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32 Ra d Markt 6/2014 3. Kongress Vivavelo MARKT Der Branchenkongress Vivavelo fand zum dritten Mal statt, ist also fast schon Tradition. Er bot eine neuerliche Bestandsaufnahme, wo die Fahrradwelt steht – insbesondere im Verhältnis zur Politik. Womit wir eigentlich schon beim Fazit sind: Während Vivavelo in der Branche gut verankert ist, ist noch Luft nach oben, was die Wahrnehmung durch die Politik betrifft. Der fachliche Input aus den Vorträgen war weitgehend auf hohem Niveau. Von Worten und Taten D er Verbund Service und Fahrrad als Hauptinitiator dieses Kongresses legt besonderen Wert auf die Lobbyarbeit im politischen Raum und hatte den Kongress bewusst in der Hauptstadt angesiedelt – in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen. Die Entscheider des Politikbetriebs begegnen der Fahrradwirtschaft vor ihrer Haustür, auf ihre Präsenz setzt man. Der Staatssekretär im Verkehrsministerium Rainer Bomba eröffnete erneut den Kongress, die »Fahrradreferentin« des Ministeriums, Birgitta Worringen, nahm an einer Podiumsdiskussion zur Politik der Bundesregierung teil. Der Politikbezug führte sogar zu einer gravierenden Terminveränderung: Statt, wie gewohnt, im Februar fand der Kongress diesmal im Mai statt, weil sich nach der Bundestagswahl die neue Bundesregierung erst konstitu- ieren musste. Man hatte aber nicht das Gefühl, dass der Aufschub mithalf, mehr inhaltliche Substanz auf Regierungsseite zu schaffen. VSF-Vorstand Albert Herresthal sagte in seiner Eröffnungsrede süffisant, vom neuen Verkehrsminister Dob- rindt sei zum Thema Fahrrad in den ersten fünf Monaten seiner Amtszeit kein Statement überliefert, was aber »an der Kürze der Zeit« gelegen haben möge. Bomba versprach, sein Ressortchef werde sich in den nächsten Tagen zu diesem Thema fundiert äußern; er wolle sich erst tief in die Materie einarbeiten und dann an die Öffentlichkeit gehen. Das gleiche Versprechen gab später auch die Fahr- radbeauftragte Birgitta Worringen ab. Aber wenn wirklich Handfestes dazu verkündet werden soll, hätte man dann nicht zusehen können, die Botschaft etwas früher spruch- reif zu haben und Vivavelo als Plattform dafür zu nutzen? Was sagt das über den Stellenwert des Kongresses und des Fahrrades überhaupt beim Ministerium aus? Dazu passte, dass man zu einer Diskussion über die Fahrradpolitik der Bundesregierung nur die Fahrradbeauftragte entsandte (siehe separaten Bericht). Das Plenum des Kongresses am ersten Tag. Albert Herresthal: Fünf Monate – die Kürze der Zeit. Staatssekretär Rainer Bomba: Statement des Ministers ange- kündigt.

Von Worten und Taten · Staatssekretär Rainer Bomba: Statement des Ministers ange-kündigt. a R dMr a kt 33 a R dMr a kt Das Branchenmagazin RM 6/2014 Highway to Hell Durch die Impulsvorträge

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3. Kongress VivaveloMarkt

Der Branchenkongress Vivavelo fand zum dritten Mal statt, ist also fast schon Tradition. Er bot eine neuerliche Bestandsaufnahme, wo die Fahrradwelt steht – insbesondere im Verhältnis zur Politik. Womit wir eigentlich schon beim Fazit sind: Während Vivavelo in der Branche gut verankert ist, ist noch Luft nach oben, was die Wahrnehmung durch die Politik betrifft. Der fachliche Input aus den Vorträgen war weitgehend auf hohem Niveau.

Von Worten und Taten

Der Verbund Service und Fahrrad als Hauptinitiator dieses Kongresses legt besonderen Wert auf die Lobbyarbeit im politischen Raum und hatte den

Kongress bewusst in der Hauptstadt angesiedelt – in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen. Die Entscheider des Politikbetriebs begegnen der Fahrradwirtschaft vor ihrer Haustür, auf ihre Präsenz setzt man. Der Staatssekretär im Verkehrsministerium Rainer Bomba eröffnete erneut den Kongress, die »Fahrradreferentin« des Ministeriums, Birgitta Worringen, nahm an einer Podiumsdiskussion zur Politik der Bundesregierung teil.

Der Politikbezug führte sogar zu einer gravierenden Terminveränderung: Statt, wie gewohnt, im Februar fand der Kongress diesmal im Mai statt, weil sich nach der Bundestagswahl die neue Bundesregierung erst konstitu-ieren musste.

Man hatte aber nicht das Gefühl, dass der Aufschub mithalf, mehr inhaltliche Substanz auf Regierungsseite zu

schaffen. VSF-Vorstand Albert Herresthal sagte in seiner Eröffnungsrede süffisant, vom neuen Verkehrsminister Dob-rindt sei zum Thema Fahrrad in den ersten fünf Monaten seiner Amtszeit kein Statement überliefert, was aber »an der Kürze der Zeit« gelegen haben möge. Bomba versprach, sein Ressortchef werde sich in den nächsten Tagen zu diesem Thema fundiert äußern; er wolle sich erst tief in die Materie einarbeiten und dann an die Öffentlichkeit gehen.

Das gleiche Versprechen gab später auch die Fahr-radbeauftragte Birgitta Worringen ab. Aber wenn wirklich Handfestes dazu verkündet werden soll, hätte man dann nicht zusehen können, die Botschaft etwas früher spruch-reif zu haben und Vivavelo als Plattform dafür zu nutzen? Was sagt das über den Stellenwert des Kongresses und des Fahrrades überhaupt beim Ministerium aus? Dazu passte, dass man zu einer Diskussion über die Fahrradpolitik der Bundesregierung nur die Fahrradbeauftragte entsandte (siehe separaten Bericht).

Das Plenum des Kongresses am ersten Tag.

Albert Herresthal: Fünf Monate – die Kürze der Zeit.

Staatssekretär Rainer Bomba: Statement des Ministers ange-kündigt.

