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Soziologie der Liebe
Vorlesung
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Wintersemester 2012/13
PD Dr. phil. habil. Udo Thiedeke
„Liebe der Unvernunft“
1) Die Liebe siegt!
2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft
3) Zusammenfassung
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 1
- Last Christmas
Letztes Jahr an Weihnachten habe ich dir mein Herz geschenkt, aber schon am nächsten Tag hast du es wieder weggeworfen.
In diesem Jahr erspare ich mir die Tränen und verschenke es an jemand ganz Besonderen. Weißt du, gebranntes Kind scheut das Feuer!
Und so halte ich zwar Abstand, aber meine Augen kann ich trotzdem nicht von dir lassen. Sag mal, Schatz, erkennst du mich denn gar nicht?
Gut, es ist immerhin ein Jahr her und eigentlich überrascht es mich auch nicht.
Na ja, dann: Fröhliche Weihnachten!
Damals hab' ich mein Herz eingepackt und an dich geschickt. „Ich liebe dich“ stand auf der Karte, und genauso hab ich es auch gemeint.
Heute weiß ich, was für ein Dummkopf ich war. Aber trotzdem bin ich mir sicher: Wenn du mich jetzt küssen würdest, du würdest mich wieder
genauso rumkriegen.(...)
Wham!
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 2
Liebe ist alles andere als einfach, hatten wir gesagt. Ganz im Gegen-
teil ist Lieben, genauer, eine Liebeskommunikation im Medium Liebe
zu führen, so voraussetzungsvoll, dass wir ständig mit Paradoxien
konfrontiert werden, die wir zu lieben gelernt haben.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 3
Das SGKM Liebe steigert die Unwahrscheinlichkeit des Liebens und
Geliebtwerdens der ganzen Person mit allem was dazugehört zum
erstrebenswerten Leiden und macht es somit attraktiv. Es ist nicht der
süße Kuss des Amors, der uns erweckt, nein, sein Pfeil durchbohrt
unsere Herzen!
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 4
Dass dies ein Charakteristikum der Kommunikation in einem ganz ei-
genen SGKM ist, dass sich das Medium „Liebe“ also erst gesellschaf-
tlich ausdifferenzieren musste, lässt sich gesellschaftshistorisch beob-
achten.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 5
Das Ideal der passionierten, „romantischen“ Liebe fällt sozial nicht
vom Himmel. Ganz im Gegenteil in einem langen Kampf von Vermu-
tungen, Meinungen, Versuchen und Irrtümern, hat sich für die Liebes-
kommuniktion ein eigener Code ausdifferenziert.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 6
Dieser Code den Luhmann für das 18. Jhr. in „plaisir/amour“ unter-
scheidet, dirigiert die Grenzziehung der Kommunikationsform der In-
timbeziehung. Er dirigiert damit auch die Formvorschrift des Liebens,
also das, was man erwarten kann und gesellschaftlich darf, wenn
man liebt.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 7
Um diesen eigenen Code zu etablieren, musste die Liebe aber erst
einmal den Kampf gegen die Vernunft gewinnen. Wobei uns Heutigen
schon klar ist, dass Liebe nicht vernünftig sein kann, denn Rationalität
ist nur schwer leidenschaftlich zu lieben und wo dies passiert, ist die
Katastrophe nah.
(Hinrichtung Maximilien Robespierres 1794 in Paris)
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 8
Luhmann führt für diesen Kampf von Vernunft und Liebe den „Dia-
logue de L'Amour et de la Raison“ von 1667 an, in dem die Personifi-
kationen der Liebe und der Vernunft um das alte Ideal der vernünftig
geordneten Liebe streiten.
