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Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 1
Übungen im Öffentlichen Recht III
(Gruppen D–F und Q–S)
Fall 7
I. Rechtmässigkeit der Initiative (Frage 1)
Lokalisierung des Problems:
Unterschied zwischen
• Wahrung der Einheit der Materie / Einheit der Form und
• inhaltlicher Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht
1. Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht
• Umfassende Bundeskompetenz im Bereich des Umweltschutzes
(Art. 74 Abs. 1 BV)
• Abschliessende gesetzliche Regelung der UVP-Pflicht in Art. 10a
USG lässt keinen Raum für kantonalrechtliche Abweichungen
• Fazit: Ziff. I der Initiative verstösst (inhaltlich) gegen Bundesrecht
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I. Rechtmässigkeit der Initiative (Frage 1)
2. Einheit der Materie
• Partialrevision der BV: Art. 139 Abs. 2, 194 Abs. 2 BV
Art. 75 Abs. 2 BPR (Volksinitiative):
Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den
einzelnen Teilen einer Initiative ein sachlicher Zusammen-
hang besteht.
• Kantonale / kommunale Abstimmungen:
– Primär kantonales Recht massgebend (hier keine kantonale
Regelung betr. Einheit der Materie bekannt)
– Subsidiär: Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV)
Anspruch auf unverfälschte Willensbildung und Willens-
kundgabe
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I. Rechtmässigkeit der Initiative (Frage 1)
• Fallbezogene Anwendung:
– Argument für Einheit der Materie:
• Beide Teile der Initiative erfordern (Ziff. II) bzw. bewirken
(Ziff. I) einen Abbau des Personalbestandes "weniger
Bürokratie" (Titel)
– Argumente gegen Einheit der Materie:
• Nur zufällig paralleler Effekt; Ziff. I hat sehr spezifische
Stossrichtung.
• Man kann das eine wollen, ohne auch das andere zu wollen;
"weniger Bürokratie" als Klammer genügt nicht.
• Es handelt sich nicht um eine Gesetzesvorlage, bei der die
Anforderungen an die Einheit der Materie geringer wären.
• Fazit: Einheit der Materie nicht gewahrt (a.M. mit guter Begründung
knapp vertretbar)
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I. Rechtmässigkeit der Initiative (Frage 1)
3. Einheit der Form
• Allgemeine Anregung / ausgearbeiteter Entwurf (hier?)
• Partialrevision der BV: Art. 139 Abs. 2, 194 Abs. 3 BV; Art. 75 Abs. 3
BPR (Volksinitiative)
• Kantonale / kommunale Abstimmungen: Ergibt sich subsidiär (d.h.
wenn keine kant. Regelung besteht) ebenfalls aus Art. 34 Abs. 2 BV.
BGE 114 Ia 413, E. 3c: "Wird der Grundsatz der Einheit der Form verletzt, so
fehlt der Initiative die nötige Klarheit und Eindeutigkeit; für den Stimmbürger, der
die Initiative annehmen möchte, bleibt ungewiss, was nach Annahme des formu-
lierten Teils mit dem andern Teil geschieht und was somit aus dem Ganzen wird
(…). Die Regelung des Zürcher Rechts entspricht somit der Forderung der bun-
desgerichtlichen Rechtsprechung, wonach kein Abstimmungsresultat anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unver-
fälscht zum Ausdruck bringt (…)."
Kritik: Anknüpfung an unverfälschter Willenskundgabe nicht überzeugend, da auch
bei einer "reinen" allg. Anregung nicht gewisser ist, was aus der Initiative wird.
Überzeugender z.B. Art. 25 Abs. 3 KV ZH: "Ist die Initiative in der Form nicht einheit-
lich, so wird sie als allgemeine Anregung behandelt."
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I. Rechtmässigkeit der Initiative (Frage 1)
4. Ergebnis
Zwei rechtliche Mängel:
– Inhaltlicher Verstoss von Ziff. I gegen Bundesrecht (nämlich
gegen Art. 10a USG)
– Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV
• Einheit der Materie
• Einheit der Form
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 6
II. … (Frage 2)
Lokalisierung des Problems:
Was für ein Rechtsmittel kommt in Betracht?