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Highway to Hell

Durch die Impulsvorträge am ersten Kongresstag gab es schon fast zu viel Input, zumal die Veran-stalter das ausgedruckte Programm um einen Punkt aufbohrten: Der ADFC-Bundesgeschäfts-führer Burkhard Stork sprach über die welt-weiten positiven Verän-derungen in der Rad-verkehrspolitik. Ziel war es, gewissermaßen vor einer Reihe von Streich-

quartetten einmal »Highway to Hell« zu spielen, damit alle richtig eingestimmt sind. Natürlich ist Stork der richtige Mann dafür, zumal der Unterhaltungsfaktor bei ihm nicht zu Lasten der Information geht: 2050 werden 75 Prozent der Bevölkerung in Städten wohnen. Das Auto wird darin keinen Platz haben. In Deutschland sind 60 Prozent der Fahrten in der Stadt unter fünf Kilometern und 40 Prozent unter zwei Kilometern.

Staunend nahm man zur Kenntnis, wie dicht das Netz der Fahrradverleihstationen in New York, Paris oder sogar Mexiko City ist, wo man die Zahl von derzeit 270 bald auf 4.000 angehoben haben will. Moskau will von 40 auf 350 Radstationen hochfahren. Und Berlin? 190.

Matthias Lossau: Bedingungslose Grundmobilität

Professor Matthias Lossau von der Hoch-schule für bildende Künste in Braun-schweig hatte geti-telt: Bedingungs-lose Grundmobi-lität – Perspektiven der Fahrradbranche. Zunächst berichtete er von dem noch lau-fenden Forschungs-projekt Pedelection, das in Beispielstädten die Verlagerungsef-fekte erfassen soll, die

sich aus der verstärkten Nutzung von Elektrofahrrädern ergeben. Das Auto verliert im urbanen Raum an Zuspruch, und weil immer mehr Menschen Rad fahren, ergibt sich ein Vollzugszwang für die Politik. Das Pedelec schließt die Lücke zwischen Fahrrad und Auto, weil es einen größeren Akti-onsradius als das Fahrrad hat. Autoflottenmanager werden zunehmend nach Pedelecs gefragt, und das Geschäft sollte die Fahrradbranche nicht anderen überlassen.

Für Lossau gehören ideologische Debatten bald der Vergangenheit an und er schlägt vor, mit passenden Ein-heiten zu argumentieren: Fahrrad-Gewinnstunden versus Auto-Verluststunden, wo sich Faktoren subsumieren lassen, wie Parksuchverkehr und höhere Lebensqualität im Quar-tier. Er schlägt vor, eine rein technische Sichtweise durch eine kulturell-systemische Sichtweise zu ersetzen. Der Fahrradhandel soll sich zum Mobilitätsanbieter wandeln; vielleicht werde es in zwei Jahren anstelle eines Fahrrad-kongresses einen Nahmobilitätskongress geben.

Achim Kampker: Systemforschung E-Bike

Professor Achim Kampker von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen beklagte: »Wir denken immer nur in Teilsystemen, wie öffentlicher Personennah-verkehr, Auto oder Fahrrad, und betrachten die Verkehrs-träger immer isoliert. Es ist aber ein integriertes System erforderlich.« Kampker richtet sein Denken auf die »Letzte-Meile-Logistik«. Im Transportwesen sind nicht die großen Strecken das größte Problem, sondern es ist die Feinver-teilung an die einzelnen Zielpunkte, also die letzte kleine Strecke dorthin. Dort wird das Pedelec bislang nicht genü-gend eingebunden.

Das betrifft auch die Forschung. Laut Kampker würden sich viel zu wenige Hochschulen mit dem Pedelec beschäf-tigen. Auch in der Praxis fehle es oft an weitergehenden Konzepten, wie man sie gewinnbringend einsetzen könne, insbesondere um das Auto zu ersetzen. Auch die Verknüp-fung des Elektrorades mit dem Bus oder Carsharing werde noch zu wenig in den Fokus genommen. »Man muss sich doch fragen, warum die Menschen nicht massenhaft aufs Pedelec umsteigen«, mahnt der Aachener Professor. »Viel-leicht deswegen: Ich habe morgens einen Platten und schon bin ich aufgeschmissen. Es fehlt an der Servicestruktur.«

Kampker verharrt aber nicht in der Theorie. Mit seiner Hilfe entsteht in Aachen ein Verleihsystem für Elektroräder, bei dem sich alle 300 Meter eine Station befindet (100 Sta-tionen, 1.000 Pedelces). Die Finanzierung ist bereits gesi-chert. Bei der Platzierung der Stationen hat man beispiels-weise gezielt darauf geachtet, wo sich überlastete Buslinien befinden. Auch Park-and-Ride-Plätze wurden einbezogen. Zudem sollen örtliche Unternehmen gewonnen werden, einzelne Stationen zu sponsern, um ihre Mitarbeiter zum Umstieg aufs Pedelec zu bewegen. Er will das Projekt auch internationalisieren. Dann könne man mit dem Zug von Aachen nach Maastricht fahren und dort mit derselben Kundenkarte ein Pedelec mieten.

Generell fordert Kampker, dass sich Konsortien bilden sollten, in denen diverse Unternehmen zusammenarbeiten und »Wissensamplituden« erzeugen und nutzen würden. Wenn jeder sein Wissen ängstlich für sich behalte, dann dauerten Innovationen zu lange: »Wir müssen schneller werden. Es ist ein Irrtum, dass Chinesen nur kopieren können«, warnt der Aachener Professor. Außerdem warnt er davor, alles regulieren und regeln zu wollen. »Man muss auch mal etwas ausprobieren.«

Professor Matthias Lossau: Mobilitätsshop statt Radladen.

Professor Achim Kampker: Vernetzung der Verkehrsträger richtig voranbringen.

Burkhard Stork: Mexiko City ist bald Vorbild.

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Podiumsdiskussion zur Fahrradpolitik der Bundesregierung:

>Vier gegen eine: Die Fahrradbeauftragte im Bundes-verkehrsministerium, Birgitta Worringen, musste sich konzentrierter Angriffe erwehren, die von den übrigen

Teilnehmern der Podiumsdiskussion auf sie niedergingen. Heiko Müller von der Firma Riese und Müller sagte als Ver-treter der Fahrradindustrie, er könne den deutlich gestie-genen Stellenwert des Fahrrades für Wirtschaft, Ökologie Gesundheit und Verkehr in keiner Weise in der Politik der Bundesregierung wiederfinden. Die Fahrradindustrie sei mit ihren zahlreichen Innovationen in Vorleistung getreten, die Politik müsse nachziehen. Der ADFC-Vorsitzende Ulrich Syberg sagte, das Tempo stimme einfach nicht. Lothar Mittag sprach für die Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreund-licher Städte in Nordrhein-Westfalen und forderte eine konzertierte Aktion fürs Fahrrad. Der Grünen-Abgeord-nete Matthias Gastel fand, es stimme nicht nur das Tempo

Alle gegen eine (v. l.): Lothar Mittag, Ulrich Syberg, Heiko Müller, Thorsten Schröder, Matthias Gastel und Birgitta Worringen.Foto: cm

nicht in der Fahrradpolitik, sondern es fehle auch die klare Richtung. Verräterisch sei Bombas Äußerung gewesen, es mache ihm Spaß, mit seinen Kindern per Rad einen Sonn-tagsausflug zu unternehmen: Es fehle am Sinn für die All-tagsrelevanz des Fahrrades.

