-genen Paragangliome gut darstellen.

    Vorsorgeuntersuchungen werden abdem 5. Lebensjahr empfohlen. In diesemAlter erscheint eine Sonographie (Ultra-schall) zusammen mit der Bestimmungder Stresshormone im 24-Stunden-Urinausreichend. Ab dem 10. Lebensjahr isteine MRT-Untersuchung zu empfehlen.

    Als Intervalle werden jährliche Kontroll-untersuchungen empfohlen. Für Patien-

    ten, die eine Mutation mit sehr langsamerWachstumstendenz aufweisen, wie Trä-gern der Mutation VHL c.505 T>C(Schwarzwaldmutation), erscheinen Un-tersuchungen alle 2 bis 3 Jahre ausrei-chend. Bei Betroffenen, die bei wieder-holten Kontrolluntersuchungen keinePhäochromozytome aufwiesen, kann dieBestimmung der Katecholamine entfal-len. Bei Ihnen sind die MRT-Untersu-chungen ausreichend.

    Phäochromozytome und Schwanger-schaftPhäochromozytome werden bisweilen inder Schwangerschaft entdeckt und stel-len eine Gefährdung von Mutter und Kinddar. Durch den Druck des größer wer-denden Kindes kann es zu schweren undlebensbedrohlichen Bluthochdruckkrisenkommen. Die Behandlung ist in dieserAusnahmesituation prinzipiell dieselbe.Es sollte möglichst im mittleren Schwan-gerschaftsdrittel die endoskopischePhäochromozytom-Entfernung durchge-führt werden.

    Bösartige PhäochromozytomeBösartige Phäochromozytome sind beiVHL-Betroffenen äußerst selten. Das Zielder Behandlung des malignen Phäochro-mozytoms bei der VHL-Erkrankung un-terscheidet sich nicht von der Behand-lung sporadischer maligner Phäochromo-zytome und der von anderen erblichenPhäochromozytomen wie beispielsweisebei Patienten mit Mutationen des SDHBGens. Wichtig ist, die Metastasen, soweitmöglich, zu entfernen. Bei fehlenderOperabilität ist eine 131Jod-MIBG-Thera-pie anzustreben. Dies setzt eine Aufnah-

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    Kapitel 2.4 | Phäochromozytome | Stand: September 2016

  • von Hippel-Lindau (VHL) • Eine patientenorientierte Krankheitsbeschreibung

    me der Substanz voraus, was mit einer(diagnostischen) MIBG-Szintigraphie zuprüfen ist. Alle weiteren Behandlungensind als palliativ anzusehen, d.h. helfend,das Tumorwachstum begrenzend bzw.zurückdrängend, ohne aber eine Heilungzu erreichen. Hierzu gehören auch Che-motherapien. Das sog. Averbuch-Proto-koll mit den Substanzen Cyclophospha-mid, Vincristin und Dacarbacin (CVD) istdie Standard-Chemotherapie. Mit diesemProtokoll liegt weltweit die meiste Erfah-rung vor: Das biochemische Ansprechen(Abfall der Katecholaminproduktion) unddie Tumor-Ansprechraten liegen mit Er-reichen einer kompletten Remission (CR)bei 20 Prozent bzw. 14 Prozent und einerpartiellen Remission (PR) bei 45 Prozentbzw. 32 Prozent. In einer an einem Zen-trum durchgeführten Fallanalyse an 10Patienten, die mit CVD-Chemotherapiebehandelt wurden, zeigte sich ein mittle-res Überleben von 6 Jahren. Die CVD-Chemotherapie wird je nach Ansprechenund Verträglichkeit mit 3 bis 6 Zyklendurchgeführt. Andere Chemotherapienwerden meist nach erfolgloser CVD-The-rapie durchgeführt. Hierbei kommen Vin-desin/DTIC, AraC, CTD plus AntrazykliKombinationen von Vepesid, Caboplatin,Vincristin, Cyclophosphamid, Adriamycin

    oder Temozolomid plus Thalidomid zumEinsatz. Therapiealgorithmen, d.h. kon-krete Therapieempfehlungen bei langsa-mem, moderatem oder bei raschem Tu-morwachstum, berücksichtigen heutedas Ergebnis der MIBG-Szintigraphie,die Möglichke