Es liegt weder eine individuell-konkrete Verfügung noch ein Erlass vor
Stimmrechtsbeschwerde
(Stimmberechtigte hier als Teil eines Staatsorgans, nicht als Individuen
betroffen Innenverhältnis)
II. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (Frage 2)
1. Anfechtungsobjekt
• Hier: Kantonsratsbeschluss (Gültigerklärung)
• Generell: Art. 82 lit. c BGG alle staatlichen Handlungen (u.U. so-
gar Handlungen Privater), die geeignet sind, das Stimm- und Wahl-
recht zu verletzen keine Beschränkung auf Verfügungen / Erlasse
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 7
II. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (Frage 2)
2. Beschwerdegrund
• In Frage kommen:
– Verletzung kantonaler (inkl. kommunaler) Bestimmungen über
die politische Stimmberechtigung sowie über Volkswahlen und
-abstimmungen (beachte: auch Vorschriften auf Gesetzes- und
Verordnungsstufe)
Art. 95 lit. d BGG
– Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV
Art. 95 lit. a BGG
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 8
II. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (Frage 2)
2. Beschwerdegrund
• Fallbezogene Anwendung:
– Verletzung der Einheit der Materie / der Form kann gerügt werden
(obwohl in § 7 des kant. Gesetzes nicht erwähnt)
– Aber: Aus Art. 34 Abs. 2 BV ergibt sich kein Anspruch, dass eine
inhaltlich bundesrechtswidrige Initiative nicht der Volksabstim-
mung unterbreitet wird. Dies kann mit Stimmrechtsbeschwerde nur
geltend gemacht werden, wenn das kantonale Recht bei Bundes-
rechtswidrigkeit einen Anspruch auf Ungültigerklärung vorsieht.
Begründung (BGer): Weiterzug ans BGer stünde sonst zu der gleichen
Rechtsfrage zweimal offen ( Frage 3)
BGer lässt also zu, dass ein Kanton auf die Prüfung der inhaltlichen
Bundesrechtskonformität von Initiativen verzichtet
§ 7 Abs. 2: "kann" Ermessen des KR, kein Anspruch des Stimm-
bürgers auf Ungültigerklärung
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 9
II. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (Frage 2)
3. Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
• Art. 88 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 BGG Kanton X muss kein Rechts-
mittel gegen den KR-Beschluss vorsehen
• Hier keine Angaben Stimmrechtsbeschwerde ans BGer zulässig,
falls kein kant. Rechtsmittel existiert ( 2 Varianten)
4. Persönliche Voraussetzungen
a) Partei- und Prozessfähigkeit
Kein konkreter Beschwerdeführer keine Bemerkungen dazu
b) Beschwerdelegitimation
Art. 89 Abs. 3 BGG alle Stimm- und Wahlberechtigten
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II. Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde (Frage 2)
5. Beschwerdefrist
• 30 Tage; ab wann?
ab Publikation des KR-Beschlusses im Amtsblatt (Art. 100 Abs. 1
BGG analog)
• Bei (anderen) Mängeln im Vorfeld einer Wahl/Abstimmung, bei
denen keine Publikation erfolgt: 30 Tage ab Kenntnisnahme
6. Ergebnis
Sofern kein kantonales Rechtsmittel besteht:
• Die Verletzung der Einheit der Materie und der Form können
innert Frist und unter Wahrung der Anforderungen an die
Beschwerdeschrift mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten (Stimmrechtsbeschwerde) geltend gemacht
werden,
• nicht aber der inhaltliche Verstoss gegen Art. 10a USG.
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 11
III. … (Frage 3)
Lokalisierung des Problems:
Was für ein Rechtsmittel kommt in Betracht?
Stimmrechtsbeschwerde wegen Verletzung der Einheit der Materie und
der Form kann nicht mehr erhoben werden (KR-Beschluss als mass-
gebliche Vorbereitungshandlung)
Was kann noch angefochten werden? § 27a EG USG Beschwerde
in öff.-rechtlichen Angelegenheiten wegen Verletzung von Bundesrecht
III. Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-
rechtlichen Angelegenheiten (Frage 3)
1. Anfechtungsobjekt
• § 27a EG USG Art. 82 lit. b BGG
• abstrakte Normenkontrolle
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 12
III. Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-
rechtlichen Angelegenheiten (Frage 3)
2. Beschwerdegrund
Verletzung von Art. 10a USG (Art. 95 lit. a BGG)
(Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts: nötig?)
3. Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
• Art. 87 Abs. 1 BGG Kanton X muss keine abstrakte Normen-
kontrolle vorsehen
• Hier keine Angaben Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ans BGer zulässig, falls kein kant. Rechtsmittel
existiert
( 2 Varianten)
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III. Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-
rechtlichen Angelegenheiten (Frage 3)
4. Persönliche Voraussetzungen
a) Partei- und Prozessfähigkeit
Kein konkreter Beschwerdeführer keine Bemerkungen dazu
b) Beschwerdelegitimation
• Art. 89 Abs. 1 BGG
• Beachte: virtuelle Betroffenheit genügt
• Konkret: Jedermann im Kt. X kann Nachbar eines UVP-pflichtigen
Bauvorhabens sein
Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 14
III. Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-
rechtlichen Angelegenheiten (Frage 3)
5. Beschwerdefrist
• 30 Tage (Art. 101 BGG), ab wann?
• Nicht Inkrafttreten, sondern Publikation des Erlasses im Amtsblatt
massgebend
• Wenn ein Erlass der Volksabstimmung unterliegt:
– Publikation der Feststellung, dass die Referendumsfrist
unbenutzt abgelaufen ist bzw.
– Publikation des Erwahrungsbeschlusses (= Feststellung des
nach kant. Recht zuständigen Organs, dass das Abstimmungs-
ergebnis gültig zustande gekommen ist)
6. Ergebnis
Sofern kein kantonales Rechtsmittel besteht:
§ 27a EG USG kann innert 30 Tagen ab der Publikation des Erwah-
rungsbeschlusses beim Bundesgericht angefochten werden
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IV. Anfechtung der Baubewilligung (Frage 4)
Lokalisierung des Problems:
Beschwerdelegitimation des VCS / Verbandsbeschwerderecht
• Keine Beschwerde zur Wahrung eigener Interessen / zur Wahrung
der Interessen der Mitglieder ideelle Verbandsbeschwerde
spezialgesetzliche Regelung erforderlich
• VCS = gesamtschweizerische, nach USG beschwerdeberechtigte
Organisation (Art. 55 Abs. 1 USG; Anhang VBO, Ziff. 20 [SR 814.076])
• Voraussetzung: UVP-pflichtiges Vorhaben (Art. 55 Abs. 1 USG)
In casu: mehr als 500 Parkplätze Bauvorhaben UVP-pflichtig (Art. 55 Abs. 1 i.V.m. Art. 10a USG, Art. 1 UVPV und Anhang UVPV,
Nr. 11.4 [vgl. ferner Nr. 80.5])
• Beschwerdebefugnis des VCS zu bejahen; auch für das kanto-
nale Rechtsmittelverfahren (Art. 111 Abs. 1 BGG)
• Rüge, es sei zu Unrecht keine UVP durchgeführt worden, zulässig
(Bundesrechtsverletzung)
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V. … (Frage 5)
Lokalisierung des Problems:
Einzelaktkontrolle (Baubewilligung / Art. 10a USG)
+ konkrete Normenkontrolle (§ 27a EG USG / Art. 10a USG)
V. Akzessor. Prüfung von § 27a EG USG (Frage 5)
• Zulässigkeit?
• Folgen:
– Nichtanwendung von § 27a EG USG
Warum keine Aufhebung?
– Aufhebung der angefochtenen Baubewilligung
• mangels gesetzlicher Grundlage (Folge der Nichtanwendung
von § 27a EG USG)
• und wegen Verstosses gegen Art. 10a USG i.V.m. Anhang
UVPV, Nr. 11.4
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VI. … (Frage 6)
Lokalisierung des Problems:
Verhältnis Baubewilligung / nachfolgende Bewilligung (Projektänderung)
VI. Akzessor. Prüfung der Baubewilligung (Frage 6)
• Grundsätzlicher Mangel (Nichtdurchführung einer UVP) haftet der
ersten, nicht der zweiten Bewilligung an
insofern als Grundverfügung / bestätigende Verfügung zu
qualifizieren
• Grundsatz des einmaligen Rechtsschutzes gegen Verfügungen
Rügen, die bereits gegen die erste Verfügung möglich
gewesen wären, können gegen die zweite Verfügung (Vollzugs-
oder Bestätigungsverfügung) nicht nochmals vorgebracht
werden
Das heisst: keine akzessorische Prüfung von Verfügungen
(im Gegensatz zu Erlassen)
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