Birgitta Worringen hielt das alles für Auslegungssache: »Für Sie ist das Glas halb leer, für mich ist es halb voll.« Die Radverkehrsförderung sei von 60 auf 80 Millionen aufge-stockt worden – als ob wirklich niemand im Saal gewusst hätte, dass sie vor einer Kürzungswelle 100 Millionen Euro betrug.

Das Verkehrsministerium zeigte ganz klar, was es von Fahrradpolitik hält, indem es den Staatssekretär nur für schöne Worte entsandte und die »kleine« Fahrradbeauf-tragte für die unangenehme Diskussion – für die es ihr an Robustheit und Schlagfertigkeit fehlte. Damit geriet sie mit dem Tagesschau-Sprecher Thorsten Schröder an den Richtigen: Seine samtige Stimme und sein freund-liches Auftreten verdecken, wie sehr seine netten Nach-fragen jemanden in die Enge treiben können. So wollte er wissen, wie viele Mitarbeiter im Ministerium exklusiv für das Fahrrad zuständig seien. Darüber musste Birgitta Worringen erst nachdenken und wurde glücklicherweise von Matthias Gastel informiert, dass es umgerechnet vier Vollzeitstellen seien, die dem Fahrrad gewidmet seien; das ganze Ministerium hat weit über 1.000 Leute.

Das Allerbeste war jedoch Schröders freundliche Nach-frage, was denn das Wichtigste sei, was sie seit ihrem Amts-antritt erreicht habe. Worringens offenherzige Antwort: Es sei eine interministerielle Arbeitsgruppe zu Fahrradthemen eingerichtet worden.

mb

Immer wieder sonntags

Sandra Wolf: Attraktiv als Arbeitgeber

Agenturchefin Sandra Wolf beschwor einen Paradigmen-wechsel im Arbeitsmarkt, ausgelöst durch den demogra-fischen Wandel: Der »War for Talents« bedeute, dass sich Firmen um Mitarbeiter bewürben statt umgekehrt. Dass jemand dankbar ist für einen Arbeitsvertrag, das ist vorbei. Der Arbeitnehmer ist Kunde. Der Arbeitgeber muss sich für ihn attraktiv machen, was zunehmend über weiche Fak-toren erfolgt und nicht so sehr über das Gehalt.

Vieles in Sandra Wolfs Vortrag wirkte wenig konkret und drohte sich in Allgemeinplätzen zu erschöpfen; erst am Schluss wurde ihr Ansinnen konkret fassbar, als sie Werbe-motive von Riese und Müller sowie vom schwäbischen Maschinenbauer Bürkert vorstellte, mit denen diese Mit-arbeiter suchen. Dabei stellt sich Bürkert beispielsweise mit Mercedes und Porsche in eine Reihe, um seine Wertigkeit für einen neuen Mitarbeiter zu unterstreichen und Selbst-bewusstsein zu demonstrieren.

Lothar Mittag: Radschnellwege

Der Bürgermeister von Rhede, Lothar Mittag, ver-mittelte, dass Radschnell-wege keine Solitäre sein dürften, sondern in ganz-heitliche Radverkehrs-konzepte eingebunden sein müssten. Es bringt nun mal nichts, wenn ein Radschnellweg von A nach

B führt, man sich aber am Zielort B mangels guter Radwege nicht vernünftig ans Ziel begeben kann. Aber grundsätz-lich motivierten Radschnellwege zur stärkeren Nutzung des Fahrrades. Sie würden künftig auch zu Standortfaktoren, um beispielweise junge Familien anzuziehen.

Text: Michael BollschweilerFotos: Christoper Müllenhof (7)/mb (1)

Lothar Mittag: Radschnellwege nur als Teil eines Systems.

Sandra Wolf: War for talents.

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Podiumsdiskussion Sicherheit:

alles (un)sicher?

>An dem von Gunnar Fehlau (Pressedienst-Fahrrad) moderierten Podium nahmen teil: Dirk Zedler, Geschäftsführer Zedler-Institut für Fahrradtechnik

und -Sicherheit, Detlef Glimm, als Geschäftsführer bei Derby Cycle verantwortlich für Supply-Chain-Manage-ment, Produktion, Qualitätsmanagement und Entwick-lung, Karl Gerdes, Teilhaber und Geschäftsführer Velocity Braunschweig, Ludger Koopmann, Mitglied im Vorstand des ADFC, und Jo Klieber, Gründer und Geschäftsführer von Syntace.

Eine immense Vielfalt an Fahrrädern und der jährliche Modellwechsel machten es extrem schwer, ausführlich gete-stete Produkte in den Markt zu bringen, lautet eine bekannte Kritik an der Branche, die auch auf dem Podium vertreten wurde. Hinzu kommt, wie Händler Gerdes berichtet, ein Prozedere, das im Fahrradhandel an der Tagesordnung ist: Der Kunde hätte gerne eine etwas andere Sitzposition, als das Serienrad zulässt, die Werkstatt tauscht Lenker und Vorbau – und schon hat man es mit einem ungetesteten Produkt zu tun. Es sei denn, bestimmte Hersteller benennen freigegebene Kombinationen, wie es Humpert tut.

Tester Dirk Zedler brachte als Vorbild aus der Automo-bilindustrie Porsche ein: Die bauen ihre Autos mit einem hohen Anteil an Gleichteilen, als Bauteilen, die unverändert in verschiedenen Modellen und über längere Zeit Verwen-dung finden. Das erlaube nicht nur, billiger zu produzieren, sondern auch besser getestete Produkte auf den Markt zu bringen. Als Beispiel zog er den Speedlifter heran: Der ist für alle Fahrräder gleich und erlaubt, ähnlich wie beim ver-stellbaren Autolenkrad, die Anpassung des Rades an den Fahrer, ohne dass es unsicher wird.