Allegorie der Vernunft
Allegorie der Liebe
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 9
Die Vernunft verkörpert dabei die überkommenen Anforderungen der
Gesellschaft, die familiäre Festlegung des Lebenspartners und die
stratifikatorische Homogamie der Ehepartner.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 10
Auf die Angriffe der Vernunft, die Liebe sei in ihrer Opposition gegen
diese Anforderungen der Gesellschaft unvernünftig und somit unver-
antwortlich, betont die Liebe aber die Vernunft der Herzen bei der
Partnerwahl und die schichtübergreifende Gleichheit, aller, die von
Amors Pfeil getroffen werden.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 11
Die Liebe behauptet sich nicht als erratische Unvernunft, sondern als
Vernunft, die einer eigenen, neuen Logik folgt, der Logik des amour
passion.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 1) Die Liebe siegt! Folie 12
So kann die Liebe die gesellschaftlichen Kontrollansprüche an die
Intimbeziehungen zurückweisen. Diese kontrolliert sie fortan selbst,
nicht irrational, sondern gemäß ihrer eigenen und höchst eigenwilligen
Vernunft. Man muss den Regeln der Liebe folgen, wenn man zur indi-
viduellen Ausnahme des oder der Begehrten werden will. Die Liebe
siegt, wo geliebt werden soll.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft Folie 13
Mit der Liebe als SGKM wird es plötzlich für jedermann und jederfrau
zur Normalität, die eigene Unvernünftigkeit einer Sozialbeziehung zu
Grunde zu legen und zwar einer Sozialbeziehung, die als Intimität so-
gar die engste Form annimmt, in der sich Individuen sozial begegnen
können.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft Folie 14
Der „Liebeswahn“ zeichnet sich dadurch aus, dass wir unsere indivi-
duelle Unvernunft, die plötzlich gesellschaftlich gelebt werden kann,
gelernt haben zu lieben allerdings leidend zu lieben.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft Folie 15
Wer liebt, der oder die befindet sich nicht nur ,außer sich‘, er oder sie
erwartet das auch vom Gegenüber. Das scheint geradezu die Voraus-
setzung zu sein, sich überhaupt dem anderen, der anderen zu öffnen.
Daher alle Forderungen und Anforderungen nach Öffnung, Gehen-
lassen, Spontaneität und Authentizität an das Lieben, die so gar
nichts mit der distanzierten Betrachtung eines vernünftigen logischen
Kalküls zu tun haben.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft Folie 16
Dennoch ist Liebe, wenn sie kommuniziert wird, nicht sinnlos und
alles andere als ein beliebiger individueller Genuss des Überdie
SträngeSchlagens. Peter Fuchs stellt klar:
„Die ganze Verrücktheit, die man ihr zuschreibt, an der man sie erken-
nen soll, der befristete Wahnsinn, für den man sie hält, ist der deutli-
che Effekt einer bestimmten kommunikativen Struktur, die in die Tiefe
der Person hineinrechnet, um sie zur Gänze zu erreichen, um sie als
EINS konstruieren zu können. Der Wahn der Liebe ist mithin alles
andere als wahnsinnig, er ist systematisch oder, wenn Sie so wollen,
systemisch.“ (2003: 38).
(Peter Fuchs, 2003: Liebe, Sex und solche Sachen. Zur Konstruktion moderner Intim-
systeme. 2. Aufl. Konstanz.)
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft Folie 17
Man könnte sagen: Wenn wir individuell lieben wollen, wenn wir indi-
viduell geliebt werden wollen, dann bricht all das auf und wird kom-
munikabel, was wir sind und das sind die unauslotbaren Abgründe
der Psychen und die unbegreifbaren Eigenarten der Körper.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 2) Das romantische Displacement: Die Liebe der Unvernunft Folie 18
All das, was wir sind, soll jetzt sozialisiert, soll eine Zweiheit als sozia-
le Einheit werden. Das ist das Versprechen und das ist die Heraus-
forderung. Mit Zweckrationalität, herrschaftsfreien Diskursen und
vernünftiger Kühle ist das gerade nicht zu beherrschen, weil hier die
Individuen in der Gesellschaft ankommen. Das heißt die Unwägbar-
keiten dessen, was in den Köpfen und Körpern steckt für andere ernst
nehmen zu wollen und sich gar nichts anderes mehr als Lebenssinn
vorstellen zu können.
Soziologie der Liebe Liebe der Unvernunft 3) Zusammenfassung Folie 19
Zusammenfassung
- Das SGKM Liebe steigert die Unwahrscheinlichkeit des Liebens und Geliebt- werdens der ganzen Person zum erstrebenswerten Leiden und macht es somit attraktiv.
Die Liebe behauptet sich daher nicht als erratische Unvernunft, sondern als Vernunft, die einer eigenen, neuen Logik folgt: Der Logik der Liebespassion.
So kann die Liebe die gesellschaftlichen Kontrollansprüche der Intimbezie- hungen zurückweisen. Diese kontrolliert sie fortan selbst, nicht irrational, sondern gemäß ihrer eigenen und höchst eigenwilligen Vernunft.
Der „Liebeswahn“ zeichnet sich also dadurch aus, dass wir unsere individu- elle Unvernunft, die plötzlich gesellschaftlich gelebt werden kann und ,höchstrelevant‘ für den Anderen oder die Andere wird, gelernt haben zu lieben allerdings leidend zu lieben.