Auch Derby-Cycle-Chef Glimm zeigte sich der Proble-matik der schnellen Produktzyklen und -vielfalt bewusst und versicherte, dass die Cloppenburger, die derzeit an die 500 verschiedene Modelle produzieren, nun auch Modelle durchlaufen ließen sowie Modelle ganz aus dem Programm nähmen.

Derby Cycle, so berichtete Glimm, habe jetzt eine Null-Fehler-Strategie ausgerufen. Dazu gehöre der Ausbau einer Lieferantenbasis, die nicht nach Gesichtspunkten des Price-pickings ausgewählt sei, und über Rahmenverträge sowie QS-Vereinbarungen gebunden werde. Im eigenen Haus fänden zudem Audits statt, die die Fehlerquoten pro Rad offenbaren würden, und in End-of-Line-Tests werde jedes Rad nach der Montage komplett durchgetestet, »so dass wir am Ende sagen können: Das Produkt ist sicher.«.

Schnittstelle Mensch-Maschine

»Geht eigentlich wirklich so viel kaputt, ist nicht der Fahrer das eigentliche Risiko?«, fragte Moderator Fehlau. Und Tester Zedler bestätigte, dass der gebrochene Lenker tatsächlich eher selten sei. Es gebe eine Häufung von Unfällen nagel-neuer Räder. Daraus sei zu schließen, dass die Fahrer mit der neuen Technik so beschäftigt seien, dass sie dann im Ernst-

fall nicht bremsen könnten. Hier seien Schulungen wichtig, besonders für Pedelec-Fahrer, weil die motorisierten Fahr-zeuge viele Menschen überforderten.

Hat der Händler dafür Zeit und wäre es dann nicht besser, statt einer Erstinspektion eine Erstfahrt gratis zum Kauf eines neuen Bikes dazuzugeben? Das gab Fehlau in die Runde. Karl Gerdes berichtete, dass er und sein Team bei Velocity besonders den Pedelec-Käufern mehr Zeit gäben, das Fahrzeug auszuprobieren und sie an die Technik heran-führen. Im Sommer lade man die Kunden zu Rundfahrten ein: »Wenn sie die Produkte kennen, fahren sie sehr sicher-heitsbewusst.« Jo Klieber sprach sich für veritable Fahrtech-nikseminare wie im Mountainbike-Bereich aus, in denen die Teilnehmer erlernen, im Notfall reflexartig zu reagieren. ADFC-Mann Koopmann warnte, solche Angebote »Sicher-heitstraining« zu nennen: »Sonst können wir gleich plaka-tieren ›Radfahren ist gefährlich‹«.

Auf Fehlaus Provokation hin, ob man vielleicht Fahr-räder mit dem Hinweis ausstatten müsse »Dieses Rad ist für zwei Jahre oder 600 Kilometer gemacht«, um sie günstig anbieten zu können, konnte Derby-Cycle-Chef Glimm zwar nicht mit einer plausiblen Kilometerleistung kontern, ver-sicherte aber, dass Derby Cycle die Fahrräder so oder so für mindestens zehn Jahre Haltbarkeit auslege. Testinge-nieur Zedler schlug vor, einfach mehr danach auszudiffe-renzieren, was man mit dem jeweiligen Fahrrad tatsäch-lich macht: »Die Eier legende Wollmilchsau kann keiner konstruieren!«

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Detlef Glimm: Derby wird die Modellpalette straffen und setzt auf eine Null-Fehler-Strategie.

Ludger Koopmann (l.) und Karl Gerdes: Der Händler macht mit den Kunden Ausfahrten, um sie in die Nutzung der Pedelecs einzuführen, aber das sollte man nicht Sicherheitstraining nennen.

Dirk Zedler: Von Porsche kann man die Gleichteilepolitik lernen. Gunnar Fehlau: Erstfahrt statt Erstinspektion.

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3. Kongress VivaveloMarkt

Hannes Neupert:

>Hannes Neupert, Vorsitzender des Vereins Extra Energy, warf in seinen beiden Workshops einen Blick in die E-Bike-Zukunft. Dabei ging es zum einen um die kommenden Inno-

vationen bei Pedelecs wie auch um die möglichen Risiken für Hersteller, Händler und Verbraucher.

Technische Innovationen werden die Fähigkeiten von Pede-lecs in der Zukunft stark verändern. Einige werden schon umge-setzt. So erwartet Neupert den Siegeszug des digitalen Serien-Hybrid-Antriebs, also eines ausschließlich durch Strom angetrie-benen Systems, bei dem der Fahrer keine Kette mehr antreibt, sondern einen Generator. Dieses Prinzip ist beim Mando Foot-lose schon verwirklicht. Diese Systeme versprechen nach Neu-pert einen besseren Wirkungsgrad und könnten langfristig sogar den Mittelmotor ablösen.

Einen technischen Durchbruch erwartet Neupert in der Kom-posit-Technologie, die es erlauben wird, leichtere und stabilere Rahmen in industriellem Maßstab in Europa zu fertigen. Dadurch werde vor allem die Abhängigkeit gegenüber asiatischen Liefe-ranten geringer und die Produktion flexibler durch kürzere Lie-ferzeiten und leichtere Verfügbarkeit von Rohstoffen.

Ebenfalls schon Realität, aber künftig ein Merkmal aller Pede-lecs, wird deren Vernetzung sein. Das umfasst die Anbindung an andere Maschinen und Objekte, wie das Smartphone, aber auch die Vernetzung mit dem Internet und anderen Objekten in der unmittelbaren Umgebung, etwa anderen Pedelecs und Autos. Kollisionswarnungen oder optimierte Verkehrsflüsse werden möglich, auch durch Kommunikation mit Ampeln. Wegfahr-sperre, Ortung, individuelle Motoreinstellungen, wie im Stromer ST2, werden künftig an jedem E-Bike zu finden sein.

Die Vernetzung betrifft aber auch die Verbindung von Mensch und Maschine, etwa durch sogenannte »Wearables«, wie Pulsuhren, die dem E-Bike physiologische Daten liefern, mit-

tels derer das Pedelec gesteuert werden kann. In diese Richtung geht das Impulse-Ergo-System von Derby Cycle.

Derzeit verwenden viele Hersteller proprietäre Batterie-systeme, so dass man Batterien nicht untereinander tauschen kann. Daher hält Neupert Standardisierung bei der Batterie-technik für besonders wichtig. E-Tankstellen würden so möglich und die Reichweite vergrößere sich. Zudem hätte man das Pro-blem des »Verschleißteils Akku« insoweit gelöst, als man keinen Akku mehr kaufe, sondern für dessen Nutzung bezahle.

Für die Hersteller liegt ein Risiko in sich ändernden gesetz-lichen Vorschriften. Etwa ist noch nicht absehbar, wie es künftig um die Rücknahme und Entsorgung von Pedelecs steht. Hier könnten hohe Kosten auf die Hersteller zukommen. Ein anderes Problem sieht Neupert in der Abhängigkeit von Teilelieferanten, etwa Antriebsherstellern. Die eigene Fahrradmarke könne zum Beispiel dahinter zurücktreten. Genauso groß ist das Risiko, dem Preisdiktat einzelner Lieferanten unterworfen zu sein. Die Zukunftsfähigkeit heutiger Pedelec-Systeme ist hingegen primär für Endkunden ein Problem. Herstellereigene Systeme und schnelle Innovationszyklen lassen Technologien schnell inkompa-tibel werden und Ersatzteile werden für einige E-Räder nur schwer erhältlich sein. Das könnte wiederum negativ auf Händler und Hersteller zurückfallen. Die Vielzahl der vorhandenen Systeme stellt die Fachhändler schon heute vor das Problem, dass sie nicht jedes System kennen und warten können. Neben Werkzeug und Software fehlt auch das Know-how. Umgekehrt hat der Kunde aber noch die Erwartung, dass im Fahrradladen alles repariert werden kann und nicht nur bestimmte Modelle.

Für Neupert liegt ein Teil der Lösung in stärkerer Standar-disierung innerhalb der Branche, um die Zukunftsfähigkeit zu sichern und sparsam mit Ressourcen umzugehen.www.extraenergy.org

Michael Cramer:

>Der Europaabgeordnete Michael Cramer schlug mit seinem Workshop-Thema eine Brücke zwischen den Themen Radwegeausbau und Radtourismus in Verbin-

dung mit der jüngeren europäischen Geschichte. Er stellte in Wort und Bild den »Europaradweg No 13 – Eiserner Vor-hang« vor. Auf einer Länge von 10.000 Kilometern verläuft er von der Barentssee im Norden bis zum Schwarzen Meer im Süden der ehemaligen Westgrenze des Warschauer Paktes. Er werden wohl nur wenige Menschen die gesamte und über

weite Teile landschaftlich überaus reizvolle Strecke zurück-legen, aber auch kleine Teilstücke machen die Größe, Aus-stattung und Charakter der »Iron Curtain« genannten Grenze im Wortsinn erfahrbar.

Der E13 ist eingebunden in ein Netz europäischer Rad-wege, wurde auf Beschluss des EU-Parlaments gefördert und ist in Teilen schon einheitlich markiert worden. Cramer hat auch Reiseführer dazu herausgebracht.www.michael-cramer.eu

Hannes Neupert wirft einen Blick in die Zukunft des E-Bikes.

Europaradweg Eiserner Vorhang

Pedelec-Markt: Chancen und risiken

Manfred Scholz:

>Der Fahrradbeauftragte der Stadt Soest, Manfred Scholz, zeigte in Bildern jene Regelung, die den deutschen Fahr-radpreise 2013 errang: In der Jacobistraße, eine schmalen

Einbahnstraße mit Parkstreifen, wurde der Radstreifen mittig abmarkiert, die Radfahrer dürfen also mitten auf der Fahrbahn fahren und Autos müssen dahinterbleiben. Bisher versuchten nämlich die Autofahrer, sich an den rechts fahrenden Rad-

fahrern vorbeizuzwängen, die dann bevorzugt mit sich öff-nenden Türen der parkenden Autos kollidierten. Das ist nun vorbei. Die Bevölkerung sieht es positiv, sogar die Autofahrer. Allerdings ist die Jacobistraße nur 450 Meter lang und leicht abschüssig, die Radler und damit auch die Autos kommen also zügig voran. Und die Lösung hat nur 2.500 Euro gekostet.

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Workshops

radverkehrsförderung in Soest

Manfred Scholz: 2.500 Euro für eine hochwirksame Maßnahme.

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Siegfried Neuberger:

Normen und Vorschriften fürs E-Bike

>Der Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands hatte einen ähnlichen Vortrag vor einiger Zeit vor der Landesinnung Hessen gehalten (siehe RM 04/2014 für weitere Themen wie Batterieent-

sorgung), legte hier aber den Schwerpunkt stärker darauf, wie sich die Normenarbeit entwickelt.

Für die Typgenehmigung von schnellen Pedelecs gelten ab 1. Juli 2014 neue Anforderungen, nämlich ein oder zwei Bremsleuchten, eine Num-mernschildbeleuchtung und ein Abblendlicht, das sich automatisch mit der Systemaktivierung einschaltet.

An europäischen Regelungen zur Batteriesicherheit arbeitet der ZIV ebenfalls mit, er ist aber gegen eine generelle Standardisierung von Ladegeräten. Denn auch ohne einen solchen Standard sei die Sicherheit gegeben und der 220-Volt-Anschluss stelle quasi eine Norm dar. Nur bei Verleihsystemen erscheine ein Standard sinnvoll. Ansonsten gelte: »Wir brauchen keine öffentliche Ladeinfrastruktur.«

Die wichtigste Botschaft: Im Mai 2014 sollen Untersuchungsergebnisse von Dr. Eric Groß von der Technischen Universität Hamburg-Harburg über Betriebslasten am Elektrorad vorliegen, die die Grundlage für eine Über-arbeitung der Norm bilden sollen. Die EN 15194 und die CEN TC 333 für Fahrräder werden derzeit überarbeitet.

Die deutsche Seite im europäischen Normungsgremium forderte unter anderem: Mindestgewicht auf 120 Kilo anheben; Dauerprüfung der Brems-anlage Trommel und Scheibenbremsen mit 75 Watt; Biegeprüfung für Lenker von 600 auf 1.000 Newton anheben; Biegeprüfung für Vorbau von 2.000 auf 2.600 Newton anheben; dynamische Lenkerprüfung gleichphasig mit 280 Newton und gegenphasig mit 220 Newton; Gabel-/Rahmen-prüfungen: horizontale Prüfung mit 600 Newton bei Frontmotor sowie 500 Newton bei Mittel/ und Heckmotor bei 100.000 Lastwechseln; Gabel-prüfung mit 500 Newton.

Gegen den veröffentlichten Entwurf können noch bis Juni 2014 Ein-wendungen vorgebracht werden, ehe die Norm Anfang 2015 veröffent-licht wird. Im Amtsblatt erscheint sie dann als harmonisierte Norm unter der Maschinen und EMV Richtlinie Ende 2015.

Für eine Reichweitenmessung hat eine Arbeitsgruppe des ZIV einen Vorschlag für eine Überarbeitung vorgelegt. Sie basiert auf dem soge-nannten modifizierten Japan-Zyklus. Einige Eckpunkte seien hier genannt. Die Steigungs- und Gefällstrecken wurden von einem auf 0,5 Kilometer ver-kürzt. Das erste Flachstück beträgt 1,5 Kilometer mit Stopps und Beschleu-nigungen alle 500 Meter. Die Geschwindigkeit soll in der Ebene 22 und an der Steigung 18 Kilometer in der Stunde betragen. Die Trittfrequenz wird auf 60 erhöht. Die Leistung des Fahrers wird auf 100 Watt in der Ebene und 230 Watt an Steigungen festgelegt. Das Gesamtgewicht soll 120 Kilo betragen. Der Luftdruck soll auf das angegebene Maximum gebracht werden.www.ziv-zweirad.de

mb

Siegried Neuberger: Norm für E-Bikes wird wohl angehoben.

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3. Kongress VivaveloMarkt

Burkhard Stork:

>Burkhard Stork, Geschäftsführer des Allgemeinen Deut-schen Fahrrad-Clubs (ADFC) bremste bereits in seinen ersten Sätzen die Erwartungen an die aktuellen Zahlen:

Die Erhebung sei im Vergleich zu den Untersuchungen 2011 und 2009 im Winter anstatt im Sommer durchge-führt worden und die Fahrradnutzung dadurch rückläufig.

Die meisten Fragen hätten von den Befragten nur in einer Sommerrückschau beantwortet werden können. Durch welche besonderen Umstände sich dieser Fauxpas einsch-lich, blieb Stork seinen Zuhörern leider schuldig.www.adfc.de

as

Bernhard Fehr:

>Diplom-Designer Bernhard Fehr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, ent-

wickelte eine – noch recht abstrakte und durch weitere Pro-jekte zu konkretisierende – Vorstellung, wie Fahrradhändler diese künftig als Chancen nutzen können.

Als Hemmnisse machte er aus: Effizienzdruck, starken Wettbewerb, nicht synchronisierte Lieferketten, Internet als Konkurrenz (schade, denn man könne es gut zu eigenen Zwecken nutzen), den Stiftung-Warentest-Effekt und in Deutschland, anders als in anderen Ländern, einen starken Einfluss von Saison und Wetter sowie eine männliche Domi-nanz, die Frauen das Kaufen schwer mache. Außerdem zeige die Branche einen starken Produktfokus: Der Händler steht hinter der Ladentheke und wartet, bis von hinten ein Produkt kommt, das er dem Kunden verkaufen kann, der zufällig gerade in den Laden kommt und dem das Geld gerade locker sitzt. Damit sei der Händler nicht der Gestalter seines eigenen Marktes. Und als Haupthemmnis identifi-zierte er eine noch fehlende Alltagsradkultur.

Um zusätzliche Geschäfte zu generieren bei denen, die im Moment noch Auto fahren, empfahl er, wegzugehen vom Produkt und sich Gedanken zu machen, welche Mobilitäts-bedürfnisse der Kunde habe, zum Beispiel die alleinerzie-hende Mutter mit zwei Kindern abends um acht im Dunkeln im Winter. »Sie ersetzen kein Auto durch ein Pedelec, son-dern durch Mobilitätsketten«, in denen dann auch andere Verkehrsmittel eine Rolle spielen. Als Beispiel zog er den Daimler-Konzern heran, der sich vom Verkäufer von Autos zum Anbieter von Mobilitätssystemen gewandelt habe: Er mache inzwischen übers Smartphone intelligent vernetzt verschiedene Mobilitätsangebote vom Carsharing über die

Parkplatzreservierung bis zu Taxibestellung, Einkaufs- und Lieferservice und Bikesharing. Um sein Geschäft mit Zusatz-geschäften zu erweitern, solle man seinem bisherigen Ver-sprechen an den Kunden »Kauf ein Fahrrad/Pedelec und fahre.« ein neues hinzufügen (bewusst kein Gegenmodell, sondern ein zusätzliches), nämlich: »Ich gebe dir eine Nah-Mobilitätsgarantie im Alltag.«

Da habe der Fachhändler Vorteile, weil er die Mobilitäts-bedürfnisse der Menschen rund um seinen Laden kenne und extrem glaubwürdig sei, wenn er seit 30 Jahren in seinem Quartier ansässig sei. Für ihre Mobilität könnten Kunden zum Beispiel bewachte Parkplätze in der Innenstadt angeboten werden. Oder ausleihbare Lastenräder für den Transport vom Baumarkt. Solche Dinge muss der Händler nicht zwingend selbst erfüllen, aber mit anbieten.

Eine mögliche Finanzierungsform der neuen Mobilitäts-angebote zeigte Fehr anhand eines Vorstadtszenarios: Ein Finanzdienstleister zum Beispiel verleast Pedelecs an die Hausbesitzer, Kommunen oder Immobilienverwaltungen und finanziert das etwa über den Immobilienzins oder aus EEG-Umlagen und aus Einkünften aus den Leasingraten und dem Restwertgeschäft. Der Fahrradhändler käme hier für den Pannenservice (on the road) und die Wartung zum Zuge sowie natürlich als Verkäufer von Produkten und Zubehör. Was jedoch den Nachteil hätte, dass er Getrie-bener wäre, die Wartung zum Beispiel zu den Preiskonditi-onen des Finanzdienstleisters liefern müsste. Wenn jedoch der Fahrradhandel als schlagkräftige Gesamtheit, zum Bei-spiel über eine Dachorganisation, an die Stelle des Dienstlei-sters trete, dann könnte er das Szenario selbst gestalten.www.transportation-design.org

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Für den Fokuswechsel vom Produkt zur Mobilität: Diplom-Designer Bernhard Fehr vom Institut für Transportation Design.

Fahrradhandel: Hemmnisse in Chancen verwandeln

Burkhard Stork:

>In den USA spielt das Fahrrad als Transportmittel meist nur eine untergeordnete Rolle. Anders in Portland, im Bundesstaat Oregon: In der Studie von Robert Galler

von 2006 wird deutlich, dass sich nur 0,5 Prozent der Ein-wohner Portlands selbst als stark und furchtlos bezeichnen und immer mit dem Rad unterwegs sind. Der überwiegende Teil (60 Prozent) traut sich jedoch nicht aufs Rad. Eine der

Hauptforderungen Storks ist deshalb, dass Radfahren für alle Zielgruppen, auch die potentiellen, sicher und einfach zugänglich sein muss. Aus diesem Grund dürfe die Radver-kehrsplanung auch keinesfalls von Vertretern der ersten Gruppe durchgeführt werden, denn Radfahren in der Stadt sollte nichts mit Mut und Tapferkeit zu tun haben.

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Fahrradmonitor 2013

Was wir aus Portland lernen können

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Dirk Zedler:

>Pedelec-Prüfungen sind aufwendig und komplex, aber nötiger als je zuvor durch stärkere gesetzliche Regulierung und Rechtsprechung, welche Hersteller stärker in die

Pflicht nimmt. Eine Prüfung müsse so realitätsnah wie möglich sein. Doch dazu müsse vorher der Einsatzbereich festgelegt werden. »Was passieren kann, haben wir beim letzten Test der Stiftung Warentest gesehen«, sagt Zedler.

Zedler unterscheidet drei Testarten: Performance (Fahr-eigenschaften), Qualität (Benutzerfreundlichkeit, Lack und Ähnliches) und Sicherheit (Betriebsfestigkeit). Um die Sicher-heit eines Produktes wie einem Fahrrad zu ermitteln, müsse zuvor der Einsatzbereich geklärt sein: »Es macht einen Unter-schied, ob ich an einen 60 Kilogramm schweren Rennrad-fahrer denke oder an einen 140 Kilogramm wiegenden

Rekonvaleszenten, der auf dem Rad sitzt wie ein nasser Sack. Fahre ich bei jedem Wetter oder nur bei Sonnenschein? – Je nachdem muss ich anders testen«, sagt Zedler.

Prüfen sei die Simulation eines Fahrradlebens im Zeit-raffer. Dabei sei es nicht damit getan, alle möglichen Prü-fungen schneller ablaufen zu lassen. Es könnten Effekte auftreten, die das Ergebnis verzerren würden. Um unre-alistische und unbrauchbare Ergebnisse zu verhindern, müsse etwa die Aufbringung der Lasten entsprechend eingesteuert werden, wie das Durchmischen von Bremsen und Beschleunigen und nicht eine Prüfung von hundert Bremszyklen hintereinander.www.zedler.de

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Prüfen, aber richtig

Ernst Brust:

>In einem informationsgeladenen Vortrag zeigte Ernst Brust Möglichkeiten auf, mit modernen Messmethoden Fahr-räder und deren Anbauteile zu optimieren. Zahlreiche

Beispiele von gebrochenen oder stark beschädigten Rädern machten die Notwendigkeit dieses Vorgehens verständlich. So

schloss Brust seinen Vortrag mit dem eindringlichen Appell an die Industrie, die bisherigen Qualitätsstandards zu erhöhen und die zur Verfügung stehenden Messmethoden anzuwenden.www.velotech.de

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Beschleunigungsmessung am Fahrrad

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3. Kongress VivaveloMarkt

Dieter Brübach und Axel Dörrie:

>Den Wettbewerb Fahrradfreundliche Wohnungswirt-schaft stellte Betriebswirt Dieter Brübach vom Bundes-deutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Manage-

ment e. V. vor. Darin ist die gewerbliche Wohnungswirtschaft aufgerufen, Beispiele einzureichen, wie man Fahrräder und Wohnen vorbildlich zusammenbringen kann.

Denn für Wohnungsunternehmen mache es Sinn, sich um die Fahrradbedürfnisse ihrer Mieter zu kümmern, erläuterte Brübach: das Wohnumfeld wird ärmer an Lärm und Schadstoffen, man braucht weniger Platz und Geld für Autostellplätze und wird attraktiver für Mieter. »Aber sind wir darauf vorbereitet? Wenn die ältere Mieterin in der Genossenschaftswohnung ihr neues Pedelec in den Keller tragen muss, dann passt das nicht.« Positive Beispiele für Fahrradfreundlichkeit könnten sein, dass Autoplätze in Fahrradabstellplätze umgewidmet, Pumpstationen einge-richtet, Leihangebote gemacht, Infopakete über Abstell-möglichkeiten oder Fahrradtouren in der Umgebung neuen Mietern überreicht würden. Eine Jury wählt die vier fahrrad-freundlichsten Unternehmen aus, die auf einer Fachtagung

im Frühjahr 2015 vorgestellt werden. Deren Maßnahmen werden zudem vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie auf ihren Nutzen analysiert. Daraufhin wird noch ein Hauptgewinner gekürt, der als Preis einen Nextbike-Verleih-terminal mit Rädern für seine Wohnanlage bekommt sowie Gutscheine für die Mieter, die sechs Monate die Leihräder eine Stunde am Tag kostenlos nutzen können.

Wie man sich in Potsdam um fahrradfreundliches Wohnen bemüht, berichtete Verkehrsplaner Axel Dörrie. Er erarbeitet gerade einen Leitfaden, der der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft gute Beispiele für Bestands-immobilien vorführt: Man kann etwa Müllschlucker-Räume zu ebenerdigen Abstellräumen umnutzen oder für Wohn-blöcke Kleingaragen oder Kellerersatzräume anlegen, in denen die Fahrräder sicher untergestellt werden können. Aus den Niederlanden kommt das Beispiel der Quartiers-garage: Ehemalige Ladenflächen beispielsweise werden zum Fahrradstellplatz für ein Wohnviertel.www.fahrrad-fit.de

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Fahrradfreundliche Wohnungswirtschaft

Dirk Zedler:

>Hier standen die gesetzlichen Anforderungen an die Pedelec-Sicherheit im Fokus. Insbesondere mit der CE-Kennzeichnung seien Herausforderungen für Hersteller

und Handel verbunden, über die sich viele noch immer nicht klar seien, sagt Zedler. Die CE-Kennzeichnung sei die Erklärung eines Herstellers, dass seine Produkte den jewei-ligen gesetzlichen Anforderungen der EU genügen würden. In Deutschland ist dabei das Produktsicherheitsgesetz maß-geblich. Im Fall von Pedelecs gilt: Nur wenn sie die CE-Kenn-zeichnung tragen, dürfen sie verkauft werden. Entspre-chend weist er auf die Risiken für Händler hin: »Kaufen Sie nie ein Pedelec ohne CE-Kennzeichnung! Wenn Sie es in die EU importieren, sind Sie für die Behörden der Hersteller und damit haftbar für das Produkt.« Wer E-Räder ohne CE-Kennzeichnung verkauft, müsse damit rechnen, dass die Behörden einen Verkaufsstopp verhängen und die Ware beschlagnahmen würden.

Viele Händler geben Bedienungsanleitungen nicht an den Endkunden weiter. Im Rahmen der CE-Kennzeich-nung müssen sie dem Produkt in Landessprache beiliegen.

Die Übergabe der Anleitung solle man am besten auf der Rechnung vermerken. Ein neues Problemfeld ist der Tausch von Komponenten: Wenn Lenker oder Sattelstütze dem E-Bike-Kunden nicht gefallen, können diese nicht einfach getauscht werden. »Jedes Pedelec muss eine Stückliste haben. Nur mit den Teilen, die darauf stehen, erfüllt es die Anforderungen durch die CE-Kennzeichnung«, sagt Zedler. Wer also als Händler einen anderen Lenker montiert, verän-dert das Pedelec und macht sich haftbar bei einem Unfall. »Verbauen Sie nur die Originalteile oder holen Sie sich die Freigabe für einen Lenker vom Pedelec-Hersteller, sonst dürfen Sie es nicht.«

Alle verwendeten Teile muss der Hersteller stichproben-artig Qualitätskontrollen unterziehen. Aber Prüfen kostet viel Geld. Daher fordert Zedler von den Herstellern, stärker in Platt-formen zu denken: »Die Autoindustrie macht es uns vor.« Mehr Gleichteile in der Produktion bündeln Kräfte beim Ein-kauf und verringern die Kosten für Qualitätskontrollen. Um Kunden ein sicheres Produkt zu liefern und sich vor Schaden-ersatzforderungen abzusichern, ist Prüfen der einzige Weg.

Kurt Schär:

>Der Visionär Kurt Schär hob in seinem hörenswerten Vortrag die große Bedeutung unserer Emotionen hervor, nicht nur für Kaufentscheidungen, sondern vor allem

für Verhaltensänderungen. Einprägsame Beispiele, wie der Vergleich des Energiebedarfs von drei Minuten Duschen und 100 Kilometer e-biken (beides eine Kilowattstunde) sind uns spätestens bei der nächsten Dusche wieder präsent.

Die für einen Rotweinconnaisseur wie Schär unvorstellbare Verschwendung, weit mehr als die Hälfte einer Flasche kost-baren Rotweins unmittelbar nach dem Öffnen in den Aus-guss zu gießen und nur 0,2 Liter genießen zu können, stellt die Energieverschwendung eines Verbrennungsmotors plastisch dar.www.flyer-bikes.com

Mit Querdenken zum Erfolg der Elektromobilität

CE-kennzeichnung bei Pedelecs

Axel Dörrie, Verkehrsplaner der Stadt Potsdam, legt einen Leitfaden für Wohnungswirt-schaftsunternehmen auf.

Dieter Brübach vom Bundes-deutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Manage-ment lobt einen Wettbewerb für fahrradfreundliche Wohnungsunternehmen aus.

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RadMarktDas Branchenmagazin

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Dietmar Hertel:

>Rahmenbauer Dietmar Hertel, der an der Bundesfach-schule für Zweiradtechnik in Frankfurt unterrichtet, plädierte in seinem Workshop »Parallelwelten: Fahrrad

und Pedelec« dafür, im Pedelec-Bau mehr auf energetische Aspekte zu achten und die traditionelle Leichtbau- und Effi-zienzkompetenz der Fahrradbranche mit in die Waagschale zu werfen. Der Fahrradbau könne besonders gut effiziente Systeme entwickeln, da er immer schon mit der geringen zur Verfügung stehenden Antriebsleistung, nämlich der Kraft des Radfahrers, haushalten müsse, erläuterte Hertel. Deswegen ist Leichtbau mit Blick auf die Kosten überragend wichtig. Bei-spiel Licht: Die moderne Lichttechnik habe sich bei sechs Watt Leistung vom Gütefaktor 1 auf 15 verbessert. »Was machen wir Fahrradleute? Wir denken nach, die Leistung zu verringern auf drei Watt, um den Fahrer zu entlasten.«

Beim Elektrofahrrad stehe nun auf einmal Leistung im Überfluss zur Verfügung. Aus diesem Grund und weil bran-chenfremde Firmen bei der Konzeption der Elektroräder mitbestimmen, gerieten energetische Aspekte aus dem Blickpunkt. Die neue Technik sei für Fahrradleute angstbe-setzt, so dass bestimmte Auseinandersetzungen, zum Bei-spiel über Alternativen zum Elektromotor, wie Brennstoff-zellen oder Druckluftmotor oder Ökologie, gar nicht geführt worden seien. Der Begriff Null-Emissions-Fahrzeug sei frag-

würdig, denn er betrachte nur einen Ausschnitt. Herstellung und Recycling und auch der geringere Wirkungsgrad des Elektromotors blieben dabei außen vor.

Eine energetische Betrachtung lohne sich zum Beispiel hinsichtlich der Lage des Motors: Hier habe der Mittelmotor Vorteile, da er als einziger mit einer Schaltung zusammen-arbeite, also durch die Übersetzung die Leistung gewandelt werden könne und man nicht in ungünstigen Bereichen unterwegs sei.

Ein weiterer Aspekt ist das Reichweitendilemma: Wegen der gewünschten Reichweiten hat man es mit relativ schweren Batterien zu tun. Hinzu kommt, dass die Batterie im Vergleich zum Benzin als Energiespeicher um ein Viel-faches schwerer ist. Das passe nicht zum Fahrrad. Er stellte die Frage, ob man wirklich 250 Watt Motorleistung brauche: »Der Alltagsfahrer bringt vielleicht 150 Watt Leistung, da sind 100 Watt, die man zubuttert, auch schon Fahren mit Rückenwind.«

Die Chance sei nun, die in der Fahrradbranche sehr kurzen Wege zwischen Zulieferern, Herstellern, Groß- und Einzelhändlern zu nutzen, um das Pedelec im Spannungs-feld zwischen Fahrrad und Auto mehr nach den Kompe-tenzen des Fahrradbaus zu gestalten.

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Vom Fahrradkongress Vivavelo berichteten in Text und Bild:

Michael Bollschweiler, Michael Hüter, Christopher Müllenhof,

Achim Schmidt und Verena Ziese

Plädiert für mehr Leichtbau und Effizienz auch beim Pedelec: Rahmenbauer und Dozent Dietmar Hertel.

Mehr Leichtbau beim Pedelec